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Urteil Obergericht des Kantons Zürich (ZH)

Kopfdaten
Kanton:ZH
Fallnummer:SB200437
Instanz:Obergericht des Kantons Zürich
Abteilung:I. Strafkammer
Obergericht des Kantons Zürich Entscheid SB200437 vom 16.03.2023 (ZH)
Datum:16.03.2023
Rechtskraft:-
Leitsatz/Stichwort:Versuchte schwere Körperverletzung etc.
Schlagwörter : Schuldig; Beschuldigte; Massnahme; Beschuldigten; Behandlung; Ambulant; Ambulante; Stationär; Stationäre; Gutachten; Freiheit; Sinne; Privatkläger; Urteil; Gericht; Freiheitsstrafe; Schwere; Berufung; Recht; Amtlich; Ambulanten; Anordnung; Kokain; Amtliche; Erscheint; Delikt; Verteidigung; Anzuordnen; Therapeutische; Gutachter
Rechtsnorm: Art. 10 StPO ; Art. 122 StGB ; Art. 135 StPO ; Art. 144 StGB ; Art. 186 StGB ; Art. 19 StGB ; Art. 2 StGB ; Art. 22 StGB ; Art. 295 StGB ; Art. 342 StPO ; Art. 369 StGB ; Art. 424 StPO ; Art. 428 StPO ; Art. 56 StGB ; Art. 56a StGB ; Art. 59 StGB ; Art. 60 StGB ; Art. 63 StGB ; Art. 63b StGB ; Art. 64 StGB ; Art. 9 BV ; Art. 96 SVG ;
Referenz BGE:121 IV 49; 124 IV 1; 128 IV 241; 134 IV 246; 134 IV 97; 136 IV 55; 137 IV 201; 138 IV 120; 141 IV 305; 141 IV 369; 141 IV 61; 142 IV 105; 142 IV 265; 142 IV 49; 144 IV 176; 144 IV 217; 144 IV 313;
Kommentar zugewiesen:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
Weitere Kommentare:
Entscheid

Obergericht des Kantons Zürich

I. Strafkammer

Geschäfts-Nr.: SB200437-O/U/jv (Schuldinterlokut, Teil II)

Mitwirkend: die Oberrichter lic. iur. Ch. Prinz, Präsident, lic. iur. B. Amacker und Oberrichterin lic. iur. S. Fuchs sowie die Gerichtsschreiberin MLaw A. Donatsch

Teilurteil vom 16. März 2023

(Schuldinterlokut i.S.v. Art. 342 Abs. 1 StPO, Teil II)

in Sachen

A. ,

Beschuldigter und Berufungskläger

vertreten durch Beiständin B. ,

amtlich verteidigt durch Rechtsanwalt lic. iur. X1. ,

gegen

Staatsanwaltschaft I des Kantons Zürich, vertreten durch Staatsanwalt lic. iur. M. Stammbach,

Anklägerin und Berufungsbeklagte

betreffend versuchte schwere Körperverletzung etc.

Berufung gegen ein Urteil des Bezirksgerichts Zürich, 7. Abteilung, vom 29. Juni 2020 (DG190290)

Anklage:

Die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft I des Kantons Zürich vom

30. September 2019 ist diesem Urteil beigeheftet (Urk. D1/21).

Urteil der Vorinstanz:

(Urk. 92 S. 40 ff.)

Es wird erkannt:

  1. Der Beschuldigte ist schuldig

  2. Vom Vorwurf des Hausfriedensbruchs im Sinne von Art. 186 StGB gemäss Dossier 4 sowie des mehrfachen Fahrens ohne Haftpflichtversicherung im Sinne von Art. 96 Abs. 2 SVG wird der Beschuldigte freigesprochen.

  3. Der Beschuldigte wird bestraft mit 46 Monaten Freiheitsstrafe (wovon bis und mit heute 580 Tage durch Haft sowie durch vorzeitigen Strafantritt erstanden sind) und einer Busse von Fr. 500.–.

  4. Die Freiheitsstrafe wird vollzogen.

  5. Die Busse ist zu bezahlen. Wird die Busse schuldhaft nicht bezahlt, tritt an deren Stelle eine Ersatzfreiheitsstrafe von 5 Tagen.

  6. Es wird die Verwahrung des Beschuldigten im Sinne von Art. 64 Abs. 1 StGB angeordnet.

  7. Die folgenden, polizeilich sichergestellten Gegenstände werden dem Beschuldigten nach Eintritt der Rechtskraft dieses Entscheides auf erstes Verlagen herausgege- ben oder nach unbenutztem Ablauf einer dreimonatigen Frist von der Lagerbehörde vernichtet:

  8. Es wird vorgemerkt, dass der Beschuldigte die Schadenersatzforderung des Privat- klägers C._ im Umfang von Fr. 2'760.–, zzgl. Zins zu 5% seit 1. Januar 2019, sowie dessen Genugtuungsforderung im Umfang von Fr. 7'500.–, zzgl. Zins zu 5% seit 17. September 2018, anerkannt hat.

  9. Es wird vorgemerkt, dass der Beschuldigte die Schadenersatzforderung der Privat- klägerin D. AG im Umfang von Fr. 3'929.– anerkannt hat.

  10. Die Privatkläger E. und F. AG werden mit ihren Schadenersatzforde- rungen auf den Weg des Zivilprozesses verwiesen.

  11. Die Genugtuungsforderungen der Privatkläger E. abgewiesen.

    und F.

    AG werden

  12. Auf die Zivilklage der Privatklägerin G. wird nicht eingetreten.

  13. Rechtsanwalt Dr. iur. X2.

    wird für seine Bemühungen als amtlicher

    Verteidiger mit Fr. 20'600.– (pauschal, inkl. Barauslagen und MwSt) aus der Ge- richtskasse entschädigt.

  14. Die Gerichtsgebühr wird angesetzt auf:

    Fr. 6'000.00; die weiteren Kosten betragen: Fr. 9'000.00 Gebühr für das Vorverfahren

    Fr. 19'401.50 Auslagen Untersuchung (Gutachten)

    Fr. 3'220.00 Auslagen Untersuchung (Polizei) Fr. 550.00 Entschädigung Zeuge

    Fr. 2'375.00 Auslagen Ergänzungsgutachten Fr. 20'600.00 amtliche Verteidigung

  15. Die Kosten der Untersuchung und des gerichtlichen Verfahrens, ausgenommen diejenigen der amtlichen Verteidigung, werden dem Beschuldigten auferlegt.

  16. Die Kosten der amtlichen Verteidigung werden auf die Gerichtskasse genommen.

    Vorbehalten bleibt eine Nachforderung gemäss Art. 135 Abs. 4 StPO.

  17. Der Beschuldigte wird verpflichtet, dem Privatkläger C. für das gesamte Ver- fahren eine Prozessentschädigung von Fr. 4'847.15 zu bezahlen.

  18. (Mitteilungen)

  19. (Rechtsmittel)

Berufungsanträge:

(Teil II; Prot. II S. 30 f.)

  1. Der Verteidigung der Beschuldigten: (Urk. 159 S. 1)

    1. A.

      sei mit einer unbedingten Freiheitsstrafe von höchstens 30

      Monaten sowie mit einer Busse von Fr. 500.00 zu bestrafen.

    2. Es sei eine ambulante Massnahme im Sinne von Art. 63 Abs. 1 StGB anzuordnen.

      Unter Kosten- und Entschädigungsfolgen.

  2. Der Staatsanwaltschaft: (Urk. 165 S. 1)

    1. Der Beschuldigte sei zu bestrafen mit einer Freiheitsstrafe von 46 Monaten und einer Busse von Fr. 500.–.

    2. Es sei eine stationäre Massnahme im Sinne von Art. 59 StGB anzuordnen.

    3. Eventualiter sei eine ambulante Massnahme im Sinne von Art. 63 StGB anzuordnen, wobei dem Beschuldigten dabei anzudrohen ist, dass im Falle des Scheiterns der ambulanten Massnahme im Sinne von Art. 63 StGB eine stationäre therapeutische Massnahme nach Art. 59 StGB angeordnet wird.

  3. Der Vertretung des Privatklägers C. : (Urk. 124 S. 1 f.; schriftlich)

  1. Es sei festzustellen, dass A. die Schadenersatzforderung des Privatklägers C.

    im Umfang von Fr. 2'760.– zzgl. Zins zu 5%

    seit 1. Januar 2019, sowie dessen Genugtuungsforderung im Umfang von Fr. 7'500.– zzgl. Zins zu 5% seit 17. September 2018 vor erster Instanz rechtsgültig anerkannt hat und das Urteil des Bezirksgerichts Zürich vom

    29. Juni 2020 insoweit in Rechtskraft erwachsen ist.

  2. A.

    sei zu verurteilen, C.

    die Interventionskosten vor erster Instanz von Fr. 4'847.15 zu bezahlen.

  3. A. sei zu verurteilen, C. die Interventionskosten von zweiter In- stanz von pauschal Fr. 1'500.– (inkl. Auslagen und MwSt.) zu bezahlen.

  4. A. sei zur Bezahlung der auf den Zivilpunkt fallenden Verfahrenskos- ten zu verurteilen.

    Erwägungen:

    1. Weiterer Verfahrensgang

      1. Zum Verfahrensgang bis zum Teilurteil und Beschluss vom 8. Juni 2021 kann auf die Erwägungen darin verwiesen werden (Urk. 144 S. 8 f.).

      2. Mit jenem Entscheid wurde beschlossen, ein neues psychiatrisches Gut- achten über den Beschuldigten einzuholen (Urk. 144 S. 26). In der Folge wurde Prof. Dr. med. H. als Gutachter bestellt und ihm der Gutachtensauftrag er- teilt (Urk. 141; Urk. 146).

      3. Mit Eingabe vom 28. April 2022 erstatte der gerichtlich bestellte Gutachter

        Prof. Dr. med. H.

        das psychiatrische Gutachten über den Beschuldigten

        (Urk. 150). Dieses wurde dem Beschuldigten sowie der Staatsanwaltschaft mit Präsidialverfügung vom 3. Mai 2022 zugestellt. Gleichzeitig wurde dem Beschul- digten Frist angesetzt, zum Gutachten sowie zu den Sanktions- und Nebenfolgen Stellung zu nehmen (Urk. 151). Mit Eingabe vom 4. Juli 2022 reichte die amtliche Verteidigung ihre Stellungnahme ein (Urk. 159). In der Folge wurde der Staatsanwaltschaft mit Präsidialverfügung vom 7. Juli 2022 Frist angesetzt, um sich zum Gutachten, zur Stellungnahme der amtlichen Verteidigung sowie zu den Sanktions- und Nebenfolgen vernehmen zu lassen (Urk. 161). Die Staatsanwalt- schaft nahm mit Vernehmlassung vom 22. Juli 2022 dazu Stellung (Urk. 165).

      4. Mit Eingabe vom 26. Juli 2022 reichte die Justizvollzugsanstalt Pöschwies den Führungsbericht des Beschuldigten ein (Urk. 167; Urk. 168/1-2), welcher in der Folge mit Präsidialverfügung vom 3. August 2022 den Parteien zwecks freige- stellten Vernehmlassung zugestellt wurde. Dem Beschuldigten wurde gleichzeitig die Stellungnahme der Staatsanwaltschaft zur freigestellten Vernehmlassung zugestellt (Urk. 169). Die Staatsanwaltschaft verzichtete auf Vernehmlassung (Urk. 172).

      5. Mit Präsidialverfügung vom 12. August 2022 wurde den Parteien sodann Frist angesetzt, sich zur Frage betreffend Anordnung von Sicherheitshaft respek- tive von allfälligen Ersatzmassnahmen zu äussern (Urk. 173). Die Stellungnah-

        men hierzu gingen am 19. bzw. 22. August 2022 ein (Urk. 175; Urk. 177). Mit Präsidialverfügung vom 31. August 2022 wurde der Beschuldigte in Sicherheits- haft versetzt (Urk. 179).

      6. Das Verfahren erweist sich als spruchreif.

    2. Verfahrensgegenstand

      Mit Teilurteil (Schuldinterlokut i.S.v. Art. 342 Abs. 1 StPO) wurde über die Teil- rechtskraft des vorinstanzlichen Urteils sowie den Schuldpunkt befunden, worauf verwiesen werden kann (Urk. 144). In diesem zweiten Teilurteil ist folglich noch über die Strafe, die Frage der Anordnung einer Massnahme sowie die Nebenfol- gen zu befinden.

    3. Sanktion

  1. Ausgangslage

    1. Die Vorinstanz bestrafte den Beschuldigten mit 46 Monaten Freiheitsstrafe und einer Busse von Fr. 500.– (Urk. 92 S. 21 ff., 40).

    2. Die Staatsanwaltschaft beantragte vor Vorinstanz eine Freiheitsstrafe von 4 ½ Jahren sowie eine Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu Fr. 30.– und eine Bus- se von Fr. 600.– (Urk. 37 S. 1; Prot. I S. 38). Im Berufungsverfahren beantragt sie eine Freiheitsstrafe von 46 Monaten sowie eine Busse von Fr. 500.– (Urk. 165 S. 1).

    3. Die amtliche Verteidigung beantragte vor Vorinstanz eine Freiheitsstrafe von 26 Monaten (Urk. 40). Im Berufungsverfahren beantragt sie – nachdem der Beschuldigte mit Teilurteil vom 8. Juni 2021 zudem der versuchten schweren Körperverletzung sowie des Hausfriedensbruchs schuldig gesprochen wurde (Urk. 144 S. 23) – eine Bestrafung des Beschuldigten mit höchstens 30 Monaten Freiheitsstrafe sowie einer Busse von Fr. 500.– (Urk. 159).

    4. Die Rechtskraft der Busse in der Höhe von Fr. 500.– wurde bereits mit Teilurteil vom 8. Juni 2021 festgestellt (Urk. 144 S. 8, 22).

  2. Anwendbares Recht

    Der Beschuldigte hat sämtliche ihm zur Last gelegten Taten nach Inkrafttreten (1. Januar 2018) des revidierten Sanktionenrechts begangen, weshalb das neue Recht anzuwenden ist (Art. 2 Abs. 1 StGB).

  3. Strafrahmen / Strafzumessungsregeln / Methodisches Vorgehen

    1. Das Bundesgericht hat die Grundsätze der Strafzumessung nach Art. 47 ff. StGB und die an sie gestellten Begründungsanforderungen wiederholt dargelegt (BGE 136 IV 55 E. 5.4 ff. mit Hinweisen). Entsprechendes gilt für die Bildung der Einsatz- und der Gesamtstrafe nach Art. 49 Abs. 1 StGB in Anwendung des Asperationsprinzips (BGE 144 IV 313 E. 1.1, 217 E. 2.2 und E. 3; BGE 141 IV 61

      E. 6.1.2; je mit Hinweisen). Darauf sowie auf die zutreffenden vorinstanzlichen Erwägungen (Urk. 92 S. 19 f.) kann verwiesen werden.

    2. Die Bildung einer Gesamtstrafe ist nur bei gleichartigen Strafen möglich. Ungleichartige Strafen sind kumulativ zu verhängen, da das Asperationsprinzip nur greift, wenn mehrere gleichartige Strafen ausgesprochen werden. Mehrere gleichartige Strafen liegen vor, wenn das Gericht im konkreten Fall für jeden ein- zelnen Normverstoss gleichartige Strafen ausfällen würde. Dass die anzuwen- denden Strafbestimmungen abstrakt gleichartige Strafen androhen, genügt nicht (BGE 142 IV 265 E. 2.3.2; BGE 138 IV 120 E. 5.2; je mit Hinweisen).

    3. Wie noch zu zeigen ist, ist für die strafbaren Verhaltensweisen des Beschuldigten – mit Ausnahme der Übertretungen des Betäubungsmittelgesetzes, wofür eine Busse auszufällen ist (Art. 19a Ziff. 1 BetmG) – je eine Freiheitsstrafe auszufällen (Ziff. III 4.3), weshalb die Voraussetzungen für die Bildung einer Gesamtstrafe vorliegend gegeben sind.

    4. Mit der Vorinstanz sind die Deliktsmehrheit sowie der Versuch innerhalb des ordentlichen Strafrahmens der schwersten Straftat zu berücksichtigen. Die Strafe ist vorliegend dementsprechend innerhalb des Strafrahmens von 6 Monaten bis zu 10 Jahren Freiheitsstrafe zu bemessen (Art. 122 StGB; Urk. 92

      S. 20; BGE 136 IV 55 E. 5.8 mit Hinweisen).

  4. Wahl der Sanktionsart

    1. Bei der Wahl der Sanktionsart sind als wichtige Kriterien die Zweckmässig- keit einer bestimmten Sanktion, ihre Auswirkungen auf den Täter und sein sozia- les Umfeld sowie ihre präventive Effizienz zu berücksichtigen (BGE 134 IV 97

      E. 4.2 mit Hinweisen). Nach dem Prinzip der Verhältnismässigkeit soll nach kon- stanter Rechtsprechung bei alternativ zur Verfügung stehenden und hinsichtlich des Schuldausgleichs äquivalenten Sanktionen im Regelfall diejenige gewählt werden, die weniger stark in die persönliche Freiheit des Betroffenen eingreift (BGE 138 IV 120 E. 5.2; Urteil 6B_125/2018 vom 14. Juni 2018 E. 1.3.2; je mit

      Hinweis).

    2. Die Geldstrafe stellt die Hauptsanktion dar (BGE 134 IV 97 E. 4.2.2

      S. 101). Sie wiegt als Vermögenssanktion prinzipiell weniger schwer als ein Ein- griff in die persönliche Freiheit (BGE 138 IV 120 E. 5.2; BGE 134 IV 97 E. 4.2.2

      S. 101). Am Vorrang der Geldstrafe hat der Gesetzgeber im Rahmen der erneu- ten Revision des Sanktionenrechts entgegen der ursprünglichen Stossrichtung festgehalten (BGE 144 IV 217 E. 3.6 S. 237 f. mit Hinweisen).

    3. Dass für die versuchte schwere Körperverletzung eine Freiheitsstrafe auszusprechen ist, bedarf keiner weiteren Begründung. Des Weiteren erscheint angesichts der gesamten Umstände, insbesondere der Biografie des Beschuldigten bzw. seiner kriminellen Vergangenheit mit diversen Vorstrafen (darunter einschlägige Verurteilungen wegen Diebstahls, Sachbeschädigung, Hausfriedensbruchs und SVG-Delikten; vgl. Urk. 95), auch für die weiteren zu sanktionierenden Delikte nur eine Freiheitsstrafe als zweckmässig.

  5. Konkrete Strafzumessung

    1. Einsatzstrafe für die versuchte schwere Körperverletzung

      1. Bei der Bewertung der objektiven Tatschwere ist, wenn es wie vorliegend beim Versuch geblieben ist, gedanklich vom vollendeten Delikt auszugehen. Der Beschuldigte behändigte eine Eisenstange und schlug damit mit Wucht mehrere Male gegen den Köper und auch den Kopf des Privatklägers C. . Daraus

        hätten ohne Weiteres Verletzungen lebenswichtiger Strukturen und Funktionen, wie insbesondere des Gehirns, erfolgen können. Diese Verletzungen hätten lebensgefährlich sein und/oder zu schweren bleibenden Beeinträchtigungen füh- ren können, was der Beschuldigte in Kauf nahm. Die tatsächlichen Verletzungen,

        welche der Privatkläger C.

        davontrug, waren die folgenden: zwei chirurgisch versorgte Quetsch-Riss-Wunden an der linken Schläfe, eine versorgte Quetsch-Riss-Wunde an der Stirn, ein gering ins Schädelinnere verschobener, ca.

        2.5 x 0.8 cm messender Knochenbruch im Bereich des linken Schläfenbeines mit Verlagerung weniger Knochenfragmente in das Schädelinnere, eine kleine Blu- tung ausserhalb der harten Hirnhaut im Bereich des linken Schläfenhirnlappens sowie eine kleine Blutansammlung der Kopfschwarte im Bereich der linken Schlä- fe (vgl. Urk. D1/6/2 [provisorischer Austrittsbericht des Universitätsspitals Zürich vom 19. September 2018], Urk. D1/6/10 [Aktengutachten des IRM vom

        5. Juli 2019]). Diese lassen Rückschlüsse auf die Heftigkeit der Schläge des Beschuldigten zu. Mit seinem brutalen, impulsiven und hemmungslosen Vorgehen liess der Beschuldigte jede Rücksichtnahme auf die körperliche Integrität eines ihm völlig unbekannten Menschen vermissen. Diese an den Tag gelegte Gering- schätzung menschlichen Lebens und menschlicher Gesundheit sowie die ohne Anlass verursachte Eskalation eines Konflikts erscheint alarmierend. Die voran- gehende, vom Beschuldigten initiierte verbale – äusserst merkwürdige – Ausei- nandersetzung stand in keiner Relation zu seiner unvermittelten Gewaltanwen- dung. Unter Annahme eines tatbestandsmässigen Erfolgs der schweren Körper- verletzung ist das objektive Verschulden als erheblich zu qualifizieren und die hy- pothetische Einsatzstrafe im Bereich von 5 1/2 Jahren Freiheitsstrafe festzuset- zen.

      2. Bei der subjektiven Tatschwere ist die vom Gutachter Prof. Dr. med.

        H.

        beim Beschuldigten im Tatzeitpunkt diagnostizierte verminderte

        Schuldfähigkeit im Sinne von Art. 19 Abs. 2 StGB zu berücksichtigen. Der Sachverständige führt in seinen Gutachten aus, es gebe Akteninhalte, welche auf eine starke Bedeutung des Kokainkonsums für die zu beurteilende Tat hinweisen würden. Im Deliktszeitraum sei ein mittelstarker bis starker Konsum von Kokain nachgewiesen. Auch die Angaben des damaligen und aktuellen Behandlers,

        welcher ebenfalls den Kokainkonsum für die zunehmenden Auffälligkeiten und die Unzuverlässigkeit vor und im Deliktszeitraum verantwortlich mache sowie einen körperlichen Abbau des Beschuldigten feststellt habe, würden dafür sprechen. Zu erwähnen sei auch, dass insbesondere das Delikt vom 17. September 2018 und damit das schwerste Delikt deutlich zum bisherigen Deliktspektrum des Beschuldigten kontrastiere, zumal es nicht um Eigentumsdelikte und auch nicht um Gewalt im sozialen Nahraum gehe. Dabei würden sowohl die Angaben des Beschuldigten als auch diejenigen des Privatklägers dafür sprechen, dass die Motivlage des Beschuldigten durch Auswirkungen einer Kokainintoxikation beeinflusst gewesen sein dürfte. Schliesslich ergäben sich aus der Einvernahme nach seiner Verhaftung im September 2018 weitere Anhaltspunkte dafür. Seine Angaben sowie sein Verhalten würden für eine psychosenahe Verfassung mit deutlichen Leistungseinbussen sprechen. Es zeige sich ein Ausprägungsgrad, welcher nicht mit der schon damals bestehenden ADHS bzw. Persönlichkeitsproblematik vereinbar sei bzw. nicht auf diese zurückgeführt werden könne. In einer Gesamtschau sei daher davon auszugehen, dass der Beschuldigte im Jahr 2018 bzw. spätestens im Jahr 2018 eine Kokainabhängigkeit [WHO 2004] aufgewiesen habe. Es sei festzuhalten, dass die psychische Verfassung des Beschuldigten im Deliktszeitraum stark durch einen abhängigen Kokainkonsum mit auch paranoid anmutenden Denkinhalten geprägt gewesen sei (Urk. 150 S. 91 ff.). Infolge der Kokainintoxikation gehe er davon aus, dass eine so starke Verzerrung der Realitätswahrnehmung vorgelegen habe, dass in der Interaktion mit dem, die Tatsituation ebenfalls nicht adäquat wahrnehmenden Privatkläger von einer forensisch relevanten Minderung der Steuerungsfähigkeit gesprochen werden könne (Urk. 150 S. 97). Eine Aufhebung der Steuerungsfähigkeit liege hingegen nicht vor (Urk. 150 S. 97 f., 113). Bei der Entscheidung, ob die tatzeitaktuellen Einbussen der Steuerungsfähigkeit eine mittelgradige oder eine schwere Minderung der Schuldfähigkeit rechtfertigen würde, sei zu berücksichtigen, inwiefern das Verhalten des Privatklägers Anlass gegeben habe, davon auszugehen, dass er Teil der Machenschaften der Verfolger des Beschuldigten und insbesondere auch der von Letzterem vermuteten Entführung seiner Partnerin gewesen sei (Urk. 150 S. 98).

        Die Angaben des Beschuldigten, wie es dazu kam, dass er sich in die Nähe des Tatorts begeben hat, fallen widersprüchlich und insgesamt wenig plausibel aus (Urk. D1/2/2 S. 5; Urk. D1/2/7 S. 10). Seiner Version ist diesbezüglich nicht zu folgen. Vielmehr ist aufgrund der gesamten Umstände – insbesondere auch ge- stützt auf die Aussagen der Parteien – davon auszugehen, dass es sich um ei- ne missverständliche Interaktion zwischen den Parteien handelte und der Beschuldigte nicht ernsthaft davon ausging, der Privatkläger sei in die (vermeintli- che) Entführung seiner Partnerin involviert. Mithin lag – entgegen der Verteidi- gung (Urk. 159 S. 2) – ein weniger enger Bezug zu den paranoiden Denkinhalten des Beschuldigten vor, was für eine mittelgradige Minderung der Schuldfähigkeit spricht (Urk. 150 S. 98, 113).

        Weiter ist subjektiv zu beachten, dass der Beschuldigte um die Gefährlichkeit von Schlägen mit einer solchen Eisenstange wusste und in Bezug auf das Zuschlagen mit Vorsatz handelte. Sodann nahm er zumindest in Kauf, dem Privatkläger le- bensgefährliche bzw. bleibende Hirnschäden zuzufügen, wenn er diese auch nicht absichtlich herbeiführen wollte. Der Eventualvorsatz in Bezug auf die schwe- ren Verletzungsfolgen des Opfers fällt dabei geringfügig verschuldenssenkend ins Gewicht. Die Motive der Tat bleiben weitgehend unklar bzw. diffus. Immerhin kann aufgrund der gesamten Umstände davon ausgegangen werden, dass die Tat nicht geplant war und der Beschuldigte sich in irgendeiner Form subjektiv in Bedrängnis bzw. sich in der Situation überfordert fühlte.

        Gesamthaft vermag die subjektive Tatschwere – insbesondere gestützt auf die mittelgradig verminderte Schuldfähigkeit und den Eventualvorsatz in Bezug auf die Verletzungsfolgen – das objektive Tatverschulden stark zu relativieren. Die hypothetische Einsatzstrafe ist um 2 Jahre zu reduzieren.

      3. In Würdigung der objektiven und subjektiven Tatschwere ist bei Annahme einer vollendeten Tat eine hypothetische Einsatzstrafe von etwa 3 ½ Jahren Freiheitsstrafe angemessen.

      4. In einem nächsten Schritt ist zu berücksichtigen, dass die Tat nicht vollen- det wurde, wohl aber der entsprechende Versuch. Gemäss Art. 22 Abs. 2 StGB

        kann der vollendete Versuch strafmindernd berücksichtigt werden, wobei das Mass der zulässigen Reduktion der Strafe unter anderem von der Nähe des tatbestandsmässigen Erfolgs und den tatsächlichen Folgen der Tat abhängt (Ur- teil 6B_249/2021 vom 13. September 2021 E. 5.3; BGE 121 IV 49 E. 1.b). Dass der Geschädigte C. keine schwere Verletzung erlitten hat, ist als glückliche Fügung zu bezeichnen. Bereits ein geringfügig anderer Verlauf hätte deutlich gra- vierendere Konsequenzen haben können. So hält denn auch das IRM-Gutachten fest, das Gehirn als nächstgelegene, lebenswichtige Struktur liege hinter einem nur wenigen Millimeter dicken Schädelknochen, welcher gemäss Angaben des Universitätsspitals Zürich eröffnet gewesen sei (Urk. D1/6/10 S. 5). Entsprechend spricht das Kriterium der Nähe des tatbestandsmässigen Erfolges für eine eher kleine Reduktion. Zudem sind die tatsächlichen Folgen der Tat zu berücksichti-

        gen. Der Privatkläger C.

        erlitt neben mehreren Rissquetschwunden und

        kleineren inneren Blutungen eine dislozierte Schädelimpressionsfraktur. Insbe- sondere letztere gravierende Kopfverletzung ist keinesfalls zu bagatellisieren. Ei- ne Reduktion von rund 6 Monaten erscheint angemessen.

      5. Gesamthaft erscheint aufgrund des Tatverschuldens eine hypothetische Einsatzstrafe von 3 Jahren Freiheitsstrafe für die versuchte schwere Körperverlet- zung als angemessen.

    2. Tatkomponente Diebstahl

      1. Der Beschuldigte hat aus einem verschlossenen Fahrzeug in einer privaten Sammelgarage – nachdem er das Stoffdach mit einem Teppichmesser aufge- schnitten hat – einen Autoverstärker sowie einen Autolautsprecher aus dem Kofferraum entwendet. Auch wenn die Tat nicht von langer Hand geplant war, ist sein Vorgehen dennoch als gezielt und überlegt zu bezeichnen.

      2. Subjektiv handelte der Beschuldigte vorsätzlich und aus rein egoistischen Motiven. Wie den schlüssigen Ausführungen des Gutachtens entnommen werden kann, war der Beschuldigte auch zum Zeitpunkt dieses Delikts wegen seiner starken Kokainabhängigkeit in einer forensisch relevanten Weise im Hemmungs- vermögen beeinträchtigt. Diese vorliegenden Einbussen rechtfertigen aus psy-

        chiatrischer Sicht die Feststellung einer leichtgradig verminderten Schuldfähigkeit (Urk. 150 S. 113).

      3. Das Tatverschulden ist als leicht zu bezeichnen und die Einzelstrafe auf

        2.5 Monate festzusetzen. Eine Erhöhung der Einsatzstrafe für den Diebstahl unter Berücksichtigung des Asperationsprinzips um 1.5 Monat erscheint angemessen.

    3. Tatkomponente Sachbeschädigung

      1. Der Beschuldigte schlitzte das Stoffdach eines Cabriolets, welches in einer nicht öffentlichen Sammelgarage geparkt war, mit einem Teppichmesser auf. Da- bei verursachte er einen Sachschaden in der Höhe von ca. Fr. 4'000.–. Er handel- te auch diesbezüglich vorsätzlich. Die Sachbeschädigung beging er mit dem Ziel, sich Zugang zum Wageninnern zu verschaffen, um geldwerte Gegenstände zu behändigen. Betreffend die leichtgradig verminderte Schuldfähigkeit kann auf die obigen Erwägungen verwiesen werden (vgl. Ziff. III 5.2.2).

      2. Insgesamt ist aufgrund des leichten Tatverschuldens die Einzelstrafe bei

        1.5 Monaten zu bemessen. Eine Erhöhung der Einsatzstrafe für die Sachbeschä- digung unter Berücksichtigung des Asperationsprinzips um 20 Tage erscheint als gerechtfertigt.

    4. Tatkomponente Hausfriedensbruch

      1. Der Beschuldigte verschaffte sich ohne Berechtigung Zugang zu einer nicht öffentlich zugänglichen Sammelgarage, in der Absicht, einen Diebstahl zu be- gehen. Dabei handelte er auch in Bezug auf den Hausfriedensbruch vorsätzlich und aus egoistischen Beweggründen. Wiederum ist die gutachterlich festgestellte Beeinträchtigung in seinem Hemmungsvermögen bzw. die attestierte leichtgradig verminderte Schuldfähigkeit zu berücksichtigen (vgl. Ziff. III 5.2.2).

      2. Das sehr leichte Tatverschulden führt zu einer Einzelstrafe von 1 Monat. Eine Erhöhung der Einsatzstrafe für den Hausfriedensbruch unter Berücksichti- gung des Asperationsprinzips um 10 Tagen erscheint als gerechtfertigt.

    5. Tatkomponenten SVG-Delikte

      1. Entwendung eines Fahrzeugs zum Gebrauch

        Der Beschuldigte begab sich auf das Firmengelände der I. AG und wurde auf das parkierte, unverschlossene, zwecks Reparatur dort deponierte Fahrzeug der Marke BMW A, X3 aufmerksam. Er setzte sich in das Fahrzeug und fuhr mit dem in der Mittelkonsole deponierten Fahrzeugschlüssel los. Mit demselben Fahrzeug fuhr er sodann in den Folgetagen an verschiedene Orte (J. ,

        K.

        bis fast an die deutsche Grenze im Norden). Wiederum handelte er

        vorsätzlich und aus egoistischen Motiven. Der Gutachter hielt hierzu fest, dass nach Angaben des Beschuldigten auch paranoide Deliktinhalte eine Rolle gespielt hätten. Dabei würden sich aber die bereits laufenden und die vom Beschuldigten befürchteten polizeilichen Ermittlungen mit dem paranoiden Erleben des Beschuldigten vermischen. Wenn man eine paranoide Motivlage als handlungsleitend ansehe bzw. den paranoiden Denkinhalten tatsächlich entscheidende Bedeutung für sein deliktisches Verhalten zukomme, sei von deutlichen Einbussen der Steuerungsfähigkeit auszugehen, die eine mittelgradige Minderung der Schuldfähigkeit rechtfertigen könnten (Urk. 150 S. 97, 113). In Bezug auf die Entwendung des Fahrzeugs führte der Beschuldigte in der Untersuchung aus, er habe das Auto entwendet, um von den Leuten weg zu kommen, die ihn bedrohten (Urk. D1/2/6 S. 2). In der gleichen Einvernahme gab der Beschuldigte an, er habe zunächst mal einfach weg aus Zürich gewollt. Weg von den Leuten, die immer um ihn gewesen seien. Er sei nur ein, zwei Tage mit dem Fahrzeug herumgefahren. Dann sei er auf den Parkplatz in L. gefahren und habe das Fahrzeug abgestellt (Urk. D1/2/6 S. 2 f.). Anlässlich der vorinstanzlichen Hauptverhandlung gab der Beschuldigte zu Protokoll, er habe nach den Bedrohungssituationen einfach nur weg gewollt. Er habe es wegen des Cracks kaum mehr ausgehalten. Deshalb habe er das Fahrzeug genommen. Er habe von den Problemen und von den Leuten weggewollt (Prot. S. 33 ff.). Während gewisse Aussagen durchaus nahelegen, dass paranoide Deliktinhalte eine Rolle spielen, erscheint bei Betrachtung seiner Darstellung, lediglich ein bis zwei Tage von allem weg gewollt zu haben, diesen Inhalten keine übermässige

        und damit entscheidende Bedeutung zugekommen zu sein bzw. sind diese nicht als handlungsleitend zu bezeichnen. Wegen der im Zeitpunkt gegebenen starken Kokainabhängigkeit des Beschuldigten und der damit einhergehenden – aus forensischer Sicht – relevanten Beeinträchtigung im Hemmvermögen erscheint aber auch hier immerhin die Annahme einer leichtgradig verminderten Schuldfähigkeit gerechtfertigt. Das Verschulden wiegt insgesamt nicht mehr leicht.

      2. Fahren ohne Berechtigung

        Der Beschuldigte tätigte diese Spritzfahrten, ohne dass er über einen gültigen Führerausweis verfügte, was dem Beschuldigten sehr wohl bewusst war. Es liegt ein leichtes Verschulden vor.

      3. Mehrfacher Missbrauch von Ausweisen und Schildern

        Nachdem der Beschuldigte das obgenannte Fahrzeug, welches keine Kontroll- schilder hatte, entwendet hatte, hielt er in unmittelbarer Nähe an und entfernte von mindestens zwei Fahrzeugen Kontrollschilder und montierte diese am ent- wendeten Fahrzeug. Das Verschulden wiegt nicht mehr leicht.

      4. Fazit Asperation SVG-Delikte

        Aufgrund der Verstösse des Beschuldigten gegen das SVG erscheint eine Aspe- ration von insgesamt 2 ½ Monaten als angemessen.

      5. Zwischenfazit

        Angesichts der Tatkomponenten und in Berücksichtigung des Asperationsprinzips erscheint gesamthaft eine Einsatzstrafe von 41 Monaten als angemessen.

    6. Täterkomponente

      1. Hinsichtlich der persönlichen Verhältnisse und mit Blick auf das Vorleben des Beschuldigten kann auf die Ausführungen der Vorinstanz verwiesen werden (Urk. 92 S. 25 f.). Ergänzend bzw. aktualisierend führte der Beschuldigte an- lässlich der Berufungsverhandlung aus, er arbeite nach wie vor in der Gärtnerei

        der Haftanstalt. In seiner Freizeit mache er gerne Sport und spiele Fussball. Er pflege einen intensiven Kontakt mit seiner Schwester. Auch mit seinem besten Freund habe er noch Kontakt. Zu seinen beiden Kindern bestehe kein Kontakt, das soll sich aber ändern (Urk. 125 S. 1 ff.). Die persönlichen Verhältnisse des Beschuldigten sind strafzumessungsneutral zu werten.

      2. Der Strafregisterauszug des Beschuldigten weist sechs Vorstrafen auf (Urk. 95). Der Eintrag Nr. 3 betreffend Strafbefehl der Staatsanwaltschaft Zürich- Limmat wegen Hinderung einer Amtshandlung vom 16. Dezember 2012, mit wel- chem der Beschuldigte zu einer unbedingten Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu Fr. 10.– verurteilt wurde, müsste mittlerweile gelöscht sein und darf entsprechend nicht mehr berücksichtigt werden (Art. 369 Abs. 3 StGB). Bei den nach wie vor zu berücksichtigenden fünf Einträgen handelt es sich um erhebliche, mehrheitlich einschlägige Vorstrafen. Wenn die Vorinstanz festhält, diese fielen stark strafer- höhend ins Gewicht (Urk. 92 S. 26), kann ihr uneingeschränkt zugestimmt wer- den.

      3. Zum Nachtatverhalten ist festzuhalten, dass der Beschuldigte von Beginn an weitgehend geständig war und auch eine gewisse Reue zeigte. Insbesondere aber betreffend das schwerste Delikt ist keine wirkliche Einsicht in sein Fehlver- halten ersichtlich, zumal der Beschuldigte zu Unrecht Notwehr geltend macht und von Schuldunfähigkeit spricht. Insgesamt ist das Nachtatverhalten – mit der Vo- rinstanz (Urk. 92 S. 26) – leicht strafmindernd zu berücksichtigen.

      4. Anhaltspunkte für eine erhöhte Strafempfindlichkeit sind nicht ersichtlich.

      5. Insgesamt wirkt sich die Täterkomponente deutlich straferhöhend aus. Wenn die Vorinstanz unter diesem Gesichtspunkt lediglich eine Erhöhung von 2 Monaten berücksichtigte, ist dies eindeutig zu mild. Vielmehr erscheint eine Er- höhung um 7 Monaten angemessen.

    7. Ergebnis

      Unter Berücksichtigung der Tat und Täterkomponente erscheint eine Freiheits- strafe von 48 Monaten gesamthaft dem Verschulden und den persönlichen Ver-

      hältnissen angemessen. Unter Berücksichtigung des Verschlechterungsverbots (reformatio in peius) ist die von der Vorinstanz ausgefällte Freiheitsstrafe von 46 Monaten zu bestätigen.

    8. Anrechnung der Haft

      1. Der Beschuldigte wurde am 27. September 2018 verhaftet, gleichentags indes wieder entlassen (Urk. D1/14/3; Urk. D1/14/7). In der Folge wurde er am

        29. November 2018 ein zweites Mal verhaftet und in Untersuchungshaft versetzt (Urk. D1/14/9; Urk. D1/14/17). Am 25. Februar 2019 erfolgte der Übertritt in den vorzeitigen Strafvollzug (Urk. D1/14/20; Urk. D1/14/21). Mit Präsidialverfügung vom 31. August 2022 wurde der Beschuldigte ab dem 26. September 2022 – nachdem er die Freiheitsstrafe von 46 Monaten verbüsst hatte (vgl. Urk. 171) – in Sicherheitshaft versetzt (Urk. 179).

      2. Die ausgefällte Freiheitsstrafe ist durch die Haftdauer vollständig erstanden.

      3. Gemäss Art. 63b Abs. 4 StGB entscheidet das Gericht sodann darüber, inwieweit der mit der ambulanten Behandlung verbundene Freiheitsentzug auf die Strafe angerechnet wird. Die ambulante Massnahme ist in dem Masse anrechen- bar, wie eine tatsächliche Beschränkung der persönlichen Freiheit vorliegt. Von Bedeutung ist hierfür im Wesentlichen, mit welchem Zeit- und Kostenaufwand die Massnahme für den Betroffenen verbunden war. Wegen der grundsätzlichen Ver- schiedenheit von ambulanter Massnahme und Strafvollzug kommt in der Regel nur eine beschränkte Anrechnung der ambulanten Behandlung in Frage. Dem Gericht steht beim Entscheid, ob und in welchem Umfang die Behandlung anzurechnen ist, ein erheblicher Ermessensspielraum zu (Urteil 6B_375/2018 vom 12. August 2019 E. 2.8.2; BGE 124 IV 1 E. 2b S. 4; 122 IV 51 E. 3a S. 54;

        Urteil 6B_382/2018 vom 19. September 2018 E 2.2; je mit Hinweisen; HEIMGARTNER in: DONATSCH/ HEIMGARTNER/ISENRING/WEDER, StGB-Kommentar,

        12. Aufl. 2022, Art. 63b N 9). Entsprechende Feststellungen lassen sich erst nach Aufhebung bzw. Beendigung und unter Berücksichtigung der konkreten Ausgestaltung der jeweiligen ambulanten Massnahme treffen. Die Frage der Entschädigung einer allfälligen Überhaft wird entsprechend erst in einem

        selbständigen nachträglichen Verfahren zu klären sein (Urteil 6B_375/2018 vom 12. August 2019 E. 2.9).

    9. Die Freiheitsstrafe ist zu vollziehen (Art. 42 f. StGB).

IV. Massnahme

  1. Ausgangslage

    1. Die Vorinstanz hat – insbesondere gestützt auf das forensisch- psychiatrische Gutachten vom 26. Februar 2019 von Dr. med. M. (Urk. D1/15/13/9) – die Verwahrung angeordnet (Urk. 92 S. 27 ff.).

    2. Die amtliche Verteidigung beantragt im Rahmen des Berufungsverfahrens die Anordnung einer ambulanten Massnahme im Sinne von Art. 63 Abs. 1 StGB (Urk. 159 S. 1). Sie begründet diesen Antrag damit, das neu eingeholte Gutachten

      von Prof. Dr. med. H.

      halte zur Frage der Anordnung einer Massnahme

      fest, dass grundsätzlich sowohl eine ambulante als auch eine stationäre Behandlung geeignet wären. Es halte überdies klar fest, dass sich aus der alleinigen Anordnung einer stationären Massnahme gegenüber einer ambulanten Massnahme aktuell kein Vorteil ergebe. Unter anderem werde dies mit der vehementen Weigerung des Beschuldigten, an einer stationären Massnahme mitzuwirken – welche nach wie vor bestehe –, begründet. Die Konzeption des Gutachters, gleichzeitig eine Massnahme nach Art. 63 StGB sowie eine Massnahme nach Art. 59 StGB anzuordnen und zunächst die weniger einschneidende Massnahme durchzuführen, sei zwar nachvollziehbar, indes gesetzlich nicht vorgesehen. Vielmehr seien im Falle des Scheiterns der ambulanten Massnahme diese aufzuheben und bei Bedarf nach Art. 63b Abs. 5 StGB eine stationäre Massnahme anzuordnen. Die Sicherstellung der vom Gutachter empfohlenen besonders engen Betreuung des Beschuldigten während der Durchführung der ambulanten Massnahme könne mit Bewährungshilfe nach Art. 63 Abs. 2 StGB sowie einer zweimonatigen stationären Einleitung der ambulanten Behandlung im Sinne von Art. 63 Abs. 3 StGB Rechnung getragen werden. Diese Zeitspanne genüge, um die vom Gutachter als notwendig

      erachtete enge Abstimmung der mit der Betreuung des Beschuldigten beauftragten Personen vorzunehmen, ein tragfähiges Helfernetz zu knüpfen und mit Hilfe des Beistands und der Bewährungshilfe ein geeignetes Wohnumfeld sicherzustellen, seine finanziellen Belange zu regeln und die psychiatrische und suchtspezifische Behandlung aufzugleisen sowie die medikamentöse Einstellung vorzunehmen (Urk. 159 S. 3 f.).

    3. Die Staatsanwaltschaft beantragt, es sei eine stationäre Massnahme im Sinne von Art. 59 StGB anzuordnen; eventualiter sei eine ambulante Massnahme im Sinne von Art. 63 StGB anzuordnen, wobei dem Beschuldigten dabei anzu- drohen sei, im Falle des Scheiterns der ambulanten Massnahme im Sinne von Art. 63 StGB eine stationäre therapeutische Massnahme nach Art. 59 StGB anzuordnen (Urk. 165 S. 1). Sie führt aus, die stationäre Massnahme im Sinne von Art. 59 StGB sei grundsätzlich die geeignetste Massnahme, wobei vorliegend das Problem bestehe, dass der Beschuldigte sich dezidiert dieser Massnahme verweigere. Ungeachtet der Verweigerungshaltung des Beschuldigten werde diese Massnahme beantragt. Falls diese Massnahme tatsächlich an der Verweigerungshaltung des Beschuldigten scheitern würde, müsse dem Beschuldigten klar sein, was dies für Konsequenzen habe (Art. 64 StGB). Im Eventualantrag folge sie der gutachterlichen Empfehlung einer ambulanten Massnahme, was indes stossenderweise dazu führe, dass eine entsprechende Verweigerungshaltung eines Beschuldigten gar noch belohnt werde. Werde tatsächlich diese ambulante Massnahem mit einem enormen Aufwand für ein geeignetes Setting umgesetzt, müsse dem Beschuldigten dabei aber bewusst sein, dass im Falle eines Scheiterns diese Massnahme die Anordnung einer stationären Massnahme die einzige Konsequenz sein könne, was im Urteil vorzumerken sei (Urk. 165 S. 2).

  2. Rechtliches

    1. Gemäss Art. 56 Abs. 1 StGB ist eine Massnahme anzuordnen, wenn eine Strafe allein nicht geeignet ist, der Gefahr weiterer Straftaten des Täters zu be- gegnen (lit. a), eine Behandlungsbedürftigkeit des Täters besteht oder die öffentli- che Sicherheit dies erfordert (lit. b) und die Voraussetzungen der Art. 59-61, 63

      oder 64 erfüllt sind (lit. c). Dabei darf der verbundene Eingriff in die Persönlich- keitsrechte des Täters im Hinblick auf die Wahrscheinlichkeit und Schwere weite- rer Straftaten nicht unverhältnismässig sein (Art. 56 Abs. 2 StGB). Mithin ist bei der Anordnung einer Massnahme der Verhältnismässigkeitsgrundsatz zu wahren. Insbesondere sind daher die Massnahmebedürftigkeit, die Massnahmefähigkeit und die Massnahmewilligkeit des Beschuldigten sowie die Verhältnismässigkeit im engeren Sinn zu prüfen. Überdies muss sich das Gericht bei seinem Entscheid über die Anordnung einer Massnahme auf eine sachverständige Begutachtung stützen. Das Gutachten hat sich über sämtliche tatsächliche Voraussetzungen der Massnahme, d.h. zur Notwendigkeit und den Erfolgsaussichten einer Behandlung des Täters (lit. a), zur Art und Wahrscheinlichkeit weiterer möglicher Straftaten (lit. b) und zu den Möglichkeiten des Vollzugs der Massnahme (lit. c) zu äussern (Art. 56 Abs. 3 StGB). Das Gericht beurteilt die Schlüssigkeit eines Gutachtens frei (Art. 10 Abs. 2 StPO) und ist nicht an den Befund oder die Stellungnahme des Sachverständigen gebunden. Es hat vielmehr zu prüfen, ob sich aufgrund der üb- rigen Beweise und der Parteivorbringen ernsthafte Einwände gegen die Schlüs- sigkeit der gutachterlichen Darlegungen aufdrängen. Auch wenn das gerichtlich eingeholte Gutachten grundsätzlich der freien Beweiswürdigung unterliegt, darf das Gericht in Fachfragen nicht ohne triftige Gründe von ihm abrücken und muss Abweichungen begründen. Das Abstellen auf eine nicht schlüssige Expertise bzw. der Verzicht auf die gebotenen zusätzlichen Beweiserhebungen kann gegen das Verbot willkürlicher Beweiswürdigung verstossen (Art. 9 BV; BGE 142 IV 49 E. 2.1.3; BGE 141 IV 305 E. 6.6.1; BGE 141 IV 369 E. 3.2; je mit Hinweisen; Urteil

      6B_257/2020 vom 24. Juni 2021 E. 4.2.3).

    2. Sind mehrere Massnahmen in gleicher Weise geeignet, ist aber nur eine notwendig, ordnet das Gericht diejenige Massnahme an, die den Täter am we- nigsten beschwert (Art. 56a Abs. 1 StGB).

    3. Ist der Täter psychisch schwer gestört, so kann das Gericht eine stationäre Behandlung anordnen, wenn der Täter ein Verbrechen oder Vergehen begangen hat, das mit seiner psychischen Störung in Zusammenhang steht und wenn zu erwarten ist, dadurch lasse sich der Gefahr weiterer mit seiner psychischen Stö-

      rung in Zusammenhang stehenden Taten begegnen (Art. 59 Abs. 1 StGB). Die stationäre Behandlung erfolgt in einer geeigneten psychiatrischen Einrichtung o- der einer Massnahmevollzugseinrichtung (Art. 59 Abs. 2 StGB).

    4. Ist der Täter psychisch schwer gestört, ist er von Suchtstoffen oder in an- derer Weise abhängig, so kann das Gericht anordnen, dass er nicht stationär, sondern ambulant behandelt wird, wenn der Täter eine mit Strafe bedrohte Tat verübt, die mit seinem Zustand in Zusammenhang steht und wenn zu erwarten ist, dadurch lasse sich der Gefahr weiterer mit dem Zustand des Täters in Zusam- menhang stehender Taten begegnen (Art. 63 Abs. 1 StGB). Die zuständige Be- hörde kann verfügen, dass der Täter vorübergehend stationär behandelt wird, wenn dies zur Einleitung der ambulanten Behandlung geboten ist, wobei die stati- onäre Behandlung insgesamt nicht länger als zwei Monate dauern darf (Art. 63 Abs. 2 StGB).

  3. Gutachten

    Das forensisch-psychiatrische Gutachten von Prof. Dr. med. H. beantwortet die im Gutachtensauftrag vom 13. September 2021 gestellten Fragen, weist keine formalen Fehler auf und ist nachvollziehbar und schlüssig. Das Gutachten erscheint überdies hinreichend aktuell (vgl. BGE 134 IV 246 E. 4.3; BGE 128 IV 241 E. 3.4; Urteil 6B_32/2019 vom 28. Februar 2019 E. 2.6.3; Urteil 6B_835/2017 vom 22. März 2018 E. 5.3.2, nicht publ. in BGE 144 IV 176). Es ist für den Entscheid über die Anordnung einer Massnahme auf die sachverständige Begutachtung von Prof. Dr. med. H. abzustützen.

  4. Besonderer psychischer Zustand / schwere psychische Störung

    Gestützt auf die fachärztliche Beurteilung litt der Beschuldigte im Tatzeitpunkt an einer Kokainabhängigkeit (ICD-10: F14.2) mit wiederholten Kokainintoxikationen (ICD-10: F14.0), an einer Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung (ADHS; ICD-10: F90.0) und an einer dissozialen Persönlichkeitsstörung (ICD-10: F60.2) mit histrionischen und narzisstischen Merkmalen. Dabei hielt der Gutachter fest, dass der Ausprägungsgrad jeder dieser Störungen im Vergleich zu anderen

    Betroffenen schwer sei. Der Beschuldigte sei insbesondere hinsichtlich ADHS und Persönlichkeitsproblematik einer Gruppe mit starken Symptomausprägung zu- zuordnen. Diese beiden Störungen seien als anhaltend einzuordnen. Bezüglich des Kokainkonsums bestehe aktuell unter allerdings schützenden Bedingungen bzw. unter Haftbedingungen eine Substanzabstinenz. Es sei jedoch von einer lang andauernden Vulnerabilität gegenüber verschiedenen Abhängigkeitserkran- kungen auszugehen; die Besserung aufgrund der Haftbedingungen sei noch nicht als belastungsstabil einzuordnen (Urk. 150 S. 86, 93 ff., 111 f.). Mithin sind diese Massnahmevoraussetzungen klar erfüllt.

  5. Anlasstat und Zusammenhang mit der psychischen Abnormität

Anlass für das Gutachten ist der angeklagte Vorfall vom 17. September 2018. Der Beschuldigte hatte sich damals, um ca. 05.00 Uhr morgens, in den Wald bei

N.

begeben und traf dort beim Jugendhaus O.

auf den

(meditierenden) Privatkläger. Der Beschuldigte kam auf den Privatkläger zu, begann eine verbale Auseinandersetzung und attackierte ihn in der Folge ohne erkennbaren Grund mit der behändigten Eisenstange, wobei er mehrmals zuschlug und dabei zumindest auf den Kopfbereich des Privatklägers einwirkte. Dass die durch ihn ausgeführten Schläge mit Wucht erfolgten, zeigt sich insbesondere anhand des Ausmasses der Verletzungen (Urk. 144 S. 14 f.). Der Beschuldigte wurde für sein diesbezügliches Verhalten mit Teilurteil vom

8. Juni 2021 der versuchten schweren Köperverletzung, mithin eines Verbrechens, schuldig gesprochen (Urk. 144 S. 15 ff., 23). Dass die Anlasstat im Versuchsstadium stecken geblieben ist, hindert die Anordnung einer Massnahme nicht (HEER in: NIGGLI/WIPRÄCHTIGER, BSK StGB, 4. Aufl. 2019, Art. 59 N 43a).

Dabei war – wie den schlüssigen und nachvollziehbaren Ausführungen des

Gutachters Prof. Dr. med. H.

entnommen werden kann – die psychische

Verfassung des Beschuldigten im Deliktszeitraum stark durch seinen abhängigen Kokainkonsum mit auch paranoid anmutenden Denkinhalten geprägt. Dies alles vor dem Hintergrund einer schon vorab reduzierten Leistungsfähigkeit infolge der (schon in den Vorgutachten beschriebenen) ADHS und dissozialen Persönlichkeitsstörung, wobei die genannten Störbilder geeignet sind, sich

wechselseitig ungünstig zu beeinflussen (Urk. 150 S. 91 ff.). Mithin bestand ein enger Zusammenhang zwischen den schweren psychischen Störungen des Beschuldigten sowie der (tatzeitrelevanten) Kokainabhängigkeit mit dem Tat- vorwurf bzw. der Anlasstat (Urk. 150 S. 112).

  1. Rückfallgefahr

    Gemäss dem sachverständigen Gutachter besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Beschuldigte weitere Straftaten begeht. Insbesondere seien Eigentumsdelikte, Betäubungsmitteldelikte, Verkehrsdelikte, Drohungen und Sachbeschädigungen zu erwarten. Ausserdem müsse mit impulsiven Gewalthandlungen im Kontext von Konflikten, insbesondere im psychosozialen Nahbereich (häusliche Gewalt), gerechnet werden. Den schlüssigen Ausführungen im Gutachten kann entnommen werden, dass bei der aktuellen Analyse des VRAG (Violence Risk Appraisal Guide) des Beschuldigten eine deutliche Ausprägung von Risikomerkmalen für einen Rückfall resultiert, was für ein erhöhtes Rückfallrisiko spreche. Denn lediglich 3% der Originalstichprobe der untersuchten Straftäter hätten den vom Beschuldigten erzielten Wert überschritten (Urk. 150 S. 81 ff., 99). Auch in der stärker auf die individuelle Persönlichkeit des Beschuldigten abzielenden Analyse mittels PCL-R habe der Beschuldigte mit 29 Punkten einen Prozentrang von 78 erzielt, d.h. 22% der Straftäter aus einer deutschsprachigen Population hätten höhere Werte erzielt (Urk. 150 S. 78 ff., 100). Mithin bleibt festzuhalten, dass das statistische Wiederholungsrisiko des Beschuldigten gegenüber demjenigen eines durchschnittlichen Gewaltstraftäters erhöht ist (Urk. 150 S. 100). Das Gutachten schlussfolgert nach sorgfältiger und ausführlicher Analyse sodann, dass von schweren Gewaltdelikten auszugehen sei, wenn der Substanz-, insbesondere der Kokainkonsum des Beschuldigten wieder aufgenommen und intensiviert werde. Bei der vorbestehenden persönlichkeitsbedingt geringen Normentreue und einer durch die ADHS-Problematik begünstigten hohen Impulsivität hätten sich über Jahre hinweg und insbesondere in einem Altersbereich, in dem solche Risikomerkmale mit einem hohen Gewaltrisiko verknüpft seien, keine schweren Gewaltdelikte gezeigt. Diese seien erst mit verstärkten psychosozialen Konflikten

    bzw. im Kontext des Substanzkonsums bzw. der 2018 bestehenden Kokainabhängigkeit aufgetreten. Zusätzlich sei die Anlasstat mit bei Kokainintoxikation auftretenden paranoiden Vorstellungen verknüpft gewesen (Urk. 150 S. 100 f., 114).

  2. Behandlungs- / Massnahmebedürftigkeit

    Prof. Dr. med. H. hält in seinem Gutachten folgendes fest: Eine Strafe eigne sich nicht, der Gefahr weiterer Straftaten des Beschuldigten zu begegnen bzw. die vom Beschuldigten ausgehenden Risiken zu reduzieren (Urk. 150 S. 114, 118). Die ADHS-Problematik sei medikamentös behandlungsbedürftig, wobei die Behandlung langfristig erfolgen sollte. Weiterhin bestehe auch hinsichtlich der Kokainabhängigkeit und der dissozialen Persönlichkeitsstörung ein Behandlungs- bedarf (Urk. 150 S. 114 f.). Dabei weist Prof. Dr. med. H. darauf hin, wenn die ADHS-Symptomatik nicht effektiv behandelt werde, würden die erforderlichen psychotherapeutischen Behandlungsschritte hinsichtlich Abhängigkeit und Per- sönlichkeit unter freiheitlichen Bedingungen nicht umsetzbar sein (Urk. 150

    S. 115). Zusammengefasst ist eine medikamentöse und psychotherapeutische Behandlung der Störungen des Beschuldigten indiziert.

  3. Massnahmefähigkeit und Therapieerfolg / Eignung der Massnahme

    1. Das Gutachten hält fest, es sei zu erwarten, dass sich durch die empfohle- nen Behandlungsmassnahmen (vgl. Ziff. IV 10) die Gefahr weiterer Straftaten reduzieren lasse (Urk. 150 S. 117).

    2. Eine stationäre therapeutische Massnahme könne in einem Zeitraum von fünf Jahren zu einer deutlichen Verbesserung der Legalprognose führen. Ange- sichts der Widerstände des Beschuldigten sei jedoch damit zu rechnen, dass ein erheblicher Zeitraum nötig werde, um diese Behandlung überhaupt in Gang zu bringen. Aufgrund der Weigerungshaltung könne eine stationäre Massnahme langfristig nicht erfolgsversprechend durgeführt werden (Urk. 150 S. 117 f.).

    3. Hingegen könne eine ambulante Massnahme mit Bewährungshilfe, Wei- sungen und aufwendig zu gestaltendem Helfernetz – mit entsprechenden Reakti-

      onsmöglichkeiten bei Unzuverlässigkeiten – erfolgreich sein (Urk. 150 S. 116, 119).

    4. Zusammenfassend ist der Beschuldigte unstreitig massnahmefähig, wobei grundsätzlich sowohl eine stationäre wie auch eine ambulante Behandlung ins Auge zu fassen sind.

  4. Massnahmewilligkeit

    1. Eine stationäre Behandlung verlangt vom Betroffenen ein Mindestmass an Kooperationsbereitschaft. An die Therapiewilligkeit im Zeitpunkt des richterlichen Entscheids dürfen bei der stationären Behandlung von psychischen Störungen nach Art. 59 StGB jedoch keine allzu hohen Anforderungen gestellt werden. Dies trägt dem Umstand Rechnung, dass es durchaus aufgrund der psychischen Er- krankung des Betroffenen an der Fähigkeit fehlen kann, die Notwendigkeit und das Wesen einer Behandlung abzuschätzen. Mangelnde Einsicht gehört bei schweren, langandauernden Störungen häufig zum typischen Krankheitsbild. Ein erstes Therapieziel besteht daher oft darin, Einsicht und Therapiewilligkeit zu schaffen, was gerade im Rahmen stationärer Behandlungen auch Aussichten auf Erfolg hat (Urteil 6B_493/2017 vom 5. Oktober 2017 E. 2.4.1; Urteil 6B_463/2016 vom 12. September 2016 E. 1.3.3; Urteil 6B_543/2015 vom 10. Dezember 2015

      E. 4.2.3; Urteil 6B_487/2011 vom 30. Januar 2012 E. 3.7.3; Urteil 6B_373/2010 vom 13. Juli 2010 E. 5.5; je mit Hinweisen). Dass die Motivation für eine Be- handlung beim Betroffenen nicht von Anfang an klar vorhanden ist, spricht nicht gegen ihre Anordnung. Es genügt, wenn jener wenigstens motivierbar ist. Von der Anordnung einer stationären therapeutischen Massnahme ist nach der Recht- sprechung nicht bereits deshalb abzusehen, weil der Betroffene diese kategorisch ablehnt. Ob eine und gegebenenfalls welche Massnahme anzuordnen ist, ent- scheidet sich nach objektiven Gesichtspunkten. Auf die subjektive Meinung der betroffenen Person kommt es grundsätzlich ebenso wenig an wie auf deren persönliche Empfindung. Entscheidend ist, ob beim Betroffenen eine minimale Motivierbarkeit für eine therapeutische Behandlung erkennbar ist (Urteil 6B_463/2016 vom 12. September 2016 E. 1.3.3; Urteil 6B_543/2015 vom

  5. Dezember 2015 E. 4.2.3; je mit Hinweisen). Bezieht sich eine negative

Einstellung des Betroffenen weniger auf die Behandlung als solche als vielmehr auf den Umstand, dass diese mit einem Freiheitsentzug verbunden ist, spricht dies allein noch nicht gegen die Anordnung der Massnahme (Urteil 6B_835/2017 vom 22. März 2018 E. 5.3.4; Urteil 6B_493/2017 vom 5. Oktober 2017 E. 2.4.2;

Urteil 6B_681/2010 vom 7. Oktober 2010 E. 4.3)

    1. Der Beschuldigte lehnt eine stationäre Massnahme nach Art. 59 StGB ka- tegorisch ab (Urk. 150 S. 117). Der Sachverständige Prof. Dr. med. H. hält hierzu fest, es sei weiterhin nicht zu erwarten, dass der Beschuldigte sich innerhalb nützlicher Frist auf eine solche Behandlung einlassen könne bzw. wer- de. Vielmehr müsse mit massiv therapiestörendem und damit auch für Mitpatien- ten therapieschädigendem Verhalten gerechnet werden. Die Anordnung gegen seinen ausdrücklichen und nun schon über einen Zeitraum von mehreren Jahren hinweg geäusserten Willen werde mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht nur die indi- viduelle Kriminalprognose nicht verbessern, sondern auch das therapeutische Mi- lieu der mit ihm befassten Einrichtung in einer Weise stören, die auch die Krimi- nalprognose der anderen dort untergebrachten Personen belasten werde. Inso- fern sei die Massnahme nach Art. 59 StGB zwar aus psychiatrischer Sicht hin- sichtlich der vorliegenden Störungen und insbesondere des Schweregrads der Persönlichkeitsproblematik indiziert, letztlich sei aber nicht zu erwarten, dass die Massnahme erfolgversprechend umsetzbar sei (Urk. 150 S. 105).

    2. Andererseits hat der Beschuldigte wiederholt seine Bereitschaft formuliert, sich ambulant behandeln zu lassen. Das Gutachten hält fest, die bisherige Be- handlung sei vollzugsbegleitend erfolgt und der Beschuldigte habe hierbei seine Kooperations- und Behandlungsbereitschaft, allerdings unter sehr strukturierten Bedingungen, durchaus unter Beweis stellen können. Im ambulanten Setting sei unter freiheitlichen Bedingungen zu erwarten, dass ihm dies, wie schon in der Vorgeschichte, nicht immer bzw. nicht durchgängig gelingen werde. Insofern bedürfe es einer engen Abstimmung der mit der Betreuung des Beschuldigten beauftragten Personen, um ein möglichst engmaschiges Helfernetz zu knüpfen. Gelinge dies nicht, sei zeitnah mit einer Rückversetzung in den Vollzug (bzw. mit der Inkraftsetzung der stationären Massnahme) zu reagieren (Urk. 150 S. 117).

    3. Wie ausgeführt, steht die Weigerung, sich auf eine stationäre therapeutische Massnahme einzulassen, einer Anordnung gemäss Lehre und Rechtsprechung nicht per se entgegen. Der Beschuldigte hat nach der Inhaftierung selbst um Therapie ersucht und auch therapeutische Hilfestellungen in Anspruch genommen (vgl. Urk. 168/1) und zeigt sich motiviert, dies weiterhin, auch im Rahmen einer ambulanten Behandlung zu tun. Damit bringt er zum Ausdruck, die Notwendigkeit einer Therapie einzusehen und sich dieser grundsätzlich zu unterziehen. Seine fehlende Motivation bezieht sich damit nicht auf das grundsätzliche Bedürfnis einer Behandlung, sondern auf die Art, wie diese durchzuführen ist. Darauf kann es aber nur begrenzt ankommen. Das Gutachten hält hierzu fest, die Substanzabstinenz bzw. die mittlerweile abgeklungene Abhängigkeit von Kokain habe dazu geführt, dass der Beschuldigte einige der im Deliktszeitraum gezeigten Auffälligkeiten kritischer reflektiere. Er neige indes weiterhin zu einer blauäugigen Überschätzung der eigenen Möglichkeiten, deliktsfrei zu leben, und tue sich schwer damit, äussere Vorgaben zu akzeptieren und sich durchgängig normgerecht zu verhalten (Urk. 150 S. 101). Sodann sei es um die therapeutische Erreichbarkeit hinsichtlich der dissozialen Persönlichkeitsproblematik schwieriger bestellt, da diese vom Beschuldigten nicht problematisiert werde. Er externalisiere seine Schwierigkeiten und könne nur eingeschränkt anerkennen, dass auch er eine Rolle bei den bisherigen psychosozialen Schwierigkeiten gespielt habe. Dem Beschuldigten müsse aber positiv attestiert werden, dass er in der Vergangenheit die Fähigkeit gezeigt habe, in eine therapeutische Beziehung einzusteigen (Urk. 150 S. 103 f.). Gleichzeitig streicht das Gutachten hervor, dass der Beschuldigte wiederholt unter Beweis gestellt habe, dass er von ihm inhaltlich nicht nachvollzogene Vorgaben bzw. Behandlungsauflagen nicht mitträgt bzw. durch sein Verhalten sogar torpediert (Urk. 150 S. 104). Der Gutachter kommt entsprechend nachvollziehbar zum Schluss, es sei nicht zu erwarten, dass er sich innerhalb einer nützlichen Frist auf eine stationäre Behandlung einlassen könne bzw. werde (Urk. 150 S. 105).

    4. Zusammengefasst darf davon ausgegangen werden, dass vorliegend eine Chance für einen Behandlungserfolg sowohl bei der Anordnung einer stationären als auch bei einer ambulanten Massnahme besteht, wobei bei der stationären

Variante aufgrund der langanhaltenden konsequenten Weigerungshaltung des Beschuldigten sowie seines bisher gezeigten Verhaltensmusters nicht unbegrün- dete Zweifel bestehen, dass er diese weiterhin konsequent torpediert.

  1. Eignung und Ausgestaltung der Massnahme

    1. Zur Art der Massnahme bzw. Behandlung führt das Gutachten von Prof. Dr. med. H. aus, eine stationäre Massnahme im Sinne von Art. 59 StGB sei in einer spezialisierten und geschlossenen Einrichtung des Strafvollzugs zur Behandlung der Grunderkrankung des Beschuldigten geeignet (Urk. 150 S. 115). Eine ambulante Behandlung im Sinne von Art. 63 StGB erscheine ebenfalls geeignet (Urk. 150 S. 115). Aufgrund der grossen Bedeutung der Abhängigkeits- problematik für die Anlassdelikte komme auch eine Massnahme nach Art. 60 StGB in Betracht, allerdings würden sich wegen der deutlich vorhandenen Persönlichkeitsproblematik hinsichtlich der Umsetzbarkeit dieser Massnahme in einer stationären Einrichtung der Suchthilfe keine realistischen Erfolgsaussichten ergeben (Urk. 150 S. 104). Zusammengefasst kann mit einer Behandlung der Störungen des Beschuldigten (ambulant oder stationär) mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine deutliche Verringerung der Gefahr weiterer Straftaten erreicht werden.

    2. Zur Ausgestaltung einer ambulanten Massnahme führt das Gutachten aus, diese könne auch während des Vollzugs der Freiheitsstrafe durchgeführt werden (Urk. 150 S. 115). Es erscheine sinnvoll, die nach der Inhaftierung vorgenommene freiwillige ambulante Behandlung einerseits beim bisherigen Behandler fortzuführen. Andererseits sollten die psychiatrisch- psychotherapeutischen Behandlungsmassnahmen durch ein spezialisiertes Suchtambulatorium erfolgen. Diesbezüglich komme die forensisch-psychiatrische Sprechstunde im Zentrum für Abhängigkeitserkrankungen in der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich (PUK) in Betracht. Es sei sodann darauf zu achten, dass die begonnene medikamentöse Behandlung der ADHS mit Methylphenidat (Concerta) konsequent durchgeführt werde; diesbezüglich könnten auch Spiegelkontrollen erfolgen. Die Verschreibung und das Monitoring der ADHS Medikation könne ebenfalls in der PUK erfolgen. Die medikamentöse Behandlung

      der ADHS sei relevant für die psychotherapeutische Erreichbarkeit des Beschuldigten bzw. seine Fähigkeit, eine Therapie insbesondere unter freiheitlichen Bedingungen für sich zu nutzen. Ohne eine adäquate Behandlung der ADHS werde der Beschuldigte in die frühere unorganisiert-desintegrierte Lebensführung zurückfallen. Dann sei nicht zu erwarten, dass er die Behandlungstermine regelmässig nutzen könne und werde. Somit stelle die medikamentöse Behandlung der ADHS die Basis weiterer Therapieschritte dar. Weiterhin sollten sodann Kontrollen hinsichtlich der Substanzabstinenz durch- geführt werden (Urk. 150 S. 116). Nach der Haftentlassung sei überdies zwingend Bewährungshilfe anzuordnen. Sodann solle dem Beschuldigten die Weisung erteilt werden, den Anweisungen der Behandler Folge zu leisten und sich für regelmässige Kontrollen hinsichtlich der Substanzabstinenz und der Medikamentencompliance zur Verfügung zu stellen (Urk. 150 S. 116). Prof.

      Dr. med. H.

      betont dabei mehrfach, wie bedeutsam es sei, dass ein

      engmaschiges Helfernetz etabliert werde. Hierbei seien der Beistand und die Bewährungshilfe wichtig, um beispielsweise ein geeignetes Wohnumfeld sicherzustellen und die finanziellen Belange des Beschuldigten zu regeln (Urk. 150 S. 116).

  2. Verhältnismässigkeit

    1. Die anzuordnende Massnahme muss wie erwähnt verhältnismässig sein.

    2. Der sachverständige Gutachter legt nachvollziehbar dar, dass sowohl eine stationäre als auch eine ambulante Behandlung des Beschuldigten grundsätzlich erfolgsversprechend seien.

    3. Prof. Dr. med. H. begründet in seinem Gutachten schlüssig, weshalb bei Anordnung einer stationären Massnahme in casu angesichts der konsequenten Weigerungshaltung des Beschuldigten langfristig gewisse Zweifel betreffend deren Erfolgsaussichten bestehen bleiben müssen. Er stellt sich auf den Standpunkt, eine ambulante Massnahme sei ebenfalls erfolgsversprechend. Es ist entsprechend dem Aspekt der Subsidiarität von Massnahmen Rechnung zu tragen. Mit anderen Worten hat die stationäre Massnahme zu unterbleiben, da die

      ambulante Massnahme als ebenfalls geeignete, aber mildere Massnahme für den angestrebten Erfolg ausreicht und entsprechend eine stationäre Massnahme nicht notwendig erscheint. Unter Berücksichtigung des Verhältnismässigkeitsprinzips ist entsprechend eine ambulante Massnahme im Sinne von Art. 63 StGB anzuordnen (Art. 56a Abs. 1 StGB). Diese erscheint – wie bereits ausgeführt – erforderlich, um die Gefahr weiterer Straftaten zu reduzieren.

    4. Schliesslich muss zwischen dem Eingriff und dem angestrebten Zweck ei- ne vernünftige Relation bestehen (Verhältnismässigkeit i.e.S.). Das bedeutet, dass die betroffenen Interessen gegeneinander abgewogen werden müssen. Bei einer Prüfung des Zweck-Mittel-Verhältnisses fallen im Rahmen der Gesamtwür- digung auf der einen Seite insbesondere die Schwere des Eingriffs in die Frei- heitsrechte des Betroffenen in Betracht. Auf der anderen Seite sind das Behand- lungsbedürfnis sowie die Schwere und die Wahrscheinlichkeit künftiger Straftaten relevant (BGE 142 IV 105 E. 5.4; BGE 137 IV 201 E. 1.2; Urteil 6B_835/2017 vom

      22. März 2018 E. 5.2.2 mit Hinweisen [nicht publ. in BGE 144 IV 176]).

    5. Eine ambulante Massnahme nach Art. 63 StGB ist im Unterschied zu Strafen zeitlich relativ unbestimmt. Ihre Dauer hängt vom Behandlungsbedürfnis des Massnahmeunterworfenen und den Erfolgsaussichten der Massnahme, letzt- lich also von den Auswirkungen der Massnahme auf die Gefahr weiterer Straftaten, ab. Die Massnahme dauert aber grundsätzlich so lange an, bis ihr Zweck erreicht ist oder sich eine Zweckerreichung als aussichtslos erweist (HEER in: NIGGLI/ WIPRÄCHTIGER, BSK StGB, 4. Aufl. 2019, Art. 63b N 83 ff.; BGE 145 IV

      65 E. 2.3.3 mit Hinweisen). Dabei tangiert die vorliegend anzuordnende ambulante medikamentöse und therapeutische Behandlung – verknüpft mit Be- währungshilfe und Weisungen – die persönliche Freiheit des Beschuldigten in e- her untergeordneter Weise.

    6. Gestützt auf die gutachterliche Einschätzung von Prof. Dr. med H. liegt sodann eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür vor, dass der Beschuldigte weitere Straftaten begeht, wenn die diagnostizierten Störungen unbehandelt bleiben. Insbesondere sind Eigentumsdelikte, Betäubungsmitteldelikte, Verkehrsdelikte, Drohungen und Sachbeschädigungen zu erwarten. Es muss

      aber auch mit impulsiven Gewalthandlungen im Kontext von Konflikten, insbesondere im psychosozialen Nahbereich (häusliche Gewalt), gerechnet werden. Bei Wiederaufnahme und Intensivierung des Substanz-, insbesondere des Kokainkonsums, ist überdies von schweren Gewalttaten auszugehen.

    7. Die gemäss Gutachter zweckmässige Behandlung in Form einer ambulan- ten psychiatrischen Therapie verbunden mit einer antipsychotischen Medikation stellt dabei – insbesondere im Vergleich zur stationären Massnahme – einen leichteren Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des Beschuldigten dar und erweist sich mithin in Relation zur drohenden Gefahr weiterer Straftaten als verhältnis- mässig. Mit anderen Worten besteht zwischen dem Eingriffszweck des Gesellschaftsschutzes vor weiteren Delikten und der Eingriffswirkung beim Massnahmenunterworfenen vorliegend ein vernünftiges Verhältnis. Die Mass- nahme erweist sich demnach auch als verhältnismässig im engeren Sinne (Art. 56 Abs. 2 StGB).

  3. Fazit

    1. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Anordnung einer ambulanten Massnahme sind vorliegend erfüllt. Entsprechend ist angesichts des subsidiären Charakters der Verwahrung diese nicht mehr zu prüfen (HEER/HABERMEYER in: NIGGLI/WIPRÄCHTIGER, BSK StGB, 4. Aufl. 2019, Art. 64 N 8). Es ist eine

      ambulante therapeutische Massnahme verbunden mit einer antipsychotischen Medikation im Sinne von Art. 63 StGB (Behandlung von psychischen Störungen, kombiniert mit einer Suchtbehandlung) anzuordnen. Dabei ist bei deren Ausgestaltung den Empfehlungen des Gutachters in Bezug auf die engmaschige Kontrolle und Koordination besonders Rechnung zu tragen. Der Gutachter erachtet es hierbei – wie schon ausgeführt – als zentral, für die Dauer der ambulanten Behandlung eine Bewährungshilfe anzuordnen und den Beistand einzusetzen, besonders auch im Hinblick auf die Sicherstellung eines geeigneten Wohnumfelds und die Regelung der finanziellen Belange des Beschuldigten. Auch ist gemäss Gutachter insbesondere zur Sicherstellung der Substanzabstinenz und Medikamentencompliance von der Möglichkeit, dem Beschuldigten Weisungen zu erteilen, Gebrauch zu machen (Urk. 150 S. 116).

      Als Beitrag zur Eignung resp. Zweckmässigkeit der Massnahme sind nach dem Gesagten eine entsprechende Bewährungshilfe für die Dauer der Behandlung anzuordnen und dem Massnahmeunterworfenen die Weisungen zu erteilen, den Anweisungen des Behandlers Folge zu leisten und sich für regelmässige Kontrollen hinsichtlich Substanzabstinenz und Medikamentencompliance zur Verfügung zu stellen. Der Beschuldigte ist auf Art. 295 StGB hinzuweisen, wonach mit Busse bestraft wird, wer sich der vom Gericht oder den Vollzugsbehörden angeordneten Bewährungshilfe entzieht oder die vom Gericht oder den Vollzugsbehörden erteilten Weisungen missachtet.

    2. Die Einleitung der ambulanten Massnahme erfolgt in einem stationären Setting im Sinne von Art. 63 Abs. 3 StGB, damit die als notwendig erachtete enge Abstimmung der mit der Betreuung des Beschuldigten beauftragen Personen vorgenommen, ein tragfähiges Helfernetz geknüpft und mit Hilfe des Beistands und der Bewährungshilfe ein geeignetes Wohnumfeld sichergestellt, seine finanziellen Belange geregelt und die psychiatrische und suchtspezifische Behandlung aufgegleist werden kann.

    3. Sollte die ambulante Massnahme tatsächlich scheitern, ist darauf hinzu- weisen, dass gemäss gesetzlicher Konzeption ein selbständiges nachträgliches Verfahren betreffend Anordnung einer stationären Massnahme durchzuführen ist (vgl. Art. 63b Abs. 5 StGB; HEER in: NIGGLI/WIPRÄCHTIGER, BSK StGB, 4. Aufl. 2019, Art. 63b N 16 ff.).

V. Kosten- und Entschädigungsfolgen

  1. Kosten- und Entschädigungsfolgen im erstinstanzlichen Verfahren

    1. Ausgangsgemäss ist die vorinstanzliche Kostenauflage zu bestätigen. Die Freisprüche betreffend Hausfriedensbruch gemäss Dossier 4 sowie betreffend mehrfaches Fahren ohne Haftpflichtversicherung erscheinen marginal und be- deuteten kaum Mehraufwand.

    2. Die Vorinstanz verpflichtete den Beschuldigten, dem Privatkläger C. für die Untersuchung sowie das erstinstanzliche Verfahren eine Prozessentschädigung von Fr. 4'847.15 zu bezahlen (Urk. 92 S. 39). Diese erscheint an- gemessen und ist ausgangsgemäss zu bestätigen.

  2. Kosten- und Entschädigungsfolgen im Berufungsverfahren

    1. Die Gerichtsgebühr für das Berufungsverfahren ist auf Fr. 6'000.– zu ver- anschlagen (Art. 424 Abs. 1 StPO in Verbindung mit § 16 Abs. 1 und § 14 der Gebührenverordnung des Obergerichts). Die Kosten für das Gutachten belau- fen sich sodann auf Fr. 34'310.– (Urk. 150A).

    2. Die Kosten im Rechtsmittelverfahren tragen die Parteien nach Massga- be ihres Obsiegens oder Unterliegens (Art. 428 Abs. 1 StPO). Ob eine Partei im Rechtsmittelverfahren als obsiegend oder unterliegend gilt, hängt davon ab, in welchem Ausmass ihre vor Beschwerdeinstanz bzw. Berufungsgericht ge- stellten Anträge gutgeheissen werden (DOMEISEN in: BKS StPO II, 2. Aufl. 2014, Art. 428 N 6; GRIESSER in: DONATSCH/LIEBER/SUMMER/WOHLERS, StPOKommentar, 3. Aufl. 2020, Art. 428 N 1).

    3. Der Beschuldigte strebte mit seiner Berufung einen Freispruch in Dossi- er 1, und damit bezüglich der schwersten ihm zur Last gelegten Tat an, beantrag- te eine deutlich tiefere Strafe sowie opponierte gegen die Anordnung einer Ver- wahrung. Er unterliegt mit seinen Anträgen betreffend Schuldpunkt und Strafe und obsiegt betreffend Massnahme. Die Staatsanwaltschaft unterliegt mit ihren Anträ- gen ebenfalls teilweise. Es rechtfertigt sich, dem Beschuldigten die Kosten des Berufungsverfahrens, mit Ausnahme der Kosten der amtlichen Verteidigung, zu zwei Dritteln aufzuerlegen (Art. 428 Abs. 1 StPO) und zu einem Drittel auf die Ge- richtskasse zu nehmen. Die Kosten der amtlichen Verteidigung für das Beru- fungsverfahren sind zu zwei Dritteln einstweilen und zu einem Drittel definitiv auf die Gerichtskasse zu nehmen. Eine allfällige Rückerstattungspflicht bleibt im Umfang von zwei Dritteln vorbehalten (Art. 135 Abs. 4 StPO).

    4. Der vormalige amtliche Verteidiger, Rechtsanwalt Dr. iur. X2._____, wurde bereits für seinen Aufwand im Berufungsverfahren mit Fr. 1'851.25 (inkl.

      Barauslagen und MwSt.) aus der Gerichtskasse entschädigt (vgl. Urk. 118 und Urk. 118a).

    5. Der neue amtliche Verteidiger, Rechtsanwalt lic. iur. X1. , welcher mit Wirkung ab 29. März 2021 als amtlicher Verteidiger des Beschuldigten bestellt wurde (vgl. Urk. 115), reichte mit Eingabe vom 3. Juni 2021 eine Zwischenrech- nung ins Recht und macht für das Berufungsverfahren bis 3. Juni 2021 einen Aufwand sowie Barauslagen in der Höhe von Fr. 11'787.– (inkl. MwSt.) geltend (Urk. 135). Mit Eingabe vom 15. März 2023 reiche er sodann eine Honorarnote für die Aufwendungen vom 3. Juni 2021 an ins Recht und macht einen weiteren Auf- wand sowie Barauslagen in der Höhe von Fr. 7'114.10 (inkl. MwSt.) geltend (Urk. 189). Der geltend gemachte Aufwand erscheint ausgewiesen. Die Entschä- digung für die neue amtliche Verteidigung des Beschuldigten für das Berufungs- verfahren ist insgesamt auf Fr. 18'901.10 (inkl. Barauslagen und MwSt.) festzu- setzen. Es ist darauf hinzuweisen, dass am 4. Juni 2021 eine Akontozahlung von Fr. 11'787.– bereits erfolgt ist (Urk. 133A).

    6. Die Vertretung der Privatklägerschaft macht für das Berufungsverfahren eine Prozessentschädigung von pauschal Fr. 1'500.– geltend (Urk. 124). Da der Entscheid über die Zivilansprüche in Rechtskraft erwachsen ist, mithin nicht mehr Gegenstand des Berufungsverfahrens war, und überdies kaum Aufwand der Privatklägervertretung im Berufungsverfahren ersichtlich ist, erscheint ein Auf- wand von rund zwei Stunden als angemessen. Entsprechend hat der Beschuldig- te dem Privatkläger eine Prozessentschädigung von pauschal Fr. 500.– auszu- richten.

Es wird zudem erkannt:

  1. Der Beschuldigte wird zudem bestraft mit 46 Monaten Freiheitsstrafe, wel- che durch Haft sowie vorzeitigen Strafvollzug erstanden ist.

  2. Es wird im Sinne der vorstehenden Erwägungen eine ambulante Behand- lung des Beschuldigten gemäss Art. 63 StGB (Behandlung psychischer Störungen und Suchtbehandlung) angeordnet.

  3. Der Vollzug der Freiheitsstrafe wird nicht aufgeschoben.

  4. Für die Dauer der Behandlung wird eine Bewährungshilfe angeordnet und es werden dem Beschuldigten folgende Weisungen erteilt:

  5. Der Beschuldigte wird auf die Strafandrohung von Art. 295 StGB aufmerk- sam gemacht, wonach mit Busse bestraft werden kann, wer sich der vom Gericht oder den Vollzugsbehörden angeordneten Bewährungshilfe entzieht oder die vom Gericht oder den Vollzugsbehörden erteilten Weisungen miss- achtet.

  6. Das erstinstanzliche Kosten- und Entschädigungsdispositiv (Ziff. 15-17) wird bestätigt.

  7. Die zweitinstanzliche Gerichtsgebühr wird festgesetzt auf: Fr. 6'000.00 ; die weiteren Kosten betragen:

    1'851.25 vormalige amtliche Verteidigung RA Dr. iur. X2. (bereits entschädigt)

    Fr. 18'901.10 amtliche Verteidigung RA lic. iur. X1.

    (Fr. 11'787.– bereits akonto ausbezahlt)

    Fr. 34'310.00 Gutachten

  8. Die Kosten des Berufungsverfahrens, mit Ausnahme der Kosten der amt- lichen Verteidigung, werden zu 2/3 dem Beschuldigten auferlegt und zu 1/3 auf die Gerichtskasse genommen.

    Die Kosten der amtlichen Verteidigung werden zu 2/3 einstweilen und zu 1/3 definitiv auf die Gerichtskasse genommen. Die Rückzahlungspflicht des Beschuldigten bleibt im Umfang von 2/3 gemäss Art. 135 Abs. 4 StPO vorbe- halten.

  9. Der Beschuldigte wird verpflichtet, dem Privatkläger C.

    für das Berufungsverfahren eine Prozessentschädigung von Fr. 500.– zu bezahlen.

  10. Schriftliche Mitteilung in vollständiger Ausfertigung an

  11. Gegen diesen Entscheid sowie den Teilentscheid vom 8. Juni 2021 kann

bundesrechtliche Beschwerde in Strafsachen erhoben werden.

Die Beschwerde ist innert 30 Tagen, von der Zustellung der vollständigen, begründeten Ausfertigung an gerechnet, bei der Strafrechtlichen Abteilung des Bundesgerichtes (1000 Lausanne 14) in der in Art. 42 des Bundes- gerichtsgesetzes vorgeschriebenen Weise schriftlich einzureichen.

Die Beschwerdelegitimation und die weiteren Beschwerdevoraussetzungen richten sich nach den massgeblichen Bestimmungen des Bundesgerichts- gesetzes.

Zürich, 16. März 2023

Obergericht des Kantons Zürich

I. Strafkammer

Der Präsident: lic. iur. Ch. Prinz

Die Gerichtsschreiberin: MLaw A. Donatsch

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