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Urteil Obergericht des Kantons Zürich (ZH)

Zusammenfassung des Urteils SB190424: Obergericht des Kantons Zürich

Der Kläger Y._____ arbeitete als Taxifahrer für die Beklagte A._____ und forderte Lohnzahlungen und Entschädigungen ein. Nach einem langwierigen Streit vor dem Bezirksgericht Prättigau/Davos wurde entschieden, dass die Beklagte Y._____ einen Betrag von Fr. 1'418.20 zahlen muss. Die Gerichtskosten trägt der Kanton Graubünden, während Y._____ die Beklagte mit Fr. 6'565.20 entschädigen muss. Im Berufungsverfahren wurde der Entscheid des Bezirksgerichts aufgehoben, da Y._____ bereits angemessen entschädigt wurde. Die Kosten des Berufungsverfahrens belaufen sich auf Fr. 2'000.- und Y._____ muss die Beklagte mit Fr. 1'080.- entschädigen. Der Rechtsvertreter von Y._____ erhält eine Entschädigung von Fr. 756.-. Die Entscheidung kann beim Schweizerischen Bundesgericht angefochten werden.

Urteilsdetails des Kantongerichts SB190424

Kanton:ZH
Fallnummer:SB190424
Instanz:Obergericht des Kantons Zürich
Abteilung:I. Strafkammer
Obergericht des Kantons Zürich Entscheid SB190424 vom 04.10.2021 (ZH)
Datum:04.10.2021
Rechtskraft:-
Leitsatz/Stichwort:Schwere Körperverletzung
Schlagwörter : Beschuldigte; Beschuldigten; Geschädigte; Geschädigten; Lande; Landes; Landesverweisung; Recht; Urteil; Faust; Freiheitsstrafe; Schweiz; Bruder; Interesse; Berufung; Verteidigung; Gericht; Vorinstanz; Täter; Körperverletzung; Aussage; Gericht; Sinne; Verletzung; ärte
Rechtsnorm:Art. 122 StGB ;Art. 135 StPO ;Art. 15 StGB ;Art. 2 StGB ;Art. 22 StGB ;Art. 42 StGB ;Art. 428 StPO ;Art. 43 StGB ;Art. 437 StPO ;Art. 45 StGB ;Art. 47 StGB ;Art. 66a StGB ;Art. 82 StPO ;Art. 96 VRV ;
Referenz BGE:136 IV 55; 137 IV 1; 93 IV 81;
Kommentar:
-

Entscheid des Kantongerichts SB190424

Obergericht des Kantons Zürich

I. Strafkammer

Geschäfts-Nr.: SB190424-O/U/jv

Mitwirkend: Oberrichter lic. iur. S. Volken, Präsident, die Ersatzoberrichter lic. iur.

M. Gmünder und lic. iur. K. Vogel sowie die Gerichtsschreiberin MLaw T. Künzle

Urteil vom 4. Oktober 2021

in Sachen

Staatsanwaltschaft I des Kantons Zürich, vertreten durch Staatsanwältin lic. iur. B. Groth,

Anklägerin und I. Berufungsklägerin (Nichteintreten) sowie Anschlussberufungsklägerin

gegen

A. ,

Beschuldigter und II. Berufungskläger

verteidigt durch Rechtsanwalt Dr. iur. X1. , betreffend schwere Körperverletzung

Berufung gegen ein Urteil des Bezirksgerichtes Zürich, 1. Abteilung, vom 25. Juni 2019 (DG190081)

Anklage:

Die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft I des Kantons Zürich (vormals Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich) vom 26. März 2019 (Urk. 27) ist diesem Urteil beigeheftet.

Urteil der Vorinstanz:

(Urk. 51 S. 49 ff.)

Es wird erkannt:

  1. Der Beschuldigte ist schuldig der schweren Körperverletzung im Sinne von Art. 122 StGB.

  2. Der Beschuldigte wird bestraft mit 3 Jahren Freiheitsstrafe.

3 Der Vollzug der Freiheitsstrafe wird im Umfang von 24 Monaten aufgeschoben und die Probezeit auf 3 Jahre festgesetzt. Im Übrigen (12 Monate, abzüglich 78 Tage, die durch Untersuchungshaft erstanden sind) wird die Freiheitsstrafe vollzogen.

  1. Der Beschuldigte wird im Sinne von Art. 66a Abs. 1 lit. b StGB für 5 Jahre des Landes verwiesen.

  2. Die Ausschreibung der Landesverweisung im Schengener Informationssystem wird angeordnet.

  3. Die beim Forensischen Institut Zürich lnstitut Zürich lagernden Sicherstellungen

    • Jeanshose, Marke Teps des Oerises, schwarz (A011'751'943)

    • Unterhose, Marke Calvin Klein, schwarz (A011'751'965)

    • Gürtel, Marke Gucci, schwarz (A011'751'976)

    • 1 Paar Herrensocken (A011'751'998)

    • 1 Paar Turnschuhe, Marke Vans, schwarz/weiss (A011'752'004)

      werden dem Geschädigten B. , c/o C. , D. -str. , E. [Ort], nach Eintritt der Rechtskraft bis spätestens 3 Monate danach auf erstes Verlangen hin herausgegeben. Nach ungenutztem Ablauf dieser Frist werden die Sicherstellungen der Lagerbehörde zur Vernichtung überlassen.

  4. Das Forensische Institut Zürich wird angewiesen, die übrigen bei ihm unter der Referenz- nummer K180813-075 / 73423219 archivierten Asservate nach Eintritt der Rechtskraft zu vernichten.

  5. Auf die Begehren des Geschädigten B. wird nicht eingetreten.

  6. Die Gerichtsgebühr wird festgesetzt auf:

    CHF 3'500.-; die weiteren Kosten betragen: CHF 4'000.- Gebühr der Strafuntersuchung CHF 340.- Kosten Kantonspolizei

    CHF 14'636.amtliche Verteidigung CHF 1'694.30Gutachten/Expertisen etc.

  7. Rechtsanwalt lic. iur. X2. wird für seine Aufwendungen als amtlicher Verteidiger des Beschuldigten mit Fr. 14'636.aus der Gerichtskasse entschädigt.

  8. Die Kosten der Untersuchung und des gerichtlichen Verfahrens, ausgenommen diejenigen der amtlichen Verteidigung, werden dem Beschuldigten auferlegt. Die Kosten der amtlichen Verteidigung werden auf die Gerichtskasse genommen; vorbehalten bleibt eine Nachforderung gemäss Art. 135 Abs. 4 StPO.

  9. (Mitteilungen)

  10. (Rechtsmittel)

Berufungsanträge:

(Prot. II S. 8 f.)

  1. Der Verteidigung des Beschuldigten: (Prot. II S. 10)

    1. Es sei das erstinstanzliche Urteil im Schuldpunkt gemäss Ziffer 1 bis 5 vollumfänglich aufzuheben und im Zivilpunkt zu bestätigen.

    2. Es sei die Anschlussberufung der Staatsanwaltschaft vollumfänglich abzuweisen.

    3. Dementsprechend sei der Beschuldigte vom Vorwurf der schweren Körperverletzung freizusprechen und auf die Zivilforderung nicht einzutreten.

    Dies alles unter Kostenfolge zu Lasten des Staates.

  2. Der Staatsanwaltschaft: (Urk. 94)

  1. Es sei das Urteil des Bezirksgerichts Zürich vom 25. Juni 2019 bezüglich des Schuldpunktes und der Nebenfolgen des Urteils und den Kostenfolgen zu bestätigen.

  2. Der Beschuldigte sei mit 5 ½ Jahren Freiheitsstrafe zu bestrafen.

    Erwägungen:

    1. Verfahrensgang

      1. Das Bezirksgericht Zürich, 1. Abteilung, sprach den Beschuldigten am

      25. Juni 2019 der schweren Körperverletzung im Sinne von Art. 122 StGB schul- dig, bestrafte ihn mit einer teilbedingten Freiheitsstrafe von 3 Jahren, wobei 12 Monate (abzüglich 78 Tage, die bereits durch Haft erstanden waren) zu vollziehen waren und der Vollzug der restlichen 24 Monate bedingt aufgeschoben wurde, unter Ansetzung einer Probezeit von zwei Jahren. Das Gericht verwies den Beschuldigten in Anwendung von Art. 66a Abs. 1 lit. b StGB zudem für 5 Jahre des Landes und ordnete die Ausschreibung der Landesverweisung im Schengener Informationssystem an. Weiter wurde die Herausgabe der sichergestellten Gegenstände des Geschädigten B. sowie die Vernichtung der übrigen archivierten Asservate angeordnet. Schliesslich erfolgte die ausgangsgemässe Regelung der Kosten und Entschädigungsfolgen (Urk. 51 S. 49 ff.). Das Urteil wurde den Parteien gleichentags mündlich eröffnet (Prot. I S. 23 ff.). Gegen dieses Urteil meldeten sowohl die Staatsanwaltschaft am 27. Juni 2019 (Urk. 45), als auch der (damalige) amtliche Verteidiger des Beschuldigten am 3. Juli 2019 fristgerecht Berufung an (Urk. 46). Das begründete Urteil wurde den Parteien am

      1. August 2019 zugestellt. Innert Frist erfolgte keine Berufungserklärung seitens der Staatsanwaltschaft, weshalb auf ihre Berufung mit Beschluss der Kammer vom 3. Oktober 2019 nicht eingetreten wurde (Urk. 61). Seitens des Beschuldigten gingen sowohl seitens des erbetenen Verteidigers, Dr. X1. , (Urk. 52) als auch seitens des amtlichen Verteidigers, Dr. X2. , (Urk. 56) fristgerecht Berufungserklärungen ein. In seiner Berufungserklärung vom 5. September 2019 beantragte der erbetene Verteidiger in Abänderung der Ziffern 1 - 5 sowie 9 und 11 des vorinstanzlichen Urteils die Freisprechung des Beschuldigten vom Vorwurf der schweren Körperverletzung, eventualiter die Bestrafung mit einer bedingten Freiheitsstrafe von 12 Monaten bei einer Probezeit von 2 Jahren und das Absehen von einer Landesverweisung (Urk. 52 S. 1-2). Der amtliche Verteidiger beantragte die Freisprechung des Beschuldigten und stellte zudem den Beweisantrag auf Einholung eines zusätzlichen Gutachtens beim Institut für Rechtsmedizin (IRM; Urk. 56 S. 1).

        1. Mit Präsidialverfügung vom 27. September 2019 wurde der Staatsanwaltschaft Frist zur Anschlussberufung und zur Stellungnahme zum Beweisantrag angesetzt (Urk. 59). Mit Schreiben vom 11. Oktober 2019 erhob die Staatsanwaltschaft I des Kantons Zürich Anschlussberufung und beantragte die Bestrafung des Beschuldigten mit einer Freiheitsstrafe von 5 ½ Jahren (Urk. 64). Gleichentags nahm sie Stellung zum Beweisantrag des Beschuldigten und beantragte dessen Abweisung (Urk. 66).

          Mit Präsidialverfügung vom 16. Oktober 2019 wurde der Beweisantrag des Beschuldigten mit der Begründung abgewiesen, dass die Verletzungen des Geschädigten im bestehenden Gutachten des IRM vom 8. Oktober 2018 bereits ausführlich dokumentiert seien und es nicht zielführend sei, zusätzlich zu untersuchen, weshalb eine andere Verletzung nicht vorliege (Urk. 68).

        2. Mit Schreiben vom 7. September 2020 beantragte Rechtsanwalt Dr. X2. , dass er von seinem amtlichen Mandat befreit werde, nachdem der Beschuldigte im Berufungsverfahren vom erbetenen Verteidiger Dr. X1. vertreten werde (Urk. 74). Der Beschuldigte, resp. sein erbetener Verteidiger, erklärten sich mit der Entlassung des amtlichen Verteidigers einverstanden. Entsprechend

          wurde Rechtsanwalt Dr. X2. per 16. September 2020 als amtlicher Verteidiger des Beschuldigten entlassen und für seine Aufwendungen im Berufungsverfahren mit Fr. 958.entschädigt (Urk. 81).

        3. Die Berufungsverhandlung wurde auf den 25. November 2020 terminiert. Mit Schreiben vom 23. November 2020 ersuchte der erbetene Verteidiger des Beschuldigten um Verschiebung der Hauptverhandlung (Urk. 83 und 84). Zur Begründung führte er aus, dass der Beschuldigte am 9. November 2020 notfallmässig wegen suizidaler Tendenzen in die UPK (Universitäre psychiatrische Kliniken M. ) eingewiesen worden sei. Dort sei er eine Woche stationär behandelt worden. Seither werde er ambulant weiter behandelt. Der Beschuldigte sei aktuell psychisch derart instabil, dass es ihm aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich sei, an der Hauptverhandlung teilzunehmen. Er sei verhandlungsunfähig, was von den behandelnden Ärzten entsprechend bescheinigt werde (Urk. 86). Bei dieser Sachlage sei der Termin der Hauptverhandlung abzunehmen und neu anzusetzen.

          Dem Antrag des Beschuldigten wurde stattgegeben und der Verhandlungstermin vom 25. November 2020 abgenommen und es wurde sodann neu zur Hauptverhandlung auf den 4. Oktober 2021 vorgeladen (Urk. 87 und 88).

        4. Gemäss Art. 402 in Verbindung mit Art. 437 StPO hat die Berufung im Umfang der Anfechtung aufschiebende Wirkung und wird die Rechtskraft des angefochtenen Urteils entsprechend gehemmt. Nachdem die Dispositivziffern 6 (Herausgabe beschlagnahmte Gegenstände), 7 (Vernichtung Asservate), 8 (Nichteintreten auf die Zivilklage des Geschädigten) und 10 (Entschädigung amtliche Verteidigung) nicht angefochten worden sind (Urk. 51 und 52), ist mittels Beschlusses festzustellen, dass das vorinstanzliche Urteil in diesem Umfang in Rechtskraft erwachsen ist.

      4. In der heutigen Berufungsverhandlung stellten die Parteien die eingangs aufgeführten Anträge.

    2. Sachverhalt und rechtliche Würdigung
      1. Der Beschuldigte beantragt einen Freispruch vom Vorwurf der schweren Körperverletzung im Sinne von Art. 122 StGB. Er ist zwar geständig, den Ge-

        schädigten B.

        anlässlich der Street Parade am 11. August 2018 um ca.

        18:15 Uhr auf dem F. -platz in Zürich einen Kick an den Kopf verpasst zu haben, in dessen Folge der Geschädigte zu Boden fiel. Grundsätzlich nicht bestritten sind auch die vom Institut für Rechtsmedizin (IRM) dokumentierten Verletzungen, welche der Geschädigte nach dem Vorfall erlitt, namentlich die mehreren Blutungen im Schädelinneren, die Brüche der Nase und der linken Keilbeinhöhle, der Bruch bzw. die Sprengung der Knochennähte am Hinterhaupt links (Prot. I

        S. 10). Ausdrücklich bestritten wird hingegen das Vorliegen einer unmittelbar konkreten Lebensgefahr beim Geschädigten, hervorgerufen durch eine Sinusvenenthrombose. Die Verursachung eines hyperaktiven Delirium durch die Kopfverletzungen beim Geschädigten, welches unbehandelt tödlich verlaufen kann, wird ebenfalls in Abrede gestellt. Dabei wird seitens der Verteidigung Bezug auf den Austrittsbericht des Kantonspitals Luzern vom 23. August 2021 genommen, worin der Verdacht des IRM betreffend einer Sinusvenenthrombose nicht bestätigt werde (vgl. Urk. 11/6). Ebenso lasse sich die Ursache des Delirs nicht zuordnen. Es habe gemäss den Ärzten ein Abbau von Ritalin und vermutlich Kokain C2 beim Geschädigten vorgelegen (Prot. II S. 14). Der Beschuldigte bestritt zudem, dem Geschädigten vor dem Kick zweimal mit der Faust ins Gesicht geschlagen zu haben, was seitens der Verteidigung anlässlich der Berufungsverhandlung nicht mehr in Abrede gestellt wurde (vgl. Prot. II S. 10). Zudem macht der Beschuldigte geltend, in Notwehr gehandelt zu haben. Der entsprechende Sachverhalt ist demnach zu erstellen und rechtlich zu würdigen.

      2. Die Vorinstanz hat den massgeblichen Sachverhalt im Zusammenhang mit der dem Beschuldigten vorgeworfenen schweren Körperverletzung sorgfältig erstellt. Sie hat dabei die massgebenden Beweismittel, deren Verwertbarkeit, die Grundsätze der Beweiswürdigung, insbesondere der Würdigung der Aussagen des Beschuldigten, des Geschädigten, der Zeugen und der Auskunftspersonen, benannt, die Glaubwürdigkeit der aussagenden Personen beleuchtet und die

      Glaubhaftigkeit der konkreten Aussagen entsprechend diesen Grundsätzen gewürdigt (Urk. 51 S. 10 ff.). Auf diese Ausführungen ist zur Vermeidung von Wie- derholungen vollumfänglich zu verweisen (Art. 82 Abs. 4 StPO).

        1. Lediglich präzisierend ist bezüglich der Sachverhaltserstellung noch einmal auf die ersten, zeitnahen Einvernahmen der Hauptprotagonisten sowie auf folgende Besonderheiten hinzuweisen: Der angeklagte Vorfall ereignetet sich im Rahmen eines Konflikts zweier Gruppen, welche an der Street Parade unterwegs waren. Die Mitglieder der beiden Gruppen kannten sich vorher nicht. Der Vorfall wurde sodann von einer dritten Gruppe, welche sich zufälligerweise in unmittelbarere Nähe der Auseinandersetzung befand, beobachtet. Auch die Mitglieder dieser dritten Gruppe kannten niemanden der Beteiligten. Damit besteht die besondere Situation, dass Aussagen von völlig neutralen Zeugen bestehen, welchen ein besonderes Gewicht beizumessen ist. Dies umso mehr, als der Hauptzeuge der unbeteiligten dritten Gruppe, G. , absolut nüchtern war, während die Mitglieder der beiden involvierten Gruppen allesamt reichlich Alkohol und Cannabis konsumiert hatten, was ihr Erinnerungsvermögen merklich trübte.

          Eine weitere Besonderheit dieses Falles ist, dass sich erst im Verlaufe des Tatabends die Schwere der Verletzungen des Geschädigten manifestierten. Obwohl der Polizei bereits am 11. August 2018 alle Beteiligten bekannt waren, wur- den diese aufgrund der ersten (falschen) Einschätzung der Schwere der Verletzungen des Geschädigten nicht zeitnah einvernommen. Die ersten Einvernahmen der Zeugen erfolgten am 21. resp. 24. August 2018, mithin 10 resp. 13 Tage nach dem Vorfall. Diese Einvernahmen können gleichwohl noch als zeitnah gelten. Der Geschädigte wurde erstmals am 8. Oktober 2018, der Beschuldigte erstmals am

          24. Oktober 2018 einvernommen, mithin mehr als zwei Monate nach dem Vorfall. Dieser Umstand führt dazu, dass einerseits die Erinnerungen nicht mehr unverfälscht und unmittelbar waren und andererseits, dass Absprachen unter den Beteiligten möglich waren. Dies alles ist bei der Aussagewürdigung zu berücksichtigen.

          Schliesslich ist zu berücksichtigen, dass die Beteiligten vorliegend Aussagen zu einem kurzen, dynamischen Geschehen machen, dass sie alle aus verschiedenen Blickwinkeln wahrgenommen haben. Verschiedene Beteiligte nehmen ei- nen dynamischen Vorfall anders war, speichern ihn anders ab und geben diesen bei der Befragung aus einer objektiven Gesamtsicht - ungenau wieder. Solche kleinen Ungenauigkeiten und Widersprüche sind deshalb als normal zu erachten.

          Die wesentlichen Aussagen der Beteiligten zu den strittigen Punkten präsentiert sich wie folgt:

        2. Der Geschädigte konnte sich an das eigentliche Tatgeschehen in kei- ner Weise erinnern (act. 8/1 und 8/3). Seine Aussagen können zur Sachverhaltserstellung demnach keinen Beitrag leisten.

        3. Sein Begleiter, H. , erklärte, ebenfalls stark betrunken gewesen zu sein und sich deshalb nicht mehr an alle Einzelheiten erinnern zu können (Urk. 9/10, F/A 7 und 32). Auf die offenen Frage, was passiert sei, antwortete er u.a., dass der Geschädigte zu Beginn von einem Mann mehrere Faustschläge ins Gesicht erhielt. Die Schläge hätten ihn so hart getroffen, dass er nach hinten und dann nach vorne getaumelt sei. Beim Nach-Vorne-Taumeln habe er unmittelbar einen Fussoder Knietritt ins Gesicht erhalten. Er sei mit voller Wucht am Kopf getroffen worden und deshalb zu Boden gegangen (Urk. 9/10, F/A 7). Zum Beginn und Grund der Auseinandersetzung erklärte er, dass er dies nicht mehr sagen könne, da er selber sehr betrunken gewesen sei. Der Geschädigte habe aber einen reizbaren Blick. Er starre etwas. Zudem hätte auch der Geschädigte zu jenem Zeitpunkt sehr viel Alkohol getrunken. Er denke, dass ihm jemand auf den Schuh gestanden sein könnte ihn berührt habe, worauf der Geschädigte dann vermutlich etwas gesagt habe. Der Geschädigte habe in solchen Situationen jeweils ein grosses Mundwerk (Urk. 9/19, F/A 7). Bei der staatsanwaltschaftlichen Einvernahme ca. zwei Monate später bestätigte er im Wesentlichen seine Aussagen bei der Polizei. Detailliertere Erinnerungen an das Geschehen hatte er nicht (Urk. 9/12).

        4. Der unbeteiligte und neutrale Zeuge G. schilderte den Vorfall bei der Polizei wir folgt: Er sei am 11. August 2018 mit I. und J. anlässlich der Streetparade auf dem F. -platz gewesen, als er ein Handgemenge

          beobachtet habe. In dem Handgemenge wurde eine Person geschubst, ich nehme an es war B. . Es war die Person, die danach am Boden lag, die wurde geschubst. Es waren sehr viele Personen. Es sah aus wie eine Clique. Es gab Streit, aber ohne Prügel. ( ) Eine Person zog die Sonnenbrille aus und ab da wurde ich aufmerksam. Das wirkte für mich wie der Anfang einer Schlägerei. Dann schlug aber die Person daneben voll gegen den später Verletzten. Es war ein Kinnhaken, von unten nach oben, es wirkte sehr professionell. Nach dem Kinnhaken folgte sofort eine gerade mit der Faust ins Gesicht und wieder voll da- nach folgte ein Kick mit dem linken Fuss voll ins Gesicht. Daraufhin stürzte er zu Boden und war KO. (Urk. 9/1, F/A 8). Auf die Frage, ob der Geschädigte die Gruppe des Beschuldigten zuvor angegriffen habe, antwortete G. : Was verstehen Sie unter Angriff Hat er zurückgeschubst geschlagen Nein, das nicht. Die Leute haben ihn abgehalten, aber ich glaube er wollte schon. Er wurde zurückgehalten, wand sich aber daraus heraus und stand bedrohlich vor dem kleineren mit dem schwarz weissen Fussballshirt. Es fielen Worte, was ge- nau weiss ich aber nicht. Dann zog der im Fussballshirt die Brille aus und ich dachte, es fliegen gleich die Fäuste. Und dann, wie aus dem Nichts schlägt eben der Nebenstehende zu. Es ging so schnell (Urk 9/1, F/A 12-13). Auf die Frage, ob der Kinnhaken der erste Schlag gewesen sei, führte G. aus: Ja. Wie stark schlug er zu? Sehr stark. B. spickte nach hinten weg. Und wie reagierte der Schläger darauf Ja, er setzte nach und schlug zu. Eine Gerade. Der Kick ging eigentlich ineinander über. Er traf ihn mit dem Rist grade ins Gesicht. Daraufhin fiel der andere. Mit welcher Hand schlug er den Kinnhaken? Rechts, auch mit der Faust. Wohin traf der Kinnhaken? Von unten gegen das Kinn. Und die Gerade? Irgendwo frontal im Gesicht. Wo genau weiss ich nicht mehr. Aber sicher im Bereich der Mitte. Wie führte er den Kick aus Rechtes Bein als Standbein. Das linke mit einer Drehbewegung, der Unterschenkel spickte nach vorne und der Rist des Fusses traf voll in das Gesicht. Über der Nase, den Augen. Ich dachte mir noch: Der spinnt. Danach fiel B. zu Boden und prallte auf den Boden. Er schlug voll mit dem Hinterkopf auf dem Boden auf. (Urk. 9/1,

          F/A 17-25). Etwas später wurde der Zeuge G.

          gefragt: Wenn ich Sie so

          sprechen höre, wirken Sie geschockt. Ist das soù Ja klar, ich war Ja doch ge-

          schockt. Ich dachte nicht, dass ich so etwas sehen muss. Und vor allem diese Brutalität hat mich geschockt. Ich selber habe noch nie eine Schlägerei gehabt. Das man so schnell einfach zuschlagen kann, ja doch, das hat mich geschockt, ja. (Urk. 9/1, F/A 26).

        5. Die erste polizeiliche Aussage von K. , dem Bruder des Beschul- digten, erfolgte am 30. Oktober 2018, mithin fast eine Woche nach der ersten Aussage des Beschuldigten. Er führte aus, dass er am 11. August 2018 zusammen mit dem Beschuldigten und L. auf dem F. -platz gewesen sei, als zwei Männer auf ihn zugekommen seien. Der kleinere der beiden, H. , sei ganz nah zu ihm gekommen, habe mit beiden Fäusten auf seine Brust geschla-

          gen und gefragt, was er da für ein Tattoo habe. K.

          habe ihm entgegnet,

          dass er es ja lesen könne und wenn nicht, solle er ihn in Ruhe lassen. Daraufhin habe H. nochmals etwas fester mit den Fäusten auf die Brust von K. geschlagen. Er habe H. weggeschubst, er wisse nicht mehr, ob das an der Brust im Gesicht gewesen sei. Der Geschädigte sei dann dazugekommen und habe geschrien, dass er sie alle ficken würde, dabei seinen Oberkörper angespannt und es sei ihm Speichel Schaum aus dem Mund getreten. K. sei auf Distanz gegangen; da er sich gedacht habe, dass der Geschädigte auf ihn losgehen würde, ausserdem habe er den Rucksack und seine Brille ausgezogen und auf den Boden gelegt. Der Geschädigte sei auf ihn zugekommen, da habe sein Bruder reagiert und ihm einen Tritt verpasst (Urk. 9/13 S. 2 ff).

        6. Der Beschuldigte wurde erstmals am 24. Oktober 2018 von der Polizei einvernommen. Zum Vorfall befragt erklärte er, dass er den Beginn gar nicht beobachtet habe, sondern nachträglich von seinem Bruder geschildert erhalten habe (Urk. 7/1, F/A 16). Seine eigenen Schilderungen beginnen mit Mein Bruder hat den Kleineren (gemeint ist die Auskunftsperson H. ) weggeschubst. Der Grössere der beiden ist auf meinen Bruder zu (gegangen). Ich schubste den Grösseren weg. Dann ist dieser auf mich zugekommen. Ich habe einmal zugeschlagen und dann war fertig. Das ist alles. Der Mann ist zusammengekippt. (Urk. 7/1, F/A 16). Weiter führte er aus: Es kam zufällig ein Polizist der Stadtpolizei Zürich dazu. Er meinte, dass er nicht im Dienst sei, wir aber vor Ort bleiben

          sollen, um die Sache zu klären. Ich und mein Bruder haben ihm zuerst die Situation geschildert. Der Polizist hat auch den Kleineren zu sich genommen und ihn erzählen lassen. Der Kleinere bestätigte, dass sie beide uns provoziert hätten (Urk. 7/1, F/A 16). Zu seinem Alkohol und Cannabis Konsum führt er aus, dass sie um 12:00 Uhr in Zürich angekommen seien und ab dann bis zum Vorfall um ca. 18:15 Uhr Bier und Wodka getrunken hätten. Er, sein Bruder und seine Kollegen seien alle betrunken gewesen. Zudem hätte er in dieser Zeit zwei drei Joints konsumiert (Urk. 7/1, F/A 26-31). Auf die Frage, weshalb er auf die Provokationen des Geschädigten mit einem Faustschlag Fusskick reagiert habe, antwortete der Beschuldigte: Ich habe nur probiert, meinen Bruder zu beschützen. Unserer Ansicht nach wollten die beiden, der Kleinere und der Grössere, ihn angreifen. Am Anfang war er alleine mit ihnen. Mein Bruder sagte ihnen mehrmals, dass sie aufhören sollten. Sie hörten jedoch nicht auf. Das heisst, dass die beiden eine gewisse Absicht hatten. Der Kleinere hatte ja alles bei der Stadtpolizei bestätigt. Also bei diesem Stadtpolizisten, der privat unterwegs war. Auf die nachfolgende Frage, ob sie von den beiden Männern verletzt worden seien, antwortete der Beschuldigte: Nein. Sie sind nur mit den Fäusten voran auf mei- nen Bruder los. Es war ein mehrmaliges starkes Schubsen mit den Fäusten gegen die Brust. (Urk. 7/1, F/A 47-49). Auf Ergänzungsfrage seines amtlichen Verteidigers, ob er sich vor dem Schlag vom Geschädigten angegriffen bedroht gefühlt habe, antwortete der Beschuldigte: Er war schon recht aufdringlich. Soweit ich mich erinnern kann, hatten die beiden die Absicht, auf meinen Bruder loszugehen. Aus welchen Gründen auch immer. Als ich dazu getreten bin, war ich in der Mitte des Geschehens. Als ich mich zu meinem Bruder begeben habe, kam B. auf mich zu. Er ging auf mich los. Ich schubste ihn weg, er kam wieder auf mich los, und ich verpasste ihm dann einen Schlag mit der Faust mit dem Fuss. Das weiss ich eben nicht mehr. (Urk. 7/1, F/A 79).Auf die Frage an den Beschuldigten, wie genau er geschlagen habe, antwortete er: Das war eine Sekundensache. In diesem Moment sah ich einfach schwarz und habe zugeschlagen. Er ist direkt umgefallen. Dann gingen alle zu ihm. Haben Sie B. einen Faustschlag versetzt Ehrlich gesagt frage ich mich schon seit diesem Ereignis, ob es ein Kick ein Faustschlag gewesen ist. Ich weiss es gar nicht

          mehr, überhaupt nicht mehr. (Urk. 7/1, F/A 34-35). Schliesslich antwortete der Beschuldigte auf die Bemerkung des befragenden Polizisten, dass das Problem vorliegend sei, dass alle Beteiligten Personen wegen des Alkohol- und Betäubungsmittelkonsums nicht mehr wissen, was genau geschehen ist, wie folgt: Ja, bei mir war es auch nicht anders. (Urk. 7/1, F/A 77). Bei der Staatsanwaltlichen Einvernahme führte der Beschuldigte aus, dass er nicht mehr wisse, wie es dazu kam, dass er den Geschädigten gekickt habe. Ich sah schwarz in diesem Moment. Ich habe mich bedrängt gefühlt und wollte meinen Bruder schützen. Ich habe noch nie in meinem Leben zugeschlagen. Es war ein Reflex. (Urk. 7/3, F/A 45). Und etwas später in der Einvernahme auf die Frage, warum er gekickt habe: In diesem Moment war ich wahrscheinlich so betrunken, es war ein Reflex. In dem Moment als er umfiel, tat es mir leid. (Urk. 7/3, F/A50). Und auf die Frage, weshalb er aus Reflex kicke, wenn er sonst gar nicht solche Sachen mache: Ich kann es ihnen wirklich nicht sagen wieso. Ich habe nichts überlegt, nur schwarz gesehen. Ich habe vielleicht nicht einmal vermutet, dass ich ihn treffe. Ich weiss es nicht. (Urk. 7/3, F/A 51).

        7. Die vorstehend wiedergegebenen ersten, zeitnahen Aussagen des Zeugen G. bilden das Beweisfundament. Er war als einziger völlig nüchtern und stand sehr nahe am Tatgeschehen. Er konnte nachvollziehbar und glaubhaft darlegen, weshalb er auf das Geschehen aufmerksam wurde und dieses bereits beobachtete, als der Beschuldigte plötzlich zuschlug. Er schildert klar und bestimmt zwei Faustschläge und einen nachfolgenden Kick. Er konnte auf Nachfrage die Schläge und den Kick mit weiteren Details beschreiben. Er machte keinerlei Übertreibungen unnötige Belastungen. All das macht seine Aussage sehr glaubhaft. Diese Aussagen bilden deshalb das Fundament der Beweisführung. Die strittigen Elemente des Anklagesachverhalts schildert der Zeuge klar: Es waren zwei Faustschläge des Beschuldigten mit der rechten Faust und ein Kick mit dem linken Bein. Sodann hat sich der Geschädigte von seinem Kollegen, der ihn zurückhalten wollte, losgerissen, sich vor der Gruppe des Beschuldigten bedrohlich aufgebaut und verbal provoziert. Er hat aber niemanden geschlagen und auch nicht zu einem Schlag ausgeholt.

          Aus den vorstehend wiedergegebenen ersten Aussagen des Beschuldigten lässt sich sodann nicht herleiten, dass ausgeschlossen erschiene, dass der Beschul- digte dem Geschädigten vor dem Kick bereits zwei Faustschläge verpasst haben könnte. Der Beschuldigte konnte sich bei der ersten Einvernahme offensichtlich nicht genauer erinnern. Er sagt mehrfach aus, in jenem Moment einfach schwarz gesehen und zugeschlagen zu haben. Zudem wies er darauf hin, in jenem Moment betrunken gewesen zu sein und sich deshalb nicht mehr genauer erinnern zu können. Wenn er dann in den weiteren Einvernahmen immer dezidierter geltend macht, nur einen Kick und davor keine Faustschläge verpasst zu haben, so erscheinen diese Aussagen beschönigende Schutzbehauptungen, die mehr das Ergebnis einer nachträglichen Konstruktion als tatsächlicher Erinnerung sind. Das nämliche gilt für die Aussagen des Bruders des Beschuldigten und diejenigen sei- ner Kollegen. Sie können das sich zur Hauptsache auf die Aussagen des Zeugen

          G.

          stützende Beweisfundament bezüglich der dem Kick vorangehenden

          zwei Faustschläge nicht erschüttern. Sodann lassen sich auch keine Hinweise dafür finden, dass der Beschuldigte einen tatsächlich unmittelbar bevorstehenden Angriff des Geschädigten auf ihn seinen Bruder hätte abwehren müssen. Der Geschädigte hat den Beschuldigten und seinen Bruder wohl provoziert, geschubst, sich aufgebaut und gesagt, er werde sie alle ficken. Er hat aber nicht geschlagen und auch nicht zu einem Schlag ausgeholt. Eine eigentliche Gefahr, die unmittelbar hätte abgewendet werden müssen, bestand deshalb nicht. Wie erwähnt wird das Verpassen zweier Faustschläge vor dem Kick von der Verteidigung anlässlich der Berufungsverhandlung auch nicht mehr in Abrede gestellt.

        8. Im Übrigen ist noch einmal auf die detaillierten und richtigen Ausführungen der Vorinstanz zu verweisen (Urk. 51 S. 10 ff; Art. 82 Abs. 4 StPO). Insgesamt lassen sich auch die (strittigen) Punkte zweier Faustschläge vor dem Kick und das Fehlen einer Abwehr eines unmittelbar bevorstehenden Angriffs rechtsgenügend erstellen.

        9. Der Einwand der Verteidigung, eine unmittelbar konkrete Lebensgefahr, bedingt durch die Faustschläge und den Kick, lasse sich nicht erstellen, ist hingegen berechtigt und zutreffend. Im IRM Bericht vom 8. Oktober 2018 zur

      körperlichen Untersuchung des Beschuldigten am 13. August 2018 wird zwar festgehalten, dass eine Sinusvenenthrombose und ein hyperaktives Delir festgestellt worden seien, welche Diagnosen beide lebensgefährlich seien (vgl. Urk. 11/2 S. 7 f.). Dem Austrittsbericht des Kantonsspitals Luzern vom

      23. August 2018 lässt sich sodann jedoch entnehmen, dass der Verdacht einer Sinusvenenthrombose im MRI vom 17. August 2018 nicht habe bestätigt werden können (Urk. 11/6 S. 3). Auch die Zuordnung des Delirs lässt Fragen offen. So wird im genannten Bericht festgehalten, das hyperaktive Delir sei gemischter Ätiologie im Rahmen des ADHS, des C2 Entzugs [mutmasslich Alkohol] und des Schädel-Hirn-Traumas. Entsprechend ist unklar, ob der Geschädigte durch die Handlungen des Beschuldigten effektiv bzw. adäquat-kausal eine Sinusvenenthrombose und ein hyperaktives Delir erlitt und sich damit in unmittelbar konkreter Lebensgefahr befand.

        1. Die Vorinstanz hat die Tatbestandsvoraussetzungen einer schweren Körperverletzung zutreffend widergegeben. Darauf kann vorab verwiesen werden (Urk. 51 S. 33 f.). Da es nach dem Dargelegten an einer vollendeten schweren Körperverletzung mangelt, ist rechtlich das Vorliegen einer versuchten schweren Körperverletzung im Sinne von Art. 122 Abs. 1 StGB i.V.m. Art. 22 Abs. 1 StGB zu prüfen. Ob der Täter die Tatbestandsverwirklichung im Sinne des Eventualvorsatzes in Kauf genommen hat, muss das Gericht bei Fehlen eines Geständnisses aufgrund der Umstände entscheiden. Dazu gehören die Grösse des dem Täter bekannten Risikos der Tatbestandsverwirklichung, die Schwere der Sorgfaltspflichtverletzung, die Beweggründe des Täters und die Art der Tathandlung. Je grösser die Wahrscheinlichkeit der Tatbestandsverwirklichung ist und je schwerer die Sorgfaltspflichtverletzung wiegt, desto näher liegt die Schlussfolgerung, der Täter habe die Tatbestandsverwirklichung in Kauf genommen. Das Gericht darf vom Wissen des Täters auf den Willen schliessen, wenn sich dem Täter der Eintritt des Erfolgs als so wahrscheinlich aufdrängte, dass die Bereitschaft, ihn als Folge hinzunehmen, vernünftigerweise nur als Inkaufnahme des Erfolgs ausgelegt werden kann (BGE 137 IV 1 E. 4.2.3 S. 4 mit Hinweis; Urteil 6B_521/2020 vom 3. Dezember 2020 E. 2.3.2).

          Die rechtliche Qualifikation von Körperverletzungen als Folge von Faustschlägen Tritten hängt von den konkreten Tatumständen ab. Massgeblich sind insbesondere die Heftigkeit des Schlages und die Verfassung des Opfers (Urteile 6B_1151/2020 vom 8. April 2021 E. 2.3; 6B_139/2020 vom 1. Mai 2020 E. 2.3;

          6B_1385/2019 vom 27. Februar 2020 E. 4.3.1; mit Hinweisen). Faustschläge, Fusstritte Schläge mit gefährlichen Gegenständen (beispielsweise einer Glasflasche) gegen den Kopf eines Menschen sind geeignet, schwere Körperverletzungen sogar den Tod des Opfers herbeizuführen, wobei dieses Risiko umso grösser ist, wenn das Opfer ohne Reaktionsoder Abwehrmöglichkeit am Boden liegt. Für die Erfüllung des Tatbestandes der versuchten schweren Körperverletzung setzt die bundesgerichtliche Rechtsprechung nicht voraus, dass neben den eigentlichen Fusstritten Schlägen gegen den Kopf ein aggravierendes Moment, etwa eine besondere Heftigkeit der Tritte, die Wehrlosigkeit des Opfers, die Traktierung mit weiteren Gegenständen die Einwirkung mehrerer Personen, hinzutreten muss (Urteile 6B_529/2020 vom 14. September 2020 E. 3.2.2; 6B_1180/2015 vom 13. Mai 2016 E. 4.1; mit Hinweisen).

          Vorliegend verpasste der Beschuldigte dem Geschädigten zunächst zwei heftige Faustschläge, einen gegen den Unterkiefer und den anderen geradeaus ins Gesicht, sodass der Geschädigte ins Torkeln geriet. Darüber hinaus führte er ei- nen Kick gegen den Kopf des Geschädigten und traf Letzteren am Kopf, sodass dieser nach hinten fiel, auf dem Boden aufschlug und reglungslos liegen blieb. Dabei musste dem Beschuldigten bewusst sein, dass Faustschläge und ein anschliessender Fusstritt gegen den bereits torkelnden Geschädigten geeignet sind, lebensgefährliche Verletzungen zu verursachen. Dies ergibt sich zu einem aus der direkten Einwirkung der Schläge bzw. des Trittes und zum anderen aus der Gefahr eines Sturzes auf den Kopf. Der Beschuldigte kannte beide dieser Möglichkeiten und die damit verbundene Gefahr schwerer Verletzungen wie z.B. einer Hirnblutung (vgl. Urk. 7/3 S. 9). Indem der Beschuldigte trotz dieses Wissens zwei Faustschläge gegen den Kopf ausführte und dann noch nachdoppelte mit einem Fusstritt gegen das Gesicht, nahm er mithin lebensgefährliche Verletzungen des Geschädigten billigend in Kauf.

        2. Die Vorinstanz hat weiter unter Hinweis auf Art. 15 StGB sowie die einschlägige bundesgerichtliche Rechtsprechung (BGE 93 IV 81; BGer 6B_780/2009 vom 21. Januar 2010 und BGer 6B_324/2014 vom 25. September 2014) richtig erwogen, dass in casu der Geschädigte die Gruppe des Beschuldigten zwar provozierte und eine tätliche Auseinandersetzung nicht ausgeschlossen werden konnte, die Schläge des Beschuldigten aber gleichwohl nicht einen Angriff des Beschuldigten, auch nicht einen unmittelbar bevorstehenden Angriff, abwehrten, sondern nur, aber immerhin, einem möglichen Angriff zuvorkamen. Das Bundesgericht führt in diesem Zusammenhang aus, dass der Rechtfertigungsgrund der Notwehr vom Angegriffenen nicht verlangt, dass er mit einer Reaktion zuwartet, bis es für eine Abwehr zu spät ist. Doch setzt die Unmittelbarkeit der Bedrohung voraus, dass jedenfalls Anzeichen einer Gefahr vorhanden sind, die eine Verteidigung nahe legen. Solche Anzeichen liegen namentlich vor, wenn der Angreifer ei- ne drohende Haltung einnimmt, sich zum Kampfe vorbereitet Bewegungen macht, die in diesem Sinne gedeutet werden können. Abwehr ist zulässig, sobald mit einem Angriff ernstlich zu rechnen ist und jedes weitere Zuwarten die Vertei- digungschance gefährdet. Der Angriff droht mit anderen Worten nicht erst unmittelbar, wenn es für den Angreifer kein Zurück mehr gibt, sondern bereits, wenn der Bedrohte nach den gesamten Umständen mit dem sofortigen Angriff rechnen muss. Handlungen, die lediglich darauf gerichtet sind, einem zwar möglichen aber noch unsicheren Angriff vorzubeugen, einem Gegner also nach dem Grundsatz, dass der Angriff die beste Verteidigung ist, zuvorzukommen und ihn vorsorglich kampfunfähig zu machen, fallen nicht unter den Begriff der Notwehr (Urteil 6B_289/2008 vom 17. Juli 2008 E. 7.3 mit Hinweis). Das Verhalten des Geschä- digten ist mit Blick auf diese Ausführungen des Bundesgerichts offensichtlich in der Nähe eines Verhaltens, welches eine Notwehrreaktion zulassen würde. Zu berücksichtigen ist aber, dass sich der Vorfall am späten Nachmittag anlässlich der Streetparade ereignete. Die beide Gruppierungen kannten sich nicht, weshalb eine tatsächliche Schlägerei nicht zwingend zu erwarten war und zwar auch nicht, wenn der betrunkene Geschädigte verbal pöbelte und sich bedrohlich vor der Gruppe des Beschuldigten aufbaute. Aufgrund der Schilderungen der Beteiligten, namentlich des Zeugen G. , wäre es im Moment, als der Beschuldigte zuschlug nach wie vor im Bereich des Möglichen, ja des Wahrscheinlichen, gewesen, dass der Geschädigte nicht tätlich auf den Beschuldigten und seine Gruppe losgehen würde. Die Schläge des Beschuldigten erfolgten in jener Situation eben gerade als erster schwerer körperlicher Übergriff. Sie scheinen dem Zweck gefolgt zu sein, einem allfälligen Angriff des Geschädigten zuvorzukommen und ihn vorsorglich kampfunfähig machen zu wollen (getreu dem Motto: Angriff ist die besten Verteidigung). Die Handlung des Beschuldigten ist bei diese Sachlage aber keine rechtfertigende Notwehrhandlung.

        3. Nach dem Gesagten ist der Beschuldigte der versuchten schweren Körperverletzung im Sinne von Art. 122 Abs. 1 StGB i.V.m. Art. 22 Abs. 1 StGB schuldig zu sprechen.

    3. Strafzumessung
      1. Die Vorinstanz hat den Beschuldigten mit 3 Jahren Freiheitsstrafe bestraft. Nachdem sowohl der Beschuldigte als auch die Staatsanwaltschaft die Höhe der Strafe angefochten haben, kann der Entscheid der Vorinstanz sowohl zugunsten als auch zulasten des Beschuldigten abgeändert werden. Die Vorinstanz hat die Grundsätze, nach welchen eine Strafe zuzumessen ist, korrekt dargelegt (vgl. Urk. 51 S. 35 ff.). Darauf kann verwiesen werden (Art. 82 Abs. 4 StPO).

      2. Die Verteidigung beantragt in ihrem Eventualantrag für den Fall eines Schuldspruchs eine Freiheitsstrafe von maximal 24 Monaten. Zur Begründung führte sie an der Berufungsverhandlung aus, dass die Tatschwere nicht so schlimm sei. Es handle sich um ein leichtes Schädel-Hirn-Trauma des Geschä- digten. Der Beschuldigte habe zudem nur zum Schutz seines Bruders eingegriffen (Prot. II S. 15).

      3. Die Staatsanwältin macht mit ihrer Anschlussberufung geltend, dass die Vorinstanz die Strafzumessung nicht nachvollziehbar vorgenommen habe. Zwar habe sie die Strafzumessungsfaktoren berücksichtigt, aber deren Gewichtung lasse sich nicht nachprüfen, da die Vorinstanz es unterlassen habe, eine Einsatzstrafe festzulegen. Damit genüge die Strafzumessung der Vorinstanz der

      bundesgerichtlichen Rechtsprechung nicht, wobei die Staatsanwältin auf das Urteil des Bundesgerichts vom 8. Dezember 2011, 6B_626/2011 verwies. Zur objektiven Tatschwere führte die Staatsanwältin aus, dass der Beschuldigte insbeson- dere beim Tritt mit dem Fuss gegen den Kopf des Geschädigten eine immense Brutalität an den Tag gelegt habe, da mit dem Bein besonders viel Kraft freigesetzt werden könne und der Kopf ein besonders sensibler Körperteil sei. Sodann sei zu berücksichtigen, dass der Geschädigte bereits durch den ersten Faustschlag in seinem Bewusstsein beeinträchtigt gewesen sei, weshalb er sich erwiesenermassen nicht mehr ansatzweise habe wehren können und auch seine Körperspannung nachgelassen habe. Wer in einem solchen wehrlosen Moment von einem weiteren Faustschlag und einem Tritt getroffen werde, können nur von Glück sprechen, keine langfristigen gesundheitlichen Folgen davongetragen zu haben. Wie die Vorinstanz angesichts dieser Umstände zum Schluss kommen könne, die Tat bewege sich im mittleren Bereich aller denkbaren Tathandlungen, sei nicht nachvollziehbar. Vielmehr sei von einem schweren Verschulden auszugehen und eine Einsatzstrafe von 6 Jahren festzulegen. Zur subjektiven Tatschwere führte die Staatsanwältin aus, dass die Vorinstanz zu Recht verschul- densmindernd berücksichtigt habe, dass die die Tat nur eventualvorsätzlich ausgeführt und nicht von langer Hand geplant worden sei und, dass der Beschuldigte vom Geschädigten provoziert worden sei. Der Beschuldigte habe zudem gewusst, was er tat, weshalb von voller Schuldfähigkeit auszugehen sei. Vom Motiv her erfahre der Beschuldigte keine Entlastung, da er den Geschädigte ohne nachvollziehbaren Grund und aus nichtigem Anlass verletzt habe. Die Einsatzstrafe sei demnach auf 5 ½ Jahre zu reduzieren. Bezüglich der Täterkomponenten würden sich die Vorstrafe leicht straferhöhend und das Teilgeständnis leicht strafmindernd auswirken, zumal der Beschuldigte keine Einsicht und Reue zeige. Im Ergebnis erscheine in Annahme einer vollendeten schweren Körperverletzung eine Freiheitsstrafe von 5 ½ Jahren dem schweren Verschulden des Beschuldigten angemessen (Urk. 64 S. 2 f., Urk. 94 S. 2 f.).

        1. Das Gericht bemisst die Strafe nach dem Verschulden des Täters (Art. 47 StGB). Der Begriff des Verschuldens muss sich auf den gesamten Unrechts- und Schuldgehalt der konkreten Straftat beziehen. Zu unterscheiden ist

          zwischen Tat- und Täterkomponente. Bei der Tatkomponente sind das Ausmass des verschuldeten Erfolges, die Art und Weise der Herbeiführung des Erfolges, die Willensrichtung, mit der der Täter gehandelt hat und die Beweggründe des Täters zu beachten. Ausgangspunkt ist die objektive Schwere des Deliktes. Das Verschulden wird einerseits nach objektiven Kriterien (sog. objektive Tatschwere), nämlich nach der Schwere der Verletzung Gefährdung des betroffenen Rechtsgutes und nach der Verwerflichkeit des Handelns, und andererseits nach subjektiven Kriterien (sog. subjektive Tatschwere), nämlich nach den Beweggrün- den und Zielen des Täters sowie danach bestimmt, wie weit der Täter nach den inneren und äusseren Umständen in der Lage war, die Verletzung Gefähr- dung zu vermeiden. Neben dem Verschulden berücksichtigt das Gericht bei der Strafzumessung auch das Vorleben, die persönlichen Verhältnisse des Täters, sein Verhalten nach der Tat und im Strafverfahren, namentlich Einsicht und Reue und ein Geständnis, sowie die Wirkung der Strafe auf sein Leben (sog. „Täterkomponente“; BSK StGB I - WIPRÄCHTIGER/KELLER, a.a.O., N 11 ff. zu Art. 47 StGB; MARKUS HUG in: Andreas Donatsch et al. [Hrsg.], StGB Kommentar,

          20. Auflage, Zürich 2018, N 6 ff. zu Art. 47).

        2. Die Staatsanwältin moniert unter Hinweis auf das Urteil des Bundesgerichts vom 8. Dezember 2011, 6B_626/2011 an der Strafzumessung der Vorinstanz, dass diese bei der objektiven und der subjektiven Tatschwere keine konkrete Einsatzstrafe in Zahlen festgelegt habe. Hier ist vorab bezüglich der Begrifflichkeit zu präzisieren: Die eigentliche Einsatzstrafe wird erstmals am Ende der Strafzumessung für ein konkretes Delikt bestimmt und bildet die Basis für eine allfällige Asperation bei weiteren Delikten, welche mit derselben Strafart geahndet werden. Bei mehreren Delikten ist für jedes Delikt einzeln zu prüfen, ob konkret eine Freiheitsoder eine Geldstrafe angemessen ist. Die Rüge des Bundesgerichts im Urteil 6B_626/2011 bezieht sich auf eine solche Konstellation, wo neben dem Tötungsdelikt auch Verstösse gegen das Waffengesetz und das Strassenverkehrsgesetz geahndet wurden, für welche wohl eine Geldstrafe angemessen gewesen wäre, und diese Unterscheidung nicht erfolgte. Konkret ist also jeweils nach Würdigung der Tatkomponenten bereits eine hypothetische (Einsatz-)Strafe festzulegen. Das Bundesgericht verlangt aber nicht, dass das Gericht nach Wür-

      digung der objektiven und subjektiven Tatschwere bereits eine Strafe in Zahlen festzulegen habe, sondern nur, aber immerhin, dass das Tatverschulden (zusammengesetzt aus objektiver und subjektiver Tatschwere) zu qualifizieren und zu benennen und gestützt darauf innerhalb des zur Verfügung stehenden Strafrahmens eine (hypothetische) Strafe zu bestimmen ist, die diesem Verschulden entspricht. Die so ermittelte Strafe ist sodann in einem dritten Schritt auf Grund der Täterkomponenten anzupassen und führt dann im Ergebnis zur sogenannten Einsatzstrafe oder, wenn nur ein Delikt zu ahnden ist, zur effektiv auszufällenden Strafe (Urteil des Bundesgerichts vom 8. Dezember 2011, 6B_626/2011, E. 4.4. mit Hinweis auf BGE 136 IV 55 E. 5.7.).

          1. Diese Vorgaben umsetzend ist in casu zur objektiven Tatschwere festzuhalten, dass der Beschuldigte den Geschädigten zweimal mit der Faust ins Gesicht schlug und einmal mit dem linken Fuss gegen den Kopf trat, worauf dieser zu Boden fiel. Schläge und Tritt erfolgten dabei in rascher, unmittelbarer Folge. Der Geschädigte erlitt als Folge der Schläge, des Tritts und des Zu-Boden- Fallens mehrere Blutungen im Schädelinneren, Brüche der Nase und der linken Keilbeinhöhle, einen Bruch bzw. eine Sprengung der Knochennähte am Hinterhaupt links. Die Verletzungen waren erheblich und hatten einen mehrwöchigen Spitalaufenthalt des Geschädigten zur Folge. Dieser leidet noch heute unter den Folgen dieser Verletzungen. Damit bewegt sich die zu beurteilende Tat in objektiver Hinsicht im mittleren Bereich aller denkbaren Taten und dort eher im unteren Drittel. Der mittlere Bereich umfasst bei einem Strafrahmen von 6 Monaten bis 10 Jahren den Bereich von ca. 3 ¼ bis 6 ¾ Jahren, der untere Drittel 3 ¼ bis 4 ¼ Jahre.

          2. Bezüglich der subjektiven Tatschwere fällt zunächst ins Gewicht, dass es sich nicht um eine geplante, sondern spontan und im Affekt verübte Tat han- delt. Der Beschuldigte hat den Geschädigten vorher nicht gekannt. Dieser provozierte den Bruder des Beschuldigten am späten Nachmittag an der Street Parade verbal und tätlich und baute sich drohend vor jenem auf, worauf beim Beschuldigten die Sicherungen durchbrannten (ich sah nur noch schwarz) und er den Geschädigten mit zwei Schlägen und einem Tritt ausser Gefecht setzte. Schläge und

            Tritt erfolgten in unmittelbarer Folge. Der Beschuldigte traktierte den Geschädigten nicht weiter, als dieser zu Boden ging, und blieb anschliessend vor Ort. Das Verhalten der Beteiligten unmittelbar nach dem Vorfall wird von der Polizei wie

            folgt beschrieben: Der Geschädigte und sein Begleiter H.

            seien äusserst

            unkooperativ und H. zudem aggressiv und provozierend gewesen. Der Beschuldigte und sein Bruder hingegen seien gegenüber der Polizei sehr kooperativ gewesen und hätten keinen Widerstand geleistet (Urk. 2 S. 6). Auch das Verhalten unmittelbar nach der Tat gibt Rückschlüsse auf die innere Haltung des Beschuldigten. Aufgrund des gesamten Tathergangs steht fest, dass der Beschuldigte die schwerwiegende Verletzung des Geschädigten nicht direkt wollte, diese aber in Kauf nehmen musste. Zu berücksichtigen ist weiter, dass das Bewusstsein des Beschuldigten durch Alkohol und Cannabis-Konsum zumindest beeinträchtigt war. All diese subjektiven Komponenten sind verschuldensmindernd zu berücksichtigen.

          3. Insgesamt führen die bei der objektiven und subjektiven Tatschwere zu berücksichtigenden Faktoren zu einer Strafe im Grenzbereich des unteren und mittleren Bereichs des Strafrahmens. Die hypothetische Strafe ist im Bereich von 3 ½ Jahren Freiheitsstrafe anzusetzen.

          4. Da lebensgefährliche Verletzungen des Geschädigten ausblieben, ist der Versuch als weiterer Strafminderungsgrund zu berücksichtigen. Der Beschul- digte hatte darauf keinen Einfluss. Das Ausbleiben schwerer Verletzungen war vielmehr dem Zufall zu verdanken. Es rechtfertigt sich demnach für den Versuch eine Strafreduktion von sechs Monaten, weshalb eine Freiheitsstrafe von 3 Jahren resultiert.

          5. Die verschuldensangemessene Strafe kann aufgrund von Umständen, die mit der Tat grundsätzlich nichts zu tun haben, erhöht herabgesetzt wer- den. Massgebend hierfür sind im Wesentlichen täterbezogene Komponenten, wie die persönlichen Verhältnisse, Vorstrafen, Leumund, Strafempfindlichkeit und Nachtatverhalten (Geständnis, Einsicht, Reue etc.; vgl. BSK StGB I - WIPRÄCHTI- GER/ KELLER, a.a.O., N 120 ff. zu Art. 47 StGB).

      Die Tat des Beschuldigten erfolgte weder während einer laufenden Probezeit noch während einer laufenden Strafuntersuchung. Die persönlichen Verhält- nisse des Beschuldigten zur Tatzeit und aktuell sind ebenfalls neutral zu werten. Der Beschuldigte ist im Strafregister mit einer Vorstrafe vermerkt. Die Regionale Staatsanwaltschaft Bern-Mittelland bestrafte den Beschuldigten im Jahr 2014 wegen Fahrens in fahrunfähigem Zustand im Sinne von Art. 91 Abs. 2 lit. b SVG (Sekundenschlaf) sowie der Übertretung der Verkehrsregelverordnung im Sinne von Art. 96 VRV mit einer bedingten Geldstrafe von 8 Tagessätzen zu CHF 100.- und einer Busse von CHF 620.- (Urk. 36). Die Strafe ist sehr tief, nicht einschlägig und liegt bereits lange zurück. Sie ist nicht straferhöhend zu werten. Zu berücksichtigen ist sodann weiter, dass der Beschuldigte nach der Tat nicht flüchtete, sondern vor Ort bleib und sich der Polizei zur Verfügung hielt. Ebenfalls strafmindernd ist sein weitgehendes Geständnis zu werten. Zu berücksichtigen ist allerdings auch, dass der Beschuldigte kaum echtes Mitgefühl mit dem Geschädigten bekundet, jedenfalls keines, dass sein Selbstmitleid übersteigen würde (Prot. I

      S. 16). Insgesamt wirken sich die genannten Umstände leicht strafmindernd aus.

      4.4. Unter Berücksichtigung sämtlicher massgebender Strafzumessungsgründe erscheint es dem Verschulden und den persönlichen Verhältnissen des Beschuldigten deshalb angemessen, diesen mit einer Freiheitstrafe von 3 Jahren zu bestrafen. Die bereits erstandene Untersuchungshaft von 78 Tagen ist anzurechnen.

    4. Vollzug
  1. Die Vorinstanz hat auch die rechtlichen Prämissen zur Frage des Vollzugs der Freiheitsstrafe richtig dargelegt (Urk. 51 S. 40 ff.). Darauf kann verwiesen werden (Art. 82 Abs. 4 StPO). Die sehr leichte Vorstrafe des Beschuldigten aus dem Jahre 2014 für einen Verstoss gegen das Strassenverkehrsgesetz vermag die Prognose des Beschuldigten mit Blick auf sein im übrigen deliktfreies Leben nicht zu trüben. Das vorliegende Strafverfahren, die 78 Tage Untersuchungshaft und die in Aussicht stehende zusätzliche Verbüssung eines Teils der Freiheitsstrafe werden dem Beschuldigten eine Lehre sein. Ebenfalls zu berücksichtigen ist die Tatsache, dass der Beschuldigte nach seiner Tat nicht flüchtete, son- dern sich der Polizei stellte. Ihm kann deshalb eine gute Prognose gestellt wer- den. Eine vollumfänglich bedingt ausgesprochene Strafe kommt bei einer Strafhöhe von 3 Jahren Freiheitsstrafe gleichwohl nicht in Frage (Art. 42 Abs. 1 StGB).

  2. Das Gericht kann den Vollzug einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr und höchstens drei Jahren teilweise aufschieben, wenn dies notwen- dig ist, um dem Verschulden des Täters genügend Rechnung zu tragen (Art. 43 Abs. 1 StGB). Dabei darf der unbedingt vollziehbare Teil die Hälfte der Strafe nicht übersteigen (Art. 43 Abs. 2 StGB). Angemessen erscheint vorliegend mit Blick auf das doch erhebliche Verschulden des Beschuldigten einen Drittel der Strafe, mithin 12 Monate, zu vollziehen und den Vollzug der restlichen 24 Monate Freiheitsstrafe bedingt aufzuschieben, unter Ansetzung einer Probezeit von zwei Jahren. Ein Grund, die Probezeit hier über dem gesetzlichen Minimum von zwei Jahren anzusetzen, wie dies die Vorinstanz tat, ist nicht ersichtlich.

IV. Landesverweisung
  1. Im Rahmen der Umsetzung der am 28. November 2010 angenommenen sogenannten Ausschaffungsinitiative sind im schweizerischen Strafgesetzbuch die Art. 66a bis 66d eingefügt worden. Diese Gesetzesänderung ist am 1. Oktober 2016 in Kraft getreten (AS 2016 2329). Die neu im Strafgesetzbuch aufgenommene Landesverweisung stellt gemäss ihrer gesetzlichen Einordnung eine Mass- nahme dar, die neben der eigentlichen Strafe ausgefällt werden kann. Die Landesverweisung ist nicht nur strafrechtlicher Natur, sondern übernimmt auch ausländerrechtliche Funktionen. Sie ist eine strafrechtliche sichernde Massnahme mit migrationsrechtlicher Wirkung (Marc Busslinger/Peter Uebersax, Härtefallklausel und migrationsrechtliche Auswirkungen der Landesverweisung, plädoyer 5/16, S. 96 ff., S. 96). Aufgrund des Rückwirkungsverbots (Art. 2 Abs. 1 StGB) kann eine Landesverweisung nur für Taten verhängt werden, die seit dem Inkrafttreten des neuen Gesetzes begangen wurden.

  2. Im Falle einer Verurteilung eines Ausländers für ein Delikt, welches nach Inkrafttreten der Gesetze zur Umsetzung der Ausschaffungsinitiative am

  1. Oktober 2016 begangen wurde, hat das Strafgericht die Anordnung einer obligatorischen Landesverweisung nach Art. 66a StGB einer fakultativen Lan- desverweisung nach Art. 66abis StGB zu prüfen. Art. 66a Abs. 1 StGB enthält dabei einen Katalog von Straftaten, für die das Gericht bei einer Verurteilung unabhängig von der Höhe der Strafe eine Landesverweisung von 5 bis 15 Jahren auszusprechen hat. Nach dem Willen des Gesetzgebers wird bei dieser sogenannten obligatorischen Landesverweisung die Möglichkeit des Gerichts, die Verhältnismässigkeit der Anordnung dieser Massnahme zu prüfen, bewusst eingeschränkt. Gemäss der in Art. 66a Abs. 2 StGB verankerten sogenannten Härtefallklausel kann das Gericht nur ausnahmsweise von einer obligatorischen Landesverweisung absehen, wenn diese für die betroffene ausländische Person einen schweren persönlichen Härtefall bewirken würde und die öffentlichen Interessen an der Landesverweisung gegenüber den privaten Interessen der betroffenen Person am Verbleib in der Schweiz nicht überwiegen. Dabei soll namentlich der besonderen Situation von Ausländerinnen und Ausländern Rechnung getragen werden, die in der Schweiz geboren und aufgewachsen sind sich seit Jahrzehnten im Lan- de aufhalten, kaum noch Beziehungen zu ihrer Heimat haben und sich dort nicht mehr zurechtfinden würden. Als konkrete Härtefallgründe fallen dabei insbeson- dere die Anwesenheitsdauer, die familiären Verhältnisse, die Arbeits- und Ausbil- dungssituation, die Persönlichkeitsentwicklung, der Grad der Integration sowie die Resozialisierungschancen des Beschuldigten in Betracht. Ist bei einer Gesamtbetrachtung dieser Kriterien von einem Härtefall auszugehen, so ist in einem zweiten Schritt das private Interesse des Beschuldigten am weiteren Verbleib in der Schweiz dem konkreten öffentlichen (Sicherheits-)Interesse an seiner Landesverweisung gegenüberzustellen. Nur wenn dabei das private das öffentliche Interesse überwiegt, ist ausnahmsweise von der Anordnung einer obligatorischen Landesverweisung abzusehen (MARC BUSSLINGER/PETER UEBERSAX, a.a.O., S. 97 f.).

    1. Der Beschuldigte wird wegen versuchter schwerer Körperverletzung, welche er am 11. August 2018 und somit nach Inkrafttreten der Gesetzesnovelle begangen hat, zu einer Freiheitsstrafe von 36 Monaten verurteilt. Die schwere

      Körperverletzung ist eine Katalogtat, weshalb der Beschuldigte grundsätzlich für 5 bis 15 Jahre aus der Schweiz zu verweisen ist (Art. 66a Abs. 1 lit. b StGB).

    2. Die Vorinstanz hat den Beschuldigten für fünf Jahre des Landes verwiesen. Sie hat unter Verweis auf den Schweregrad der Tat, das betroffene Rechtsgut und die deutlich unterdurchschnittliche Integration des Beschuldigten in der Schweiz das private Interesse des Beschuldigten am Verbleib in der Schweiz leichter gewichtet als das öffentlichen Interesse an der Landesverweisung. Mit Blick auf sein Alter, seine Sprachkenntnisse und die beruflichen Allround- Erfahrungen sei ihm angesichts des grossen öffentlichen Interesses zuzumuten, das Land zu verlassen (Urk. 51 S. 42 ff.).

    3. Die Verteidigung beantragt in ihrem Eventualantrag, von einer Landesverweisung abzusehen. Zur Begründung führte sie an der Berufungsverhandlung aus, dass die Landesverweisung nicht für Secondos gedacht sei. Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb der Beschuldigte wirtschaftlich nicht integriert sein soll. Der Beschuldigte arbeite und beziehe keine Sozialhilfe. Er sei hier aufgewachsen und habe hier sein familiäres Umfeld. Das persönliche Interesse des Beschuldigten am Verbleib überwiege (Prot. II S. 12).

    4. Die Staatsanwaltschaft führte aus, dass der Beschuldigte keine Ehefrau und keine Kinder in der Schweiz habe, keine Ausbildung abgeschlossen habe und kein Vermögen, sondern nur Schulden besitze. Wenn man geltend mache, in Serbien sei er mittelos und habe eine ungewisse Zukunft vor sich, so sei das hier in der Schweiz nicht anders. Der Beschuldigte sei ein junger Mann, der durchaus die Möglichkeit und die Mittel habe, in Serbien ein neues Leben zu beginnen. Von einem Härtefall könne deshalb keine Rede sein (Prot. I S. 22). An der Berufungsverhandlung machte die Staatsanwältin weiter geltend, dass das öffentliche Interesse gegenüber dem privaten Interesse am Verbleib überwiege. Dies habe die Vorinstanz zutreffend dargelegt (Prot. II S. 14 und S. 16).

    1. Ob im konkreten Einzelfall ein schwerer persönlicher Härtefall im Sinne von Art. 66a Abs. 2 StGB vorliegt, erfolgt aufgrund einer Gesamtbetrachtung aller relevanten Umstände. Insbesondere zu berücksichtigen sind die Anwesenheitsdauer, die familiären Verhältnisse, die Arbeits- und Ausbildungssituation und der Arbeits- und Ausbildungswille, der Gesundheitszustand des Betroffenen und die Behandlungsmöglichkeit von allfälligen Krankheiten, die Persönlichkeitsentwicklung, der Grad der Integration und die Wiedereingliederungsaussichten im Heimatland sowie die Resozialisierungschancen. Härtefallbegründende Aspekte müssen grundsätzlich den Betroffenen selbst treffen. Treten sie bei Dritten auf, sind sie nur dann zu berücksichtigen, wenn sie sich zumindest indirekt auch auf den Betroffenen auswirken. Ein schwerer persönlicher Härtefall ist dann anzu- nehmen, wenn die Summe aller Schwierigkeiten den Betroffenen derart hart trifft, dass ein Verlassen der Schweiz bei objektiver Betrachtung zu einem nicht hin- nehmbaren Eingriff in seine Lebensbedingungen führt (MARC BUSSLINGER/PETER UEBERSAX, a.a.O., S. 101 f.). Bei der Härtefallprüfung im Sinne von Art. 66a Abs. 2 StGB ist das Ausmass der persönlichen Beziehung bzw. Bindung der betroffenen Person zur Schweiz bzw. zu hier lebenden Personen ein besonders gewichtiger Faktor, was sich u.a. aus der expliziten Erwähnung der speziellen Situation von in der Schweiz geborenen Ausländerinnen und Ausländern (sogenannte Secondos) im Gesetzestext ergibt. Der rigorose Automatismus der obligatorischen Landesverweisung soll also vor allem dann durchbrochen werden, wenn der betroffene Ausländer eine starke Bindung zur Schweiz hat, welche die Lan- desverweisung insgesamt als in hohem Masse unverhältnismässig erscheinen lässt.

    2. Zu den persönlichen Verhältnissen des Beschuldigten ist festzuhalten, dass er am tt. Dezember 1993 in M. geboren wurde und aufgewachsen ist. Er ist Staatsangehöriger von Serbien und besitzt einen C-Ausweis. Der Beschul-

      digte hat in M.

      die obligatorische Schulzeit und im Anschluss das

      10. Schuljahr absolviert. Die Eltern liessen sich scheiden, als der Beschuldigte sieben acht Jahre alt war. Sein Vater ging zurück nach Serbien, wo er auch heute noch lebt. Der Beschuldigte wuchs mit seinem zwei Jahre jüngeren Bruder bei seiner Mutter auf. Die Mutter ist hier in der Schweiz wieder verheiratet. Der Beschuldigte wohnt noch heute zusammen mit seinem Bruder, seiner Mutter und seinem ebenfalls aus Serbien stammenden Stiefvater in M. . In seinem Heimatland Serbien wohnen sein Vater und die Grosseltern väterlicherseits. Zu

      seinem Vater hat der Beschuldigte keinen Kontakt mehr (Prot. I S. 6). Telefonischen Kontakt pflegt der Beschuldigte mit seinen Grosseltern väterlicherseits (Urk. 92 S. 4). Er begann nach der obligatorischen Schulzeit die Fachmaturitätsschule, brach diese nach einem halben Jahr jedoch ab. Er arbeitet anschliessend als ungelernter Bauarbeiter, Umzugshelfer Reinigungskraft. Seit nunmehr fünf Jahren arbeitet er bei einem Transportunternehmen. Zu Beginn war er dort als LKW-Führer tätig. Nachdem ihm in Folge der vorstehend genannten Vorstrafe wegen Sekundenschlafs der Führerschein entzogen wurde, arbeitete er als Lagermitarbeiter weiter. Heute hat er dort die Position eines Schichtleiters inne. Der Beschuldigte erzielt ein monatliches Einkommen von ca. Fr. 5'000.-, wovon er seiner Mutter ca. Fr. 500.pro Monat zur Miete bezahlt. Er verfügt über kein Vermögen, hat aber Schulden von ca. Fr. 18'000.aus einem Bankkredit (vgl. Urk. 92 S. 4). Die Schulden entstanden durch den Kauf eines BMW, Anschaffung von Autozubehör sowie Einkäufe über das Internet (Prot. I S. 10 f.). Die Schulden ist er mit monatlichen Raten von Fr. 780.am Abbezahlen (Urk. 92 S. 4).

    3. Bei dieser Sachlage kann festgehalten werden, dass der Beschuldigte als in der Schweiz geborener, sog. Secondo, der nie an einem anderen Ort als in der Schweiz lebte, dessen wichtigsten Bezugspersonen hier in der Schweiz leben, der eine Arbeitsstelle hier in der Schweiz hat, klarerweise als hier verwurzelt angesehen werden muss. Eine Landesverweisung würde für ihn deshalb eine besondere Härte darstellen. Es liegt ein Härtefall im Sinne von Art. 66a Abs. 2 StGB vor.

    1. Damit ist in einem zweiten Schritt eine Interessenabwägung zwischen den privaten Interessen des Beschuldigten am Verbleib in der Schweiz und den öffentlichen Interessen an dessen Wegweisung vorzunehmen. Die privaten Interessen des Beschuldigten wurden bereits vorstehend bei der Prüfung, ob ein Härtefall vorliegt, dargelegt. Darauf ist zu verweisen. Die öffentlichen Interessen ma- nifestieren sich am Interesse der Schweiz, die öffentliche Ordnung und Sicherheit möglichst zu bewahren. Straffällige Ausländer sollen deshalb das Land verlassen und für eine gewisse Zeit dem Land fernbleiben. Nach der gesetzlichen Systematik ist die obligatorische Landesverweisung anzuordnen, wenn die Katalogtat einen Schweregrad erreicht, der die Landesverweisung zur Wahrung der inneren Sicherheit notwendig erscheinen lässt. Diese Beurteilung kann strafrechtlich nur in der Weise vorgenommen werden, indem massgebend auf die verschuldensmässige Natur und Schwere der Tatbegehung, die sich darin manifestierende Gefährlichkeit des Täters für die öffentliche Sicherheit und auf die Legalprognose abgestellt wird (Urteil 6B_627/2018 vom 22. März 2019 E. 1.6.2. mit weiteren Hinweisen). Zu gewichten ist die deliktische Energie, welche der Täter mit seiner Tat offenbarte, die ausgefällte Strafe (und mit ihr das Verschulden), die Rückfallgefahr, die Vorstrafen, die Gefährlichkeit des Täters, etc.. Mit zu berücksichtigen ist auch, ob die Tat als Jugendlicher, junger Erwachsener Erwachsener begangen wird (Urteil 6B_627/2018 vom 22. März 2019 E. 1.6.3. mit weiteren Hinweisen).

    2. Der Beschuldigte ist im schweizerischen Strafregister mit einer Vorstrafe vermerkt. Die Regionale Staatsanwaltschaft Bern-Mittelland bestrafte den Beschuldigten im Jahr 2014 wegen Fahrens in fahrunfähigem Zustand im Sinne von Art. 91 Abs. 2 lit. b SVG (Sekundenschlaf) sowie der Übertretung der Verkehrsregelverordnung im Sinne von Art. 96 VRV mit einer bedingten Geldstrafe von 8 Tagessätzen zu CHF 100.- und einer Busse von CHF 620.- (Urk. 36). Die Strafe ist sehr tief, nicht einschlägig und liegt bereits lange zurück. Die vorliegende Verurteilung ist die erste grosse Verfehlung des Beschuldigten. Es handelt sich um ein Gewaltdelikt, weshalb das öffentliche Interesse der Schweiz als gross anzusehen ist. Auch die heute auszufällende Freiheitsstrafe von 36 Monaten belegt, dass grundsätzlich von einem schweren Delikt und einer massiven Verfehlung des Beschuldigten auszugehen ist. Gleichwohl muss aber auch hier berücksichtigt werden, dass es sich nicht um eine geplante, sondern eine spontan, im Affekt und unter dem Einfluss von Alkohol und Cannabis verübte Tat handelt. Im Tatzeitpunkt war der Beschuldigte 24 Jahre alt, mithin im Alter eines jungen Erwachsenen. Der Beschuldigte hat den Geschädigten vorher nicht gekannt. Dieser provozierte den Bruder des Beschuldigten am späten Nachmittag an der Street Parade verbal und tätlich und baute sich drohend vor jenem auf, worauf beim Beschuldigten die Sicherungen durchbrannten und er den Geschädigten mit zwei Schlägen und einem Tritt ausser Gefecht setzte. Aufgrund des Tathergangs

      ist davon auszugehen, dass der Beschuldigte schwerwiegende Verletzungen des Geschädigten nicht direkt wollte, solche aber in Kauf nahm. Zu berücksichtigen ist weiter, dass das Bewusstsein des Beschuldigten durch Alkohol und Cannabis- Konsum zumindest beeinträchtigt war. Diese Umstände relativieren die Gefährlichkeit des Beschuldigten und damit auch das öffentliche Interesse der Schweiz an seiner Ausweisung. Hinzu kommt, dass der Beschuldigte die Tat in einem noch jugendlichen Alter beging, sich in der Zwischenzeit weiter stabilisierte und beruflich als Schichtleiter arbeitet. Der Arbeitgeber ist über das Strafverfahren informiert und steht zum Beschuldigten. Seine Schulden bezahlt er in monatlichen Raten zurück. All diese Umstände sind bei der Interessenabwägung zu berücksichtigen.

    3. Angesichts der festen Bindung des in der Schweiz geborenen und aufgewachsenen Beschuldigten zu unserem Land, seinen bloss losen Kontakten zu seinem Heimatland, der einmaligen, wenn gleich schweren Verfehlung, dem Umstand, dass es kein geplantes Delikt war und die Provokation von Seiten des Geschädigten aus ging, sowie der letztlich guten Prognose für ein in Zukunft deliktfreies Leben erscheint eine Landesverweisung als gerade noch nicht verhältnismässig. In Berücksichtigung der in diesem Verfahren beurteilten Tat und der konkreten persönlichen Verhältnisse des Beschuldigten vermag das öffentliche Interesse an einer Landesverweisung des Beschuldigten dessen privates Interesse an einem Verbleib in der Schweiz knapp nicht zu überwiegen, wobei zu betonen ist, dass von einem Grenzfall auszugehen ist. Damit sind die Voraussetzungen für eine Landesverweisung nicht erfüllt und ist von der Anordnung einer solchen abzusehen. Der Beschuldigte ist jedoch eindringlich darauf hinzuweisen, dass jedes weitere kriminelle Verhalten die Waage auf die andere Seite kippen lassen könnte.

    4. Wird der Beschuldigte nicht des Landes verwiesen, entfällt auch eine Ausschreibung im Schengener Informationssystem (SIS).

IV. Kostenfolgen

Der Beschuldigte unterliegt mit seinem Hauptantrag (Freispruch). Im Nebenpunkt (Landesverweisung und Ausschreibung im Schengener Informationssystem) obsiegt der Beschuldigte. Bei diesem Ausgang des Verfahrens rechtfertigt es sich, die Kosten des Berufungsverfahrens dem Beschuldigten im Umfang von 2/3 aufzuerlegen (Art. 428 Abs. 1 StPO) und zu 1/3 auf die Gerichtskasse zu nehmen. Dementsprechend hat der Beschuldigte Anspruch auf eine reduzierte Prozessentschädigung von Fr. 2'000.- (inkl. MwSt.) (vgl. Urk. 93/3 Honorarnote). Die Kosten des ehemaligen amtlichen Verteidigers, Rechtsanwalt lic. iur. X2. (bereits ausbezahlt, Urk. 76 f.) in der Höhe von Fr. 958.sind auf die Gerichtskasse zu nehmen, unter Vorbehalt der Rückforderung im Umfang von 2/3.

Es wird beschlossen:

  1. Es wird festgestellt, dass das Urteil des Bezirksgerichts Zürich, 1. Abteilung, vom 25. Juni 2019 wie folgt in Rechtskraft erwachsen ist:

    Es wird erkannt:

    1.-5. ( )

    1. Die beim Forensischen Institut Zürich lnstitut Zürich lagernden Sicherstellungen

      • Jeanshose, Marke Teps des Oerises, schwarz (A011'751'943)

      • Unterhose, Marke Calvin Klein, schwarz (A011'751'965)

      • Gürtel, Marke Gucci, schwarz (A011'751'976)

      • 1 Paar Herrensocken (A011'751'998)

      • 1 Paar Turnschuhe, Marke Vans, schwarz/weiss (A011'752'004)

        werden dem Geschädigten B. , c/o C. , D. -str. , E. , nach Eintritt der Rechtskraft bis spätestens 3 Monate danach auf erstes Verlangen hin herausgegeben. Nach ungenutztem Ablauf dieser Frist werden die Sicherstellungen der Lagerbehörde zur Vernichtung überlassen.

    2. Das Forensische Institut Zürich wird angewiesen, die übrigen bei ihm unter der Referenznummer K180813-075 / 73423219 archivierten Asservate nach Eintritt der Rechtskraft zu vernichten.

    3. Auf die Begehren des Geschädigten B. wird nicht eingetreten. 9. ( )

      1. Rechtsanwalt lic. iur. X2.

        wird für seine Aufwendungen als amtlicher

        Verteidiger des Beschuldigten mit Fr. 14'636.aus der Gerichtskasse entschädigt.

      2. ( )

      3. (Mitteilungen)

      4. (Rechtsmittel)

  2. Mündliche Eröffnung und schriftliche Mitteilung mit nachfolgendem Urteil.

Es wird erkannt:

  1. Der Beschuldigte A.

    ist schuldig der versuchten schweren

    Körperverletzung im Sinne von Art. 122 StGB in Verbindung mit Art. 22 Abs. 1 StGB.

  2. Der Beschuldigte wird bestraft mit einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren, wovon 78 Tage durch Untersuchungshaft erstanden sind.

  3. Der Vollzug der Freiheitsstrafe wird im Umfang von 24 Monaten aufgeschoben und die Probezeit auf 2 Jahre festgesetzt. Im übrigen Umfang von 12 Monaten wird die Freiheitsstrafe vollzogen.

  4. Von der Anordnung einer Landesverweisung wird abgesehen.

  5. Das erstinstanzliche Kostendispositiv (Dispositiv-Ziffern 9 und 11) wird bestätigt.

  6. Die zweitinstanzliche Gerichtsgebühr wird festgesetzt auf: Fr. 3'000.- ; die weiteren Kosten betragen:

    Fr. 958.amtliche Verteidigung RA X2. (bereits ausbezahlt).

  7. Die Kosten des Berufungsverfahrens, mit Ausnahme der Kosten der amtlichen Verteidigung, werden dem Beschuldigten zu 2/3 auferlegt und 1/3 auf die Gerichtskasse genommen. Die Kosten der amtlichen Verteidigung werden einstweilen auf die Gerichtskasse genommen. Die Rückzahlungspflicht des Beschuldigten bleibt gemäss Art. 135 Abs. 4 StPO im Umfang von 2/3 vorbehalten.

  8. Dem Beschuldigten wird eine reduzierte Prozessentschädigung von Fr. 2'000.- (inkl. MwSt.) für anwaltliche Verteidigung durch Rechtsanwalt Dr. iur. X1. zugesprochen.

  9. Mündliche Eröffnung und schriftliche Mitteilung im Dispositiv an

    • die Verteidigung im Doppel für sich und zuhanden des Beschuldigten (übergeben)

    • die Staatsanwaltschaft I des Kantons Zürich (übergeben)

    • die Vertreterin des Geschädigten im Doppel für sich und zuhanden des Geschädigten (versandt)

    • das Migrationsamt des Kantons Zürich (versandt) sowie in vollständiger Ausfertigung an

    • die Verteidigung im Doppel für sich und zuhanden des Beschuldigten

    • die Staatsanwaltschaft I des Kantons Zürich

    • die Vertreterin des Geschädigten im Doppel für sich und zuhanden des Geschädigten

      und nach unbenütztem Ablauf der Rechtsmittelfrist bzw. Erledigung allfälliger Rechtsmittel je gegen Empfangsschein an

    • die Vorinstanz mit dem Ersuchen um Vornahme der notwendigen Mitteilungen betreffend erstinstanzliche Dispositivziffern 6 und 7

    • den Justizvollzug des Kantons Zürich, Abteilung Bewährungs- und Vollzugsdienste

    • das Migrationsamt des Kantons Zürich

    • die Koordinationsstelle VOSTRA/DNA mit Formular A

    • die Koordinationsstelle VOSTRA/DNA mit dem Formular Löschung des DNA-Profils und Vernichtung des ED-Materials zwecks Bestimmung der Vernichtungs- und Löschungsdaten.

  10. Gegen diesen Entscheid kann bundesrechtliche Beschwerde in Strafsachen erhoben werden.

Die Beschwerde ist innert 30 Tagen, von der Zustellung der vollständigen, begründeten Ausfertigung an gerechnet, bei der Strafrechtlichen Abteilung des Bundesgerichtes (1000 Lausanne 14) in der in Art. 42 des Bundesgerichtsgesetzes vorgeschriebenen Weise schriftlich einzureichen.

Die Beschwerdelegitimation und die weiteren Beschwerdevoraussetzungen richten sich nach den massgeblichen Bestimmungen des Bundesgerichtsgesetzes.

Obergericht des Kantons Zürich

I. Strafkammer Zürich, 4. Oktober 2021

Der Präsident:

lic. iur. S. Volken

Die Gerichtsschreiberin:

MLaw T. Künzle

Zur Beachtung:

Der/die Verurteilte wird auf die Folgen der Nichtbewährung während der Probezeit aufmerksam gemacht:

Wurde der Vollzug einer Geldstrafe unter Ansetzung einer Probezeit aufgeschoben, muss sie vorerst nicht bezahlt werden. Bewährt sich der/die Verurteilte bis zum Ablauf der Probezeit, muss er/sie die Geldstrafe definitiv nicht mehr bezahlen (Art. 45 StGB); Analoges gilt für die bedingte Freiheitsstrafe.

Eine bedingte Strafe bzw. der bedingte Teil einer Strafe kann im Übrigen vollzogen werden (Art. 46 Abs. 1 bzw. Abs. 4 StGB),

  • wenn der/die Verurteilte während der Probezeit ein Verbrechen Vergehen begeht,

  • wenn der/die Verurteilte sich der Bewährungshilfe entzieht die Weisungen missachtet.

Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.

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