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Urteil Obergericht des Kantons Zürich (ZH)

Zusammenfassung des Urteils SB180507: Obergericht des Kantons Zürich

Das Obergericht des Kantons Zürich, I. Strafkammer, hat am 23. April 2019 in einem Fall von mehrfacher versuchter schwerer Körperverletzung entschieden. Der Beschuldigte wurde für schuldunfähig erklärt und es wurde eine ambulante therapeutische Massnahme angeordnet. Er wurde für 28 Tage rechtswidriger Haft eine Genugtuung von Fr. 5'600.- zugesprochen. Die Kosten des Berufungsverfahrens wurden auf die Gerichtskasse genommen. Die Entscheidung kann mit einer bundesrechtlichen Beschwerde angefochten werden.

Urteilsdetails des Kantongerichts SB180507

Kanton:ZH
Fallnummer:SB180507
Instanz:Obergericht des Kantons Zürich
Abteilung:I. Strafkammer
Obergericht des Kantons Zürich Entscheid SB180507 vom 23.04.2019 (ZH)
Datum:23.04.2019
Rechtskraft:-
Leitsatz/Stichwort:Mehrfache versuchte schwere Körperverletzung etc.
Schlagwörter : Beschuldigte; Massnahme; Staat; Staatsanwaltschaft; Beschuldigten; Sinne; Haftentlassung; Urteil; Berufung; Massnahmen; Gericht; Genugtuung; Vorinstanz; Recht; Kantons; Entschädigung; Zwangsmassnahmen; Verteidigung; Gerichtskasse; Dietikon; Privatkläger; Verfügung; Asservaten-Nr; Untersuchungshaft; Zwangsmassnahmengericht; Massnahmenvollzug; Antrag; Zeitpunkt; Körperverletzung
Rechtsnorm:Art. 122 StGB ;Art. 144 StGB ;Art. 180 StGB ;Art. 19 StGB ;Art. 22 StGB ;Art. 221 StPO ;Art. 227 StPO ;Art. 229 StPO ;Art. 399 StPO ;Art. 419 StPO ;Art. 431 StPO ;Art. 63 StGB ;Art. 82 StPO ;Art. 90 SVG ;
Referenz BGE:141 IV 249; 143 IV 339;
Kommentar:
Markus Hug, Donatsch, Schweizer, Flachsmann, Weder, Kommentar Schweizerisches Strafgesetzbuch, Zürich, Art. 49 StGB, 2010

Entscheid des Kantongerichts SB180507

Obergericht des Kantons Zürich

I. Strafkammer

Geschäfts-Nr.: SB180507-O/U/cwo

Mitwirkend: die Oberrichter lic. iur. R. Naef, Präsident, lic. iur. M. Langmeier und lic. iur. B. Gut sowie die Gerichtsschreiberin MLaw T. Künzle

Urteil vom 23. April 2019

in Sachen

  1. ,

    Beschuldigter und Berufungskläger

    amtlich verteidigt durch Rechtsanwalt lic. iur. et lic. oec. X. ,

    gegen

    Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich, vertreten durch Staatsanwältin lic. iur. F. Stadelmann,

    Anklägerin und Berufungsbeklagte

    betreffend mehrfache versuchte schwere Körperverletzung etc.

    Berufung gegen ein Urteil des Bezirksgerichtes Dietikon vom 29. Juni 2018 (DG170031)

    Antrag:

    Der Antrag der Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich auf Anordnung einer Massnahme für eine schuldunfähige Person vom 20. Dezember 2017 (Urk. D1/26) ist diesem Urteil beigeheftet.

    Beschluss und Urteil der Vorinstanz:

    (Urk. 80 S. 28 ff.)

    Es wird beschlossen:

    1. In Bezug auf den Vorwurf der einfachen Körperverletzung zum Nachteil des Privatklägers 2 (B. ) wird das Verfahren eingestellt.

    2. Mündliche Eröffnung, Begründung, schriftliche Mitteilung und Rechtsmittelbelehrung im Dispositiv sowie in vollständiger Ausfertigung mit nachfolgendem Erkenntnis.

Es wird erkannt:

  1. Es wird festgestellt, dass der Beschuldigte die Tatbestände

    • der mehrfachen versuchten schweren Körperverletzung im Sinne von Art. 122 Abs. 1 StGB in Verbindung mit Art. 22 Abs. 1 StGB,

    • der Körperverletzung im Sinne von Art. 123 Ziff. 2 Abs. 2 StGB,

    • der mehrfachen Körperverletzung im Sinne von Art. 123 Ziff. 1 Abs. 1 StGB,

    • der mehrfachen Drohung im Sinne von Art. 180 Abs. 1 StGB,

    • der Gewalt und Drohung gegen Beamte im Sinne von Art. 285 Ziff. 1 Abs. 1 StGB,

    • der mehrfachen Sachbeschädigung im Sinne von Art. 144 Abs. 1 StGB,

    • der mehrfachen Verletzung der Verkehrsregeln im Sinne von Art. 90 Abs. 2 SVG,

    • der mehrfachen Verletzung der Verkehrsregeln im Sinne von Art. 90 Abs. 1 SVG,

    • des Fahrens in fahrunfähigem Zustand im Sinne von Art. 91 Abs. 2 lit. b SVG,

    • der mehrfachen Entwendung eines Fahrzeuges zum Gebrauch im Sinne von Art. 94 Abs. 1 lit. a SVG,

    • der Übertretung des Betäubungsmittelgesetzes im Sinne von Art. 19a BetmG,

      im Zustand der nicht selbst verschuldeten Schuldunfähigkeit gemäss Art. 19 Abs. 1 StGB verübt hat.

  2. Es wird festgestellt, dass der Beschuldigte keinen weiteren Tatbestand erfüllt hat (Drohung zum Nachteil des Privatklägers 5 am Bahnhof C. ).

  3. Es wird eine ambulante therapeutische Massnahme im Sinne von Art. 63 Abs. 1 StGB (Behandlung psychischer Störungen) angeordnet und es wird davon Vormerk genommen, dass sich der Beschul-

    digte im Rahmen des vorzeitigen Massnahmenvollzuges bei Dr. D. E. ) in Behandlung befindet.

  4. Dem Beschuldigten wird keine Genugtuung für die erstandene Haft zugesprochen.

    (c/o Tagesklinik

  5. Die Schadenersatzbzw. Genugtuungsbegehren der Privatkläger 1 bis 7, 9 und 10 sowie 12 werden abgewiesen.

  6. Der mit Verfügung der Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich vom 6. November 2017 beschlagnahmte Gegenstand, Machete schwarz (Asservaten-Nr. A010'262'803), lagernd bei der Bezirksgerichtskasse Dietikon, wird eingezogen und vernichtet.

  7. Die nachfolgend genannten, mit Verfügung der Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich vom

    6. November 2017 beschlagnahmten Gegenstände, lagernd bei der Kantonspolizei Zürich, AsservateTriage, werden eingezogen und vernichtet:

    • Waffenzubehör, Schutzhülle v. Machete (Asservaten-Nr. A010'272'476);

    • Wurfstern (Asservaten-Nr. A010'272'614);

    • Schmetterlingsmesser (Asservaten-Nr. A010'272'625);

    • Elektroschockwaffe Marke ... (Asservaten-Nr. A010'272'636);

    • Teleskopschlagstock (Asservaten-Nr. A010'272'681).

  8. Die Gerichtsgebühr fällt ausser Ansatz; die übrigen Kosten betragen: Fr. 3'700.00 Gebühr für das Vorverfahren;

    Fr. 25'415.20 Auslagen (Gutachten);

    Fr. 25'818.75 Auslagen;

    Fr. 130.00 Auslagen (Gutachten);

    Fr. 980.00 Auslagen Polizei;

    Fr. 556.50 Entschädigung Zeuge

    und werden inkl. diejenigen der amtlichen Verteidigung und der unentgeltlichen Vertretung der Privatkläger 4 und 10 auf die Gerichtskasse genommen.

  9. Rechtsanwalt lic. iur. et lic. oec. X. wird für seine Aufwendungen als amtlicher Verteidiger des Beschuldigten aus der Gerichtskasse mit Fr. 20'201.55 (inkl. Barauslagen und 8.0 % bzw. 7.7 % MwSt.) entschädigt.

  10. Rechtsanwalt lic. iur. Y. wird für seine Aufwendungen als unentgeltlicher Vertreter des Privatklägers 4 aus der Gerichtskasse mit Fr. 3'540.95 (inkl. Barauslagen und 8.0 % bzw. 7.7 % MwSt.) entschädigt.

  11. Rechtsanwalt lic. iur. Z. wird für seine Aufwendungen als unentgeltlicher Vertreter des Privatklägers 10 aus der Gerichtskasse mit Fr. 3'397.70 (inkl. Barauslagen und 8.0 % bzw. 7.7 % MwSt.) entschädigt.

Berufungsanträge:

(Prot. II S. 7)

  1. Der Verteidigung des Beschuldigten: (Urk. 93 S. 2; schriftlich)

    In Abänderung von Ziff. 4 des Urteils des Bezirksgerichts Dietikon vom

    29. Juni 2018 sei dem Beschuldigten eine Genugtuung von Fr. 11'200.--, zuzüglich 5 % Zins seit dem 21. November 2017, auszurichten,

    unter Kosten- und Entschädigungsfolgen, zuzüglich Mehrwertsteuer, zugunsten des Beschuldigten.

  2. Der Staatsanwaltschaft:

    (Urk. 100; schriftlich und sinngemäss) Bestätigung des vorinstanzlichen Urteils.

    Erwägungen:
    1. Prozessuales / Prozessgeschichte
  1. Verfahrensgang

    1. Zum Verfahrensgang bis zum vorinstanzlichen Urteil kann zwecks Vermeidung unnötiger Wiederholungen auf die zutreffenden Erwägungen im angefochtenen Entscheid verwiesen werden (Urk. 80 S. 5).

    2. Mit eingangs im Dispositiv wiedergegebenen Urteil des Bezirksgerichts Dietikon vom 29. Juni 2018 wurde festgestellt, dass der Beschuldigte A. mehrfache (versuchte schwere) Körperverletzungen, mehrfache Widerhandlungen gegen das Strassenverkehrsrecht und eine Übertretung des Betäubungsmittelgesetzes im Zustand der nicht selbst verschuldeten Schuldunfähigkeit im Sinne von Art. 19 Abs. 1 StGB verübt habe. Gleichzeitig wurde eine ambulante therapeutische Massnahme im Sinne von Art. 63 Abs. 1 StGB (Behandlung psychischer Störungen) angeordnet und davon Vormerk genommen, dass sich der Beschuldigte im Rahmen des vorzeitigen Massnahmenvollzuges bei Dr. D. (c/o Tagesklinik E. ) in Behandlung befinde (Urk. 80 S. 28 f.). Gegen diesen Entscheid liess der Beschuldigte durch seinen amtlichen Verteidiger mit Eingabe vom 9. Juli 2018 innert gesetzlicher Frist Berufung anmelden (Urk. 65; Art. 399 Abs. 1 StPO). Die Berufungserklärung der Verteidigung vom 4. Dezember 2018 ging, nachdem ihr das begründete Urteil am 16. November 2018 zugestellt wurde (Urk. 79/3), ebenfalls innert gesetzlicher Frist bei der Berufungsinstanz ein (Urk. 82; Art. 399 Abs. 3 StPO). Da von keiner Partei Anschlussberufung erhoben wurde und sich die Berufung des Beschuldigten einzig gegen die Genugtuungsfolgen (Urteilsdispositiv Ziffer 4 des vorinstanzlichen Urteils) richtet, wurde mit Beschluss vom 25. Januar 2019 im Einverständnis des Beschuldigten (vgl. Urk. 82

S. 2) - das schriftliche Berufungsverfahren angeordnet und dem Beschuldigten gleichzeitig Frist zur Erstattung der schriftlichen Berufungsbegründung angesetzt. Zudem erfolgte der Beizug der Vollzugsakten des Amtes für Justizvollzugs des Kantons Zürich, Abteilung Bewährungsund Vollzugsdienste, betreffend den Beschuldigten, wobei die Originalakten am 1. April 2019 auf Ersuchen der Bewährungsund Vollzugsdienste wieder retourniert wurden (Urk. 89; Urk. 92/1-80 mit Vermerk; Urk. 105). Mit Eingabe vom 13. Februar 2019 ging die Berufungsbegründung des Beschuldigten fristgerecht ein (Urk. 93 und Urk. 95/1-10). Mit Präsidialverfügung vom 15. Februar 2019 wurde der Staatsanwaltschaft Frist zur schriftlichen Berufungsantwort und der Vorinstanz zur freigestellten Vernehmlassung angesetzt (Urk. 96). Die Vorinstanz verzichtete am 20. Februar 2019 ausdrücklich auf eine Vernehmlassung (Urk. 98). Mit Eingabe vom 1. März 2019 ging der Verzicht der Staatsanwaltschaft auf eine Berufungsantwort ein (Urk. 100). Am

27. März 2019 reichte der amtliche Verteidiger die Honorarnote für seine Aufwendungen für das Berufungsverfahren ein (Urk. 104).

  1. Umfang der Berufung

    Die Berufung des Beschuldigten richtet sich nur gegen Dispositiv-Ziffer 4 des vorinstanzlichen Urteils vom 29. Juni 2018 (Urk. 93 S. 2). Dementsprechend sind das vorinstanzliche Urteil in den Urteilsdispositiv-Ziffern 1-3, 5-11 und der vorinstanzliche Beschluss in Rechtskraft erwachsen, was vorab mittels Beschluss festzustellen ist.

  2. Formales

    1. Soweit für die tatsächliche und die rechtliche Würdigung des eingeklagten Sachverhaltes auf die Erwägungen der Vorinstanz verwiesen wird, so erfolgt dies in Anwendung von Art. 82 Abs. 4 StPO, auch ohne dass dies jeweils explizit Erwähnung findet.

    2. Im Übrigen ist an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass sich die urteilende Instanz nicht mit allen Parteistandpunkten einlässlich auseinandersetzen und jedes einzelne Vorbringen ausdrücklich widerlegen muss (BGE 141 IV 249 E. 1.3.1 mit Hinweisen). Die Berufungsinstanz kann sich somit auf die für ihren Entscheid wesentlichen Punkte beschränken.

II. Genugtuung und Entschädigung für die Haft
  1. Ausführungen der Verteidigung

    1. Die Verteidigung bringt zusammengefasst vor, dass die Bewährungsund Vollzugdienste (nachfolgend: BVD) die Staatsanwaltschaft am 20. November 2017 darüber informiert hätten, dass eine stationäre Einleitung der ambulanten Massnahme des Beschuldigten nicht mehr erforderlich sei, dass die ambulante

      Massnahme im Forensischen Ambulatorium E.

      angetreten werden könne

      und dass eine Wohnungslösung gefunden worden sei. Damit seien die Voraussetzungen für eine Haftentlassung des Beschuldigten erfüllt gewesen. Es habe keine Kollusions-, Fluchtnoch Wiederholungsgefahr mehr bestanden. Eine mögliche Wiederholungsgefahr sei aufgrund der von Dr. med. F. attestierten zuverlässigen Medikamenteneinnahme des Beschuldigten gebannt gewesen. Ab diesem Zeitpunkt sei die Fortdauer der Untersuchungshaft einzig mit administrativen Massnahmen zu begründen gewesen, indem die Staatsanwaltschaft die Meinung des Gutachters, Dr. med. G. , habe einholen wollen. Dadurch habe sich die Haftentlassung erheblich verzögert. Eine solche Organisationshaft sei nicht vertretbar und umso weniger sei verständlich, dass das Bezirksgericht Dietikon (recte: Zwangsmassnahmengericht Dietikon) das Haftentlassungsgesuch des Beschuldigten abgewiesen habe. Der Beschuldigte hätte bereits seit dem

      17. November 2017 die ambulante Massnahme im Forensischen Ambulatorium E. antreten können. Die Wohnsituation sei zu diesem Zeitpunkt auch geregelt gewesen. Erst mit dem zweiten Haftentlassungsgesuch sei der Beschuldigte von der Vorinstanz per 16. Januar 2018 aus der Sicherheitshaft entlassen worden (Urk. 93 Rz. 4 und Rz. 5.5). Zugunsten der Staatsanwaltschaft sei davon auszugehen, dass eine Haftentlassung erst auf den 21. November 2017 möglich gewesen sei, da sie erst am 20. November 2017 vom konkret möglichen Antritt der ambulanten Massnahme in E. erfahren habe (Urk. 93 Rz. 5.5). Da eine Anrechnung dieser erlittenen Überhaft an die angeordnete ambulante Massnahme nicht erfolgen könne, habe der Beschuldigte Anspruch auf Entschädigung für insgesamt 56 Tage (21. November 2017 bis 16. Januar 2018) an Fr. 200.zuzüglich

      Zins seit dem 21. November 2017 (Urk. 93 Rz. 5.3 und 5.5).

    2. Die Verteidigung bringt mithin vor, dass (spätestens) ab dem 21. November 2018 die Grundlage für die Aufrechterhaltung der Haft weggefallen sei, weshalb insgesamt 56 Tage wegen Überhaft zu entschädigen seien.

  2. Vorinstanzliche Erwägungen

Die Vorinstanz vereinte einen Anspruch auf Entschädigung für die erlittene Haft des Beschuldigten. Dem von der Staatsanwaltschaft in Auftrag gegebenen Ergänzungsgutachten vom 15. Dezember 2017 lasse sich entnehmen, dass der Gutachter zunächst die Organisation des Massnahmenantritts (Organisation einer geeigneten Wohnform, einer geeigneten Therapie und Unterstützung bezüglich der weiteren sozialen Belange) empfehle, bevor der Beschuldigte ohne stationäre Einleitung die ambulante Massnahme antreten könne. Das Haftentlassungsgesuch des Beschuldigten sei vom Zwangsmassnahmengericht Dietikon am

5. Januar 2018 aufgrund des Haftgrundes der Wiederholungsgefahr abgewiesen worden. Die Haftentlassung des Beschuldigten sei auf den Zeitpunkt hin erfolgt, auf den der Beschuldigte sein therapeutisches Erstgespräch beim Forensischen

Ambulatorium der Psychiatrischen Klinik E.

bei seinem Therapeuten.

Dr. med. D. , gehabt habe. Mithin zum Zeitpunkt, d.h. auf den 16. Januar 2018, als die ambulante Massnahme organisiert und auch die unmittelbare Wohnund Finanzsituation des Beschuldigten geklärt gewesen sei. Bis dahin habe der Haftgrund der Wiederholungsgefahr bestanden. Es liege ex post betrachtet demnach keine ungerechtfertigte Haft vor (Urk. 80 S. 25 ff.).

  1. Anspruch auf Haftentschädigung

    1. Der Beschuldigte wurde am 1. April 2017 verhaftet und mit Verfügungen des Zwangsmassnahmengerichtes Zürich vom 7. April bzw. 13. April 2017 in Untersuchungshaft versetzt (Urk. D1/18/1+14+21). Mit Verfügung des Zwangsmassnahmengerichtes Zürich vom 18. September 2017 wurde die Untersuchungshaft bis 18. Dezember 2017 verlängert (Urk. D1/18/36). Mit Verfügung vom

      23. Oktober 2017 bewilligte die Staatsanwaltschaft den vorzeitigen Massnahmenvollzug gemäss Art. 63 Abs. 3 StGB. Gleichzeitig wurde festgehalten, dass der vorzeitige Massnahmenvollzug ab dem Zeitpunkt eines Massnahmenplatzes in

      einer geeigneten Klinik erfolgen könne, wobei der Beschuldigte auf den Zeitpunkt des Antritts der Massnahme aus der Untersuchungshaft entlassen werde (Urk. D1/18/38). Am 22. Dezember 2017 (Datum Eingang) stellte die Staatsanwaltschaft bei der Vorinstanz einen Antrag auf Anordnung einer Massnahme für eine schuldunfähige Person gegen den Beschuldigten. Dies versehen mit dem Hinweis an die Vorinstanz und das Zwangsmassnahmengericht Dietikon, dass sich der Beschuldigte im vorzeitigen Massnahmeantritt befinde (Urk. 26). Mit Verfügung der Vorinstanz vom 15. Januar 2018 wurde der Beschuldigte per

      16. Januar 2018 aus der Sicherheitshaft entlassen (Urk. 36). Im Urteil der Vorinstanz vom 29. Juni 2018 wurde schliesslich als Sanktion eine ambulante Massnahme nach Art. 63 Abs. 1 StGB angeordnet und der Anspruch auf eine Haftentschädigung aus den soeben genannten Gründen verneint (Urk. 80 S. 29).

    2. Gestützt auf Art. 431 Abs. 1 StPO hat die beschuldigte Person Anspruch auf eine angemessene Entschädigung und Genugtuung, wenn ihr gegenüber rechtswidrig Zwangsmassnahmen angewandt worden sind. Dabei geht es um Zwangsmassnahmen, für die im Zeitpunkt ihrer Anordnung bzw. im Zeitraum ihrer Fortsetzung die gesetzlichen Voraussetzungen nach Art. 196 ff. StPO in materieller und/oder formeller Hinsicht nicht erfüllt waren. Zu denken ist etwa an Fälle ungesetzlicher Haft (z.B. kein besonderer Haftgrund nach Art. 221 StPO und/oder kein gesetzmässiges Anordnungsbzw. Verlängerungsverfahren nach Art. 224 ff. StPO) (vgl. SCHMID/JOSITSCH, Praxiskommentar, Art. 431 N 1).

    3. Art. 431 Abs. 2 StPO regelt dagegen den Fall der sogenannten Überhaft, wobei nur die Haftlänge, nicht aber die Haft per se ungerechtfertigt ist (BSK StPO II-W EHRENBERG/FRANK, 2. Aufl., Art. 431 N 3). Bei der Überhaft nach Art. 431 Abs. 2 StPO war die Haft vor dem Urteil rechtmässig, d.h. sie wurde unter Einhaltung der formellen und materiellen Voraussetzungen angeordnet. Die Haftdauer wird erst im Nachhinein, nach Fällung des Urteils übermässig, indem die Dauer der ursprünglich (rechtmässig) angeordneten Haft die schliesslich ausgesprochene Strafe Freiheitsentzug übersteigt, womit es sich um eine ungerechtfertigte, aber gerade nicht rechtswidrige Haft handelt (GRIESSER, in: Donatsch/ Hansjakob/Lieber [Hrsg.], Kommentar StPO, 2. Aufl., Zürich et al., Art. 431 N 4;

      BSK StPO II-WEHRENBERG/FRANK, a.a.O., Art. 431 N 21; SCHMID/JOSITSCH, a.a.O., Art. 431 N 4)

    4. Bei der Überhaft handelt es sich um eine rein rechnerische Feststellung eines Entschädigungsanspruches. Es wird im Rahmen einer ex post Betrachtung geprüft, ob die Haft rückblickend gerechtfertigt war. Der Staat hat ein legitimes Interesse daran, die Massnahmenbedürftigkeit eines Täters abzuklären, insbesondere wenn dieser eine gewisse Gefährlichkeit für die Gesellschaft offenbarte und eine Straftatbestand in objektiver und subjektiver Hinsicht erfüllt ist. Insofern steht die Frage einer Entschädigung in einem anderen Licht als bei einem Inhaftierten, der später gerichtlich freigesprochen und deshalb für die ungerechtfertigte Haft zu entschädigen ist. Gemäss Art. 431 Abs. 2 StPO besteht der Entschädigungsanspruch nur, wenn der übermässige Freiheitsentzug nicht an eine Sanktion angerechnet werden kann, wobei mit Sanktion entweder eine ausgesprochene Strafe Massnahme gemeint ist.

    5. Es gilt bei der vorzunehmenden Prüfung des Entschädigungsanspruchs einleitend darauf hinzuweisen, dass dem Beschuldigten zwar mit Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 23. Oktober 2017 der vorzeitige Massnahmenvollzug einer ambulanten Massnahme nach Art. 63 Abs. 3 StGB bewilligt wurde, jedoch die Staatsanwaltschaft den Beschuldigten weiterhin im Regime der Untersuchungshaft beliess bis die stationäre Einleitungsphase der ambulanten Massnahmen organisiert werden könne (Urk. D1/18/38). Die nachfolgenden Erwägungen stützen sich in der Hauptsache auf die Vollzugsakten (Urk. 92/1-80).

      Es ist zutreffend, dass der zuständige Sozialarbeiter der BVD, H. , die Staatsanwaltschaft sodann am 13. November 2017 erstmals darüber unterrichtete, dass aus Sicht des Psychiatrisch-Psychologischen Dienstes des Justizvollzugs ( [Position] Dr. med. F. ) keine stationäre Einleitungsphase indiziert sei, sondern eine ambulante Massnahme ohne vorgängige, stationäre Einleitung empfohlen werde (Urk. 92/11). Der Beschuldigte befand sich in diesem Zeitpunkt aber immer noch in Untersuchungshaft aufgrund der besonderen Haftgründe der Fluchtund Wiederholungsgefahr. Die angeordnete Untersuchungshaft wurde mit

      Verfügung des Zwangsmassnahmengerichtes Zürich vom 18. September 2017 verlängert bis 18. Dezember 2017 (Urk. D1/18/36).

      Am 20. November 2017 informierte H.

      die Staatsanwaltschaft über den

      Stand der ambulanten Massnahme, d.h. dass das Forensische Ambulatorium E. die Therapie übernehme, und über die Wohnsituation des Beschuldigten im Falle einer Entlassung (Urk. 92/18+19). Die Staatsanwaltschaft wollte daraufhin Rücksprache mit dem Gutachter, Dr. med. G. , nehmen, welcher im Gutachten vom 31. August 2017 eine stationäre Einleitungsphase der ambulante Massnahme (Art. 63 Abs. 3 StGB) empfahl, und gab gegenüber H. an, eine Haftentlassung nach der Schlusseinvernahme am 6. Dezember 2017 zu erlassen, sollte der Gutachter diese neue Einschätzung teilen, wobei dies auch von der Unterbringungssituation nach der Haftentlassung abhänge (Urk. 92/19). Mit Schreiben vom 23. November 2017 beauftragte die Staatsanwaltschaft in der Folge den Gutachter, Dr. med. G. , mit der Ausarbeitung eines Ergänzungsgutachtens zur Frage des Verzichtes einer stationären Massnahme zur Einleitung der ambulanten Behandlung (Urk. D1/6/11). Das Ergänzungsgutachten von Dr. med.

      G.

      ging am 18. Dezember 2017 bei der Staatsanwaltschaft ein

      (Urk. D1/6/13).

      Am 19. Dezember 2017 informierte die Staatsanwaltschaft H.

      über den

      Eingang des Ergänzungsgutachtens und teilte mit, dass der Gutachter, Dr. med. G. , die Einschätzung teile, dass eine ambulante Massnahme ohne stationäre Einleitungsphase möglich sei (Urk. 92/28). Gleichzeitig hielten die BVD und die Staatsanwaltschaft im Rahmen des Telefongesprächs fest, dass die Wohnsituation und der erste Gesprächstermin durch die BVD abgeklärt werde und die Staatsanwaltschaft in der Folge die Haftentlassung verfügen könne (Urk. 92/28). Am 20. Dezember 2017 informierte H. die Staatsanwaltschaft wiederum telefonisch, dass der Beschuldigte nach einer Haftentlassung bei seiner Mutter, im Haus seines Bruders, leben könne und gemäss Auskunft der Klinik E. ein Erstgespräch frühestens in der ersten Januarwoche möglich sei. Die Staatsanwaltschaft lehnte eine Haftentlassung ab, mit der informellen Begründung, dass sie sicher gehen möchte, dass der Beschuldigte nach Haftentlassung direkt in die

      Therapie eingebunden werden könne (Urk. 92/93). Am 21. Dezember 2017 erfolgte ein weiteres Telefonat zwischen der Staatsanwaltschaft und den BVD, worin der Staatsanwaltschaft mitgeteilt wurde, dass der erste Gesprächstermin durch den Therapeuten, Dr. med. D. , auf den 17. Januar 2018 festgelegt worden sei (Urk. 92/33). Mit Eingabe vom 20. Dezember 2017 (Eingang: 22. Dezember 2017) stellte die Staatsanwaltschaft in der Zwischenzeit bei der Vorinstanz einen Antrag auf Anordnung einer Massnahme für eine schuldunfähige Person gegen den Beschuldigten, versehen mit dem Hinweis, dass sich der Beschuldigte (bereits) im vorzeitigen Massnahmeantritt befinde. Als Haftende stand auf dem entsprechenden Antrag geschrieben: 23. Oktober 2017 (Urk. D1/26). Am 8. Januar 2018 gab es nochmals ein Telefonat zwischen der Staatsanwaltschaft und den BVD, worin die Staatsanwaltschaft mitteilte, den Beschuldigten erst aus der Haft zu entlassen, wenn der erste Gesprächstermin fixiert sei (Urk. 92/34). Gleichentags bestätigte H. der Staatsanwaltschaft per Mail, dass Dr. D. versichert habe, dass der erste Gesprächstermin auf den 17. Januar 2018 terminiert worden sei, unter Beilage des Aufforderungsschreibens an den Beschuldigten (Urk. 92/35+36). Am 12. Januar 2018 informierte der Verteidiger des Beschuldigten die BVD, dass nicht mehr die Staatsanwaltschaft die Verfahrensleitung inne habe, und er, nachdem das Erstgespräch für den 17. Januar 2018 nunmehr bestätigt sei, ein Haftentlassungsgesuch bei der Vorinstanz stellen werde (Urk. 92/38). Diesem Haftentlassungsgesuch des Beschuldigten wurde von der Vorinstanz antragsgemäss entsprochen, indem sie ihn auf den 16. Januar 2018 schliesslich aus der Sicherheitshaft entliess (Urk. 31).

    6. Gemäss Art. 227 Abs. 1 StPO hat die Staatsanwaltschaft bei Ablauf der vom Zwangmassnahmengericht festgesetzten Dauer der Untersuchungshaft, ein Antrag auf Verlängerung der Untersuchungshaft zu stellen, soweit sie keine Haftentlassung verfügt. Dabei hat das Zwangsmassnahmengericht erneut zu prüfen, ob die Haftvoraussetzungen nach Art. 221 StPO erfüllt sind. Mit Anklageerhebung (und auch bei einem Antrag auf Anordnung einer Massnahme für Schuldunfähige) beim erstinstanzlichen Gericht, hat die Staatsanwaltschaft sodann gestützt auf Art. 229 StPO gleichzeitig den Antrag auf Anordnung von Sicherheitshaft an das

      zuständige Zwangsmassnahmengericht zu stellen, soweit sie die beschuldigte Person weiterhin in Haft belassen möchte.

    7. Der Beschuldigte befand sich vorliegend entgegen den Angaben der Staatsanwaltschaft im Antrag auf Anordnung einer Massnahme für schuldunfähige vom 20. Dezember 2017 noch nicht im Regime des vorzeitigen ambulanten Massnahmenvollzugs, sondern immer noch im Haftregime. Der vorzeitige ambulante Massnahmeantritt des Beschuldigten wurde lediglich bewilligt. Die Untersuchungshaft war vom Zwangsmassnahmengericht Zürich geprüft und bewilligt bis 18. Dezember 2017. Ab dem 19. Dezember 2017 hätte die Staatsanwaltschaft demnach nochmals eine Verlängerung der Untersuchungshaft beantragen und mit dem Antrag auf Anordnung einer Massnahme für eine schuldunfähige Person zugleich den Antrag auf Anordnung von Sicherheitshaft an das Zwangsmassnahmengericht Dietikon stellen müssen. Der Beschuldigte befand sich mithin ab dem 19. Dezember 2017 in Haft, ohne dass die formellen (und ggf. materiellen) Voraussetzungen von Art. 221 ff. StPO eingehalten wurden. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass das Zwangsmassnahmengericht Dietikon mit Verfügung vom 5. Januar 2018 ein Haftentlassungsgesuch der Verteidigung aus dem vorzeitigen Massnahmenvollzug abwies (Urk. 27/1), zumal gar keine gesetzesmässige Haftgrundlage mehr bestand. Der Beschuldigte befand sich immer noch nicht im Regime des vorzeitigen Massnahmenvollzugs, als Zustelladresse wurde vielmehr weiterhin das Gefängnis Limmattal geführt. Die Verteidigung brachte in ihrem Haftentlassungsgesuch vom 12. Januar 2018 daher zu Recht vor, dass sich der Beschuldigte noch in Untersuchungsbzw. [mittlerweile in dogmatischer Hinsicht] Sicherheitshaft befinde, welche zwar nie angeordnet worden sei (Urk. 28). Die Vorinstanz teilte offensichtlich diese Auffassung zumindest teilweise, zumal sie den Beschuldigten mit Verfügung vom 15. Januar 2018, nachdem der Antritt des vorzeitigen ambulanten Massnahmenvollzuges organisiert (gewesen) sei, auf den 16. Januar 2018 aus der (nie angeordneten) Sicherheitshaft entliess (Urk. 31).

    8. Nach dem Gesagten ist im Zeitraum vom 19. Dezember 2017 bis

      16. Januar 2018 von einer rechtswidrigen Haft auszugehen. Die gesetzlichen

      Bestimmungen von Art. 221 ff. StPO wurden ab diesem Zeitpunkt nicht mehr eingehalten. Dem Beschuldigten wurde lediglich der vorzeitige ambulante Massnahmenvollzug bewilligt, angetreten hat er ihn in diesem Zeitraum indes nie, sondern blieb durchgehend bis zu seiner Entlassung am 16. Januar 2018 in Haft.

    9. Zu prüfen bleibt, ob im Zeitraum vom 21. November 2017 bis

      18. Dezember 2017 von einer Überhaft auszugehen ist. Dem (ursprünglichen) psychiatrischen Gutachten vom 31. August 2017 lässt sich dazu sachdienlich entnehmen, dass beim Beschuldigten unbehandelt eine Rückfallgefahr bestehe und dieser Gefahr für neue Straftaten im beurteilten Zeitpunkt nur mit einer ambulanten Massnahmen nach Art. 63 Abs. 3 StGB wirksam begegnet werden könne (Urk. D1/6/9 S. 52 und 54 f.). Der Verteidigung ist zwar beizupflichten, dass es nicht Aufgabe der Verfahrensleitung bzw. der Staatsanwaltschaft ist, über die Vollzugsmodalitäten stationäre Einleitungsphase nicht zu befinden, sondern dies den BVD als vollziehende Behörde vorbehalten bleibt (siehe Art. 63 Abs. 3 StGB). Es erscheint jedoch aufgrund der vom Gutachter attestierten Rückfallgefahr im Sinne einer ex post Betrachtung nicht ungerechtfertigt, dass die Staatsanwaltschaft bei dieser Sachund Rechtslage vor einer Haftentlassung die Einschätzung des Gutachters konsultieren wollte und ihr dafür eine gewisse Zeit einzuräumen ist. Das Ergänzungsgutachten ging zeitnah am 18. Dezember 2017 bei der Staatsanwaltschaft ein. Die Haftentlassung fällt im Vorverfahren allein in die Kompetenz der Staatsanwaltschaft (bzw. des zuständigen Zwangsmassnahmengerichtes). Die Staatsanwaltschaft ist dabei nicht an Einschätzungen des Psychiatrisch-Psychologischen Dienstes des Justizvollzuges gebunden. Dies führt im vorliegenden Fall - Fortdauer der Untersuchungshaft trotz Bewilligung des vorzeitigen ambulanten Massnahmenvollzugs selbstredend zu einer gewissen Doppelspurigkeit an Zuständigkeiten.

    10. Es lässt sich demnach festhalten, dass bis zum Eingang des Ergänzungsgutachtens bei der Staatsanwaltschaft am 18. Dezember 2017 von keiner Überhaft auszugehen ist. Die Haft war bis dahin rückblickend gerechtfertigt. Die Prüfung einer Überhaft für den Zeitraum danach ist aufgrund der erlittenen rechtswidrigen Haft obsolet.

    11. Der Beschuldigte hat daher in Wahrnehmung des Grundsatzes iura novit curia keinen Entschädigungsanspruch wegen Überhaft gemäss Art. 431 Abs. 2 StPO sondern wegen rechtswidriger Haft gemäss Art. 431 Abs. 1 StPO. Die Frage einer Anrechenbarkeit der erlittenen Haft an die Sanktion stellt sich bei einer rechtswidrigen Haft nicht.

    12. Dem Beschuldigten ist demnach für insgesamt 28 Tage, d.h. vom

      19. Dezember 2017 bis 16. Januar 2018, gestützt auf Art. 431 Abs.1 StPO eine Genugtuung für die rechtswidrige Haft zuzusprechen.

    13. Für die Festlegung der Höhe der Genugtuung ist eine Einzelfallbeurteilung vorzunehmen, wobei in erster Linie die Dauer und Umstände der Verhaftung massgebend sind, im Weiteren auf die Schwere des vorgeworfenen Delikts abzustellen ist und die Auswirkungen auf die persönliche Situation des Verhafteten zu beachten sind (BSK StPO II-W EHRENBERG/FRANK, a.a.O., Art. 431 N 11). Das Bundesgericht betrachtet bei einer Haft von kurzer Dauer grundsätzlich einen Betrag von Fr. 200.pro Tag als eine angemessene Entschädigung, sofern nicht besondere Umstände gegeben sind, welche die Zahlung eines tieferen höheren Betrages rechtfertigen könnten (BGE 143 IV 339 E. 3.1). Vorliegend erscheint ein Ansatz in der Höhe von Fr. 200.pro Tag Haft als Genugtuung angemessen, zumal der Verbleib in der Haft ab Mitte Dezember bis Mitte Januar letztlich der Aufgleisung des Antritts der ambulanten Massnahme diente und erhebliche Vorwürfe gegen den Beschuldigten bestanden. Besondere Umstände, die eine Senkung Erhöhung des Ansatzes rechtfertigen würden, liegen nicht vor.

    14. Demgemäss sind dem Beschuldigten Fr. 5'600.als Genugtuung für die im Umfang von 28 Tagen erlittene rechtswidrige Haft aus der Gerichtskasse zuzusprechen. Zur Genugtuung gehört nach konstanter Rechtsprechung auch der Zins, welcher ab Zeitpunkt des rechtswidrigen Ereignisses festzusetzen ist. Der Beschuldigte hat demnach Anspruch auf eine Genugtuung von Fr. 5'600.zuzüglich Zins von 5 % ab dem 19. Dezember 2018.

III. Kostenund Entschädigungsfolgen
  1. Der Beschuldigte obsiegt zwar in der Höhe seiner Genugtuungsforderung nur teilweise, ihm sind jedoch gestützt aufgrund seiner Schuldunfähigkeit (Art. 419 StPO) keine Kosten aufzuerlegen, sondern die Kosten des Berufungsverfahrens auf die Gerichtskasse zu nehmen.

  2. Die amtliche Verteidigung ist antragsgemäss mit Fr. 2'595.80 (inkl. MwSt.) aus der Gerichtskasse zu entschädigen.

Es wird beschlossen:
  1. Es wird festgestellt, dass der Beschluss und das Urteil des Bezirksgerichts Dietikon vom 29. Juni 2019 wie folgt in Rechtskraft erwachsen sind:

    Es wird beschlossen:

    1. In Bezug auf den Vorwurf der einfachen Körperverletzung zum Nachteil des Privatklägers 2 (B. ) wird das Verfahren eingestellt.

    2. [Mitteilung]

Es wird erkannt:

  1. Es wird festgestellt, dass der Beschuldigte die Tatbestände

    • der mehrfachen versuchten schweren Körperverletzung im Sinne von Art. 122 Abs. 1 StGB in Verbindung mit Art. 22 Abs. 1 StGB,

    • der Körperverletzung im Sinne von Art. 123 Ziff. 2 Abs. 2 StGB,

    • der mehrfachen Körperverletzung im Sinne von Art. 123 Ziff. 1 Abs. 1 StGB,

    • der mehrfachen Drohung im Sinne von Art. 180 Abs. 1 StGB,

    • der Gewalt und Drohung gegen Beamte im Sinne von Art. 285 Ziff. 1 Abs. 1 StGB,

    • der mehrfachen Sachbeschädigung im Sinne von Art. 144 Abs. 1 StGB,

    • der mehrfachen Verletzung der Verkehrsregeln im Sinne von Art. 90 Abs. 2 SVG,

    • der mehrfachen Verletzung der Verkehrsregeln im Sinne von Art. 90 Abs. 1 SVG,

    • des Fahrens in fahrunfähigem Zustand im Sinne von Art. 91 Abs. 2 lit. b SVG,

    • der mehrfachen Entwendung eines Fahrzeuges zum Gebrauch im Sinne von Art. 94 Abs. 1 lit. a SVG,

    • der Übertretung des Betäubungsmittelgesetzes im Sinne von Art. 19a BetmG,

      im Zustand der nicht selbst verschuldeten Schuldunfähigkeit gemäss Art. 19 Abs. 1 StGB verübt hat.

  2. Es wird festgestellt, dass der Beschuldigte keinen weiteren Tatbestand erfüllt hat (Drohung zum Nachteil des Privatklägers 5 am Bahnhof C. ).

  3. Es wird eine ambulante therapeutische Massnahme im Sinne von Art. 63 Abs. 1 StGB (Behandlung psychischer Störungen) angeordnet und es wird davon Vormerk genommen, dass sich der Beschuldigte im Rahmen des vorzeitigen Massnahmenvollzuges bei Dr. D. (c/o Tagesklinik E. ) in Behandlung befindet.

  4. Die Schadenersatzbzw. Genugtuungsbegehren der Privatkläger 1 bis 7, 9

    und 10 sowie 12 werden abgewiesen.

  5. Der mit Verfügung der Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich vom

    1. November 2017 beschlagnahmte Gegenstand, Machete schwarz (Asservaten-Nr. A010'262'803), lagernd bei der Bezirksgerichtskasse Dietikon, wird eingezogen und vernichtet.

    2. Die nachfolgend genannten, mit Verfügung der Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich vom 6. November 2017 beschlagnahmten Gegenstände, lagernd bei der Kantonspolizei Zürich, Asservate-Triage, werden eingezogen und vernichtet:

      • Waffenzubehör, Schutzhülle v. Machete (Asservaten-Nr. A010'272'476);

      • Wurfstern (Asservaten-Nr. A010'272'614);

      • Schmetterlingsmesser (Asservaten-Nr. A010'272'625);

      • Elektroschockwaffe Marke ... (Asservaten-Nr. A010'272'636);

      • Teleskopschlagstock (Asservaten-Nr. A010'272'681).

  1. Die Gerichtsgebühr fällt ausser Ansatz; die übrigen Kosten betragen: Fr. 3'700.00 Gebühr für das Vorverfahren;

    Fr. 25'415.20 Auslagen (Gutachten); Fr. 25'818.75 Auslagen;

    Fr. 130.00 Auslagen (Gutachten);

    Fr. 980.00 Auslagen Polizei;

    Fr. 556.50 Entschädigung Zeuge

    und werden inkl. diejenigen der amtlichen Verteidigung und der unentgeltlichen Vertretung der Privatkläger 4 und 10 auf die Gerichtskasse genommen.

  2. Rechtsanwalt lic. iur. et lic. oec. X.

    wird für seine Aufwendungen als

    amtlicher Verteidiger des Beschuldigten aus der Gerichtskasse mit Fr. 20'201.55 (inkl. Barauslagen und 8.0 % bzw. 7.7 % MwSt.) entschädigt.

  3. Rechtsanwalt lic. iur. Y.

    wird für seine Aufwendungen als unentgeltli-

    cher Vertreter des Privatklägers 4 aus der Gerichtskasse mit Fr. 3'540.95 (inkl. Barauslagen und 8.0 % bzw. 7.7 % MwSt.) entschädigt.

  4. Rechtsanwalt lic. iur. Z.

    wird für seine Aufwendungen als unentgeltli-

    cher Vertreter des Privatklägers 10 aus der Gerichtskasse mit Fr. 3'397.70 (inkl. Barauslagen und 8.0 % bzw. 7.7 % MwSt.) entschädigt.

  5. [Mitteilungen]

  6. [Rechtsmittel]

2. Schriftliche Mitteilung mit nachfolgendem Urteil.

Es wird erkannt:
  1. Dem Beschuldigten wird eine Genugtuung von Fr. 5'600.zuzüglich Zins von 5 % aus der Gerichtskasse zugesprochen. Im Mehrbetrag wird das Genugtuungsbegehren abgewiesen.

  2. Die Kosten des Berufungsverfahrens, inklusive der Kosten der amtlichen Verteidigung in der Höhe von Fr. 2'595.80, werden auf die Gerichtskasse genommen.

  3. Schriftliche Mitteilung in vollständiger Ausfertigung an

    • die amtliche Verteidigung im Doppel für sich und zuhanden des Beschuldigten

    • die Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich

      und nach unbenütztem Ablauf der Rechtsmittelfrist bzw. Erledigung allfälliger Rechtsmittel an

    • die Vorinstanz mit dem Ersuchen um Vornahme der notwendigen Mitteilungen an die Behörden, inkl. Formular A.

    • den Justizvollzug des Kantons Zürich, Abteilung Bewährungs- und Vollzugsdienste zur Kenntnisnahme

    • das Migrationsamt des Kantons Zürich zur Kenntnisnahme.

  4. Gegen diesen Entscheid kann bundesrechtliche Beschwerde in Strafsachen erhoben werden.

Die Beschwerde ist innert 30 Tagen, von der Zustellung der vollständigen, begründeten Ausfertigung an gerechnet, bei der Strafrechtlichen Abteilung des Bundesgerichtes (1000 Lausanne 14) in der in Art. 42 des Bundesgerichtsgesetzes vorgeschriebenen Weise schriftlich einzureichen.

Die Beschwerdelegitimation und die weiteren Beschwerdevoraussetzungen richten sich nach den massgeblichen Bestimmungen des Bundesgerichtsgesetzes.

Obergericht des Kantons Zürich

I. Strafkammer Zürich, 23. April 2019

Der Präsident:

lic. iur. R. Naef

Die Gerichtsschreiberin:

MLaw T. Künzle

Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.

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