E-MailWeiterleiten
LinkedInLinkedIn

Urteil Obergericht des Kantons Zürich (ZH)

Zusammenfassung des Urteils SB210079: Obergericht des Kantons Zürich

Der Beschuldigte A. wurde vom Obergericht des Kantons Zürich freigesprochen. Die Anklage wegen fahrlässiger Körperverletzung und fahrlässiger Gefährdung durch Verletzung der Regeln der Baukunde konnte nicht nachgewiesen werden. Die Zivilklage des Privatklägers D. wurde auf den Zivilweg verwiesen. Die Kosten des Verfahrens wurden dem Beschuldigten auferlegt. Die Gerichtskosten betrugen insgesamt 2'000 CHF, die Kosten für die Wahlverteidigung des Beschuldigten wurden auf 8'456.15 CHF festgesetzt.

Urteilsdetails des Kantongerichts SB210079

Kanton:ZH
Fallnummer:SB210079
Instanz:Obergericht des Kantons Zürich
Abteilung:I. Strafkammer
Obergericht des Kantons Zürich Entscheid SB210079 vom 06.09.2021 (ZH)
Datum:06.09.2021
Rechtskraft:-
Leitsatz/Stichwort:Fahrlässige Körperverletzung etc. und Widerruf
Schlagwörter : Beschuldigte; Palette; Beschuldigten; Vorinstanz; Urteil; Berufung; Anklage; Ladung; Privatkläger; Verfahren; Gericht; Staatsanwaltschaft; Sinne; Recht; Rollen; Plastik; Mitbeschuldigte; Verfahren; Körperverletzung; Entscheid; Urteils; Anheben; Antrag; Privatklägers; Gurte; Aussage; Verteidigung
Rechtsnorm:Art. 125 StGB ;Art. 229 StGB ;Art. 32 BV ;Art. 325 StPO ;Art. 329 StPO ;Art. 350 StPO ;Art. 391 StPO ;Art. 398 StPO ;Art. 402 StPO ;Art. 404 StPO ;Art. 423 StPO ;Art. 426 StPO ;Art. 6 StPO ;Art. 82 StPO ;Art. 9 StPO ;
Referenz BGE:143 IV 63;
Kommentar:
-

Entscheid des Kantongerichts SB210079

Obergericht des Kantons Zürich

I. Strafkammer

Geschäfts-Nr.: SB210079-O/U/jv

Mitwirkend: Oberrichter lic. iur. S. Volken, Präsident, Oberrichterin lic. iur. R. Affolter und Oberrichter lic. iur. C. Maira sowie Gerichtsschreiberin MLaw N. Hunziker

Urteil vom 6. September 2021

in Sachen

A. ,

Beschuldigter und Berufungskläger

verteidigt durch Rechtsanwalt lic. iur. X. ,

gegen

Staatsanwaltschaft Winterthur/Unterland, vertreten durch Staatsanwältin lic. iur. S. Steinhauser,

Anklägerin und Berufungsbeklagte

betreffend fahrlässige Körperverletzung etc. und Widerruf

Berufung gegen ein Urteil des Bezirksgerichtes Bülach, Einzelgericht, vom 25. November 2020 (GG200020)

Anklage:

Die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Winterthur/Unterland vom

21. April 2020 (Urk. 40) ist diesem Urteil beigeheftet.

Entscheid der Vorinstanz:

(Urk. 83 S. 22 f.)

Es wird erkannt:

  1. Der Beschuldigte A.

    ist schuldig

    • der fahrlässigen Körperverletzung im Sinne von Art. 125 StGB sowie

    • der fahrlässigen Gefährdung durch Verletzung der Regeln der Baukunde im Sinne von Art. 229 StGB.

  2. Der Beschuldigte wird bestraft mit einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu Fr. 130.- (entsprechend Fr. 13'000.-).

  3. Der Vollzug der Geldstrafe wird aufgeschoben und die Probezeit auf 3 Jahre festgesetzt.

  4. Der mit Strafbefehl der Staatsanwaltschaft Baden vom 17. Januar 2017 für eine Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu Fr. 130.- unter Ansetzung einer Probezeit von 2 Jahren gewährte bedingte Strafvollzug wird nicht widerrufen, aber die Probezeit wird um 1 Jahr (ab Urteils- datum: 25. November 2020) verlängert.

  5. Es wird festgestellt, dass der Beschuldigte gegenüber dem Privatkläger aus dem eingeklagten Ereignis dem Grundsatze nach schadenersatzpflichtig und genugtuungspflichtig ist. Zur genauen Feststellung des Umfangs des Schadenersatz- und des Genugtuungsanspruchs wird der Privatkläger auf den Weg des Zivilprozesses verwiesen.

  6. Die Entscheidgebühr wird festgesetzt auf:

    Fr. 2'000.-; die weiteren Auslagen betragen:

    Fr. 8'000.- Gebühr für das Vorverfahren,

    Fr. 63.70 Zeugenentschädigung. Allfällige weitere Auslagen bleiben vorbehalten.

  7. Die Kosten der Untersuchung und des gerichtlichen Verfahrens werden dem Beschuldigten auferlegt.

  8. Der Beschuldigte wird verpflichtet, dem Privatkläger für das gesamte Verfahren eine Prozessentschädigung von Fr. 8'456.15 (inkl. MwSt.) zu bezahlen.

  9. [Mitteilung]

  10. [Rechtsmittel]

Berufungsanträge:

  1. Der Verteidigung des Beschuldigten (Urk. 87 S. 2; Urk. 112 S. 2)

    1. Das Urteil des Bezirksgerichts Bülach vom 25. November 2020 (GG200020- C/U1) sei vollumfänglich aufzuheben.

    2. A. sei vollumfänglich freizusprechen, soweit das Verfahren nicht einzustellen ist.

    3. Die Zivilklage sei abzuweisen, eventualiter auf den Zivilweg zu verweisen.

    4. A. sei für die Kosten der Wahlverteidigung in Anwendung von Art. 429 Abs. 1 lit. a StPO angemessen zu entschädigen.

    5. Unter Kosten- und Entschädigungsfolgen sämtlicher Verfahren zulasten des Staates.

  2. Der Staatsanwaltschaft: (Urk. 93 S. 1)

    Bestätigung des vorinstanzlichen Urteils

    Erwägungen:

    1. Verfahrensgang
      1. Zum Verfahrensgang bis zum vorinstanzlichen Urteil kann zwecks Vermei- dung von Wiederholungen auf die zutreffenden Erwägungen der Vorinstanz im angefochtenen Entscheid verwiesen werden (Urk. 83 S. 4 E. 1.).

      2. Mit Urteil des Bezirksgerichts Bülach vom 25. November 2020 wurde der Beschuldigte gemäss dem eingangs wiedergegebenen Urteilsdispositiv schuldig gesprochen und bestraft. Gegen das Urteil meldete der Beschuldigte mit Eingabe vom 3. Dezember 2020 fristgemäss Berufung an (Urk. 74). Ihr begründetes Urteil versandte die Vorinstanz am 15. Januar 2021 (Urk. 80).

      3. Innert Frist erklärte der Beschuldigte mit Eingabe vom 5. Februar 2021 Berufung und stellte einen Beweisantrag (Urk. 87). Mit Verfügung vom

      17. Februar 2021 ging die Berufungserklärung an den Privatkläger und die Staatsanwaltschaft und wurde diesen Frist angesetzt, um zu erklären, ob Anschlussberufung erhoben wird um ein Nichteintreten auf die Berufung zu beantragen sowie um freigestellt (Privatkläger) bzw. obligatorisch (Staatsanwaltschaft) zum Beweisantrag des Beschuldigten Stellung zu nehmen. Gleichzeitig wurde der Beschuldigte aufgefordert, ein Datenerfassungsblatt sowie diverse Unterlagen zu seinen finanziellen Verhältnissen einzureichen (Urk. 91). Mit Eingabe vom 19. Februar 2021 beantragte die Staatsanwaltschaft die Abweisung des Beweisantrages des Beschuldigten sowie die Bestätigung des vorinstanzlichen Urteils (Urk. 93). Der Privatkläger liess sich innert Frist nicht vernehmen. Innert zweimal erstreckter Frist (Urk. 95 und 97) liess der Beschuldigte das angeforderte Datenerfassungsblatt mitsamt weiterer Unterlagen beibringen (Urk. 101/1-5). Mit Verfügung vom 27. April 2021 wurde der Beweisantrag des Beschuldigten abgewiesen (Urk. 102).

      4. Zur Berufungsverhandlung vom 6. September 2021 erschien der Beschul- digte in Begleitung seines Verteidigers, Rechtsanwalt lic. iur. X. . Im Anschluss an die Verhandlung erging nachfolgendes Urteil.

    2. Umfang der Berufung und Verschlechterungsverbot
      1. Gemäss Art. 402 StPO hat die Berufung im Umfang der Anfechtung aufschiebende Wirkung und wird die Rechtskraft des angefochtenen Urteils dementsprechend gehemmt. Das Berufungsgericht überprüft somit das erstinstanzliche Urteil von hier nicht zutreffenden Ausnahmen abgesehen (vgl. Art. 404 Abs. 2 StPO) - nur in den angefochtenen Punkten (Art. 404 Abs. 1 StPO). Der Beschul- digte hat mit seiner Berufung einen vollumfänglichen Freispruch beantragt (Urk. 87 S. 2; Urk. 112 S. 2), weshalb das vorinstanzliche Urteil als vollumfänglich angefochten gilt.

      2. Gemäss Art. 398 Abs. 2 StPO kann das Berufungsgericht das Urteil in allen angefochtenen Punkten umfassend überprüfen. Im Berufungsverfahren ist das vorinstanzliche Urteil demnach als Ganzes zu überprüfen. Nach Art. 391 Abs. 2 StPO darf die Rechtsmittelinstanz Entscheide nicht zum Nachteil der beschuldigten verurteilten Person abändern, wenn das Rechtsmittel nur zu deren Gunsten ergriffen worden ist. Die Staatsanwaltschaft hat weder Berufung noch Anschlussberufung gegen das vorinstanzliche Urteil eingelegt, sondern ausdrücklich die Bestätigung des vorinstanzlichen Erkenntnisses beantragt (Urk. 93 S. 1). Eine Abänderung des vorinstanzlichen Urteils zulasten des Beschuldigten ist dem Berufungsgericht daher verwehrt.

      3. Dem Beschuldigten werden in der Anklage im Wesentlichen zwei Pflichtverletzungen vorgeworfen. Diesbezüglich kann zwecks Vermeidung von Wiederholungen grundsätzlich auf die zutreffenden Ausführungen der Vorinstanz im angefochtenen Urteil verwiesen werden (Urk. 83 S. 5 E. 2.). Zusammengefasst wird dem Beschuldigten einerseits vorgeworfen, er habe sich als Kranführer pflichtwidrig nicht vergewissert, dass die am Kranhaken befestigte bzw. angeschlagene

      Ladung vom Anschläger und Mitbeschuldigten B.

      korrekt angeschlagen

      worden sei und zweitens habe er die angeschlagene Ladung angehoben, ohne

      dass der Mitbeschuldigte B.

      das hierfür korrekte Zeichen gegeben habe

      (Urk. 40 S. 2 ff.). Ob der Beschuldigte die Ladung anhob, obwohl der Mitbeschul- digte B. das hierfür korrekte Zeichen nicht gab, wurde von der Vorinstanz materiell nicht geprüft und folglich nicht bejaht (Urk. 83 S. 13 E. 4.2.14.). Die dem

      Beschuldigten weiter zur Last gelegte unterlassene Kontrolle des richtigen Anschlagens der Ladung durch den Anschläger und Mitbeschuldigten B. vor dem Anheben der Ladung wurde von der Vorinstanz ausdrücklich verneint (a.a.O.

      S. 10 E. 4.2.6.). Die beiden dem Beschuldigten in der Anklage vorgeworfenen Pflichtverletzungen begangen vor dem Anheben der angeschlagenen Ladung wurden demgemäss von der Vorinstanz nicht bejaht, weshalb der Berufungsinstanz eine weitere Auseinandersetzung damit aufgrund des Verschlechterungsverbotes im Sinne von Art. 391 Abs. 2 StPO verwehrt ist.

    3. Prozessuales
  1. Allgemeines

    Soweit für die tatsächliche und rechtliche Würdigung des eingeklagten Sachverhaltes auf die Erwägungen der Vorinstanz verwiesen wird, so erfolgt dies in Anwendung von Art. 82 Abs. 4 StPO, auch ohne dass dies jeweils explizit Erwäh- nung findet. Weiter ist an dieser Stelle festzuhalten, dass aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör die Pflicht des Gerichts folgt, seinen Entscheid zu begründen. Die Begründung muss kurz die wesentlichen Überlegungen nennen, von denen sich das Gericht hat leiten lassen und auf die es seinen Entscheid stützt. Es darf sich aber auf die wesentlichen Gesichtspunkte beschränken und muss sich nicht ausdrücklich mit jeder tatsächlichen Behauptung und jedem rechtlichen Einwand auseinandersetzen und diese widerlegen. Es kann sich mithin auf die für den Entscheid wesentlichen Punkte beschränken. Ein unverhältnismässiger Motivationsaufwand kann nicht eingefordert werden. Ebenso wenig lässt sich Art. 6 Ziff. 1 EMRK in der Weise auslegen, dass eine detaillierte Antwort auf jedes Argument gefordert würde (vgl. dazu statt Weiterer Urteil des Bundesgerichtes 6B_689/2019 vom 25. Oktober 2019 E. 1.5.2., mit Hinweisen).

  2. Strafantrag

    Strittig war vor Vorinstanz, ob die Strafverfolgung wegen fahrlässiger Körperverletzung eines Strafantrages bedarf. Dazu machte der Beschuldigte vor Vorinstanz geltend, die Staatsanwaltschaft habe eine fahrlässige einfache Körperverletzung

    im Sinne von Art. 125 Abs. 1 StGB angeklagt und der dafür notwendige Strafantrag fehle, weshalb das Strafverfahren einzustellen sei (Urk. 64 S. 9). Die Vorinstanz führte dazu unter Hinweis auf den Betreff der Anklageschrift und den Anklagesachverhalt (Urk. 40) aus, daraus könne deutlich entnommen werden, dass eine fahrlässige schwere Körperverletzung eingeklagt worden sei. Die Staatsanwaltschaft habe zudem als rechtliche Grundlage zu Recht Art. 125 Abs. 1 StGB angeführt, welche Gesetzesbestimmung sowohl den Strafrahmen für die fahrlässige einfache als auch für die fahrlässige schwere Körperverletzung nenne. Die Verletzungen des Privatklägers seien denn auch klarerweise als schwere Körperverletzung zu qualifizieren. Folglich sei gemäss Art. 125 Abs. 2 StGB kein Strafantrag nötig, sondern der Täter sei von Amtes wegen zu verfolgen (Urk. 83 S. 6 f.

    E. 3.2.2. f.). Diese einlässlichen Ausführungen der Vorinstanz, welche im Übrigen im Berufungsverfahren vom Beschuldigten auch nicht in Abrede gestellt wurden, sind zutreffend und bedürfen keinerlei Ergänzungen, weshalb vollumfänglich darauf verwiesen werden kann.

  3. Anklagegrundsatz

    1. Nach dem Anklagegrundsatz bestimmt die Anklageschrift den Gegenstand des Gerichtsverfahrens (Umgrenzungsfunktion; Art. 9 und Art. 325 StPO; Art. 29 Abs. 2 und Art. 32 Abs. 2 BV; Art. 6 Ziff. 1 und Ziff. 3 lit. a und b EMRK). Das Gericht ist an den in der Anklage wiedergegebenen Sachverhalt gebunden (Immutabilitätsprinzip; vgl. Art. 350 StPO). Die Anklage hat die der beschuldigten Person zur Last gelegten Delikte in ihrem Sachverhalt so präzise zu umschreiben, dass die Vorwürfe in objektiver und subjektiver Hinsicht genügend konkretisiert sind. Das Akkusationsprinzip bezweckt zugleich den Schutz der Verteidigungsrechte der beschuldigten Person und dient dem Anspruch auf rechtliches Gehör (Informationsfunktion). Die beschuldigte Person muss unter dem Gesichtspunkt der Informationsfunktion aus der Anklage ersehen können, wessen sie angeklagt ist. Das bedingt eine zureichende Umschreibung der Tat. Entscheidend ist, dass der Betroffene genau weiss, welcher konkreter Handlungen er beschuldigt und wie sein Verhalten rechtlich qualifiziert wird, damit er sich in seiner Verteidigung richtig vorbereiten kann. Er darf nicht Gefahr laufen, erst an der Gerichtsverhandlung

      mit neuen Anschuldigungen konfrontiert zu werden (vgl. statt weiterer BGE 143 IV 63 S. 65 E. 2.2).

    2. Vom Beschuldigten nicht expressis verbis gerügt wurde eine Verletzung des Anklagegrundsatzes. Aufgrund der geltenden Untersuchungsmaxime (Art. 6 StPO) ist dessen Einhaltung indes von Amtes wegen zu prüfen.

    3. Die Vorinstanz stützte ihren Schuldspruch auf eine aus ihrer Sicht vom Beschuldigten begangene Pflichtverletzung nach dem Anheben der angeschlagenen Ladung. So erwog die Vorinstanz, nach dem Anheben der Ladung in ca. fünf bis sechs Meter Höhe habe der Beschuldigte bemerkt, dass ein Spannset um die Palette gespannt worden sei. Ab diesem Moment hätte er nicht mehr darauf vertrau-

en dürfen, dass der Mitbeschuldigte B.

die Ladung korrekt angeschlagen

habe. Denn aufgrund des Spannsets hätten konkrete Anzeichen bestanden, dass die Ladung nicht korrekt angeschlagen worden sei. Tatsächlich seien dem Beschuldigten auch Zweifel an der Fabrikneuheit der Palette mit Bitumen-Rollen gekommen. Pflichtwidrig habe er den Transport dennoch fortgesetzt. In diesem Sin- ne sprach die Vorinstanz den Beschuldigten wegen fahrlässiger Körperverletzung im Sinne von Art. 125 StGB und fahrlässiger Gefährdung durch Verletzung der Regeln der Baukunde im Sinne von Art. 229 StGB schuldig (a.a.O. S. 10-12

E. 4.2.7.-4.2.13). Ein Fehlverhalten nach Anheben der Ladung wird dem Beschul- digten indes im verbindlichen Anklagesachverhalt nicht vorgeworfen. In der Anklage werden dem Beschuldigten einzig zwei Pflichtverletzungen, beide begangen vor dem Anheben der angeschlagenen Ladung, zur Last gelegt (vgl. dazu vorne unter E. II.3.). Gegen den durch die Vorinstanz neu aufgeworfenen Vorwurf, auf welchen sie auch einzig ihre Verurteilung stützte, vermochte sich der Beschuldigte denn auch im erstinstanzlichen Verfahren mangels Kenntnis nicht zu verteidigen (vgl. insbes. Urk. 64). Damit hat die Vorinstanz den Anklagegrundsatz im Sinne von Art. 9 StPO verletzt. Die Vorinstanz wäre allenfalls gehalten gewesen, die Anklage im Sinne von Art. 329 Abs. 2 StPO an die Anklagebehörde zur Ergänzung/Änderung des Anklagesachverhalts zurückzuweisen. Im vorliegenden Berufungsverfahren kann hierauf verzichtet werden, zumal sich wie im Folgenden zu zeigen sein wird - das von der Vorinstanz angenommene strafbare

Verhalten des Beschuldigten aufgrund der vorliegenden Beweislage ohnehin nicht erstellen lässt.

  1. Sachverhalt
    1. Aufgrund des Untersuchungsergebnisses ist zunächst erstellt, dass es am tt. April 2018 auf der Baustelle C. beim Flughafen Zürich-Kloten zu einem

      Bauunfall kam. Dabei schlug der Mitbeschuldigte B.

      eine Palette mit

      Bitumen-Rollen an eine Palettgabel an und der Beschuldigte hob diese Palette in der Folge mit dem Kran an und schwenkte sie nach links. Dabei fielen die Bitumen-Rollen von der Palette in die Baugrube, wo sich mehrere Bauarbeiter aufhielten, und wo mindestens eine der Rollen den Privatkläger D. traf und ihn lebensgefährlich verletzte, weshalb er seither komplett querschnittgelähmt ist (vgl. insbesondere Urk. 1; Urk. 8; Urk. 10/6; Urk. 10/13). Dies wurde vom Beschuldigten anerkannt (vgl. insbes. Urk. 111 S. 4).

    2. Die Vorinstanz hat weiter richtig erkannt, dass gestützt auf die Aussagen der

      Zeugen E.

      und F.

      sowie des Mitbeschuldigten B.

      erstellt ist,

      dass die Palette mit den Bitumen-Rollen nicht mehr fabrikneu war. Die Plastikhülle war zwar noch rund um die Rollen und die Palette herum angebracht. Der Plastik war jedoch an einer Seite aufgeschnitten und (mindestens) zwei Bitumen- Rollen waren der Palette entnommen worden. Daher hätte die Palette im Gegensatz zu einer fabrikneuen Palette - nicht nur mit der Palettgabel transportiert werden dürfen, wie es vorliegend getan wurde, sondern die Palette hätte entwe- der zusätzlich mit einem Netz gesichert werden müssen die Bitumen-Rollen hätten ausgepackt und einzeln, d.h. ohne Palette, transportiert werden müssen. Beides wurde vorliegend unterlassen und die Palette wurde vom Mitbeschuldigten

      B.

      mit der offenen Verpackung, woran einzig zusätzlich eine textile Gurte

      angebracht worden war, ohne die vorgeschriebenen Sicherungsmassnahmen an die Palettgabel angeschlagen und anschliessend vom Beschuldigten ca. 10 bis 30 Meter angehoben. Darauf zog der Beschuldigte die Palette nach hinten, in Richtung seiner Kabine. Während der anschliessenden Schwenkbewegung nach links fielen sämtliche Bitumen-Rollen hinunter (vgl. in diesem Sinne auch Urk. 83

      S. 9 E. 4.2.4. mit Hinweisen auf die entsprechenden Aktenstellen). Dies wurde vom Beschuldigten ebenfalls anerkannt (vgl. insbes. Urk. 4/5 F/A 9, 11, 22 und 55).

    3. Schliesslich oblag dem Beschuldigten wie von ihm anerkannt gemäss Art. 5 Abs. 1 lit. a der Verordnung über die sichere Verwendung von Kranen vom

    27. September 1999 (nachfolgend: Kranverordnung) als Kranführer die Gewährleistung einer sicheren Kranbedienung. Er war sowohl für die Wahl des richtigen bzw. geeigneten Anschlagmittels als auch für das richtige Anschlagen verantwortlich (vgl. in diesem Sinne auch Urk. 83 S. 10 E. 4.2.6. mit Hinweisen auf die entsprechenden Aktenstellen, insbesondere Urk. 4/5 Frage 72).

    1. Die konstanten Aussagen des Beschuldigten, wonach er bis zum Anheben der Palette von seiner Position aus in der Führerkabine, rund 50 Meter von der Ladung entfernt wegen einer Betonmauer nur den oberen Teil der Palette gesehen habe und nicht habe sehen können, ob die Plastikhülle offen war, mithin dass die Palette nicht mehr fabrikneu und dementsprechend falsch angeschlagen war (vgl. insbes. Urk. 4/5 F/A 9; Urk. 111 S. 5), können ihm nicht widerlegt werden bzw. werden im Wesentlichen auch vom Zeugen E. gestützt (Urk. 7/2 Antwort zu Frage 21 Der Kranführer konnte ja nicht sehen, ob es [die Palette] genügend gesichert wurde. und Urk. 7/4 Antwort zu Frage 27: Mein Gedanke war das kippt, das kippt. Aber der Kranführer kann das nicht sehen.). Darauf ist abzustellen.

    2. Die Vorinstanz hat sodann zunächst richtig erwogen, dass der Beschuldigte nach dem Anheben der Palette in ca. fünf bis sechs Meter Höhe gemerkt habe, dass eine Gurte um die Palette gespannt worden war. Darauf kann verwiesen werden (Urk. 83 S. 10 E. 4.2.7. mit Hinweisen auf die entsprechenden Aktenstellen). Dies wurde vom Beschuldigten im Berufungsverfahren auch ausdrücklich bestätigt (Urk. 111 S. 5).

    3. Die nachfolgenden Erwägungen der Vorinstanz, wonach der Beschuldigte aufgrund der Gurte hätte bemerken müssen, dass etwas an der Ladung nicht stimmte und er wie er selber ausgeführt habe auch tatsächlich Sicherheitsbe-

    denken gehabt habe, gehen indes fehl (vgl. Urk. 83 S. 10 E. 4.2.7.). Zwar kam dem Beschuldigte die an der Palette befestigte Gurte seltsam vor. Dies jedoch, weil die aus seiner Sicht vollständig mit Plastik umschlossene und damit fabrik- neue Palette keiner solchen zusätzlichen Sicherung bedurfte (Urk. 111 S. 5 ff.; Urk. 4/5 F/A 41). Der Beschuldigte erklärte im Berufungsverfahren wie auch schon früher im Verfahren konstant, dass ihm beim Erblicken der Gurte nicht durch den Kopf gegangen sei bzw. ihm nicht die Idee gekommen sei, dass die Palette nicht fabrikneu sein könnte. Aus seiner Sicht sei die Palette fabrikneu und daher nicht gefährdet gewesen. Für den Transport einer fabrikneuen, vollständig in Plastik eingepackten Palette mit dem Kran benötige es zur Sicherung kein Spannset (vgl. insbes. Urk. 111 S. 8; Urk. 4/5 F/A 41, 44 und 51). Dies ist gemäss den SUVA-Vorgaben (vgl. insbes. Urk. 21/3) korrekt. Die Angaben des Beschul- digten, wonach er davon ausgegangen sei, dass die Palette fabrikneu gewesen sei, vermögen zu überzeugen, zumal die Palette noch in die Plastikhülle eingewickelt war und sich der Schnitt im Plastik auf der dem Beschuldigten abgewandten Seite der Palette befand (vgl. dazu auch Urk. 83 S. 10 E. 4.2.6. mit Hinweisen auf die entsprechenden Aktenstellen). So gab der Beschuldigte denn auch konstant an, er habe gesehen, dass die Palette vollständig eingepackt gewesen sei und er habe weder einen Schnitt noch eine Beschädigung am Plastik festgestellt. Folglich habe er den Eindruck gehabt, die Palette sei fabrikneu gewesen (vgl. insbes. Urk. 111 S. 5 ff.; Urk. 4/6 S. 4; Prot. I S. 16). Diese Aussagen können ihm nicht widerlegt werden. Im Übrigen kann entgegen der Auffassung der Vorinstanz aus der Aussage des Beschuldigten in der vorinstanzlichen Befragung, wonach er sich gedacht habe, dass er mit aller Sorgfalt weitermache und ganz ruhig bleibe beim Transport, nicht gefolgert werden, dass er erhöhte bzw. höhere Sorgfalt als sonst anwendete (vgl. Urk. 83 S. 10 E. 4.2.7.). So gab er im Berufungsverfahren diesbezüglich zu Protokoll, beim Transport von Paletten wende man immer dieselbe besondere Vorsicht an (Urk. 111 S. 7). Dies deckt sich auch mit seinen früheren Aussagen im Verfahren, wo er angab, dass er, als er die Palette in der Luft gesehen habe, das Gefühl gehabt habe, dass die Palette gut befestigt sei. Es sei ihm nicht durch den Kopf gegangen, dass zwei drei Rollen fehlen wür- den, bzw. dass die Palette nicht neu sein könnte (vgl. Urk. 4/5 F/A 44 f.). Er sei

    sich zu 100% sicher gewesen, dass er die Palette anheben konnte, weil das Material mit Plastik umzogen gewesen und zusätzlich mit einem Spannset gesichert gewesen sei (Urk. 4/1 F/A 10). Auch diese Aussagen können dem Beschul- digten nicht widerlegt werden. Allein der Umstand, dass der Mitbeschuldigte

    B.

    eine Gurte um die Palette gelegt hatte, musste für den Beschuldigten

    nicht indizieren, dass die Plastikhülle nicht mehr intakt war. Gemäss seiner konstanten Darstellung hätte B. nämlich diesfalls nicht einfach eine Gurte um die Palette legen, sondern ein Netz verwenden die Rollen einzeln transportieren lassen müssen. Aus der Sicht des Beschuldigten gab es somit kein Grund, beim fraglichen Zug besondere Sorgfalt anzuwenden. Zusammengefasst transportierte der Beschuldigte aus seiner Sicht eine fabrikneue Palette, die genügend gesichert worden war. Er hatte keine Bedenken hinsichtlich der Sicherheit der La- dung und Solches kann entgegen der Vorinstanz auch nicht in seine Aussagen hinein interpretiert werden. Er musste auch keine Bedenken haben, weil aus sei- ner Sicht bzw. gemäss seinen Beobachtungen nichts darauf hinwies, dass die Palette nicht fabrikneu und damit ungenügend gesichert sein könnte. Die von der Vorinstanz ausgemachte Sorgfaltspflichtverletzung ist daher zu verneinen. Der Beschuldigte ist folglich vollumfänglich freizusprechen.

  2. Zivilansprüche

    Die Vorinstanz hat sich in ihrem Erkenntnis nicht mit sämtlichen dem Beschuldigten in der Anklage vorgeworfenen Sorgfaltspflichtverletzungen materiell ausei- nandergesetzt. Der Berufungsinstanz ist eine materielle Auseinandersetzung damit aufgrund des Verschlechterungsverbots verwehrt (vgl. dazu vorstehend unter

    E. II.3.). Die Zivilklage des Privatklägers D. verweisen.

    ist daher auf den Zivilweg zu

  3. Kosten- und Entschädigungsfolgen
  1. Die erstinstanzliche Kostenfestsetzung ist zu bestätigen. Die Kosten gemäss erstinstanzlicher Kostenfestsetzung sind ausgangsgemäss auf die Gerichtskasse zu nehmen (Art. 423 Abs. 1 StPO und Art. 426 Abs. 1 StPO e contrario).

  2. Bei diesem Ausgang des Verfahrens fällt die zweitinstanzliche Gerichtsgebühr ausser Ansatz. Dem Beschuldigten ist für das gesamte Verfahren für anwaltliche Vertretung eine Entschädigung von Fr. 26'000.-aus der Gerichtskasse auszurichten (Art. 429 Abs. 1 lit. a StPO (vgl. Ziff. 3 nachstehend)).

  3. Mit Nachtragsurteil vom 14. September 2021 wurde im Nachgang zum Urteilsdispositiv vom 6. September 2021 erkannt, dass dem Beschuldigten zusätzlich zur ihm mit Urteil vom 6. September 2021 zugesprochenen Entschädigung (Dispo-Ziff. 6) für das gesamte Verfahren für anwaltliche Vertretung eine Entschädigung von Fr. 13'812.80 aus der Gerichtskasse auszurichten ist (Art. 429 Abs. 1 lit. a StPO), da Verteidigungskosten des Beschuldigten in diesem Umfang im Urteil unberücksichtigt blieben (Urk. 118). Folglich wurde mit Nachtragsurteil vom 14. September 2021 das Urteilsdispositiv entsprechend ergänzt.

Es wird erkannt:

  1. Der Beschuldigte A. ist nicht schuldig und wird vollumfänglich freigesprochen.

  2. Die Zivilklage des Privatklägers D. wird auf den Zivilweg verwiesen.

  3. Die erstinstanzliche Kostenfestsetzung (Ziff. 6) wird bestätigt.

  4. Die zweitinstanzliche Gerichtsgebühr fällt ausser Ansatz.

  5. Die Kosten gemäss erstinstanzlicher Kostenfestsetzung (Ziff. 6) werden auf die Gerichtskasse genommen.

  6. Dem Beschuldigten wird für das gesamte Verfahren für anwaltliche Vertretung eine Entschädigung von Fr. 26'000.-aus der Gerichtskasse ausgerichtet (vgl. Nachtragsurteil vom 14. September 2021).

  7. Mündliche Eröffnung und schriftliche Mitteilung im Dispositiv an

    • die Verteidigung im Doppel für sich und zuhanden des Beschuldigten (übergeben)

    • die Rechtsvertretung des Privatklägers im Doppel für sich und zuhan- den des Privatklägers (versandt)

    • die Staatsanwaltschaft Winterthur/Unterland (versandt) sowie in vollständiger Ausfertigung an

    • die Verteidigung im Doppel für sich und zuhanden des Beschuldigten

    • die Rechtsvertretung des Privatklägers im Doppel für sich und zuhan- den des Privatklägers

    • die Staatsanwaltschaft Winterthur/Unterland

      und nach unbenütztem Ablauf der Rechtsmittelfrist bzw. Erledigung allfälliger Rechtsmittel an

    • die Vorinstanz

    • das Migrationsamt des Kantons Zürich

    • die Koordinationsstelle VOSTRA/DNA zur Entfernung der Daten gemäss Art. 12 Abs. 1 lit. d VOSTRA mittels Kopie von Urk. 90

    • die Kantonspolizei Zürich, KIA-ZA, mit separatem Schreiben (§ 54a Abs. 1 PolG)

    • das Obergericht des Kantons Zürich, Zentrales Inkasso, Postfach, 8021 Zürich gemäss Dispositiv-Ziffer 6

  8. Gegen diesen Entscheid kann bundesrechtliche Beschwerde in Strafsachen erhoben werden.

Die Beschwerde ist innert 30 Tagen, von der Zustellung der vollständigen, begründeten Ausfertigung an gerechnet, bei der Strafrechtlichen Abteilung des Bundesgerichtes (1000 Lausanne 14) in der in Art. 42 des Bundesgerichtsgesetzes vorgeschriebenen Weise schriftlich einzureichen.

Die Beschwerdelegitimation und die weiteren Beschwerdevoraussetzungen richten sich nach den massgeblichen Bestimmungen des Bundesgerichtsgesetzes.

Obergericht des Kantons Zürich

I. Strafkammer Zürich, 6. September 2021

Der Präsident:

lic. iur. S. Volken

Die Gerichtsschreiberin:

MLaw N. Hunziker

Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.

Hier geht es zurück zur Suchmaschine.