Zusammenfassung des Urteils SB210455: Obergericht des Kantons Zürich
Der Beschuldigte wurde des gewerbsmässigen Diebstahls schuldig gesprochen und zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Das Gericht ordnete auch eine Landesverweisung für sechs Jahre an. Der Beschuldigte wurde für schuldig befunden, Zigaretten im Wert von knapp Fr. 1.2 Mio. gestohlen zu haben. Trotz positiver Entwicklungen seit seiner Entlassung aus dem Strafvollzug im Oktober 2021, darunter eine neue Arbeitsstelle und eine bevorstehende Geburt seines zweiten Kindes, wird das öffentliche Interesse an der Landesverweisung gegen sein persönliches Interesse an einem Verbleib in der Schweiz abgewogen. Aufgrund seiner wiederholten Straftaten und zweifelhaften Bewährungsaussichten wird das öffentliche Interesse an der Landesverweisung als erheblich betrachtet. Trotz seiner sozialen Bindungen in der Schweiz wird die Landesverweisung als notwendig erachtet, um weiterer Delinquenz vorzubeugen. Letztendlich wird die Landesverweisung angeordnet, obwohl auch ein schwerer persönlicher Härtefall vorliegt.
Kanton: | ZH |
Fallnummer: | SB210455 |
Instanz: | Obergericht des Kantons Zürich |
Abteilung: | II. Strafkammer |
Datum: | 02.09.2022 |
Rechtskraft: | Weiterzug ans Bundesgericht, 6B_1453/2022 |
Leitsatz/Stichwort: | Gewerbsmässigen Diebstahl |
Schlagwörter : | Beschuldigte; Beschuldigten; Beruf; Berufung; Urteil; Recht; Zweitberufungskläger; Schweiz; Privat; Privatklägerin; Zigaretten; Lanka; Zigarettenstangen; Staat; Landes; Sinne; Landesverweisung; Verfahren; Verfahren; Schaden; Vorinstanz; Urteils; Diebstahl; Verfahrens; Staatsanwaltschaft; Verteidigung; Familie; ässigen |
Rechtsnorm: | Art. 115 StPO ;Art. 122 StPO ;Art. 13 BV ;Art. 135 StPO ;Art. 184 OR ;Art. 25 BV ;Art. 268 StPO ;Art. 3 EMRK ;Art. 385 StPO ;Art. 391 StPO ;Art. 399 StPO ;Art. 402 StPO ;Art. 428 StPO ;Art. 437 StPO ;Art. 66a StGB ;Art. 66d StGB ;Art. 70 StGB ;Art. 714 ZGB ;Art. 8 EMRK ;Art. 82 StPO ;Art. 933 ZGB ;Art. 934 ZGB ;Art. 936 ZGB ; |
Referenz BGE: | 128 I 129; 129 IV 322; 141 IV 155; 143 I 21; 144 I 266; 144 II 1; 144 IV 285; 145 I 227; 146 IV 105; |
Kommentar: | Donatsch, Trechsel, Pieth, Kommentar StGB, Art. 70 StGB, 2022 |
Obergericht des Kantons Zürich
II. Strafkammer
Geschäfts-Nr.: SB210455-O/U/ad
Mitwirkend: Oberrichter lic. iur. Spiess, Präsident, Oberrichterin lic. iur. Bertschi und Ersatzoberrichterin lic. iur. Schneeberger sowie Gerichtsschreiberin MLaw Boese
Urteil vom 2. September 2022
in Sachen
,
Beschuldigter, Erstberufungskläger und Anschlussberufungsbeklagter amtlich verteidigt durch Rechtsanwalt lic. iur. X. ,
gegen
Anklägerin und Berufungsbeklagte
sowie
AG,
Privatklägerin und Anschlussberufungsklägerin
vertreten durch Rechtsanwalt MLaw Y. ,
sowie
,
anderer Verfahrensbeteiligter und Zweitberufungskläger vertreten durch Rechtsanwalt lic. iur. Z. ,
betreffend gewerbsmässigen Diebstahl
Anklage:
Die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat vom 29. März 2021 (Urk. 37) ist diesem Urteil beigeheftet.
Urteil der Vorinstanz:
Der Beschuldigte A. ist schuldig des gewerbsmässigen Diebstahls
i.S.v. Art. 139 Ziff. 1 i.V.m. Ziff. 2 StGB.
Der Beschuldigte wird bestraft mit 36 Monaten Freiheitsstrafe, wovon bis und mit heute 393 Tage durch Haft sowie durch vorzeitigen Strafantritt erstanden sind.
Der Vollzug der Freiheitsstrafe wird im Umfang von 18 Monaten aufgeschoben und die Probezeit auf 3 Jahre festgesetzt. Im Übrigen, 18 Monate, abzüglich 393 Tage, die durch Untersuchungshaft und den vorzeitigen Strafantritt erstanden sind, wird die Freiheitsstrafe vollzogen.
Der Beschuldigte wird im Sinne von Art. 66a StGB für 6 Jahre des Landes verwiesen.
Die Ausschreibung der Landesverweisung im Schengener Informationssystem wird angeordnet.
Die mit Verfügung der Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat vom 11. Mai 2020 als Beweismittel beschlagnahmten Gegenstände (Bankbeleg, Liste, div. Notizen etc.; Asservat-Nr.: A013'740'960, A013'742'171) werden eingezogen und der zuständigen Lagerbehörde zur Vernichtung überlassen.
Die nachfolgenden mit Verfügung vom 11. Mai 2020 beschlagnahmten Gegenstände werden dem Beschuldigten nach Eintritt der Rechtskraft dieses Urteils auf erstes Verlangen herausgegeben:
1 Mobiltelefon Samsung Z Flip (Asservat-Nr.: A013'740'891)
1 Mobiltelefon Samsung Galaxy (Asservat-Nr.: A013'740'915)
1 Mobiltelefon Samsung Galaxy Z (Asservat-Nr.: und A013'741'689)
Der Erlös der mit Verfügung der Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat vom
18. August 2020 erzielten vorzeitigen Verwertung des Fahrzeugs in Höhe von Fr. 3'341.80 wird zur Deckung der Verfahrenskosten verwendet.
Die mit Verfügung der Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat vom 11. Mai 2020 beschlagnahmte Barschaft in Höhe von Fr. 55'000.– wird eingezogen.
Der Beschuldigte wird verpflichtet, der Privatklägerin B. AG Schadenersatz von Fr. 888'213.– zuzüglich 5 % Zins ab 30. April 2020 zu bezahlen. Im Mehrbetrag wird die Privatklägerin mit ihrem Schadenersatzbegehren auf den Weg des Zivilprozesses verwiesen.
Der Beschuldigte wird verpflichtet, der Privatklägerin eine Parteientschädigung von Fr. 12'950.– zu bezahlen.
Rechtsanwalt lic. iur. X. , …-str. …, … Zürich, wird für die amtliche Verteidigung des Beschuldigten mit Fr. 18'121.50 (inkl. Mehrwertsteuer) aus der Gerichtskasse entschädigt.
Die Gerichtsgebühr wird festgesetzt auf:
Fr. 4'500.–; die weiteren Kosten betragen: Fr. 1'100.– Gebühr für das Vorverfahren Fr. 18'121.50 amtliche Verteidigung.
Die Kosten der Untersuchung und des gerichtlichen Verfahrens, ausge- nommen diejenigen der amtlichen Verteidigung, werden dem Beschuldigten auferlegt.
Die Kosten der amtlichen Verteidigung werden auf die Gerichtskasse ge- nommen; vorbehalten bleibt eine Nachforderung gemäss Art. 135 Abs. 4 StPO.
Berufungsanträge:
Der Verteidigung des Beschuldigten: (Urk. 75 S. 2 f.; Urk. 113 S. 1 f.)
Der Beschuldigte sei des mehrfachen Diebstahls im Sinne von Art. 139 Ziff. 1 StGB schuldig zu sprechen.
Auf die Anordnung einer Landesverweisung sei zu verzichten.
Die mit Verfügung der Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat vom 11. Mai 2020 beschlagnahmte Barschaft in Höhe von Fr. 55'000.– sei vorab zur Deckung der Verfahrenskosten und im darüber hinausgehenden Betrag zur Deckung der Schadenersatzforderung der Privatklägerin zu verwenden.
Die Kosten des Berufungsverfahrens, einschliesslich diejenigen der amtlichen Verteidigung, seien auf die Staatskasse zu nehmen.
Des Vertreters des Zweitberufungsklägers: (Urk. 101 S. 3; Urk. 115 S. 2)
Dispositiv-Ziffer 9 des Urteils des Bezirksgerichts Zürich vom 27. Mai 2021 sei aufzuheben.
Der Beschuldigte sei zu verpflichten, dem Zweitberufungskläger einen Schadenersatz in der Höhe von Fr. 79'640.– zu leisten.
Eventualiter sei der Beschuldigte zu verpflichten, dem Zweitberufungskläger einen Schadenersatz von mindestens Fr. 55'000.– zu bezahlen, und der Zweitberufungskläger im darüber hinausgehenden Umfang auf den Zivilweg zu verweisen.
Der beim Beschuldigten sichergestellte und beschlagnahmte Barbetrag von Fr. 55'000.– sei an den Zweitberufungskläger herauszugeben.
Unter Kosten- und Entschädigungsfolgen (zuzüglich MWST) zulasten des Beschuldigten, eventualiter zulasten der Staatskasse.
Des Vertreters der Privatklägerschaft: (Urk. 108; Urk. 117 S. 1)
Dispositiv-Ziffer 9 des Urteils des Bezirksgerichts Zürich vom 27. Mai 2021 sei aufzuheben.
Die mit Verfügung der Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat vom 11. Mai 2020 beschlagnahmte Barschaft in Höhe von Fr. 55'000.– sei einzuziehen und der Privatklägerin zur Deckung ihres Schadens zuzusprechen.
Unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zulasten des Beschuldigten und des Zweitberufungsklägers, eventualiter zulasten der Staatskasse.
Erwägungen:
Gegen das eingangs im Dispositiv wiedergegebene, mündlich eröffnete Urteil des Bezirksgerichts Zürich, 4. Abteilung, vom 27. Mai 2021 liess der Beschul- digte fristgerecht mit Eingabe vom 2. Juni 2021 Berufung anmelden (Urk. 58). Nach Erhalt des begründeten Urteils (Urk. 70) reichte er am 10. September 2021 seine Berufungserklärung ein (Urk. 75). Darin ficht er den Schuldspruch wegen gewerbsmässigen Diebstahls an und beantragt, er sei des mehrfachen Diebstahls gemäss Art. 139 Ziff. 1 StGB schuldig zu sprechen. Weiter sei von der Anordnung einer Landesverweisung und deren Ausschreibung im Schengener Informationssystem abzusehen. Die beschlagnahmte Barschaft in Höhe von Fr. 55'000.– sei zur Deckung der Verfahrenskosten und des zu leistenden Schadenersatzes zu verwenden.
Mit Eingabe vom 9. Juli 2021 liess C. ebenfalls rechtzeitig Berufung gegen das vorinstanzliche Urteil vom 27. Mai 2021 anmelden, nachdem seinem Rechtsvertreter ein Auszug des Dispositivs zugestellt worden war (Urk. 63). Ein begründetes Urteil erhielt der Zweitberufungskläger hingegen nicht, da sich die Vorinstanz auf den Standpunkt stellte, dass es sich bei ihm nicht um einen Verfahrensbeteiligten handle und die Berufungsinstanz entscheiden müsse, ob er zur Erhebung eines Rechtsmittels legitimiert und daher auf seine Berufung einzutreten sei (Urk. 72).
In der Folge wurde ein schriftliches Verfahren gemäss Art. 403 Abs. 1 lit. c StPO zur Eintretensfrage durchgeführt (Urk. 73 ff.). Nach Einholung der Stellungnahmen sowohl von C. als auch vom Beschuldigten bzw. seiner amtlichen Verteidigung, der Staatsanwaltschaft und der Privatklägerin wurde mit Beschluss vom
8. November 2021 auf die Berufung von C. eingetreten (Urk. 95). Gleichentags wurde dem Zweitberufungskläger eine Kopie der begründeten Ausfertigung des vorinstanzlichen Urteils zugestellt und eine Frist zur Einreichung einer schriftlichen Berufungserklärung angesetzt (Urk. 97).
Mit Eingabe vom 29. November 2021 reichte der Zweitberufungskläger fristgerecht seine Berufungserklärung ein (Urk. 101). Darin beantragt er die Aufhebung der eingangs zitierten Dispositivziffer 9 des vorinstanzlichen Urteils und die Herausgabe der beschlagnahmten Fr. 55'000.– an ihn.
Mit Präsidialverfügung vom 6. Dezember 2021 wurde allen Verfahrensbeteiligten Frist angesetzt, um zu erklären, ob Anschlussberufung erhoben ein Nichteintreten auf die Berufungen des Beschuldigten und des Zweitberufungsklägers beantragt werde (Urk. 104).
Die Staatsanwaltschaft verzichtete innert der angesetzten Frist auf die Erhebung einer Anschlussberufung und ersuchte um Dispensation von der Teilnahme an der Berufungsverhandlung, welchem Gesuch stattgegeben wurde (Urk. 106). Auch der Beschuldigte teilte mit, dass keine Anschlussberufung erhoben werde (Urk. 107). Mit Eingabe vom 27. Dezember 2021 erklärte die Privatklägerin hingegen fristgerecht die Erhebung einer Anschlussberufung (Urk. 108). Sie beantragt
die Aufhebung von Dispositivziffer 9 des vorinstanzlichen Urteils und die Zusprechung der beschlagnahmten Barschaft von Fr. 55'000.– an sie zur Deckung des entstandenen Schadens. Der Zweitberufungskläger liess sich innert Frist nicht vernehmen.
Mit Präsidialverfügung vom 5. Oktober 2021 wurde der Beschuldigte per
28. Oktober 2021 aus dem vorzeitigen Strafvollzug entlassen (Urk. 87), nachdem die Staatsanwaltschaft mit Eingabe vom 29. September 2021 mitgeteilt hatte, dass sie nicht dagegen opponiere (Urk. 84) und der Beschuldigte die Höhe der ausgesprochenen Strafe nicht anficht (Urk. 75).
5. Am 5. April 2022 wurde zur Berufungsverhandlung auf den 2. September 2022 vorgeladen (Urk. 111). Anlässlich derselben liessen der Beschuldigte, der Zweitberufungskläger und die Privatklägerin die eingangs wiedergegebenen Anträge stellen (Prot. II S. 12 f.).
Gegenstand des Berufungsverfahrens
Gemäss Art. 402 StPO in Verbindung mit Art. 437 StPO wird die Rechtskraft des angefochtenen Urteils im Umfang der Anfechtung gehemmt. Der Beschuldigte wendet sich gegen den vorinstanzlichen Schuldspruch wegen gewerbsmässigen Diebstahls im Sinne von Art. 139 Ziff. 1 in Verbindung mit Ziff. 2 StGB (Dispositivziffer 1). Weiter ficht er die angeordnete Landesverweisung und deren Ausschreibung im Schengener Informationssystem an (Dispositivziffern 4 und 5). Die Einziehung der beschlagnahmten Barschaft von Fr. 55'000.– gemäss Dispositivziffer 9 des vorinstanzlichen Urteils wurde sowohl mittels Berufungen des Beschuldigten und von C. als auch mittels Anschlussberufung der Privatklägerin angefochten. Gegenstand des Berufungsverfahrens bilden somit die Dispositivziffern 1, 4, 5 und 9, wobei hinsichtlich der ersten drei Ziffern das Verschlechterungsverbot im Sinne von Art. 391 Abs. 2 StPO zu beachten ist, da le- diglich der Beschuldigte ein Rechtsmittel dagegen erhob.
Unangefochten blieben hingegen die Dispositivziffern 2 und 3 (Strafe und Vollzug), 6 und 7 (Entscheide über beschlagnahmte Gegenstände), 8 (Verwen- dung des Erlöses aus einer vorzeitigen Verwertung), 10 (Zivilforderung) und 11 bis 15 (Kosten- und Entschädigungsfolgen). Entsprechend ist mittels Beschluss festzustellen, dass das vorinstanzliche Urteil in diesem Umfang in Rechtskraft erwachsen ist.
Anträge des Zweitberufungsklägers
Mit der Berufungserklärung hat die das Rechtsmittel einlegende Partei den Umfang der Überprüfung des angefochtenen Entscheides anzugeben und insbesondere darzutun, ob das Urteil vollumfänglich nur in Teilen angefochten wird und welche Abänderungen des erstinstanzlichen Urteils verlangt werden (Art. 399 Abs. 3 StPO). Der Gegenstand der Berufung wird damit definitiv festgelegt. Die einmal im Rahmen der Berufungserklärung gestellten Anträge können nicht erweitert, die Begründung kann hingegen mit den später vorgesehenen Vorträgen Rechtsschriften im Rahmen des Anfechtungsgegenstandes ergänzt werden (Z IEGLER/KELLER, in: Niggli/Heer/Wiprächtiger [Hrsg.], Basler Kommentar StPO, 2. Auflage, Basel 2014, N 1c zu Art. 385 StPO; EUGSTER, in: Niggli/Heer/Wiprächtiger [Hrsg.], Basler Kommentar StPO, a.a.O., N 3 und N 6 zu Art. 399 StPO).
In Ergänzung seiner Anträge gemäss Berufungserklärung vom 29. November 2021 liess der Zweitberufungskläger anlässlich der Berufungsverhandlung beantragen, der Beschuldigte sei zu verpflichten, ihm den entstandenen Schaden in Höhe von Fr. 79'640.– zu ersetzen. Eventualiter sei der Beschuldigte zu verpflichten, ihm einen Schadenersatz von mindestens Fr. 55'000.– zu bezahlen. Im dar- über hinausgehenden Betrag sei der Zweitberufungskläger mit seiner Forderung auf den Zivilweg zu verweisen (Urk. 115 S. 2 Ziffer 2).
Der Zweitberufungskläger dehnte seine Berufungsanträge anlässlich der Verhandlung vom 2. September 2022 zwar nicht auf bisher unangefochtene Teile des erstinstanzlichen Urteils aus, sondern blieb bei seinem Antrag, dass Dispositiv-Ziffer 9 aufzuheben sei. Allerdings beantragte er neu auch die Zusprechung von Scha-
denersatz an ihn, während er mit der Berufserklärung vom 29. November 2021 le- diglich die Herausgabe des beschlagnahmten Geldbetrags von Fr. 55'000.– verlangt hatte (Urk. 101 S. 3; Urk. 115 S. 2 Ziffer 2). Damit stellte er einen weiteren Antrag dazu, wie das erstinstanzliche Urteilsdispositiv abzuändern sei (vgl. Art. 399 Abs. 3 lit. b StPO). Eine solche Ergänzung der in der Berufungserklärung gestellten Anträge ist nicht möglich, weshalb sich die Berufung des Zweitberufungsklägers insoweit als unzulässig erweist.
Lediglich der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass der Antrag des Zweitberufungsklägers auf Zusprechung von Schadenersatz ohnehin abzuweisen wäre. Gemäss Art. 122 Abs. 1 StPO kann die geschädigte Person zivilrechtliche Ansprüche aus der Straftat gegen die beschuldigte Person adhäsionsweise im Strafverfahren geltend machen. Als geschädigte Person gilt, wer durch die Straftat in ihren Rechten unmittelbar verletzt wurde (Art. 115 Abs. 1 StPO). Der Zweitberufungskläger wurde durch das tatbestandsmässige Verhalten des Beschuldigten (vgl. hierzu nachfolgend E. III.2.) nicht direkt in seinen geschützten Rechtsgütern geschädigt. Vielmehr war er durch Verfahrenshandlungen der Strafverfolgungsbehörden in seinem geschützten Eigentum bzw. Vermögen betroffen, konkret durch die Herausgabe der 900 Zigarettenstangen an die Privatklägerin und die Beschlagnahme des sichergestellten Bargelds von Fr. 55'000.–. Folglich gilt er nicht als geschädigte Person und kann deshalb im vorliegenden Verfahren keine Schadenersatzansprüche gegen den Beschuldigten geltend machen (vgl. bereits Urk. 95).
Urteil der Vorinstanz / Standpunkt des Beschuldigten
Die Vorinstanz würdigte das Verhalten des Beschuldigten als gewerbsmässigen Diebstahl im Sinne von Art. 139 Ziff. 1 in Verbindung mit Ziff. 2 StGB (Urk. 70 S. 6 ff., 29).
Die amtliche Verteidigung anerkennt die rechtliche Würdigung durch die Vor-instanz zwar insofern, als grundsätzlich von Diebstahl im Sinne von Art. 139
Ziff. 1 StGB auszugehen ist. Sie wendet sich jedoch gegen die Qualifikation der Gewerbsmässigkeit gemäss Art. 139 Ziff. 2 StGB und beantragt, der Beschuldigte sei des mehrfachen Diebstahls schuldig zu sprechen (Urk. 75; Urk. 113 S. 1 f.; vgl. auch Urk. 51 S. 1, 3 f.). Zur Begründung führt sie zusammengefasst aus, dass der Beschuldigte zur Begehung der Diebstähle weder erheblichen finanziellen noch materiellen Aufwand habe betreiben müssen. Zudem hätten die einzel- nen Tathandlungen, d.h. die Bestellung von Zigarettenstangen und deren anschliessende Wegnahme aus dem Warenlager, kaum Zeit in Anspruch genommen. Vielmehr habe der Beschuldigte die Zigaretten im Rahmen seiner Arbeitstätigkeit für die Privatklägerin einfach nebenbei, quasi im Vorbeigehen stehlen kön- nen. Über das interne EDV-System habe er nicht nur für seine Arbeitgeberin, sondern auch für sich selber beliebig viele Zigarettenstangen bestellen können, welche er jeweils nach Eintreffen der Lieferung habe mitnehmen bzw. durch Dritte abholen lassen können. Dabei habe er keine Hindernisse überwinden Kontrollsysteme umgehen müssen. Beaufsichtigt sei er ebenfalls nicht gewesen. Entsprechend könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Zeit und die Mittel, welche der Beschuldigte für die de-liktische Tätigkeit aufgewendet habe, einer (nebenerwerblichen) Berufsausübung gleichkämen (Urk. 113 S. 3; vgl. auch Urk. 51 S. 3 f.).
Rechtliche Grundlagen und Würdigung
Die Vorinstanz hat die bundesgerichtliche Rechtsprechung zum qualifizierten Tatbestandsmerkmal der gewerbsmässigen Tatbegehung zutreffend wiedergegeben (Urk. 70 S. 7 f.), weshalb auf die entsprechenden Erwägungen vollumfänglich verwiesen werden kann (Art. 82 Abs. 4 StPO).
Der Beschuldigte entwendete im Zeitraum zwischen dem 18. Februar 2020 und dem 30. April 2020, mithin während rund zweieinhalb Monaten bei 14 Gelegenheiten insgesamt 14'089 Zigarettenstangen, welche er für Fr. 60.– bis Fr. 65.– pro Stange weiterverkaufte. Mit der Vorinstanz ist festzuhalten, dass die Kadenz der einzelnen Tatbegehungen mit durchschnittlich einem Diebstahl alle fünf Tage erheblich ist und eine gewisse Regelmässigkeit erkennen lässt. Die angestrebten und tatsächlich erzielten Einkünfte aus der deliktischen Tätigkeit waren enorm,
insbesondere im Verhältnis zum damaligen Netto-Erwerbseinkommen des Beschuldigten von Fr. 3'700.– pro Monat (vgl. Urk. 3/1 F/A 84, 101; Urk. 3/8 F/A 52 f.; Prot. I S. 9). Daran ändert auch der Einwand des Beschuldigten nichts, wonach einer seiner Abnehmer, C. , den Kaufpreis der bestellten Zigarettenstangen jeweils nicht vollständig bezahlt und ihn hinsichtlich der offenen Rechnungsbeträge andauernd vertröstet habe (Urk. 3/3 F/A 27 f.; Urk. 3/5 F/A 23, 42; Urk. 3/6 F/A 19, 36, 39 f.; Urk. 3/8 F/A 29, 68; Prot. I S. 18 f., 21; Prot. II S. 29). Der Beschuldigte gab an, während des Deliktszeitraums total ungefähr Fr. 150'000.– bis Fr. 200'000.– eingenommen zu haben (Prot. I S. 18; vgl. auch Urk. 3/3 F/A 29; Urk. 3/8 F/A 67). Vor diesem Hintergrund ist mit der Vorinstanz ohne Weiteres davon auszugehen, dass die erzielten Einkünfte einen namhaften Beitrag an die Finanzierung der Lebenshaltungskosten des Beschuldigten und seiner Familie darstellten. So verwendete er den Deliktserlös gemäss eigenen Aussagen in erster Linie zur Bezahlung seiner eigenen und der offenen Schulden seiner Ehefrau. Den Restbetrag habe er auf sein Bankkonto einbezahlt (Urk. 3/3 F/A 30 ff.; Urk. 3/5 F/A 22, 40, 44 f.; Urk. 3/6 F/A 71 ff.; Urk. 3/8 F/A 48 ff., 58, 60; Prot. I S. 23).
Um unnötige Wiederholungen zu vermeiden, kann weiter auf die zutreffenden Erwägungen der Vorinstanz verwiesen werden, wonach der Beschuldigte – entgegen den Ausführungen der amtlichen Verteidigung – durchaus organisatorische, logistische und personelle Vorkehrungen traf, um die bestellten Zigarettenstangen aus dem Warenlager der Privatklägerin wegzuschaffen bzw. abtransportieren zu lassen und für den Weiterverkauf an seine Abnehmer vorzubereiten (Urk. 70 S. 8). Während des kurzen Tatzeitraums entwickelte er somit ein funktionierendes Deliktsmuster, dem eine eigentliche Geschäftstätigkeit bzw. ein berufsmässiges Handeln immanent war. Aus den gesamten Tatumständen ist sodann zu schliessen, dass der Beschuldigte beabsichtigte, auch weiterhin nach seinem Handlungsmuster vorzugehen und seine deliktische Tätigkeit fortzusetzen. Hierfür spricht insbesondere, dass der Beschuldigte selbst dann weiter delinquierte, als er genügend Einnahmen zur Begleichung seiner Schulden erzielt hatte (Prot. I S.
17 f., 23). Sodann liess er sich von den grossen Zahlungsrückständen von C. nicht beirren, sondern verkaufte diesem fortgesetzt hunderte von Zigarettenstangen, welche er zuvor von der Privatklägerin entwendet hatte (Prot. I S. 18 f., 21 f.).
Das qualifizierte Tatbestandsmerkmal der Gewerbsmässigkeit im Sinne von Art. 139 Ziff. 2 StGB ist nach den vorstehenden Erwägungen gegeben.
Der Beschuldigte führte zugestandenermassen eine Art Buchhaltung über die abgewickelten Verkäufe von Zigarettenstangen an seine Abnehmer und damit über die im Vorfeld begangenen Diebstähle (Urk. 3/5 F/A 26 ff., 52 ff.; Prot. II
S. 29). Er wusste somit, wie häufig er während des Deliktszeitraums welche Anzahl Zigarettenstangen aus dem Warenlager der Privatklägerin entwendete bzw. durch Drittpersonen abtransportieren liess und zu welchem Preis er diese anschliessend an seine Abnehmer weiterverkaufte. Die im vorinstanzlichen Urteil im Einzelnen beschriebenen Vorkehrungen des Beschuldigten sowie die hierfür aufgewendete Zeit lassen sodann auf seinen Willen schliessen, mit den Einkünften aus seiner deliktischen Tätigkeit einen regelmässigen und namhaften Beitrag an die Finanzierung seiner und der Lebenshaltungskosten seiner Familie zu erwirtschaften. Das Qualifikationsmerkmal der gewerbsmässigen Tatbegehung war somit vom Vorsatz des Beschuldigten erfasst.
Fazit
Mit seinem Verhalten hat der Beschuldigte sowohl den objektiven als auch den subjektiven Tatbestand des gewerbsmässigen Diebstahls erfüllt. Rechtfertigungsoder Schuldausschlussgründe sind nicht ersichtlich und wurden vom Beschuldigten auch nicht vorgebracht. Er ist daher anklagegemäss des gewerbsmässigen Diebstahls im Sinne von Art. 139 Ziff. 1 und Ziff. 2 StGB schuldig zu sprechen.
Urteil der Vorinstanz / Standpunkt des Beschuldigten
Die Vorinstanz verwies den Beschuldigten für die Dauer von sechs Jahren aus dem Gebiet der Schweiz und ordnete die Ausschreibung der Landesverweisung im Schengener Informationssystem an (Urk. 70 S. 22 ff., 29).
Die amtliche Verteidigung beantragt hingegen, es sei von der Anordnung einer Landesverweisung abzusehen (Urk. 75 S. 2; Urk. 113 S. 1; vgl. auch Urk. 51
S. 1). Zur Begründung führt sie aus, dass ein schwerer persönlicher Härtefall im Sinne von Art. 66a Abs. 2 StGB vorliege. Der Lebensmittelpunkt des Beschuldigten befinde sich seit seiner Ankunft im Jahr 2008 in der Schweiz. Seine Bindungen hierher hätten sich im Laufe der Zeit stetig verstärkt. Inzwischen sei der Beschuldigte mit einer Schweizerin verheiratet, welche hier aufgewachsen und bestens integriert sei. Zudem sei er Vater einer Tochter geworden, welche ebenfalls über das Schweizer Bürgerrecht verfüge. Die Geburt ihres zweiten Kindes erwarteten der Beschuldigte und seine Ehefrau im Frühjahr 2023. Der Kernfamilie des Beschuldigten könne nicht zugemutet werden, nach Sri Lanka umzuziehen, was zur Folge habe, dass seine Kinder während ihrer prägenden Kindheit ohne Vater aufwachsen müssten. Die amtliche Verteidigung weist sodann darauf hin, dass der Beschuldigte seit seiner Entlassung aus dem vorzeitigen Strafvollzug am 28. Oktober 2021 zahlreiche und ernsthafte Anstrengungen unternommen habe, um sich in der Schweiz zu integrieren. So wolle er einem Handballclub beitreten und
habe sich für eine Mitgliedschaft bei der Milizfeuerwehr Kompanie D.
beworben. In beruflicher Hinsicht habe der Beschuldigte erfolgreich eine Ausbildung zum Filialleiter absolviert und in der Folge eine Anstellung als Küchenhilfe finden können. Vor dem Hintergrund seiner geordneten Lebensverhältnisse und nach- dem der Beschuldigte die von der Vorinstanz ausgesprochene teilbedingte Freiheitsstrafe im Umfang von 18 Monaten verbüsst habe, sei die Legalprognose inzwischen anders zu beurteilen als noch zum Zeitpunkt des erstinstanzlichen Urteils. Hinzu komme, dass sich der Beschuldigte seit seiner Haftentlassung am
28. Oktober 2021 wohlverhalten habe, mit der Privatklägerin eine Einigung über die Tilgung des verursachten Schadens gefunden und die erste Anzahlung vereinbarungsgemäss geleistet habe. Vom Beschuldigten gehe keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mehr aus. Im Rahmen der Interessenabwägung überwiege daher sein Interesse an einem weiteren Verbleib in der Schweiz das öffentliche Interesse an seiner Wegweisung (Urk. 113 S. 4 ff.; vgl. auch Urk. 51 S. 8).
1.2. Die amtliche Verteidigung beruft sich weiter auf das Non-refoulement- Gebot bzw. das Verbot der Folter im Sinne von Art. 25 Abs. 2 BV bzw. Art. 3 EMRK und macht geltend, dass der Beschuldigte bei einer Rückkehr in seine Heimat damit rechnen müsse, politisch verfolgt zu werden. Grund dafür sei, dass sein Vater und dessen Geschwister den E. (E. ) angehört hätten und am Bürgerkrieg beteiligt gewesen seien. Auch wenn der Beschuldigte nie selber ein aktives Mitglied dieser Organisation gewesen sei, müsse er aufgrund seiner
indirekten Verbindung zu den E.
(E. ) befürchten, von den srilankischen Behörden tangiert, verschleppt und mittels physischer sowie psychischer Gewalt verhört zu werden (Urk. 113 S. 4; vgl. auch Urk. 51 S. 8 f.).
Persönlicher Anwendungsbereich und Katalogtat
Der Beschuldigte ist sri-lankischer Staatsangehöriger und verfügte zum Tatzeitpunkt über eine Aufenthaltsbewilligung B für die Schweiz (Urk. 32/2; Urk. 33/4; Prot. II S. 16). Er gilt somit als Ausländer im Sinne von Art. 66a Abs. 1 StGB. Der vom Beschuldigten begangene gewerbsmässige Diebstahl (Art. 139 Ziff. 1 und Ziff. 2 StGB) stellt eine Katalogtat im Sinne von Art. 66a Abs. 1 lit. c StGB dar, die nach Inkrafttreten der Umsetzungsgesetzgebung zur Ausschaffungsinitiative begangen wurde. Der Beschuldigte ist somit grundsätzlich obligatorisch des Landes zu verweisen.
Schwerer persönlicher Härtefall und Interessenabwägung gemäss Art. 66a Abs. 2 StGB
Rechtliche Grundlagen
Die Vorinstanz hat das Prüfschema von Art. 66a Abs. 2 StGB und die relevanten Kriterien, welche gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung bei der Be- urteilung eines schweren persönlichen Härtefalls und der Interessenabwägung zu berücksichtigen sind, korrekt dargelegt, weshalb auf die entsprechenden Erwägungen verwiesen werden kann (Urk. 70 S. 17, 19 f., 21 f.).
Von einem schweren persönlichen Härtefall im Sinne von Art. 66a Abs. 2 StGB ist in der Regel bei einem Eingriff von einer gewissen Tragweite in den An-
spruch des Ausländers auf das in Art. 13 BV und Art. 8 EMRK verankerte Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens auszugehen (BGer 6B_166/2021 vom 8. September 2021, E. 3.3.3; BGer 6B_1077/2020 vom 2. Juni 2021, E. 1.2.3; BGer 6B_568/2020 vom 13. April 2021, E. 5.3.4; je mit Hinweisen). Zu dem durch Art. 8 EMRK geschützten Familienkreis gehört insbesondere die Kernfamilie, d.h. die Gemeinschaft der Ehegatten mit den minderjährigen Kindern (BGE 145 I 227, E. 5.3; BGE 144 II 1, E. 6.1; BGer 6B_166/2021 vom 8. September
2021, E. 3.3.3; BGer 6B_1275/2020 vom 4. März 2021, E. 1.3.3). Das durch Art.
13 BV bzw. Art. 8 EMRK geschützte Recht auf Achtung des Familienlebens ist tangiert, wenn eine staatliche Entfernungsoder Fernhaltemassnahme eine nahe, echte und tatsächlich gelebte familiäre Beziehung einer in der Schweiz gefestigt anwesenheitsberechtigten Person beeinträchtigt, ohne dass es dieser ohne Weiteres möglich resp. zumutbar wäre, ihr Familienleben andernorts zu pflegen (BGE 144 I 266, E. 3.3; BGE 144 II 1, E. 6.1; BGer 6B_166/2021 vom 8. September
2021, E. 3.3.3).
Der Anspruch auf Achtung des Familienlebens gilt aber nicht absolut. Vielmehr sind die Vertragsstaaten der EMRK berechtigt, Delinquenten auszuweisen. Berührt die Ausweisung indes Gewährleistungen von Art. 8 Ziff. 1 EMRK, ist der Eingriff nach Art. 8 Ziff. 2 EMRK zu rechtfertigen (BGE 146 IV 105, E. 4.2 mit Hinweis auf das Urteil des EGMR in Sachen I.M. gegen die Schweiz vom 9. April 2019, Nr. 23887/16, § 68). Erforderlich ist zunächst, dass die aufenthaltsbeen- dende -verweigernde Massnahme gesetzlich vorgesehen ist, einem legitimen Zweck im Sinne von Art. 8 Ziff. 2 EMRK entspricht (Schutz der nationalen öffentlichen Sicherheit, Aufrechterhaltung der Ordnung, Verhütung von Straftaten etc.) und verhältnismässig ist (BGE 146 IV 105, E. 4.2; BGE 143 I 21, E. 5.1). Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) sind bei der Verhältnismässigkeitsprüfung im Rahmen von Art. 8 Ziff. 2 EMRK insbesondere die Art und Schwere der Straftat, die Dauer des Aufenthalts im ausweisenden Staat, die seit der Straftat verstrichene Zeit und das Verhalten des Betroffenen während dieser Zeit und die Solidität der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen im Aufnahmesowie im Heimatstaat zu berücksichtigen (BGE 146 IV 105, E. 4.2; BGer 6B_166/2021 vom 8. September 2021,
E. 3.3.4; BGer 6B_780/2020 vom 2. Juni 2021, E. 1.3.3; BGer 6B_1178/2019 vom
10. März 2021, E. 3.2.5; Urteil des EGMR in Sachen M.M. gegen die Schweiz vom 8. Dezember 2020, Nr. 59006/18, §§ 49-51). Dabei ist keines dieser Kriterien für sich allein ausschlaggebend, sondern es ist eine Würdigung der gesamten Umstände im Einzelfall erforderlich.
Art. 66a StGB ist EMRK-konform auszulegen, sodass sich die Interessenabwägung im Rahmen der Härtefallklausel von Art. 66a Abs. 2 StGB an der Verhältnismässigkeitsprüfung nach Art. 8 Ziff. 2 EMRK zu orientieren hat (BGer 6B_143/2019 vom 6. März 2019, E. 3.4).
Schwerer persönlicher Härtefall
Der Beschuldigte wurde in Sri Lanka geboren und wuchs dort bei seinen Eltern auf, welche als Fischer arbeiteten. In seiner Heimat besuchte er den Kindergarten und anschliessend die normale Volksschule bis ungefähr zur 7. Klasse. Aufgrund des herrschenden Bürgerkriegs kam er im Alter von 14 Jahren zusammen mit der Mutter und seinen zwei Brüdern in die Schweiz, wohin der Vater schon kurz zuvor ausgewandert war. Hier besuchte der Beschuldigte zunächst während ein paar Monaten die 2. Sekundarklasse, bis er in die 3. Klasse der Realschule wechselte und seine obligatorische Schulzeit auf dieser Stufe absolvierte. Nach seinem Schulabschluss machte der Beschuldigte zunächst einen Deutschkurs an einer Berufsschule. In der Folge trat er jedoch keine Berufsausbildung an, sondern arbeitete als Praktikant bei der F. . Daran anschliessend war er bei G. tätig, wo er erfolgreich eine interne Weiterbildung zum Schichtleiter absolvierte. Per Juni 2019 trat der Beschuldigte eine Stelle als Mitarbeiter im Verkaufsgeschäft H. der B. AG an. Dieses Arbeitsverhält- nis wurde jedoch fristlos per 7. Mai 2020 aufgelöst, nachdem der Beschuldigte die anklagegegenständlichen Diebstähle zum Nachteil seiner Arbeitgeberin eingestanden hatte. Zwischen dem 30. April 2020 und dem 28. Oktober 2021 befand sich der Beschuldigte in Untersuchungshaft bzw. im vorzeitigen Strafvollzug. Im Anschluss an seine Entlassung bemühte er sich sogleich wieder um eine Arbeitsstelle, indem er sich beim RAV anmeldete, zahlreiche Bewerbungen verschickte und beim Schweizerischen Institut für Unternehmerschulung eine Ausbildung zum
Filialleiter absolvierte. Seit dem 22. August 2022 ist der Beschuldigte als Küchenmitarbeiter im I. tätig (Urk. 3/8 F/A 78; Urk. 24/1; Urk. 112; Urk. 114/1; Prot. I S. 7 ff., 13, 16 f.; Prot. II S. 16 ff.).
Der heute 27-jährige Beschuldigte hat die Hälfte seines Lebens und insbesondere die prägenden Jahre als Jugendlicher und junger Erwachsener in der Schweiz verbracht, wo er inzwischen seit rund 14 Jahren lebt und seinen Lebensmittelpunkt hat. Er versteht und spricht gebrochen Schweizerdeutsch, pflegt aber nach wie vor seine Muttersprache, indem er mit seinen Familienmitgliedern (auch) auf Tamilisch kommuniziert (Urk. 3/3 F/A 2; Prot. I S. 7 f.; Prot. II S. 21). Nach Abschluss der obligatorischen Schulzeit war der Beschuldigte stets erwerbstätig und musste nie Sozialhilfe in Anspruch nehmen. Auffallend sind seine zahlreichen Anstrengungen, die er immer wieder unternahm, um in beruflicher Hinsicht weiterzukommen. Positiv zu werten ist zudem, dass der Beschuldigte nach seiner Entlassung aus dem Strafvollzug relativ schnell eine Anstellung als Küchenmitarbeiter fand und derzeit wieder in einem 100%-Pensum erwerbstätig ist. Dem Eindruck einer erfolgreichen und dauerhaften Integration in den Schweizer Arbeitsmarkt steht jedoch entgegen, dass der Beschuldigte keine Berufsausbildung absolvierte und lediglich Tätigkeiten ausübte, die kaum besondere Kenntnisse Fähigkeiten voraussetzten. Eine eigentliche berufliche Laufbahn Zukunftsperspektive ist nicht ersichtlich und dürfte aufgrund seiner zahlreichen Vorstrafen, der heutigen Verurteilung wegen gewerbsmässigen Diebstahls zum Nachteil seiner ehemaligen Arbeitgeberin und des Vollzugs der dafür ausgesprochenen teilbedingten Freiheitsstrafe stark beeinträchtigt sein.
Auch in persönlicher Hinsicht scheint der Beschuldigte trotz der relativ langen Aufenthaltsdauer hierzulande kaum integriert zu sein. Anlässlich der Berufungsverhandlung bestätigte er auf entsprechende Frage, dass seine Freunde und Kollegen in der Schweiz überwiegend Personen sri-lankischer Herkunft seien. Zu- dem sei er in keinem lokalen Verein einer Organisation engagiert (Prot. II S. 21; vgl. bereits Prot. I S. 13). Die behaupteten Bemühungen des Beschuldigten, der freiwilligen Feuerwehr Kompanie D. einem Handballclub beizutreten, blieben unbelegt und führten (noch) nicht zu einer Aufnahme, weshalb sie
nicht Zeugnis für eine Verwurzelung in der Schweiz ablegen können (vgl. Urk. 113
S. 5; Prot. II S. 27). Engen und regelmässigen Kontakt pflegt der Beschuldigte hingegen zu seinen Eltern sowie zu seinen zwei Brüdern, die ebenfalls nach wie vor in der Schweiz wohnhaft sind. Selbst während der Untersuchungshaft bzw. dem vorzeitigen Strafvollzug erhielt der Beschuldigte wiederholt Besuche seiner Eltern, welche jeweils aus dem Kanton Wallis anreisten (Urk. 26/5 ff.). In Sri Lanka leben noch eine Grossmutter, eine Tante, ein Onkel und Cousins des Beschuldigten, mit welchen er sich bloss sporadisch via Skype austauscht. Seit seiner Ankunft in der Schweiz im Jahr 2008 kehrte der Beschuldigte jedoch nie für Kurzbesuche längere Aufenthalte in sein Heimatland zurück (Urk. 3/8 F/A 72; Prot. I
S. 7 f., 12 f.; Prot. II S. 17 f.). Sein soziales Netzwerk und seine nächsten Bezugspersonen befinden sich somit in der Schweiz.
Hinzu kommt, dass der Beschuldigte hierzulande eine eigene Familie gegründet hat. So heiratete er am tt.mm.2019 J. (geb. J'. ), eine Schweizer Staatsangehörige mit sri-lankischen Wurzeln. Am tt.mm.2019 kam kurz darauf
die gemeinsame Tochter K.
zur Welt. Bis zu seiner Verhaftung lebte der
Beschuldigte zusammen mit seiner Ehefrau und der kleinen Tochter an der …strasse … in Zürich (Urk. 3/8 F/A 78; Urk. 4/8 F/A 5 ff.; Prot. I S. 9; vgl. auch Urk. 26/1). Den Untersuchungsakten lässt sich nicht im Einzelnen entnehmen, inwiefern er sich am Familienleben und an der Betreuung bzw. Erziehung seiner Tochter beteiligte. Gemäss eigenen Aussagen arbeitete der Beschuldigte sehr viel, teilweise bis zu 15 Stunden pro Tag (Urk. 3/1 F/A 13). Immerhin ist ihm zugute zu halten, dass er versuchte, in finanzieller Hinsicht Verantwortung zu übernehmen und für den Unterhalt der Familie aufzukommen. Zum Zeitpunkt seiner Festnahme am 30. April 2020 war der Beschuldigte gerade erst seit sieben Monaten mit
J.
verheiratet; seine Tochter war rund fünf Monate alt. Infolge des an-
schliessenden Freiheitsentzugs von insgesamt 18 Monaten dürfte er zahlreiche
Entwicklungsschritte von K.
verpasst haben. M.a.W. verbrachte der Beschuldigte mehr als die Hälfte des Lebens seiner inzwischen bald dreijährigen Tochter in Haft bzw. im vorzeitigen Strafvollzug. Ebenso verhält es sich hinsichtlich seiner Ehe.
Trotzdem kann dem Beschuldigten eine nahe, echte und tatsächlich gelebte Beziehung zu seiner Kernfamilie nicht von vornherein abgesprochen werden. So scheint seine Ehefrau auch nach Einleitung des vorliegenden Strafverfahrens und während der langen Trennungszeit weiterhin zum Beschuldigten gehalten und sich nicht von diesem abgewendet zu haben, obwohl durchaus schwerwiegende Tatvorwürfe im Raum standen und der Beitrag bzw. die Verantwortlichkeit des Beschuldigten angesichts der konkreten Umstände, welche sich auch J. aufgedrängt haben dürften, als zentral erscheinen musste. Zudem stand die Ehefrau stets in brieflichem Kontakt mit dem Beschuldigten, hielt diesen über die Entwicklung seiner Tochter auf dem Laufenden und besuchte ihn regelmässig während der Untersuchungshaft und des vorzeitigen Strafvollzugs (Urk. 26/1 ff.; Urk. 21/2; Urk. 21/6). Dies spricht für die Tragfähigkeit der familiären Beziehungen des Beschuldigten und dessen Verbundenheit mit seiner Ehefrau und der Tochter.
Nach seiner bedingten Entlassung aus dem vorzeitigen Strafvollzug am
28. Oktober 2021 kehrte der Beschuldigte in die vormalige Wohnung der Familie an der …-strasse … in Zürich zurück (vgl. Urk. 86 S. 2; Urk. 94). Da seine Ehefrau wieder einer Erwerbstätigkeit nachgeht zur Bestreitung des Familienunterhalts, ist der Beschuldigte aktuell stark in die Betreuung der gemeinsamen Tochter K. eingebunden und kümmert sich insbesondere jeden zweiten Samstag alleine um diese, wenn J. Wochenenddienst leisten muss (Prot. II S. 24 f.; Urk. 112). Zu berücksichtigen ist schliesslich, dass der Beschuldigte und seine Ehefrau im Frühjahr 2023 die Geburt ihres zweiten Kindes erwarten (Prot. II S. 27; Urk. 113 S. 4). Folglich wird die Unterstützung des Beschuldigten bei der Kinderbetreuung zunehmend wichtiger.
Nach den vorstehenden Erwägungen würde eine Landesverweisung des Beschuldigten ohne Weiteres den Schutzbereich von Art. 13 BV bzw. Art. 8 EMRK tangieren hinsichtlich seiner Beziehung zur Ehefrau und der zwei gemeinsamen Kinder. Zwar wäre es dem Beschuldigten auch im Falle seiner Ausweisung aus der Schweiz durchaus möglich, die Ehe zu J. in Form einer Fernbeziehung mittels elektronischer Kommunikationsmittel und im Rahmen von Kurzaufenthalten Ferienbesuchen in seinem Heimatland aufrecht zu erhalten. Die Tochter des Beschuldigten ist angesichts ihres Alters jedoch auf persönliche Kontakte in kurzen Zeitabständen angewiesen, andernfalls die Vater-Kind- Beziehung beeinträchtigt und schlimmstenfalls zerbrechen würde. Die Anordnung einer Landesverweisung würde somit unweigerlich zu einer Entfremdung des Beschuldigten und seiner kleinen Tochter führen, welche trotz virtueller Kontakte, längerer Ferienaufenthalte in Sri Lanka einer späteren Wiederaufnahme des Familienlebens nach Ablauf der Landesverweisung voraussichtlich nicht wieder rückgängig gemacht werden könnte. Zu seinem noch ungeborenen Kind könnte der Beschuldigte aus der Ferne gar nicht erst eine tragfähige Beziehung aufbauen.
Ein Wegzug nach Sri Lanka wäre der kleinen Tochter und dem ungebore- nen Kind des Beschuldigten hingegen nicht zumutbar. Wie nachfolgend noch ge- nauer aufzuzeigen sein wird, befindet sich das Land derzeit in einer schweren Wirtschafts- und Finanzkrise (vgl. E. IV.3.3.7.). Gemäss Angaben des UNICEF ist deshalb fast jedes zweite Kind in Sri Lanka auf irgendeine Form der Nothilfe, einschliesslich Ernährung, Gesundheitsversorgung, sauberes Trinkwasser, Bildung und psychische Betreuung angewiesen (
Angesichts der aktuellen Krisensituation wäre es auch der schwangeren Ehefrau nicht zumutbar, ihre Beziehung zum Beschuldigten sowie ihr Familienleben mit den gemeinsamen Kindern in Sri Lanka zu pflegen. Zwar scheint die Familie von J. noch enger mit dem Heimatland verbunden als diejenige des Beschuldigten. Trotzdem wäre eine Übersiedlung nach Sri Lanka eine enorme Veränderung für sie, zumal sie in der Schweiz aufgewachsen und hier verwurzelt ist. Zudem hat sie sich hierzulande – insbesondere während der vollzugsbedingten Abwesenheit des Beschuldigten – wirtschaftlich integriert und hat die Aussicht, sich auf ihrem erlernten Beruf weiterzubilden. Schliesslich verfügt sie über
ein stabiles Beziehungsnetz in der Schweiz, welches sie massgeblich bei der Kin- derbetreuung unterstützt. Mit den Lebens- und Arbeitsverhältnissen in Sri Lanka
ist J.
hingegen nicht vertraut, ganz besonders nicht vor dem Hintergrund
der angespannten Wirtschaftslage und den damit verbundenen Engpässen bei der Versorgung mit Nahrungsmitteln, Wasser und Medikamenten. Dort in gesellschaftlicher und beruflicher Hinsicht Fuss zu fassen, dürfte für die Ehefrau des Beschuldigten mit grossen Schwierigkeiten verbunden sein, insbesondere weil sie in der näheren Zukunft noch stark durch die Betreuung von zwei kleinen Kindern beansprucht sein wird. In ihrem Schreiben an das Berufungsgericht vom 25. August 2022 wies sie denn auch darauf hin, dass sie sich einen Wegbzw. Nachzug nach Sri Lanka nicht vorstellen könne (vgl. Urk. 112).
Obwohl der Beschuldigte sowohl in beruflicher als auch in persönlicher Hinsicht kaum integriert ist, zeigt sich bei gesamtheitlicher Betrachtung aller relevanter Kriterien, dass die Anordnung einer Landesverweisung erheblich in seine Lebensgestaltung und die familiären Verhältnisse eingreifen würde, weshalb ein schwerer persönlicher Härtefall zu bejahen ist. Dem privaten Interesse des Beschuldigten an einem Verbleib in der Schweiz ist daher das öffentliche Interesse an einer Landesverweisung gegenüberzustellen.
Interessenabwägung
Wie vorstehend ausgeführt wurde, ist der Beschuldigte wegen gewerbsmässigen Diebstahls schuldig zu sprechen (vgl. E. III.3.). Hinsichtlich der Art und Schwere der Tatbegehung kann auf die zutreffenden Erwägungen der Vorinstanz zur Strafzumessung verwiesen werden (Urk. 70 S. 11 f.). Hervorzuheben ist an dieser Stelle, dass der Beschuldigte innert eines relativ kurzen Deliktszeitraums von zweieinhalb Monaten insgesamt 14'089 Zigarettenstangen im Wert von knapp Fr. 1.2 Mio. zum Nachteil seiner (ehemaligen) Arbeitgeberin entwendete. Auch wenn der Beschuldigte keine besonderen Vorkehrungen traf, damit seine deliktischen Machenschaften nicht entdeckt würden, offenbarte er durch sein Vorgehen und die Ausnutzung der geänderten Hierarchieverhältnisse an seinem Arbeitsplatz infolge der Covid-19-Pandemie eine besondere Abgebrühtheit. Hinzu kommt, dass der Beschuldigte direktvorsätzlich und nicht aus einer eigentlichen
finanziellen Notlage heraus handelte. Unter diesen Umständen wertete die Vorinstanz das Verschulden des Beschuldigten sowohl in objektiver als auch in subjektiver Hinsicht als erheblich, was nicht zu beanstanden ist. Zulasten des Beschuldigten fällt sodann ins Gewicht, dass er bei Aufnahme seiner deliktischen Tätigkeit im Februar 2020 bereits verheiratet und Vater einer drei Monate alten Tochter war. Die sich daraus ergebende Verantwortung für seine Familie vermochte ihn von seinem Vorhaben jedoch nicht abzuhalten, was für das sicherheitspolitische Interesse an seiner Ausweisung spricht.
Unmittelbar nach Einleitung des Untersuchungsverfahrens versuchte der Beschuldigte noch, seinen Vorgesetzten als Anstifter darzustellen und sich auf diese Weise aus dem Fokus der Strafverfolgungsbehörden zu ziehen. Anlässlich seiner dritten Einvernahme zeigte er sich jedoch vollumfänglich geständig und trug damit zur Beschleunigung und Vereinfachung des Verfahrens bei. Dies ist dem Beschuldigten zugute zu halten. Nach seiner Verhaftung am 30. April 2020 befand sich der Beschuldigte zunächst in Untersuchungshaft und trat anschliessend den vorzeitigen Strafvollzug an. Per 28. Oktober 2021 wurde er bedingt aus dem Vollzug entlassen und hat sich – soweit ersichtlich – seither wohlverhalten. Das Nachtatverhalten wirkt sich somit leicht zugunsten des Beschuldigten aus.
Dem steht jedoch entgegen, dass der Beschuldigte gemäss Strafregisterauszug vom 2. September 2021 zahlreiche Vorstrafen erwirkte (Urk. 71). Allein im Zeitraum zwischen Juli 2014 und September 2019, mithin während rund fünf Jahren wurde er insgesamt sieben Mal verurteilt. Mit diesem Urteil erfolgt ein weiterer Schuldspruch. Auch wenn die in der Vergangenheit verübten Taten nicht durchwegs schwer wiegen, lässt die wiederholte Delinquenz und die Vielzahl der verletzten Rechtsgüter auf eine erhebliche Unbelehrbarkeit, Renitenz und Gleichgültigkeit des Beschuldigten gegenüber der Rechtsordnung schliessen. Es ist aller- dings davon auszugehen, dass der teilweise Vollzug der ausgesprochenen Freiheitsstrafe deutlichen Eindruck auf den Beschuldigten gemacht und einen gewissen Lerneffekt herbeigeführt hat, nachdem er bislang einzig relativ geringfügige Strafen von bis zu 180 Tagessätzen Geldstrafe zu verbüssen hatte (vgl. Prot. I S. 11; Prot. II S. 24). Zudem wird ihm das vorliegende Strafverfahren klar vor Augen
geführt haben, dass ihm als Ausländer im Falle einer Verurteilung wegen einer Katalogtat im Sinne von Art. 66a Abs. 1 StGB eine mehrjährige Landesverweisung droht, von deren Anordnung nur ganz ausnahmeweise abzusehen ist. Die in der Vergangenheit verübten Straftaten hatten diesen beschränkten Automatismus der ordentlichen Landesverweisung noch nicht ausgelöst, weshalb nicht auszuschliessen ist, dass dem Beschuldigten bislang tatsächlich nicht bewusst war, dass ihm als Folge erneuter Delinquenz die Verweisung aus der Schweiz droht (vgl. Prot. I
S. 13; Prot. II S. 26).
Hinsichtlich der Bewährungsaussichten ist weiter hervorzuheben, dass sich die Lebenssituation des Beschuldigten seit seiner Entlassung aus dem vorzeitigen Strafvollzug am 28. Oktober 2021 positiv verändert hat. So schloss er beim Schweizerischen Institut für Unternehmerschulung erfolgreich eine Ausbildung zum Filialleiter ab. Weiter bemühte er sich intensiv darum, in beruflicher Hinsicht wieder Fuss zu fassen und eine neue Arbeitsstelle zu finden, indem er sich beim RAV anmeldete und zahlreiche Bewerbungen verschickte. Trotz seiner geringen Chancen auf eine Wiedereingliederung in den Schweizer Arbeitsmarkt gelang es ihm, in der Gastronomiebranche eine Festanstellung im 100%-Pensum zu finden. Seit dem 22. August 2022 ist der Beschuldigte als Küchenmitarbeiter im I. tätig. In persönlicher Hinsicht ist positiv zu werten, dass er nach wie vor in einer stabilen Beziehung mit J. lebt und stark in die Betreuung der gemeinsamen Tochter K. eingebunden ist. Die Geburt ihres zweiten Kindes erwarten der Beschuldigte und seine Ehefrau im Frühjahr 2023 (Urk. 112; Urk. 114/1; Prot. II
S. 19 ff.). Für eine künftige Bewährung des Beschuldigten spricht schliesslich, dass er sich dafür einsetzt, den entstandenen Schaden der Privatklägerin zu ersetzen. Zu diesem Zweck unterzeichnete der Beschuldigte an einem unbekannten Datum vor dem 31. August 2022 eine Abzahlungsvereinbarung mit der Privatklägerin und überwies ihr am 25. August 2022 eine Anzahlung von Fr. 35'000.– (Urk. 114/2-4; Urk. 117 S. 2; Prot. II S. 34). Dennoch ist nicht ausser Acht zu lassen, dass sich der Abschluss eines Arbeitsvertrags mit der I. AG, die Einigung mit der Privatklägerin über die Abzahlung des anerkannten Schadenersatzes und die Überweisung der ersten Tranche nur zwei Wochen vor der Berufungsverhandlung vom 2. September 2022 ereigneten. Dies erweckt den Eindruck, als seien die
Bemühungen des Beschuldigten lediglich kurzfristig und im Hinblick auf den bevorstehenden Verhandlungstermin unternommen worden, was Zweifel an deren Ernsthaftigkeit aufkommen lässt. Hinzu kommt, dass die Bewährungszeit des Beschuldigten seit seiner Haftentlassung am 28. Oktober 2021 nicht einmal ein Jahr dauerte. Sein Wohlverhalten während der letzten 10 Monate stellt keine besondere Leistung dar. Insofern ist fraglich, ob bereits von einer positiven Legalprognose ausgegangen werden kann.
Vor dem Hintergrund, dass das vom Gesetzgeber angestrebte Ziel der Landesverweisung primär in der Verhinderung weiterer Delinquenz durch auslän- dische Straftäter in der Schweiz besteht, ist aufgrund des getrübten strafrechtlichen Leumunds und der zweifelhaften Bewährungsaussichten des Beschuldigten von einem erheblichen öffentlichen Interesse an der Anordnung einer Landesverweisung auszugehen, auch wenn sich während der relativ kurzen Bewährungszeit seit seiner Entlassung aus dem vorzeitigen Strafvollzug eine positive Entwicklung in seinen Lebensverhältnissen abzeichnete. Dieses öffentliche Interesse ist nachfolgend gegen das persönliche Interesse des Beschuldigten an einem Verbleib in der Schweiz abzuwägen.
Zur Solidität der sozialen und familiären Bindungen des Beschuldigten in der Schweiz sowie in seinem Heimatland kann auf die vorstehenden Erwägungen unter IV.3.2.2. f. verwiesen werden. Hervorzuheben ist, dass sich der Lebensmittelpunkt des Beschuldigten seit seiner Ankunft im Jahr 2008 in der Schweiz befin- det. Hier lebt er mit seiner Kernfamilie zusammen und pflegt intensiven Kontakt zu seinen Eltern, den beiden Brüdern und seinem Freundesbzw. Kollegenkreis. Entsprechend sind die persönlichen Beziehungen, welche den Beschuldigten mit der Schweiz verbinden, stark zu gewichten. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass er nur wenige Monate nach seiner Heirat mit J. und der Geburt ihrer gemeinsamen Tochter verhaftet wurde und anschliessend 18 Monate in Untersuchungshaft bzw. im vorzeitigen Strafvollzug verbrachte. Als Folge des Freiheitsentzugs verpasste der Beschuldigte mehr als die Hälfte des Lebens seiner inzwischen bald dreijährigen Tochter und war auch hinsichtlich der Pflege seiner Beziehung zur Ehefrau sicherlich in gewissem Mass eingeschränkt. Zudem entsteht
der Eindruck, als habe der Beschuldigte kein besonderes Bedürfnis Interesse daran gehabt, sich in der Schweiz ein soziales Umfeld ausserhalb der srilankischen Diasporagemeinschaft aufzubauen.
Mit seinen Verwandten in Sri Lanka tauscht er sich bloss sporadisch via Skype aus und hatte seit seiner Ankunft in der Schweiz keinen persönlichen Kontakt mehr zu diesen. Mangels enger sozialer Beziehungen in Sri Lanka erschei- nen die Wiedereingliederungs- und Resozialisierungschancen des Beschuldigten in seinem Heimatland schwierig. Insbesondere ist er aufgrund seines Wegzugs im Alter von 14 Jahren nur noch bedingt mit den dortigen Lebens- und Arbeitsverhältnissen vertraut. Der Beschuldigte sagte aus, dass er seit dem Jahr 2008 nie wieder für einen Kurzaufenthalt längere Ferien in Sri Lanka gewesen sei, womit seine Kenntnisse bzw. Erinnerungen an seine Heimat inzwischen nicht mehr den aktuellen Verhältnissen entsprechen dürften. Zudem befindet sich der Beschuldigte mittlerweile in einer komplett anderen Lebenslage – er ist Familienvater und muss insbesondere finanziell für seine junge Familie sorgen – als damals, als er einen Teil seiner Kindheit in Sri Lanka verbrachte. Der Beschuldigte müsste sich nunmehr in seinem Heimatland eine gänzlich neue wirtschaftliche Existenz aufbauen, was jedoch in Anbetracht seiner intakten Sprachkenntnisse und seines noch jungen Alters nicht von vornherein ausgeschlossen ist. Der Beschuldigte erklärte anlässlich der Hauptverhandlung selbst, dass er wohl auch in Sri Lanka als Verkäufer arbeiten könnte (Prot. I S. 14). Dasselbe dürfte für seine aktuelle Tätigkeit als Küchenmitarbeiter gelten. Trotz der zu erwartenden Schwierigkeiten des Beschuldigten bei der sozialen und beruflichen Integration im Heimatland lassen diese die Anordnung einer Landesverweisung nicht unverhältnismässig erscheinen.
Gemäss Einschätzungen des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA) und der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH) befin- det sich Sri Lanka jedoch aktuell in einer schweren Wirtschafts- und Finanzkrise. Grundlegende Produktionsgüter seien nicht verfügbar, weshalb die Nahrungsmittelproduktion in der letzten Erntesaison eingebrochen sei. Auch die Erträge der laufenden Agrarsaison seien mangels Geld und Produktionsmitteln gefährdet.
Dies habe zu einer Erhöhung der Preise für wichtige Konsumgüter geführt. Zusammen mit der enormen Abwertung der sri-lankischen Währung (um 80% seit März 2022) seien Grundnahrungsmittel, Kochgas und Benzin für viele Familien unerschwinglich geworden. Das UNO-Welternährungsprogramm gehe davon aus, dass inzwischen rund 38% der Bevölkerung Sri Lankas von einer mässigen bis schweren Ernährungsunsicherheit betroffen seien. Die Wirtschaftskrise habe sich zudem dramatisch auf den Zugang zu den Gesundheitsdiensten ausgewirkt. Insbesondere die Medikamentenknappheit und der Mangel an Laborartikeln, medizi- nischen Instrumenten und Geräten sei besorgniserregend. Nach Ausführungen des EDA und der Schweizerischen Flüchtlingshilfe hätten sich die Proteste in Reaktion auf die wirtschaftliche Krise zu einem landesweiten Aufstand gegen die aktuelle Regierung ausgeweitet (
Am 12. Juli 2022 verliess der bisherige Präsident fluchtartig das Land, woraufhin der Ausnahmezustand über Sri Lanka verhängt wurde. Drei Tage später erklärte er seinen Rücktritt. Am 20. Juli 2022 wurde der bisherige Regierungschef als neuer Präsident gewählt. Das EDA beschreibt die politische Lage als unübersichtlich. Die Spannungen hätten sich verschärft und es müsse mit einer Verschlechterung gerechnet werden (
Der Beschuldigte hat den zu vollziehenden Teil der ausgefällten Freiheitsstrafe bereits verbüsst und wurde per 28. Oktober 2021 bedingt aus dem Strafvollzug entlassen. Die Landesverweisung wäre somit im Falle ihrer Anordnung mit Rechtskraft dieses Urteils zu vollziehen (Art. 66c Abs. 1-3 StGB). Aus diesem Grund ist nachfolgend zu prüfen, ob die vorstehenden aktuellen Entwicklungen in Sri Lanka der Zumutbarkeit einer Rückkehr dorthin entgegenstehen.
Dass der Beschuldigte in seiner Heimat weniger vorteilhafte politische und wirtschaftliche Verhältnisse antreffen und deshalb Schwierigkeiten haben wird, sich in den dortigen Arbeitsmarkt einzugliedern, ist als Folge seines kriminellen Verhaltens grundsätzlich hinzunehmen (BGer 2C_642/2016 vom 20. Juli 2017, E. 4.3; BGer 2C_327/2015 vom 22. April 2016, E. 5.5; BGer 2C_1029/2011 vom 10. April 2012, E. 3.3.2 mit Hinweisen). Vorliegend müsste der Beschuldigte jedoch in ein Land zurückkehren, welches sich in einer schweren Wirtschafts- und Finanzkrise befindet, welche zu einer Gefährdung der Ernährungssicherheit und einer Einschränkung der medizinischen Versorgung der Bevölkerung geführt hat. Sowohl das EDA als auch die Schweizerische Flüchtlingshilfe rechnen vorerst mit einer weiteren Verschlechterung der wirtschaftlichen und politischen Lage. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass Sri Lanka humanitäre Hilfe durch internationale Organisationen erhält. Zudem ist während der massgeblichen Dauer einer Landesverweisung, welche von Gesetzes wegen mindestens fünf Jahre beträgt (Art. 66a Abs. 1 StGB), auch eine Erholung der sri-lankischen Wirtschaft und infolgedessen eine Verbesserung der allgemeinen Versorgungslage möglich. Der Beschuldigte ist gesund und wäre deshalb bei gleichbleibendem gesundheitlichem Zustand oh-
nehin nicht davon betroffen, dass die medizinische Versorgung in Sri Lanka derzeit eingeschränkt ist.
Der bewaffnete Konflikt zwischen der sri-lankischen Regierung und den
E.
(E. ) ist im Mai 2009 zu Ende gegangen. Aktuell herrscht in Sri
Lanka weder Krieg noch eine Situation allgemeiner Gewalt; dies gilt auch unter Berücksichtigung der vorstehend dargestellten aktuellen Ereignisse. Mit Urteil vom 3. Juni 2022 hat das Bundesverwaltungsgericht seine bisherige Rechtsprechung und die gegenwärtige Praxis des SEM bestätigt, wonach der Wegweisungsvollzug in die Ost- und Nordprovinz von Sri Lanka grundsätzlich zumutbar sei (Urteil des BVGer E-1571/2022 vom 3. Juni 2022, E. 8.3 mit Hinweis auf Urteil des BVGer D-2205/2018 vom 25. Januar 2019, E. 11.2.1).
Zum Geburtsort des Beschuldigten in Sri Lanka ergeben sich aus den Akten unterschiedliche Angaben. Im Polizeirapport vom 1. Mai 2020 und einem Strafregisterauszug vom selben Tag wird ausgewiesen, der Beschuldigte sei in L. zur Welt gekommen (Urk. 1/2; Urk. 33/2; vgl. auch Urk. 71). Das Personenmeldeamt der Stadt Zürich korrigierte diese Information jedoch am 29. Mai 2020 dahingehend, dass der Beschuldigte in M. geboren sei (Urk. 33/4), was dieser anlässlich der Berufungsverhandlung bestätigte (Prot. II S. 16). Ein Strafregisterauszug vom 22. Oktober 2020 gibt als Geburtsort des Beschuldigten schliesslich N. an (Urk. 33/1). Diese unterschiedlichen Angaben sind für die Beurteilung der Zumutbarkeit einer Landesverweisung nicht von grosser Bedeutung, da alle diese Ortschaften in der nördlichen Provinz liegen. Auch wenn Angaben dazu fehlen, dass die in Sri Lanka verbliebenen Verwandten des Beschuldigten (eine Grossmutter, eine Tante, ein Onkel und Cousins) dort leben, ist dem Beschuldigten eine Rückkehr in die Nordprovinz grundsätzlich zumutbar.
Fazit
Die vorstehenden Ausführungen zur Interessenabwägung machen deutlich, dass es sich vorliegend um einen Grenzfall handelt. Das private Interesse des Beschuldigten an einem weiteren Verbleib in der Schweiz und das öffentliche Interesse an seiner Ausweisung bzw. längerfristigen Fernhaltung halten sich im
Grunde die Waage. Die lange Anwesenheitsdauer und die stabilen familiären Beziehungen des Beschuldigten in der Schweiz, seine Bemühungen zur Begleichung des verursachten Schadens und die sich abzeichnende positive Entwicklung in seinen Lebensverhältnissen seit der Haftentlassung erlauben es vor dem Hintergrund der aktuellen Wirtschafts- und Finanzkrise in Sri Lanka gerade noch, von der Anordnung einer Landesverweisung abzusehen. Der Beschuldigte ist allerdings darauf hinzuweisen, dass dieser knappe und wohlwollende Entscheid in Ausübung des richterlichen Ermessens sowie im Sinne einer letzten Chance ergeht. Sollte er erneut delinquieren, wird er bei seiner Verurteilung aller Voraussicht nach mit der Anordnung einer Landesverweisung zu rechnen haben, wobei je nach Deliktsart nicht nur eine obligatorische, sondern auch eine fakultative
Landesverweisung im Sinne von Art. 66abis StGB in Betracht kommt.
Da von der Anordnung einer Landesverweisung abzusehen ist, muss nicht weiter geprüft werden, ob Vollzugshindernisse im Sinne von Art. 66d Abs. 1 StGB bestehen.
Urteil der Vorinstanz / Anträge der Verfahrensbeteiligten
Mit dem angefochtenen Urteil verfügte die Vorinstanz gestützt auf Art. 70 Abs. 1 StGB die Einziehung der beschlagnahmten Barschaft von Fr. 55'000.–. Sie erwog, dass dieser Bargeldbetrag dem Beschuldigten anlässlich der Übergabe einer Lieferung von gestohlenen Zigarettenstangen vom Abnehmer C. bezahlt worden sei. Bei seiner Verhaftung unmittelbar nach der Übergabe habe das Bargeld beim Beschuldigten sichergestellt werden können, weshalb es zu diesem Zeitpunkt bereits in dessen Eigentum gewesen sei. Die Fr. 55'000.– seien somit Vermögenswerte, die der Beschuldigte durch eine Straftat – den Diebstahl von Zigarettenstangen und den anschliessenden Verkauf derselben – erlangt habe. Die beschlagnahmte Barschaft stelle somit Deliktserlös im Sinne von Art. 70 Abs. 1 StGB dar.
Die amtliche Verteidigung teilt die Ansicht, wonach es sich bei der beschlagnahmten Barschaft um Deliktserlös handelt, welcher einzuziehen ist. Sie beantragt jedoch, die Fr. 55'000.– seien zur Deckung der Verfahrenskosten und des Schadenersatzes zu verwenden (Urk. 75 S. 3; Urk. 113 S. 1; vgl. auch Urk. 51 S. 11). Auch die Privatklägerin stellt den Antrag, die beschlagnahmte Barschaft sei als Deliktserlös einzuziehen. Sie verlangt allerdings, dass ihr dieser Vermögenswert gestützt auf Art. 73 Abs. 1 lit. b StGB zur Deckung des entstandenen Schadens zuzusprechen sei (Urk. 108; Urk. 117 S. 1). Der Zweitberufungskläger beantragt schliesslich, der beschlagnahmte Bargeldbetrag sei ihm herauszugeben (Urk. 101; Urk. 115 S. 2 Ziff. 3; vgl. zum Berufungsantrag gemäss Urk. 115 S. 2 Ziff. 2 bereits die Erwägungen unter II.2.).
Ausgangslage
Anlässlich des polizeilichen Zugriffs am 30. April 2020 konnte in der linken Jackentasche des Beschuldigten Bargeld im Wert von Fr. 55'000.– sichergestellt werden (Urk. 32/1; vgl. auch Urk. 29/10), während im Lieferwagen von C. (Peugeot Expert, ZH …) insgesamt 900 Zigarettenstangen verschiedener Marken vorgefunden wurden (Urk. 29/1).
Der Beschuldigte sagte wiederholt aus, dass ihm das sichergestellte Bargeld unmittelbar vor seiner Verhaftung von C. als Kaufpreis für eine Bestellung von Zigarettenstangen übergeben worden sei (Urk. 3/6 F/A 41 ff.; Urk. 3/8 F/A 24 ff.; vgl. auch Urk. 3/2 F/A 38). Diese Aussage deckt sich mit den Angaben von C. (vgl. Urk. 4/9 F/A 47 ff.).
Mit Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 11. Mai 2020 wurde der sichergestellte Bargeldbetrag von Fr. 55'000.– beschlagnahmt (Urk. 8/4). Die im Liefer-
wagen von C.
aufgefundenen 900 Zigarettenstangen waren hingegen be-
reits am 30. April 2020 an die Privatklägerin herausgegeben worden (Urk. 29/5).
Rechtliche Grundlagen und Würdigung
Das Gericht verfügt die Einziehung von Vermögenswerten, die durch eine Straftat erlangt worden sind dazu bestimmt waren, eine Straftat zu veranlas-
sen zu belohnen, sofern sie nicht dem Verletzten zur Wiederherstellung des rechtmässigen Zustands ausgehändigt werden (Art 70 Abs. 1 StGB). Die Einziehung ist ausgeschlossen, wenn ein Dritter die Vermögenswerte in Unkenntnis der Einziehungsgründe erworben hat und soweit er für sie eine gleichwertige Gegenleistung erbracht hat die Einziehung ihm gegenüber sonst eine unverhält- nismässige Härte darstellen würde (Art. 70 Abs. 2 StGB).
Objekt der Einziehung sind Vermögenswerte, d.h. alle wirtschaftlichen Vorteile, gleichgültig ob sie in einer Vermehrung der Aktiven einer Verminderung der Passiven bestehen. Immer muss es sich aber um einen geldwerten Vorteil handeln. Ebenfalls der Einziehung unterliegen die echten und unechten Surrogate, sofern sie beim Täter einem Drittbegünstigten noch vorhanden sind und sofern die von den Originalzu den Ersatzwerten führenden Transaktionen identifiziert und dokumentiert werden können (H EIMGARTNER, in: Donatsch [Hrsg.], Orell Füssli Kommentar StGB, 21. Auflage, Zürich 2022, N 10 zu Art. 70 StGB; TRECH- SEL/JEAN-RICHARD-DIT-BRESSEL, in: Trechsel/Pieth [Hrsg.], Praxiskommentar StGB, 4. Auflage, Zürich 2021, N 2 zu Art. 70 StGB; BGer 6B_334/2019 vom 28.
Januar 2020, E. 4.3.2).
Die Einziehung gestützt auf Art. 70 Abs. 1 StGB setzt voraus, dass zwischen dem erlangten Vermögenswert und der Straftat ein Kausalzusammenhang besteht, und zwar insofern, als die Erlangung des Vermögenswerts als direkte und unmittelbare Folge der Straftat erscheint. Erforderlich ist, dass die Straftat die wesentliche bzw. adäquate Ursache für die Erlangung des Vermögenswerts ist und dass der Vermögenswert typischerweise aus der Straftat herrührt (BGE 144 IV 285, E.
2.2 mit weiteren Hinweisen).
Der Vorinstanz ist nicht zu folgen, wenn sie die beschlagnahmte Barschaft,
d.h. den von C.
geleisteten Kaufpreis für die gestohlenen Zigarettenstan-
gen, als Deliktserlös qualifiziert. Als unmittelbare und direkte Folge des am 30. April 2020 begangenen Diebstahls erscheint vielmehr die Erlangung der 900 Ziga-
rettenstangen, welche im Lieferwagen von C.
sichergestellt werden konn-
ten. Folglich können allein diese Gegenstand einer Vermögenseinziehung sein, sofern der Privatklägerin nicht ein Anspruch auf Rückerstattung zur Wiederherstellung des rechtmässigen Zustands zukommt. Der Bargeldbetrag von Fr. 55'000.– bildet hingegen ein Surrogat, welches beim Beschuldigten an die Stelle des Originalwerts, d.h. der entwendeten Zigarettenstangen getreten ist.
Die Rückerstattung eines deliktisch erlangten Vermögenswerts an den Geschädigten geht der Einziehung vor (vgl. BGE 129 IV 322, E. 2.2.4 mit weiteren Hinweisen; H EIMGARTNER, a.a.O., N 8 zu Art. 70 StGB). Soweit die Rückerstattung möglich ist, muss folglich nicht der Umweg über eine Einziehung beschritten wer- den. Die Zuweisung an den Geschädigten kann nicht erst durch das Sachgericht, sondern unter Vorbehalt eines kantonalen Rechtsmittels an eine richterliche Behörde bereits durch die Untersuchungsbehörde erfolgen. Voraussetzung hierfür ist, dass die Rechtslage hinreichend liquid ist und keine besseren Ansprüche Dritter geltend gemacht werden. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, so ist die Zuweisung – ohne Rücksicht auf andere Gläubiger und Geschädigte – tatsächlich vorzunehmen (BGE 128 I 129, E. 3.1.2 mit weiteren Hinweisen).
Eine Rückerstattung ist jedoch ausgeschlossen, wenn ein gutgläubiger Dritterwerber Eigentum an den deliktisch erlangten Vermögenswerten erlangt hat. Im Konflikt zwischen dem Rückerstattungsanspruch des Geschädigten und den Rechten des nach Art. 70 Abs. 2 StGB geschützten Dritterwerbers gelangen die einschlägigen Bestimmungen des Sachenrechts zur Anwendung (Art. 933 ff., 938
f. ZGB; BGer 6B_403/2008 vom 24. November 2008, E. 2.3; HEIMGARTNER,
a.a.O., N 8 zu Art. 70 StGB).
Wer in gutem Glauben eine bewegliche Sache zu Eigentum übertragen erhält, wird, auch wenn der Veräusserer zur Eigentumsübertragung nicht befugt ist, deren Eigentümer, sobald er nach den Besitzesregeln im Besitz der Sache geschützt ist (Art. 714 Abs. 2 ZGB). Nach Art. 933 ZGB wird der gutgläubige Erwerber dann in seinem Erwerb geschützt, wenn die bewegliche Sache dem Ver- äusserer ohne jede Ermächtigung zur Übertragung anvertraut worden war. Der Besitzer, dem eine bewegliche Sache gestohlen wird verloren geht sonst wider seinen Willen abhanden kommt, kann sie während fünf Jahren jedem Empfänger abfordern (Art. 934 Abs. 1 ZGB). Wer den Besitz einer beweglichen
Sache nicht in gutem Glauben erworben hat, kann vom früheren Besitzer jederzeit auf Herausgabe belangt werden (Art. 936 Abs. 1 ZGB).
Gemäss ihren übereinstimmenden Aussagen hatten der Beschuldigte und der Zweitberufungskläger einen gültigen Kaufvertrag über 900 Zigarettenstangen zu einem Preis von Fr. 55'000.– abgeschlossen. Am 30. April 2020 erfolgte die Übergabe der Zigarettenstangen an C. , welcher im Gegenzug den Kaufpreis in bar an den Beschuldigten leistete. Zunächst stellt sich die Frage, ob der Zweitberufungskläger die bestellten Zigarettenstangen in gutem Glauben vom Beschuldigten zu Eigentum übertragen erhielt. In ihrer Einstellungsverfügung vom
26. März 2021 betreffend das eingeleitete Strafverfahren gegen C. wegen Hehlerei führt die Staatsanwaltschaft aus, dass nicht rechtsgenügend habe erstellt werden können, dass der Zweitberufungskläger um die deliktische Herkunft der Zigarettenstangen gewusst beim Kauf derselben zumindest mit der Möglichkeit gerechnet habe, dass diese vom Beschuldigten deliktisch erlangt worden seien. Der Beschuldigte habe C. diesbezüglich nicht belastet. Ebensowenig lägen Umstände vor, die beim Zweitberufungskläger die Überzeugung hätten hervorrufen müssen, dass die Zigarettenstangen vom Beschuldigten gestohlen wor- den waren (Urk. 77/3). Gestützt auf die Erkenntnisse der Staatsanwaltschaft kann
darauf geschlossen werden, dass C. Glauben zu Eigentum erwerben wollte.
die 900 Zigarettenstangen in gutem
Weiter steht fest, dass der Zweitberufungskläger Besitz an den gekauften Zigarettenstangen erlangte, zumal diese in seinem Lieferwagen sichergestellt werden
konnten (Urk. 29/1). Allerdings wurde C.
im Zeitpunkt der Besitzübertragung nicht Eigentümer der 900 Stangen, da der Beschuldigte diese zuvor gestohlen hatte. Die rechtliche Würdigung der Vorinstanz blieb unangefochten, soweit sie das Verhalten des Beschuldigten grundsätzlich als Diebstahl im Sinne von Art. 139 Ziff. 1 StGB qualifizierte. Entsprechend hätte die Privatklägerin die erworbenen Zigarettenstangen gestützt auf Art. 934 Abs. 1 ZGB noch während fünf
Jahren von C.
herausverlangen können. Einer Rückerstattung der delik-
tisch erlangten Vermögenswerte an die Privatklägerin standen somit keine geschützten dinglichen Rechte des Zweitberufungsklägers entgegen. Insofern ist
nicht zu beanstanden, dass die sichergestellten Zigarettenstangen am 30. April 2020 an die Privatklägerin herausgegeben wurden. Ihr gegenüber wurde somit der rechtmässige Zustand im Sinne von Art. 70 Abs. 1 StGB wiederhergestellt. Als Folge ist eine Einziehung des geleisteten Kaufpreises von Fr. 55'000.– ausgeschlossen, da dieser – wie bereits erwähnt – lediglich ein Surrogat des deliktisch erlangten Originalwerts, d.h. der 900 Zigarettenstangen darstellt.
Da der beschlagnahmte Geldbetrag keinen einziehbaren Vermögenswert darstellt, fällt dessen Zusprechung an die Privatklägerin gestützt auf Art. 73 Abs. 1 lit. b StPO ausser Betracht.
Der Beschuldigte beantragt, die beschlagnahmte Barschaft sei zur Deckung der Verfahrenskosten und des zugesprochenen Schadenersatzes zu verwenden. Gemäss Art. 263 Abs. 1 lit. b und Art. 268 Abs. 1 StPO kann vom Vermögen der beschuldigten Person so viel beschlagnahmt werden, als voraussichtlich nötig ist zur Deckung der auferlegten Verfahrenskosten, von Entschädigungen, verhängten Geldstrafen und Bussen. Eine Verwendung der beschlagnahmten Fr. 55'000.– im Sinne von Art. 268 Abs. 1 StPO setzt zunächst voraus, dass dieser Geldbetrag zum Vermögen des Beschuldigten gehört. Hiervon ist vorliegend auszugehen, da das Bargeld gemäss Verhaftsrapport vom 30. April 2020 in der linken Jackentasche des Beschuldigten sichergestellt werden konnte (Urk. 32/1; vgl. auch Urk. 29/10).
Zu berücksichtigen ist jedoch, dass die empfangenen Fr. 55'000.– mit ei- nem Rückerstattungsanspruch von C. belastet sind. Dieser Anspruch ergibt sich aus der Rechtsgewährleistung des Verkäufers beim Fahrniskauf gemäss Art. 192 ff. OR bzw. aus ungerechtfertigter Bereicherung im Sinne von Art. 62 ff. OR. Der Beschuldigte konnte C. kein Eigentum an den übergebenen Zigarettenstangen verschaffen, wozu er sich jedoch gemäss ihrem Kaufvertrag verpflichtet hatte (vgl. Art. 184 Abs. 1 OR). Unmittelbar nach der Übertragung des Besitzes und der gleichzeitigen Leistung des vereinbarten Kaufpreises wurden die Zigarettenstangen durch die Polizei sichergestellt und der Privatklägerin herausgegeben. Dadurch wurde dem Zweitberufungskläger der erworbene Kaufgegenstand vollständig entzogen, was einer Entwehrung gleichkommt und gemäss Art.
195 Abs. 1 OR die Aufhebung des Kaufvertrags zur Folge hat. C. könnte deshalb gestützt auf die vorgenannten Rechtsgrundlagen die Rückerstattung des geleisteten Kaufpreises von Fr. 55'000.– verlangen.
Es wäre stossend, wenn ein solcher Vermögenswert, an welchem der Beschuldigte nicht bzw. nicht endgültig berechtigt ist, für die Deckung der Verfahrenskosten und des zugesprochenen Schadenersatzes verwendet würde. Hinzu kommt, dass eine solche Verwendung dem grundlegenden sozialethischen Ge- danken zuwiderlaufen würde, wonach sich strafbares Verhalten nicht lohnen darf (vgl. BGE 144 IV 285, E. 2.2; BGE 141 IV 155, E. 4.1; je mit weiteren Hinweisen). So kam es dem Beschuldigten bereits zugute, dass die 900 Zigarettenstangen, welche er am 30. April 2020 entwendet und anschliessend C. verkauft hatte, der Privatklägerin wieder herausgegeben wurden. Bei der Berechnung ihrer Schadenersatzforderung brachte die Privatklägerin nämlich den Wert der wiedererlangten Zigarettenstangen (darunter auch diejenigen aus dem Lieferwagen des Zweitberufungsklägers) vom Gesamtwert der 14 durch den Beschuldigten veranlassten Lieferungen in Abzug (vgl. Urk. 19/2; Urk. 19/8 S. 8; Urk. 49 S. 3). Würde nun der Kaufpreis, den C. dem Beschuldigten für die gestohlenen und inzwischen restituierten Zigarettenstangen bezahlt hatte, an die Verfahrenskosten sowie die Schadenersatzforderung der Privatklägerin angerechnet, würde der Beschuldigte auf Kosten eines Dritten finanziell profitieren. Dies widerspricht auch der Intention von Art. 268 Abs. 1 StPO, welche Bestimmung die beschuldigte Person und nicht einen unbeteiligten Dritten als Adressaten der Beschlagnahme zur Kostendeckung betrifft (vgl. BOMMER/GOLDSCHMID, in: Niggli/Heer/Wiprächtiger [Hrsg.], Basler Kommentar StPO, 2. Auflage, Basel 2014, N 12 zu Art. 268 StPO).
Aus diesem Grund ist die Zentrale Inkassostelle der Gerichte anzuweisen, nach Eintritt der Rechtskraft dieses Urteils den mit Verfügung der Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat vom 11. Mai 2020 beschlagnahmten Geldbetrag von Fr. 55'000.– auf erstes Verlangen an den Zweitberufungskläger zu überweisen. Eine physische Herausgabe des Geldbetrags ist hingegen nicht möglich, da die Fr. 55'000.– nicht in der ursprünglichen Form von Bargeld aufbewahrt werden.
Mit Verfügung vom 11. Mai 2020 ordnete die Staatsanwaltschaft die Durchsuchung von drei Mobiltelefonen an, welche allesamt beim Beschuldigten sichergestellt werden konnten und anschliessend beschlagnahmt wurden (Urk. 8/9).
Die Digitale Forensik der Kantonspolizei Zürich nahm in der Folge die verlangten Datenauslesungen und Datensicherungen vor. Auf entsprechende Anord- nung des Berufungsgerichts wurde der gesicherte Datenbestand einstweilen auf einen externen Datenträger kopiert und bei der Asservate-Triage der Kantonspolizei Zürich eingelagert. Die vormals verfahrensleitende Staatsanwältin erklärte auf Anfrage, dass die gesicherten Daten ihrer Einschätzung nach gelöscht werden könnten, da die relevanten Erkenntnisse aus der Durchsuchung der Mobiltelefone bereits zu den Akten genommen worden seien (Urk. 80).
Es ist nicht ersichtlich, inwiefern der gesicherte Datenbestand für das vorliegende Verfahren noch von Relevanz sein könnte, zumal der Beschuldigte den Anklagesachverhalt vollumfänglich anerkannt hat und dieser auch nicht mehr Gegenstand des Rechtsmittelverfahrens bildet. Aus diesem Grund ist die Kantonspolizei Zürich anzuweisen, den gesicherten Datenbestand auf dem externen Datenträger nach Eintritt der Rechtskraft dieses Urteils zu vernichten.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens tragen die Parteien nach Massgabe ihres Obsiegens Unterliegens (Art. 428 Abs. 1 StPO). Ob bzw. inwieweit eine Partei im Sinne dieser Bestimmung obsiegt unterliegt, hängt davon ab, in welchem Ausmass ihre vor der zweiten Instanz gestellten Anträge gutgeheissen werden (BGer 6B_1025/2014 vom 9. Februar 2015, E. 2.4.1 mit Hinweisen; bestätigt in BGer 6B_10/2015 vom 24. März 2015, E. 4.2.1). Erwirkt eine Partei, die ein Rechtsmittel ergriffen hat, einen für sie günstigeren Entscheid, so können ihr die Verfahrenskosten auferlegt werden, wenn die Voraussetzungen für das Obsiegen erst im Rechtsmittelverfahren geschaffen wurden der angefochtene Entscheid nur unwesentlich abgeändert wird (Art. 428 Abs. 2 StPO).
Wie vorstehend aufgezeigt wurde, ist der Beschuldigte in Bestätigung des vor-instanzlichen Urteils des gewerbsmässigen Diebstahls schuldig zu sprechen. Weiter unterliegt er mit seinem Antrag auf Einziehung und Verwendung des beschlagnahmten Bargeldbetrags von Fr. 55'000.– zur Deckung der Verfahrenskosten und des Schadenersatzes. Hingegen obsiegt der Beschuldigte mit seinem Berufungsantrag, wonach von der Anordnung einer Landesverweisung abzusehen sei.
Die Privatklägerin dringt im Berufungsverfahren nicht durch mit ihrem Antrag auf Verwendung der beschlagnahmten Barschaft zur Deckung ihrer Schadenersatzforderung. Dagegen obsiegt der Zweitberufungskläger bezüglich der beantragten Herausgabe der beschlagnahmten Fr. 55'000.– vollumfänglich. Ihm sind daher keine Verfahrenskosten aufzuerlegen.
Obwohl die Privatklägerin mit ihrem vorstehenden Antrag komplett unterliegt, erscheint es nicht angemessen, ihr einen Teil der Kosten des Berufungsverfahrens aufzuerlegen, da sich die beantragte Änderung des vorinstanzlichen Urteils lediglich auf eine Nebenfolge des bestätigten Schuldspruchs wegen gewerbsmässigen Diebstahls bezieht.
Der Beschuldigte unterliegt zwar nur teilweise mit seinen Berufungsanträgen und obsiegt insbesondere im Kernpunkt. Wie gezeigt, ist der Entscheid über das Absehen von der Anordnung einer Landesverweisung jedoch äusserst knapp und ergeht in wohlwollender Ausübung des richterlichen Ermessens im Sinne einer letzten Chance für den Beschuldigten. Hinzu kommt, dass sich wesentliche Umstände, die diesen Entscheid erlauben, erst nach seiner Entlassung aus dem vorzeitigen Strafvollzug und damit während des Berufungsverfahrens ergaben. Vor diesem Hintergrund rechtfertigt es sich, dem Beschuldigten die Kosten des Berufungsverfahrens, mit Ausnahme derjenigen seiner amtlichen Verteidigung, vollständig aufzuerlegen. Die Kosten der amtlichen Verteidigung sind einstweilen auf die Gerichtskasse zu nehmen, wobei die Rückzahlungspflicht des Beschuldigten gemäss Art. 135 Abs. 4 StPO vorbehalten bleibt.
Der amtliche Verteidiger, Rechtsanwalt lic. iur. X. , ist für seine Leistungen und Barauslagen im Berufungsverfahren entsprechend seiner Honorarnote vom 1. September 2022 mit Fr. 5'500.– (inkl. Mehrwertsteuer) zu entschädigen (Urk. 112A; Urk. 121).
Mit Einreichung seiner Honorarnote vom 1. September 2022 stellt Rechtsanwalt lic. iur. Z. sinngemäss den Antrag, dem Zweitberufungskläger sei ei- ne Entschädigung für die entstandenen Anwaltskosten von Fr. 11'170.65 zuzu-
sprechen (Urk. 116/5). Nachdem C.
von der Vorinstanz nicht als weiterer
Verfahrensbeteiligter im Sinne von Art. 105 Abs. 1 lit. f StPO berücksichtigt wurde und keine Möglichkeit erhielt, Anträge hinsichtlich der Verwendung des beschlag- nahmten Geldbetrags zu stellen, ist ihm für das erstinstanzliche Gerichtsverfahren keine Prozessentschädigung zuzusprechen. Vielmehr ist einzig über die Höhe seiner Entschädigung für das Berufungsverfahren zu befinden.
Der verlangte Betrag von Fr. 11'170.65 erscheint der Schwierigkeit und Bedeutung des vorliegenden Falls, dem Streitbzw. Interessewert des infrage stehenden Anspruchs sowie dem notwendigen Zeitaufwand für dessen Geltendmachung im Berufungsverfahren nicht angemessen (vgl. § 2 Abs. 1 AnwGebV, § 18 Abs. 1 in Verbindung mit § 17 Abs. 1 AnwGebV, § 13 Abs. 1 AnwGebV). Bei der Beurteilung des Anspruchs von C. auf Herausgabe des beschlagnahmten Geldbetrags von Fr. 55'000.– stellen sich – wie gezeigt – nicht bloss strafprozessuale, sondern auch zivilrechtliche Fragen (vgl. E. V.3.). Daher erscheint ein Beizug des ordentlichen Gebührentarifs für vermögensrechtliche Streitigkeiten gemäss § 4 Abs. 1 AnwGebV geboten. Ausgehend von einem Streitwert von Fr. 55'000.– wür- de die Grundgebühr für die Führung eines Zivilprozesses Fr. 7'450.– betragen. Nachdem im Rahmen dieses (Straf-)Verfahrens kein gleichermassen grosser
Aufwand zu betreiben war für die Abklärung der Berechtigung von C. am
beschlagnahmten Geldbetrag und die Geltendmachung seines Antrags auf Herausgabe, erscheint eine Entschädigung im vollen Umfang der Grundgebühr für die Führung eines Zivilprozesses nicht gerechtfertigt, sondern vielmehr eine Reduktion auf pauschal Fr. 6'000.– angezeigt. Dem Zweitberufungskläger ist daher für
das Berufungsverfahren eine Prozessentschädigung von Fr. 6'000.– (inkl. Mehrwertsteuer) zuzusprechen.
Der Zweitberufungskläger beantragt, der Beschuldigte sei zur Bezahlung der Prozessentschädigung zu verpflichten. Eventualiter sei die Entschädigung aus der Staatskasse zu entrichten (Urk. 115 S. 2; vgl. auch Prot. II S. 33). Im erstinstanzlichen Gerichtsverfahren hatte bereits die Staatsanwaltschaft mit ihrer Anklageschrift bzw. anlässlich der Hauptverhandlung die Herausgabe des beschlagnahmten Geldbetrags an C. verlangt (Urk. 37 S. 5; Urk. 48 S. 7). Die Vorinstanz verfügte jedoch gestützt auf Art. 70 Abs. 1 StGB die Einziehung der beschlag- nahmten Fr. 55'000.–. Aufgrund dieses Entscheids sah sich der Zweitberufungskläger veranlasst, gegen das vorinstanzliche Urteil Berufung anzumelden und die Herausgabe des Geldbetrags nunmehr selber vor der Berufungsinstanz geltend zu machen, welche ihm Parteistellung als anderer Verfahrensbeteiligter im Sinne von Art. 105 Abs. 1 lit. f StPO zuerkannte (vgl. Urk. 95). Wie vorstehend aufgezeigt wurde, erweist sich der vorinstanzliche Entscheid betreffend Einziehung der beschlagnahmten Fr. 55'000.– als falsch und ist der Geldbetrag mit Rechtskraft dieses Urteils an C. zu überweisen. Wäre die Vorinstanz dem Antrag der Staatsanwaltschaft gefolgt, hätte keine Veranlassung für eine selbständige Berufung des Zweitberufungsklägers bestanden. Die Ursache für die im Berufungsverfahren entstandenen Anwaltskosten liegt somit im unrichtigen Entscheid der Vorinstanz. Vor diesem Hintergrund erscheint es nicht gerechtfertigt, den Beschul- digten zur Bezahlung der Prozessentschädigung an den Zweitberufungskläger zu verpflichten, sondern ist diese aus der Staatskasse zu entrichten. Daran ändert nichts, dass der Beschuldigte mit seiner Berufung ebenfalls die Aufhebung der Dispositiv-Ziffer 9 des vorinstanzlichen Urteils verlangte (Urk. 75 S. 3; Urk. 113 S.
1 f.).
Es wird beschlossen:
Es wird festgestellt, dass das Urteil des Bezirksgerichtes Zürich, 4. Abteilung, vom 27. Mai 2021 bezüglich der Dispositivziffern 2 und 3 (Strafe und
Vollzug), 6 und 7 (Entscheide über beschlagnahmte Gegenstände), 8 (Verwendung des Erlöses aus einer vorzeitigen Verwertung), 10 (Zivilforderung) und 11 bis 15 (Kosten- und Entschädigungsfolgen) in Rechtskraft erwachsen ist.
Mündliche Eröffnung und schriftliche Mitteilung mit nachfolgendem Urteil.
Es wird erkannt:
Der Beschuldigte A.
ist schuldig des gewerbsmässigen Diebstahls im
Sinne von Art. 139 Ziff. 1 und Ziff. 2 StGB.
Von der Anordnung einer Landesverweisung wird abgesehen.
Die Zentrale Inkassostelle der Gerichte wird angewiesen, nach Eintritt der Rechtskraft dieses Urteils den mit Verfügung der Staatsanwaltschaft Zürich- Limmat vom 11. Mai 2020 beschlagnahmten Geldbetrag von Fr. 55'000.– auf erstes Verlangen an den Zweitberufungskläger (C. , geb. tt. August 1977, …-strasse …, … Zürich) zu überweisen.
Die Kantonspolizei Zürich, Digitale Forensik, wird angewiesen, nach Eintritt der Rechtskraft dieses Urteils den auf einem externen Datenträger und unter der Referenz … gesicherten Datenbestand zu vernichten.
Die zweitinstanzliche Gerichtsgebühr wird festgesetzt auf: Fr. 3'000.– ; die weiteren Kosten betragen:
Fr. 70.– EDV-Datensicherung Fr. 5'500.– amtliche Verteidigung
Die Kosten des Berufungsverfahrens, mit Ausnahme derjenigen der amtlichen Verteidigung, werden dem Beschuldigten auferlegt. Die Kosten der amtlichen Verteidigung werden auf die Gerichtskasse genommen. Die Rückzahlungspflicht des Beschuldigten gemäss Art. 135 Abs. 4 StPO bleibt vorbehalten.
Dem Zweitberufungskläger wird für das Berufungsverfahren eine Prozessentschädigung von Fr. 6'000.– aus der Gerichtskasse zugesprochen.
Mündliche Eröffnung und schriftliche Mitteilung im Dispositiv an
die amtliche Verteidigung im Doppel für sich und zuhanden des Beschuldigten (übergeben)
die Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat
den Vertreter der Privatklägerin im Doppel für sich und zuhanden der Privatklägerin B. AG (übergeben)
den Vertreter des Zweitberufungsklägers im Doppel für sich und zuhanden des Zweitberufungsklägers C. (übergeben)
sowie in vollständiger Ausfertigung an
die amtliche Verteidigung im Doppel für sich und zuhanden des Beschuldigten
die Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat
den Vertreter der Privatklägerin im Doppel für sich und zuhanden der Privatklägerin B. AG
den Vertreter des Zweitberufungsklägers im Doppel für sich und zuhanden des Zweitberufungsklägers C.
und nach unbenütztem Ablauf der Rechtsmittelfrist bzw. Erledigung allfälliger Rechtsmittel an
die Vorinstanz
das Migrationsamt des Kantons Zürich
die Zentrale Inkassostelle der Gerichte, gemäss Dispositivziffer 3
den Vertreter des Zweitberufungsklägers C. , unter Hinweis auf die Herausgabefrist gemäss Dispositivziffer 3
die Kantonspolizei Zürich, Digitale Forensik, gemäss Dispositivziffer 4
die Koordinationsstelle VOSTRA/DNA mit dem Formular Löschung des DNA-Profils und Vernichtung des ED-Materials zwecks Bestimmung der Vernichtungs- und Löschungsdaten
die Koordinationsstelle VOSTRA/DNA mit Formular A
Gegen diesen Entscheid kann bundesrechtliche Beschwerde in Strafsachen erhoben werden.
Die Beschwerde ist innert 30 Tagen, von der Zustellung der vollständigen, begründeten Ausfertigung an gerechnet, bei der Strafrechtlichen Abteilung des Bundesgerichtes (1000 Lausanne 14) in der in Art. 42 des Bundesgerichtsgesetzes vorgeschriebenen Weise schriftlich einzureichen.
Die Beschwerdelegitimation und die weiteren Beschwerdevoraussetzungen richten sich nach den massgeblichen Bestimmungen des Bundesgerichtsgesetzes.
Obergericht des Kantons Zürich
II. Strafkammer Zürich, 2. September 2022
Der Präsident:
Oberrichter lic. iur. Spiess
Die Gerichtsschreiberin:
MLaw Boese
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