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Urteil Obergericht des Kantons Zürich (ZH)

Kopfdaten
Kanton:ZH
Fallnummer:SB210363
Instanz:Obergericht des Kantons Zürich
Abteilung:II. Strafkammer
Obergericht des Kantons Zürich Entscheid SB210363 vom 07.06.2022 (ZH)
Datum:07.06.2022
Rechtskraft:-
Leitsatz/Stichwort:Versuchte vorsätzliche Tötung etc.
Schlagwörter : Schuld; Schuldig; Läge; Beschuldigte; Privat; Privatkläger; Messer; Beschuldigten; Habe; Prot; Schlagen; Frage; Verletzung; Privatklägers; Geschlagen; Ersucht; Küche; Gewesen; Verletzungen; Versucht; Habe; Linke; Recht; Recht; Vorinstanz; Urteil; Protokoll; Gewesen; Zeugin; Faust
Rechtsnorm: Art. 10 StPO ; Art. 106 StGB ; Art. 111 StGB ; Art. 113 StGB ; Art. 12 StGB ; Art. 13 BV ; Art. 135 StPO ; Art. 16 StGB ; Art. 19 StGB ; Art. 22 StGB ; Art. 307 StGB ; Art. 391 StPO ; Art. 399 StPO ; Art. 40 StGB ; Art. 402 StPO ; Art. 428 StPO ; Art. 433 StPO ; Art. 437 StPO ; Art. 47 OR ; Art. 47 StGB ; Art. 5 BV ; Art. 51 StGB ; Art. 66a StGB ; Art. 8 EMRK ; Art. 82 StPO ;
Referenz BGE:118 IV 233; 119 IV 202; 121 IV 202; 121 IV 49; 125 IV 242; 128 IV 18; 130 IV 58; 131 IV 1; 133 IV 16; 133 IV 1; 133 IV 9; 144 II 1; 144 IV 168; 144 IV 332; 145 IV 364; 146 IV 105;
Kommentar zugewiesen:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
Weitere Kommentare:
Entscheid

Obergericht des Kantons Zürich

II. Strafkammer

Geschäfts-Nr.: SB210363-O/U/hb

Mitwirkend: Oberrichter lic. iur. Spiess, Präsident, Oberrichterin lic. iur. Ohnjec und Ersatzoberrichter lic. iur. Kessler sowie Gerichtsschreiberin MLaw Baechler

Urteil vom 7. Juni 2022

in Sachen

  1. ,

    Beschuldigter und Berufungskläger

    verteidigt durch Rechtsanwalt Dr. iur. X1. ,

    gegen

    Staatsanwaltschaft I des Kantons Zürich,

    Anklägerin und Berufungsbeklagte

    sowie

  2. ,

Privatkläger

vertreten durch Rechtsanwältin lic. iur. Y. , betreffend versuchte vorsätzliche Tötung etc.

Berufung gegen ein Urteil des Bezirksgerichtes Bülach, I. Abteilung, vom 15. Dezember 2020 (DG200020)

Anklage:

Die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft I des Kantons Zürich vom 17. März 2020 (Urk. 21) ist diesem Urteil beigeheftet.

Urteil der Vorinstanz:

  1. Der Beschuldigte ist schuldig

  2. Der Beschuldigte wird bestraft mit 5 ½ Jahren Freiheitsstrafe (wovon 409 Tage durch Haft erstanden sind) sowie einer Busse von Fr. 600.–.

  3. Bezahlt der Beschuldigte die Busse schuldhaft nicht, so tritt an deren Stelle eine Ersatzfreiheitsstrafe von 6 Tagen.

  4. Die Freiheitsstrafe wird vollzogen. Die Busse ist zu bezahlen.

  5. Der Beschuldigte wird in Anwendung von Art. 66a Abs. 1 lit. a StGB für 6 Jahre des Landes verwiesen.

  6. Es wird die Ausschreibung der Landesverweisung im Schengener Informati- onssystem angeordnet.

  7. Die mit Verfügung der Staatsanwaltschaft I des Kantons Zürich vom

    10. Februar 2020 beschlagnahmten Gegenstände

    1. 1 Herrenhose Soft Denim (A013'179'389)

    2. 1 Trägerleibchen Livergy (A013'179'390)

    3. 1 Paar Sportschuhe Nike Air Max (A013'179'403)

    4. 1 Pullover schwarz LC Waikiki (A013'179'414)

      werden dem Privatkläger nach Eintritt der Rechtskraft des Urteiles heraus- gegeben. Werden diese Gegenstände nicht innerhalb von 60 Tagen heraus-

      verlangt, so wird der endgültige Verzicht angenommen und der Lagerbehör- de zur Vernichtung überlassen.

  8. Die mit Verfügung der Staatsanwaltschaft I des Kantons Zürich vom

    10. Februar 2020 beschlagnahmten Gegenstände

    1. 1 Jeanshose Denim & Co (A013'179'663)

    2. 1 Lederjacke schwarz only & sons (A013'179'696)

    3. 1 T-Shirt schwarz glorious Gangsta (A013'179'710)

    4. 1 Paar Schuhe Nike Force (A013'179'721)

    5. 1 Mobiltelefon iPhone X (A013'181'674)

    6. 1 Herrenarmbanduhr Diesel (A013'279'497)

    7. 1 Halskette & 1 Armkette (A013'279'497)

    8. 2 Ohrstecker & 1 Piercing (A013'279'500)

      werden dem Beschuldigten nach Eintritt der Rechtskraft des Urteiles her- ausgegeben. Werden diese Gegenstände nicht innerhalb von 60 Tagen her- ausverlangt, so wird der endgültige Verzicht angenommen und der Lagerbe- hörde zur Vernichtung überlassen.

  9. Die mit Verfügung der Staatsanwaltschaft I des Kantons Zürich vom

  10. Februar 2020 beschlagnahmten Gegenstände

  1. 1 Winterjacke schwarz Only (A013'179'947)

  2. 1 Jeanshose blau Tally Weijl (A013'179'958)

  1. 1 Badelatsche rechts Puma (A013'222'827)

  2. 1 Badelatsche links Puma (A013'222'861)

werden der C. nach Eintritt der Rechtskraft des Urteiles herausgege- ben. Werden diese Gegenstände nicht innerhalb von 60 Tagen herausver- langt, so wird der endgültige Verzicht angenommen und der Lagerbehörde zur Vernichtung überlassen.

  1. Die mit Verfügung der Staatsanwaltschaft I des Kantons Zürich vom

    1. Februar 2020 beschlagnahmte Tatwaffe

      o) Fleischmesser mit schwarzem Griff (A013'215'082)

      wird eingezogen und ist nach Eintritt der Rechtskraft dieses Urteils durch die Kantonspolizei Zürich zu vernichten.

    2. Der Beschuldigte wird verpflichtet, dem Privatkläger Schadenersatz von

      Fr. 3'448.40 zuzüglich Zins von 5 % seit 3. November 2019 zu bezahlen, un- ter Vorbehalt der Nachklage.

    3. Der Beschuldigte wird verpflichtet, dem Privatkläger eine Genugtuung von Fr. 20'000.– zuzüglich Zins von 5 % seit 3. November 2019 zu bezahlen.

    4. Die Entscheidgebühr wird festgesetzt auf:

      Fr. 8'000.–; die weiteren Auslagen betragen: Fr. 3'000.– Gebühr für die Strafuntersuchung Fr. 7'948.75 Gutachten

      Fr. 1'853.– Auslagen Vorverfahren Fr. 70.– Entschädigung Zeuge

      Fr. 28'674.80 amtl. Verteidigungskosten Allfällige weitere Auslagen bleiben vorbehalten.

    5. Die Kosten der Untersuchung und des gerichtlichen Verfahrens werden dem Beschuldigten auferlegt; davon ausgenommen sind die Kosten der amtlichen Verteidigung, welche einstweilen und unter dem Vorbehalt von Art. 135 Abs. 4 StPO von der Gerichtskasse übernommen werden.

    6. Der Beschuldigte wird verpflichtet, dem Privatkläger für das gesamte Verfah- ren eine Prozessentschädigung von Fr. 21'663.75 zu bezahlen.

Berufungsanträge:

  1. Der erbetenen Verteidigung: (Urk. 125 S. 2)

    1. Es sei A. vom Vorwurf der versuchten vorsätzlichen Tötung frei- zusprechen;

    2. Es sei A. wegen mehrfacher Übertretung des Betäubungsmittel- gesetzes schuldig zu sprechen und zu einer Busse von CHF 600.– zu verurteilen;

    3. Die A. gehörenden beschlagnahmten Gegenstände seien die- sem herauszugeben;

    4. Die Zivilforderungen des Privatklägers (Schadenersatz und Genugtu- ung sowie die Parteientschädigung) seien vollumfänglich abzuweisen, eventualiter auf den Zivilweg zu verweisen;

    5. Es sei A. eine angemessene Genugtuung für die unberechtigte Haft auszurichten;

    6. Die gesamten Verfahrenskosten (inkl. Auslagen, Kosten des Vorverfah- rens, des erstinstanzlichen Hauptverfahrens, des Berufungsverfahrens) sowie die Kosten der amtlichen Verteidigung und der erbetenen Vertei- digung (jeweils zzgl. Mehrwertsteuer) seien auf die Staatskasse zu nehmen.

  2. Die Vertreterin der Staatsanwaltschaft I des Kantons Zürich: (Urk. 128 S. 1)

    Das Urteil des Bezirksgerichts Bülach vom 15. Dezember 2020 sei vollum- fänglich zu bestätigen.

  3. Die Rechtsvertretung des Privatklägers: (Prot. II S. 31 f.)

Bestätigung des vorinstanzlichen Urteils und die Kostenauflage an den Beschuldigten für die Kosten des Berufungsverfahrens sowie die Ausrichtung einer Entschädigung für die entstandenen Vertretungskosten von B.

Erwägungen:

  1. Verfahrensgang

    1. Gegen das eingangs im Dispositiv wiedergegebene Urteil des Bezirksge- richts Bülach, I. Abteilung, vom 15. Dezember 2020 liess der Beschuldigte mit Eingabe vom 17. Dezember 2020 (Datum des Poststempels) rechtzeitig Berufung anmelden (Urk. 69; Art. 399 Abs. 1 StPO). Nach Erhalt des begründeten Urteils am 1. Juli 2021 reichte die amtliche Verteidigung am 12. Juli 2021 (Datum des Poststempels) fristgerecht die Berufungserklärung im Sinne von Art. 399 Abs. 3 StPO ein (Urk. 77; Urk. 83).

    2. Mit Präsidialverfügung vom 19. Juli 2021 wurde die Berufungserklärung des Beschuldigten der Staatsanwaltschaft und dem Privatkläger zugestellt und Frist für Anschlussberufung oder einen Nichteintretensantrag angesetzt (Urk. 87). Mit Eingabe vom 22. Juli 2021 erklärte die Staatsanwaltschaft ihren Verzicht auf Anschlussberufung, beantragte die Bestätigung des vorinstanzlichen Urteils und stellte ein Gesuch um Dispensation von der Teilnahme an der Berufungsverhand- lung (Urk. 89). Der Privatkläger liess sich innert Frist nicht vernehmen.

    3. Mit Eingabe vom 17. August 2021 teilte Rechtsanwalt Dr. iur. X1. mit, dass er vom Beschuldigten als erbetener Verteidiger mandatiert worden sei und dieser darum ersuche, Rechtsanwalt Dr. iur. X2. aus seinem Amt als

      amtlicher Verteidiger zu entlassen (Urk. 91). Nachdem sich Rechtsanwalt Dr. iur. X2. einverstanden erklärt hatte (Urk. 93), wurde dieser mit Präsidialverfü- gung vom 18. August 2021 als amtlicher Verteidiger des Beschuldigten entlassen und mit Beschluss vom 2. September 2021 gemäss eingereichter Honorarnote entschädigt (Urk. 96; Urk. 97).

    4. Mit Eingabe vom 21. Oktober 2021 stellte der Beschuldigte ein Gesuch um Entlassung aus dem vorzeitigen Strafvollzug respektive der Sicherheitshaft unter Anordnung von Ersatzmassnahmen (Urk. 99). Nach eingeholter Stellung- nahme der Staatsanwaltschaft zum Haftentlassungsgesuch des Beschuldigten (vgl. Urk. 101; Urk. 103) wurde dieses mit Präsidialverfügung vom 28. Oktober 2021 abgewiesen (Urk. 104). Dagegen erhob der Beschuldigte Beschwerde in Strafsachen beim Bundesgericht (Urk. 106). Mit Urteil 1B_635/2021 vom 9. De- zember 2021 wurde die Beschwerde des Beschuldigten vom Bundesgericht ab- gewiesen, soweit darauf eingetreten werden konnte (Urk. 110).

    5. Mit Eingabe vom 9. Februar 2022 stellte der Beschuldigte ein Gesuch um Versetzung in den offenen Strafvollzug (Urk. 112). Nachdem mit Präsidialverfü- gung vom 10. Februar 2022 das Amt für Justizvollzug und Wiedereingliederung des Kantons Zürich (nachfolgend: JuWe) um Stellungnahme zum Gesuch des Beschuldigten um Versetzung in den offenen Strafvollzug ersucht wurde (Urk. 114), ging die Vernehmlassung des JuWe am 16. Februar 2022 bei der hiesigen Kammer ein (Urk. 116/1-4). Mit Eingabe vom 23. Februar 2022 nahm der Beschuldigte Stellung zur Vernehmlassung des JuWe und stellte diverse prozessua- le Anträge (Urk. 119). Mit Präsidialverfügung vom 28. Februar 2022 wurde auf die prozessualen Anträge des Beschuldigten nicht eingetreten und sein Antrag auf Versetzung in den offenen Strafvollzug abgewiesen (Urk. 120).

    6. Mit Eingabe vom 25. Mai 2022 liess der Beschuldigte den Beweisantrag stellen, es sei ein Auszug aus dem Polis-Register sowie aus der kantonalen Fiche SVE betreffend den Privatkläger einzuholen (Urk. 122). Zur Begründung führte die Verteidigung aus, verschiedene Zeugen hätten ausgesagt, dass der Privatkläger gewalttätig sei. Für die Einschätzung, ob der Privatkläger tatsächlich der deeska- lierende Typ sei, als den er sich selbst sehe, oder ob es nicht vielmehr so gewesen sei, dass der Privatkläger ohne Vorwarnung wie ein Toro auf den Beschuldig- ten losgegangen sei, könnten diese Auszüge von Bedeutung sein (Urk. 122). Mit Präsidialverfügung vom 31. Mai 2022 wurde dieser Beweisantrag des Beschuldig- ten einstweilen abgewiesen (Urk. 123). Anlässlich der Berufungsverhandlung hielt die Verteidigung am gestellten Beweisantrag fest (Prot. II S. 27). Wie zu zeigen sein wird, erübrigt sich das Einholen entsprechender Auszüge betreffend den Pri- vatkläger durch die Berufungsinstanz, weshalb diesem Beweisantrag keine Folge zu leisten ist (nachfolgend, Erw. III.7.3.3.2.).

    7. Am 7. Februar 2022 wurden die Parteien zur Berufungsverhandlung auf den 7. Juni 2022 vorgeladen (Urk. 111). Anlässlich der Berufungsverhandlung liess der Beschuldigte die eingangs aufgeführten Anträge stellen (Prot. II S. 12 f.; Urk. 125 S. 2).

  2. Prozessuales

    1. Die Berufung des Beschuldigten richtet sich gegen die vorinstanzlichen Urteilsdispositivziffern 1, 1. Spiegelstrich (Schuldspruch wegen versuchter, vor- sätzlicher Tötung), 2 (Strafmass), 4 (Vollzug), 5 und 6 (Anordnung Landesverwei- sung und SIS-Ausschreibung), 11 und 12 (Zivilforderungen Privatkläger) sowie 14 und 15 (Kosten- und Entschädigungsdispositiv). Er beantragt einen Freispruch vom Vorwurf der versuchten, vorsätzlichen Tötung sowie die Zusprechung einer Genugtuung für die unberechtigte Haft (Urk. 83; Urk. 125 S. 2). Die amtliche Ver- teidigung machte geltend, die Anfechtung betreffe in materieller Hinsicht alle Ent- scheidpunkte, welche bezüglich der versuchten, vorsätzlichen Tötung relevant seien. Die mehrfache Übertretung des Betäubungsmittelgesetzes werde vom Beschuldigten anerkannt (Urk. 83 S. 3). Obwohl der Beschuldigte das vorinstanzli-

      che Urteil hinsichtlich der ausgefällten Busse explizit nicht anfechten liess (Urk. 83

      S. 3; Urk. 125 S. 2), gelten infolge Konnexes auch das Strafmass und die Voll- zugsanordnung der Busse (Dispositivziffern 2-4) als mitangefochten. Dies ist von Amtes wegen nochmals zu überprüfen.

    2. Gemäss Art. 402 StPO in Verbindung mit Art. 437 StPO wird die Rechts- kraft des angefochtenen Urteils im Umfang der Anfechtung gehemmt. Nachdem

      die Urteilsdispositivziffern 1, 2. Spiegelstrich (Schuldspruch wegen mehrfacher Übertretung des Betäubungsmittelgesetzes) 7-10 (Entscheid über beschlagnahm- te Gegenstände und Tatwaffe) und 13 (Kostenaufstellung) unangefochten blie- ben, ist mittels Beschluss festzustellen, dass das vorinstanzliche Urteil in diesem Umfang in Rechtskraft erwachsen ist.

  3. Sachverhalt

    1. Vorbemerkung

      Infolge rechtskräftiger Erledigung des übrigen Anklagevorwurfs verbleibt einzig der nachfolgende Vorwurf (Anklageziffer 1.1) betreffend versuchte, vorsätzliche Tötung Gegenstand des Berufungsverfahrens.

    2. Anklagevorwurf versuchte, vorsätzliche Tötung

      Gemäss Anklagesachverhalt haben am Sonntag, 3. November 2019, im Verlauf der Nacht bzw. des frühen Morgens mehrere Personen C. in deren Woh- nung in D. , wo sich diese mit dem Beschuldigten aufgehalten habe, einen Besuch abgestattet, wobei auch der Geschädigte B. (nachfolgend: Privat- kläger) unter den Besuchern gewesen sei. Gegen den frühen Morgen, nachdem alle Besucher ausser dem Privatkläger die Wohnung verlassen hätten, forderte C. auch diesen auf, zu gehen. Der Privatkläger sei dieser Aufforderung zu- nächst nicht umgehend nachgekommen, während C. insistiert habe. Gegen ca. 07.30 Uhr sei der Privatkläger dann im Begriff gewesen, die Wohnung zu ver- lassen, als es zu einer zunächst verbalen Auseinandersetzung zwischen ihm und dem Beschuldigten gekommen sei, währenddessen auch Schimpfwörter und Be- leidigungen ausgeteilt worden seien. Schliesslich sei es zu einer gegenseitigen tätlichen Auseinandersetzung gekommen, indem der Beschuldigte und der Privat- kläger sich gegenseitig Faustschläge ins Gesicht versetzt hätten. Zu einem nicht genau bekannten Zeitpunkt im Verlauf der verbalen oder bereits tätlichen Ausei- nandersetzung habe der Beschuldigte aus einer Schublade in der Küche der Wohnung ein einschneidiges, spitzes Fleischermesser mit schwarzem Griff mit einer Klingenlänge von ca. 20 cm und einer Klingenbreite von ca. 4.5 cm behändigt. Im Flur der Wohnung habe der Beschuldigte in der Absicht, den Privatkläger mit dem Küchenmesser in den Bauch zu stechen, das Messer in der rechten Hand haltend von waagrecht hinten nach vorne auf Höhe des Bauches bewusst und gewollt drei bis vier Stichbewegungen Richtung Bauch (und damit Oberkör- per) des Privatklägers ausgeführt. Dieser habe versucht, sich mit seinem linken Arm vor den Stichen des Beschuldigten zu schützen, indem er den Arm vor sei- nen Oberkörper gehalten habe. Der Beschuldigte habe dann mit den Messersti- chen nicht wie beabsichtigt dessen Bauch, sondern zwei Mal den linken Arm ge- troffen. Dadurch habe er dem Privatkläger eine 4 x 3 cm grosse, ca. 15 cm tiefe Stichverletzung im mittleren Drittel am Oberarm links, in Richtung Achselhöhle, bis zum Oberarmknochen reichend, aus welchem mehrere Splitter herausge- schlagen worden seien und eine tiefe Kerbe im Knochen entstanden sei, mit kompletter Durchtrennung des Nervus radialis (Speichennerv) sowie Verletzun- gen von Blutgefässen und Muskulatur, und eine 2 x 1 cm grosse Stichverletzung mit Verletzungen von Muskeln und Sehnenstrukturen am Unterarm links zugefügt. Diese Verletzungen seien nicht lebensgefährlich gewesen, hätten aber eine Läh- mung und Funktionseinschränkung des linken Arms bzw. der Finger zur Folge gehabt, wobei zur Zeit unklar sei, ob mit bleibenden Folgen zu rechnen sei. Ange- sichts dieser Messerstiche gegen den Bauch/Oberkörper des Privatklägers, mit welchen er ihm schliesslich aufgrund dessen Abwehr zwei Stichverletzungen im linken Arm zugefügt habe, was er bei solchen Stichbewegungen im Rahmen ei- nes dynamischen Geschehens ebenfalls zumindest in Kauf genommen habe, ha- be der Beschuldigte um die möglicherweise tödlichen Folgen gewusst, und er ha- be diese Folgen gewollt bzw. diese – wie auch die tatsächlich erlittenen Verlet- zungen und deren Folgen – zumindest in Kauf genommen (Urk. 21 S. 2 f.).

    3. Standpunkt des Beschuldigten

      1. Unbestrittener Sachverhalt

        1. Der Beschuldigte anerkennt, dass es in der Nacht vom 2. auf den 3. No- vember 2019 in der Wohnung von C. zuerst zu einer verbalen und an- schliessend zu einer körperlichen Auseinandersetzung mit dem Privatkläger ge- kommen sei, anlässlich welcher sie sich gegenseitig Faustschläge verpasst hät- ten und er zur Verteidigung ein Messer gegen den Privatkläger eingesetzt habe, wobei er drei bis vier Mal auf diesen eingestochen habe (Urk. 2/1 S. 12, F/A 81; Prot. I S. 28). Weiter bestreitet er nicht, dannzumal dem Privatkläger mit dem in der Anklageschrift beschriebenen Messer die im medizinischen Gutachten fest- gehaltenen Verletzungen zugefügt zu haben (Urk. 2/1 S. 8 f. und S. 10; Urk. 2/8

          S. 2 f.; Urk. 2/9 S. 4 f. und S. 7 ff.; Prot. I S. 15 ff.; Prot. II S. 22 ff.).

        2. Der Beschuldigte anerkennt somit zusammengefasst, dass es zu einer Auseinandersetzung mit dem Privatkläger gekommen ist. Weiter anerkennt er, dessen Verletzungen und die Folgen dieser Verletzungen verursacht zu haben.

      2. Bestrittener Sachverhalt: Notwehrsituation

        1. Der Beschuldigte machte mehrfach geltend, er habe aufgrund der Faust- schläge des Privatklägers Angst gehabt, zu Boden zu fallen und zu sterben, wes- halb er in die Küche geflohen sei und dort aus einer Schublade ein Messer geholt habe. Der Privatkläger habe gesehen, dass er ein Messer gehabt habe, und habe trotzdem weiter auf ihn eingeschlagen, sodass ihm, dem Beschuldigten, nichts anderes übrig geblieben sei, als sich mit dem Messer zu verteidigen. Er habe sich in einer Notwehrsituation befunden. Ferner stellte er in Abrede, dass er dem Pri- vatkläger (tödliche) Verletzungen habe beibringen wollen, sondern er habe ge- dacht, der Privatkläger höre auf, ihn zu schlagen, wenn er ihn mit einem Messer sehe (Urk. 2/1 S. 2, S. 7 f. und S. 10 ff.; Urk. 2/7 S. 3; Urk. 2/9 S. 5; Prot. I S. 17 ff.). Bei dieser Darstellung blieb der Beschuldigte auch anlässlich der Berufungs- verhandlung (Prot. II S. 24 f.).

        2. Nachfolgend ist anhand der im Rahmen der Untersuchung und im Ge- richtsverfahren deponierten Aussagen sowie weiterer Beweismittel zu prüfen, ob sich der bestrittene Sachverhaltsteil gemäss Anklageschrift erstellen lässt und ob von einer Notwehrsituation gemäss der Darstellung des Beschuldigten auszuge- hen ist.

    4. Übersicht Beweismittel

Für die Erstellung des Sachverhalts liegen als Beweismittel die Aussagen des Beschuldigten (Urk. 2/1; Urk. 2/7-9; Prot. I S. 9 ff.; Prot. II S. 22 ff.), des Privatklä- gers (Urk. 3/1-2; Prot. I S. 37 ff.), der Zeugen C. (Urk. 4/1; Urk. 4/8; Prot. I S. 64 ff.), E. (Urk. 4/6; Urk. 4/9), F. (Urk. 4/12), G. (Urk. 4/14),

H. (Urk. 4/15), I. (Urk. 4/16), der Rapport der Kantonspolizei Zürich vom 6. November 2019 (Urk. 1/1), die Fotodokumentation vom Tatort und der Tatwaffe (Urk. 1/3; Urk. 2/4), eine CD mit Whats-App-Nachrichten (Urk. 4/11), der Spuren- sowie der Kurzbericht des Forensischen Instituts Zürich (nachfolgend: FOR) vom 21. November 2019 und 18. Februar 2020 (Urk. 6/1; Urk. 6/3), das Protokoll der ärztlichen Untersuchung des Beschuldigten vom 4. November 2019 (Urk. 7/1/1), das pharmakologisch-toxikologische Gutachten des Beschuldigten vom 18. November 2019 (Urk. 7/1/3), der ärztliche Bericht zur Blutalkoholanalyse des Beschuldigten vom 15. November 2019 (Urk. 7/1/4), das Protokoll der ärztli- chen Untersuchung des Privatklägers vom 4. November 2019 (Urk. 7/2/1), das pharmakologisch-toxikologische Gutachten des Privatklägers vom 19. November 2019 (Urk. 7/2/3), der ärztliche Bericht zur Blutalkoholanalyse des Privatklägers vom 13. November 2019 (Urk. 7/2/4), der Bericht des Kantonsspitals Winterthur (nachfolgend: KSW) über den Beschuldigten vom 27. November 2019 (Urk. 8/3), der ärztliche Befund des KSW über den Privatkläger vom 15. November 2019 (Urk. 9/3), das Gutachten zur körperlichen Untersuchung des Instituts für Rechtsmedizin, Universität Zürich (nachfolgend: IRM) über den Privatkläger vom

10. Februar 2020 (Urk. 9/4) und das Gutachten zur körperlichen Untersuchung des IRM über die Zeugin C. (Urk. 10) vor.

  1. Aussagen

    1. Aussagen des Privatklägers

      1. Polizeiliche Einvernahme vom 4. November 2019

        1. Anlässlich seiner polizeilichen Einvernahme führte der Privatkläger zum Kerngeschehen aus, er sei in der Wohnung von C. auf dem Balkon gewe- sen, und anschliessend hätten diese und der Beschuldigte versucht, ihm zu sa- gen, dass er gehen solle. Auf dem Weg nach draussen, als er eigentlich habe ge- hen wollen, sei es im Eingangsbereich der Wohnung zu einer Diskussion gekom- men. Dort sei die Situation eskaliert. Was dann genau passiert sei, wisse er nicht. Als er später nach draussen gelaufen sei, könne er sich nur noch an eine breite Klinge, ein Messer-Holster erinnern. Er habe gedacht, dass es ein Holster sein könnte, weil er sich ein so breites Messer nicht habe vorstellen können. Danach sei er schon draussen gewesen, und es habe Leute auf der Strasse gehabt. Als er dann das Blut auf dem Boden gesehen und bemerkt habe, dass es von ihm sei, sei er wütend geworden. Erst im Krankenwagen habe er die Verletzungen re- alisiert und dann auch massive Angst um sein Leben bekommen (Urk. 3/1 S. 4).

        2. Auf die Frage, was im Eingangsbereich der Wohnung genau geschehen sei, gab der Privatkläger zu Protokoll, es habe sich so angefühlt, als sei es bis zur Eskalation nur 3 Sekunden gegangen. Es habe eigentlich zwei Mal eskalieren müssen, da der Beschuldigte das Messer wohl erst beim zweiten Mal auf sich ge- habt habe. Er könne sich jedoch nur an eine Eskalation erinnern. Sollte dieser das Messer schon von Anfang an bei sich gehabt haben, wäre er wirklich ein sehr dreister Typ. Wieso hätte dieser ein Messer nehmen sollen, bevor etwas passiert sei (Urk. 3/1 S. 8)?

        3. Weitere Angaben zum Ablauf der körperlichen Auseinandersetzung konn- te der Privatkläger keine machen. So konnte er weder sagen, wo die körperliche Auseinandersetzung begonnen hatte noch wer den ersten Schlag ausgeführt hat- te (Urk. 3/1 S. 8, F/A 82 f.). Auch was der Auslöser für das Austeilen von Schlä- gen gewesen war, konnte er nicht benennen (Urk. 3/1 S. 8, F/A 84). Ebenso

          wusste er nicht, woher das Messer gekommen war oder wer dieses geholt hatte (Urk. 3/1 S. 8, F/A 88 f.). Der Privatkläger führte weiter aus, er könne sich noch erinnern, dass die Klinge des Messers nach oben geschaut habe. Er vermute, dass der Beschuldigte das Messer am Griff in der Hand gehalten habe mit der scharfen Kante gegen ihn gerichtet und mit der Spitze nach oben (Urk. 3/1 S. 9). Keine Erinnerung hatte der Privatkläger daran, was währenddessen gesprochen worden war, was der Beschuldigte mit dem Messer genau gemacht und wo er ihn getroffen hatte (Urk. 3/1 S. 9, F/A 93 ff.).

        4. Auf die Frage, wer aus seiner Sicht an dieser Auseinandersetzung schuld sei, sagte der Privatkläger aus, aus seiner Sicht ganz klar der Beschuldigte. Er habe ja gehen wollen. Er habe diesem auch genau gesagt, wieso er nicht habe gehen wollen. Er habe dem Beschuldigten gesagt, er behandle C. schlecht und dass sie eigentlich nicht wolle, dass er bei ihr sei. Wie genau er das dem Beschuldigten gesagt habe, wisse er nicht mehr. Er würde niemals einen Menschen derart angreifen (Urk. 3/1 S. 10, F/A 111).

      2. Einvernahme als Auskunftsperson bei der Staatsanwaltschaft am 26. No- vember 2019

        1. Anlässlich der staatsanwaltschaftlichen Einvernahme führte der Privatklä- ger aus, dass er auf dem Balkon von C. geraucht habe. Sie sei dann zu ihm gekommen und habe ihm gesagt, dass sie mit dem Beschuldigten alleine sein wolle. Sie habe ihm das auf eine Art gesagt, als würde sie sich schämen, ihm das zu sagen. Er habe ihr dann gesagt, dass sie das nicht machen müsse, nur weil er das so wolle. Dann habe sie darauf bestanden, dass er gehen solle. Er habe dann gesagt, dass er gehe. Sie habe ihm das mit einer zittrigen Stimme gesagt, als ob sie Angst gehabt habe. Als er dann durch die Wohnung habe laufen wollen, sei der Beschuldigte aufgestanden. Vielleicht sei dieser auch schon gestanden, daran könne er sich jetzt nicht erinnern. Er habe dann vor dem Beschuldigten nochmals zu C. gesagt, dass sie das nicht machen müsse, wenn sie das nicht wolle. Dann habe sich der Beschuldigte eingemischt. Dieser sei ziemlich nahe zu ihm gekommen. Dies sei im Wohnzimmer bei der Ausgangstür gewesen. Dann sei der Beschuldigte so schräg zu ihm gewesen. Dieser habe ihm die linke Schulter gezeigt. Irgendwann habe sich dieser gedreht, und er habe dann gesehen, dass dieser ein Messer in der Hand habe. Dann sei es eskaliert. Er habe sich in dem Moment entschieden zuzuschlagen mit den Fäusten. Er könne sich nicht erinnern, ob er zuerst geschlagen oder der Beschuldigte zuerst gestochen habe. Er wisse noch, dass er der Letzte gewesen sei, der geschlagen habe (Urk. 3/2 S. 9).

        2. Auf entsprechende Frage bestätigte der Privatkläger, dem Beschuldigten mehrere Faustschläge ins Gesicht gegeben zu haben (Urk. 3/2 S. 9, F/A 65). Da- ran, ob der Beschuldigte ihm ebenfalls Faustschläge verpasst hatte, vermochte sich der Privatkläger nicht mehr zu erinnern (Urk. 3/2 S. 9, F/A 66). Ebenso konn- te er nicht schildern, wie der Beschuldigte mit dem Messer gestochen hatte. Dazu führte der Privatkläger aus, das wisse er nicht mehr. Das Ganze sei eine Sekunde gegangen. Woran er sich erinnern könne, sei, dass er links wie gelähmt gewesen sei (Urk. 3/2 S. 9). Auch zur Frage, wo in der Wohnung er gestanden sei, gab der Privatkläger zu Protokoll, er könne nicht mehr nachvollziehen, ob es im Ein- gangsbereich, im Wohnzimmer oder bei der Tür gewesen sei. Er wisse einfach noch, es sei in der Nähe des Türrahmens in der Nähe zum Wohnzimmer gewe- sen (Urk. 3/2 S. 9, F/A 68). Auf die Frage, ob er wisse, wie oft der Beschuldigte ihn gestochen habe, sagte er aus, laut seinen Verletzungen habe der Beschuldig- te ihn zweimal getroffen. Wie oft er gegen ihn gestochen habe, könne er nicht sa- gen (Urk. 3/2 S. 10, F/A 69).

        3. Auf die Frage, ob der Beschuldigte noch irgendwo in der Wohnung gewe- sen oder in einen anderen Raum gegangen sei, bevor dieser ihn mit dem Messer gestochen habe, führte der Privatkläger aus, das habe er nicht gesehen (Urk. 3/2

          S. 11, F/A 81). Der Privatkläger sagte ferner aus, dass es nicht lange eine verbale Auseinandersetzung gegeben habe. Es seien nur einzelne Worte gewesen, ein paar Sekunden (Urk. 3/2 S. 11). Auf die Frage, ob es zuerst eine tätliche Ausei- nandersetzung gegeben habe, sagte er aus, sie hätten sich nur geschlagen, wo- bei der Privatkläger aber nicht mehr wusste, wer zuerst tätlich geworden war (Urk. 3/2 S. 11, F/A 83 f.). Der Privatkläger bestätigte, dass er Faustschläge aus- geteilt habe, und sagte aus, er könne sich nicht erinnern, dass der Beschuldigte ihn geschlagen habe (Urk. 3/2 S. 11, F/A 85 f.). Auf die weitere Frage, wie es dazu gekommen sei, dass der Beschuldigte ein Messer in der Hand gehabt habe, führte der Privatkläger aus, das habe dieser schon die ganze Zeit bei sich gehabt, und auf die nachfolgende Frage, woher er das wisse, gab er zu Protokoll, da er sich nicht erinnern könne, dass der Beschuldigte in einen anderen Raum gegan- gen sei, um ein Messer zu holen (Urk. 3/2 S. 11, F/A 87 f.).

        4. Auf die Frage, wie genau der Beschuldigte auf ihn eingestochen habe, führte der Privatkläger aus, das wisse er nicht mehr. Er wisse, dass der Beschul- digte von unten gestochen habe, da er ihn von oben geschlagen habe (Urk. 3/2

          S. 11, F/A 91). Weiter führte er aus, der Beschuldigte habe das Messer am Griff gehalten, die Klinge zwischen Zeigefinger und Daumen nach vorne. Der Privat- kläger wusste aber nicht mehr genau, wie die Stichbewegungen gewesen waren und wie oft der Beschuldigte auf ihn eingestochen respektive gegen welche Kör- perteile dieser gestochen hatte (Urk. 3/2 S. 12, F/A 94 ff.).

        5. Weiter führte der Privatkläger aus, dass er sich noch habe erinnern kön- nen, ein Holster oder eine breite Messerscheide gesehen zu haben (Urk. 3/2

          S. 12). Auf die Frage, woher der Beschuldigte das Messer gehabt habe, gab der Privatkläger zu Protokoll, das wisse er nicht. Es sei aber ein ganz normales Mes- ser gewesen. Eine Art Küchenmesser, es sei nicht klappbar gewesen. Es sei ein grosses Messer gewesen. Was ihn geprägt habe, sei die Breite. Es sei eine breite Klinge gewesen. Das sei ihm geblieben (Urk. 3/2 S. 12, F/A 99).

        6. Auf entsprechende Frage räumte der Privatkläger ein, es könne sein, dass er den Beschuldigten bedroht habe. Wenn er jemandem den Kopf gegen die Wand schlagen würde, dann würde dies schwerwiegendere Folgen haben. Dann würde er kein Messer mehr holen (Urk. 3/2 S. 14, F/A 114). Weiter verneinte er, den Kopf des Beschuldigten gegen die Wand geschlagen zu haben (Urk. 3/2

          S. 14, F/A 115). Ferner führte er aus, er habe den Beschuldigten nicht so verprü- gelt. Es sei ganz klar eine einzige Eskalation gewesen. So wie er das erlebt habe, sei es nicht einmal eine Sekunde gegangen. Es sei ganz schnell gegangen, und dann sei er rausgerannt. Der Beschuldigte habe die Verletzung am Kopf von sei- ner Faust. Woher die Verletzung an dessen Hand stamme, könne er nicht sagen (Urk. 3/2 S. 15).

        7. Auf die Ergänzungsfrage seiner Rechtsvertretung, wieso er dem Beschul- digten die Faust ins Gesicht geschlagen habe, gab der Privatkläger zu Protokoll, er habe das Messer gesehen. Er habe vor dem Messer flüchten wollen. Er habe sich nicht abdrehen und davonrennen wollen mit der Gefahr, dass dieser ihm in den Rücken steche. Er habe dann mit dem linken Arm seinen Oberkörper ge- deckt. Er habe seinen Arm hochgenommen und diesen vor seinen Oberkörper gehalten. Auf die weitere Frage, wieso er das so genau wisse, sagte er aus, als er das Messer gesehen und sich nur mit rechts gewehrt habe, sei er wie gelähmt gewesen. Er habe sich links wie gelähmt gefühlt. Als er das Messer gesehen ha- be, habe er gewusst, dass er sich mit links habe schützen und nur mit rechts weh- ren müssen. Der Beschuldigte habe das Messer in der rechten Hand gehabt. Die- ser sei vor ihm gestanden und habe somit das Messer gegen seine linke Seite ge- richtet gehabt. Als er sich entschieden habe, ihn zu schlagen, habe er versucht, sich mit dem linken Arm vor seinem Oberkörper zu schützen und ihn mit dem rechten Arm zu schlagen (Urk. 3/2 S. 16 f.). Auf die Frage, ob er sich tatsächlich erinnere, ein Holster gesehen zu haben, sagte der Privatkläger weiter aus, heute sei er sich natürlich sicher, dass es ein Messer gewesen sei. Das sei er sich ei- gentlich auch damals schon gewesen. Damals habe er einfach den Umriss von der Klinge gesehen. Da es kein Klappmesser gewesen sei, habe für ihn eben ein Holster oder eine Scheide dazugehört (Urk. 3/2 S. 17).

      3. Befragung vor Vorinstanz

        1. Vor Vorinstanz führte der Privatkläger erneut aus, dass er bei C. auf dem Balkon gewesen sei. Er habe ihr dann gesagt, dass sie das nicht tun müsse, wenn sie das nicht wolle. Gleichzeitig habe er sich aber auf den Weg ge- macht, zu gehen. Er habe dann seine Schuhe und seine Jacke angezogen und sich auf den Weg nach draussen gemacht. Der Beschuldigte sei ihm dann die ganze Zeit hinterhergekommen. Der Konflikt sei die ganze Zeit gewesen. Der Beschuldigte sei immer ganz nah gewesen und habe ihn auf eine ganz bedrohliche Art angeschaut. Er habe gar nicht mit dem Beschuldigten reden oder mit ihm kon- frontiert sein wollen, weil dieser nicht so gut Deutsch spreche. Dieser sei sehr nahe bei ihm gewesen. Er habe eigentlich nur mit C. gesprochen, und der Beschuldigte habe sich immer eingemischt (Prot. I S. 41 f.).

        2. Der Privatkläger machte erneut geltend, sich nicht daran zu erinnern, was gesprochen worden sei, und auf die Frage, ob er den Beschuldigten mit den Wor- ten Scheisse Nigger, verdammter Nigger oder Arschloch betitelt habe, führte er aus, das sei eigentlich nicht seine Redensart, aber er könne sich nicht erinnern (Prot. I S. 43). Auf Vorhalt, er habe in der Untersuchung ausgesagt, es könne sein, dass er den Beschuldigten bedroht habe, führte er aus, es könne sein. Wenn der Beschuldigte das so fest behaupte, dann sei es ja wohl so gewesen, aber er könne sich nicht daran erinnern, ihn bedroht zu haben (Prot. I S. 43). Wei- ter führte er aus, dass er bestätigen könne, den Beschuldigten geschlagen zu ha- ben, dass er Fäuste gespürt habe, aber nicht. Er habe auch keine Spuren oder Schmerzen gehabt (Prot. I S. 44). Auf die Frage, wie es dazu gekommen sei, dass er den Beschuldigten geschlagen habe, sagte er aus, das sei dieser Moment gewesen, als er dieses Messer gesehen habe (Prot. I S. 44).

        3. Auf die Frage, ob er gesehen habe, wann der Beschuldigte das Mes- ser auf sich genommen habe, führte der Privatkläger aus, dieser habe es wahr-

          scheinlich von Anfang an dabeigehabt, deswegen habe dieser ihm nur seine rech- te Schulter gezeigt, und auf die weitere Frage, ob er das Messer zufällig gesehen oder der Beschuldigte dieses bedrohlich vor sich gehalten habe, gab er zu Proto- koll, dieser habe es nicht bedrohlich vor sich, sondern unten gehalten, also nur so bedrohlich unten und ihm wie gezeigt (Prot. I S. 46). Auf weiteres Befragen führte er ferner aus, er könne sich schon erinnern, an die Rangelei, wie er dann die Tür geöffnet und sich noch am Geländer angeschlagen habe und nach unten gerannt sei. Im Grossen und Ganzen sei es wie ein Erlebnis von eins zwei Schnellsekun- den. Wahrscheinlich habe er im Unterbewusstsein versucht, sich zu schützen, in- dem er sich verteidigt habe durch den Angriff. Er habe sich auf jeden Fall eng gefühlt, C. sei dort gewesen und der Beschuldigte. Es sei nicht so gewesen wie in einem offenen Feld, wo er sich schnell hätte umdrehen und wegrennen können. Und was er jetzt wisse, deshalb sei er sich auch so sicher, dass er nur mit rechts geschlagen habe, dass er seine linke Hand instinktiv immer unten gehabt habe, deswegen habe er sich nur mit rechts gewehrt. Das könne man auch an seinen Ringen sehen, die ihm im Spital ausgezogen worden seien, dass er nur rechts eine beschädigte Hand gehabt habe, genauso wie der Beschuldigte nur auf seiner linken Seite verletzt sei (Prot. I S. 46).

        4. Auf die weitere Frage, ob er sich daran zu erinnern vermöge, ob er die Faustschläge ausgeteilt habe, bevor das Messer gegen ihn eingesetzt worden sei oder erst nachdem, gab der Privatkläger zu Protokoll, das könne er nicht sagen. Er wisse einfach, dass er die letzte Faust geschlagen habe und eigentlich so zu- rückgewichen sei und dann habe hinausrennen können (Prot. I S. 47). Auf die Frage, ob der Beschuldigte dann aufgehört habe, auf ihn einzustechen, sagte der Privatkläger aus, nein, er habe diesen mehrmals schlagen müssen, damit dieser aufhöre und er Abstand gewinnen könne. Daran könne er sich noch gut erinnern (Prot. I S. 49). Der Privatkläger verneinte auch, nicht ins Messer reingelaufen zu sein, da er ja habe gehen wollen und immer C. zwischen ihnen gewesen sei (Prot. I S. 49).

        5. Der Privatkläger beschrieb die Stichbewegungen des Beschuldigten, in- dem er ausführte, die Messerklinge sei bei der Daumenseite gewesen. Es falle ihm schwer, solche Bewegungen vorzuzeigen. Es falle ihm schwer, es perfekt zu zeigen, aber der Beschuldigte habe mit der Daumenseite diese Bewegung ge- macht (Prot. I S. 48). Weiter führte der Privatkläger aus, dass die Stichbewegun- gen gegen den Oberkörper gewesen seien und der Beschuldigte mehrmals zuge- stochen habe (Prot. I S. 48).

        6. Weiter führte der Privatkläger aus, dass er Todesangst gehabt habe ab diesem Moment, als der Krankenwagen da gewesen sei. Auf einmal habe er ge- dacht, dass er verbluten werde, und dieses verdammte Messer habe er immer als Blitz…Er könne sich sehr gut erinnern, weil die Krankenwagentür hinten solche Tore gehabt habe. Sogar dort habe er so wie ein Messerblitzen gesehen, und erst dort habe er auch diese Panik bekommen, richtige Todesangst. Der Arm habe sich angefühlt, als wäre er ab da gar nicht mehr dran. Er habe schon versucht, sich zu bewegen, und habe dann gemerkt, dass etwas nicht funktioniere, aber durch diese Angst habe er sich gar nicht mit dem Arm befassen wollen (Prot. I

          S. 51). Auf die Frage, ob er dem Gericht noch etwas sagen wolle, gab der Privat- kläger noch zu Protokoll: Ja. Sie haben mich nicht gefragt, was für eine Ge- sichtsausdruck ich hatte, warum ich vorher rausgehen wollte. Und das war dieser nachdem er mich - ich sage das Wort nicht gerne, weil ich jedes Mal mehr daran zerbreche - umbringen wollte, wie er mich dann draussen angegrinst hat und er mich angeschaut hat, dass ist der Grund, wieso ich jetzt keine Entschuldigung von ihm will, weil alles überflüssig wäre. (Prot. I S. 54).

    2. Aussagen des Beschuldigten

      1. Anlässlich der polizeilichen Einvernahme vom 4. November 2019

        1. Anlässlich der polizeilichen Einvernahme vom 4. November führte der Beschuldigte zur Frage, wie er sich zum gegen ihn erhobenen Vorwurf stelle, aus, er werde für etwas beschuldigt, das er nicht absichtlich gemacht habe. Er habe sie nur beschützen wollen, und deswegen sei er von ihm angegriffen worden. Der Privatkläger habe ihn geschlagen. Dieser habe ihn angegriffen, und dieser sei sehr gross. Er habe keine Chance gegen diesen gehabt. Er habe nur zwei Mög- lichkeiten gehabt: Entweder vom Balkon zu springen oder sich gegen diesen zu wehren. C. habe Blut gesehen und stopp gesagt. Aber der Privatkläger ha- be sich weiter aggressiv verhalten und auf ihn losgehen wollen. Zuerst habe der Privatkläger begonnen, ihn verbal anzugreifen. Dieser habe ihm gesagt Scheisse Neger. C. habe gewollt, dass der Privatkläger weggehe. Dieser habe zu ihm aber gesagt, dass er weggehen solle, damit sie nicht mit dem verdammten Scheisse Neger zurückbleibe. Er habe dem Privatkläger dann gesagt, dieser sol- le nicht so mit ihr sprechen, sie sei nicht dumm, und er habe kein Recht, so mit ihr zu sprechen. Der Privatkläger habe ihm dann gesagt, dass er kein Wort von ihm hören wolle. Daraufhin habe C. gesagt, dass sie es selber erledigen wolle. Der Privatkläger sei dann sofort auf ihn losgegangen und habe begonnen, ihn zu schlagen. Nicht nur einmal, sondern mehrmals. C. habe ihn davon abhalten wollen, aber dieser habe wie ein Torro ausgesehen, und er sei sehr stark gewe- sen. Dieser habe einfach nicht aufgehört. Als der Privatkläger auf ihn losgegan- gen sei und einfach nicht mehr aufgehört habe, habe er den Entschluss gefasst, dieses Messer zu nehmen. Dieser habe gesehen, dass er das Messer genommen

          habe, und sei trotzdem weiter auf ihn losgegangen. Deswegen habe er ihn mit dem Messer angegriffen. C. habe dann Stopp gesagt. Der Privatkläger sei dann nach unten gegangen und habe von unten gerufen, dass er ebenfalls nach unten kommen solle, damit sie den Streit unten weiter ausfechten könnten. Er ha- be keine Chance gegen den Privatkläger gehabt. Wenn sie diesen Streit weiter fortgesetzt hätten, hätte er den Privatkläger getötet (Urk. 2/1 S. 2).

        2. Weiter führte der Beschuldigte aus, der Privatkläger habe ihn mit Faust- schlägen gegen die linke Gesichtshälfte angegriffen. Er habe ihn mit der Faust auf die linke Gesichtshälfte und seinen Kopf gegen die Wand geschlagen. Als es ihm schliesslich gelungen sei, sich von ihm zu befreien, habe er nur zwei Möglichkei- ten gehabt, entweder vom Balkon zu springen oder etwas zu holen, um sich zu verteidigen. Weil dieser so viel stärker gewesen sei als er, hätte er keine Chance gegen ihn gehabt, auch nicht, wenn ihm C. geholfen hätte. Der Privatkläger habe gesehen, dass er ein Messer geholt habe, und er sei trotzdem auf ihn los- gegangen und habe ihn weiter geschlagen. Dieser habe auf ihn eingeschlagen, und er habe mit dem Messer auf ihn eingestochen. Als C. Blut gesehen ha- be, habe sie Stopp gesagt. Der Privatkläger habe aber weiter auf ihn einge- schlagen, und er habe das Gefühl gehabt, wenn er sich nicht verteidige, dann bringe der Privatkläger ihn um (Urk. 2/1 S. 8).

        3. Auf die Frage, wie er sich gegen seine Faustschläge gewehrt habe, gab der Beschuldigte zu Protokoll, es sei ihm schwindelig geworden, während einigen Sekunden habe er alles schwarz gesehen. Als er seinen Kopf mit voller Wucht gegen die Wand geschlagen habe, wäre er beinahe in Ohnmacht gefallen. Da habe er eine so grosse Angst gespürt, dass er losgelaufen sei und das Messer geholt habe. Er habe Angst gehabt, dass, wenn er am Boden liegen würde, er ihn totschlagen würde. Selbst als er das Messer in seiner Hand gehalten habe, sei dieser auf ihn losgegangen und habe ihm mit der Faust mit voller Wucht weiter ins Gesicht und gegen den Kopf geschlagen (Urk. 2/1 S. 8, F/A 50). Auf entspre- chende Fragen führte der Beschuldigte zudem aus, dass der Privatkläger mit bei- den Fäusten geschlagen habe. Er wisse nicht, ob dieser eine Kampfsportart be- treibe, aber seine Schläge seien sehr stark gewesen. Er habe keine Gelegenheit

          gehabt, sich zu wehren. Er sei auch nicht vorbereitet gewesen, mit ihm zu strei- ten. Seine Schläge hätten ihn überrascht. Er habe auch versucht, den Privatklä- ger zu schlagen. Aber er habe keine Chance gegen ihn gehabt. Dieser sei so stark gewesen, dass, wenn dieser ihm den Hals zugedrückt hätte, so hätte er ihn getötet (Urk. 2/1 S. 9, F/A 51 ff.). Auf die weitere Frage, ob der Privatkläger ihn am Hals gefasst habe, sagte der Beschuldigte aus: Nein, er hat mich nur ins Ge- sicht und an den Kopf geschlagen. Ich habe Ihnen das nur gesagt, dass Sie sich ein Bild der Kraft dieses Mannes machen können. Ich habe mir gedacht, dass, wenn er das Messer sieht, dass er wegrennen würde. Aber bei ihm war das nicht der Fall. Er hat trotzdem weiter auf mich eingeschlagen. (Urk. 2/1 S. 9, F/A 54).

        4. Auf die weiteren Fragen, wann er zum Messer gegriffen und woher er dieses gehabt habe, führte der Beschuldigte aus, nachdem es ihm wegen der Schläge schwindelig geworden sei. Zuerst habe er versucht, sich mit Schlägen zu wehren, bis er gemerkt habe, dass er der Schwächere sei. Er habe das Messer in der Küche aus einer Schublade geholt (Urk. 2/1 S. 9, F/A 57 ff.). Weiter führte er aus, er habe das Messer in die rechte Hand genommen, und der Privatkläger ha- be das Messer gesehen. Trotzdem sei dieser weiter auf ihn los gegangen, und er habe diesen mit dem Messer gestochen (Urk. 2/1 S. 10). Auf die Frage, wo der Privatkläger gestanden sei, als er zugestochen habe, sagte der Beschuldigte aus, sie seien alle im Flur gestanden. Der Privatkläger sei vor ihm gestanden und

          C. neben ihm. Der Privatkläger habe das Geräusch gehört, als er die Schublade in der Küche geöffnet habe. Darum sei dieser auf ihn losgekommen, während C. immer wieder gesagt habe geh weg! geh weg!. Der Privatklä- ger sei vor ihm gestanden. Eigentlich habe er gedacht, dass, wenn dieser das Messer sehen würde, dieser dann weggehen würde. Aber das sei nicht der Fall gewesen. Zwischen Umgebrachtwerden und Töten bevorzuge er das Zweite (Urk. 2/1 S. 11, F/A 72 ff.).

        5. Auf weiteres Befragen hinsichtlich der Stichbewegungen gab der Beschuldigte zu Protokoll, er habe drei oder vier Mal Stichbewegungen gegen den Privatkläger ausgeführt. Aber er habe dann für sich gestoppt, weil er gemerkt ha- be, dass er auf ihn einsteche und es nichts bringe. In keinem Moment habe er

          Probleme wollen. Er habe nicht mit dem Gesetz in Konflikt geraten wollen. Er ha- be nur einen schönen Abend mit ihr verbringen wollen. Er habe den Privatkläger drei bis vier Mal mit dem Messer getroffen. Er wisse es nicht. Die Gefahr sei ihm bewusst gewesen, darum habe er nur auf den Bereich seines Bauches eingesto- chen und nicht in Brust oder Gesicht. Hätte dieser ihm das Messer aus der Hand genommen, so hätte dieser mit dem Messer auf ihn eingestochen. Er habe auf die linke Seite des Bauches gestochen. Aber es habe dabei ein Handgemenge zwi- schen ihnen gegeben. Der Privatkläger habe mit den Fäusten auf ihn eingeschla- gen, als er auf diesen eingestochen habe (Urk. 2/1 S. 12).

        6. Auf die Frage, was geschehen sei, als er den Privatkläger getroffen habe, führte der Beschuldigte aus, nichts, irgendwann habe er aufgehört, weil er ge- merkt habe, dass es nichts bringe. C. habe den Privatkläger dann von ihm weggestossen und dieser sei dann nach unten gegangen. Dieser habe ihn aufge- fordert, zu ihm zu kommen, um den Streit draussen fortzusetzen (Urk. 2/1 S. 84). Der Beschuldigte verneinte, dass es draussen zu weiteren Kampfhandlungen ge- kommen sei, sondern führte dazu aus, er sei müde gewesen, keine Chance, er habe auch viel Blut verloren. Wenn er weiter mit dem Privatkläger gestritten und er weiter das Messer in der Hand gehalten hätte, so hätte er diesen getötet. Hätte er kein Messer gehabt, hätte er keine Chance gegen den Privatkläger gehabt (Urk. 2/1 S. 12, F/A 86). Der Beschuldigte bestätigte zudem, das Messer mit nach unten genommen zu haben, und fügte an, dieses im Garten vor dem Haus auf dem Boden versteckt zu haben. Er habe auch stark geblutet und ihm sei schwin- delig geworden. Bei all dem Blut habe er nicht selber ins Spital gehen können. Darum sei er auf den Boden gesessen, habe das Messer versteckt und auf die Polizei gewartet. Er habe das Messer zwischen den Pflanzen an der Ecke ver- steckt (Urk. 2/1 S. 12 f., F/A 87 ff.).

        7. Auf die weiteren Fragen, warum er das Messer aus der Küche genommen habe und welche Verletzungen damit hervorgerufen werden könnten, führte der Beschuldigte aus, um sich zu wehren, sich zu verteidigen, und dass schwere Ver- letzungen hervorgerufen werden könnten (Urk. 2/1 S. 13, F/A 91 f.). Auf entspre- chende Nachfrage gab der Beschuldigte auch zu Protokoll, dass solche Verletzungen zum Tod führen könnten (Urk. 2/1 S. 13, F/A 93). Der Beschuldigte ver- neinte zudem, dass er den Privatkläger habe töten wollen, und fügte an, wenn er diesen hätte umbringen wollen, dann wäre dieser schon tot (Urk. 2/1 S. 13,

          F/A 94). Seine erste Absicht sei gewesen, dem Privatkläger mit dem Messer Angst zu machen, damit dieser von ihm ablasse. Dabei habe er gemerkt, dass das nicht wirke. Darum habe er mit dem Messer auf den Privatkläger eingesto- chen, als dieser weiter auf ihn losgegangen sei. Er habe versucht, sich an dessen Position zu stellen. Wäre er der Privatkläger gewesen und würde er dieses Mes- ser sehen, wäre er losgerannt. Aber der Privatkläger habe gar nicht auf das Mes- ser reagiert. Sein nächster Gedanke sei dann gewesen, wenn es dem Privatklä- ger gelinge, das Messer aus seiner Hand zu nehmen, dann sei er tot (Urk. 2/1

          S. 13, F/A 95).

        8. Der Beschuldigte gab auf die Frage, warum er das Messer in der Hecke versteckt habe, zu Protokoll, alle seien gekommen, um dem Privatkläger zu hel- fen, der Nachbar, E. , C. , wie wenn er der einzige Schuldige an die- sem Streit gewesen sei. Dabei sei auch er verletzt gewesen, und er habe sich nur verteidigt, aber hier sei es so, dass die Hautfarbe die Person definiere. Deshalb seien alle sofort davon ausgegangen, dass er der einzige Schuldige an dieser Auseinandersetzung gewesen sei wegen seiner Hautfarbe. Als der Privatkläger geblutet habe, sei dieser als Opfer dagestanden und er als einziger Täter. Flüch- ten sei für ihn keine Option gewesen. Darum habe er auf sie gewartet (Urk. 2/1

          S. 13, F/A 96). Auf Wiederholung der Frage führte der Beschuldigte aus, weil der Privatkläger nach unten gegangen sei und ihn aufgefordert habe, auch nach un- ten zu kommen. Dabei habe der Privatkläger mehrmals gesagt, dass er ihn um- bringen werde. Darum habe er das Messer mitgenommen, weil er nicht gewusst habe, wie der Privatkläger reagieren würde. Als er gesehen habe, dass alle zum Privatkläger gerannt seien, und er nicht habe weitergehen können, weil er auch voller Blut gewesen sei, habe er beschlossen, das Messer zu verstecken, auch weil niemand zu ihm gekommen wäre, wenn sie das Messer in seiner Hand ge- sehen hätten (Urk. 2/1 S. 13, F/A 97).

        9. Zudem machte der Beschuldigte geltend, dass es zu keiner Zeit seine Absicht gewesen sei, den Privatkläger so zu verletzen. Er habe diesen auch nie umbringen wollen und auch keinen Streit gewollt (Urk. 2/1 S. 14). Als der Privat- kläger das Messer in seiner Hand gesehen habe, hätte dieser wissen müssen, was hätte geschehen können. Dieser hätte nicht mehr auf ihn losgehen müssen (Urk. 2/1 S. 15).

      2. Anlässlich der Hafteinvernahme vom 4. November 2019

        1. Der Beschuldigte sagte erneut aus, dass es nicht seine Absicht gewesen sei, jemanden anzugreifen oder zu töten. Er habe sich nur schützen wollen. Der Privatkläger habe ihn provoziert. Dieser habe ihn beschimpft und sei auf ihn los- gegangen (Urk. 2/7 S. 2 f.). Der Beschuldigte bestätigte, dass der Privatkläger als Erster zugeschlagen habe, und führte aus, er habe dann das Messer aus der Kü- che genommen, um sich zu schützen. Er habe sein Leben schützen wollen. Er habe das Messer geholt, damit der Privatkläger aufhöre, ihn zu schlagen. Er habe keine Chance gegen den Privatkläger gehabt. Dieser sei sehr stark und viel grös- ser gewesen. Dieser habe seinen Kopf mehrmals gegen die Wand geschlagen und viele Male gesagt, dass er ihn umbringen werde (Urk. 2/7 S. 3).

        2. Auf entsprechende Fragen gab der Beschuldigte zu Protokoll, dass er den Privatkläger auf seiner linken Seite des Bauches und Armes gestochen habe. Er habe diesen am Arm und am Bauch treffen wollen. Er habe weder seinen Kopf noch seine Beine treffen können, weil dieser viel grösser als er gewesen sei

          (Urk. 2/7 S. 4, F/A 22 f.). Der Beschuldigte bestätigte auch, es sei an allen Stellen des Körpers gefährlich, jemanden zu stechen, und dass dadurch jemand gefähr- lich verletzt oder sogar getötet werden könnte (Urk. 2/7 S. 4, F/A 25 f.). Weiter führte er aus, dass er den Privatkläger ins Herz oder in den Kopf getroffen hätte, wenn er diesen hätte töten wollen. Er habe aber nur gewollt, dass dieser von ihm ablasse (Urk. 2/7 S. 4).

      3. Anlässlich der staatsanwaltschaftlichen Einvernahme vom 6. Februar 2020

        1. Der Beschuldigte gab zu Protokoll, dass er zu keinem Zeitpunkt Streit ge- sucht habe. Er habe auch nicht versucht, den Privatkläger umzubringen. Er sei still und ruhig in seiner Ecke gewesen. Er habe auch C. nicht dazu aufge- fordert, die anderen nach Hause zu schicken. Der Privatkläger habe ihn verbal angegangen. Zu keinem Moment habe er ein Messer gehabt. Er habe das Messer erst zur Hand genommen, nachdem der Privatkläger ihn angegriffen habe. Es mache keinen Sinn, auf jemanden loszugehen, der gerade gehen wolle. Das habe er nicht gemacht. Es sei nicht richtig, dass er im Gefängnis sitze und der Privat- kläger zuhause bei seiner Familie sein dürfe (Urk. 2/8 S. 2 f.).

        2. Auf Vorhalt der Aussagen der Zeugin C. , wonach er und der Privat- kläger gegenseitig Faustschläge ausgeteilt hätten, führte der Beschuldigte aus, er habe versucht, sich zu wehren. Frau C. habe auch bereits einen Schlag kassiert gehabt, und nachdem sein Kopf gegen die Wand geschlagen worden sei, habe er das Messer genommen (Urk. 2/8 S. 3). Auf weiteren Vorhalt, wonach

          sie sich auch gegenseitig beleidigt hätten, räumte der Beschuldigte ein, dies kön- ne sein, aber warum solle er gegen den Privatkläger angehen, wenn dieser doch gerade einfach die Wohnung verlassen wolle. Warum werde er der versuchten Tötung beschuldigt, wenn er doch seinen Arm erwischt habe und nicht sein Herz oder einen risikoreichen Körperteil (Urk. 2/8 S. 3 f.).

      4. Anlässlich der staatsanwaltschaftlichen Einvernahme vom 6. März 2020

        1. Der Beschuldigte führte aus, dass er einfach gewollt habe, dass der Kampf aufhöre. Sie hätten Faustschläge ausgetauscht, das sei schon richtig. Erst als der Privatkläger seinen Kopf gegen die Wand habe schlagen können, sei ihm schwindlig gewesen, und er habe das Messer genommen (Urk. 2/9 S. 5). Auf die Frage, was hätte passieren können, wenn er den Privatkläger tatsächlich in den Bauch getroffen hätte, gab der Beschuldigte zu Protokoll, das Risiko sei an sich dasselbe wie am Arm, aber es wäre eher die Möglichkeit, keinen lebenswichtigen Punkt zu treffen. Als er gespürt habe, wie das Messer in dessen Körper einge- drungen sei, habe er selber Angst bekommen. Er wisse ja, dass das zum Tod füh- ren könne. Er habe danach auch gewollt, dass das Ganze sofort aufhöre. Er habe nicht gewollt, dass das weitergehe. Der Privatkläger habe weiterhin auch

          draussen noch provoziert, dieser habe weiterstreiten wollen. Der Privatkläger würde ja behaupten, er habe das Messer schon früher in der Hand gehabt, aber wie wären dann diese Schläge und so weiter entstanden? Hätte er das Messer früher in der Hand gehabt, wären diese Schläge ja nicht möglich gewesen. Er ha- be erkannt, dass es eine schwere Tat sei, was er gerade getan habe, und er habe auch gewollt, dass das sofort aufhöre, er habe nicht weitermachen wollen (Urk. 2/9 S. 5 f.). Auf die nachfolgende Frage, ob er dies schon in dem Moment reali- siert habe, als er den Privatkläger gestochen habe, fügte dieser an, ja, er habe gespürt, wie das Messer in diesen eingedrungen sei. Er habe eigentlich schon Angst auf die Reaktion gehabt, als er das Messer zur Hand genommen habe. Aber der Streit sei weitergegangen, und dann habe er ihn erwischt. Wenn der Streit mit dem Messer weitergegangen wäre, dann wäre der Privatkläger jetzt mit Sicherheit tot, und er wolle niemanden umbringen. So sei er nicht. Das sei nicht seine Art (Urk. 2/9 S. 6, F/A 27 f.).

        2. Auf die Frage, was der Grund gewesen sei, dass er das Messer versteckt habe, sagte der Beschuldigte aus, er habe das Messer versteckt oder wegge- packt, weil er ja auch verletzt gewesen sei. All diese Leute, die rausgekommen seien, hätten nur dem Privatkläger geholfen. Er habe gemerkt, dass er ebenfalls stark an der Hand blute. Das habe er auch zu C. gesagt. Er habe auch ge- wollt, dass sich jemand um ihn kümmere, ihm helfe, deshalb habe er es wegge- packt. Er sei ja nicht ganz bei sich gewesen. Er sei durcheinander gewesen. Er habe auch getrunken gehabt (Urk. 2/9 S. 6).

        3. Auf Vorhalt, dass er gemäss Arztbericht eher oberflächlich, während der Privatkläger massiv verletzt worden sei, führte der Beschuldigte aus, ja, dessen Verletzungen seien schwerer gewesen als seine. Er habe in diesem Moment nicht genau gewusst, wie es ihm selber gehe oder was genau los sei. Es sei ihm auch durch den Kopf gegangen, wegzurennen, aber ihm sei schwindelig gewesen. Es sei ihm auch zwei Mal schwarz vor Augen geworden. Er habe sich gedacht, am besten sei, er bleibe einfach da und warte, denn, wenn er voller Blut durch die Strassen laufe, werde ihm auch keiner helfen (Urk. 2/9 S. 6). Weiter gab der Beschuldigte zu Protokoll, sie hätten in der Nähe der Küche gekämpft. Als er die

          Schläge gegen den Kopf bekommen habe, sei ihm schwarz vor Augen geworden. Ihm sei schwindelig gewesen. Der Privatkläger habe während des Kampfes ge- sagt, dass er ihn umbringen würde. Da habe er dann das Messer geholt (Urk. 2/9

          S. 6, F/A 31). Auf die Frage, was der Privatkläger in dem Moment gemacht habe, als er in die Küche gegangen sei, gab der Beschuldigte zu Protokoll: Nein, so war es nicht. Als mein Kopf gegen die Wand geschlagen wurde, bin ich sozusa- gen weggerannt. Dann habe ich das Messer genommen und habe ihn getroffen. Er blieb am selben Ort, an dem wir gekämpft haben. (Urk. 2/9 S. 6 f., F/A 32). Auf die weitere Frage, ob der Privatkläger dort gewartet habe, bis er zurückgekom- men sei, führte der Beschuldigte aus, er wisse es nicht, er habe nicht geschaut. Er sei zurückgekommen und der Streit sei weitergegangen. Frau C. sei am Boden gewesen (Urk. 2/9 S. 7, F/A 33). Der Beschuldigte bestätigte ferner, dass es Sekunden gedauert habe, das Messer zu holen. Es sei ganz in der Nähe ge- wesen. Er habe gewusst, wo das Messer sei. Als er das Messer geholt habe, sei es nicht so gewesen, dass der Privatkläger genau an dem Ort stehengeblieben sei. Als er in die Küche gegangen sei, sei dieser in seine Richtung gekommen (Urk. 2/9 S. 7, F/A 38).

      5. Vor Vorinstanz

        1. Vor Vorinstanz führte der Beschuldigte zu den anklagegegenständlichen Geschehnissen und zum Ablauf aus, er sei nicht vorbereitet gewesen. Der Privat- kläger sei auf ihn losgekommen und habe begonnen, ihm Faustschläge ins Ge- sicht zu verpassen. Weil er am Abend zuvor wegen der Party nicht habe schlafen können, seien seine Verteidigungsbewegungen wirkungslos gewesen. Das heisst, er habe sich nicht gut wehren können, wohingegen sich jeder seiner Schläge ton- nenschwer angefühlt habe. Die ganze Zeit, als er ihn geschlagen habe, habe der Privatkläger ihm gesagt, dass er ihn töten würde. Plötzlich habe er einen Schlag gegen den Kopf bekommen, worauf es ihm für etwa drei Sekunden schwarz vor Augen geworden sei. Er sei mit dem Kopf gegen die Wand geprallt. Nach dem Aufprall gegen die Wand sei ihm schwarz geworden, und er habe gedacht, er müsse sich verteidigen. Sie seien damals in der Nähe der Küche gewesen. Er habe dann ein Messer in die Hand genommen, um sich zu verteidigen (Prot. I

          S. 16 ff.). Auf die Frage, auf welche Art und Weise er den Privatkläger geschlagen habe, sagte der Beschuldigte aus, normal gegen das Gesicht. Die Schläge hätten aber keine Wirkung gezeigt, weil er müde gewesen sei (Prot. I S. 17 f.). Danach befragt, wie er sich habe verteidigen wollen, gab der Beschuldigte zu Protokoll, er habe das Messer in die Hand genommen, aber nicht mit der Absicht, den Privat- kläger damit zu verletzen, sondern er habe im Sinn gehabt, dass, wenn er ihn mit einem Messer in der Hand sehe, er damit aufhöre, ihn zu schlagen. Er kenne sich in der Wohnung von Frau C. sehr gut aus. Er habe gewusst, wo die Sachen liegen würden. Die Absicht sei gewesen, dass der Privatkläger fliehe, wenn er ihn mit dem Messer in der Hand sehe. Das habe dieser aber nicht getan, sondern weiter auf ihn eingeschlagen, worauf er ihn getroffen habe (Prot. I S. 18).

        2. Weiter führte der Beschuldigte aus, der Privatkläger habe immer wieder gesagt, dass er ihn töten wolle, und er sei den Streit am Verlieren gewesen. Er habe mit all seinen Kräften versucht, nicht auf den Boden zu fallen, weil dieser ihn treten oder würgen würde, wenn er auf den Boden gefallen wäre. Er habe Angst davor gehabt zu sterben. Er habe damals keine Chance gehabt. Die Schläge, die der Privatkläger ihm verpasst habe, hätten sich so stark angefühlt, dass er davon ausgegangen sei, dieser habe eine Kampfschule besucht. Auf jeden Fall hätten sich die Faustschläge unglaublich schwer angefühlt und er habe den Privatkläger einfach nicht treffen können. Er habe am meisten befürchtet, dass er auf den Bo- den falle. Er habe nicht Angst gehabt, von den ganzen Faustschlägen zu sterben. Er habe Angst gehabt, auf den Boden zu fallen und aus anderen Gründen zu sterben (Prot. I S. 19 f.). Die Frage, ob es für ihn sonstige Anzeichen gegeben habe, die darauf schliessen liessen, dass er hätte getötet oder schwerstverletzt werden können, verneinte der Beschuldigte (Prot. I S. 20). Auf die Frage, ob der Privatkläger mit ihm in die Küche gekommen sei, gab der Beschuldigte zu Proto- koll, als dieser festgestellt habe, dass er ein Messer in der Hand gehabt habe, sei dieser auf ihn losgekommen und habe ihn weiterhin schlagen wollen (Prot. I

          S. 20).

        3. Auf die Frage, ob es keine andere Möglichkeit gegeben hätte, die Streitig- keit mit dem Privatkläger zu beenden, sagte der Beschuldigte aus, eine Option,

          die ihm in den Sinn gekommen sei, sei vom Balkon zu springen. Dabei hätte er sich die Beine brechen können (Prot. I S. 22). Auf die weitere Frage, ob er nicht einfach die Tür zur Küche zwischen ihm und dem Privatkläger hätte zusperren können, gab der Beschuldigte zu Protokoll, nein, die Küche habe keine Tür ge- habt (Prot. I S. 22). Weiter führte er aus, er habe das Messer in der rechten Hand gehalten. Der Privatkläger habe gesehen, dass er ein Messer in der Hand hatte, und sei trotzdem weiter wie ein Stier auf ihn losgekommen und habe ihn schlagen wollen (Prot. I S. 22). Auf die Frage, ob der Privatkläger also zu ihm in die Küche gekommen sei, führte er aus, ja, dieser sei bis zur Küchentür gekommen. Die Schublade befinde sich nicht weit weg von der Küchentür. Der Privatkläger habe ihn weiterhin schlagen wollen. Dieser sei bis zur Küchentür gekommen (Prot. I

          S. 22).

        4. Der Beschuldigte machte auch geltend, als er gemerkt habe, dass er den Privatkläger getroffen habe, habe er sofort aufgehört. Er habe diesen nicht wei- terhin mit dem Messer angreifen wollen. Hätte er diesen weiterhin mit dem Mes- ser angegriffen, hätte er sterben können. Das habe er nicht gewollt. Er wolle in diesem Leben überhaupt niemanden umbringen. Er habe nie die Absicht gehabt, jemanden zu verletzen, geschweige denn, jemanden zu töten. Er habe das Mes- ser zuerst in der Hand gehalten, damit der Privatkläger sehe, dass er das Messer genommen habe, und damit der Streit aufhöre, dieser ihn nicht mehr angreife und auch er ihn nicht (Prot. I S. 23 f.).

        5. Auf entsprechende Frage, wohin er mit dem Messer gezielt habe, sagte der Beschuldigte aus, er habe nicht wirklich gezielt. Die Absicht sei gewesen, die- sen vielleicht am Bauch oder am Arm zu treffen. Wäre es seine Absicht gewesen, ihn zu töten, hätte er das Messer nicht in dieser Art und Weise gehalten. Er hätte den Privatkläger am Kopf oder am Herz getroffen, wenn es tatsächlich seine Ab- sicht gewesen wäre, ihn zu töten (Prot. I S. 26 f.). Auf die Frage, was passiere, wenn er das Messer gegen den Privatkläger richte und in Richtung Bauch steche, räumte der Beschuldigte ein, es könne eine schwere Verletzung und Todesgefahr entstehen. Er habe keine Absicht gehabt, den Privatkläger zu verletzen. Er habe einfach automatisch reagiert, als er den Faustschlag bekommen habe (Prot. I

          S. 27). Auf die weiteren Fragen, ob er den Privatkläger dort getroffen habe, wo er ihn habe treffen wollen, und ob er einmal oder mehrmals zugestochen habe, führ- te der Beschuldigte aus, er habe den Privatkläger nicht am Bauch getroffen. Er habe diesen einfach irgendwo treffen wollen. Er habe keine Absicht gehabt, ihn an einem bestimmten Ort zu treffen. Der Privatkläger habe dann auf einmal seine Hand nicht mehr bewegen können. Als er diesen getroffen habe, habe er festge- stellt, dass dieser seinen Arm nicht mehr habe bewegen können. Hätte er weiter- hin stechen wollen, hätte er auch woanders gestochen. Schon als er den Privat- kläger gestochen habe, habe er gemerkt, dass er diesen in den Arm getroffen ha- be. Daraufhin habe dieser weniger Kraft gehabt und begonnen, nur noch mit der rechten Hand zu schlagen. Er habe mehrere Male zugestochen. Nach seinem ersten Stich habe der Privatkläger weiter geschlagen, weshalb er diesen eben ein zweites Mal gestochen habe. Dann habe er aus eigener Initiative aufgehört zu stechen. Gemäss seiner Erinnerung habe er drei Mal gestochen (Prot. I S. 28).

      6. Anlässlich der Berufungsverhandlung

        Anlässlich der Berufungsverhandlung führte der Beschuldigte erneut aus, dass er und der Privatkläger sich gegenseitig geschlagen hätten, er aber keine Chance gehabt habe. Der Privatkläger habe begonnen, wie ein Toro zu schlagen. Er ha- be dann Angst gehabt, dass der Privatkläger ihn totschlage und er sterbe. Der Privatkläger sei sehr stark gewesen, und er habe nur versucht, nicht auf den Bo- den zu fallen. Der Privatkläger habe dann seinen Kopf gegen die Wand geschla- gen, und ihm sei schwarz geworden. Dann habe er das Messer genommen. Er habe gedacht, dass der Privatkläger dann weggehe und die Schlägerei aufhöre, aber dieser habe weitergeschlagen, und er habe keine Chance gehabt. Er habe dann sofort aufgehört, als er gesehen habe, dass er den Privatkläger getroffen habe (Prot. II S. 24 f.). Auf die Frage, wieso er sich nicht in der Küche einge- schlossen habe, gab der Beschuldigte zu Protokoll, er habe die Türe nicht gese- hen, diese sei immer offen gewesen (Prot. II S. 25).

    3. Aussagen der Zeugin C.

      1. Anlässlich der polizeilichen Einvernahme vom 3. November 2019

        1. C. führte aus, dass es zwischen dem Beschuldigten und dem Pri- vatkläger zu einem Wortgefecht gekommen sei. Der Privatkläger habe den Beschuldigten sogar als Arschloch betitelt. Der Beschuldigte sei da eigentlich noch erstaunlich ruhig geblieben. Mit der Zeit seien sie in den Flur zur Wohnungsein- gangstür gekommen. Der Privatkläger habe die ganze Zeit über provoziert. Dieser habe dann einen Schuh angezogen und weiter provoziert. Sie habe ihm dann den zweiten Schuh gegeben. Auf einmal seien die beiden mit den Fäusten aufeinan- der losgegangen. Es sei alles sehr schnell gegangen. Wer begonnen habe, wisse sie nicht. Sie sei in der Mitte der beiden gestanden. Diese hätten es sich so richtig heftig gegeben. Sie denke, das Blut an den Wänden könne auch von den Schlä- gen sein. Sie habe alles versucht, die beiden zu trennen, aber sie habe keine Chance gehabt. Die beiden hätten brutal aufeinander eingedroschen. Sie habe es richtig Tätschen gehört. Da sie sich immer dazwischen gedrängt habe, habe auch sie Schläge abbekommen. Irgendein Schlag müsse sie so getroffen haben, dass sie k.o. zu Boden gefallen sei. Als sie wieder zu sich gekommen sei, habe sie gesehen, dass ihre Wohnungstür offen gestanden sei. Sie sei hinausgerannt und habe gesehen, dass auf dem weissen Plattenboden alles voller Blut gewesen sei. Sie habe gesehen, dass das Blut beim Privatkläger aus dem Arm gespritzt sei. Sie sei sofort zu ihm hingerannt, habe bei der blutenden Wunde zugedrückt und um Hilfe gerufen (Urk. 4/1 S. 2).

        2. Auf die Frage, wie die beiden aufeinander eingeprügelt hätten, führte

          C. aus, die beiden hätten sich mit den Fäusten geschlagen, aber so richtig deftig. Sie habe nie ein Messer gesehen. Als sie den Beschuldigten umarmt habe bei der Begrüssung, habe sie nichts festgestellt (Urk. 4/1 S. 6, F/A 47). C. verneinte zudem, ein Messer bei einem der beiden gesehen zu haben, und führte aus, sie habe nur den Privatkläger mit so viel Blut gesehen. Es sei so viel Blut ge- flossen, als hätte man ein Schwein geschlachtet. Die ganze Strasse sei voller Blut gewesen. Sie habe in diesem Moment kein Messer interessiert. Sie habe bei niemandem ein Messer gesehen (Urk. 4/1 S. 7 f.). Auf die Frage, ob sie gesehen

          habe, wie der Beschuldigte sich das Messer behändigt habe, führte sie zudem aus, nein, wirklich nicht, sie habe auch nie ein Messer gesehen bei keinem der beiden. Aber sie habe natürlich auch genug getrunken gehabt. Sie müsste sich doch erinnern können, wenn jemand ein Messer in der Hand gehabt hätte. Dann wäre sie doch noch mehr dazwischen. Das sei doch alles nicht normal (Urk. 4/1 S. 8, F/A 65).

      2. Anlässlich der Zeugeneinvernahme vom 26. November 2019

        1. Die Zeugin führte erneut aus, dass es bei der Wohnungseingangstür be- gonnen habe. Die beiden hätten begonnen, sich zu schlagen. Das sei in der Wohnung gewesen, im Bereich der Eingangstür. Sie sei immer wieder dazwi- schen und habe versucht, das irgendwie zu verhindern. Die beiden hätten sich heftig mit den Fäusten geschlagen. Sie hätten sich vor allem ins Gesicht geschla- gen. Sie sei dazwischen gewesen und habe auch einen Schlag abbekommen. Sie sei auch einmal weg gewesen (Urk. 4/8 S. 9). Auf die Frage, wer begonnen habe zu schlagen, sagte sie ebenfalls erneut aus, das wisse sie nicht mehr. Sie sei so angespannt gewesen, als sie dort im Eingangsbereich gewesen seien. Sie habe einen Tunnelblick gehabt. Schon das sei sehr schockierend für sie gewesen (Urk. 4/8 S. 9, F/A 68).

        2. Auf die Frage, wie es begonnen habe mit den Schlägen, sagte die Zeugin aus, sie wisse nicht mehr, wer genau begonnen habe. Sie sei dazwischen ge- standen, und der Beschuldigte habe vielleicht begonnen, sie sei sich aber nicht sicher. Sie sei angespannt gewesen und dazwischen gestanden. Sie sei mit dem Gesicht zum Privatkläger und mit dem Rücken zum Beschuldigten gestanden (Urk. 4/8 S. 11, F/A 82). Auf die weitere Frage, wer ihres Erachtens begonnen habe, gab sie zu Protokoll, sie wisse es nicht genau. Sie meine aber der Beschul- digte. Sie sei sich aber nicht 100 % sicher. Dann hätten sie sich gegenseitig Faustschläge gegeben (Urk. 4/8 S. 11, F/A 84). Auf weiteres Befragen gab die Zeugin zu Protokoll, nicht zu wissen, wie es zum Einsatz des Messers gekommen sei. Sie verneinte auch, etwas in den Händen der beiden gesehen zu haben. Sie habe das Messer nicht gesehen, einfach als sie nachher die Wunde des Privat- klägers gesehen habe, sei ihr klar gewesen, was passiert sei (Urk. 4/8 S. 12, F/A

          86 ff.). Sie führte auch aus, dass beide gleich brutal gewesen seien während der Schlägerei. Es seien beide sehr stark gewesen. Für sie sei erstaunlich gewesen, dass keiner zu Boden gegangen sei. Keiner der beiden sei je zu Boden gegangen (Urk. 4/8 S. 12). Ferner führte sie auf die Frage, ob jemand dem anderen den Kopf gegen die Wand geschlagen habe, aus, nein, so etwas habe sie nicht gese- hen (Urk. 4/8 S. 12, F/A 92).

        3. Weiter führte die Zeugin auf entsprechende Fragen aus, sie glaube nicht, dass es einen Unterbruch in der Schlägerei gegeben habe. Sie habe immer wie- der gesagt, sie sollen aufhören. Diese hätten aber nicht auf sie geschaut. Sie sei sicher zweimal umgefallen. Sie habe immer wieder versucht, dazwischen zu ge- hen, sie habe aber keine Chance gehabt (Urk. 4/8 S. 12 f.). Auf die weiteren Fra- gen, wer bei ihr in der Küche gewesen sei und ob sie das gesehen habe, führte sie aus, sie nehme an, das sei der Beschuldigte gewesen. Sie habe nachher ein- fach seine Armbanduhr in der Küche gesehen. Sie habe diese gerade oberhalb der Besteckschublade gesehen, wo das Messer gewesen sei (Urk. 4/8 S. 13, F/A 101 f.). Auf die nachfolgende Frage, ob sie den Beschuldigten in der Küche wahrgenommen habe, sagte sie aus, wahrgenommen nicht, aber sie habe später die Verletzungen des Privatklägers gesehen (Urk. 4/8 S. 13, F/A 104).

        4. Auf Befragen gab die Zeugin zudem zu Protokoll, sie nehme an, dass der Beschuldigte das Messer genommen habe, als sie auf dem Boden gelegen sei. Sie habe das nicht gesehen. Sie bestätigte auch, dass sie einmal kurz weggetre- ten sei. Einmal sei sie richtig weg gewesen. Ihr fehle auch ein grosses Puzzleteil dieses Abends, nämlich, dass es mit dem Messer so weit habe kommen und sie dies nicht habe verhindern können (Urk. 4/8 S. 14, F/A 107 ff.). Auf Ergänzungs- fragen des Beschuldigten bestätigte die Zeugin zudem, dass Ausdrücke wie Arschloch und Scheiss-Neger gefallen seien. Nach einer konkreten Todesdro- hung befragt, führte sie aber aus, so etwas habe sie nicht gehört. Sie wisse auch nicht genau, was alles gesagt worden sei. Sie habe einfach gewollt, dass es auf- höre (Urk. 4/8 S. 15, F/A 118 ff.).

      3. Befragung vor Vorinstanz

        1. Die Zeugin bestätigte erneut, dass der Privatkläger und der Beschuldigte im Eingangsbereich heftig gestritten hätten. Sie sei dann dazwischen. Sie habe dem Privatkläger die Schuhe zugeworfen und ihm gesagt, er solle gehen. Das habe aber nicht funktioniert. Sie sei dazwischen, und diese hätten sich geprügelt. Sie sei dann irgendwie am Boden gelegen und ja, dann wisse sie nicht mehr, was passiert sei. Sie wisse nur noch, wie sie aufgewacht sei. Der Privatkläger sei dann schon draussen gewesen, und sie habe nur noch Blut gesehen. Wer zuerst be- gonnen habe, könne sie nicht mehr sagen. Der Streit sei eher vom Privatkläger gekommen, weil dieser ja unbedingt nicht habe gehen wollen. Sie nehme an, dass er auch ein wenig gekränkt gewesen sei, weil sie ihn weggeschickt habe. Das wisse sie noch, aber wer angefangen habe zu schlagen, das sei so schnell passiert. Es sei innert Sekunden passiert. Sie habe nur noch einen Tunnelblick gehabt. Sie könne sich nur noch daran erinnern, wie sie probiert habe, den Beschuldigten zurückzuziehen. Sie habe die Schläge nur gehört. Für sie sei das hef- tige Schlagen schon schlimm gewesen. Sie wisse nur noch, dass sie den Beschuldigten verletzt gesehen habe. Ihre Wohnung sei auch blutig gewesen (Prot. I S. 67 f.).

        2. Auf die Frage, wie der Allgemeinzustand des Beschuldigten gewesen sei vor der Eskalation, sagte die Zeugin aus, also eher wütend, aggressiv. Das seien beide gewesen. Es sei eine sehr aggressive Stimmung gewesen (Prot. I S. 69). Auf Vorhalt, sie habe in der Untersuchung ausgesagt, dass der Privatkläger die ganze Zeit provoziert habe, bestätigte sie erneut, dass dies schon eher von ihm aus gewesen sei. Er habe sie halt so angemacht und sei komisch zu ihr gewesen, nicht mehr so kollegial (Prot. I S. 70). Die Zeugin gab ferner zu Protokoll, dass sie irgendwie zwischen die beiden sei und dann eins abbekommen habe, sodass sie in diesem Moment schnell weggewesen sei. Wahrscheinlich habe sie einen Schlag vom Privatkläger abbekommen, also nicht wahrscheinlich. Da sei der Beschuldigte gestanden, und da sei sie gewesen. Sie habe sich dazwischen gestellt und sei Gesicht an Gesicht mit dem Privatkläger gewesen. Sie habe dann ver- sucht, den Beschuldigten zu halten. Das wisse sie noch. Mit der rechten Hand,

          und danach sei sie aufgestanden und habe den Privatkläger draussen gesehen, also bei der Eingangstür der Wohnung. Sie habe den Beschuldigten vor sich ge- habt und habe nach draussen geschaut und das Blut gesehen. Der Privatkläger sei rausgelaufen, und sie sei diesem dann nachgerannt (Prot. I S. 71).

        3. Auf die Frage, ob sie irgendwann an diesem Abend gesehen habe, dass eine der beiden Personen ein Messer in den Händen gehalten habe, führte die Zeugin aus, nein, das habe sie nicht gesehen, gar nicht. Sie habe nachher ein- fach die Uhr des Beschuldigten gesehen, als sie ihr Natel habe holen dürfen. Die Uhr sei neben ihrem Messerding gewesen, dann sei es für sie wie klar gewesen. Aber so richtig gesehen, könne sie sich nicht erinnern (Prot. I S. 71 f.). Auf die er- neute Frage, ob sie es gesehen habe oder nicht, gab die Zeugin zu Protokoll, nein, sie habe es nicht gesehen. Sie habe einfach die Wunde des Privatklägers gesehen, und es sei klar gewesen. Dieser habe tiefe Wunden gehabt. Für sie sei klar gewesen, dass es ein Messer gewesen sei. Das seien Schnittwunden gewe- sen (Prot. I S. 72). Auf die weitere Frage, wer von diesen beiden Männern grösser sei, sagte die Zeugin aus, der Beschuldigte sei grösser. Es seien beide so aufei- nander los, und niemand habe aufgehört. Niemand sei abgelegen, nur schon das. Es seien beide, sie wisse es auch nicht. Vielleicht sei das so wegen der Drogen gewesen (Prot. I S. 74).

    4. Aussagen der weiteren Zeugen

      E. (Urk. 4/6; Urk. 4/9), F. (Urk. 4/12), G. (Urk. 4/14), H. (Urk. 4/15) und I. (Urk. 4/16) wurden ebenfalls als Zeugen einvernommen. Sie konnten aber keine sachdienlichen Aussagen zur körperlichen Auseinander- setzung – insbesondere zum Messereinsatz – zwischen dem Privatkläger und dem Beschuldigten machen, da zum anklagegegenständlichen Zeitpunkt bereits sämtliche dieser Personen die Wohnung der Zeugin C. und damit den Tat- ort verlassen hatten oder erst nach Beendigung der Auseinandersetzung dazuge- kommen waren, als sich die beteiligten Personen bereits auf der Strasse vor dem Wohnblock eingefunden hatten.

  2. Ärztliche Unterlagen

    1. Ärztlicher Befund des KSW vom 15. November 2019 über den Privatklä- ger

      Dem ärztlichen Befund lässt sich entnehmen, dass der Privatkläger am 3. bis zum

      8. November 2019 zur stationären Behandlung ins Spital eingetreten ist und die operative Versorgung der Messerstichverletzung am Eintrittstag erfolgt ist

      (Urk. 9/3 S. 1; vgl. Operationsbericht vom 5. November 2019 im Anhang). Im Be- fund wird zudem festgehalten, dass der Privatkläger zwei Stichverletzungen am Arm hatte. Am Unterarm sei diese auf der Rückseite zum Kleinfinger hin orientiert im mittleren Drittel gewesen. Dort seien Muskeln und Sehnenstrukturen verletzt worden, keine Nerven oder grosse Blutgefässe. Am Oberarm sei die Stichverlet- zung an der Aussenseite ebenfalls im mittleren Drittel lokalisiert. Hier sei das Messer in Richtung der Achselhöhle eingedrungen. Der Stichkanal sei oberhalb des Oberarmknochens verlaufen, aus dem mehrere Splitter herausgeschlagen worden seien und wo eine tiefe Kerbe im Knochen hinterlassen worden sei. Die Eindringtiefe werde auf ca. 15 cm beziffert. Im Verlauf seien ein grosser Nerv so- wie mehrere Blutgefässe und die Muskulatur durchtrennt worden. Die Verletzun- gen seien allesamt unfallkausal zu erklären. Eine Selbstbeibringung sei ausge- schlossen. Vor allem die Durchtrennung des Nervus radialis auf Oberarmhöhe habe zur Folge, dass Gefühlsausfälle in der Hand – vor allem die Funktion in der Streckung von Finger und Handgelenk – deutlich abgeschwächt seien. Solche Verletzungen würden häufig zu einer dauerhaften Funktionseinschränkung der Hand führen und bedürften einer Rehabilitationszeit von mindestens einem Jahr (Urk. 9/3 S. 1 f.).

    2. Gutachten des IRM zur körperlichen Untersuchung des Privatklägers vom

10. Februar 2020

      1. Dem Gutachten lässt sich entnehmen, dass der Privatkläger ca. 4 Stun- den nach dem geltend gemachten Ereignis untersucht worden sei und bei ihm am linken Ober- und Unterarm je eine Stich-/Schnittverletzung vorgelegen habe, wel- che mit dem Ereigniszeitraum vereinbar und durch eine scharfe Gewalteinwirkung

        (z.B. mittels eines Messers) entstanden sei. Gemäss Angaben aus dem KSW sei als Folge dieser Stich-/Schnittverletzungen zudem eine komplette Durchtrennung des Speichennervs festgestellt worden, und es seien kleine Venen im linken Oberarm sowie der Muskulatur des linken Unterarms teilverletzt. Die Nerven- durchtrennung habe konsekutiv zu der klinisch diagnostizierten Lähmung der lin- ken Hand und der Finger geführt. Die oberflächlichen Verletzungen an der Unter- bauchaussenseite links sowie an der linken Oberarmstreckseite seien ebenfalls frisch und würden auf eine oberflächliche scharfe Gewalteinwirkung hinweisen. Die Hautabschürfungen an der Nase sowie eine der Hautabschürfungen am rech- ten Handrücken seien frisch und durch eine tangential-schürfende Einwirkung entstanden. Die Blutergüsse am Brustkorb sowie an der linken Oberarmaussen- seite seien ebenfalls frisch und durch eine stumpfe Gewalt – wie z.B. einen Schlag mit den Händen einschliesslich Faustschlag oder mittels eines stumpfen Gegenstandes – entstanden. Hinsichtlich der Lähmung der linken Hand könnten prognostische Aussagen zur möglichen Wiederaufnahme der Nervenfunktion oder zu Folgeschäden nicht abschliessend getroffen werden (Urk. 9/4 S. 5).

      2. Im Gutachten wird zudem festgehalten, dass in Anbetracht der vorliegen- den Verletzungen eine Lebensgefahr nicht bejaht werden könne. Es sei jedoch anzumerken, dass Stiche/Schnitte mit einem spitzen oder scharfen Gegenstand gegen den Ober- und/oder Unterarm aufgrund der engen räumlichen Beziehung zu lebenswichtigen Strukturen (grössere Blutadern) grundsätzlich zu schwerwie- genden bzw. tödlichen Verletzungen oder Komplikationen führen würden. Bei- spielhaft zu nennen sei im Hinblick auf die Verletzungslokalisation im vorliegen- den Fall u.a. die Eröffnung eines grösseren arteriellen Blutgefässes mit Blutver- lust, welche auch zu einem todesursächlichen Verbluten führen könne (Urk. 9/4 S. 5).

    1. Bericht des KSW vom 21. November 2019 über den Beschuldigten

      Gemäss Bericht des KSW erlitt der Beschuldigte eine oberflächliche Riss- quetschwunde an der linken Wange von 3 mm Länge und eine Schnittverletzung an der Hand links über dem 2. Fingergrundgelenk (Urk. 8/3 S. 1). Die Ärztin hält zudem fest, dass die Verletzungen aus ihrer Sicht am ehesten im Streit mit dem

      Kollegen entstanden seien. Ob dabei eine Selbstverletzung vorliege, könne sie nicht beurteilen. In einer Computertomographie des Schädels hätten Verletzun- gen (eine Blutung, ein Bruch) aufgrund von Schlägen gegen den Kopf ausge- schlossen werden können. Die Wunde an der linken Wange sei sehr oberflächlich und habe mit Steristrips versorgt werden können. Die Wunde würde keine Folgen nach sich ziehen. Die Schnittverletzung an der Hand habe mit 4 Einzelknopfnäh- ten genäht werden müssen. Im Röntgenbild habe kein Hinweis auf einen Bruch bestanden. Da keine relevanten Verletzungen der Gefässe und Nerven vorgele- gen hätten, werde es bei dieser Verletzung keine bleibenden Schäden geben (Urk. 8/3 S. 2).

    2. Gutachten des IRM zur körperlichen Untersuchung der Zeugin C. vom 21. Januar 2020

      Aus dem Gutachten ergibt sich, dass die Zeugin C. ca. 2.5 Stunden nach dem geltend gemachten Ereignis untersucht worden ist. Im Gutachten wird fest- gehalten, dass C. eine Schwellung und eine frische Hautabschürfung an der linken Augenbraue aufgewiesen habe, welche Folgen stumpfer Gewalteinwir- kung darstellen würden. Eine Entstehung durch einen Schlag mit der Hand oder der Faust – wie von C. geschildert – erscheine möglich. Die Abbrüche der künstlichen Fingernägel könnten ebenfalls im Rahmen der körperlichen Ausei- nandersetzung entstanden sein (Urk. 10 S. 3).

    3. Pharmakologische-Toxikologische Gutachten des IRM

      1. Das Gutachten über den Beschuldigten vom 18. November 2019 hält fest, dass dieser zum Tatzeitpunkt unter der kombinierten Wirkung von Trinkalkohol, Kokain und Cannabis gestanden habe (Urk. 7/1/3 S. 1). Gemäss ärztlichem Be- richt zur Blutalkoholanalyse wies der Beschuldigte im Tatzeitpunkt (3. November 2019, 07.27 Uhr) eine rückgerechnete Blutalkoholkonzentration von 0.44 Gew. ‰ (Minimalwert) bis 1.25 Gew. ‰ (Maximalwert) auf (Urk. 7/1/4).

      2. Das Gutachten über den Privatkläger vom 19. November 2019 hält fest, dass dieser zum Tatzeitpunkt unter der kombinierten Wirkung von Trinkalkohol

        und Kokain gestanden habe. Zudem sei der Konsum von Cannabis bewiesen (Urk. 7/2/3 S. 1). Ob Cannabis im Ereigniszeitpunkt eine Wirkung entfaltet habe, könne im vorliegenden Fall allein aufgrund der Analysenergebnisse wegen des grossen Zeitintervalls zwischen Ereignis und Blutentnahme von 5 Stunden und 8 Minuten nicht sicher beurteilt werden (Urk. 7/2/3 S. 4). Gemäss ärztlichem Be- richt zur Blutalkoholanalyse wies der Privatkläger im Tatzeitpunkt (3. November

        2019, 07.27 Uhr) eine rückgerechnete Blutalkoholkonzentration von 1.13 Gew. ‰ (Minimalwert) bis 1.95 Gew. ‰ (Maximalwert) auf (Urk. 7/2/4).

      3. Das Gutachten über die Zeugin C. vom 18. November 2019 hält fest, dass sie zum Tatzeitpunkt unter der kombinierten Wirkung von Trinkalkohol und Kokain gestanden habe. Zudem sei der Konsum von Cannabis bewiesen (Urk. 7/3/3 S. 1). Ob Cannabis im Ereigniszeitpunkt eine Wirkung entfaltet habe, könne im vorliegenden Fall allein aufgrund der Analysenergebnisse wegen des grossen Zeitintervalls zwischen Ereignis und Blutentnahme von 3 Stunden und 13 Minuten nicht sicher beurteilt werden (Urk. 7/3/3 S. 4). Gemäss ärztlichem Be- richt zur Blutalkoholanalyse wies C. im Tatzeitpunkt (3. November 2019,

07.27 Uhr) eine rückgerechnete Blutalkoholkonzentration von 1.15 Gew. ‰ (Mi- nimalwert) bis 1.94 Gew. ‰ (Maximalwert) auf (Urk. 7/3/4).

  1. Beweiswürdigung

    1. Allgemeine Grundsätze

      Die Grundsätze der Beweiswürdigung und die allgemeingültigen Beweisregeln wurden von der Vorinstanz korrekt dargelegt, weshalb vollumfänglich darauf ver- wiesen werden kann (Urk. 81 S. 8 f.; Art. 82 Abs. 4 StPO).

    2. Glaubwürdigkeit

      1. Der Beschuldigte ist vom Strafverfahren direkt betroffen und hat deshalb ein legitimes Interesse daran, die Geschehnisse in einem für ihn günstigen Licht darzustellen, was dazu führt, dass seine Aussagen vor dem Hintergrund der Inte- ressenlage zu würdigen sind. Es liegen aber keine Anhaltspunkte vor, die von vornherein gegen seine Glaubwürdigkeit sprechen würden.

      2. Der Privatkläger hat aufgrund seiner Stellung als Verfahrensbeteiligter und der von ihm geltend gemachten Zivilansprüche ein eigenes Interesse am Ausgang des Verfahrens. Er könnte daher versucht sein, die Geschehnisse in ei- nem für ihn günstigen Licht darzustellen, was bei der Würdigung seiner Aussagen entsprechend zu berücksichtigen ist. Es liegen jedoch keine Anhaltspunkte vor, welche an seiner allgemeinen Glaubwürdigkeit zweifeln liessen.

      3. C. kennt sowohl den Beschuldigten als auch den Privatkläger. Der Privatkläger sei ein Kollege einer Nachbarin, welchen sie so kennengelernt habe. Mit dem Beschuldigten habe sie wie eine Beziehung gehabt. Sie hätten lange Kontakt gehabt. Sie habe ihn vom Tanzen gekannt (Urk. 4/8 S. 2, F/A 5 ff.). Die Zeugin hatte den Privatkläger am Tatabend mehrfach aufgefordert zu gehen, während sie weiterhin Zeit mit dem Beschuldigten allein verbringen wollte (vgl. Urk. 4/8 S. 8 f.). Sie stand dem Beschuldigten im Zeitpunkt des anklagegegen- ständlichen Vorfalls näher, wenngleich ihre Liebesbeziehung bereits beendet war (vgl. Urk. 4/8 S. 3), sodass sie ein legitimes Interesse daran haben könnte, die Darstellung und Aussagen des Beschuldigten zu bekräftigen, was entsprechend zu berücksichtigen ist. Allerdings sind den Akten keinerlei Hinweise zu entneh- men, welche aufgrund des persönlichen Verhältnisses zum Beschuldigten auf ei- ne dadurch begründete Voreingenommenheit schliessen liessen. Hinzu kommt, dass C. als Zeugin unter Hinweis auf die strenge Strafandrohung bei fal- scher Zeugenaussage gemäss Art. 307 StGB ausgesagt hat (Urk. 4/8 S. 2). Den Aussagen der Zeugin ist mit einer gewissen Zurückhaltung zu begegnen, es be- steht aber keine Veranlassung, an ihrer Glaubwürdigkeit zu zweifeln.

      4. Im Vordergrund steht aber bei allen erwähnten Personen die Glaubhaf- tigkeit ihrer Aussagen.

    3. Würdigung bestrittener Sachverhalt

      1. Darstellung des Privatklägers

        1. Der Privatkläger brachte konstant vor, er könne sich nur noch daran erin- nern, wie er alleine auf dem Balkon der Wohnung von C. gewesen sei, wobei sie und der Beschuldigte ihn aufgefordert hätten zu gehen. Als er habe gehen wollen, sei es auf dem Weg nach draussen im Gang der Wohnung zu einer Dis- kussion gekommen, welche schliesslich eskaliert sei. Was danach passiert

          sei, wisse er nicht mehr genau, da er viel getrunken habe (Urk. 3/1 S. 4; Urk. 3/2

          S. 9; Prot. I S. 43 f.). Der Privatkläger bestreitet nicht, den Beschuldigten be- schimpft oder diesem gar gedroht zu haben. Er macht aber geltend, sich nicht da- ran erinnern zu können (Prot. I S. 43 f.). Zudem bestätigte er, den Beschuldigten mehrmals mit den Fäusten geschlagen zu haben (Urk. 3/2 S. 9; Prot. I S. 44 und

          S. 49). Weiter räumte der Privatkläger ein, sich an die Geschehnisse nach der körperlichen Auseinandersetzung mit dem Beschuldigten nicht mehr genau erin- nern zu können. Er wisse nur noch, dass er diesem als Letztes einen Faustschlag verpasst habe, um so Abstand gewinnen zu können. Er könne sich noch erinnern, wie er die Tür geöffnet habe, sich am Geländer angeschlagen habe und nach draussen gerannt sei (Prot. I S. 46 ff.).

        2. Zum Messereinsatz durch den Beschuldigten konnte der Privatkläger nur wenige Angaben machen. So führte er aus, dass der Beschuldigte ihm sehr nahe gekommen sei und sich das Ganze in der Nähe der Wohnzimmertür abgespielt habe. Der Beschuldigte habe schräg zu ihm gestanden und ihm die linke Schulter gezeigt. Als er sich umgedreht habe, habe er gesehen, dass der Beschuldigte ein Messer in der Hand gehalten habe. In diesem Moment habe er sich entschieden zuzuschlagen, wobei er sich nicht mehr erinnern könne, ob er zuerst zugeschla- gen oder der Beschuldigte zuerst zugestochen habe. Als er das Messer gesehen habe, habe er dem Beschuldigten nicht den Rücken zuwenden und wegrennen wollen, da ansonsten die Gefahr bestanden hätte, dass dieser ihn in den Rücken steche (vgl. Urk. 3/2 S. 9 und S. 16). Auch zur Frage, wie der Beschuldigte an das Messer gelangt sei, konnte der Privatkläger keine eindeutigen Angaben machen, was er so aber auch einräumte. So führte er bei der Staatsanwaltschaft aus, er könne sich nicht erinnern, dass der Beschuldigte in einen anderen Raum gegan- gen sei, um ein Messer zu holen. Er gehe daher davon aus, dass der Beschuldig- te das Messer schon die ganze Zeit bei sich gehabt habe (Urk. 3/2 S. 11). Bereits gegenüber der Polizei gab er zu Protokoll, sollte der Beschuldigte das Messer

          schon von Anfang an bei sich gehabt haben, wäre dieser wirklich ein sehr dreister Typ (Urk. 3/1 S. 8).

        3. Der Privatkläger gab anlässlich seiner Einvernahmen jeweils klar an, wenn er sich nicht sicher war oder etwas nicht (mehr) wusste. Zudem belastete er sich auch selber und versuchte nicht, seinen eigenen Beitrag zum Geschehen herunterzuspielen, zumal er einräumte, mehrere Faustschläge gegen den Beschuldigten ausgeteilt zu haben und dass er diesen möglicherweise auch be- schimpft und bedroht habe. Auffallend ist auch, dass er den Beschuldigten nicht übermässig zu belasten oder die Auseinandersetzung besonders brutal und über- trieben darzustellen versucht. Entsprechend machte er keine Angaben dazu, wie oft oder stark der Beschuldigte auf ihn eingestochen hatte (vgl. Urk. 3/2 S. 9 f.), und er führte aus, dass er nicht bestätigen könne, Fäuste gespürt zu haben. Er habe auch keine Spuren oder Schmerzen gehabt (Prot. I S. 44). Dass die Aussa- gen des Privatklägers zum Kerngeschehen lückenhaft sind, lässt sich einerseits damit erklären, dass sich Betroffene bei traumatischen Erlebnissen oder in belas- tenden Stresssituation nicht an sämtliche Details zu erinnern vermögen, weil ge- wisse Details in einer solchen Situation in den Hintergrund treten, und ist anderer- seits wohl auch dem Umstand geschuldet, dass der Privatkläger im Tatzeitpunkt unter der erheblichen Wirkung von Alkohol und Kokain stand (vgl. vorstehend, Erw. III.6.5.2.). Zudem stimmen gewisse Aussagen des Privatklägers auch mit der Darstellung des Beschuldigten überein und werden durch die dokumentierten Ver- letzungen des Privatklägers gestützt. So wurden beim Privatkläger gemäss Gut- achten des IRM vom 10. Februar 2020 Hautabschürfungen am rechten Handrü- cken festgestellt (Urk. 9/4 S. 5, vgl. vorstehend, Erw. III.6.2.1.), was mit der Dar- stellung des Privatklägers übereinstimmt, wonach er mit rechts auf den Beschul- digten eingeschlagen habe, da er den linken Arm zur Abwehr gebraucht habe (Prot. I S. 46), was so auch vom Beschuldigten bestätigt wurde, welcher dazu ausführte, er habe gemerkt, dass er den Privatkläger in den Arm getroffen habe, woraufhin dieser weniger Kraft gehabt und begonnen habe, nur noch mit der rech- ten Hand zu schlagen (Prot. I S. 28).

      2. Darstellung des Beschuldigten

        1. Auffallend ist, dass die Aussagen des Beschuldigten diverse Widersprü- che aufweisen, insbesondere auch hinsichtlich des Kerngeschehens. So führte der Beschuldigte anlässlich der polizeilichen Einvernahme auf die Frage, ob

          C. auch geschlagen worden sei, noch aus, was er gesehen habe, sei, dass der Privatkläger sie weggestossen habe, ob er sie auch geschlagen habe, habe er nicht gesehen (Urk. 2/1 S. 9, F/A 56), während er anlässlich der staatsanwalt- schaftlichen Einvernahme im Widerspruch zu seiner früheren Aussage zu Proto- koll gab: Frau C. hatte auch bereits einen Schlag kassiert (Urk. 2/8 S. 3, F/A 15), und vor Vorinstanz führte er dann aus, als C. zwischen ihnen ge- standen sei, habe sie auch Faustschläge verpasst bekommen und sei zu Boden gefallen (Prot. I S. 17). Auch führte der Beschuldigte aus, der Privatkläger sei am gleichen Ort stehengeblieben, während er das Messer geholt habe (Urk. 2/9 S. 6 f., F/A 32), um nur ein paar Fragen später im Widerspruch dazu auszusagen, der Privatkläger sei nicht genau an dem Ort stehengeblieben, dieser sei in seine Rich- tung gekommen, als er in die Küche gegangen sei (Urk. 2/9 S. 7, F/A 38). Auch im Zusammenhang mit den vom Privatkläger ausgeübten Gewalttätigkeiten ver- strickte sich der Beschuldigte in Widersprüche. Während er einmal geltend mach- te, der Privatkläger habe seinen Kopf einmal gegen die Wand geschlagen (Urk. 2/1 S. 8), sprach er später davon, dass dieser seinen Kopf mehrfach gegen die Wand geschlagen habe (Urk. 2/7 S. 3), und vor Vorinstanz war dann die Rede davon, dass er aufgrund eines Faustschlages mit dem Kopf an der Wand aufge- prallt sei (Prot. I S. 17). Auch hinsichtlich der Frage, ob er nicht einfach die Tür zur Küche zwischen sich und dem Privatkläger hätte zusperren können, machte der Beschuldigte widersprüchliche Aussagen. So führte er einerseits aus, die Küche habe keine Tür gehabt (Prot. I S. 22), und andererseits gab er ein paar Fragen später zu Protokoll, der Privatkläger sei bis zur Küchentür gekommen und die Schublade mit dem Messer habe sich nicht weit weg von der Küchentür befunden (Prot. I S. 22). Dass seine Aussage, wonach die Küche keine Tür zum Verschlies- sen gehabt habe, nicht den tatsächlichen Gegebenheiten entspricht, ergibt sich auch aus der Fotodokumentation aus der Wohnung, auf welcher klar ersichtlich ist, dass die Küche eine Türe aufweist (Urk. 4/4), worauf auch die Rechtsvertre- tung des Privatklägers zutreffend hingewiesen hat (Urk. 68 S. 7). Zudem bestätigte auch die Zeugin C. als Mieterin der Wohnung, dass die Küche eine Türe gehabt habe, welche hätte geschlossen werden können (Prot. I S. 72). Anlässlich der Berufungsverhandlung gab der Beschuldigte auf die Frage, wieso er sich nicht in der Küche eingeschlossen habe, zu Protokoll, er habe die Türe nicht gesehen, diese sei immer offen gewesen, und auf Vorhalt, man hätte die Türe zu machen können, schwieg der Beschuldigte (Prot. II S. 25). Auch im Zusammenhang mit der Frage, wann respektive aus welchem Grund er mit dem Einsatz des Messers aufgehört habe, fielen die Aussagen des Beschuldigten unterschiedlich aus. Ei- nerseits machte er geltend, als er gemerkt habe, dass er den Privatkläger getrof- fen habe, habe er sofort aufgehört, was er so auch anlässlich der Berufungsver- handlung wiederholte (Prot. II S. 26). Er habe diesen nicht weiterhin mit dem Messer angreifen wollen (Prot. I S. 23). Andererseits führte er abweichend zu die- sen Aussagen aus, er habe gestoppt, weil er gemerkt habe, dass er auf den Pri- vatkläger einsteche und es nichts bringe (Urk. 2/1 S. 12).

        2. Die Aussagen des Beschuldigten lassen auch eine gewisse Aggravie- rungstendenz erkennen. Während er gegenüber der Polizei anfänglich noch aus- führte, der Privatkläger habe ihn geschlagen, dieser habe ihn angegriffen und sei sehr gross gewesen, er habe keine Chance gegen diesen gehabt (Urk. 2/1 S. 2), gab er später zu Protokoll, der Privatkläger habe ihm mit voller Wucht weiter ins Gesicht und gegen den Kopf geschlagen, er wisse nicht, ob dieser eine Kampf- sportart betreibe, aber seine Schläge seien sehr stark gewesen (Urk. 2/1 S. 9). Auch anlässlich der Hafteinvernahme betonte der Beschuldigte erneut, dass er keine Chance gegen den Privatkläger gehabt habe, da dieser sehr stark und viel grösser als er gewesen sei (Urk. 2/7 S. 3). Später vor der Staatsanwaltschaft machte der Beschuldigte dann geltend, der Privatkläger habe ihm den Kopf gegen die Wand geschlagen, sodass ihm schwindelig gewesen sei (Urk. 2/9 S. 5). Auch vor Vorinstanz betonte der Beschuldigte die Kraft des Privatklägers, indem er aus- führte, jeder seiner Schläge habe sich tonnenschwer angefühlt. Er sei den Streit am Verlieren gewesen. Er habe mit all seinen Kräften versucht, nicht auf den Bo- den zu fallen, weil der Privatkläger ihn getreten oder gewürgt hätte, wenn er auf den Boden gefallen wäre. Er habe Angst davor gehabt zu sterben. Er habe da- mals keine Chance gehabt. Die Schläge, die der Privatkläger ihm verpasst habe,

          hätten sich so stark angefühlt, dass er davon ausgegangen sei, dass dieser eine Kampfschule besucht habe (Prot. I S. 16 ff.). Der Privatkläger sei wie ein Stier auf ihn losgekommen (Prot. I S. 22). Auch anlässlich der Berufungsverhandlung führ- te der Beschuldigte erneut aus, dass er keine Chance gehabt habe, der Privatklä- ger habe begonnen, wie ein Toro zu schlagen. Er habe Angst gehabt, dass der Privatkläger ihn totschlage und er sterbe (Prot. II S. 23 f.). Der Beschuldigte gab auch zu Protokoll, dass er keine Chance gehabt habe, auch er habe viel Blut ver- loren (Urk. 2/1 S. 12). Angesichts der eher geringen Verletzungen des Beschul- digten – gemäss Bericht des KSW vom 21. November 2019 wies dieser lediglich eine oberflächliche Rissquetschwunde an der linken Wange von 3 mm Länge so- wie eine Schnittverletzung an der Hand links über dem 2. Fingergelenk auf (Urk. 8/3 S. 1; vgl. vorstehend. Erw. III.6.3.) – erscheint fraglich, ob der Privatkläger tat- sächlich mit der vom Beschuldigten geschilderten Wucht mehrfach mit Fäusten in dessen Gesicht und gegen den Kopf geschlagen haben kann. Hätte der Privat- kläger tatsächlich mit voller Wucht mit den Fäusten auf den Beschuldigten einge- prügelt und dessen Kopf mehrmals so gegen die Wand geschlagen, dass diesem schwindelig und zeitweise schwarz vor Augen geworden wäre, wie dies der Beschuldigte geltend macht (vgl. Urk. 2/1 S. 8; Urk. 2/9 S. 5 f.; Prot. I S. 17; Prot. II

          S. 24), wäre zu erwarten, dass dieser gravierendere Verletzungen am Kopf und im Gesicht – insbesondere diverse Prellungen und Schürfungen – aufgewiesen hätte. Dem Bericht des KSW lässt sich aber nichts dergleichen entnehmen, und es wird festgehalten, dass Verletzungen des Schädels (Blutungen oder Bruch) ausgeschlossen werden konnten (Urk. 8/3 S. 2). Zudem wurde der Beschuldigte unmittelbar nach den anklagegegenständlichen Geschehnissen am Tatort foto- grafiert (vgl. Urk. 1/3 S. 5), wobei gestützt auf die Darstellung des Beschuldigten ebenfalls zu erwarten gewesen wäre, dass dieser mehrere sichtbare Verletzun- gen im Gesicht und am Kopf aufweisen würde, was gerade nicht der Fall war. Entsprechend spricht – entgegen der Auffassung der Verteidigung (Urk. 67 S. 14; Urk. 125 S. 9 ff.) – bereits das Verletzungsbild gegen die Darstellung des Beschuldigten, wonach es sich um keinen ausgeglichenen Kampf mit dem Privatklä- ger gehandelt habe, sondern er völlig unterlegen gewesen sei. Im Gegenteil, die ärztlichen Unterlagen belegen, dass der Privatkläger deutlich mehr und schwerwiegendere Verletzungen aufwies als der Beschuldigte (vgl. vorstehend,

          Erw. III.6.). Den Akten lassen sich auch keinerlei Hinweise darauf entnehmen, dass der Privatkläger eine Kampfsportart betreiben würde, wie der Beschuldigte dies geltend macht (vgl. Urk. 2/1 S. 9), zumal der Privatkläger vor Vorinstanz sel- ber ausführte, er trainiere seinen Nerv, indem er etwas gegen die Wand drücke und sicher keine Gewichte hebe. Auf die nachfolgende Frage, ob er das auch schon vor dem anklagegegenständlichen Vorfall gemacht habe, gab er zu Proto- koll, nein, er sei eineinhalb Jahre in der Armee gewesen, aber danach habe er noch keine Zeit gehabt, um zu trainieren (Prot. I S. 55).

        3. Die Sachverhaltsdarstellung des Beschuldigten, wonach er im Kampf mit dem Privatkläger völlig unterlegen gewesen sein soll, wird auch nicht von den Aussagen der Zeugin C. gestützt. Zwar führte diese aus, dass die Schläge- rei brutal gewesen sei und die beiden es sich so richtig heftig gegeben hätten (vgl. Urk. 4/1 S. 2 und S. 6; Urk. 4/8 S. 9), allerdings hielt sie fest, dass beide Männer gleich brutal und sehr stark gewesen seien (Urk. 4/8 S. 12). Die Aussagen der Zeugin C. erweisen sich als vorsichtig sowie durchdacht und erwecken den Eindruck, als wollte sie weder den Privatkläger noch den Beschuldigten belasten. Entsprechend äusserte sie sich anlässlich ihrer Einvernahmen neutral und mach- te keine ausschweifenden Ausführungen. Um einen einseitigen Kampf – wie vom Beschuldigten geltend gemacht – handelte es sich somit nicht, vielmehr ist – ent- gegen der Auffassung der Verteidigung (Urk. 67 S. 7 f.; Urk. 125 S. 9 f.) – davon auszugehen, dass die beiden Männer gegenseitig aufeinander losgegangen sind. Gemäss Gutachten des IRM wies der Privatkläger neben zweier Stich-

          /Schnittverletzungen Hautabschürfungen an der Nase sowie Blutergüsse am Brustkorb sowie an der linken Oberarmaussenseite auf, welche durch eine stump- fe Gewalt – wie beispielsweise einen Schlag mit den Händen einschliesslich Faustschlag – entstanden sein könnten (vgl. vorstehend, Erw. III.6.2.1.; Urk. 9/4

          S. 5), was sich folglich damit in Einklang bringen lässt, dass auch der Beschuldig- te Schläge gegen den Privatkläger austeilte, was vom Beschuldigten auch nicht bestritten wird.

        4. Dass es sich um einen ungleichen Kampf gehandelt haben soll, weil der Privatkläger viel grösser gewesen sein soll als der Beschuldigte, wie von diesem geltend gemacht (Urk. 2/7 S. 3), konnte von der Zeugin ebenfalls nicht bestätigt werden; im Gegenteil, sagte sie aus, der Privatkläger sei kleiner als der Beschul- digte gewesen (Urk. 4/1 S. 7, F/A 49). Auch dass der Privatkläger den Kopf des Beschuldigten einmal oder sogar mehrmals gegen die Wand geschlagen haben soll, konnte die Zeugin nicht bestätigen (vgl. Urk. 4/8 S. 12). Zum Messereinsatz oder dazu, dass der Beschuldigte das Messer im Verlauf der Auseinandersetzung in der Küche holen gegangen sein soll, konnte die Zeugin C. ebenfalls kei- ne Aussagen machen (vgl. vorstehend, Erw. III.5.3.). Zu berücksichtigen ist aller- dings, dass sie während der körperlichen Auseinandersetzung zwischen den bei- den Männern gestanden hat, was so von allen Beteiligten bestätigt worden ist (vgl. Urk. 2/1 S. 11; Urk. 4/1 S. 2; Prot. I S. 49), und ihre Konzentration und An- strengung darauf gerichtet war, die beiden zu trennen, wobei sie währenddessen selber Schläge eingefangen hat und zu Boden gegangen ist (vgl. Urk. 4/8 S. 9), was vom Beschuldigten bestätigt worden ist (vgl. Urk. 2/8 S. 3; Urk. 2/9 S. 7) und sich zudem mit ihren dokumentierten Verletzungen deckt (Urk. 10 S. 3; vorste- hend, Erw. III.6.4.). Die von ihr erlebte Situation und ihre Gefühle schilderte die Zeugin C. anlässlich ihrer polizeilichen Einvernahme lebensnah und an- schaulich, indem sie ausführte, sie könne sich gut erinnern, dass sie sich nach dem kurzen Schock wieder habe aufrichten können. Es sei aber Schlag auf Schlag gegangen. Sie sei ein paar Mal hingefallen. Auf einmal sei der Beschuldig- te vor ihr gewesen, und sie habe sich dazwischen gekämpft. Da habe sie wieder Schläge bekommen und als nächstes könne sie sich an das viele Blut erinnern. Sie sei am Boden erwacht, und es seien Sekunden verstrichen. Das sei das erste Mal gewesen, dass sie k.o. gegangen sei. Sie wisse noch, wie sie gedacht habe du musst da bleiben (Urk. 4/1 S. 7).

        5. Die Aussagen der Zeugin C. wirken glaubhaft und erfolgten wäh- rend sämtlicher Einvernahmen gleichbleibend. Da sie sich mitten in einer körperli- chen Auseinandersetzung und damit einer emotionalen Stresssituation befand, wobei sie die von ihr durchlebte Angst in dieser Situation stets anschaulich und schlüssig schilderte, ist entsprechend auch nachvollziehbar, dass sie sich nicht an

          jedes einzelne Detail zu erinnern vermag, sondern gewisse Handlungen oder Ne- bensächlichkeiten in den Hintergrund getreten sind und sich nicht gleich stark in ihrem Gedächtnis festgesetzt haben. Zudem stand auch sie unter der kombinier- ten Wirkung von Alkohol und Kokain (vgl. vorstehend, Erw. III.6.5.3.). Allerdings mussten die Faustschläge und das Schlagen des Kopfes gegen die Wand ge- mäss den Ausführungen des Beschuldigten vor dem Messereinsatz erfolgt sein, da dieser ja gerade zur Verteidigung ein Messer geholt haben will, und damit zu einem Zeitpunkt, als die Zeugin noch aktiv versuchte, die beiden Männer vonei- nander zu trennen, sodass sie durchaus mitbekommen hätte, wenn einer der bei- den völlig unterlegen gewesen wäre oder der Privatkläger den Kopf des Beschul- digten mehrfach gegen die Wand geschlagen hätte.

        6. Der Beschuldigte machte zudem geltend, dass er das Messer mitten in der Auseinandersetzung in der Küche holen gegangen sei, was angesichts des Umstandes, dass der Streit zwischen ihm und dem Privatkläger im Eingangsbe- reich der Wohnung und damit in unmittelbarer Nähe der Küche (vgl. Urk. 1/3 S. 6; Urk. 4/2) eskalierte, naheliegend erscheint. Zwar konnten sich weder der Privat- kläger noch die Zeugin C. daran erinnern, dass der Beschuldigte in der Kü- che ein Messer holen gegangen sei. Angesichts ihres Zustandes ist aber durch- aus erklärbar, dass der Beschuldigte dies getan haben kann, ohne dass die bei- den das mitbekommen haben, zumal die Küche und die Schublade mit den Mes- sern in unmittelbarer Nähe waren, wodurch es sich um einen Vorgang von nur wenigen Sekunden handelte. Angesichts des Umstandes, dass der Privatkläger im Vorfeld bereits Schläge vom Beschuldigten einstecken musste und zudem un- ter dem kombinierten Einfluss von Alkohol und Kokain gestanden ist (vgl. vorste- hend, Erw. III.6.5.2.), ist nachvollziehbar, dass die Reaktions- und Aufnahmefä- higkeit des Privatklägers eingeschränkt gewesen sein dürfte. Auch die Zeugin

          C. stand unter dem kombinierten Einfluss von Alkohol und Kokain (vgl. vor- stehend, Erw. III.6.5.3.), was entsprechende Auswirkungen auf ihre Aufnahmefä- higkeit gehabt haben dürfte. Zudem musste sie selber Schläge einstecken, wel- che sie zu Boden brachten, wobei sie gemäss eigenen Aussagen mindestens einmal kurzzeitig das Bewusstsein verlor (vgl. Urk. 4/1 S. 7), zumal auch der Beschuldigte bestätigte, dass C. am Boden gewesen sei (Urk. 2/9 S. 7). Somit

          könnte der Beschuldigte genau in jenem Zeitpunkt das Messer in der Küche ge- holt haben, als die Zeugin kurzzeitig das Bewusstsein verloren hatte, was erklären würde, weshalb sie dies nicht mitbekommen hat. Da es sich bei der Tatwaffe um ein Küchen- und nicht um ein Klappmesser handelte, welches zudem eine gewis- se Grösse aufwies (vgl. Urk. 2/4), ist nicht davon auszugehen, dass der Beschul- digte dieses bereits vor der Eskalation des Streites auf sich trug, da er dieses nicht einfach in der Hosentasche hätte verstauen können und weder der Privat- kläger noch die Zeugen ausgesagt hatten, sie hätten bereits im Verlauf des Abends ein Messer beim Beschuldigten gesehen (vgl. Urk. 3/1 S. 4 und S. 8;

          Urk. 4/1 S. 6; Urk. 4/9 S. 7 f.; Urk. 4/14 S. 4 f.; Urk. 4/15 S. 4 f.). Zudem bestand für den Beschuldigten kein Anlass, das Messer bereits vor der Auseinanderset- zung zu sich zu nehmen. Es ist somit vorliegend davon auszugehen, dass der Beschuldigte das Messer erst während der Auseinandersetzung – wie von ihm geschildert – aus der Küchenschublade geholt und dieses anschliessend gegen den Privatkläger eingesetzt hat. In der Folge stach der Beschuldigte dann auch zwischen der Küchentür und der Eingangstür zur Wohnung mehrmals mit dem Messer auf den Privatkläger ein.

        7. Die Darstellung des Beschuldigten, wonach er sich nicht anders zu helfen gewusst habe und das Messer lediglich zur Verteidigung eingesetzt habe, da er dem Privatkläger völlig unterlegen gewesen sei und keine Chance gegen diesen gehabt habe (vgl. Urk. 2/1 S. 2; Urk. 2/7 S. 3; Prot. I S. 19; Prot. II S. 23 ff.), er- scheint insbesondere auch aufgrund des Umstandes, dass er das Messer nicht während der Schläge des Privatklägers einsetzte, um diese abwehren zu können, sondern er dieses zuerst in der Küche holen gehen musste, wenig glaubhaft. Da- mit entfernte er sich für einen kurzen Augenblick vom Privatkläger und vom Ort der Auseinandersetzung (im Eingangsbereich der Wohnung), was ihm einen ge- wissen räumlichen Abstand zum Privatkläger brachte. Selbst wenn zu Gunsten des Beschuldigten davon ausgegangen würde, der Privatkläger sei ihm in die Kü- che gefolgt, wobei die Aussagen des Beschuldigten diesbezüglich diverse Wider- sprüche aufweisen (vgl. vorstehend, Erw. III.7.3.2.1.), hätte er aufgrund des er- langten Abstands und Vorsprungs die Möglichkeit gehabt, die Küchentür zu schliessen (vgl. Urk. 4/4) und so den Privatkläger von sich fernzuhalten. Entgegen

          der Auffassung der Verteidigung (Urk. 67 S. 11; Urk. 125 S. 36) wären dem Beschuldigten somit eindeutig andere Mittel als der Einsatz eines Messers zur Ver- fügung gestanden, um sich vor dem Privatkläger zu schützen. Zudem nahm der Beschuldigte das Messer nach der Tat mit nach draussen für den Fall, dass es zu einer weiteren Auseinandersetzung kommen würde (vgl. Urk. 2/1 S. 13), und er versteckte die Tatwaffe anschliessend draussen vor der Wohnung zwischen den Pflanzen (vgl. Urk. 2/1 S. 12 f.; Prot. I S. 31). Dieses Nachtatverhalten des Beschuldigten und insbesondere der Versuch, das Tatmesser loszuwerden respekti- ve dieses nicht auf sich zu tragen bei der Begegnung mit der Polizei, spricht ebenfalls gegen die Version des Beschuldigten, wonach er das unterlegene Opfer gewesen sei und sich lediglich gegen die Übermacht des Privatklägers zur Wehr gesetzt habe.

        8. Der Privatkläger schilderte vor Vorinstanz zudem, dass der Beschuldigte ihn nach der Tat draussen vor dem Wohnblock angeschaut und angegrinst habe. Diesen Gesichtsausdruck könne er nicht vergessen, und dies sei auch der Grund, warum er den Gerichtssaal kurzzeitig habe verlassen wollen und keine Entschul- digung vom Beschuldigten wolle, weil alles überflüssig wäre (Prot. I S. 54). Die vom Privatkläger geschilderten Emotionen und die Erinnerung an den Gesichts- ausdruck des Beschuldigten nach der Tat wirken lebensnah und nicht erfunden. Auch dies spricht gegen eine Opferrolle des Beschuldigten.

      3. Fazit

        1. Nach Würdigung der Beweismittel – insbesondere der massgeblichen Aussagen, der aufgezeigten Umstände sowie der ärztlichen Unterlagen – ist nicht erstellt, dass sich der Beschuldigte gegen einen massiven Angriff seitens des Pri- vatklägers lediglich verteidigte. Es ist mithin nicht davon auszugehen, dass sich der Beschuldigte in einer Notwehrsituation befand. Aufgrund des Verletzungsbil- des des Privatklägers und dem Nachtatverhalten des Beschuldigten ist davon auszugehen, dass der Beschuldigte sich im Verlauf der verbalen und tätlichen Auseinandersetzung das Tatmesser aus der Schublade in der Küche der Woh- nung der Zeugin C. behändigte und dieses in der rechten Hand haltend von waagrecht hinten nach vorne auf Höhe des Bauches drei bis vier Stichbewegungen gegen den Privatkläger ausführte, wobei dieser sich mit seinem linken Arm vor den Stichen des Beschuldigten zu schützen versuchte, indem er den Arm vor seinen Oberkörper hielt, sodass der Beschuldigte mit den Messerstichen zwei Mal den linken Arm des Privatklägers traf, wodurch er die dokumentierten Verletzun- gen verursachte. Auch dass der Beschuldigte unter Todesangst gelitten haben soll, ist aufgrund der gesamten Umstände und insbesondere angesichts des Ver- haltens des Beschuldigten objektiv nicht nachvollziehbar und als Schutzbehaup- tung zu qualifizieren.

        2. Der äussere Sachverhalt ist somit – wie in der Anklage umschrieben – er- stellt. Die beantragte Beweisergänzung (vgl. vorstehend, Erw. I.6.) ist nach dem Dargelegten nicht geeignet, das Beweisergebnis umzustossen, weshalb sich eine weitere Beweisabnahme durch die Berufungsinstanz erübrigt. Was ein Täter wusste, wollte oder in Kauf nahm, betrifft sog. innere Tatsachen und ist damit zwar eine Tatfrage. Da sich diese inneren Tatsachen bei ungeständigen Tätern regelmässig nur gestützt auf äusserlich feststellbare Indizien und Erfahrungsre- geln ermitteln lassen, die Rückschlüsse von den äusseren Umständen auf die in- nere Einstellung des Täters erlauben (Urteil des Bundesgerichts 6S.133/2007 vom 11. August 2008 E. 2.4), und die Beurteilung, ob im Lichte dieser äusseren Umstände der Schluss auf Vorsatz begründet ist, eine Rechtsfrage darstellt, ist das Bestehen eines Vorsatzes nachfolgend im Rahmen der rechtlichen Würdi- gung (Erw. IV.2.) zu beurteilen (vgl. BGE 133 IV 1 E. 4.1; BGE 130 IV 58 E. 8.5; BGE 125 IV 242 E. 3c, je m.H.).

  1. Rechtliche Würdigung

    1. Allgemeine Ausführungen

      1. Die Vorinstanz qualifizierte das Handeln des Beschuldigten als versuchte vorsätzliche Tötung, wobei sie von Eventualvorsatz ausging (Urk. 81 S. 24 ff.). Die Verteidigung beantragt dagegen, die Tat des Beschuldigten als versuchten Totschlag im Sinne von Art. 113 in Verbindung mit Art. 22 Abs. 1 StGB zu würdigen, da dieser in einer nach den Umständen entschuldbaren heftigen Gemütsbe- wegung gehandelt habe (Urk. 67 S. 7 f.; vgl. Urk. 125 S. 36 f.). Weiter macht sie geltend, der Beschuldigte habe in rechtfertigender Notwehr gehandelt und für den Fall der Annahme eines Notwehrexzesses sei dieser gemäss Art. 16 Abs. 2 StGB als entschuldbar zu betrachten (Urk. 67 S. 12 ff.; Urk. 125 S. 31 ff.).

      2. Hinsichtlich der allgemeinen Ausführungen zu den Tatbeständen der ver- suchten vorsätzlichen Tötung und des Totschlags ist auf die zutreffenden Erwä- gungen der Vorinstanz zu verweisen (Art. 82 Abs. 2 StPO; Urk. 81 S. 24 ff.).

      3. Vertiefend ist nochmals festzuhalten, dass gemäss Art. 12 Abs. 2 StGB ein Verbrechen oder Vergehen vorsätzlich begeht, wer die Tat mit Wissen und Willen ausführt. Vorsätzlich handelt bereits, wer die Verwirklichung der Tat für möglich hält und in Kauf nimmt. Bei diesem sog. Eventualvorsatz strebt der Täter den Erfolg nicht an, sondern er weiss lediglich, dass dieser möglicherweise mit der willentlich vollzogenen Handlung verbunden sein kann. Der Eventualvorsatz ist zu bejahen, wenn der Täter den Erfolg für den Fall seines Eintritts in Kauf nimmt und sich mit ihm abfindet, mag er ihm auch unerwünscht sein (anstelle vie- ler BGE 133 IV 16). Der Eventualvorsatz und die unbewusste Fahrlässigkeit sind im Einzelfall schwierig voneinander abzugrenzen. Auf der Wissensseite stimmen beide Fälle überein, da sowohl dem eventualvorsätzlich als auch dem bewusst fahrlässig handelnden Täter die Möglichkeit des Erfolgseintritts bzw. das Risiko der Tatbestandsverwirklichung bewusst ist. Die ausschlaggebende Differenz

        liegt auf der Willensseite. Während der bewusst fahrlässig handelnde Täter

        (aus pflichtwidriger Unvorsichtigkeit) darauf vertraut, dass der von ihm als möglich vorausgesehene Erfolg nicht eintrete, das Risiko der Tatbestandserfüllung sich mithin nicht verwirklichen werde, nimmt der eventualvorsätzlich handelnde Täter den Eintritt des als möglich erkannten Erfolgs ernst, rechnet mit ihm und findet sich mit ihm ab. Bei Letzterem ist jedoch nicht erforderlich, dass der Täter den Er- folg billigt. Fehlt ein Geständnis, muss der Richter unter Berücksichtigung der ge- samten Umstände entscheiden, ob der Täter die Tatbestandsverwirklichung in Kauf genommen hat. Zu beachten sind insbesondere die Grösse des dem Täter bekannten Risikos der Tatbestandsverwirklichung, die Schwere der Sorgfaltspflichtverletzung, die Beweggründe des Täters und die Art der Tathandlung. Je grösser die Wahrscheinlichkeit der Tatbestandsverwirklichung ist und je schwerer die Sorgfaltspflichtverletzung wiegt, desto eher kann davon ausgegangen werden, der Täter habe die Tatbestandsverwirklichung in Kauf genommen. Es ist dem Richter erlaubt, vom Wissen des Täters auf seinen Willen zu schliessen, wenn sich dem Täter der Eintritt des Erfolgs als so wahrscheinlich aufdrängt, dass die Bereitschaft, ihn als Folge hinzunehmen, vernünftigerweise nur als Inkaufnahme des Erfolgs ausgelegt werden kann (BGE 133 IV 9, 16 E. 4.1). Für die Annahme von Eventualvorsatz reicht die blosse Möglichkeit des Erfolgseintritts. Dieser muss demnach nicht sehr wahrscheinlich sein (BGE 133 IV 16, BGE 130 IV 58, BGE 125 IV 242, BGE 131 IV 1; NIGGLI/MAEDER, in: NIGGLI/WIPRÄCHTIGER, Basler

        Kommentar, Strafrecht I, 4. Aufl., Basel 2019, N 58 ff. zu Art. 12 StGB).

      4. Ein strafbarer Versuch gemäss Art. 22 Abs. 1 StGB liegt vor, wenn der Täter sämtliche subjektiven Tatbestandsmerkmale erfüllt und seine Tatentschlos- senheit manifestiert hat, ohne dass alle objektiven Tatbestandsmerkmale verwirk- licht sind (BGE 128 IV 18).

    2. Versuchte vorsätzliche Tötung

      1. Vorliegend ist das objektive Tatbestandsmerkmal des Todes eines Men- schen, wie es Art. 111 StGB voraussetzt, nicht erfüllt. Indem der Beschuldigte mit einem einschneidigen, spitzen Fleischermesser mit einer Klingenlänge von ca. 20 cm und einer Klingenbreite von ca. 4.5 cm von waagrecht hinten nach vorne

        drei bis vier Stichbewegungen Richtung Bauch des Privatklägers ausführte, wobei dieser sich mit seinem linken Arm vor den Stichen zu schützen versuchte, in-

        dem er den linken Arm vor seinen Oberkörper hielt, erlitt der Privatkläger zwei Stich-/Schnittverletzungen am linken Ober- und Unterarm. Die Verletzungen des Privatklägers erforderten eine stationäre Behandlung im Spital vom 3. bis zum

        8. November 2019, wobei die operative Versorgung der Messerstichverletzung am Eintrittstag erfolgte (vgl. vorstehend, Erw. III.6.1.). Die Verletzungen des Pri- vatklägers sind im ärztlichen Befund des KSW und Gutachten des IRM dokumen- tiert und erreichen teilweise – entgegen der Auffassung der Verteidigung (Urk. 67

        S. 8 ff.; Urk. 125 S. 38) – den Grad von schweren Körperverletzungen aufgrund

        der lange dauernden Rehabilitationszeit und einer drohenden dauerhaften Funkti- onseinschränkung der Hand (Urk. 9/3 S. 1 f.; Urk. 9/4). Demgemäss erlitt der Pri- vatkläger zwei Stichverletzungen am Arm. Am Unterarm sei diese auf der Rück- seite zum Kleinfinger hin orientiert im mittleren Drittel gewesen. Dort seien Mus- keln und Sehnenstrukturen verletzt worden, keine Nerven oder grosse Blutgefäs- se. Am Oberarm sei die Stichverletzung an der Aussenseite ebenfalls im mittleren Drittel lokalisiert. Hier sei das Messer in Richtung der Achselhöhle eingedrungen. Der Stichkanal sei oberhalb des Oberarmknochens verlaufen, aus dem mehrere Splitter herausgeschlagen worden seien und wo eine tiefe Kerbe im Knochen hin- terlassen worden sei. Die Eindringtiefe werde auf ca. 15 cm beziffert. Im Verlauf seien ein grosser Nerv sowie mehrere Blutgefässe und die Muskulatur durch- trennt worden (Urk. 9/3 S. 1). Die Nervendurchtrennung habe konsekutiv zu der klinisch diagnostizierten Lähmung der linken Hand und der Finger geführt (Urk. 9/4 S. 5). Zwar erlitt der Privatkläger durch die Tathandlungen des Beschuldigten keine lebensgefährlichen Verletzungen, dennoch waren diese grundsätzlich ge- eignet, den Tod des Privatklägers zu bewirken, da Stiche/Schnitte mit einem spit- zen oder scharfen Gegenstand gegen den Ober- und/oder Unterarm aufgrund der engen räumlichen Beziehung zu lebenswichtigen Strukturen (grössere Blutadern) zu schwerwiegenden bzw. tödlichen Verletzungen oder Komplikationen führen können. Gemäss Gutachten des IRM hätte im vorliegenden Fall die Eröffnung ei- nes grösseren arteriellen Blutgefässes mit Blutverlust durchaus zu einem todes- ursächlichen Verbluten führen können (Urk. 9/4 S. 5). Damit ist der objektive Tat- bestand von Art. 111 StGB – bis auf den ausgebliebenen Erfolg – erfüllt. Obwohl der Taterfolg vorliegend nicht eingetreten ist, stellt sich die Frage, ob der Beschuldigte diesen Erfolg in subjektiver Hinsicht zumindest in Kauf genommen hat.

      2. Gemäss erstelltem Sachverhalt führte der Beschuldigte drei bis vier Stichbewegungen gegen den Bauch des Privatklägers aus, wobei er diesem le- diglich infolge dessen Abwehrreaktion zwei Stich-/Schnittverletzungen im linken Arm zufügte. In Übereinstimmung mit der Vorinstanz (Urk. 81 S. 21) ist aufgrund des Verletzungsbildes des Privatklägers zudem davon auszugehen, dass der Beschuldigte mit grossem Schwung kraftvoll auf den linken Arm des Privatklägers eingestochen haben muss, insbesondere da aus dem Oberarmknochen mehrere

        Splitter herausgeschlagen worden sind und eine tiefe Kerbe im Knochen hinter- lassen worden ist (Urk. 9/3 S. 1). Im Bereich von Bauch/Oberkörper und Armen befinden sich auch lebenswichtige Strukturen wie grössere Blutadern, die durch Messerstiche oder -schnitte lebensgefährlich verletzt werden und innert Kürze den Tod durch Verbluten zur Folge haben können. Dies stellt Allgemeinwissen dar, und der Beschuldigte führte aus, sich der Gefahr bewusst gewesen zu sein, dass mit dem Tatmesser schwere Verletzungen verursacht werden könnten, wel- che zum Tod führen könnten (Urk. 2/1 S. 12 f.). Er wisse ja, dass das zum Tod führen könne (Urk. 2/9 S. 6). Auch vor Vorinstanz gab er auf die Frage, was pas- siere, wenn er das Messer gegen den Privatkläger richte und in Richtung Bauch steche, zu Protokoll, es könne eine schwere Verletzung und Todesgefahr entste- hen (Prot. I S. 27). Dass jemand, der mit diesem Wissen unerwartet und heftig mehrmals mit einem Messer mit einer Klingenlänge von ca. 20 cm in Richtung Bauch/Oberkörper auf den Arm eines Menschen einsticht, eine Verletzung le- benswichtiger Organe und Strukturen und damit den Tod des Opfers in Kauf nimmt, liegt auf der Hand, zumal die Stiche unkontrolliert in aggressiver Stimmung während einer körperlichen Auseinandersetzung und damit in einem dynamischen Geschehen erfolgt sind. Wie vorstehend bei der Sachverhaltserstellung bereits erwogen (Erw. III.7.3.), sind die erwähnten Umstände vor allem auch als Indizien für ein aktives Tatvorgehen zu werten, welche gegen blosse Abwehrhandlungen sprechen. Durch das Hinzuholen und Einsetzen eines Messers hat der Beschul- digte den anfänglich verbalen und durch gegenseitiges Austeilen von Faustschlä- gen geprägten Streit auf ein neues gefährliches Niveau respektive eine weitere Eskalationsstufe gehoben. Das Verhalten des Beschuldigten war darauf ausge- richtet, seinen Gegner überraschend ausser Gefecht zu setzen.

      3. Somit ist – entgegen der Auffassung der Verteidigung – der objektive und subjektive Tatbestand der versuchten vorsätzlichen Tötung im Sinne von Art. 111 StGB in Verbindung mit Art. 22 Abs. 1 StGB erfüllt.

    3. Totschlag

      1. Die Verteidigung macht geltend, es sei davon auszugehen, dass der Pri- vatkläger zuerst körperliche Gewalt angewendet habe. In der Folge habe der Beschuldigte sich in einer Notwehrlage befunden. Daraus ergebe sich, dass eine nachvollziehbare und nach den Umständen entschuldbare heftige Gemütsbewe- gung und somit versuchter Totschlag zumindest in objektiver Hinsicht vorliege bzw. vorliegen könnte (Urk. 67 S. 8).

      2. Der privilegierte Tatbestand des Totschlages im Sinne von Art. 113 StGB gelangt zur Anwendung, wenn der Täter in einer nach den Umständen entschuld- baren Gemütsbewegung oder unter grosser seelischer Belastung gehandelt hat. Art. 113 StGB privilegiert indessen nicht nur den Täter, der sich in einer akuten Konfliktsituation befindet und sich in einer einfühlbaren, heftigen Gemütsbewe- gung wie beispielsweise Jähzorn, Wut, Eifersucht, Verzweiflung oder Angst dazu hinreissen lässt, einen anderen Menschen zu töten, sondern auch in anderen Si- tuationen, in denen die zu einer Tötung führende Gemütslage in vergleichbarer Weise als entschuldbar angesehen werden kann. Erfasst werden chronische see- lische Zustände, die lange Zeit geschwelt haben, bis der Täter völlig verzweifelt ist und keinen anderen Ausweg mehr sieht als eine Tötung; massgebend ist dabei die Schwere und Unausweichlichkeit des Konflikts, in dem sich der Täter befindet. Mit dieser Privilegierung wird der Tatsache Rechnung getragen, dass der Täter aufgrund seines Zustandes im Zeitpunkt der Tötungshandlung nur noch be- schränkt in der Lage war, sein Verhalten zu kontrollieren.

      3. Die heftige Gemütsbewegung und die grosse seelische Belastung müs- sen zudem entschuldbar sein. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung setzt der Begriff der Entschuldbarkeit voraus, dass die heftige Gemütsbewegung oder die grosse seelische Belastung (und nicht etwa die Tat) bei objektiver Be- trachtung nach den sie auslösenden Umständen gerechtfertigt und die Tötung dadurch bei ethischer Beurteilung in einem milderen Licht erscheint. Es muss an- genommen werden können, auch eine andere, anständig gesinnte Person wäre in der betreffenden Situation leicht in einen solchen Affekt geraten. Die Frage der Entschuldbarkeit der grossen seelischen Belastung ist nicht notwendigerweise nach denselben Kriterien zu entscheiden, die im Falle der heftigen Gemütsbewe- gung gelten. Es ist aber auch hier zu Grunde zu legen, wie sich ein vernünftiger Mensch unter denselben äusseren Umständen verhalten hätte und ob dieser aus

        diesen Gründen ebenfalls nicht mehr in der Lage gewesen wäre, die Situation richtig einzuschätzen und sie zu meistern. Hat der Täter die Konfliktsituation, wel- che die Gemütsbewegung bzw. die seelische Belastung auslöste, selber ver- schuldet oder doch vorwiegend durch eigenes Verhalten schuldhaft herbeigeführt, so ist der Affekt bzw. die seelische Belastung nicht entschuldbar (SCHWARZENEG- GER, in: Basler Kommentar Strafrecht I, a.a.O., N 3 ff. zu Art. 113 StGB; BGE 119 IV 202 E. 2a und b; BGE 118 IV 233 E. 2).

      4. Vorliegend ist erstellt, dass in der Nacht vom 2. auf den 3. November 2019 zunächst ein verbaler Streit zwischen dem Beschuldigten und dem Privat- kläger ausbrach, welcher in einer gegenseitigen körperlichen Auseinandersetzung endete. Nicht erstellt ist allerdings, dass der Beschuldigte sich gegen einen mas- siven Angriff seitens des Privatklägers lediglich verteidigte und dabei unter To- desangst litt. Es ist mithin nicht davon auszugehen, dass der Beschuldigte dem Privatkläger körperlich völlig unterlegen gewesen ist und sich in einer Notwehrsi- tuation befunden hat (vgl. vorstehend, Erw. III.7.3.). Zwar macht der Beschuldigte geltend, er habe eine so grosse Angst gespürt, dass er losgelaufen sei und das Messer geholt habe (Urk. 2/1 S. 8) und dass er nicht Angst gehabt habe, von den ganzen Faustschlägen zu sterben, sondern er habe Angst gehabt, auf den Boden zu fallen oder aus anderen Gründen zu sterben (Prot. I S. 19 f.). Damit führt der Beschuldigte ja gerade selber aus, nicht vor den Faustschlägen Angst gehabt zu haben, was ebenfalls dagegen spricht, dass er dem Privatkläger völlig ausgelie- fert gewesen sein soll. Zudem verneinte der Beschuldigte die Frage, ob es für ihn sonstige Anzeichen gegeben habe, die darauf schliessen liessen, dass er hätte getötet oder schwerstverletzt werden können (Prot. I S. 20). Seine Aussage, wo- nach er den Privatkläger getötet hätte, wäre der Streit zwischen ihnen weiterge- gangen (Urk. 2/1 S. 2), spricht ebenfalls dagegen, dass der Beschuldigte dermas- sen um sein Leben fürchten musste und Angst gehabt haben könnte, dem Privat- kläger völlig unterlegen und hilflos ausgeliefert zu sein. Wie bereits vorstehend erwogen (Erw. III.7.3.2.2.), sprechen zudem auch die eher gering ausgefallenen dokumentierten Verletzungen des Beschuldigten gegen seine völlige Unterlegen- heit und dass er massivste Schläge gegen den Kopf und das Gesicht seitens des Privatklägers einstecken musste. Da es sich beim Streit mit dem Privatkläger um

        eine gegenseitige Auseinandersetzung handelte, anlässlich welcher sich beide beleidigten und gegenseitig Faustschläge austeilten, erreichen diese Faktoren in- dessen keinen Zustand der grossen seelischen Belastung im Sinne von Art. 113 StGB, wie er in der Praxis und Lehre vorausgesetzt wird. Nach bundesgerichtli- cher Rechtsprechung ist diese Bestimmung dramatischen Situationen vorbehal- ten, welche den Täter in eine Lage bringen, die eine gewisse Ähnlichkeit zu der- jenigen bei der Nötigung oder dem Notstand aufweist (Urteil des Bundesgerichts 6S.132/2001 vom 15. Juni 2001, E. 2.a). Entgegen der Auffassung der Verteidi- gung vermögen weder das Verhalten des Privatklägers noch die körperliche Aus- einandersetzung mit diesem – auch in Kombination – eine derartige emotionale Grenzsituation zu begründen, infolge derer eine Tötungshandlung als unaus- weichlich erscheinen würde. Somit sind die Voraussetzungen des privilegierten Tatbestandes des versuchten Totschlags im Sinne von Art. 113 StGB in Verbin- dung mit Art. 22 Abs. 1 StGB nicht erfüllt.

    4. Rechtfertigungsgründe

      1. Die Verteidigung macht geltend, aufgrund der gegebenen Umstände sei davon auszugehen, dass der Privatkläger mit der Anwendung der körperlichen Gewalt begonnen habe und dem Beschuldigten aufgrund der zugefügten Verlet- zungen körperlich überlegen gewesen sei. Aus diesem Grund sei der Beschuldig- te gezwungen gewesen, nach geeigneten Abwehrwerkzeugen Ausschau zu hal- ten. Selbst wenn der Beschuldigte wie in der Anklage beschrieben zugestochen hätte, wäre die Tat aufgrund Notwehr bzw. entschuldbarem Notwehrexzess ge- rechtfertigt gewesen (Urk. 67 S. 12 ff.; Urk. 125 S. 31 ff.).

      2. Nachdem der Beschuldigte dem Privatkläger gemäss erstelltem Sachver- halt körperlich nicht unterlegen gewesen und massiven Angriffen seitens des Pri- vatklägers ausgesetzt gewesen ist (vgl. vorstehend, Erw. III.7.3.), hat die Vor- instanz zu Recht das Vorliegen einer Notwehrsituation und damit eines Rechtfer- tigungsgrundes verneint (Urk. 81 S. 30 ff.). Die Vorinstanz hat zutreffend erwo- gen, dass die Aussagen des Beschuldigten betreffend das Holen des Messers in der Küche widersprüchlich ausgefallen sind. So machte dieser einerseits geltend, er wisse nicht mehr genau, wo sich der Privatkläger zu diesem Zeitpunkt befunden habe, um dann andererseits auszuführen, der Privatkläger habe im Ein- gangsbereich gewartet, respektive in Abweichung dazu, dieser sei ihm in die Kü- che gefolgt (vgl. vorstehend, Erw. III.7.3.2.1.). Aufgrund der widersprüchlichen Aussagen und der Fotodokumentation von der Küche (Urk. 4/4) ist davon auszu- gehen, dass sich der Beschuldigte während des gegenseitigen tätlichen Schlag- abtausches für einen kurzen Moment von der Streitörtlichkeit im Eingangsbereich der Wohnung entfernt haben musste, um das Messer in der Küche zu holen. Die Küchenschublade, aus welcher er das Messer behändigt hat, befand sich in der hintersten Ecke der Küche (vgl. Urk. 4/4; Urk. 4/5). Der Beschuldigte hatte sich somit von der Streitörtlichkeit kurzzeitig entfernt und damit Abstand und räumliche Distanz zum Privatkläger gewonnen. Dadurch wurde der Angriff unterbrochen, dieser dauerte nicht mehr an und drohte auch nicht mehr unmittelbar. Wie bereits erwogen (vorstehend, Erw. III.7.3.), handelte es sich zwischen dem Beschuldigten und dem Privatkläger um einen ausgeglichenen Kampf, sodass für den Beschul- digten zu keinem Zeitpunkt Anlass und die Notwendigkeit dafür bestand, ein Mes- ser zu holen und dieses gegen den Privatkläger einzusetzen. Der Messereinsatz als Reaktion auf die Faustschläge des Privatklägers stellt keine verhältnismässige Abwehr dar. Insbesondere aufgrund des eher geringfügigen Verletzungsbildes des Beschuldigten (vgl. vorstehend, Erw. III.6.3.) erweist sich der Einsatz des Messers als unangemessen und nicht mehr von der Notwehr gedeckt. Der Beschuldigte hätte den Privatkläger warnen, ihm den Einsatz des Messers zumin- dest nur androhen oder andere mildere Mittel anwenden müssen. Selbst wenn zugunsten des Beschuldigten (Art. 10 Abs. 3 StPO) davon auszugehen ist, dass ihm der Privatkläger in die Küche gefolgt ist, wäre es für den Beschuldigten prob- lemlos möglich gewesen, die Küchentür zu schliessen und so die konfliktbeladene Situation respektive die Auseinandersetzung mit dem Privatkläger zu beenden (vgl. vorstehend, Erw. III.7.3.2.7.). Dies wäre ihm – entgegen der Auffassung der Verteidigung – als milderes Mittel zumutbar gewesen. Auch eine entschuldbare Notwehr im Sinne von Art. 16 StGB fällt in Übereinstimmung mit der Vorinstanz (Urk. 81 S. 32) bei dieser Ausgangslage ausser Betracht. Denn selbst wenn von einer Notwehrsituation ausgegangen würde, läge aufgrund der völlig unverhält- nismässigen Reaktion des Beschuldigten ein derart extremer Exzess vor, welcher

        nicht gerechtfertigt gewesen ist. Weitere Rechtfertigungs- oder Schuldaus- schlussgründe liegen nicht vor.

    5. Der Beschuldigte ist ferner der versuchten vorsätzlichen Tötung im Sinne von Art. 111 StGB in Verbindung mit Art. 22 Abs. 1 StGB schuldig zu sprechen.

  1. Strafzumessung

    1. Vorbemerkungen

      Die Vorinstanz bestrafte den Beschuldigten mit einer Freiheitsstrafe von 5½ Jah- ren, wovon 409 Tage durch Haft erstanden sind, sowie einer Busse von Fr. 600.– (Urk. 81 S. 48). Da einzig der Beschuldigte Berufung gegen das vorinstanzliche Urteil erhoben hat, fällt eine strengere Bestrafung aufgrund des Verschlechte- rungsverbotes ausser Betracht (Verbot der reformatio in peius; Art. 391 Abs. 2 StPO).

    2. Allgemeine Grundsätze

      1. Die allgemeinen Regeln und Kriterien der Strafzumessung wurden im vor- instanzlichen Urteil zutreffend wiedergegeben (Urk. 81 S. 33 ff.). Dies braucht nicht wiederholt zu werden.

      2. Der Strafrahmen für die vorsätzliche Tötung beträgt 5 bis 20 Jahre Frei- heitsstrafe (Art. 111 StGB, Art. 40 Abs. 2 StGB). Der Umstand, dass es beim Ver- such blieb, wird im Rahmen des ordentlichen Strafrahmens strafmindernd zu be- rücksichtigen sein. Es ist zwingend eine Freiheitsstrafe auszufällen. Für die mehr- fache Übertretung des Betäubungsmittelgesetzes im Sinne von Art. 19a Ziff. 1 BetmG ist eine separate Busse auszufällen.

    3. Strafzumessung in concreto

      1. Versuchte vorsätzliche Tötung

        1. Tatkomponenten

          1. Objektive Tatschwere

            Bei der objektiven Tatschwere ist zu berücksichtigen, dass der Beschuldigte wäh- rend einer körperlichen Auseinandersetzung und somit in einem hochdynami- schen Geschehen mit einem Messer mit einer Klingenlänge von 20 cm mehrere kräftige Stiche gegen den Oberkörper des Privatklägers ausführte und bei diesem die anklagegegenständlichen Verletzungen verursachte. Dass der Beschuldigte sich von der Streitörtlichkeit entfernte, um in der Küche ein Messer zu holen, und er dieses dann ohne Vorwarnung gegen den Privatkläger einsetzte, wodurch die- ser Angriff für den Privatkläger völlig überraschend kam und ihm keine Chance liess, sich vollständig abzuwenden oder zu fliehen, zeigt das kompromisslose Vorgehen des Beschuldigten, was erheblich ins Gewicht fällt. Die objektive Tat- schwere ist somit als mittelschwer zu bezeichnen und würde eine hypothetische Einsatzstrafe von 11 Jahren rechtfertigen.

          2. Subjektive Tatschwere

            Bei der subjektiven Tatschwere ist zu berücksichtigen, dass dem Beschuldigten kein planmässiges Handeln nachgewiesen werden kann und das mehrmalige Zu- stechen zu dessen Gunsten als Kurzschlusshandlung zu qualifizieren ist. Zudem hat der Privatkläger selber ebenfalls massgeblich zu diesem Streit beigetragen, indem er den Beschuldigten vorgängig beleidigte und Faustschläge gegen diesen austeilte. Es erscheint somit nachvollziehbar, dass das Verhalten des Privatklä- gers beim Beschuldigten eine gewisse Aufregung auslöste, wenngleich ganz klar nicht von blosser Abwehr und somit auch sicher nicht von einer eigentlichen Not- wehrsituation auszugehen ist. Das Verhalten des Beschuldigten offenbart ein grosses Aggressions- und Gewaltpotential. Der Beschuldigte stand unter der kombinierten Wirkung von Alkohol, Kokain und Cannabis und wies im Tatzeit- punkt eine rückgerechnete Blutalkoholkonzentration von 0.44 Gew. ‰ (Minimal- wert) bis 1.25 Gew. ‰ (Maximalwert) auf. Sein koordiniertes Verhalten, insbeson- dere auch das Verstecken der Tatwaffe nach deren Einsatz, spricht gegen eine Einschränkung seiner Steuerungsfähigkeit im Sinne von Art. 19 StGB aufgrund seines alkoholisierten Zustandes. Zu seinen Gunsten ist immerhin davon auszu- gehen, dass sein alkoholisierter Zustand kombiniert mit Kokain und Cannabis zu einer gewissen Enthemmung und erhöhten Impulsivität geführt hatte. Wie bereits

            erwogen, ist von Eventualvorsatz auszugehen, sodass sich insgesamt das objek- tive Tatverschulden aufgrund der subjektiven Kriterien relativiert und eine Sen- kung der Einsatzstrafe auf 8 Jahre rechtfertigen würde.

          3. Verschuldensunabhängige Tatkomponente

            Als verschuldensunabhängige Tatkomponente ist zu berücksichtigen, dass der Privatkläger keine tödlichen Verletzungen erlitten hat, sondern ein Versuch im Sinne von Art. 22 Abs. 1 StGB vorliegt. Dies ist strafmindernd zu berücksichtigen. Das Ausmass der Strafreduktion hängt dabei von der Nähe des tatbestandsmäs- sigen Erfolges und von der Schwere der tatsächlichen Folgen der Tat ab. Die Re- duktion der Strafe hat umso geringer auszufallen, je näher der tatbestandsmässi- ge Erfolg und je schwerwiegender die Folgen der tatsächlichen Tat waren

            (BGE 121 IV 49 E. 1.b). Obwohl die Vorinstanz zutreffend erwogen hat, dass das Ausbleiben des Taterfolges entsprechend zu würdigen sei, unterliess sie es, eine allfällige Reduktion der Strafe zu prüfen (vgl. Urk. 81 S. 36). Vorliegend ist es nicht dem Verhalten des Beschuldigten, sondern einem glücklichen Zufall zu ver- danken, dass der Privatkläger nicht lebensgefährlich oder gar tödlich verletzt wur- de, als ersterer mehrmals kraftvoll Richtung Bauch auf den Oberkörper des Pri- vatklägers einstach und dabei aufgrund dessen Abwehrreaktion den linken Arm des Privatklägers traf. Durch die versuchte Tat fügte der Beschuldigte dem Privat- kläger zum Teil gravierende Verletzungen mit schwerwiegenden Folgen zu. Ge- mäss ärztlichem Befund des KSW vom 15. November 2019 habe die Durchtren- nung des Nervus radialis auf Oberarmhöhe zur Folge, dass Gefühlsausfälle in der Hand – vor allem die Funktion in der Streckung von Finger und Handgelenk – deutlich abgeschwächt seien. Solche Verletzungen würden häufig dauerhaft zu einer Funktionseinschränkung der Hand führen und bedürften einer Rehabilitati- onszeit von mindestens einem Jahr. Für handwerkliche Tätigkeiten dürfte die Ar- beitsunfähigkeit etwa neun bis zwölf Monate betragen, wenn überhaupt die Wie- deraufnahme einer handwerklichen Arbeitstätigkeit möglich wäre (Urk. 9/3 S. 2). Auch im Gutachten des IRM vom 10. Februar 2020 wird festgehalten, dass hin- sichtlich der Lähmung in der linken Hand prognostische Aussagen zur möglichen Wiederaufnahme der Nervenfunktion oder zu Folgeschäden nicht abschliessend

            getroffen werden könnten (Urk. 9/4 S. 5). Die Rechtsvertretung des Privatklägers führte ferner aus, dass der Physiotherapiebericht vom 18. September 2020

            (Urk. 44/1) zeige, dass die Mobilität und Kraft des linken oberen Arms nach wie vor schmerzhaft eingeschränkt und die Fortschritte sehr langsam seien. Der Pri- vatkläger könne offensichtlich keiner handwerklichen Tätigkeit nachgehen, und es sei von einer irreversiblen Schädigung auszugehen mit Auswirkungen auf alle All- tagsfunktionen und die Arbeitsfähigkeit (Urk. 68 S. 14). Auch im Arztbericht von Dr. med. J. vom 14. September 2020 wird festgehalten, dass von einer irre- versiblen Schädigung auszugehen sei mit Auswirkungen auf alle Alltagsfunktio- nen und die Arbeitsfähigkeit, wobei letztere Gegenstand einer Beurteilung durch die IV/Unfallversicherung sei (Urk. 44/2). Somit würde sich eine Reduktion der hypothetischen Einsatzstrafe um ein Jahre wegen Versuchs auf 7 Jahre Frei- heitsstrafe als angemessen erweisen.

        2. Täterkomponenten

          1. Persönliche Verhältnisse

            Der Beschuldigte führte zu seinen persönlichen Verhältnissen aus, dass er in der Stadt K. in L. , M. [Staat in Südamerika], geboren worden und zusammen mit drei Brüdern bei seinen Eltern aufgewachsen sei. Dort habe er auch die obligatorische Schulzeit und die Ausbildung als Grafiker absolviert, wo- bei er anschliessend auch in M. auf diesem Beruf gearbeitet habe. Er sei ein Artist und habe sein ganzes Leben als Künstler gearbeitet. Er habe auch Auf- tritte im Fernsehen gehabt, und er sei mit Musikgruppen in ganz M. auf Tour gewesen. Er sei erfolgreich gewesen. Im Jahr 2012 habe er die Mutter sei- ner Tochter kennengelernt. Er sei dann im Jahr 2015 in die Schweiz gekommen, wo er zu Beginn bei der Post, dann am Flughafen und später auf der Baustelle als Bauarbeiter gearbeitet habe. Zuletzt habe er als Gärtner und Tanzlehrer gearbei- tet. Als Gärtner habe er monatlich ca. Fr. 4'000.– und als Tanzlehrer Fr. 800.– verdient. Er habe vor seiner Verhaftung in D. zusammen mit seinem gut 13- jährigen Sohn N. , welcher zwischenzeitlich wieder nach M. zu seiner Mutter gekehrt sei, in einer Wohnung gelebt. Zudem habe er einen knapp 2- jährigen Sohn, O. , mit seiner Partnerin Frau P. und eine bald 7jährige Tochter, Q. , mit Frau R. (Urk. 2/1 S. 2 f.; Urk. 67 S. 21 f.; Prot. I S. 5 ff.; Prot. II S. 15 ff.). Aus den persönlichen Verhältnissen des Beschuldigten ergeben sich keine strafzumessungsrelevanten Aspekte.

          2. Vorleben

            Der Beschuldigte weist keine Vorstrafe auf (Urk. 86). Die Vorstrafenlosigkeit hat sich bei der Strafzumessung grundsätzlich neutral auszuwirken.

          3. Nachtatverhalten

            Beim Nachtatverhalten ist dem Verhalten des Täters nach der Tat und im Straf- verfahren Rechnung zu tragen. Ein Geständnis, das kooperative Verhalten eines Täters bei der Aufklärung von Straftaten sowie die Einsicht und Reue wirken sich strafmindernd aus. Umfangreiche und prozessentscheidende Geständnisse kön- nen eine Strafreduktion von bis zu einem Drittel bewirken (BGE 121 IV 202

            E. 2d/cc). Der Grad der Strafminderung hängt aber insbesondere davon ab, in welchem Stadium des Verfahrens das Geständnis erfolgte. Ein Geständnis kann bei der Analyse des Nachtatverhaltens im Rahmen der Strafzumessung somit zu- gunsten des Täters berücksichtigt werden, wenn es Ausdruck von Einsicht und Reue ist.

            Die bundesgerichtliche Praxis zeigt, dass nur ein ausgesprochen positives Nach- tatverhalten zu einer maximalen Strafreduktion von einem Drittel führen kann. Zu einem solchen gehört ein umfassendes Geständnis von allem Anfang an und aus eigenem Antrieb, also nicht erst auf konkrete Vorwürfe hin oder nach Vorlage ent- sprechender Beweise oder gar erst nach Ergehen eines erstinstanzlichen Schuld- spruches. Ferner gehört kooperatives Verhalten in der Untersuchung dazu, wenn beispielsweise aufgrund des Verhaltens eines Beschuldigten weitere Delikte auf- geklärt oder Mittäter zur Rechenschaft gezogen werden können, was ohne sein kooperatives Mitwirken nicht möglich gewesen wäre. Schliesslich gehört Einsicht ins Unrecht der Tat und Reue dazu. Nur wenn all diese Faktoren erfüllt sind, kann eine Strafreduktion von einem Drittel erfolgen. Fehlen einzelne Elemente, ist die

            Strafe entsprechend weniger stark zu mindern (WIPRÄCHTIGER/KELLER, in: Basler Kommentar Strafrecht I, a.a.O., N 169 ff. zu Art. 47 StGB).

            Der Beschuldigte war in Bezug auf den äusseren Sachverhalt von Beginn an ge- ständig, ein allfälliges Bestreiten diesbezüglich hätte angesichts der erdrückenden Beweislage aber auch kaum Sinn ergeben. Der Beschuldigte bestritt jedoch stets den inneren Sachverhalt und machte geltend, er habe sich lediglich aus Notwehr gegen den Privatkläger verteidigt und diesem keine tödlichen oder schweren Ver- letzungen zufügen wollen. Vor Vorinstanz äusserte sich der Beschuldigte zwar entschuldigend, indem er ausführte, er möchte sich hier vor allen Anwesenden entschuldigen. Zuerst einmal gegenüber dem anwesenden Richter und auch ge- genüber dem anwesenden Privatkläger. Sie seien zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen. Hätten sie sich damals nicht getroffen, wäre das alles nicht passiert (Prot. I S. 9). Tatsächliche Einsicht und Reue hinsichtlich seines Fehlverhaltens brachte er aber nicht zum Ausdruck. Das Teilgeständnis des Beschuldigten ist leicht strafmindernd zu berücksichtigen und würde eine Reduktion der hypotheti- schen Einsatzstrafe auf 6 Jahre rechtfertigen.

        3. Zwischenfazit

          Aufgrund des Verschlechterungsverbots hat es für die versuchte vorsätzliche Tö- tung bei einer Freiheitsstrafe von 5½ Jahren zu bleiben. An diese Strafe sind ge- stützt auf Art. 51 StGB 948 Tage Untersuchungs- und Sicherheitshaft sowie vor- zeitiger Strafvollzug anzurechnen (Urk. 15/1; Urk. 75).

      2. Mehrfache Übertretung des Betäubungsmittelgesetzes

        1. Für die mehrfache Übertretung des Betäubungsmittelgesetzes im Sinne von Art. 19a Ziff. 1 BetmG ist eine separate Busse festzusetzen, wobei der Höchstbetrag der Busse Fr. 10'000.– beträgt (Art. 106 Abs. 1 StGB).

        2. Die Vorinstanz erachtete eine Busse in der Höhe von Fr. 600.– als ange- messen und legte für den Fall der schuldhaften Nichtbezahlung eine Ersatzfrei- heitsstrafe von 6 Tagen fest (Urk. 81 S. 38).

        3. Wie bereits die Vorinstanz zutreffend erwogen hat, ist hinsichtlich der ob- jektiven Tatschwere die mehrfache Tatbegehung verschuldenserhöhend zu be- rücksichtigen. In subjektiver Hinsicht liegt direktvorsätzliche Tatbegehung vor, weshalb eine Strafminderung wegen Eventualvorsatz nicht zum Tragen kommt. Das Geständnis des Beschuldigten hinsichtlich seines Kokainkonsums ist jedoch strafmindernd zu berücksichtigen.

        4. Die von der Vorinstanz festgelegte Busse in der Höhe von Fr. 600.– er- scheint angemessen und ist zu bestätigen, zumal die Höhe der Busse vom Beschuldigten auch nicht moniert wird (Urk. 83 S. 3; Urk. 125 S. 2). Gestützt auf

          Art. 106 Abs. 2 StGB ist für den Fall, dass die Busse schuldhaft nicht bezahlt wird, eine Ersatzfreiheitsstrafe von 6 Tagen auszufällen.

      3. Fazit

Der Beschuldigte ist folglich mit einer Freiheitsstrafe von 5½ Jahren, wovon

948 Tage durch Untersuchungs- und Sicherheitshaft sowie vorzeitigen Strafvoll- zug erstanden sind, und einer Busse von Fr. 600.– zu bestrafen.

  1. Landesverweisung und Ausschreibung im SIS

    1. Landesverweisung

      1. Was die Voraussetzungen für die Anordnung einer Landesverweisung gemäss Art. 66a Abs. 1 StGB und die Frage, wann – aufgrund der Härtefallklausel gemäss Abs. 2 – ausnahmsweise von einer solchen abgesehen werden kann, be- trifft, kann zunächst auf die Ausführungen der Vorinstanz verwiesen werden (Urk. 81 S. 39 f.). Gemäss konstanter bundesgerichtlicher Rechtsprechung gelten mit Bezug auf die obligatorische Landesverweisung folgende Regeln (vgl. statt vieler Urteil des Bundesgerichts vom 8. September 2021 6B_748/2021 E. 1 mit zahlrei- chen Verweisen): Die obligatorische Landesverweisung wegen einer Katalogtat im Sinne von Art. 66a Abs. 1 StGB greift grundsätzlich unabhängig von der kon- kreten Tatschwere (BGE 144 IV 332 E. 3.1.3). Sie muss zudem unabhängig da- von ausgesprochen werden, ob es beim Versuch geblieben ist und ob die Strafe bedingt, unbedingt oder teilbedingt ausfällt (BGE 144 IV 168 E. 1.4.1). Von der

        Landesverweisung kann nur ausnahmsweise unter den kumulativen Vorausset- zungen abgesehen werden, dass sie (1.) einen schweren persönlichen Härtefall bewirken würde und (2.) die öffentlichen Interessen an der Landesverweisung ge- genüber den privaten Interessen des Ausländers am Verbleib in der Schweiz nicht überwiegen. Dabei ist der besonderen Situation von Ausländern Rechnung zu tragen, die in der Schweiz geboren oder aufgewachsen sind (Art. 66a Abs. 2 StGB). Diese sogenannte Härtefallklausel dient der Umsetzung des Verhältnis- mässigkeitsprinzips. Sie ist restriktiv anzuwenden (vgl. Art. 5 Abs. 2 BV, BGE 145 IV 364 E. 3.2 sowie BGE 144 IV 332 E. 3.1.2 und E. 3.3.1). Nach der bundesge- richtlichen Rechtsprechung lässt sich zur Prüfung des Härtefalls im Sinne von Art. 66a Abs. 2 StGB der Kriterienkatalog der Bestimmung über den schwerwiegen- den persönlichen Härtefall in Art. 31 Abs. 1 der Verordnung vom 24. Oktober 2007 über Zulassung, Aufenthalt und Erwerbstätigkeit (VZAE) heranziehen. Zu berücksichtigen sind namentlich der Grad der (persönlichen und wirtschaftlichen) Integration, einschliesslich familiärer Bindungen des Ausländers in der Schweiz sowie der Heimat, Aufenthaltsdauer und Resozialisierungschancen. Ebenso ist der Rückfallgefahr und wiederholter Delinquenz Rechnung zu tragen. Das Gericht darf auch vor dem Inkrafttreten von Art. 66a StGB begangene Straftaten berück- sichtigen (BGE 146 IV 105 E. 3.4.1 und 144 IV 332 E. 3.3.2). Die Sachfrage ent- scheidet sich mithin in einer Interessenabwägung nach Massgabe der öffentli- chen Interessen an der Landesverweisung. Nach der gesetzlichen Systematik ist die obligatorische Landesverweisung anzuordnen, wenn die Katalogtat einen Schweregrad erreicht, sodass die Landesverweisung zur Wahrung der inneren Sicherheit notwendig erscheint. Diese Beurteilung lässt sich strafrechtlich nur in der Weise vornehmen, dass massgebend auf die verschuldensmässige Natur und Schwere der Tatbegehung, die sich darin manifestierende Gefährlichkeit des Tä- ters für die öffentliche Sicherheit und die Legalprognose abgestellt wird (Urteile des Bundesgerichts 6B_742/2019 vom 23. Juni 2020 E. 1.1.2; 6B_627/2018 vom

        22. März 2019 E. 1.6.2; je mit Hinweisen).

      2. Ein schwerer persönlicher Härtefall liegt dann vor, wenn die Summe aller mit der Landesverweisung verbundenen Schwierigkeiten den Betroffenen derart hart trifft, dass ein Verlassen der Schweiz bei objektiver Betrachtung zu einem

        nicht hinnehmbaren Eingriff in seine Daseinsbedingungen führt (BUSSLIN- GER/ÜBERSAX, Härtefallklausel und migrationsrechtliche Auswirkungen der Lan- desverweisung, plädoyer 5/16 S. 101). Ein Härtefall ist jedoch nicht leichthin an- zunehmen, da der Strafrichter bei Katalogtaten gemäss Art. 66a Abs. 1 StGB nur ausnahmsweise von der Landesverweisung absehen darf (BUSSLINGER/ÜBERSAX, a.a.O., S. 97). Von einem schweren persönlichen Härtefall im Sinne von Art. 66a Abs. 2 StGB ist in der Regel bei einem Eingriff von einer gewissen Tragweite in den Anspruch des Ausländers auf das in Art. 13 BV und Art. 8 EMRK verankerte Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens auszugehen (Urteil des Bun- desgerichts 6B_378/2018 vom 22. Mai 2019 E. 2.2). Zu dem durch Art. 8 EMRK geschützten Familienkreis gehört insbesondere die Kernfamilie, d.h. die Gemein- schaft der Ehegatten mit den minderjährigen Kindern. Andere familiäre Verhält- nisse fallen dann in den Schutzbereich von Art. 8 EMRK, wenn eine genügend nahe, echte und tatsächlich gelebte Beziehung besteht, wobei als Hinweise dafür das Zusammenleben in einem gemeinsamen Haushalt, eine finanzielle Abhängig- keit, speziell enge familiäre Bindungen, regelmässige Kontakte oder die Über- nahme von Verantwortung für eine andere Person, gelten (Urteil des Bundesge- richts 2C_786/2018 vom 27. Mai 2019 E. 3.2.2). Das durch Art. 13 BV bzw. Art. 8 EMRK geschützte Recht auf Achtung des Familienlebens ist tangiert, wenn eine staatliche Entfernungs- oder Fernhaltemassnahme eine nahe, echte und tatsäch- lich gelebte familiäre Beziehung einer in der Schweiz gefestigt anwesenheitsbe- rechtigten Person beeinträchtigt, ohne dass es dieser ohne weiteres möglich resp. zumutbar wäre, ihr Familienleben andernorts zu pflegen (BGE 144 II 1 E. 6.1).

      3. Der Anspruch auf Achtung des Familienlebens gilt aber nicht absolut. Liegt eine aufenthaltsbeendende oder -verweigernde Massnahme im Schutz- und Anwendungsbereich von Art. 8 EMRK, erweist sich diese als zulässig, falls sie gesetzlich vorgesehen ist, einem legitimen Zweck im Sinne von Art. 8 Ziff. 2 EMRK entspricht – Schutz der nationalen oder öffentlichen Sicherheit, Aufrecht- erhaltung der Ordnung, Verhütung von Straftaten etc. – und verhältnismässig ist (Urteil des Bundesgerichts 6B_627/2018 vom 22. März 2019 E. 1.4). Bei der Prü- fung der Eingriffsvoraussetzungen nach Art. 8 Ziff. 2 EMRK sind als Kriterien die Natur und Schwere der Straftat, die Dauer des Aufenthalts im ausweisenden

        Staat, die seit der Straftat abgelaufene Zeit und das Verhalten während dieser Zeit, die Nationalität der betroffenen Personen, seine familiäre Situation, die Dau- er seiner Ehe, und andere Umstände, die ein tatsächliches Familienleben des Paares bezeugen, zu berücksichtigen. Dabei ist keines dieser Kriterien für sich al- lein ausschlaggebend, sondern es ist eine Würdigung der gesamten Umstände im Einzelfall erforderlich. Das Recht auf Schutz des Familien- und Privatlebens nach Art. 8 Ziff. 1 EMRK gilt in seiner verfahrensrechtlichen Tragweite als verletzt, wenn keine umfassende, faire Interessenabwägung vorgenommen wird (Urteil des Bundesgerichts 2C_786/2018 vom 27. Mai 2019 E. 3.3.3).

      4. Art. 66a StGB ist EMRK-konform auszulegen, sodass sich die Interes- senabwägung im Rahmen der Härtefallklausel von Art. 66a Abs. 2 StGB an der Verhältnismässigkeitsprüfung nach Art. 8 Ziff. 2 EMRK zu orientieren hat (Urteil des Bundesgerichts 6B_143/2019 vom 6. März 2019 E. 3.4). Härtefallbegründen- de Aspekte müssen sodann grundsätzlich den Betroffenen selbst treffen. Treten sie bei Dritten auf, sind sie nur dann zu berücksichtigen, wenn sie sich zumindest indirekt auch auf den Betroffenen auswirken (BUSSLINGER/ÜBERSAX, a.a.O.,

        S. 101).

      5. Steht fest, dass die Landesverweisung zu einer schweren persönlichen Härte führen würde, sind sodann die privaten Interessen des Beschuldigten an ei- nem Verbleib in der Schweiz den öffentlichen Interessen an der Landesverwei- sung, deren Gewicht wesentlich von der Art und Schwere der begangenen Delikte und der Legalprognose abhängt, gegenüberzustellen. Überwiegen die öffentlichen Interessen, muss die Landesverweisung ausgesprochen werden (BUSSLINGER/ ÜBERSAX, a.a.O., S. 102 ff.; Urteile des Bundesgerichts 6B_659/2018 vom

        20. September 2018 E. 3.3.3 und 6B_209/2018 vom 23. November 2018

        E. 3.3.2). Bei der Interessenabwägung ist der besonderen Situation von Auslän- dern Rechnung zu tragen, die in der Schweiz geboren oder aufgewachsen sind (Art. 66a Abs. 2 StGB; vgl. dazu Urteil des Bundesgerichts 6B_209/2018 vom

        23. November 2018 E. 3.3.2 ff.). Liegt bereits kein schwerer persönlicher Härtefall vor, so erübrigt sich eine weitere Interessenabwägung nach dem Gesetz (Urteil des Bundesgerichts 6B_34/2019 vom 5. September 2019, E. 2.4.3).

      6. Die Verteidigung wendet ein, der Beschuldigte lebe seit 7 Jahren in der Schweiz und sei ausserordentlich gut integriert. Er habe eine 7-jährige Tochter mit Frau R. sowie einen knapp 2-jährigen Sohn mit Frau P. . Zudem habe er einen 13-jährigen Sohn, welcher aufgrund der Verhaftung des Beschuldigten nach M. zu dessen Mutter habe zurückkehren müssen, dieser wolle nach der Freilassung des Beschuldigten aber wieder in die Schweiz kommen. Der Beschuldigte werde in der Schweiz somit als Vater und Mann gebraucht. Im Falle ei- ner Landesverweisung könne dieser seine in der Schweiz lebenden Kinder nicht mehr sehen, da dieser zurück in die […] müsse und er sich, soweit er überhaupt Arbeit finden würde, keinen Lebensstandard ermöglichen können werde, welcher auch Reisen nach Europa ermögliche. Der Beschuldigte sei auch sonst sehr gut integriert, da seine Arbeitgeber mit seiner Arbeit äusserst zufrieden gewesen sei- en. Entsprechend sei ein schwerer persönlicher Härtefall beim Beschuldigten ge- geben, ein überwiegendes öffentliches Interesse an einer Landesverweisung hin- gegen nicht (Urk. 67 S. 21 f.; Urk. 125 S. 40 ff.).

      7. Zutreffend erwogen hat die Vorinstanz, dass die Voraussetzungen für

        die Anordnung einer Landesverweisung erfüllt sind, da der Beschuldigte ausländi- scher Staatsangehöriger ist und eine Katalogtat vorliegt (Urk. 81 S. 41). Die von der Vorinstanz aufgezeigten massgeblichen Umstände betreffend Aufenthalts- dauer, familiäre Verhältnisse, Arbeits- und Ausbildungssituation, Grad der Integra- tion in der Schweiz sowie Resozialisierungschancen zeigen, dass beim Beschul- digten kein persönlicher Härtefall vorliegt, was auch von der Vorinstanz erwogen wurde (vgl. Urk. 81 S. 41).

        1. Der Beschuldigte ist in M. geboren worden und dort zusammen mit drei Brüdern bei den Eltern aufgewachsen. Er hat in M. die obligatorische Schulzeit und eine Ausbildung zum Grafiker absolviert. Bis zu seiner Einreise in die Schweiz im Jahr 2015 arbeitete er in M. als Grafiker und Künstler. Als Künstler war er erfolgreich, und er reiste mit Musikgruppen für Vorstellungen in ganz M. umher. Der Beschuldigte hatte vor seiner Einreise in die Schweiz ein gutes Leben in M. und einen erfolgreichen Job als Künstler, während er in der Schweiz diversen teilweise auch temporären Jobs nachging, sodass bei

          ihm nicht von einer gefestigten Existenz in der Schweiz gesprochen werden kann. In der Schweiz steht ihm weder in beruflicher noch in finanzieller Hinsicht eine baldige Verbesserung bevor. Ihm dürfte es grundsätzlich möglich sein, sich in

          M. wieder eine Existenz aufzubauen, um seinen Lebensunterhalt bestreiten zu können.

        2. Gemäss Angaben des Beschuldigten lebt seine ganze Familie in

          M. , er hat dort enge Freunde und besitzt dort ein eigenes Wohn- und Feri- enhaus (Urk. 17/7 S. 1 und S. 3; Urk. 116/3 S. 5). Dem wurde von der Verteidi- gung allerdings widersprochen, welche geltend machte, die Mutter des Beschul- digten habe lediglich eine Wellblechhütte in einer […] gehabt, welche sie aber aufgegeben habe, da das Leben dort viel zu gefährlich sei (Urk. 125 S. 40). Auch die Mutter seines inzwischen 13-jährigen Sohnes lebt in M. . Vor seiner Ver- haftung lebte der Beschuldigte zusammen mit seinem gut 13-jährigen Sohn in ei- ner Wohnung in D. . Sein Sohn kehrte nach der Verhaftung des Beschuldig- ten aber wieder nach M. zu seiner Mutter zurück, wo er nach wie vor lebt (Urk. 17/7 S. 1 ff.; Urk. 17/8 S. 2 ff.; Urk. 116/3; Prot. I S. 5 ff.). Entsprechend ver- fügt der Beschuldigte über einen intensiven Auslandsbezug und ein stabiles fami- liäres und soziales Umfeld in M. . Es wird dem Beschuldigten somit kaum Schwierigkeiten bereiten, sich wieder in die dortige Gesellschaft einzugliedern.

        3. Der Beschuldigte hat in der Schweiz zwei weitere Kinder, sodass eine Landesverweisung den Schutzbereich von Art. 8 EMRK tangiert. Allerdings lebt seine bald 7-jährige Tochter bei der Kindsmutter und Ex-Frau des Beschuldigten. Auch sein knapp 2-jähriger Sohn, welcher während der Haft geboren worden ist, lebt bei der Kindsmutter, welche die Partnerin des Beschuldigten ist. Da sich der Beschuldigte seit 948 Tagen – folglich seit mehr als 2½ Jahren – in Haft und im vorzeitigen Strafvollzug befindet, kann nicht von einer stabilen, tatsächlich geleb- ten Beziehung zu seinen beiden in der Schweiz lebenden Kindern gesprochen werden. Bei einer Landesverweisung würde der persönliche Kontakt zwischen dem Beschuldigten und seinen Kindern klarerweise eingeschränkt und hätte eine räumliche Trennung zur Folge. Dass eine solche Trennung für ihn eine gewisse Härte darstellen dürfte, ist nachvollziehbar. Zudem befinden sich die beiden Kinder in einem Alter, in welchem der regelmässige Kontakt zu beiden Elternteilen für die Entwicklung der Kinder sehr wichtig ist. Durch die Anordnung einer Landes- verweisung wird es dem Beschuldigten aber nicht verunmöglicht, den Kontakt zu seinen beiden Kindern halten zu können, zumal neben (Ferien-)Besuchen auch weiterer Kontakt mittels modernen Kommunikationsmitteln möglich ist. Eine An- ordnung der Landesverweisung hat demnach weder eine Verletzung von Art. 8 EMRK zur Folge noch ist aufgrund der Auswirkungen auf seine familiären Bezie- hungen ein schwerer persönlicher Härtefall zu bejahen. Weitere familiäre Bezie- hungen in der Schweiz hat der Beschuldigte nicht. Über besonders intensive, über eine normale Integration hinausgehende private Beziehungen beruflicher oder gesellschaftlicher Natur scheint der Beschuldigte somit nicht zu verfügen.

        4. Zur Beurteilung der Integration im weiteren Sinne ist das Sozialverhalten insgesamt zu berücksichtigen und damit auch eine frühere relevante Delinquenz (Urteil des Bundesgerichts 6B_1044/2019 vom 17. Februar 2020 E. 2.4.1 und

          E. 2.6). Zwar weist der Beschuldigte keine Vorstrafen auf (vgl. vorstehend, Erw. V.3.1.2.2.), allerdings hat er sich nicht nur der vorliegend zu beurteilenden Katalogtat der versuchten vorsätzlichen Tötung schuldig gemacht, sondern er

          wurde von der Vorinstanz auch wegen mehrfacher Übertretung des Betäubungs- mittelgesetzes im Sinne von Art. 19a Ziff. 1 StGB schuldig gesprochen, was eine gewisse Gleichgültigkeit gegenüber den hiesigen Gesetzen zeigt. Das gewalttäti- ge Vorgehen gegenüber dem Privatkläger zeigt auch, dass es ihm am nötigen Respekt vor der körperlichen Integrität anderer Personen fehlt.

        5. Im Rahmen einer gesamtheitlichen Betrachtung aller Umstände zeigt sich, dass die Wegweisung des Beschuldigten aus der Schweiz für ihn mit Unan- nehmlichkeiten verbunden ist und mit einer Distanzierung des persönlichen Kon- takts zu seiner Tochter und seinem jüngsten Sohn einhergeht. Dies stellt zwei- felsohne in gewissem Sinn eine nicht unerhebliche Härte für ihn dar. Allerdings verlangt das Gesetz für den Verbleib in der Schweiz einen schweren persönlichen Härtefall und zwar insofern, als die Landesverweisung als ganz klar unverhältnis- mässig und geradezu als stossend erachtet werden müsste. Davon kann aber bei den vorliegend zu beurteilenden Verhältnissen keine Rede sein, nachdem wie

          aufgezeigt eine gefestigte, erfolgreiche Integration des Beschuldigten in der Schweiz verneint werden muss und eine Rückkehr in sein Heimatland M. nicht gänzlich unzumutbar erscheint. Sodann ist es nicht unzumutbar, den Kon- takt zu seiner Tochter und seinem jüngsten Sohn per Video- und Audiotelefonie und mit Besuchen in seiner Heimat zu pflegen. Da kein Härtefall im Sinne von Art. 66a Abs. 2 StGB vorliegt, besteht auch keine Veranlassung, eine Abwägung zwischen den privaten Interessen des Beschuldigten an einem Verbleib in der Schweiz und den öffentlichen Interessen an seiner Fernhaltung vorzunehmen, denn die Härtefallklausel kommt nach dem klaren Wortlaut von Art. 66a Abs. 2 StGB nur in Ausnahmefällen unter den kumulativen Voraussetzungen zur Anwen- dung (vorstehend, Erw. VI.1.5.).

      8. Unter Berücksichtigung des Verschuldens des Beschuldigten, welches insgesamt als mittelschwer zu qualifizieren ist, und im Verhältnis zur angeordne- ten Freiheitsstrafe (vgl. vorstehend, Erw. V.) erweist sich eine Landesverweisung für die Dauer von 6 Jahren als angemessen. Der Beschuldigte ist im Sinne von Art. 66a Abs. 1 lit. a StGB für 6 Jahre des Landes zu verweisen.

    2. Ausschreibung im Schengener Informationssystem (SIS)

      1. Eine Ausschreibung von Drittstaatsangehörigen im Sinne von Art. 3 lit. d der Verordnung (EG) Nr. 1987/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über die Einrichtung, den Betrieb und die Nutzung des Schengener Informationssystems der zweiten Generation (SIS-II-Verordnung; ABl. L 381 vom 28. Dezember 2006) im SIS darf gemäss dem in Art. 21 SIS-II- Verordnung verankerten Verhältnismässigkeitsprinzip nur vorgenommen werden, wenn die Angemessenheit, Relevanz und Bedeutung des Falles dies rechtferti- gen. Voraussetzung der Ausschreibung im SIS ist eine nationale Ausschreibung, die auf einer Entscheidung der zuständigen nationalen Instanz (Verwaltungsbe- hörde oder Gericht) beruht (Art. 24 Abs. 1 SIS-II-Verordnung). Die Ausschreibung wird eingegeben, wenn die Entscheidung auf die Gefahr für die öffentliche Si- cherheit oder Ordnung oder die nationale Sicherheit gestützt wird, die die Anwe- senheit des betreffenden Drittstaatsangehörigen im Hoheitsgebiet eines Mitglied- staats darstellt (Art. 24 Abs. 2 Satz 1 SIS-II-Verordnung). Das ist insbesondere

        dann der Fall, wenn die betreffende Person in einem Mitgliedstaat wegen einer Straftat verurteilt wurde, die mit einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr bedroht ist (Art. 24 Abs. 2 Bst. a SIS-II-Verordnung), oder wenn gegen sie der be- gründete Verdacht besteht, dass sie schwere Straftaten begangen hat, oder wenn konkrete Hinweise bestehen, dass sie solche Straftaten im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats plant (Art. 24 Abs. 2 Bst. b SIS-II-Verordnung, vgl. zu den Voraus- setzungen für die Ausschreibung Urteil des Bundesgerichts vom 12. März 2021 6B_643/2020 E. 4.3.).

      2. Das Heimatland des Beschuldigten M. ist kein Mitgliedstaat des Schengen-Übereinkommens. Nachdem es sich vorliegend bei der versuchten vorsätzlichen Tötung weiter um ein schweres Delikt handelt, das mit Freiheitsstra- fe von mindestens 5 Jahren zu bestrafen ist, ist die vorinstanzlich angeordnete Ausschreibung im SIS zu bestätigen (Urk. 81 S. 42).

  1. Zivilansprüche

    1. Vorbemerkung

      Zur Vermeidung von Wiederholungen kann auf die zutreffenden Ausführungen der Vorinstanz zur adhäsionsweisen Geltendmachung von Zivilansprüchen ver- wiesen werden (Urk. 81 S. 44 f.).

    2. Schadenersatzforderung des Privatklägers

      1. Die Vorinstanz hat die Voraussetzungen für die Zusprechung von Scha- denersatz bei einer Körperverletzung (Vorliegen eines Schadens, Widerrechtlich- keit und Kausalzusammenhang sowie Verschulden) richtig aufgezeigt (Urk. 81 S. 45).

      2. Die Rechtsvertretung des Privatklägers beantragt, der Beschuldigte sei unter Nachklagevorbehalt zu verpflichten, dem Privatkläger Schadenersatz in der Höhe von Fr. 3'448.40, zuzüglich Zins von 5 % seit 3. November 2019, zu bezah- len. Zur Begründung führte sie aus, die Heilungs- und Arztkosten, welche durch den anklagegegenständlichen Vorfall verursacht worden seien, seien nicht voll-

        ständig durch die Versicherung des Privatklägers gedeckt worden. Dem Privat- kläger seien Kosten insbesondere aus Selbstbehalt der Krankenkasse und nicht übernommene Arzt- und Therapiekosten entstanden. Die Übersicht der gesamten nicht von der S. gedeckten Krankheits- und Unfallkosten könnten der Über- sicht der S. entnommen werden. Danach seien im Dezember 2019 Kosten von Fr. 1'900.90 und im Jahr 2020 solche von Fr. 1'547.50 angefallen. Der Beschuldigte sei daher zu verpflichten, dem Privatkläger diese Kosten in der Höhe von Fr. 3'448.40 zuzüglich 5 % Zins seit dem 3. November 2019 zu ersetzen. Da die Therapie noch nicht abgeschlossen sei und im Rahmen der weiterhin notwen- digen Rehabilitation zusätzliche Arzt- oder Therapiekosten anfallen würden, deren Höhe zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht beziffert werden könne, werde ein Nach- klagevorbehalt beantragt (Urk. 68 S. 12 f.; vgl. Prot. II S. 35 ff.).

      3. Die Kosten in der Höhe von Fr. 3'448.40 sind beziffert und begründet (Urk. 68 S. 13) und wurden durch die anlässlich der anklagegegenständlichen Auseinandersetzung mit dem Beschuldigten erlittenen Verletzungen des Privat- klägers verursacht. Zudem wurde die geltend gemachte Höhe der Schadenersatz- forderung vom Beschuldigten nicht moniert (Urk. 67 S. 22; Prot. I S. 79 f.). Der Entscheid der Vorinstanz ist zu bestätigen. Der Beschuldigte ist zu verpflichten, dem Privatkläger Schadenersatz von Fr. 3'448.40 zuzüglich Zins von 5 % seit

    3. November 2019 zu bezahlen unter Vorbehalt der Nachklage, da die Therapie des Beschuldigten noch nicht abgeschlossen ist (vgl. Urk. 44/1) und diesbezüglich weitere Kosten anfallen könnten, deren Höhe noch nicht beziffert werden kann.

  1. Genugtuung

    1. Was die Voraussetzungen und die Bemessungskriterien für eine Genug- tuung angeht, kann auf die zutreffenden Erwägungen der Vorinstanz verwiesen werden (Urk. 81 S. 45).

    2. Die Rechtsvertretung des Privatklägers beantragt, der Beschuldigte sei zu verpflichten, dem Privatkläger eine Genugtuung in der Höhe von Fr. 30'000.–, zu- züglich Zins von 5 % seit 3. November 2019, zu bezahlen. Zur Begründung führte sie aus, der Privatkläger sei durch die Messerattacke des Beschuldigten schwer

      verletzt worden, was eine Operation und eine fünftägige stationäre Behandlung zur Folge gehabt habe. Der zuständige Arzt habe eine dauerhafte Funktionsein- schränkung der Hand und eine Rehabilitationszeit von mindestens einem Jahr prognostiziert. Zwischenzeitlich sei von einer irreversiblen Schädigung auszuge- hen mit Auswirkungen auf alle Alltagsfunktionen und die Arbeitsfähigkeit, wobei letztere Gegenstand einer Beurteilung durch die IV/Unfallversicherung sei. Auch psychisch habe der Privatkläger von diesem Vorfall Folgen davongetragen. Der Privatkläger befinde sich nach wie vor in Psychotherapie, wobei gemäss Angaben der behandelnden Ärztin die Belastungsreaktion nach einigen Wochen in eine Anpassungsstörung mit Depression und Ängsten sowie eine posttraumatische Belastungsstörung übergegangen sei. Es sei somit belegt, dass der Privatkläger durch die vom Beschuldigten ausgeführte Messerattacke eine Verletzung seiner psychischen und körperlichen Integrität im Sinne von Art. 47 OR erlitten habe. Gesamthaft erscheine mit Blick auf vergleichbare Urteile eine Genugtuung in der Höhe von Fr. 30'000.– als angemessen (Urk. 68 S. 14 ff.; vgl. Prot. II S. 35 ff.).

    3. Grundsätzlich erscheinen die letztlich von der Vorinstanz zugesprochenen Fr. 20'000.– als angemessen. Der Privatkläger erlitt durch die Messerattacke des Beschuldigten zwei Stichverletzungen am linken Arm, wobei beim Unterarm Mus- keln und Sehnenstrukturen verletzt und beim Oberarm mehrere Splitter heraus- geschlagen und eine tiefe Kerbe im Knochen hinterlassen wurde. Durch die Stichverletzung am Oberarm wurde ein grosser Nerv, mehrere Blutgefässe und die Muskulatur durchtrennt. Der Privatkläger musste sofort einer Operation unter- zogen werden und befand sich 5 Tage in stationärer Behandlung (vgl. Urk. 9/3-4). Die Arztberichte vom September 2020 zeigen, dass die Mobilität und Kraft des linken oberen Arms nach wie vor schmerzhaft eingeschränkt und von einer irre- versiblen Schädigung auszugehen ist mit Auswirkungen auf alle Alltagsfunktionen und die Arbeitsfähigkeit, wobei letztere Gegenstand einer Beurteilung durch die IV/Unfallversicherung ist. Zudem leidet der Privatkläger nach wie vor auch an psychischen Problemen (Urk. 44/1-2). Mit der Festsetzung einer Genugtuung von Fr. 20'000.– hat die Vorinstanz allen Umständen angemessen Rechnung getra- gen. Der vorinstanzliche Entscheid ist zu bestätigen. Im Mehrbetrag ist das Ge- nugtuungsbegehren des Privatklägers abzuweisen.

  1. Kosten- und Entschädigungsfolgen

    1. Erstinstanzliches Verfahren

      1. Fällt die Rechtsmittelinstanz selber einen neuen Entscheid, so befindet sie darin auch über die von der Vorinstanz getroffene Kostenregelung (Art. 428 Abs. 3 StPO). Da es auch im Berufungsverfahren beim Schuldspruch bleibt, ist das vorinstanzliche Kosten- und Entschädigungsdispositiv (Ziff. 13 und 14) zu be- stätigen, und dem Beschuldigten ist keine Genugtuung für die erlittene Haft zuzu- sprechen.

      2. Die Vorinstanz hat den Beschuldigten verpflichtet, dem Privatkläger für das gesamte Verfahren eine Prozessentschädigung von Fr. 21'663.75 zu bezah- len (Urk. 81 S. 50). Sie hat erwogen, dass eine Entschädigung in dieser Höhe aufgrund der eingereichten Honorarnote belegt (vgl. Urk. 68 S. 18) und dem vor- liegenden Fall angemessen erscheine (Urk. 81 S. 47). Dieser Einschätzung ist beizupflichten, und die vorinstanzliche Regelung ist zu bestätigen. Der Beschul- digte hat die Höhe der Prozessentschädigung zudem nicht moniert (Urk. 67 S. 23; Urk. 83).

    2. Berufungsverfahren

      1. Im Berufungsverfahren werden die Kosten nach Obsiegen und Unterlie- gen auferlegt (Art. 428 Abs. 1 Satz 1 StPO). Der Beschuldigte unterliegt mit seiner Berufung vollumfänglich, weshalb ihm die gesamten Kosten des Berufungsverfah- rens, mit Ausnahme derjenigen der amtlichen Verteidigung, aufzuerlegen sind.

      2. Mit Beschluss vom 2. September 2021 wurde der frühere amtliche Vertei- diger, Rechtsanwalt Dr. iur. X2. , für seine Aufwendungen im Berufungsver- fahren bis am 18. August 2021 mit Fr. 2'112.75 aus der Gerichtskasse entschä- digt (Urk. 97). Vorbehalten bleibt das Rückforderungsrechts des Staates gegen- über dem Beschuldigten (Art. 135 Abs. 4 StPO).

      3. Der Privatkläger macht mit der eingereichten Honorarnote vom 7. Juni 2022 für das Berufungsverfahren eine Entschädigung von Fr. 4'293.05 (inkl.

Mehrwertsteuer) geltend (Urk. 130). Der Beschuldigte ist zu verpflichten, dem Pri- vatkläger B. für das Berufungsverfahren eine Prozessentschädigung von Fr. 4'293.05 zu bezahlen (Art. 436 Abs. 1 i.V.m. Art. 433 Abs. 1 StPO).

Es wird beschlossen:

  1. Es wird festgestellt, dass das Urteil des Bezirksgerichts Bülach, I. Abteilung, vom 15. Dezember 2020 bezüglich der Dispositivziffern 1, 2. Spiegelstrich (Schuldspruch wegen mehrfacher Übertretung des Betäubungsmittelgeset- zes), 7-10 (Entscheid über beschlagnahmte Gegenstände und Tatwaffe) und 13 (Kostenaufstellung) in Rechtskraft erwachsen ist.

  2. Mündliche Eröffnung und schriftliche Mitteilung mit nachfolgendem Urteil.

Es wird erkannt:

  1. Der Beschuldigte A. ist ferner schuldig der versuchten vorsätzlichen Tötung im Sinne von Art. 111 StGB in Verbindung mit Art. 22 Abs. 1 StGB.

  2. Der Beschuldigte wird bestraft mit 5½ Jahren Freiheitsstrafe, wovon 948 Tage durch Untersuchungs- und Sicherheitshaft sowie vorzeitigen Strafvollzug erstanden sind, sowie mit Fr. 600.– Busse.

  3. Die Busse ist zu bezahlen. Bezahlt der Beschuldigte die Busse schuldhaft nicht, so tritt an deren Stelle eine Ersatzfreiheitsstrafe von 6 Tagen.

  4. Der Beschuldigte wird im Sinne von Art. 66a Abs. 1 lit. a StGB für 6 Jahre des Landes verwiesen.

  5. Es wird die Ausschreibung der Landesverweisung (Einreise- und Aufent- haltsverweigerung) im Schengener Informationssystem angeordnet.

  6. Der Beschuldigte wird verpflichtet, dem Privatkläger B. als Schaden- ersatz Fr. 3'448.40 zuzüglich 5 % Zins seit 3. November 2019 zu bezahlen unter Vorbehalt der Nachklage.

  7. Der Beschuldigte wird verpflichtet, dem Privatkläger B. Fr. 20'000.– zuzüglich 5 % Zins seit 3. November 2019 als Genugtuung zu bezahlen. Im Mehrbetrag wird die Genugtuungsforderung abgewiesen.

  8. Die erstinstanzliche Kostenauflage (Ziff. 14) wird bestätigt.

  9. Der Beschuldigte wird verpflichtet, dem Privatkläger für die Untersuchung und das erstinstanzliche Gerichtsverfahren eine Prozessentschädigung von Fr. 21'663.75 zu bezahlen.

  10. Die zweitinstanzliche Gerichtsgebühr wird festgesetzt auf: Fr. 5'000.– ; die weiteren Kosten betragen:

    Fr. 2'112.75 amtliche Verteidigung durch Rechtsanwalt

    Dr. iur. X2. bis zum 18. August 2021.

  11. Die Kosten des Berufungsverfahrens, mit Ausnahme derjenigen der früheren amtlichen Verteidigung, werden dem Beschuldigten auferlegt. Die Kosten der früheren amtlichen Verteidigung werden auf die Gerichtskasse genom- men. Die Rückzahlungspflicht des Beschuldigten gemäss Art. 135 Abs. 4 StPO bleibt vorbehalten.

  12. Der Beschuldigte wird verpflichtet, dem Privatkläger für das Berufungsver- fahren eine Prozessentschädigung von Fr. 4'293.05 zu bezahlen.

  13. Mündliche Eröffnung und schriftliche Mitteilung im Dispositiv an

  14. Rechtsmittel:

Gegen diesen Entscheid kann bundesrechtliche Beschwerde in Straf- sachen erhoben werden.

Die Beschwerde ist innert 30 Tagen, vom Empfang der vollständigen, be- gründeten Ausfertigung an gerechnet, bei der Strafrechtlichen Abteilung des Bundesgerichtes (1000 Lausanne 14) in der in Art. 42 des Bundesgerichts- gesetzes vorgeschriebenen Weise schriftlich einzureichen.

Die Beschwerdelegitimation und die weiteren Beschwerdevoraussetzungen richten sich nach den massgeblichen Bestimmungen des Bundesgerichts- gesetzes.

Obergericht des Kantons Zürich

II. Strafkammer

Zürich, 7. Juni 2022

Der Präsident:

Oberrichter lic. iur. Spiess

Die Gerichtsschreiberin:

MLaw Baechler

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