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Urteil Obergericht des Kantons Zürich (ZH)

Zusammenfassung des Urteils SB170072: Obergericht des Kantons Zürich

Die Staatsanwaltschaft Winterthur/Unterland hat Berufung gegen ein Urteil des Bezirksgerichtes Bülach eingelegt, in dem A. der fahrlässigen Störung des öffentlichen Verkehrs beschuldigt wurde. Das Obergericht des Kantons Zürich hat entschieden, dass der Beschuldigte freigesprochen wird und die Kosten auf die Staatskasse genommen werden. Dem Beschuldigten wird eine reduzierte Prozessentschädigung zugesprochen. Die Staatsanwaltschaft forderte eine Geldstrafe für den Beschuldigten, während die Verteidigung auf Freispruch plädierte. Der Beschuldigte hat den tatsächlichen Ablauf des Geschehens anerkannt, bei dem es zu einer gefährlichen Annäherung zweier Flugzeuge auf dem Flughafen Zürich kam.

Urteilsdetails des Kantongerichts SB170072

Kanton:ZH
Fallnummer:SB170072
Instanz:Obergericht des Kantons Zürich
Abteilung:II. Strafkammer
Obergericht des Kantons Zürich Entscheid SB170072 vom 04.12.2018 (ZH)
Datum:04.12.2018
Rechtskraft:Weiterzug ans Bundesgericht, 6B_332/2019
Leitsatz/Stichwort:Fahrlässige Störung des öffentlichen Verkehrs
Schlagwörter : Start; Flugzeug; Beschuldigte; Beschuldigten; Startabbruch; Gefährdung; Gutachten; Flugzeugs; Anklage; Piste; Flugverkehr; Flugverkehrs; Flugverkehrsleiter; Flugzeuge; Besatzung; Verteidigung; Zeitpunkt; Vorinstanz; Gefahr; Gutachter; Schlussbericht; Verletzung; Verkehr; Verhalten
Rechtsnorm:Art. 12 StGB ;Art. 183 StPO ;Art. 189 StPO ;Art. 237 StGB ;Art. 238 StGB ;Art. 26 SVG ;Art. 82 StPO ;
Referenz BGE:102 IV 26; 106 IV 121; 122 IV 307; 130 IV 10; 130 IV 7; 135 IV 56; 85 IV 136;
Kommentar:
Trechsel, Praxis, Art. 237 StGB, 2018
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017

Entscheid des Kantongerichts SB170072

Obergericht des Kantons Zürich

II. Strafkammer

Geschäfts-Nr.: SB170072-O/U/hb

Mitwirkend: die Oberrichter Dr. Bussmann, Präsident, und lic. iur. Ruggli sowie Ersatzoberrichterin lic. iur. Laufer und Gerichtsschreiberin lic. iur. Linder

Urteil vom 4. Dezember 2018

in Sachen

Staatsanwaltschaft Winterthur/Unterland, vertreten durch Staatsanwalt lic. iur. Bertschy,

Anklägerin und Berufungsklägerin

gegen

A. ,

Beschuldigter und Berufungsbeklagter verteidigt durch Rechtsanwalt Dr. iur. X.

betreffend fahrlässige Störung des öffentlichen Verkehrs

Berufung gegen ein Urteil des Bezirksgerichtes Bülach, Einzelgericht, vom 7. Dezember 2016 (GG140060)

Anklage:

Die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Winterthur / Unterland vom 25. Juli 2014 ist diesem Urteil beigeheftet (Urk. 84).

Urteil der Vorinstanz:

  1. Der Beschuldigte ist nicht schuldig und wird vom Vorwurf der fahrlässigen Störung des öffentlichen Verkehrs im Sinne von Art. 237 Ziff. 2 StGB in Verbindung mit Art. 237 Ziff. 1 StGB freigesprochen.

  2. Die Entscheidgebühr fällt ausser Ansatz; die übrigen Kosten betragen:

  3. Die Kosten der Strafuntersuchung (inklusive der Auslagen des Vorverfahrens sowie die Kosten des Gutachtens C. ) werden auf die Staatskasse genommen.

  4. Dem Beschuldigten wird für anwaltliche Verteidigung eine reduzierte Prozessentschädigung von Fr. 109'458.10 (inkl. MwSt.) aus der Gerichtskasse zugesprochen.

Berufungsanträge:

  1. Der Staatsanwaltschaft Winterthur/Unterland: (Urk. 96 S. 1)

    • Schuldigsprechung von A. _ im Sinne der Anklageschrift vom

      25. Juli 2014

    • Bestrafung mit einer Geldstrafe von 180 Tagessätzen zu Fr. 100.-- (entsprechend Fr. 18'000.--)

    • Gewährung des bedingten Vollzugs der Geldstrafe unter Ansetzung einer Probezeit von 2 Jahren

    • Kostenauflage an den Beschuldigten

  2. Der Verteidigung des Beschuldigten: (Urk. 97 S. 30)

    • Der Beschuldigte sei freizusprechen.

    • Unter Kostenund Entschädigungsfolgen des Staates.

INHALTSVERZEICHNIS
  1. Prozessgeschichte 6

  2. Schuldpunkt 7

  1. Allgemeine rechtliche Ausführungen 7
    1. Tatbestand der Störung des öffentlichen Verkehrs 7

    2. Fahrlässigkeit 9

  2. Anklagegrundsatz 12
    1. Umschreibung der Sorgfaltspflichtverletzung 12

    2. Umschreibung des Gefährdungserfolgs 13

  3. Beweismittel 20
    1. Vorhandene Beweismittel 20

    2. Verwertbarkeit der Gutachten B. 21

    3. Beweiswert der Privatgutachten 24

  4. Sachverhalt 25
    1. Anerkannter äusserer Sachverhalt 25

    2. Anerkannter innerer Sachverhalt 27

    3. Fazit Sachverhalt 27

  5. Rechtliche Würdigung 28
    1. Rechtlicher Vorwurf der Anklagebehörde 28

    2. Allgemeiner Standpunkt des Beschuldigten und Verteidigung 29

    3. Tathandlung 29

    4. Gefährdungserfolg 29

      1. Ausgangslage 29

      2. Die Szenarien mit Gefährdungspotenzial 30

        1. Gefährdungspotenzial des tatsächlichen Startabbruchs

          von Flugzeug D. 30

        2. Zufälligkeit des tatsächlichen Startabbruchs

          von Flugzeug D. 36

        3. Keine Zufälligkeit des Befehl des Beschuldigten

          zum Startabbruch von Flugzeug D. 39

        4. Wahrscheinlichkeit eines hypothetischen Startabbruchs

          auf den Abbruchbefehl des Beschuldigten hin 42

        5. Gefährdungspotential eines Startabbruchs von D.

          auf Befehl des Beschuldigten hin 45

        6. Gefährdungspotenzial bei einem fortgesetzten

          Startlauf beider Flugzeuge 49

      3. Fazit Gefährdungserfolg 54

    5. Sorgfaltspflichtverletzung 56

      1. Relevante Verhaltensnormen 56

      2. Pflichtwidriges Verhalten 57

        1. Verletzung der Pflicht gemäss ICAO Doc 4444 7.1.1.2 57

        2. Verletzung der Pflicht gemäss ICAO Doc 4444 7.9.3.1 78

      3. Fazit Sorgfaltspflichtverletzung 84

    6. Vorhersehbarkeit 85

    7. Vermeidbarkeit 87

  6. Fazit Schuldpunkt 87
  1. Sanktion 87

  2. Kostenfolge 90

    1. Prozessgeschichte

      1. Hinsichtlich der Vorgeschichte und der erstinstanzlichen Prozessgeschichte kann auf die Ausführungen der Vorinstanz verwiesen werden (Urk. 84 S. 5 f.).

      2. Mit dem vorstehend im Dispositiv wiedergegebenen Urteil der Vorinstanz vom

        7. Dezember 2016 wurde der Beschuldigte vom Vorwurf der fahrlässigen Störung des öffentlichen Verkehrs im Sinne von Art. 237 Ziff. 1 StGB in Verbindung mit Art. 237 Ziff. 2 StGB freigesprochen (Urk. 84).

      3. Mit Eingabe vom 7. Dezember 2016 (Datum Poststempel) meldete die Staatsanwaltschaft Berufung gegen dieses Urteil an (Urk. 77). Nach Erhalt des begründeten Entscheids am 2. Februar 2017 (Urk. 83) erfolgte mit Eingabe vom 16. Februar 2017, hier eingegangen am 21. Februar 2017, fristgerecht die Berufungserklärung der Staatsanwaltschaft, mit welcher die Schuldigsprechung des Beschuldigten im Sinne der Anklageschrift und dessen Bestrafung mit einer bedingten Geldstrafe von 180 Tagessätzen zu Fr. 100.beantragt wird (Urk. 86).

      4. Der Beschuldigte verzichtete auf ein Rechtsmittel (vgl. Urk. 90).

      5. Im Berufungsverfahren liess der Beschuldigte die bereits vor Vorinstanz vorgebrachten Beweisanträge auf Einholung eines gerichtlichen Zweitgutachtens eines qualifizierten Sachverständigen zu den vorliegenden drei Privatgutachten und auf Zeugeneinvernahme von Herrn Dr. E. , [Funktion] bei Skyguide, ausdrücklich erneuern bzw. vorbehalten (vgl. Urk. 90 und 97

        S. 15). Wie an gegebener Stelle zu zeigen ist (Rz 112), braucht es auf diese Beweisanträge nicht eingegangen zu werden.

      6. Am 27. November 2018 fand die Berufungsverhandlung unter Teilnahme des Beschuldigten und der Parteivertreter statt (Prot. II S. 3ff.). Der Fall erwies sich als spruchreif. Das Urteil wurde am 4. Dezember 2018 gefällt und am

      12. Dezember 2018 mündlich eröffnet (Prot. II S. 44f. und 46).

    2. Schuldpunkt

  1. Allgemeine rechtliche Ausführungen
    1. Tatbestand der Störung des öffentlichen Verkehrs

      1. Gesetzesbestimmung

        7. Nach Art. 237 Ziff. 2 i.V.m. Ziff. 1 StGB macht sich strafbar, wer fahrlässig den öffentlichen Verkehr, u.a. namentlich den Verkehr in der Luft hindert, stört gefährdet und dadurch Leib und Leben von Menschen in Gefahr bringt.

      2. Tathandlung

        8. Der Anund Wegflug auf öffentlichen Flugplätzen gilt als öffentlicher Verkehr im Sinne von Art. 237 StGB (BGE 102 IV 26; vgl. ferner auch BStG SK

        2008.25 E. 2.3). Tatbestandsmässig ist jedes Verhalten, welches eine Erhöhung der dem Verkehr immanenten Gefahr zur Folge hat (Trechsel/Coninx, Praxiskommentar, 2018, Art. 237 StGB N. 10; BSK StGB - Fiolka, 2013,

        Art. 237 N. 18).

      3. Gefährdungserfolg

  1. Der Erfolg besteht in der konkreten Gefährdung von Leib und Leben mindestens eines Menschen. Im Unterschied zur wissentlichen Störung des öffentlichen Verkehrs macht der Fahrlässigkeitstatbestand keinen Unterschied zwischen der Gefährdung von einem bzw. wenigen vielen Menschen. Die bundesgerichtliche Rechtsprechung verlangt, dass die in Art. 237 StGB vorausgesetzte Gefährdung nicht bloss abstrakt besteht; vielmehr muss eine nahe und ernstliche Wahrscheinlichkeit des Erfolgseintritts vorliegen. Ob eine solche konkrete Gefahr im Rechtssinne vorgelegen hat, ist anhand der Wür- digung des Sachverhalts zu entscheiden. Dabei ist gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung (135 IV 41; 6B_779/2009) als Ausgangslage massgebend, was sich tatsächlich ereignet hat und nichts hypothetisch anderes. Der direkte Bezug auf das reale Geschehen bei der Beurteilung der Ge-

    fährdung erfährt nach Lehre und bundesgerichtlicher Rechtsprechung jedoch eine Relativierung: wenn der Eintritt eines schädigenden Erfolgs durch Zufall das Verhalten der Beteiligten verhütet wird, kann ein Beschuldigter sich nicht darauf berufen und daraus nichts zu seinen Gunsten ableiten; in diesem abgesteckten Rahmen ist es zulässig, Art. 237 StGB auch auf ein hypothetisches Szenario anzuwenden (vgl. BGE 85 IV 136 E. 1 m.H., 6S.312/2003 vom 1. Oktober 2003 E. 2.2). In einem älteren Entscheid hat das Bundesgericht angedeutet, dass jedenfalls bei vorsätzlicher Begehung beim Nachweis der Gefährdung die Anforderungen nicht zu überspannen seien (BGE 106 IV 121 E. 3c). In einem neueren Entscheid hat es festgehalten, dass aus diesem älteren Entscheid jedoch nicht abzuleiten sei, dass bei fahrlässigen Taten generell ein anderer, strengerer Massstab anzulegen wäre als bei vorsätzlicher Begehungsweise (6S.312/2003 E. 2.2). Das Tatbestandsmerkmal der ernstlichen Gefährdung ist deshalb nicht erst dann erfüllt, wenn die geschaffene Gefahr besonders ernstlich und der Erfolgseintritt höchst wahrscheinlich und das Ausbleiben von Verletzungen Tötungen nur einem ausserordentlichen Glücksfall zuzuschreiben ist, sondern auch schon dann, wenn die Möglichkeit, das durch die Störung geschaffene Risiko zu meistern, noch gegeben ist und hinterher nicht eine besonders hohe Wahrscheinlichkeit der Katastrophe festgestellt werden kann (BGE 106 IV 121 E. 3c). Auch die Lehre ist sich einig, dass sowohl bei der vorsätzlichen wie auch der fahrlässigen Störung des Verkehrs nicht ein besonders hoher Grad der Wahrscheinlichkeit eines konkreten Erfolgseintritts zu verlangen ist, sondern jede ernstzunehmende Möglichkeit des Erfolgseintritts zu genügen hat (PK StGB - Trechsel/Coninx, Art. 237 N 13; BSK StGB - Fiolka, 2013, Art. 237 N 22; Stratenwerth/Bommer, Strafrecht BT II, 2013, § 32 N. 8 f.).

  2. Die Kasuistik zeigt, dass die Rechtsprechung das Merkmal der konkreten Gefährdung im Sinne von Art. 237 StGB sehr weit fasst. So wurden in BGE 106 IV 121 E. 3c als konkrete Gefahr auch „zusätzliche Risiken für alle Menschen in Flugzeugen“ erachtet, „die wegen dieser Störung nicht planmässig in Kloten landen konnten“ und dadurch „das erhöhte Risiko eines Flugzeugabsturzes“ geschaffen wurde. In Urteil 6S.312/2003 vom 1. Oktober 2003 E. 2.2

    wurde bejaht, dass eine planmässige Behinderung des Verkehrsflusses auf einer Autobahn durch Demonstranten, das Risiko von Auffahrunfällen schafft und damit bereits eine ernstliche Gefahr für die Sicherheit der Verkehrsteilnehmer hervorruft. Dies unabhängig davon, ob und wie rasch die Polizei Vorkehrungen getroffen hat, um die Automobilisten vor dem durch die Demonstranten verursachten Stau zu warnen, da unerheblich ist, dass der Eintritt eines schädigenden Ereignisses durch besonnenes Handeln von Beteiligten hier der Polizei verhindert worden ist.

  3. Die Frage, ob es zu einer konkreten Gefährdung für Leib und Leben von Flugzeuginsassen gekommen ist, ist keine solche des Sachverhalts; auch handelt es sich nicht um einen rein technischen Aspekt. Vielmehr ist sie eine vom Gericht zu beurteilende Rechtsfrage (BGer 6B_779/2009 vom 12. April 2010, E. 2.3.1).

  1. Fahrlässigkeit

    1. Gesetzesbestimmung

      12. Fahrlässig handelt, wer die Folgen seines Verhaltens aus pflichtwidriger Unvorsichtigkeit nicht bedacht darauf nicht Rücksicht genommen hat

      (Art. 12 Abs. 3 Satz 1 StGB). Pflichtwidrig ist die Unvorsichtigkeit, wenn der Täter die Vorsicht nicht beachtet, zu der er nach den Umständen und nach seinen persönlichen Verhältnissen verpflichtet ist (Art. 12 Abs. 3 Satz 2 StGB).

    2. Sorgfaltspflichtverletzung

      1. Ein Schuldspruch wegen fahrlässiger Tötung setzt somit voraus, dass der Täter den tatbestandsmässigen Erfolg durch Verletzung einer Sorgfaltspflicht verursacht hat. Wo besondere Normen ein bestimmtes Verhalten gebieten, bestimmt sich das Mass der dabei zu beachtenden Sorgfalt in erster Linie nach diesen Vorschriften; das Gleiche gilt für entsprechende, allgemein anerkannte Verhaltensregeln, auch wenn diese von einem privaten halböf-

        fentlichen Verband erlassen wurden und keine Rechtsnormen darstellen (BGE 130 IV 7 E. 3.3).

      2. Das schliesst jedoch nicht aus, dass der Vorwurf der Fahrlässigkeit auch auf allgemeine Rechtsgrundsätze wie etwa den allgemeinen Gefahrensatz gestützt werden kann. Denn einerseits begründet nicht jeder Verstoss gegen eine gesetzliche für bestimmte Tätigkeiten allgemein anerkannte Verhaltensnorm den Vorwurf der Fahrlässigkeit, und andererseits kann ein Verhalten sorgfaltswidrig sein, auch wenn nicht gegen eine bestimmte Verhaltensnorm verstossen wurde (vgl. BGE 135 IV 56 E. 2.1; 134 IV 193 E. 7.2).

      3. Eine Person verhält sich sorgfaltswidrig, wenn sie zum Zeitpunkt der Tat aufgrund der Umstände sowie [ihrer] Kenntnisse und Fähigkeiten die damit bewirkte Gefährdung der Rechtsgüter des Opfers hätte erkennen können und müssen und wenn [sie] zugleich die Grenzen des erlaubten Risikos überschritten hat (vgl. BGE 130 IV 10 E. 3.2; PK STGB - Trechsel/Jean-Richard, 2018, Art. 12 N 29). Für die Bemessung der geforderten Sorgfalt ist zwischen objektiven und subjektiven Kriterien zu unterscheiden. In objektiver Hinsicht sind insbesondere die äusseren Umstände zu berücksichtigen. Je näher gemäss diesen die Wahrscheinlichkeit einer Verletzung und je höher die zu befürchtende Schädigung ist, desto grösser ist die zu beachtende Sorgfalt. Steht fest, dass die nach den objektiven Umständen geforderte Sorgfalt nicht aufgewendet wurde, ist aufgrund der persönlichen Verhältnisse des Täters zu prüfen, ob ihm auch in subjektiver Hinsicht eine Sorgfaltspflichtverletzung vorzuwerfen ist. Es ist danach zu fragen, was ein gewissenhafter und besonnener Mensch mit der Ausbildung und den individuellen Fähigkeiten des Angeschuldigten in der fraglichen Situation getan unterlassen hätte

        (BGE 122 IV 307; PK STGB - Trechsel/Jean-Richard, 2018, Art. 12 N 32 und

        35).

      4. Das Mass der gebotenen Sorgfalt hängt auch davon ab, inwieweit die Möglichkeit riskanten Fehlverhaltens Dritter (oder des Verletzten) in Rechnung zu stellen ist. Dies ist unter dem Gesichtspunkt des aus Art. 26 Abs. 1 SVG entwickelten, allgemein geltenden Vertrauensgrundsatz zu beurteilen (BSK Straf-

      recht I-Niggli/Maeder, Art. 12 N 113 und 114). Von besonderer Bedeutung ist er bei arbeitsteiligen Zusammenwirken Zusammentreffen mehrerer Personen, weil und soweit jeder sich auf den anderen verlässt und verlassen können muss. Der Vertrauensgrundsatz unterliegt allerdings einer Reihe von Einschränkungen. So greift er (u.a.) von vorneherein dort nicht ein, wo (aber auch nur: soweit) Sorgfaltspflichten auf die Überwachung, Kontrolle Beaufsichtigung des Verhaltens anderer gerichtet sind, sie gerade deren Fehlverhalten entgegenwirken sollen. Auf fremde Sorgfalt darf sodann dort nicht mehr vertraut werden, wo konkrete Anzeichen auf das Gegenteil hinweisen (vgl. BSK Strafrecht I - Niggli/Maeder, Art. 12 N 115; Donatsch/Tag, Strafrecht I - Verbrechenslehre, 2006, S. 342 f.; PK STGB - Trechsel/Jean-Richard,

      Art. 12 N 33 f.).

    3. Vorhersehbarkeit

      17. Eine Sorgfaltspflichtverletzung liegt nur vor, wenn die zum Erfolg führenden Geschehensabläufe für den Täter mindestens in ihren wesentlichen Zügen voraussehbar waren und der Täter eine Gefährdung der Rechtsgüter des Opfers hätte voraussehen beziehungsweise erkennen können und müssen. Für die Beantwortung dieser Frage gilt der Massstab der Adäquanz, wonach das Verhalten geeignet sein muss, um nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und den Erfahrungen des Lebens einen Erfolg wie den eingetretenen herbeizuführen mindestens zu begünstigen. Die Vorhersehbarkeit der zu beurteilenden Ursache für den Erfolg ist nur zu verneinen, wenn ganz aussergewöhnliche Umstände, wie das Mitverschulden eines Dritten Materialoder Konstruktionsfehler als Mitursache hinzutreten, mit denen schlechthin nicht gerechnet werden musste und die derart schwer wiegen, dass sie als wahrscheinlichste und unmittelbarste Ursache des Erfolgs erscheinen und so alle anderen mitverursachenden Faktoren - namentlich das Verhalten des Angeschuldigten in den Hintergrund drängen (BGE 135 IV 56 E. 2.1; 134 IV 193 E. 7.3, jeweils mit Hinweisen).

    4. Vermeidbarkeit

18. Damit der Eintritt des Erfolgs auf das pflichtwidrige Verhalten des Täters zurückzuführen ist, genügt seine blosse Vorhersehbarkeit nicht, sondern der Erfolg muss auch vermeidbar gewesen sein. Anhand eines hypothetischen Kausalverlaufs ist zu prüfen, ob der Erfolg bei pflichtgemässem Verhalten des Täters ausgeblieben wäre. Der tatbestandliche Erfolg ist dem Täter zuzurechnen, wenn sein Verhalten mindestens mit einem hohen Grad an Wahrscheinlichkeit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Ursache des Erfolges bildete (BGE 135 IV 56 E. 2.1; Urteil des Bundesgerichts 6B_779/2009 vom 12. April 2010, E. 3.3.1, jeweils mit Hinweisen).

  1. Anklagegrundsatz
    1. Umschreibung der Sorgfaltspflichtverletzung

      1. Der Beschuldigte liess vor Vorinstanz rügen, dass die Anklageschrift vom

        24. Juli 2014 den Anklagegrundsatz insofern verletze, als dass sie dem Beschuldigten unter dem Titel Missachtung einer Sorgfaltspflicht vorwerfe, zwei Ziffern des Regelwerks ICAO Doc 4444 missachtet zu haben, nicht aber aufführe, welche der massgeblichen Bestimmungen der ATMMs er verletzt haben soll. Für den täglichen Betrieb seien nämlich nicht die Regelungen des ICAO Doc 4444 direkt anwendbar, sondern deren Umsetzung und Präzisierung durch die Skyguide in internen Manuals, den sogenannten ATMMs

        (vgl. Urk. 35 S. 2 ff.).

      2. Die Vorinstanz hat zutreffend erwogen, dass die vom Beschuldigten vorgebrachten Umstände zu keiner Verletzung des Anklageprinzips führen; auf deren Erwägungen kann deshalb vorab verwiesen werden (Art. 82 Abs. 4 StPO, Urk. 84 S. 9 f.).

      3. Ergänzend kann festgehalten werden, dass dem Beschuldigten in der Anklageschrift unter dem Titel Missachtung einer Sorgfaltspflicht konkret vorgeworfen wird (vgl. Urk. 17 S. 3), dass er in der fraglichen Situation als Flugverkehrsleiter die ununterbrochene Beobachtung (continuous watch) nicht auf-

      rechterhalten habe und des weiteren der Besatzung des Flugzeugs D. die Startfreigabe erteilt habe, ohne hinreichend sichere Feststellung, dass die notwendige Separation (zum Flugzeug F. ) gegeben war. Diese Vorwürfe der Missachtung der ununterbrochenen Beobachtung und der Startfreigabe unter fehlender Prüfung der Separation sind auf der Ebene des Sachverhaltes hinreichend klar und deutlich formuliert. Ob überhaupt und innerhalb welcher exakter inhaltlicher Konturen Vorschriften zum continuous watch und zur Separation vom Beschuldigten in seiner damaligen Situation missachtet wurden bzw. zu beachten gewesen wären, ist eine rechtliche Frage, die in der Anklage nicht näher umschrieben zu werden braucht. Ein Hinweis in der Anklage auf die massgeblichen Regelungen der ATMMs zu continuous watch und Separation war deshalb entbehrlich.

      2. Umschreibung des Gefährdungserfolgs

      1. Das dem Beschuldigten vorgeworfene Delikt gemäss Art. 237 StGB setzt als Erfolg die konkrete Gefährdung von Menschen an Leib und Leben voraus (vgl. vorstehend Rz 9). In der Anklageschrift vom 24. Juli 2014 ist dieser tatbestandsmässige Gefährdungserfolg wie folgt umschrieben:

        1. Zunächst wird in genereller Form festgehalten, dass das Verhalten des Beschuldigten - die kurz hintereinander erteilte Startfreigabe an die Flugzeuge F. und D. _ zur Folge hatte, dass es zwischen diesen zwei Flugzeugen zu einer gefährlichen Annäherung kam, die ein hohes Kollisionsrisiko aufwies gar zu einer Kollision hätte führen können (Urk. 17

          S. 3 unten).

        2. Im anschliessenden Abschnitt mit dem Untertitel Nahe und ernstliche Wahrscheinlichkeit des Erfolgs wird die vorstehend generell genannte mögliche Folge des Kollisionsrisikos bzw. gar einer Kollision in zwei (hypothetischen) Szenarien näher umschrieben (Urk. 17 S. 4):

          • So wird zum einen festgehalten, dass bei einer Fortsetzung des Startes beider Flugzeuge aufgrund der Einwirkung von Randwirbeln und Abgasstrahl des Flugzeugs F. das Potential eines Kontrollverlustes des Flugzeugs D. entstanden wäre (was mit grosser Wahrscheinlichkeit die Verletzung Tötung von Menschen zur Folge gehabt hätte).

          • Zum anderen wird ausgeführt, dass es bei einer um 5 Sekunden früheren Einleitung des Startlaufs von Flugzeug D. (ohne Startabbruch) gar zu einer Kollision mit dem Flugzeug F. gekommen wäre (was mit grösster Wahrscheinlichkeit die Verletzung Tötung von Menschen zur Folge gehabt hätte).

      2. Die Staatsanwaltschaft stellte sich in ihrer Berufungserklärung und anlässlich der Berufungsverhandlung auf den Standpunkt, dass den in der Anklageschrift aufgeführten zwei hypothetischen Varianten (vgl. oben Rz 2 2b) lediglich beispielhafter Charakter zukomme. Diese würden exemplarisch aufzeigen, was unter Umständen hätte geschehen können, wobei diese Aufzählung nicht abschliessend sein könne, zumal niemand alle möglichen Folgen wahrsagen könne und diese immer von getroffenen Annahmen abhängen würde. Gestützt auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtes (die Staatsanwaltschaft beruft sich auf Urteil 6B_779/2009 vom 12. April 2010) bedürfe es in der Anklageschrift keiner Auflistung aller möglichen sich ergebenden Folgen, wenn eine konkrete Gefahr für das Rechtsgut Leib und Leben gegeben sei (Urk. 86 S. 18ff., Urk. 96 S. 27f.).

      3. Die Verteidigung widersprach in der Berufungsverhandlung dieser Rechtsauffassung. Sie führte aus, dass dem Beschuldigten lediglich die in der Anklageschrift angegebenen Varianten des Gefährdungserfolgs vorgehalten werden dürfen. Zur Begründung führte sie aus, dass die Staatsanwaltschaft vor Vorinstanz klipp und klar bestätigt habe, dass die Anklage die konkrete Gefährdung einzig und allein mit den in der Anklageschrift aufgeführten Hypothesen begründe (Urk. 97 S. 2 und 4 f.). Darauf, dass dem nicht so war, deutet allerdings der Umstand hin, dass der damalige Vertreter der Anklage die erwähnten Varianten des Gefährdungsablaufs lediglich als denkbare Möglichkeiten bezeichnet hatte (Urk. 69 S. 3). Auch trifft die Darstellung der Verteidigung nicht zu, wonach bereits die Vorinstanz die Anklageschrift beim Wort

        genommen habe (a.a.O. S. 5), hat diese doch ebenso eine anklagefremde Variante des hypothetischen Gefährdungserfolgs abgehandelt (vgl. Urk. 84

        S. 18 ff., Variante 1). Wenn die Verteidigung in der aus ihrer Sicht von derjenigen des Anklagevertreters vor ersten Instanz abweichende Begründung der Staatsanwaltschaft vor Obergericht eine unzulässige Änderung der Anklage sieht (a.a.O. S. 5ff.), so ist ihr nicht zu folgen; die Anklage bleibt unver- ändert. Ebenso wenig besticht die weitere Auffassung der Verteidigung, wonach trotz des Umstands, dass die Frage nach der konkreten Gefährdung eine Rechtsfrage sei, eine Anklageschrift dennoch eine kurze Umschreibung weiterer Sachverhaltselemente zum Geschehensablauf, der die Gefährdung ausmache, enthalten müsse (a.a.O. S. 6-9). Nachdem die Verteidigung selber keine entsprechenden Beispiele anführt, bleibt vorerst unklar, ob sie damit tatsächliche hypothetische Sachverhaltselemente meint. Zum anderen gilt folgendes: Gemäss dem Anklagegrundsatz hat die Anklage die dem Beschuldigten zur Last gelegten Delikte in ihrem Sachverhalt so präzise zu umschreiben, dass die Vorwürfe genügend konkretisiert sind und er sich ein Bild über die gegen ihn erhobenen Vorwürfe machen kann. Das Anklageprinzip bezweckt den Schutz der Verteidigungsrechte des Beschuldigten und dient dem Anspruch auf rechtliches Gehör. Das Gericht ist an den in der Anklage wiedergegebenen Sachverhalt gebunden, nicht aber an dessen rechtliche Würdigung durch die Anklagebehörde. Beim Tatbestand von Art. 237 StGB muss mindestens Leib Leben einer Person in konkreter Weise in Gefahr gebracht worden sein. Ob eine konkrete Gefahr im Rechtssinne vorgelegen hat, ist anhand einer Würdigung des Sachverhalts zu entscheiden. Sie ist gegeben, wenn nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge die Wahrscheinlichkeit nahe Möglichkeit der Verletzung des geschützten Rechtsguts besteht. Mit anderen Worten handelt es sich bei der Frage, ob eine konkrete Gefahr bestanden habe, um eine Rechtsfrage. Wie erwähnt, ist das Gericht nur an den in der Anklage wiedergegebenen Sachverhalt gebunden, nicht aber an dessen rechtliche Würdigung durch die Anklagebehörde. Das heisst, das Gericht ist in der Beurteilung, ob das im angeklagten Sachverhalt umschriebene Verhalten des Beschuldigten eine konkrete Gefahr für mindestens eine Person zur Folge hatte, frei. Deshalb hat sich die Anklageschrift auf die Beschreibung des tatsächlichen Geschehens zu beschränken und es bedarf keiner zusätzlichen Darstellung von hypothetischen Szenarien des Erfolgseintritts.

      4. Der Anklageschrift vom 25. Juli 2014 ist bezüglich des tatsächlichen Geschehens zu entnehmen, dass der Beschuldigte in kurzem Abstand Startfreigaben an zwei Flugzeuge auf sich kreuzenden Pisten erteilt habe und sich die Maschinen daraufhin während 42 Sekunden mit steigender Geschwindigkeit von zwei Seiten auf die Pistenkreuzung zubewegt haben; dies bis die Crew von D. die heikle Situation bemerkt und aus eigener Initiative den sofortigen Startabbruch eingeleitet hat. Die Verteidigung sieht im Sich-aufeinanderzubewegen der Flugzeuge in Richtung Pistenkreuz lediglich eine abstrakte Gefährdung; eine konkrete Gefährdung ergebe sich daraus nicht zwingend (Urk. 97 S. 9). Aus der Schilderung des tatsächlichen Geschehens in der Anklageschrift lässt sich jedoch ohne Weiteres bereits eine konkrete Gefährdung erschliessen. Der Auffassung, dass im vorliegenden Fall die Annahme einer konkreten Gefährdung weltfremd sei, da dies der ausgeprägt vorhandenen Fehlerkultur in technischen Berufen mit hohem Gefährdungspotential zuwiderlaufen würde, wie die Verteidigung behauptet (Urk. 97 S. 8ff.), kann nicht gefolgt werden. Auch dass bei Bejahung einer konkreten Gefahr die geübte Praxis nicht mehr aufrecht erhalten werden könne, dem Verkehr konfligierende Freigaben zu erteilen, welche dann später wieder aufgelöst werden, besticht in vorliegenden Fall nicht, hat der Beschuldigte als Lotse hier gerade nicht bewusst eine konfligierende Situation geschaffen, die er später wieder auflösen wollte. Dass der Beschuldigte die gefährliche Situation 44 Sekunden lang nicht realisiert hat, steht zwar nicht ausdrücklich in der Anklage, ist aber

        entgegen der Auffassung der Verteidigung (a.a.O.) ohne Weiteres aus dem verzögerten Zeitpunkt seines Abbruchbefehls abzuleiten. Dass sodann das G. -System nicht als Sicherheitssystem gelten konnte (worauf unter Rz 153 einzugehen ist), brauchte als Negativum, anders als es die Verteidigung vermeint (a.a.O. S. 10), ebenfalls nicht ausdrücklich in der Anklageschrift zu stehen. Die Verteidigung weist im Übrigen auf die Einstellung der

        ersten Strafuntersuchung gegen den Beschuldigten wegen eines Airprox hin (Prot. II S. 29, Ergänzungen 4 und 5); die Staatsanwaltschaft kann mit Bezug auf den vorliegenden Fall jedoch nicht darauf behaftet werden, dass es einen früheren Fall nicht zur Anklage gebracht hat.

        Im Ergebnis ist die Anklageschrift mit Bezug auf die Schilderung des tatsächlichen Geschehens, selbst wenn sie durchaus besser hätte formuliert werden können, bei Ausserachtlassung der darin zusätzlich angeführten zwei Gefährdungserfolgsvarianten als ausreichend anzusehen, um daraus eine konkrete Gefährdung im Sinne einer gefährlichen Annäherung, eines Kollisions-, Kontrollverlustoder anderen Unfallrisikos herzuleiten. Entgegen der Auffassung der Verteidigung ist somit vom Inhalt der vorliegenden Anklageschrift besehen noch keine Verletzung ihrer Informationsfunktion (oder gar des Immutabilitätsgrundsatzes) und damit des Anklageprinzips festzustellen.

      5. Mit Bezug auf die Einschätzung der in der Anklageschrift angeführten beiden Gefährdungserfolgsvarianten ist sodann in Nachachtung des angerufenen Bundesgerichtsentscheids 6B_779/2009 der Staatsanwaltschaft zu folgen: Bei diesem höchstrichterlichen Entscheid ging es um einen Fall, hinsichtlich dessen die Anklage den Piloten eines Passagierflugzeugs vorgeworfen hatte, eine im Rahmen des Landeanflugs vollführtes Ausweichmanöver (Umfliegen eines Wolkenfetzens) nicht vorschriftsgemäss stabilisiert zu haben, weshalb notfallmässig durchgestartet werden musste. Die Anklageschrift formulierte alsdann vier Varianten der möglichen Verwirklichung des Gefährdungserfolgs zum Nachteil der Passagiere der einen andern Maschine beider Flugzeuge: a) die grosse Annäherung der beiden Flugzeuge, b) die unkontrollierte Landung des ersten Flugzeugs, wäre es nicht durchgestartet, c) die hohe Wahrscheinlichkeit, dass beim Durchstarten die bereits leicht beschädigte Maschine noch mehr Schaden genommen hätte, d) die Gefahr für die zweite Maschine beim Starten wegen der Trümmerteile der ersten Maschine auf der Piste.

        Das Bundesstrafgericht erachtete all diese Varianten des Gefährdungserfolgs als nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit feststellbar (Urteil SK.2008.25

        E. 2.5.2. in fine). Indes sah es einen im Sinne von Art. 237 StGB tatbestandsmässigen Gefährdungserfolg darin, dass nach dem Ausweichmanöver die Gefahr und hohe Wahrscheinlichkeit bestanden habe, dass das Flugzeug beim Durchstartmanöver aufsetze. Diesfalls hätten sich die Passagiere aufgrund hoher Fliehkräfte und heftiger Stösse verletzt. Insbesondere seien ein Aufschlagen des Körpers und des Kopfes bei den bloss an den Hüften angegurteten Passagieren nicht auszuschliessen gewesen (a.a.O., E. 2.5.3).

        Die beschuldigten Personen rügten vor Bundesgericht eine Verletzung des Anklagegrundsatzes, da die Vorinstanz ihrem Urteil einen anderen Sachverhalt zugrunde lege, als einen der in der Anklage umschriebenen (BGE 6B_779/2009 E. 1.2.1). Das Bundesgericht kam indes zum Schluss, dass sich die Vorinstanz an den in der Anklageschrift umschriebenen Sachverhalt halte, indem sie im Ausweichmanöver als solchem eine Gefährdung der Passagiere und Besatzung erblicke. Hypothesen, welche Verletzungen bei einem Absturz hätten entstehen können, seien als solche weder erforderlich noch entscheidend. Zur Tatbestandsmässigkeit von Art. 237 Ziff. 2 StGB reiche eine konkrete Gefahr für das Rechtsgut Leib und Leben aus, hingegen sei eine Verletzung desselben nicht erforderlich. Es dürfe als bekannt vorausgesetzt werden, dass aus einer missglückten Landung erhebliche Verletzungen resultieren können. Folglich bedürfe es in der Anklageschrift keiner weiteren Ausführungen zum hypothetischen Hergang mit den sich daraus ergebenden möglichen Folgen (a.a.O., E. 1.2.3).

      6. Entsprechendes hat auch im vorliegenden Fall zu gelten: Die Anklage wirft dem Beschuldigten vor, dass es aufgrund der durch den Beschuldigten kurz hintereinander erteilten Startfreigaben an zwei Flugzeuge auf sich kreuzenden Pisten zu einer gefährlichen Annäherung derselben gekommen sei, die ein hohes Kollisionsrisiko aufgewiesen habe gar zu einer Kollision hätte führen können. Es darf auch hier als allgemein bekannt vorausgesetzt werden, dass aus einer infolge zeitgleichen Startens zweier Flugzeuge auf sich kreuzenden Pisten ergebenden gefährlichen Annäherung bzw. aus einem daraus folgenden Unfallgeschehen erhebliche Verletzungen von Menschen re-

        sultieren können. Zur Tatbestandsmässigkeit von Art. 237 Ziff. 2 StGB reicht eine konkrete Gefahr für das Rechtsgut von Leib und Leben von Menschen aus, ohne dass es bereits zu Verletzungen kommen muss. Wenn demnach dem Bundesgericht folgend in der Anklageschrift Hypothesen über wie auch immer geartete Geschehensverläufe, die zu einem Unfall mit Menschenschaden führen könnten, weder erforderlich noch entscheidend sind auch die Verteidigung scheint solche Hypothesen bezüglich des konkreten Gefährdungserfolgs als verpönt zu erachten (vgl. Prot. II S. 35) , so kann den beiden in der vorliegenden Anklageschrift ausformulierten Gefährdungsfolgevarianten für den Schuldvorwurf nur beispielhafter und nicht, wie die Verteidigung geltend macht, einschränkender Charakter zukommen.

        Der Beschuldigte hat sich deshalb entgegen der Auffassung der Verteidigung auch andere als in der Anklage konkret angeführte hypothetische Hergangsfolgen vorhalten zu lassen, die sich objektiv aus der kurz hintereinander erteilten Startfreigabe beider Flugzeuge und der daraus resultierenden Gefahr nach dem normalen Gang der Dinge naheliegenderweise hätten ergeben können. Allerdings ist wie bereits erwähnt (Rz 9) als Ausgangslage nur massgebend, was sich tatsächlich ereignet hat. Deshalb ist das hypothetische Szenario der Anklage hinsichtlich eines 5 Sekunden früheren (als der tatsächlichen) Einleitung des Startlaufs von D. von vorneherein nicht zu prüfen. Gleiches gilt für das in der Berufungsverhandlung aufgeworfene, ebenfalls hypothetische Szenario eines um 5 Sekunden späteren Starts von F. .

      7. Konkret darf gestützt auf die vorliegende Anklage jedoch soweit die materielle Voraussetzung der Zufälligkeit vorangehender Geschehensabläufe erfüllt ist geprüft werden, welche Gefahrenlage entstanden wäre, wenn es erst auf den Befehl des Beschuldigten hin (und nicht schon vorher aufgrund der eigenen Reaktion der Crew von D. ) zu einem Startabbruch von D. gekommen wäre (hierzu nachstehend Ziff. 4.2.2. ff.).

  2. Beweismittel
    1. Vorhandene Beweismittel

      1. Zur Verfügung stehen namentlich die folgenden Beweismittel:

        • Aussagen des Beschuldigten in der Untersuchung, vor Vorinstanz und vor Berufungsgericht (Urk. 4 und 5, Urk. 37, Prot. II S. 4ff. und 9ff.),

        • Schlussbericht der Schweizerischen Unfalluntersuchungsstelle (Urk. 1), fortan zitiert als Schlussbericht SUST,

        • von der Staatsanwaltschaft eingeholtes Gutachten vom 12. Oktober 2012 von B. (Urk. 7/6), fortan zitiert als Gutachten B. _,

        • Ergänzung zum Gutachten B. _ vom 10. September 2013 (Urk. 8/10), fortan zitiert als Ergänzung 1 zum Gutachten B. ; dieses Ergänzungsgutachten hat zum einen eine Beilage (CD mit Videosequenz;

          Urk. 8/11), fortan zitiert als CD B. und zum anderen einen angehefteten Anhang Trajectories Reconstruction der H. , fortan zitiert

          H. -Gutachten,

        • Ergänzung zum Gutachten B. _ vom 16. Februar 2014 (Urk. 9/3), fortan zitiert als Ergänzung 2 zum Gutachten B. ,

        • vorinstanzliche Einvernahme des Gutachters B. vom 16. Dezember 2014 (Urk. 36), fortan zitiert als Einvernahme B._ ,

        • von der Vorinstanz eingeholtes Gutachten vom 8. Juli 2015 von C. vom Bundesamt für Zivilluftfahrt BAZL (Urk. 52), fortan zitiert als Gutachten C. ,

        • von der Staatsanwaltschaft eingeholter Internal Operational Investigation Report (IOIR) von Skyguide vom 6. Juli 2012 (Urk. 13/7), fortan zitiert als Report Skyguide,

        • von der Vorinstanz bei Skyguide angeforderte Fotoaufnahmen (Urk. 32/2- 3), fortan zitiert als Fotoaufnahmen Skyguide,

        • vom Beschuldigten eingereichtes Gutachten vom 11. Dezember 2014 von Dr. I. (Urk. 33/2), fortan zitiert als Privatgutachten I. ,

        • vom Beschuldigten eingereichtes Gutachten Response to expert opinion's commissioned by the public prosecutor's office [ ] von Skyguide vom

          8. Dezember 2014 (Urk. 33/4), also eine Antwort von Skyguide auf das Gutachten B. , verfasst von J. _, fortan zitiert als Privatgutachten J. ,

        • vom Beschuldigten eingereichtes Gutachten Analysis for Potential Wake Turbulence an Jet Blast Hazards [ ] vom 19. Oktober 2014 des Unternehmens K. (K. , Inc.) (Urk. 33/5), fortan zitiert als Privatgutachten K. ,

        • vom Beschuldigten anlässlich der Berufungsverhandlung eingereichte 4 Unterlagen, u.a. 2 Service Order und ein fact sheet zur Umsetzung der Sicherheitsmassnahmen der Skyguide (Urk. 98/1-4).

      2. Verwertbarkeit der Gutachten B.

      1. Die Verteidigung bemängelte sowohl vor Vorinstanz wie auch im Berufungsverfahren die Qualität der drei Gutachten von B. (Gutachten B. sowie Ergänzungen 1 und 2 zum Gutachten B. ). Sie führte aus, dass diese die objektiven Qualitätskriterien, denen Gutachten generell zu genügen hätten, nicht erfüllt würden. Sie würden unter anderem eine unzureichende Methodik mit fehlender Abklärung entscheidender Fragen aufweisen (z.B. fehlten konkrete Berechnungen der vom Flugzeug F. ausgehenden Kräfte von wake turbulences und jet blast). Ferner würden sie zahlreiche unzulässige übermässige Vereinfachungen, Widersprüche und Abschwächungen enthalten (so z.B. bezüglich Auswirkungen des Durchquerens der von Flugzeug F. verursachten Turbulenzen). Nicht zuletzt fehle es auch an einer Offenlegung der getroffenen Annahmen und die Gutachten seien mangels Dokumentation/Quellenangaben generell nicht hinreichend nachvollziehbar. Dies würden auch die Privatgutachten J. und K. _ bestätigen. Aus letzterem Privatgutachten gehe insbesondere eindrücklich hervor, wie

        sich konkrete Berechnungen zu Fragen des jet blast und der wake turbulences im vorliegenden Fall machen liessen, derweil sich in den Gutachten

        B. keine Spur von solchen Berechnungen finden liessen. Hinzu komme, dass beim Gutachter der Anschein der Befangenheit bestehe, da er im Gutachten B. und in der Ergänzung 2 zum Gutachten B. je einen Vorfall (Teneriffa bzw. New York) erwähne, welche nachweislich nichts mit dem vorliegenden Fall zu tun hätten, indes der Schaffung negativer Stimmung gegen den Beschuldigten bezwecken würden. Aus all diesen Gründen könne auf die Gutachten B. nicht abgestellt werden. Die Einvernahme des Gutachters B. vom 16. Dezember 2014 vermöge an diesem Befund nichts zu ändern, im Gegenteil habe sich damit bestätigt und akzentuiert, dass der Gutachter nicht über die nötigen Qualifikationen verfüge, um die Thematiken Flugsicherung, wake turbulences und jet blast wissenschaftlich fundiert und gültig abhandeln zu können. Er sei Lehrer und Pilot gewesen, habe aber beispielsweise von den Berechnungsmodellen bezüglich wake turbulences, wie sich gezeigt habe, keine Ahnung. Es spreche bereits für sich, dass es zwei Ergänzungsgutachten gebraucht habe, der Gutachter aber auch im zweiten Ergänzungsgutachten vage geblieben sei und sich in Widersprüche verstrickt habe (Urk. 71 S. 5 f.; vgl. Urk. 35 S. 6 ff.; Urk. 97 S. 11-14).

      2. Der Verteidiger stellt mit dieser Kritik offenbar nicht erst die Beweiskraft dieser drei Gutachten B. in Frage, sondern zieht damit, zumindest sinngemäss, bereits die Verwertbarkeit derselben in Zweifel (vgl. Urk. 97 S. 15 oben).

      3. Gutachter B. war 26 Jahre bei der Crossair sowie der Swiss als Pilot tätig. Zudem war er Mitglied der erweiterten Geschäftsleitung, welche für den Flugbetrieb sowie die Flugsicherung tätig ist. Weiter war B. während 18 Jahren als nebenamtlicher Untersuchungsleiter beim damaligen Büro für Flugunfall-Untersuchung, dem derzeitigen SUST, tätig. Nach seiner Darstellung hat er als verantwortlicher Untersuchungsleiter Flugunfälle untersucht und zwar sowohl Unfälle mit Motorwie auch mit Segelflugzeugen. U.a. habe er auch in Teamarbeit mit der Gruppe Airprox, also mit den Leuten der ATC,

        Untersuchungen geführt und Berichte verfasst, wo es um Airprox-Fälle gegangen sei. Im Jahr 2006 machte sich B. selbständig und bietet seither Dienstleistungen im Zusammenhang mit dem Betrieb von Luftfahrzeugen an. Dabei verfasst er u.a. Gutachten insbesondere im Bereich der Flugsicherheit. Hinsichtlich Airprox habe er sicher 10 bis 15 Gutachten erstellt. Nach seiner Darstellung berät er zudem Flugunternehmen hinsichtlich der Frage, wie sie ihren Betrieb sicherer machen können (Einvernahme B. , Urk. 36 S. 2 f. und S. 45; vgl. auch Urk. 7/2, die den detaillierten Lebenslauf B. s enthält).

      4. In Anbetracht seines beruflichen Werdegangs erweist sich der Gutachter B. entgegen den Ausführungen der Verteidigung, welche dessen

        fachliche Kompetenz letztlich konkret ohnehin nur hinsichtlich der Beurteilung

        von Fragen des jet blast und der wake turbulences bestreitet grundsätzlich als ein ausreichend qualifizierter Experte (im Sinne von Art. 183 Abs. 1 StPO) zum Thema Flugsicherheit. Dies gilt insbesondere was seine in casu relevanten Feststellungen über die Gefährlichkeit von Startabbrüchen angeht (vgl. Rz 68 und 91), weist er als langjähriger Pilot in dieser Hinsicht doch unzweifelhaft ausreichende Erfahrung auf. Der Beschuldigte, welchem im Sinne von Art. 184 Abs. 3 Gelegenheit gegeben wurde, sich zur sachverständigen Person zu äussern, war mit der staatsanwaltschaftlichen Bestellung von B. zum Gutachter einverstanden (Urk. 7/5). Der Gutachter B. steht in keinem verwandtschaftlichen, freundoder feindschaftlichen Verhältnis zum Beschuldigten (Urk. 36 S. 2); er war mit der vorliegenden Sache weder vorbefasst, noch ist ersichtlich, dass er an dieser Sache ein persönliches Interesse hat. Dass der Gutachter im Gutachten B. auf der letzten Seite auf das Unglück auf dem Flughafen Teneriffa vom 27. März 1977 hinwies (Urk. 7/6

        S. 8) und in Ergänzung 2 zum Gutachten beispielhaft den Unfall auf dem John

        F. Kennedy Flughafen vom 12. November 2001 nannte (Urk. 9/3 S. 7), kann nicht als Stimmungsmache gegen den Beschuldigten interpretiert werden, merkte der Gutachter doch ausdrücklich an, dass mit solchen Hinweisen nicht etwa eine Analogie zum vorliegenden Fall aufgezeigt, sondern allein die Grössenordnung des Gefahrenpotenzials illustriert werden soll (Urk. 7/6 S. 8),

        was nicht unzulässig ist. Der Anschein der Befangenheit und Voreingenommenheit des Gutachters ist deshalb zu verneinen. Eine generelle methodische Unzulänglichkeit, Widersprüchlichkeit, Unklarheit Unvollständigkeit kann in den Gutachten B. entgegen den sinngemässen Ausführungen des Verteidigers, dessen konkrete Kritik sich wie gesagt im Wesentlichen auf die gutachterlichen Ausführungen zu wake turbulences und jet blast beschränkt, nicht gesehen werden. Auch der Umstand, dass zwei Ergänzungen zum Gutachten von B. einzuholen waren und dieser zudem persönlich befragt wurde, spricht nicht dagegen, dass auf diese Gutachten grundsätzlich abgestützt werden darf. Die Möglichkeit der Ergänzung und Verbesserung eines Sachverständigengutachtens ist strafprozessual vorgegeben (vgl. Art. 189 StPO).

      5. Nach dem Gesagten steht der Verwertbarkeit der drei Gutachten B. nichts im Wege. Auf die Detailkritik der Verteidigung an den Gutachten

      B. ist soweit erforderlich im Rahmen der Beweiswürdigung näher einzugehen. Den drei Gutachten B. kommt im Rahmen der freien Beweiswürdigung der gleiche Stellenwert zu (vgl. PK StPO - Schmid/Jositsch, 2018, Art. 189 N 2).

      3. Beweiswert der Privatgutachten

      35. Sodann sind auch die seitens des Beschuldigten bzw. seines Verteidigers eingereichten Privatgutachten zu berücksichtigen, soweit sie zu anderen Ergebnissen kommen bzw. die Ergebnisse des amtlichen Gutachters B. als fraglich erscheinen lassen (vgl. PK StPO - Schmid/Jositsch, 2018, Art. 189 N 2). Diesen kommt zwar grundsätzlich nur die Stellung von Parteibehauptungen zu. Als solche stellen sie im Rahmen der freien Beweiswürdigung gleichwohl einen Beweis wie jeden anderen dar, der aber einer besonders vorsichtigen richterlichen Würdigung bedarf (vgl. PK StPO - Schmid/Jositsch, 2018, Art. 182 N 7).

  3. Sachverhalt
    1. Anerkannter äusserer Sachverhalt

      1. Geständnis des Beschuldigten

        36. Der Beschuldigte hat den in der Anklageschrift festgehaltenen tatsächlichen Geschehensablauf seit Anbeginn des Strafverfahrens anerkannt (vgl. Urk. 4

        S. 22 ff. und S 6; Urk. 5 S. 2; Urk. 37 S. 6 ff.; Prot. II S. 9ff.), was mit den Akten übereinstimmt, namentlich mit den von der SUST im Rahmen ihrer Untersuchung festgestellten Untersuchungsergebnissen (vgl. Schlussbericht SUST, Urk. 1 S. 9 ff. und S. 48 sowie die Übersicht im Report Skyguide, Urk. 13/7

        S. 7).

      2. Berichtigung des Sachverhalts der Anklage

        1. Die Vorinstanz (Urk. 84 S. 7) hat zutreffend erkannt, dass im eingeklagten Sachverhalt die Geschwindigkeiten der zwei Flugzeuge im Zeitpunkt 11:43:47 UTC bzw. bei Startabbruch des Flugzeugs D. UTC aus offensichtlichem Versehen der Anklagebehörde vertauscht wurden.

        2. Es ist deshalb im Zeitpunkt 11:43:47 UTC bzw. bei Startabbruch von D. von einer Geschwindigkeit dieses Flugzeugs von 135 Knoten (entspricht 250,02 km/h) und einer Geschwindigkeit von 162 Knoten (entspricht 300,02 km/h) bei F. _ auszugehen, was vom Geständnis des Beschuldigten gedeckt ist.

      3. Erstellter Sachverhalt

  1. Erstellt ist somit der folgende äussere Sachverhalt:

    • Am 15. März 2011 um 11:42:19 UTC in 8058 Zürich Flughafen erteilte der Beschuldigte als verantwortlicher Flugverkehrsleiter (ADC) dem Flugzeug F. (mit 8 Besatzungsmitgliedern und 127 Passagieren an Bord) -

      welches am Einrollen in die Startposition auf Piste 16 war - die Freigabe zum Start. Die Besatzung der F. quittierte diese Freigabe und leitete um 11:43:12 UTC den Startlauf ein.

    • Um 11:43:05 UTC erteilte der Beschuldigte auch dem Flugzeug D. (mit 7 Besatzungsmitgliedern und 120 Passagieren an Bord) - das in der Startposition auf der Piste 28 wartete - die Startfreigabe. Die Besatzung von D. quittierte die Freigabe und leitete unmittelbar darauf den Startlauf ein.

    • Der Beschuldigte erteilte somit als verantwortlicher Flugverkehrsleiter dem Flugzeug D. auf Piste 28 die Startfreigabe, obwohl auf Piste 16 das Flugzeug F. noch im Begriffe war, seinen Startlauf einzuleiten, nachdem es vom Beschuldigten rund 53 Sekunden zuvor ebenfalls die Startfreigabe erteilt erhalten hatte.

    • Während ihres Startlaufs bemerkte die Besatzung des Flugzeugs D. um 11:43:47 UTC die sich von rechts auf der Piste 16 nähernde F. und leitete unmittelbar darauf von sich aus den Startabbruch ein. Beim Startabbruch von Flugzeug D. wies dieses eine Geschwindigkeit von 135 Knoten (entspricht 250,02 km/h) und das Flugzeug F. eine Geschwindigkeit von 162 Knoten (entspricht 300,02 km/h) auf. [Zur Verwechslung der Geschwindigkeitsdaten in der Anklage siehe Rz 37f.] Das Flugzeug D. befand sich bei Einleitung des Startabbruchs ca.

      550 Meter vor der Kreuzung der Pisten 16 und 28. Es kam in der Folge im Sicherheitsbereich der Piste 16 zum Stillstand. Die Besatzung des Flugzeugs F. bemerkte den Vorfall nicht (und setzte den Flug zum Bestimmungsort fort).

    • Ungefähr zwei Sekunden nachdem das Flugzeug D. die sich von rechts auf der Piste 16 nähernde F. bemerkt und unmittelbar daraufhin den Startabbruch bereits selber eingeleitet hatte, demnach um 11:43:49 UTC befahl der Beschuldigte als Flugverkehrsleiter ADC der Be-

satzung von D. , den Start sofort abzubrechen (zu den tatsächlichen Details dieses Startabbruchs vgl. nachstehend Rz 52).

2. Anerkannter innerer Sachverhalt

  1. Der Beschuldigte erklärte anlässlich der Untersuchung und vor Gericht mehrfach, im Zeitpunkt der Startfreigabe für das Flugzeug D. das andere Flugzeug F. nicht mehr in seinem mentalen Bild gehabt zu haben (vgl. Urk. 5 S. 3, Urk. 37 S. 8, Prot. II S. 16f. und 22f., bzw. erstmals Urk. 4 S. 4, nachstehend zitiert):

    Zu diesem Zeitpunkt [=Zeitpunkt der Startfreigabe von D. ] war aber F._ _ auf Piste 16 noch nicht gestartet, ist das richtig

    Ja das ist richtig.

    War dies korrekt, D. auf der Piste 28 bereits zu diesem Zeitpunkt die Starterlaubnis zu geben

    Nein natürlich nicht.

    Weshalb habe Sie es dennoch getan

    Weil in diesem Moment die F. nicht mehr in meinem Kopf war. Ich habe nicht mehr an sie gedacht.

  2. Auch der Schlussbericht SUST nennt dies als einer der Gründe für den Airprox (vgl. Urk. 1 S. 42 f. und S. 50), wobei diese Feststellung auf den Aussagen des Beschuldigten basiert.

  3. Erstellt ist demnach, dass dem Beschuldigten im Zeitpunkt der Startfreigabe für das Flugzeug D. nicht bewusst war, dass sich das Flugzeug

F. noch im Startlauf befand bzw. im Begriffe war, ihn einzuleiten.

3. Fazit Sachverhalt

  1. Der eingeklagte Geschehensverlauf ist somit anhand des Untersuchungsergebnisses und der Anerkennung durch den Beschuldigten in den wesentlichen Punkten erstellt.

  2. Vom Beschuldigten bestritten ist jedoch, dass es bei gleichzeitiger Fortsetzung des Starts beider Flugzeuge beim Flugzeug D. mit grosser Wahrscheinlichkeit zu einem Kontrollverlust respektive, dass es bei einem von

    D. um 5 Sekunden früher eingeleiteten Startlauf, welche Variante nicht zu prüfen ist (vgl. Rz 27, 2. Absatz), zu einer Kollision der Flugzeuge gekommen wäre. Zudem bestreitet er, dass bei beiden Varianten eine grosse Wahrscheinlichkeit für eine Verletzung Tötung vieler Menschen bestanden habe. Weiter bestreitet er, dass ein Verstoss gegen die Vorschriften gemäss ICAO Doc 4444 7.1.1.2 und 7.9.3.1 vorliege (Urk. 71 S. 2). Er stellt damit in Abrede, dass sein Verhalten sorgfaltspflichtwidrig gewesen sei und zu einer gefährlichen Annäherung der zwei Flugzeuge mit entsprechend hohem Unfallrisiko geführt habe.

  3. Diese Bestreitungen des Beschuldigten betreffen zwar punktuell auch Tatsachen, beschlagen aber überwiegend die rechtliche Qualifikation solcher Tatsachen und des vorstehend erstellten Sachverhalts. Sowohl die Frage der Gefährdung (vgl. vorstehend Ziff. 1.1.3.) als auch die Frage der Missachtung von Verhaltensvorschriften (vgl. vorstehend Ziff. 1.2.2.) stellen letztlich Rechtsfragen dar. Entsprechend ist auf diese Fragen und die entsprechenden tatsächlichen Bestreitungen und rechtlichen Einwände des Beschuldigten und seines Verteidigers im Rahmen der nachstehenden rechtlichen Würdigung einzugehen.

  1. Rechtliche Würdigung
    1. Rechtlicher Vorwurf der Anklagebehörde

46. Mit der Anklage wird dem Beschuldigten vorgeworfen, dass er mit seinem Verhalten - d.h. mit seinen kurz hintereinander erteilten Startfreigaben an die Flugzeuge F. und D. - die Vorschriften des continuous watch und der Separation missachtet und damit eine gefährliche Annäherung der beiden Flugzeuge mit einem entsprechend hohen Kollisionsbzw. Kontrollverlustrisiko verursacht habe, was mit grosser Wahrscheinlichkeit zur Verletzung Tötung von Menschen geführt hätte. Es wäre ihm bei pflichtgemässer Aufmerksamkeit respektive korrektem Verhalten möglich gewesen, die dadurch

entstandene Gefährdung sowohl vorauszusehen als auch zu vermeiden (Urk. 17, vgl. auch die Urk. 69, 86 S. 35 und 96 S. 49f.).

2. Allgemeiner Standpunkt des Beschuldigten und seines Verteidigers

47. Der Beschuldigte lässt zusammenfassend vorbringen, dass sein Verhalten weder den objektiven noch den subjektiven Tatbestand von Art. 237 Ziff. 1 StGB in Verbindung mit Art. 237 Ziff. 2 StGB erfüllt habe. Wie bereits ausgeführt stellt er sich mit seinem Verteidiger auf den Standpunkt, dass im Zeitpunkt des anklagegegenständlichen Vorfalls weder eine konkrete Gefährdung von Leib Leben von Menschen objektiv vorgelegen habe, noch dem Beschuldigten eine Sorgfaltspflichtverletzung vorgeworfen werden könne

(Urk. 71 S. 2). Im Übrigen vertrat er vor Vorinstanz die Auffassung, dass das System am Flughafen Zürich in der damaligen Zeit an der Grenze des Beherrschbaren resp. teilweise sogar unbeherrschbar war und es auch aus diesem Grund zum vorliegenden Vorfall gekommen sei. Ich denke nicht, dass das Problem bei mir persönlich lag, sondern vielmehr im System (Urk. 37

S. 27). In der Berufungsverhandlung äusserte er sich in ähnlicher Weise (Prot. II S. 26). Auch die Verteidigung hielt sich vor Obergericht im Wesentlichen an ihre vorinstanzlichen Ausführungen (Urk. 97). Auf die einzelnen Einwände ist nachfolgend an geeigneter Stelle einzugehen.

3. Tathandlung

48. Dass die vom Beschuldigten kurz hintereinander erteilte Starterlaubnis an die Flugzeuge F. und D. zu einer Erhöhung der den Verkehrsvorgängen auf dem öffentlichen Flughafen Zürich immanenten Gefahren (vgl. vorstehend Rz 8) geführt hat, steht ohne Weiteres fest.

  1. Gefährdungserfolg

    1. Ausgangslage

      1. Im konkreten Fall hat letztlich keine Person Schaden genommen, was aber wie bereits gesagt nicht von vornherein ausschliessen lässt, dass eine ernst

        zu nehmende Wahrscheinlichkeit der Verletzung Tötung von Insassen der Flugzeuge F. und/oder D. _ bestanden haben kann.

      2. Zu prüfen ist im Folgenden gemäss der dargelegten Rechtsprechung (Rz 9), ob die vom Beschuldigten kurz hintereinander erteilten Startfreigaben für die Flugzeuge F. und D. nach dem normalen Gang der Dinge die Verletzung von (zumindest eines) Menschen an Leib gar Leben ernstlich wahrscheinlich gemacht hat. Für diese Prüfung ist zunächst der Frage nachzugehen, welches Gefährdungspotential dem Geschehen innwohnte, so wie es sich - nach Erteilung dieser zwei Startfreigaben tatsächlich abgespielt hat. Daraufhin ist zu fragen, ob einzelne Elemente dieses realen Geschehensablaufs als Zufall zu qualifizieren sind. Wo immer dies zu bejahen ist, ist in der Folge zu prüfen, zu welchem Gefährdungspotential ein nach dem normalen Gang der Dinge zu erwartender, hypothetischer Geschehensablauf bei Ausbleiben dieses Zufalls geführt hätte.

    2. Die Szenarien mit Gefährdungspotenzial

      1. Gefährdungspotenzial des tatsächlichen Startabbruchs von Flugzeug D.

        1. Die kurz hintereinander erfolgte Erteilung der Starterlaubnis für die beiden Flugzeuge durch den Beschuldigten führte dazu, dass die Besatzung des Flugzeugs D. als sie das sich von rechts nähernde Flugzeug F. auf der Piste 16 bemerkte zu einem unmittelbaren Startabbruch gezwungen wurde bzw. sich zumindest dazu gezwungen sah. Zunächst stellt sich deshalb die Frage, ob es allenfalls auch durch diesen dem Verhalten des Beschuldigten adäquat kausal zuzuordnenden Startabbruch als solchen zu einer konkreten Gefährdung von Insassen des Flugzeugs D. gekommen ist.

        2. In tatsächlicher Hinsicht ist hinsichtlich dieses realiter erfolgten Startabbruchs das Folgende erstellt: Als der Kommandant des Flugzeugs D. das von rechts kommende Flugzeug F. bemerkte, rief er um 11:43:47 UTC aus Was isch das und leitete gleichzeitig den Startabbruch ein: das Zurücknehmen der Leistungshebel in den Leerlauf, das Applizieren der Bremsen und das Betätigen der Schubumkehr erfolgte innert zwei Sekunden. Bei Einleitung dieses Startabbruchs war das Flugzeug noch ca. 550 Meter von der Pistenkreuzung 16/28 entfernt und wies eine Geschwindigkeit 135 Knoten (entspricht 250,02 km/h) auf. Diese Geschwindigkeit entsprach genau der für dieses Flugzeug massgeblichen sog. Entscheidungsgeschwindigkeit v1 (decision speed), d.h. jener Geschwindigkeit, bei welcher das Flugzeug - u.a. - noch fähig ist, den Start abzubrechen und dabei noch auf der Piste zum Stillstand zu kommen. Das Flugzeug D. kam schliesslich um 11:44:03 UTC direkt vor der Kreuzung der Pisten 16 und 28 zum Stillstand.

        3. All dies geht aus dem Schlussbericht SUST (Urk. 1 S. 14 und Anm. 3, S. 20 und Anm. 4, S. 23 f., S. 26 und S. 76) hervor, dessen tatsächliche Feststellungen seitens des Beschuldigten und seines Verteidigers nicht in Frage gestellt werden (vgl. hiezu das Privatgutachten I. , Urk. 33/2 S. 1: Grundlage meiner [id est: des Gutachters I. ] Ausführungen ist der diesbezügliche Untersuchungsbericht [ ] SUST, der in seiner Ausführlichkeit und Genauigkeit vorbildlich ist und kaum Fragen offen lässt, vgl. hiezu auch die Aussagen des Beschuldigten in Urk. 4 S. 6 und Urk. 5 S. 2, worin er den SUST-Bericht als zutreffend bezeichnet mit Ausnahme von dessen Schlussfolgerungen bezüglich der Prioritätensetzung bzw. Aufmerksamkeitszuwendung).

        4. Die Vorinstanz ist zum Schluss gekommen, dass durch diesen von der Besatzung D. eingeleiteten Startabbruch keine konkrete Gefahr im Sinne von Art. 237 StGB geschaffen worden sei (vgl. Urk. 84 S. 18-21 Ziff. 5.3.).

        5. Die Staatsanwaltschaft kritisiert die diesbezüglichen Ausführungen der Vorinstanz (Urk. 86 S. 16-19; vgl. auch Urk. 96 S. 23-27). Sie zieht den Schluss, dass der Umstand, dass der vorliegende Startabbruch im Ergebnis noch einmal glimpflich abgelaufen sei, nicht darüber hinwegtäuschen dürfe, dass Mensch (Besatzung) und Maschine bei einem Startabbruch im Bereich der Entscheidgeschwindigkeit v1 an ihre Belastungsgrenzen hätten gehen müssen. Es sei bekannt, dass die Entscheidung über einen Startabbruch nahe der

          Geschwindigkeit v1 zu den schwierigsten gehöre, mit denen ein Pilot konfrontiert werden könne. Diese Annäherung an die Belastungsgrenze berge eine Vielzahl an Risiken in sich, die das Manöver des Startabbruchs im Verhältnis zum 'normalen' Start als erheblich gefährlicher und risikoreicher erscheinen lasse. So könne es etwa zu einem Überhitzen der Bremsen und gestützt darauf zu einem Platzen eines Reifens eines plötzlichen Druckverlustes eines mehrerer Reifen und deswegen zu einer Destabilisierung des Flugzeugs und damit verbunden allenfalls gar zu einem ungewollten Verlassen der Piste kommen. Auch könne es allenfalls zu anderen technischen Problemen und/oder Defekten kommen. Weiter könne es durch die während des Startabbruchs wirkenden Verzögerungskräfte zu einer Verletzung von Passagieren durch Aufschlagen des Körpers bzw. Kopfes kommen. Solche aus dem Startabbruch möglicherweise resultierenden Folgen müssten gemäss der Rechtsprechung des Bundesgerichts (Urteil 6B_779/2009 E. 1.2.4.) nicht in der Anklageschrift aufgelistet werden. Im Ergebnis müsse damit eine konkrete Gefahr im Sinne von Art. 237 StGB bejaht werden. Es sei sachlich nicht zu rechtfertigen und logisch auch nicht nachvollziehbar, dies von noch ungünstigeren (namentlich meteorologischen) Umständen abhängig zu machen, wie dies die Vorinstanz verlangt habe (a.a.O. S. 18 f.).

        6. Die Argumentation der Staatsanwaltschaft hat einiges für sich, es kann ihr aber letztlich nicht gefolgt werden.

        7. Zwar ist sehr wohl davon auszugehen, dass der notfallmässige Startabbruch des Flugzeugs D. in Anbetracht der damit zweifellos verbundenen Verzögerungskräfte (Bremskräfte) und/oder aufgrund theoretischerweise auftretender technischer Defekte die Insassen dieses Flugzeugs einer um einiges grösseren Gefährdung bzw. höheren Verletzungsrisiko ausgesetzt hat, als dies bei einem normalen, konfliktlosen Durchstart der Fall gewesen wäre.

        8. Auch kann der Staatsanwaltschaft darin gefolgt werden, dass die von ihr aufgezählten möglichen Komplikationen und hypothetischen Verletzungsfolgen eines Startabbruchs (entgegen der Auffassung der Vorinstanz, Urk. 84 S. 21

          Ziff. 5.3.4) grundsätzlich nicht in der Anklageschrift aufgelistet sein müssen, um sie dem Beschuldigten zum Vorwurf machen zu dürfen (vgl. Rz 26 f.).

        9. Nicht darzutun vermag die Staatsanwaltschaft indes, wie hoch die von ihr skizzierten Risiken eines mehrerer geplatzter Reifen und/oder anderer technischer Probleme und Defekte an der Maschine auch nur des Kopfaufschlagens einzelner Passagiere aufgrund der negativen Beschleunigungskräfte im vorliegend zu beurteilenden Startabbruch tatsächlich waren. Zur Vornahme einer solchen Risikoeinschätzung braucht es Expertenwissen.

        10. Andererseits argumentiert die Vorinstanz ebenfalls weitgehend spekulativ (wenn ihrerseits auch zu Gunsten des Beschuldigten) und losgelöst von den zur Verfügung stehenden Expertenmeinungen, wenn sie ausführt, dass der Startabbruch des Flugzeugs D. zwar bei einer relativ hohen Geschwindigkeit von 135 kt/h und damit genau bei der massgeblichen Entscheidungsgeschwindigkeit v1 vorgenommen worden sei, dieser Umstand alleine jedoch deshalb nicht rechtsgenügend auf eine konkrete Gefahr im Sinne von Art. 237 StGB schliessen lasse, da eine solche allenfalls erst dann zu bejahen wäre, wenn zusätzlich die äusseren meteorologischen Umstände ebenfalls Gefahrenpotential aufgewiesen hätten (Urk. 84 S. 19). Diese Begründung erscheint deshalb fragwürdig, da gemäss den Ausführungen im Schlussbericht SUST ein startendes Flugzeug bereits bei Geschwindigkeiten über 80 bis 100 kt/h nur noch dann einen Startabbruch vornehmen sollte, wenn bei Fortsetzung des Starts mit einer erheblichen Gefährdung (wie sie beispielsweise bei einem hohen Kollisionsrisiko durch unerwartet auftretende Hindernisse auf der Piste gegeben sein kann) gerechnet werden muss, wobei die genaue kritische Geschwindigkeit, bei der ein Startabbruch noch mit vertretbarem Risiko möglich ist, je nach Flugzeugmuster, Startkonfiguration und Umweltfaktoren variiere (Urk. 1 S. 40). Daraus erhellt, dass einem Startabbruch als solchem bereits bei einer Geschwindigkeit über 100kt/h - ungeachtet des Flugzeugtyps und der weiteren Umstände ein gewisses Gefahrenpotential zukommt, und dieses nur ausnahmsweise, nämlich zur Abwendung einer noch grösseren Gefährdung, eingegangen werden sollte. Im vorliegenden Fall geschah

          der Startabbruch bei 135 kt/h und damit weit über den maximalen 100 kt/h gemäss Schlussbericht SUST. Dies spricht grundsätzlich dafür, dass dem Startabbruch des Flugzeugs D. ungeachtet der damals unproblematischen Witterungsbedingungen schon per se ein jedenfalls nicht unerhebliches Gefahrenpotential zukam, dessen Inkaufnahme durch die Besatzung von

          D. allein deshalb gerechtfertigt war, weil es galt, ein sich abzeichnendes grösseres Risiko (einer möglichen Kollision mit dem Flugzeug F. ) auszuschalten. Indes ist auch mit dieser Überlegung noch nicht entschieden, ob das Gefährdungspotential des tatsächlich erfolgten Startabbruchs zu einer erst abstrakten bereits konkreten Gefährdung geführt hat.

        11. Eine nähere Quantifizierung der vom tatsächlich erfolgten Startabbruch ausgehenden Gefahr kann den Ausführungen des von der Staatsanwaltschaft zugezogenen Gutachters B. entnommen werden. Bereits in seinem ersten Gutachten vom 20. Juli 2012 erachtet er es als nicht wahrscheinlich, dass Menschen durch den tatsächlich erfolgten Startabbruch des Flugzeugs

          D. zu Schaden kommen konnten (Gutachten B. _, Urk. 7/6 S. 5). Auch in seiner Befragung durch die Vorinstanz vom 16. Dezember 2014 führte er aus, dass der Startabbruch per se kein Manöver sei, durch welches unmittelbar Leute gefährdet würden (Einvernahme B. , Urk. 36 S. 20). Auch im Umstand, dass die Bremsen des Flugzeugs D. durch den Startabbruch heiss wurden und zur Kühlung derselben die Feuerwehr aufgeboten werden musste, sah der Experte B. _ keine Gefahr für die Besatzung und die Passagiere des Flugzeugs D. . Es sei normal, dass die Bremsen bei einem Startabbruch heiss würden, und das Aufbieten der Feuerwehr zur Kühlung derselben gehöre zur Routine, aber die Gefahr für Leib und Leben der Flugzeuginsassen sei als vernachlässigbar klein zu bezeichnen (Einvernahme B. , Urk. 36 S. 44).

        12. Aufgrund dieser zwar nicht näher begründeten, indes auch nicht widerlegbaren - Experteneinschätzung kann in dem durch die Piloten eingeleiteten Startabbruch des Flugzeugs D. keine konkrete Gefährdung im Sinne von Art. 237 StGB gesehen werden.

        13. Bereits an dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, dass sich die vorstehend zitierten Ausführungen des Gutachters B. auf den tatsächlich erfolgten Startabbruch, und damit einen Startabbruch beziehen, der vor Überschreiten der Entscheidungsgeschwindigkeit v1 eingeleitet wurde. Wie es sich mit den Gefahren verhält, welche von einem Startabbruch ausgehen, der nach Erreichen dieser Grenzgeschwindigkeit v1 ausgeführt wird, ist nachstehend

          (Rz 89ff.) separat zu prüfen.

        14. Als weitere Frage stellt sich, ob die durch das Flugzeug F. verursachten Randwirbel und/oder Abgasstrahle allenfalls eine konkrete Gefahr für Leib und Leben der Insassen des den Start abbrechenden Flugzeugs D. darstellten. Die Vorinstanz (Urk. 84 S. 20 f.) hat zutreffend festgehalten, dass aus den in den Akten liegenden Gutachten sowohl aus jenen des Gutachters B. _ als auch aus den von der Verteidigung eingereichten Privatgutachten zwar geschlossen werden könne, dass Luftbewegungen aufgrund von durch das Flugzeug F. verursachte Randwirbel und Abgasstrahle im Bereich der Pistenkreuzung der Pisten 16 und 28 vorhanden waren, sich den Akten indes keinerlei konkrete Anhaltspunkte entnehmen lassen, dass diese Luftbewegungen auf das unmittelbar vor dem Pistenkreuz zum Stillstand gekommene Flugzeug D. relevante physikalische Kräfte auszu- üben vermocht hätten. Ergänzend kann festgehalten werden, dass der Gutachter B. eine Gefährdung des den Start abbrechenden Flugzeugs

          D. durch Luftbewegungen des Flugzeugs F. zwar nicht expressis verbis, jedenfalls aber implizit eindeutig ausgeschlossen hat (vgl. das Gutachten B. , Urk. 7/6 S. 5 sowie die Einvernahme B. , Urk. 36 S. 20, bes. a.a.O.: Die Flugzeuge kamen sich nicht allzu nahe [ ]).

        15. Im Fazit ist festzuhalten, dass der durch die Piloten des Flugzeugs D. durchgeführte Startabbruch nicht zu einer konkreten Gefährdung im Sinne von Art. 237 StGB geführt hat.

      2. Zufälligkeit des tatsächlichen Startabbruchs von Flugzeug D.

        1. Ob eine konkrete Gefährdung zu bejahen ist, beurteilt sich allerdings wie bereits ausgeführt (Rz 9) - nicht allein nach dem, was schliesslich eingetreten ist. Vielmehr kommt es darauf an, ob das fragliche Vorkommnis nach dem normalen Gang der Dinge die Verletzung eines Menschen ernstlich wahrscheinlich gemacht hat, und bleibt aufgrund dessen Art. 237 StGB auch anwendbar, wenn der Eintritt eines schädigenden Erfolgs durch Zufall das Verhalten der Beteiligten verhütet wird. Dass es im vorliegenden Fall nicht zu einer konkreten Verletzung von Menschen an Leib und Leben kam, ist (zumindest auch) auf den realiter erfolgten Startabbruch des Flugzeugs D. zurückzuführen. Es ist deshalb zu prüfen, ob der um 11:43:47 UTC durch die Piloten des Flugzeugs D. eingeleitete Startabbruch als Zufall zu werten ist bzw. alleine aufgrund eines zufälligen, nicht erwartbaren Handelns der Beteiligten keine Fortsetzung des Startlaufs von D. erfolgte.

        2. Gemäss den Ausführungen im Schlussbericht SUST müssen der Kommandant und der Copilot eines Flugzeugs unmittelbar vor dem Startlauf mittels gegenseitiger verbaler Kommunikation die letzten Punkte der Prüfliste auswendig abarbeiten und durchführen, was eine hohe Konzentration erfordert (vgl. Urk. 1 S. 41). Nach dem Anschieben der Schubhebel haben sich die beiden Piloten auf den Startlauf zu fokussieren, wobei sich der eine primär auf das Führen des Flugzeugs zu konzentrieren hat und der andere alle im Cockpit angezeigte Parameter zu überwachen hat. In der Phase, in der das Flugzeug abhebt, muss der mit der Führung des Flugzeugs betraute Pilot in Flugrichtung blicken (a.a.O. S. 40 f.).

        3. Dass die Piloten eines Flugzeugs darüber hinaus während des Startlaufs auch die Geschehnisse seitlich ihrer Startbahn zu beobachten bzw. allfällig von der Seite herannahende Hindernisse wie ein auf einer kreuzenden Piste startendes Flugzeugs zu richten haben, wird im Schlussbericht SUST, aber auch in den übrigen Akten liegenden Gutachten und Privatgutachten nicht statuiert (vgl. insbesondere auch das seitens des Beschuldigten eingereichte Privatgutachten I. , welches in Urk. 33/2 S. 12 f. und S. 27 f. der Besatzung des Flugzeugs D. ausschliesslich eine Verletzung der Pflicht der dauernden Hörbereitschaft [continuous listening watch] vorwirft, auf welche später (Rz 163) einzugehen sein wird) und wird auch seitens der Verteidigung nicht geltend gemacht (vgl. Urk. 71, bes. S. 27 ff.).

        4. Dies erscheint denn auch als folgerichtig, ergibt sich dies doch aus dem arbeitsteiligen (hierarchischen) Zusammenwirken des Bodenund Luftpersonals an einem Flughafen. Es ist die Aufgabe der Flugsicherung, die Verkehrsflüsse am Flughafen zu überwachen, zu kontrollieren und zu beaufsichtigen. Sie hat somit autoritativ - dafür zu sorgen, dass einem startenden Flugzeug kein anderes Flugzeug in die Quere kommt. Diese Kontrollund Überwachungsaufgaben fielen im vorliegenden Fall dem Beschuldigten zu; er befand sich am Arbeitsplatz des Flugverkehrsleiters ADC und war zum Zeitpunkt des Airprox für die Überwachung aller drei Pisten (Nr. 10/28, 14/32 und 16/34) des Flughafens Zürich sowie des fliegenden Verkehrs in der Kontrollzone zustän- dig (vgl. Report Skyguide, Urk. 13/7 S. 11: During the incident a single ADC controller was responsible for all 3 runways and all airborne traffic in the CTR., sowie die entsprechenden Aussagen des Beschuldigten, Urk. 4 S. 2: Meine Aufgabe war die grundsätzliche Kontrolle aller Flugzeuge im Bereich Flughafen, startender, landender Verkehr. Weiter hatte ich den Transitverkehr im Luftraum zu kontrollieren und zudem den rollenden Verkehr auf der Piste.).

        5. Die Besatzung eines Flugzeugs darf somit gestützt auf den Vertrauensgrundsatz (vgl. Rz 16) grundsätzlich davon ausgehen, dass die Flugsicherung dafür gesorgt hat, dass keine Hindernisse auftreten. Die Flugsicherung darf umgekehrt nicht darauf vertrauen, dass die Besatzungen der von ihr überwachten Flugzeuge einen von ihr verursachten Fehler korrigieren würden. Ein Fehlverhalten der am Verkehr beteiligten Personen, und damit auch der Flugsicherung, ist allerdings jederzeit möglich, was aber nicht heisst, dass die Piloten einen möglichen Fehler der Flugsicherung zu antizipieren haben. Dies muss auch für die Piloten von Flugzeug D. geltend, weshalb nicht davon ausgegangen werden kann, dass sie die äusseren Geschehnisse um sich herum aktiv beobachtet hatten.

        6. Auf fremde Sorgfalt darf erst dann nicht mehr vertraut werden, wenn konkrete Anzeichen auf das Gegenteil hinweisen. Die Besatzung des Flugzeugs

          D. hat sich während ihres Startlaufs diesem Grundsatz gemäss verhalten und reaktionsschnell (vgl. Schlussbericht SUST, Urk. 1 S. 41) gehandelt, als das unerwartete Ereignis eines gleichzeitig startenden Flugzeugs auf der Gegenpiste aus rechter Richtung in ihr nach vorne gerichtetes Blickfeld geriet (vgl. hiezu die illustrative Abbildung 5 des Schlussberichts SUST, Urk. 1 S. 13 aus dem tower simulator TOSUM).

        7. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz (Urk. 84 S. 24 Ziff. 5.5.2, S. 25 Ziff. 5.5.3. und S, 31. Ziff. 5.6.) ist deshalb der von der Besatzung des Flugzeugs D. vorgenommene Startabbruch bereits an und für sich - und nicht erst hinsichtlich des Zeitpunkts seiner Einleitung (diesbezüglich kann

          den Ausführungen der Vorinstanz [Urk. 84 S. 26] wieder zugestimmt werden)

          als ein blosser Zufall im Sinne der Rechtsprechung zu Art. 237 StGB zu qualifizieren. Die Besatzung von D. traf keine Pflicht, den Befehlen der Flugsicherung zu misstrauen, deren Startfreigabe zu hinterfragen und sich eigenständig zu vergewissern, dass sich auf der Gegenpiste kein gleichzeitig startendes Flugzeug befand. Ihr kam lediglich die Pflicht zu, adäquat zu reagieren, falls sie eines unerwarteten Starthindernisses plötzlich gewahr würde. Umgekehrt durfte der Beschuldigte nicht darauf vertrauen, dass die Besatzung des Flugzeugs D. (oder auch des Flugzeugs F. ) eine allfällig von ihm geschaffene Gefahrensituation durch einen Startabbruch entschärfen würden und könnten. Da die Besatzung sich auf den Startlauf zu konzentrieren und mit Hindernissen nicht zu rechnen hatte, bestand nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge eine erhebliche Wahrscheinlichkeit, dass sie das Flugzeug F. nicht von sich aus wahrgenommen, den Startlauf weiterhin fortgesetzt und die Notfallsituation erst aufgrund des zwei Sekunden später erfolgten Befehl des Beschuldigten zum Startabbruch erkannt hätten. Nicht nur der Zeitpunkt der Wahrnehmung des Hindernisses und der Reaktion

          darauf durch die Crew von Flugzeug D. , sondern diese Vorgänge überhaupt sind deshalb nichts anderes als eine glückliche Fügung mit Zufallscharakter. Daran ändert entgegen der Ansicht der Verteidigung (Prot. II S. 31) nichts, dass sich das Lagebild für die D. zur Erkennung des zweiten Flugzeugs tendenziell anders darstellte als dasjenige für die F. .

        8. Aus dem Umstand, dass es im Verlaufe des tatsächlichen Geschehensablaufs bzw. aufgrund des realen Startabbruchs von D. zu keiner ernsthaften Gefährdung von Menschen an Leib und Leben gekommen ist, lässt sich somit nichts zu Gunsten des Beschuldigten ableiten.

      3. Keine Zufälligkeit des Befehls des Beschuldigten zum Startabbruch von Flugzeug D.

        1. Nachdem der tatsächlich erfolgte Startabbruch durch die Besatzung des Flugzeugs D. als Zufall zu bezeichnen ist, stellt sich im Anschluss die Frage, wie der realiter erfolgte Befehl des Beschuldigten zum Startabbruch im Rahmen der hypothetischen Beurteilung des normalen Gangs der Dinge zu qualifizieren ist.

        2. Der Beschuldigte war im Zeitpunkt des Vorfalls als Flugverkehrsleiter ADC für die Koordination der startenden und landenden Flugzeuge zuständig. Zur Erfüllung dieser Aufgaben standen ihm gemäss dem Schlussbericht SUST verschiedene technische Hilfsmittel zur Verfügung (zu diesen eingehender nachstehend unter Ziff. III. 6.4.5.), unter anderem das Kollisionswarnsystem

          G. , welches die Flugverkehrsleiter bei der Überwachung der Bewegungen von Flugzeugen und Fahrzeugen auf dem Pistensystem am Flughafen unterstützt. Dabei generiert das Warnsystem bei gefährlichen Annäherungen je nach Situation zwei unterschiedliche Arten von Warnungen. Ein Warnung der Stufe 1 (stage alert 1) weist visuell auf eine möglicherweise potentiell gefährliche Situation hin, während eine Warnung der Stufe 2 (stage alert 2) sowohl visuell als auch akustisch auf eine sich entwickelnde gar bereits bestehende kritische Situation hinweist, die möglichweise eine sofortige Reaktion erfordert. Normalerweise geht einer Warnung der Stufe 2 (Alarm) eine

          Warnung der Stufe 1 (Information) voraus, wobei es jedoch auch Situationen geben kann, in denen direkt ein Alarm der Stufe 2 ausgelöst wird (Schlussbericht SUST, Urk. 1 S. 29).

        3. Vorliegend löste das G. aufgrund der Annäherung der Flugzeuge D. und F. um 11:43:40 UTC einen Alarm der Stufe 2 aus: Die

          blauen Etiketten der beiden Flugzeuge auf den L. -Bildschirmen wechselten auf rot und der akustische Alarm (Warnruf) G. ertönte (Schlussbericht SUST, Urk. 1 S. 11). Der Beschuldigte wurde gemäss seiner Aussage überrascht und glaubte im ersten Moment an einen Fehlalarm, wofür die Wahrscheinlichkeit sehr hoch gewesen sei (Urk. 37 S. 18f.). Im Weiteren sagte er aus, dass das Flugzeug F. zu diesem Zeitpunkt nicht mehr in seinem mentalen Bild vorhanden gewesen sei (Urk. 4 S. 4). Er überprüfte, ob ein Fahrzeug in der Nähe der Pisten sei sich ein landendes Flugzeug auf Piste 16 befinde. Dann entdeckte er die beiden Flugzeuge

          F. und D. , die sich gleichzeitig auf Piste 16 und 28 im Startlauf befanden, worauf er um 11:43:49 UTC der Besatzung des Flugzeugs

          D. den unmittelbaren Startabbruch befahl (D'. , stop immediately!). Die Besatzung des Flugzeugs D. , welche ihrerseits bereits zwei Sekunden vorher das startende Flugzeug F. auf Piste 16 wahrgenommen und einen sofortigen Startabbruch eingeleitet hatte, antwortete auf diesen Befehl nicht (Schlussbericht SUST, Urk. 1 S. 11 f.; Einvernahmen des Beschuldigten, Urk. 37 S. 15 und 18 f.). Der Befehl des Beschuldigten zum Startabbruch erfolgte demnach 9 Sekunden nach Auslösung des G. - Alarms bzw. 2 Sekunden nach Einleitung des Startabbruchs durch die Besatzung des Flugzeugs D. .

        4. Der Befehl zum Startabbruch durch den Beschuldigten per se ist nicht auf ein zufälliges, nicht erwartbares Verhalten des Beschuldigten selber Drittbeteiligter zurückzuführen, sondern erfolgte in Reaktion auf den Alarm des

          G. -Systems.

        5. Dieses basiert auf vorprogrammierten Algorithmen (vgl. SUST-Bericht Urk. 1

          S. 29). Es erscheint deshalb höchst unwahrscheinlich, dass der Alarm überhaupt nicht zu einem anderen Zeitpunkt hätte erfolgen können. Dass das G. -System gemäss der übereinstimmenden Auffassung des Schlussberichts SUST und dem Privatgutachten I. offenbar Sicherheitsdefizite aufweist bzw. zu spät reagiert und zudem neben echten auch Fehlalarme produziert (Urk. 1 S. 30 und 51 f. Urk. 33/2 S. 8 und 10), tangiert diese Feststellung nicht. Es zeigt allerdings, dass sich der Beschuldigte auf das

          G. -System nicht verlassen durfte (was bei der Prüfung der Sorgfaltspflichtverletzung näher auszuführen sein wird; vgl. Rz 153).

        6. Weder das Auftreten des Alarms als solcher noch dessen bestimmter Zeitpunkt kann deshalb als Zufall bezeichnet werden. Der vom Beschuldigten gegebene Befehl zum Startabbruch stellt eine Reaktion auf den computergenerierten G. -Alarm dar und kann somit ebenfalls nicht als Zufall bezeichnet werden.

        7. Im Unterschied zum Verhalten Dritter (wie beispielsweise der Startabbruch durch die Piloten des Flugzeugs D. ) sonstigen Ereignissen ausserhalb des Machtbereichs des Beschuldigten (wie etwa der G. -Alarm) darf das Verhalten des Beschuldigten selber soweit es nicht direkt von solchen Drittereignissen abhängt keinen hypothetischen Fragestellungen zu dessen Ungunsten unterworfen werden. Während hinsichtlich Dritthandlungen und -ereignissen - unter der Voraussetzung ihrer Vorhersehbarkeit und Adäquanz (vgl. Rz 17 und 193 ff.) hypothetische (z.B. zeitliche) Varianten geprüft und allenfalls auch zu Lasten des Beschuldigten berücksichtigt werden dürfen, kann dieser hinsichtlich seiner eigenen, von Drittereignissen unabhängigen Handlungen strafrechtlich selbstredend nur insoweit zur Verantwortung gezogen werden, wie diese sich tatsächlich abgespielt haben und eingeklagt sind. Fiktive Mutmassungen darüber, inwieweit eine allfällig längere Reaktionszeit des Beschuldigten auf den Alarm hin zu einer zeitlichen Verschiebung des Befehls zum Startabbruch geführt hätten, sind deshalb (entgegen der sinngemässen Auffassung der Vorinstanz, Urk. 84 S. 27) nicht vorzunehmen.

        8. Zusammengefasst kann festgehalten werden, dass der Startabbruchbefehl des Beschuldigten nicht als Zufall bezeichnet werden kann und hinsichtlich dessen Zeitpunkts einzig auf den tatsächlichen Zeitpunkt, 11:43:49 UTC, abgestellt werden darf.

      4. Wahrscheinlichkeit eines hypothetischen Startabbruchs auf den Abbruchbefehl des Beschuldigten hin

        1. In der Weiterverfolgung des (hypothetischen) Geschehensablaufs nach dem normalen Gang der Dinge ist an dieser Stelle deshalb die hypothetische Frage zu klären (in diesem Punkt kann der Vorinstanz, Urk. 84 S. 27 Ziff. 5.5.5, wieder gefolgt werden), inwieweit ein Startabbruch des Flugzeugs D. auch noch zum Zeitpunkt des Startabbruchbefehls des Beschuldigten möglich respektive wahrscheinlich gewesen wäre.

        2. Wie bereits ausgeführt erteilte der Beschuldigte der Besatzung von D. den Befehl zum Startabbruch rund 2 Sekunden nach dem von dieser bereits eingeleiteten Startabbruch. In Rechnung zu stellen ist weiter, dass der allfälligen Einleitung des Startabbruchs die Reaktion der Besatzung auf den Abbruchbefehl des Beschuldigten vorausgegangen wäre. Es ist von einer Reaktionszeit von rund 2 Sekunden auszugehen, wie sie auch beim tatsächlichen Startabbruch verstrich (vgl. Schlussbericht SUST, Urk. 1 S. 41). Der Startabbruch auf Befehl des Beschuldigten wäre somit zu einem Zeitpunkt eingeleitet worden, in welchem das Flugzeug D. seine massgeblichen Entscheidungsgeschwindigkeit v1 von 135 Knoten seit (nahezu) 4 Sekunden überschritten hätte.

        3. Der Gutachter B. gab anlässlich seiner Einvernahme vom 16. Dezember 2014 zu Protokoll, dass der Pilot des Flugzeugs D. zwei Sekunden nach dem bereits durch die Besatzung eingeleiteten Startabbruch also im Zeitpunkt des Startabbruchbefehls durch den Beschuldigten - den Start nicht mehr hätten abbrechen können bzw. dies jedenfalls nicht mehr hätten machen sollen. Nach Erreichen der Entscheidungsgeschwindigkeit v1 beschleunige das Flugzeug permanent weiter bis es schliesslich die Rotationsgeschwindigkeit erreicht habe, bei welcher es vom Boden abheben sollte. Sobald die Entscheidungsgeschwindigkeit v1 erreicht werde, dürfe der Start nicht mehr abgebrochen werden. In diesem Sinne sei die Geschwindigkeit v1 eine ganz harte Schwelle, nach deren Erreichen der Start fortgesetzt und durchgeführt werde. In diesen zwei Sekunden (nach Erreichen der Geschwindigkeit v1) beschleunige das Flugzeug weiterhin kontinuierlich und befinde sich in einer Dauergleitphase. Am Ende dieser zwei Sekunden habe das Flugzeug schon eine Geschwindigkeit von 140 145 Knoten. Auf die Nachfrage des Vorsitzenden des erstinstanzlichen Gerichts, ob der Pilot des Flugzeugs D. , gleichwohl er den Start in diesem Zeitpunkt nicht mehr hätte abbrechen sollen, dies dennoch hätten tun können, antwortete der Gutachter B. , dass dies dann in der vollen Verantwortung des Piloten gelegen wäre, beispielsweise für den Fall, dass das Flugzeug über das Pistenende hinausrolle. Es seien Fälle bekannt, bei welchen der Start nach Erreichen der Geschwindigkeit v1 abgebrochen worden und es zu schweren Unfällen gekommen sei (Urk. 36 S. 21 f.).

        4. Gegen diese Ausführungen des Gutachters B. sind seitens der Verteidigung (vgl. deren Ergänzungsfragen anlässlich der Einvernahme B. [Urk. 36 S. 45 ff.] und deren Plädoyer [Urk. 71]) in erster Instanz keine Einwände erhoben worden. Anlässlich der Berufungsverhandlung stellte sich die Verteidigung jedoch auf den Standpunkt, dass die Geschwindigkeit v1, anders als es der Gutachter B. festhält, kein point of no return sei; diese Geschwindigkeit sei keine fixe Grösse, und auch die SUST habe sich dazu nicht geäussert (Urk. 97 S. 22f.; Prot. II S. 34f.). Letzteres trifft nicht zu, hat die SUST in ihrem Schlussbericht doch die für das Flugzeug D. geltende Geschwindigkeit v1 ausdrücklich mit 135 kt (entspricht 205 km/h) festgehalten (Urk. 1 S. 20). Dass sodann ein Startabbruch bei über v1 in der Luftfahrt eine Routineoperation sei und sich die Belastung von Piloten und Material dabei in Grenzen halte und keine ernstliche Gefahr begründe, wie die Verteidigung weiter geltend macht, ist durch die klaren gegenteiligen Feststellungen des Gutachters B. widerlegt. In den von der Verteidigung eingereichten Privatgutachten finden sich ebenfalls keine Ausführungen, die den Feststellungen des Gutachters B. _ widersprechen würden.

        5. Aus den Ausführungen des Gutachters B. _ geht nachvollziehbar und überzeugend hervor, dass ein Startabbruch nach Überschreiten der Entscheidungsgeschwindigkeit v1 grundsätzlich nicht mehr ausgeführt werden darf, bzw. andernfalls er mit gravierenden Risiken behaftet ist und zu schweren Unfällen führen kann. Aus diesen Gründen erachtete der Gutachter einen Startabbruch des Flugzeugs D. im Zeitpunkt des Abbruchbefehls des Beschuldigten als nicht mehr realisierbar bzw. mit hohen Unfallrisiken behaftet, was einleuchtet. Gestützt auf diese Experteneinschätzung erscheint es entgegen der Auffassung der Vorinstanz (Urk. 84 S. 28 ff.), welche diese gutachterlichen Aussagen nicht berücksichtigte, sondern eigene Berechnungen anstellte höchst unwahrscheinlich, dass die Besatzung des Flugzeugs

          D. nach Erhalt des Befehls zum Startabbruch durch den Beschuldigten überhaupt noch in der Lage gewesen wären, einen risikoarmen Startabbruch durchzuführen. Mit der Staatsanwaltschaft (Urk. 86 S. 15) muss gesagt werden, dass in einer solchen Situation die richtige Entscheidfällung für einen Piloten offenkundig um ein Vielfaches schwieriger ist, als vor Erreichen der Entscheidgeschwindigkeit v1.

        6. Aufgrund dieser Überlegungen muss davon ausgegangen werden, dass die Piloten vor dem folgenschweren und schwer entscheidbaren Dilemma gestanden hätten, den Start abzubrechen fortzusetzen, und dies innert Sekunden hätten entscheiden müssen. Es spricht einiges dafür, dass sie sich mit überwiegender Wahrscheinlichkeit für den Startabbruch entschieden hätten. Aus ihrer Sicht wären sie offensichtlich davon ausgegangen, dass andernfalls ein hohes Kollisionsrisiko (oder auch ein hohes Kontrollverlustrisiko infolge jet blast und wake turbulences) vorgelegen hätte, entschieden sie sich doch tatsächlich bereits 2 Sekunden früher, zu einem Startabbruch, um eine allfällige Katastrophe abzuwenden. Dass die Experten ex post an ihren Schreibtischen und vor ihren Computern in ausführlichen Gutachten zu einem anderen Resultat gelangten (hinsichtlich des Kollisionsrisiko) bzw. ihrerseits in

          Meinungsverschiedenheiten gerieten (hinsichtlich des Kontrollverlustrisikos), spricht gerade nicht gegen diese Annahme, denn die Piloten hätten ihre Entscheidung ex ante, innert kürzester Zeit, reflexartig, von blossem Auge und allein vor dem Hintergrund ihrer Erfahrung treffen müssen. Sodann muss davon ausgegangen, dass in ihren Entscheid auch eingeflossen wäre, dass für den Fall einer Kollision nach Fortführung des Startlaufs mit noch weit gravierendere Folgen für Leib und Leben von weit mehr Menschen zu befürchten gewesen wäre als für den Fall des auch schon hoch gefährlichen Startabbruchs bei einer Geschwindigkeit deutlich über v1. Ins Gewicht fällt schliesslich auch, dass ihr Entscheid auch massgeblich davon beeinflusst worden wäre, dass ihnen der Startabbruch seitens des Flugleiters autoritativ und dringlich befohlen wurde (D'. , stop immediately!).

        7. Aufgrund dessen ist an erster Stelle zu prüfen (nachstehend Ziff. 4.2.5., Rz 89 ff.), zu welcher Gefahr ein Startabbruch, und an zweiter (Ziff. 4.2.6., Rz 100 ff.), zu welcher Gefahr eine Fortsetzung des Startlaufs des Flugzeugs

          D. geführt hätte.

      5. Gefährdungspotential eines Startabbruchs von D. auf den Befehl des Beschuldigten hin

        1. Hätte sich die Besatzung zu einem Startabbruch entschieden, hätte dies im Unterschied zum zwei Sekunden zuvor selber eingeleiteten Startabbruch mit grösster Wahrscheinlichkeit nicht zu einer Entschärfung des Risikos geführt, welches zuvor durch den Beschuldigten mit den kurz hintereinander erteilten Startfreigaben geschaffen worden war. Vielmehr muss davon ausgegangen werden, dass die Einleitung eines Startabbruch der Besatzung von D. im Zeitpunkt des Abbruchbefehls des Beschuldigten zu einer erheblichen Gefährdung der Insassen dieses Flugzeugs geführt hätte.

        2. Zwar kann ausgeschlossen werden, dass das Flugzeug über den Rand der Piste 28 hinausgekommen wäre, da diese Piste - nach der Kreuzung mit Piste 26 - noch einmal mehr als 800 Meter lang ist (vgl. hiezu die im Ergebnis insofern zu teilenden Ausführungen der Vorinstanz in Urk. 84 S. 29 samt

          Illustration). Dass sich diese Gefahr nicht realisiert hätte, ist aber im vorliegenden Fall (entgegen der Auffassung der Vorinstanz, a.a.O.) nicht entscheidend.

        3. Wesentlich ist vielmehr, dass einem Startabbruch nach Überschreiten der Schwelle der Entscheidungsgeschwindigkeit v1 auch abgesehen von einem möglichen über die Piste-Hinausrollen ein hohes Unfallrisiko innewohnt, geht dies doch aus den entsprechenden, vorstehend erwähnten Ausführungen des Gutachters B. jedenfalls implizit hervor, hat dieser doch das Hinausrollen über das Pistenende nur beispielhaft als ein zu schweren Unfällen führendes Risiko genannt hat. Auch als technischer Laie darf im Lichte der gutachterlichen Ausführungen der Schluss gezogen werden, dass ein Flugzeug, das sich nach Erreichen von v1 in einer Dauergleitphase befindet und kurz davor ist, die Rotationsgeschwindigkeit zu erreichen und sich vom Boden abzuheben, bei einem Startabbruch weit gravierenderen und weniger kontrollierbaren Kräften ausgesetzt ist, als ein Flugzeug mit einer Geschwindigkeit (unmittelbar) vor diesem gutachterlich als ganz harte Schwelle bezeichneten Geschwindigkeitswert v1. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang auch, dass sich die vom Gutachter abgegebene Geschwindigkeitsschätzung von 140-145 Knoten auf den Zeitpunkt des Abbruchbefehls des Beschuldigten bezieht und deshalb für den rund 2 Sekunden späteren Zeitpunkt der Einleitung des Startabbruches von einer noch höheren, entsprechend noch weiter über der Entscheidungsgeschwindigkeit v1 liegenden Geschwindigkeit ausgegangen werden muss. Aufgrund des Gesagten ist zu folgern, dass bei einem Startabbruch unter solchen Umständen weit stärkere Kräfte auf Mensch und Material (Reifen) einwirken, als bei einem Startabbruch unmittelbar vor dieser Schwelle. Mit der Staatsanwaltschaft (vgl. Urk. 86 S. 16) muss deshalb davon ausgegangen werden, dass ein Startabbruch nach so einer deutlichen Überschreitung der Entscheidungsgeschwindigkeit v1 mit grossen unwägbaren Risiken verbunden gewesen wäre.

        4. Die Argumentation der Vorinstanz (Urk. 84 S. 29 f.), wonach beim hypothetischen Startabbruch auf Befehl des Beschuldigten hin eine konkrete Gefahr für

          Leib und Leben der Passagiere deshalb ausgeschlossen werden könne, weil entsprechendes bereits bei der Beurteilung des tatsächlich erfolgten Startabbruchs zu verneinen gewesen sei, entbehrt deshalb der Logik. Dass der tatsächlich erfolgte Startabbruch zu keinen aktenkundigen Verletzungen der Passagiere und/oder einer Brandgefahr am Flugzeug geführt hat, heisst nicht, dass ein zwei Sekunden später erfolgter Startabbruch unter gravierenderen Voraussetzungen zum nämlichen Resultat geführt hätte. Die Auffassung der Verteidigung sodann, wonach die Geschwindigkeit v1 kein point of no return sei, ist ebenfalls widerlegt, wie bereits dargelegt worden ist (Rz 85).

        5. Der Gutachter unterscheidet in seinen Ausführungen klar zwischen dem tatsächlich erfolgten Startabbruch unmittelbar vor Erreichen des Schwellenwerts v1, den er als risikolos ansah (vgl. Rz 84 und 86), und dem hypothetisch zu beurteilenden Startabbruch über dieser Schwelle, den er als mit einem schweren Unfallrisiko behaftet erachtete.

        6. Art. 237 StGB verlangt nicht eine erhebliche, sondern lediglich eine ernsthafte Gefährdung. Entsprechend muss nicht bewiesen werden, dass es bei einem Startabbruch auf den Abbruchsbefehl des Beschuldigten hin mit besonders hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Verletzung von Passagieren des Flugzeugs D. gekommen wäre. Ausreichend ist, wenn ernsthaft davon ausgegangen werden muss, dass es zu Verletzungen hätte kommen können. Die Annahme, dass ein Startabbruch über der Entscheidungsgeschwindigkeit v1 (zumindest) das ernstzunehmende Potential aufweist, die Flugzeuginsassen an Leib und Leben zu verletzen, darf und muss im Lichte der gutachterlichen Ausführungen getroffen werden, andernfalls das Aufstellen einer solch harten Schwelle bzw. die Statuierung des grundsätzlichen Verbots eines Startabbruchs hinter dieser Schwelle letztlich keinen Sinn machen würde.

        7. Das Vorliegen einer konkreten Gefahr ist deshalb zu bejahen für den hier geprüften Fall, dass das Flugzeug D. einen Startabbruch auf den Abbruchbefehl des Beschuldigten hin vorgenommen hätte.

        8. Der Vorhalt an den Beschuldigten, dass ein auf seinen realen Abbruchbefehl getätigter hypothetischer Startabbruch naheliegenderweise zu einer konkreten Gefährdung geführt hätte, darf gemacht werden, auch wenn er in der Anklage nicht umschrieben ist, da er vom allgemein eingeklagten Vorwurf mit umfasst ist und der etwas früher erfolgte tatsächliche Startabbruch dem Zufall zu verdanken ist (vgl. Rz 27 f.).

        9. Ob dieser konkrete Gefährdungserfolg für den Beschuldigten vorhersehbar war, ist weiter unten zu prüfen (vgl. nachstehend Rz 194 ff.).

        10. Hinzu kommt im Übrigen, dass das Flugzeug D. bei einem Startabbruch auf Befehl des Beschuldigten hin im Unterschied zum tatsächlich erfolgten Startabbruch - nicht vor der Pistenkreuzung zum Stillstand, sondern weit über das Pistenkreuz hinaus geraten wäre. Nach der Berechnung der Vorinstanz (Urk. 84 S. 28) wäre D. erst rund 300 Meter hinter dem Pistenkreuz zum Stehen gekommen. Wie exakt diese Rechnung letztlich ist, kann offen gelassen werden. Fest steht auf jeden Fall, dass durch das über die Pistenkreuzung Hinausgeraten zumindest ein gewisses Kollisionsrisiko für die Flugzeuge D. und F. bestanden hätte. Dieses Kollisionsrisiko hätte die Gefährdung für Leib und Leben der Insassen des Flugzeugs D. , welche durch den Startabbruch geschaffen wurde und bereits per se als konkrete Gefährdung im Sinne von Art. 238 StGB zu qualifizieren ist, zusätzlich erhöht, und darüber hinaus auch eine gewisse Gefährdung für die Insassen des Flugzeugs F. geschaffen.

        11. Hinsichtlich dieses Kollisionsrisikos anlässlich eines Startabbruchs von

          D. auf Befehl des Beschuldigten hin kann vorerst weiter gesagt werden, dass es jedenfalls geringer gewesen wäre, als das Kollisionsrisiko, das bestanden hätte, wenn der Startlauf des Flugzeugs D. fortgesetzt worden wäre, da dieses Flugzeug bei einem Startabbruch mit verzögerter Geschwindigkeit über das Pistenkreuz geraten wäre und damit eine grössere Entfernung zwischen den zwei Flugzeugen bestanden hätte, als bei beidseitig fortgesetzten Startläufen.

      6. Gefährdungspotenzial bei einem fortgesetzten Startlauf beider Flugzeuge

  1. Zu prüfen ist nun, zu welchem Gefährdungspotenzial es gekommen wäre, wenn die Crew von Flugzeug D. den Startlauf nach Erhalt des Startabbruchbefehls des Beschuldigten nicht abgebrochen, sondern fortgesetzt hätte.

  2. Die Anklage wirft dem Beschuldigten für diesen hypothetischen Erfolgsfall, der ein entscheidungsrelevantes Szenario darstellt (vgl. Rz 27), vor, dass die Einwirkungen von Randwirbeln und des Abgasstrahls des Flugzeugs F. potenziell dazu hätten führen können, dass das startende Flugzeug D. ausser Kontrolle geraten wäre, wobei dieser Kontrollverlust mit grosser Wahrscheinlichkeit die Verletzung Tötung von Menschen zur Folge gehabt hätte (Urk. 17 S. 3). Sie stützt ihren Vorwurf auf das Gutachten B. und seine Ergänzungen.

  3. Im ursprünglichen Gutachten wird das Folgende ausgeführt (Gutachten B. , Urk. 7/6 S. 5 f.):

    Die Wahrscheinlichkeit, dass D. , anders als passiert, aber ebenso korrekt, den Start fortgesetzt hätte, ist daher gegeben.

    Der genaue Zeitpunkt des Beginns des Startlaufes und damit der Nullpunkt der sich schneidenden Zeitachsen des Start von F. und D. fällt nicht mit der Erteilung der Startfreigabe durch den Verkehrsleiter zusammen. Für beide Startläufe muss darum aus der Sicht des Verkehrsleiters ein Zeitfenster als Anfang des Startlaufs angenommen werden.

    Des weiteren muss die Extrapolation des resultierenden Flugweges von D. zwangsläufig eine Bandbreite aufweisen, da auch in der Phase des Abhebens und zu Beginn des Steigflugs variable Parameter vorhanden sind (Steuereingabe des Piloten, Steigrate, Zeitpunkt des Einfahrens des Fahrwerks etc.).

    Unter Berücksichtigung der Variablen muss für den Fall, dass beide Flugzeuge den Start fortgesetzt hätten, von einem hohen Kollisionsrisiko ausgegangen werden.

    Selbst ohne physische Kollision hätten die Effekte der Randwirbel (Wake Vortex) und/oder Treibwerkstrahl (jet blast) der einen Maschine die andere in Gefahr bringen können. Kurz nach dem Abheben befindet sich ein Flugzeug in seiner kriti-

    schen Flugphase; in der allerersten Beschleunigungsphase ist es nur sehr eingeschränkt steuerbar, Ausweichmanöver sind praktisch unmöglich resp. sie bergen die Gefahr eines Kontrollverlustes. Die Folgen einer Kollision wären unabsehbar gewesen. Nicht nur hätten beide Maschinen abstürzen können. Trümmerteile hätten rollende, abgestellte, leere besetzte Flugzeuge auch Gebäude treffen können. Der projizierte Ort befindet sich im Bereich des Zentrums des Flughafens.

  4. In seiner ersten Ergänzung zum Gutachten präzisiert der Gutachter B. (u.a.) seine Ausführungen wie folgt (Ergänzung 1 zum Gutachten B. , Urk. 8/10 S. 3 f.):

    aa) Es wäre bei beidseitiger Startfortsetzung nicht zur Kollision gekommen. [ ]

    Die Flugzeuge hätten sich [im Falle des Szenarios aa) Urteilsredaktion] mit einer lateralen Distanz von 200 Metern (Flugzeugzentrum) und 40 Metern vertikalem Abstand gekreuzt.

    [ ]

    Aus der Darstellung des Szenarios mit der Kreuzung von D. kurz hinter F. wird ersichtlich, dass [ ] D. mit grösster Wahrscheinlichkeit den Einflüssen von Randwirbeln und des jet blast von F. ausgesetzt gewesen

    wäre. Obwohl beide Flugzeuge typengleich sind und der gleichen Gewichtsklasse (medium) angehören, wäre ein erhebliches Gefährdungspotential entstanden. Annäherungen resp. Kreuzungen in derart geringer Entfernung sind bei Kriterien für Flugzeugstaffelung weder vorgesehen noch berücksichtigt. Randwirbel und Abgasstrahl hätten das energetische Potential, um das startende, in kleiner Distanz kreuzende Flugzeug (kurz nach Abheben, Fahrwerk noch ausgefahren, kritische Geschwindigkeit, geringe Leistungsreserve) zum Kontrollverlust zu bringen. Der unkontrollierte Flugzeugzustand kurz nach dem Abheben hätte mit grosser Wahrscheinlichkeit die Verletzung Tötung von Menschen zur Folge.

  5. In seiner zweiten Ergänzung zum Gutachten nimmt der Gutachter B. (u.a.) die folgende Präzisierung seines Standpunkts vor (Ergänzung 2 zum Gutachten B. , Urk. 9/3 S. 8 f.):

    Hätte D. den Start fortgesetzt, hätte das Flugzeug den Kreuzungspunkt der Abflugachse von F. auf einer Höhe von 21 Metern über Grund (66 ft) über-

    flogen. An derselben Stelle befand sich F. vier Sekunden vorher auf 15 Metern über Grund (45 ft).

    Beim Überfliegen des Kreuzpunktes durch D. betrug die horizontale Distanz zur wegfliegenden F. 370 Meter.

    Die Wirbelschleppe von F. wäre voll ausgebildet gewesen und hätte sich im Bodeneffekt befunden. Angesichts des Durchmessers der Wirbelschleppe hätte D. die beiden Wirbel annähernd rechtwinklig durchfolgen und wäre dabei schlagartigen Nickmomenten ausgesetzt gewesen.

    [ ]

    Der jet blast hätte wohl nicht das energetische Potential gehabt, ein fatales Ereignis auszulösen. In der Kombination mit den Auswirkungen der Wirbelschleppen hätte er immerhin geeignet sein können, die Retablierung der Situation zu erschweren.

  6. Die Verteidigung bestreitet gestützt auf die von ihr veranlassten Privatgutachten die Ausführungen des Gutachters in substantiierter Form im Wesentlichen lediglich in zwei Punkten (vgl. hiezu schon Rz 30 ff.):

  7. Zum Einen stellt sie sich auf den Standpunkt, dass durch den jet blast (den Triebwerkstrahl von F. ) keine konkrete Gefährdung für das (den Startlauf ausführende) Flugzeug D. ausgegangen wäre. Das Privatgutachten K. (Urk. 33/5 S. 10 ff.) habe diesbezüglich fundiert dargelegt, dass der jet blast von F. selbst im gravierendsten möglichen Fall nur eine niedrige Spitzenstärke von ca. 22 Knoten aufweisen würde. Selbst der Gutachter

    B. habe in seiner Ergänzung 2 zum Gutachten relativierend einräumen müssen, dass vom jet blast nur eine geringe Energie ausgegangen sei. Das Privatgutachten K. _ habe weiter gezeigt (a.a.O. S. 12 f), dass die jet blast-Strömungsbereiche aufgrund der Startwinkelneigung von F. deutlich unterhalb der (hypothetischen) Flugbahn von D. gelegen hätten. Und selbst wenn das Flugzeug D. in diese Strömungsbereiche gelangt wäre, hätte sie diese innert 0.12 Sekunden durchflogen gehabt, wobei eine Maximalenergie von 22 Knoten von einem Verkehrsflugzeug vom Typ des Flugzeugs D. problemlos bewältigbar sei (Urk. 71 S. 7).

  8. Zum Andern verneint die Verteidigung eine konkrete Gefährdung durch wake turbulences (Wirbelschleppen). Was die Wirbelschleppen anbelange, werde gleich von zwei hochanerkannten Experten aus dem weltweit kleinen Kreis der Sachverständigen hinsichtlich wake turbulences, nämlich den Verfassern des Privatgutachtens K. (Urk. 33/5 S. 4 ff, bes. S.9) und des Privatgutachtens J. (Urk. 33/4 S. 15 ff.) festgehalten, dass weder Sachen noch Personen gefährdet gewesen wären, wenn D. seinen Startlauf fortgesetzt hätte. In diesen Gutachten werde (u.a.) ausgeführt, dass das Flugzeug D. gegenüber Einflüssen von wake turbulences besonders robust gewesen sei, weil es sich in der Startphase mit maximalem Schub befunden hätte. Auch werde festgehalten, dass ein Airbus-Flugzeug wie D. ausserordentlich gut entwickelte und schnell reagierende Stabilisierungssysteme aufweisen würde. Weiter sei zu beachten, dass D. den Pistenkreuzungspunkt gemäss beispielsweise dem SUST Videoclip Nr. 3 (gemeint wohl: gemäss dem Video der Beilage 1 zur Ergänzung 1 zum Gutachten B. , Urk. 8/11) rund 5 Sekunden nach F. erreicht und die Distanz zwischen den beiden Flugzeugen in diesem Moment gemäss der Ergänzung 2 zum Gutachten B. 370 Meter betragen hätte. Unter diesen Voraussetzungen hätten sich die von F. erzeugten Wirbelschleppen gemäss den Gutachten noch in der Aufrollphase befunden und somit nur geringe energetische Kräfte entfaltet (Urk. 71 S. 7 ff.).

  9. Die Verteidigung zieht das Fazit, dass angesichts dieser Gesichtspunkte bezüglich jet blast und wake turbulences beim angeklagten Vorfall eine Verletzung von Menschen im Grade einer Körperverletzung höchst unwahrscheinlich gewesen sei. Anhand der in den Privatgutachten aufgeführten physikalisch-aerodynamischen Erwägungen, Berechnungen und Modellierungen sei deshalb bewiesen, dass selbst bei einer Fortsetzung des Startlaufs von

    D. keine konkrete Gefährdung im Sinne von Art. 237 StGB vorgelegen habe (Urk. 71 S. 10). Im Berufungsverfahren hielt die Verteidigung an diesem Standpunkt fest (Urk. 97 S. 23 unten).

  10. Der Streitpunkt zwischen dem amtlichen Gutachter B. und den Privatgutachtern besteht demnach gemäss den Ausführungen der Verteidigung im Wesentlichen in der Frage der Auswirkungen des jet blast und der wake turbulences in einem bestimmten starren Szenario. Dieses Szenario beruht auf der Voraussetzung der tatsächlich erfolgten Starteinleitungen durch F. um 11:43:12 UTC und durch D. _ kurz nach 11:43:05 UTC und der sich daraus ergebenden horizontalen Distanz von 370 Metern und vertikalen Distanz von 44 Metern zwischen den beiden Flugzeugen im Zeitpunkt der Überquerung des Pistenkreuzes durch Flugzeug F. (was gemäss der Angabe auf der Abbildung zu 4.2 in der Ergänzung 2 vom 6. Februar 2014 zum Gutachten B. im Zeitpunkt 11:43:55 geschah, vgl. Urk. 9/3 Blatt 8).

  11. Unter Zugrundlegung dieser Ausgangsparameter geht der amtliche Gutachter davon aus, dass zwar wohl nicht schon der jet blast alleine, indes seine Kombination mit den Auswirkungen der Wirbelschleppen mit grosser Wahrscheinlichkeit einen Kontrollverlust des Flugzeugs D. mit entsprechenden fatalen Konsequenzen herbeizuführen vermocht hätte. Derweil ist der Verteidiger gestützt auf die Privatgutachten der gegenteiligen Auffassung, dass sowohl der jet blast als solcher als auch die wake turbulences als solche (sowie auch eine Kombination der beiden Phänomene) nur ein vernachlässigbares Risiko dargestellt hätten und einen Kontrollverlust höchst unwahrscheinlich hätten machen lassen.

  12. Welche der beiden Auffassungen die zutreffende ist, kann letztlich aufgrund der divergierenden Expertenmeinungen anhand der vorliegenden Akten nicht entschieden werden. Auch wenn es sich bei den von der Verteidigung berücksichtigten Gutachten um Privatgutachten handelt, können diese nicht ohne Weiteres als blosse Gefälligkeitsgutachten verworfen werden, wurden diese doch von durchaus erfahrenen Sachverständigen ausgearbeitet (vgl. diesbezüglich die von der Verteidigung eingereichten Lebensläufe derselben, Urk. 33/1 und 33/3). Ob das Risiko eines Kontrollverlusts als vernachlässigbar, ernsthaft gar erheblich zu qualifizieren, liesse sich aufgrund der divergierenden Expertenmeinungen wohl, wenn überhaupt, nur mittels einem amtlichen Zweitgutachten beantworten.

  13. Die Einholung eines solchen Zweitgutachtens die Befragung weiterer Experten wie dies seitens der Verteidigung beantragt wurde (vgl. Rz 5) kann indes unterbleiben, da es auf die genaue Beantwortung dieser spezifischen, an ein bestimmtes starres Szenario gebundenen Frage letztlich nicht ankommt. Zu Gunsten des Beschuldigten ist durchaus davon auszugehen, dass es unter den erwähnten Parametern mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht zu einem Kontrollverlust des Flugzeugs D. gekommen wäre.

  14. Für das Szenario, dass das Flugzeug D. seinen Startlauf auf den realiter erfolgten Abbruchbefehl des Beschuldigten hin nicht abgebrochen, sondern fortgesetzt hätte, kann demnach eine konkrete Gefahr nicht bejaht werden.

  15. Wie bereits dargetan wurde, ist jedoch mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die Crew von D. auf den autoritativen und dringenden Abbruchbefehl des Beschuldigten hin den Start abgebrochen hätte, und es bei diesem Startabbruch, aufgrund der deutlich über v1 liegenden Geschwindigkeit des Flugzeugs mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Verletzung von Leib und Leben (mindestens einiger) der Fluginsassen gekommen wäre (Ziff. 4.2.4. und 4.2.5., Rz 82 ff.). Eine konkrete Gefahr im Sinne von Art. 237 StGB ist damit zumindest für dieses - nach dem normalen Gang der Dinge objektiv naheliegendes und adäquat kausal auf den Beschuldigten zurückzuführendes - Szenario erstellt.

    4.3. Fazit Gefährdungserfolg

  16. Die vom Beschuldigten kurz hintereinander erteilten Startfreigaben für die Flugzeuge F. und D. haben zu einem tatsächlichen Geschehen geführt, welches aufgrund des von der Besatzung des Flugzeugs tatsächlich D. vorgenommenen Startabbruchs - nicht zu einer konkreten Verletzung an Leib und Leben von Menschen geführt haben. Dieser besonnene

und reaktionsschnelle Startabbruch, bzw. die unmittelbar zuvor erfolgte Entdeckung des Flugzeugs F. durch die Besatzung des Flugzeugs

D. ist indes auf einen Zufall im Sinne der Rechtsprechung zurückzuführen. Der Beschuldigte kann deshalb aus dem glimpflichen Ausgang des tatsächlichen Geschehens nichts zu seinen Gunsten ableiten.

Wäre es nicht zu diesem Startabbruch gekommen, hätte das Geschehen nach dem hypothetisch erwartbaren normalen Gang der Dinge den folgenden Verlauf genommen: Der Beschuldigte befahl zwei Sekunden später selber einen Startabbruch, der nicht als Zufall gewertet werden kann. Dieser Befehl erfolgte indes zu einem Zeitpunkt, in welchem sich das Flugzeug mit einer Geschwindigkeit über v1 bewegte. Ein auf diesen Befehl reagierender Startabbruch wäre demnach bei einer Geschwindigkeit eingeleitet worden, die wesentlich über der Entscheidungsgeschwindigkeit v1 lag, bei einer Geschwindigkeit demnach, bei welcher ein Startabbruch aufgrund des damit verbundenen hohen Unfallrisikos grundsätzlich untersagt war. Da die Besatzung von

D. aus ihrer Sicht vor dem Dilemma gestanden wäre, entweder den Startabbruch denn zu probieren, andernfalls das Risiko einzugehen, mit dem kreuzenden Flugzeug F. zu kollidieren, muss davon ausgegangen werden, dass sie sich mit überwiegender Wahrscheinlichkeit für den Startabbruch entschieden hätte. Dieser wäre mit einem hohen Verletzungsrisiko der Insassen von D. verbunden gewesen.

Unter diesem Szenario ist deshalb zu bejahen, dass die vom Beschuldigten kurz hintereinander ausgelösten zwei Startbewilligungen das Tatbestandsmerkmal der konkreten Gefahr im Sinne von Art. 237 StGB geschaffen hatten. Denn es bestand bereits zu diesem Zeitpunkt das ernstzunehmende Risiko, dass sich das Geschehen nach dem normalen Gang der Dinge so, wie vorstehend beschrieben, entwickeln und in einem hochgefährlichen Startabbruch bei zu hoher Geschwindigkeit münden könnte.

Dem steht nicht entgegen, dass es bei einer Nichtvornahme eines solchen Startabbruchs bzw. bei einer Fortsetzung der Startläufe beider Flugzeuge zu einer Kreuzung derselben mit einem horizontalen Abstand von 370 Metern

gekommen wäre, und diesfalls was zu Gunsten des Beschuldigten anzunehmen ist - das Risiko eines Kontrollverlustes des Flugzeugs D. , ausgelöst durch jet blast und wake turbulences des Flugzeugs F. , als eher gering anzunehmen ist.

  1. Sorgfaltspflichtverletzung

    1. Relevante Verhaltensnormen

      1. Wie gesagt setzt eine fahrlässige Deliktsbegehung voraus, dass der Täter Sorgfaltspflichten verletzt hat, wobei sich das Mass der zu beachtenden Sorgfalt in erster Linie nach einschlägigen Vorschriften bestimmt (Rz 13).

      2. Für die Tätigkeit von Fluglotsen bestehen Verhaltensanweisungen. Betreffend die für den vorliegenden Fall relevanten Verhaltensanweisungen holte das erstinstanzliche Gericht ein Gutachten ein. Dieses Gutachten C. _

        (Urk. 52) entspricht formell und inhaltlich den gesetzlichen Voraussetzungen, ist vollständig, klar, widerspruchsfrei und inhaltlich nachvollziehbar. Auch blieb es unbestritten. Auf das Gutachten C. ist somit abzustellen.

      3. Verhaltensanweisungen für Fluglotsen am Flughafen Zürich und somit für den Beschuldigten finden sich laut Gutachten C. in gesetzlichen Normen und in generellen Dienstanweisungen der Skyguide. Hinsichtlich der gesetzlichen Normen stehen die Regelungen und Empfehlungen der Internationalen Zivilluftfahrt-Organisation (International Civil Aviation Organisation, ICAO) im Vordergrund. Dabei handelt es sich um internationale Regelungen, die mit den zugehörigen technischen Vorschriften (wie z.B. ICAO Doc 4444) gemäss Art. 3 Abs. 1 der Verordnung über den Flugsicherungsdienst (VFSD, SR 748.132.1) unmittelbar anwendbar (self executing) sind, sofern sie genügend präzise formuliert sind (vgl. Urk. 52 S. 1). Als generelle Dienstanweisungen massgebend sind das Air Traffic Management Manual Schweiz (nachfolgend ATMM CH) sowie das Air Traffic Management Manual Local (nachfolgend ATMM II). Bei diesen Manuals handelt es sich gemäss dem Gutachten nicht

      um Regelwerke im Sinne von öffentlich-rechtlichen Normen. Ein Fluglotse ist aufgrund seines Arbeitsverhältnisses jedoch verpflichtet, sich an die Dienstanweisungen zu halten (vgl. a.a.O. S. 2). Weiter können sich Verhaltensanweisungen auch aus kurzfristigen internen Dienstanweisungen (sog. Service Orders) ergeben, die entweder zeitlich beschränkt sind mit der nächsten Anpassung in die Air Traffic Management Manuals integriert werden. Bei diesen Dienstanweisungen handelt es sich um blosse arbeitsvertragliche Abmachungen, weshalb ihnen zwingendes öffentliches Luftrecht, also etwa die Normen der ICAO, vorgeht (vgl. a.a.O. S. 2).

    2. Pflichtwidriges Verhalten

  1. Die Anklageschrift wirft dem Beschuldigten erstens vor, als Flugverkehrsleiter pflichtwidrig die ununterbrochene Beobachtung (continuous watch) aller Bewegungen gemäss ICAO Doc 4444 7.1.1.2 nicht aufrecht erhalten, sondern sich dem Studium des Flugprogramms des Navigationsmessflugs gewidmet zu haben (Urk. 17 S. 3; Urk. 69 S. 4). Zweitens wirft die Staatsanwaltschaft dem Beschuldigten vor, als Flugverkehrsleiter ADC dem Flugzeug D. pflichtwidrig die Startfreigabe erteilt zu haben, obwohl nicht mit hinreichender Sicherheit festgestanden habe, dass die nötige Separation gemäss ICAO Doc 4444 7.9.3.1 zum Zeitpunkt des Beginns des Startlaufs gegeben gewesen sei. Die Separation wäre gemäss der Anklageschrift dann gegeben gewesen, wenn F. die Pistenkreuzung 16/28 zum Zeitpunkt der Startfreigabe an D. bereits überflogen gehabt hätte (Urk. 17 S. 3, Urk. 69 S. 6). Auf diese dem Beschuldigten vorgeworfenen zwei Pflichtverletzungen ist nachfolgend näher einzugehen.

        1. Verletzung der Pflicht gemäss ICAO Doc 4444 7.1.1.2

  2. Inhalt der Pflicht des continuous watch :

    Der für die Pflicht zum continuous watch massgebliche Auszug aus der Regelung von ICAO Doc 4444 7.1.1.2 lautet folgendermassen:

    Aerodrome controllers shall maintain a continuous watch on all flight operations on and in the vicinity of an aerodrome as well as vehicles and

    personnel on the manoeuvring area. Watch shall be maintained by visual observation, augmented in low visibility conditions by radar, when available. Traffic shall be controlled in accordance with the procedures set forth herein and all aplicable traffic rules specified by the appropriate ATS authority. [ ].

  3. Der continuous watch hat sich gemäss diesem Wortlaut auf alle Flugbewegungen auf und im Sichtbereich des Flughafens sowie auf Fahrzeuge und Personal im Bewegungsbereich der Flugzeuge zu beziehen (on all flight operations on and in the vicinity of an aerodrome as well as vehicles and personnel on the manoeuvring area) und erfolgt durch visuelle Beobachtung, bei schlechten Sichtverhältnissen sofern vorhanden - unter Zusatznutzen des Radars (by visual observation, augmented in low visibility conditions by radar, when available). Schliesslich statuiert die Vorschrift, dass die Überwachung in Übereinstimmung mit den weiteren, auch von der nationalen Flugsicherung erlassenen Vorschriften stattfinden soll (Traffic shall be controlled in accordance with the procedures set forth herein and all aplicable traffic rules specified by the appropriate ATS authority).

  4. Die Vorschrift enthält damit detaillierte Handlungsanweisungen und entsprechend diesem Detailierungsgrad erscheint die Pflicht zum continuous watch als präzise Handlungsanweisung. Die Regelung von ICAO Doc 4444 7.1.1.2 stellt eine internationale Norm und damit öffentliches Recht dar. Die Vorschrift ist deshalb gestützt auf Art. 3 Abs. 1 VFSD als unmittelbar anwendbar (selfexecuting) anzusehen (vgl. Rz 118). Ein nicht den Anforderungen der Regelung genügender continuous watch vermag somit eine Sorgfaltspflichtverletzung zu begründen.

  5. Gemäss dem Gutachten C. hat der Begriff continuous watch keine allgemein gültige Definition, sondern ist ortssowie situationsbezogen auszulegen. Aufgabe des Flugverkehrsleiters sei es, im Rahmen seiner Tätigkeit zu priorisieren, wofür und wie lange er seine Aufmerksamkeit verwende, um im Hinblick auf seinen Auftrag genügend Informationen zu sammeln. So habe der Flugverkehrsleiter alle Flugoperationen, Fahrzeuge und Personen dauernd durch visuelle Beobachtung (Hinausschauen) zu überwachen. Flugverkehrsleiter sollten das Gesamtbild im Kopf haben und kontinuierlich visuell überprüfen, ob ihr mentales Bild mit der tatsächlichen Verkehrssituation übereinstimmt. Zudem sollte die Entwicklung der Verkehrssituation stets im Auge behalten werden, weshalb der Flugverkehrsleiter keine Unterbrechungen vornehmen dürfe, durch welche der Ablauf verpasst respektive aus den Augen verloren ginge. Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, müsse der Flugverkehrsleiter ADC deshalb den Verkehr seines Zuständigkeitsbereichs kontinuierlich scannen und die Prioritäten bestmöglich setzen. Entsprechend habe er fortlaufend zu entscheiden, wofür und wie lange er seine Aufmerksamkeit verwende, um das Gesamtbild nicht zu verlieren. Gehe dieses Gesamtbild verloren sei eine sichere Auftragserfüllung subjektiv objektiv sonst wie nicht mehr möglich, müsse (gemäss § 4.4 Section 2 Administration ATMM CH) der Betrieb eingeschränkt eine andere geeignete Massnahme ergriffen werden, bis wieder eine sichere Auftragserfüllung gewährleistet sei (vgl. Urk. 52 S. 7 f.).

  6. Das Gutachten B. hält hinsichtlich des Begriff continuous watch fest, dass daraus die Pflicht einer ununterbrochenen Beobachtung durch Hinausschauen abzuleiten sei (Urk. 7/6 Ziff. 4.1.2). Anlässlich seiner Befragung vor Vorinstanz gab der Gutachter B. _ ergänzend an, dass der Begriff continuous watch wörtlich zu verstehen sei. Es gehe darum, dass irgend jemand schaue und sehe, was sich abspiele. Dass im vorliegenden Fall der Beschuldigte seinen Blick auch den Unterlagen betreffend den zeitgleich durchgeführten Vermessungsflug zugewandt habe, sei seiner Meinung nach durch die Vorschrift des continuous watch nicht gedeckt, auch wenn es nachvollziehbar sei, dass sich der Flugverkehrsleiter auf diese spezielle Situation habe vorbereiten wollen. Die Situation sei vergleichbar mit jener zum Telefonieren beim Autofahren. Man könne seine Aufmerksamkeit nicht gleichzeitig an mehreren Orten, nicht gleichzeitig überall haben. Seiner Meinung nach sei eine solche Situation durch das Team zu lösen, also durch andere Personen resp. mehrere Personen zusammen (vgl. Urk. 36 S. 10). Auf Ergänzungsfrage der Verteidigung, wonach eine ununterbrochene Beobachtung gemäss den Privatgutachten bei einer Grösse und Komplexität wie in Zürich als unmöglich taxiert werde, antwortete der Gutachter B. , hinsichtlich des reines Beobachtens könne er dieser Einschätzung zustimmen, nicht aber hinsichtlich des die Situation im Kopf-Behaltens. Man müsse (beispielsweise) wissen, dass ein Flugzeug am Landen sei und einem anderen 'clearance' erteilt worden sei

    (a.a.O. S. 50).

  7. Der Vorinstanz ist zu folgen, dass nachfolgend (primär) auf die Definition des Begriffs gemäss dem Gutachten C. abzustellen ist, da diese ausführlicher und differenzierter ausgefallen ist.

  8. Entgegen den erstinstanzlichen Erwägungen (Urk. 84 S. 37 f.) ist allerdings festzuhalten, dass ein Widerspruch zwischen den Auslegungen der Vorschrift von ICAO Doc 4444 7.1.1.2 durch das Gutachten C. und den Gutachter B. in der Sache letztlich nicht auszumachen ist. Beide halten übereinstimmend fest, dass der Flugverkehrsleiter aufgrund der Pflicht zum continuous watch (u.a.) alle Flugoperationen dauernd durch visuelle Beobachtung im Sinne von Hinausschauen zu überwachen habe. Wenn sodann das Gutachten C. ergänzend festhält, dass der Flugverkehrsleiter keine Unterbrechungen vornehmen dürfe, durch welche der Ablauf verpasst respektive aus den Augen verloren geht, so entspricht das im Resultat der (sinngemässen) Aussage des Gutachters B. , dass eine ununterbrochene Beobachtung bei einer Grösse und Komplexität wie in Zürich Ausnahmen im Sinne des reinen Beobachtens, nicht aber im Sinne eines die Situation im KopfBehaltens erlaube. Aus beiden Interpretationen folgt somit übereinstimmend, dass ein Flugverkehrsleiter den continuous watch nur insoweit unterbrechen darf, soweit dadurch der Überblick über den Ablauf der flugverkehrsrelevanten Bewegungen nicht verloren geht. Aus beiden Expertenmeinungen geht sodann übereinstimmend hervor, dass bei einer drohenden Beeinträchtigung der notwendigen Aufmerksamkeit zur Beibehaltung des Gesamtbildes geeignete Massnahmen ergriffen werden müssen (sei es die Einschränkung des Betriebs die Aufteilung der Aufgaben auf mehrere Personen im Team), bis eine sichere Auftragserfüllung wieder möglich sei.

  9. Nicht nur das Gutachten C. , auch der Gutachter B. anerkennt somit letztlich, dass die Anforderungen an die Pflicht des continuous watch ortsund situationsbezogen auszulegen sind. Die Meinung dieser zwei Experten deckt sich sodann auch mit der internen Auffassung der Personen der I- CAO (vgl. Urk. 52 S. 7), welche die Vorschrift ausgearbeitet haben.

  10. Dass dem Beschuldigten der nach dieser Auslegung umrissene Inhalt der Vorschrift von ICAO Doc 4444 7.1.1.2 bekannt war, ergibt sich aus dessen Aussagen: Continuous watch heisse seiner Meinung nach nicht ununterbrochen, sondern kontinuierlich. Dass ein Flugverkehrsleiter vergesse, dass er kurz zuvor einem ersten Flugzeug auf einer kreuzenden Piste die Startfreigabe erteilt habe bzw. einem zweiten Flugzeug darauf die Starterlaubnis erteile

    - (also in den Worten der Gutachter C. und B. _ die Gesamtsituation aus dem Kopf verloren hat) -, sollte nicht vorkommen bzw. sei nicht korrekt (Urk. 4 S. S. 4). Aus weiteren Aussagen des Beschuldigten geht in Übereinstimmung mit den Aussagen des Zeugen M. (bis 2013 Flugverkehrsleiter bei Skyguide am Flughafen Zürich, aktuell Flugverkehrsleiter am Flughafen , vgl. Urk. 13/3 S. 2) hervor, dass die Ausübung des continuous watch verkehrsabhängig sei und sich die Situation und damit auch die Anforderungen an den continuous watch innert Sekunden ändern könnten (Urk. 37 S. 33 und Urk. 13/3 S. 7).

  11. Die Vorschrift des continuous watch steht im Einklang mit Art. 12 Abs. 3 StGB, wonach stets die nach den Umständen gebotene Vorsicht aufzuwenden ist.

  12. Sorgfaltspflichtverletzung in objektiver Hinsicht:

    Zur Beurteilung, ob der Beschuldigte die Vorschrift des continuous watch objektiv verletzt hat, ist demgemäss einerseits auf die lokalen Besonderheiten des Flughafens Zürich und andererseits auch auf die konkrete Situation anlässlich des vorliegend zu beurteilenden Airprox abzustellen.

  13. Hinsichtlich der (generellen) lokalen Besonderheiten des Flughafens Zürich geht aus dem Schlussbericht SUST hervor, dass sich dieser Flughafen Zürich

    in einem komplexen Umfeld bewegt, das eine Herausforderung für einen sicheren Betrieb darstelle. Hervorzuheben ist insbesondere der Umstand, dass Abflüge gleichzeitig auf den sich kreuzenden Pisten 16 und 28 stattfinden können. Dieses Betriebskonzept hat gemäss dem Schlussbericht SUST bei einem hohen Verkehrsaufkommen eine nur geringe Fehlertoleranz und stelle eine der Hauptgefahren (top hazards) des Flughafens Zürich dar (Urk. 1

    S. 49; vgl. ferner auch Urk. 26/1 S. 7). Bezüglich der konkreten Situation unmittelbar vor dem Airprox ergibt sich aus dem Schlussbericht SUST, dass ein hohes Verkehrsaufkommen mit erhöhter Komplexität vorlag, gleichzeitige Starts auf den sich kreuzenden Pisten 16 und 28 stattfanden und zudem der Beginn von Vermessungsflügen unmittelbar bevorstand (zu den Vermessungsflügen eingehender nachstehend Rz 145 ff.). Die Frequenzbelastung am Arbeitsplatz des Flugverkehrsleiters ADC war hoch (Urk. 1 S. 49).

  14. Diese Umstände lassen darauf schliessen, dass im Zeitpunkt des Airprox sowohl aufgrund der allgemeinen lokalen Besonderheiten als auch aufgrund der damaligen Verkehrssituation eine intensive Überwachung des Luftverkehrs erforderlich war. Dies wird auch durch das Gutachten C. bestätigt (vgl. Urk. 52 S. 8).

  15. Es ist nachfolgend zu untersuchen, ob der Beschuldigte dieser Pflicht zur intensiven Überwachung rechtsgenügend nachgekommen ist. Die Anklageschrift wirft dem Beschuldigten in diesem Zusammenhang vor, sich anstatt der Beobachtung der Flugbewegungen dem Studium des Flugprogramms der Vermessungsflüge gewidmet zu haben.

  16. Dass sich der Beschuldigte unmittelbar vor dem Airprox mit dem Programm der Vermessungsflüge auseinandergesetzt hat, wird vom Beschuldigten nicht bestritten und ergibt sich auch aus den Akten (vgl. Urk. 4 S. 2; Urk. 5 S. 2).

  17. Wie vorstehend ausgeführt (Rz 120 ff.), folgt aus der Pflicht zum continuous watch, dass der Flugverkehrsleiter jederzeit das Gesamtbild im Kopf zu haben und kontinuierlich zu überprüfen hat, ob dieses mit seinem mentalen Bild übereinstimmt. Inwieweit der Beschuldigte vorliegend eine entsprechende

    Überprüfung vornahm, lässt sich rückwirkend nur anhand seiner Aussagen sowie der weiteren äusseren Umstände bestimmen. Der Beschuldigte erklärte anlässlich der Untersuchung mehrfach, das Flugzeug F. zum Zeitpunkt der Startfreigabe an das Flugzeug D. nicht mehr in seinem mentalen Bild gehabt zu haben. Als Grund hierfür gab er an, sich intensiv mit dem Programm der Vermessungsflüge beschäftigt zu haben (vgl. Urk. 4 S. 3, Urk. 5

    S. 2; vorstehend Rz 13 4). Auch der Schlussbericht SUST nennt dies als einer der Gründe für den Airprox (vgl. Urk. 1 S. 42 f. und S. 50), wobei diese Feststellung auf den Aussagen des Beschuldigten basiert.

  18. Diese Aussagen des Beschuldigten deuten darauf hin, dass er sich zu einseitig auf die Vermessungsflüge konzentrierte, ansonsten er bemerkt hätte bzw. hätte bemerken müssen, dass F. noch nicht gestartet gewesen war, als er D. die Startfreigabe erteilte. Dies muss umso mehr gelten, wenn man die objektiven Umstände berücksichtigt, die im Zeitpunkt des Airprox bestanden. Da ein hohes Verkehrsaufkommen herrschte, das eine entsprechend intensive Überwachung durch die Flugsicherung, mithin durch den Beschuldigten, erforderte, wäre es Aufgabe des Beschuldigten gewesen, neben den Vermessungsflügen auch den übrigen Flugverkehr mit einer derart hohen Sorgfalt zu überwachen, dass gemäss den Ausführungen der Gutachten

    C. und B. zur Vorschrift von ICAO Doc 4444 7.1.1.2 sichergestellt ist, dass er das Gesamtbild jederzeit im Kopf und die Entwicklung der Verkehrssituation stets im Auge behält. Er hätte kontinuierlich visuell überprüfen müssen, ob sein mentales Bild mit der tatsächlichen Verkehrssituation noch übereinstimmt. Der Beschuldigte hätte keine Unterbrechungen vornehmen dürfen, durch welche der Gesamtgeschehensablauf aus den Augen verloren ging (vgl. Rz 123 f.). Der Beschuldigte hätte demnach vor der Startfreigabe an D. sein mentales Gesamtbild anhand der tatsächlichen Situation auffrischen müssen. Indem sich der Beschuldigte intensiv mit dem Programm der Vermessungsflüge auseinandersetzte und das Flugzeug F. aus seinem mentalen Lagebild verlor, hat er eine Unterbrechung der kontinuierlich zu leistenden visuellen Überprüfung vorgenommen, welche dazu führte, dass er das Gesamtbild nicht mehr im Kopf hatte.

  19. Der Beschuldigte hat somit den ortsund situationsgebotenen continuous watch nicht vollständig aufrecht erhalten. In objektiver Hinsicht liegt damit mit der Vorinstanz (Urk. 84 S. 39 ff.) und entgegen der Ansicht der Verteidigung eine Verletzung der Pflicht der Vorschrift von ICAO Doc 4444 7.1.1.2 vor und es ist eine Sorgfaltspflichtsverletzung demnach zu bejahen.

  20. Sorgfaltspflichtverletzung in subjektiver Hinsicht:

    Die Anklage geht sinngemäss davon aus, dass es dem Beschuldigten subjektiv möglich gewesen wäre, der objektiven Pflicht zum continuous watch nachzukommen. Die Verteidigung bringt demgegenüber vor, dass die Anklage die effektiven Lebensvorgänge völlig ausser Acht lasse. Vorliegend sei es dem Beschuldigten gerade aufgrund dieser Vorgänge nicht möglich gewesen, den continuous watch aufrecht zu erhalten (Urk. 71 S. 11 f.; Urk. 97 S. 25ff. und S. 29).

  21. An dieser Stelle ist zu untersuchen, ob es dem Beschuldigten zum Zeitpunkt des Airprox aufgrund der näheren, spezifischen Umstände sowie seiner Kenntnisse und Fähigkeiten möglich gewesen wäre, den continuous watch vollständig aufrecht zu erhalten und damit den Flugverkehr in der Gesamtschau zu überwachen.

  22. Sowohl der Schlussbericht SUST als auch der Report Skyguide (Urk. 13/7) enthalten eine detaillierte Beschreibung der Arbeitsabläufe im Zeitpunkt des Airprox. Der Report Skyguide wurde von Angestellten von Skyguide erstellt und es erscheint deshalb zunächst fraglich, inwieweit dieser parteiunabhängig erstellt wurde. Wie die Vorinstanz zutreffend ausgeführt hat (Urk. 84 S. 41), sind mit Ausnahme der Einschätzung des workload des Beschuldigten keine Widersprüche zum Schlussbericht SUST ersichtlich, weshalb der Report Skyguide als glaubhaft erscheint. Es kann deshalb nachfolgend zur Feststellung der konkreten Umstände auf den Schlussbericht SUST sowie den Report Skyguide abgestellt werden.

  23. Was die damals herrschende Arbeitslast des Beschuldigten (vorerst noch ohne Berücksichtigung der Vermessungsflüge) betrifft, kann mit der Vorinstanz -

    auf deren ausführliche und detaillierte deskriptive Erwägungen kann vorab verwiesen werden (Urk. 84 S. S. 41-45; Art. 82 Abs. 4 StPO) festgestellt werden, dass der Beschuldigte mit einem komplexen und anspruchsvollen Arbeitspensum konfrontiert war; er hatte (u.a.) die Startvorgänge auf den sich zwei kreuzenden Pisten 16 und 28 zu koordinieren (sog. GATO-Koordination), mehreren Flugzeugen gleichzeitig bedingte Auflinierungs-Freigaben zu erteilen (sog. multiple line ups) und dies bei einem hohen Verkehrsaufkommen. Dabei musste der Beschuldigte teilweise in Absprache mit dem Flugverkehrsleiter GRO - die einzelnen Flugüberwachungsaufgaben aufeinander abstimmen und hierbei für sein mentales Lagebild mehrere Punkte und Parameter beachten respektive dieses immer wieder anpassen.

  24. Gleichwohl kann der Umstand der damaligen konkreten Arbeitsbelastung für sich alleine jedoch noch nicht als derart aussergewöhnlich angesehen werden, als dass es dem Beschuldigten nicht mehr möglich gewesen wäre, seiner Pflicht zum continuous watch nachzukommen. Das im relevanten Zeitpunkt herrschende Betriebskonzept Nord, d.h. die Koordination gleichzeitiger Startvorgänge auf den sich überkreuzenden Pisten, kommt gemäss dem Report Skyguide am Flughafen Zürich sehr häufig, nämlich in rund 73% aller Fälle, zur Anwendung (Urk. 13/7 S. 10). Die vom Beschuldigten zu überwachenden Startläufe von D. und F. auf den sich kreuzenden Pisten 16 und 28 stellten für diesen insofern kein ausgewöhnliches Ereignis, sondern vielmehr eine Standardsituation dar. Das Verkehrsaufkommen war im Zeitpunkt des Airprox zwar hoch, entsprach indes laut Schlussbericht SUST der üblichen Situation zur damaligen Tageszeit (Urk. 1 S. 42). Aufgrund dieser Umstände kann mit der Staatsanwaltschaft (Urk. 86 S. 26) der Schluss gezogen werden, dass auch die multiplen line ups hinsichtlich der weiteren Flugzeuge sowie die Einhaltung der Separationsvorschriften gemäss GATO

    14/16-Koordination der Standardbelastung eines Flugverkehrsleiters am Flughafen Zürich zur entsprechenden Tageszeit entsprach. Gemäss dem Schlussbericht SUST verfügte der Beschuldigte im Zeitpunkt des Airprox über eine mehrjährige einschlägige Berufserfahrung und galt als gut bis sehr gut qualifiziert (Urk. 1 S. 18). Eine erfahrene Fachperson wie der Beschuldigte

    muss auch bei hohem Verkehrsaufkommen mit erhöhter Komplexität der Pflicht zum continuous watch nachkommen können.

  25. Vorstehende Schlussfolgerung wird auch nicht dadurch relativiert, dass der Beschuldigte bereits um 06:20 UTC die Arbeit aufgenommen hatte und deshalb wie im Schlussbericht SUST angeführt (vgl. Urk. 1 S. 43) zum Zeitpunkt des Airprox möglicherweise aufgrund Ermüdung nicht mehr über die volle Konzentrationsfähigkeit verfügte, was im Übrigen vom Beschuldigten ausdrücklich bestritten wurde (Urk. 37 S. 29). Für den Fall, dass sich der Beschuldigte subjektiv nicht mehr in der Lage gesehen hätte, die notwendige Aufmerksamkeit zur Beibehaltung des Gesamtbildes aufzubringen, hätte er gemäss den im Ergebnis übereinstimmenden Ausführungen in den Gutachten C. und B. (Rz 124 bis 12 6) geeignete Massnahmen treffen sollen (etwa seine Teamkollegen um Unterstützung ansuchen sollen), um eine sichere Auftragserfüllung zu gewährleisten.

  26. Auch dass der Beschuldigte bis kurz vor dem Airprox am Arbeitsplatz des Flugverkehrsleiters GRO gearbeitet hatte und erst um 11:36:01 UTC respektive 7.39 Minuten vor dem G. -Alarm auf Anordnung des Supervisors hin an den Arbeitsplatz des Flugverkehrsleiters ADC wechselte (Urk. 13/7 S. 12), demzufolge zuerst an seinem neuen Arbeitsplatz sich ein aktuelles mentales Lagebild erarbeiten musste, spricht nicht dagegen, dass der Beschuldigte nicht in der Lage gewesen wäre, den aus der Vorschrift des continuous watch erwachsenden Pflichten nachzukommen. Ein derartiger Positionswechsel mag zwar zu einer Erschwerung der Arbeitsbelastung führen, er kann indes wie bereits die Vorinstanz betonte (Urk. 84 S. 46 f.) - nicht als ausserordentliche Situation qualifiziert werden; verlaufen doch laut Report Skyguide solche Positionswechsel nach einem Standardverfahren und sind die Flugverkehrsleiter entsprechend geschult (vgl. Urk. 13/7 S. 12: Accordingly, all Zurich Tower controllers are trained to use a standard hand-over technique [ ].).

  27. Im Zeitpunkt des Airprox war die Durchführung von Vermessungsflügen geplant und das betreffende Flugzeug war um 11:39:50 UTC gestartet. Aus dem Schlussbericht SUST folgt, dass sich bei hohem Verkehrsaufkommen und

    gleichzeitiger Durchführung von Vermessungsflügen die Komplexität der Flugüberwachungsaufgaben allgemein erhöht (Urk. 1 S. 42). Dies wird auch durch die übereinstimmenden Aussagen der Zeugen N. (Flugverkehrsleiterin bei Skyguide am Flughafen Zürich sowie ehemalig nebenamtliche firmeninterne Instruktorin und Ausbildnerin, aktuell Investigator, vgl. Urk. 13/2

    S. 2 f.) und M. bestätigt, wonach die gleichzeitige Durchführung von Vermessungsflügen während des normalen Flugbetriebs für den Flugverkehrsleiter ADC jeweils eine enorme Belastung dargestellt hätten (vgl.

    Urk. 13/2 S. 8 und Urk. 13/3 S. 6). Vorliegend wäre gemäss dem Schlussbericht SUST jedoch der Startverkehr aufgrund des geplanten Flugprogramms der Vermessungsflüge nur unwesentlich behindert worden und hätte der Beschuldigte weder Starts auf der Piste 32 berücksichtigen müssen noch wäre das anspruchsvolle Staffelungsverfahren bei Durchstarts von Piste 14 und Starts auf der Piste 16 zur Anwendung gelangt (vgl. Urk. 1 S. 42). Der Schlussbericht SUST hält zusammenfassend fest, dass sich die Komplexität der Überwachungsaufgaben für den Beschuldigten aufgrund der Vermessungsflüge nicht wesentlich erhöht habe (vgl. Urk. 1 S. 42). Dies deutet entgegen der Verteidigung nicht auf eine ausserordentliche Zusatzbelastung für den Beschuldigten hin.

  28. Zu berücksichtigen ist weiter, dass der Beschuldigte am Arbeitsplatz des Flugverkehrsleiters ADC noch nie Vermessungsflüge alleine betreut (vgl. Urk. 1 S. 18) und hinsichtlich der Vermessungsflüge keine zusätzliche Ausbildung genossen hatte (etwa indem das Betriebsverfahren mit den Vermessungsflügen im Simulator geübt worden wäre, vgl. Urk. 1 S. 53). Entgegen der Auffassung der Vorinstanz (Urk. 84 S. 48 ff.) vermag dieser Umstand den Beschuldigten jedenfalls im Rahmen der rechtlichen Würdigung bzw. bei der Prüfung der Sorgfaltspflichtverletzung indes nicht zu entlasten. Zwar ist durchaus davon auszugehen, dass diese zusätzliche Koordination eine nicht unerhebliche Mehrbelastung für den Beschuldigten bedeutete. Der Beschuldigte wusste aber aufgrund einer Information der Skyguide an die Flugverkehrsleiter, die ein bis zwei Wochen zuvor erfolgt war, dass an diesem Tag Vermessungsflüge stattfinden würden; auch hatte der Beschuldigte gemäss

    seiner Aussage das ganze, sehr umfassende Programm der Vermessungsflüge vorgängig erhalten (Urk. 37 S. 23f., siehe auch Urk. 5 S. 9). Dass eine solche zusätzliche Aufgabe auf ihn zukommen würde, war für ihn somit nicht überraschend. Zudem ist er gemäss seinen Aussagen bereits vor seinem Positionswechsel, mithin noch am Arbeitsplatz als Flugverkehrsleiter GRO, mit dem konkreten Messprogramm des Tages bedient worden (a.a.O.). Er war betreffend die Durchführung der Vermessungsflüge somit zumindest teilweise vorbereitet. Soweit es vertiefter Vorbereitung bedurft hätte, hätte er sich dieser (auch hinsichtlich möglicher Einzelprogramme) in den Tagen vor dem fraglichen Ereignis zuwenden sollen. Falls er sich nicht in der Lage gesehen hätte, diese Aufgabe zusätzlich zu übernehmen, hätte er Entsprechendes seinem Team und den Vorgesetzten zuvor kommunizieren müssen. Unter einer Gesamtbetrachtung kann deshalb nicht gesagt werden, dass die Situation für den Beschuldigten von der äusseren Sachlage her nicht (auf die eine andere Weise) beherrschbar gewesen wäre. Die Übernahme der zusätzlichen Aufgabe betreffend die Vermessungsflüge vermag eine Verletzung der continuous watch deshalb nicht zu rechtfertigen.

  29. Mit der Staatsanwaltschaft (Urk. 86 S. 28) ist dem Beschuldigten mit Blick auf die entsprechende Schlussfolgerung im Schlussbericht SUST vorzuwerfen, dass er sich mit dem Studium der Unterlagen betreffend die Vermessungsflüge etwas zuwendete, was ihm zwar angebracht bzw. aus seiner Sicht zwingend (Urk. 4 S. 3) schien, aber objektiv betrachtet zu diesem Zeitpunkt keine überragende Priorität aufwies. Dies führte dazu, dass er seiner primären Aufgabe, der eigentlichen Flugverkehrssicherung, nicht mehr die für einen sicheren Betrieb notwendige Aufmerksamkeit zuteilte (Schlussbericht SUST, Urk. 1

    S. 42). Der Schlussbericht SUST spricht diesbezüglich illustrativ und nachvollziehbar von einer der Situation nicht angepasste[n] Aufmerksamkeitsverteilung und sieht darin eine wesentliche Ursache für die Entstehung des Airprox (a.a.O.). Der Beschuldigte hätte mit anderen Worten aufgrund seiner Fähigkeiten und seiner Berufserfahrung feststellen müssen, dass dem (weiteren) Studium der Vermessungsflüge im fraglichen Zeitraum aufgrund der unmittelbar anstehenden Starts mehrere Flugzeuge einerseits, und dem Umstand

    andererseits, dass das Vermessungsflugzeug bereits vier Minuten vor dem Startabbruch von D. gestartet war und erst etwa 10 Minuten nach dem Airprox den ersten ILS-Anflug auf die Piste 14 hätte beginnen sollen (Schlussbericht SUST S. 28 und 42) keine Dringlichkeit, sondern nur sekundäre Priorität zukam.

  30. Wie die Staatsanwaltschaft zutreffend ausführt (Urk. 86 S. 28 f.), gehört es zu den Kernaufgaben eines Flugverkehrsleiters, die richtigen Prioritäten zu setzen sowie allenfalls eine auftretende eigene Überforderung rechtzeitig zu erkennen. Diese zwei Pflichten gehören ja gerade zu den Hauptpflichten, wie sie sich gemäss der übereinstimmenden Interpretation der Gutachter

    C. und B. , welche sich mit der internen Auffassung der Personen der ICAO deckt aus der Vorschrift zum continuous watch gemäss ICAO Doc 4444 7.1.1.2 ergeben: Der Flugverkehrsleiter muss das Gesamtbild im Kopf haben und kontinuierlich visuell überprüfen, ob sein mentales Bild mit der tatsächlichen Verkehrssituation übereinstimmt. Hierzu hat er zu priorisieren, wofür und wie lange er seine Aufmerksamkeit verwendet, und die Prioritäten bestmöglich setzen. Entsprechend hat er fortlaufend zu entscheiden, wofür und wie lange er seine Aufmerksamkeit verwende, um das Gesamtbild nicht zu verlieren. Geht dieses Gesamtbild verloren ist eine sichere Auftragserfüllung subjektiv objektiv sonst wie nicht mehr möglich, muss der Betrieb eingeschränkt eine andere geeignete Massnahme ergriffen werden, bis wieder eine sichere Auftragserfüllung gewährleistet ist (vgl. Rz 124 bis 126). Dies alles war dem Beschuldigten zweifellos bekannt (vgl. Rz 128).

  31. Die Sorgfaltspflichtverletzung des Beschuldigten besteht deshalb in subjektiver Hinsicht darin, dass er bei seiner Aufgabe im Zeitraum der Startfreigaben an die Flugzeuge F. und D. die Prioritäten falsch gesetzt hat und damit gegen die von ihm geforderte und einzuhaltenden Pflicht des continuous watch verstossen hat.

  32. Hätte der Beschuldigte seine Aufgabe insbesondere aufgrund der durch die Vermessungsflüge bedingten Zusatzbelastung als nicht mehr beherrschbar erachtet, so wäre es seine ebenfalls aus den Vorschriften zum continuous

    watch fliessende Pflicht gewesen, Hilfe im Team anzufordern, aber, falls dies nicht möglich gewesen wäre, den Betrieb sofort einzuschränken.

  33. Ergonomie des Arbeitsplatzes des Flugverkehrsleiters ADC und technische Hilfsmittel:

    Nichts daran zu ändern vermag das seitens der Verteidigung unter Verweis auf den Report Skyguide vorgebrachte (und von der Vorinstanz zu Unrecht an diesem Ort zu Gunsten des Beschuldigten berücksichtigte, vgl. Urk. 84 S. 50 ff.) Argument, dass dem Beschuldigten keine einheitliche ergonomische Arbeitskonsole zur Verfügung gestanden hätte, was dem Beschuldigten die Ausübung des continuous watch erschwert habe (Urk. 71 S. 16).

  34. Auch wenn laut Schlussbericht SUST der Arbeitsplatz des Beschuldigten, namentlich der L. -Bildschirm, als ergonomisch ungünstig bezeichnet werden muss, dieser Umstand die Erfassung des gesamten Pistensystems durch den Fluglotsen mit einem kurzen Blick erschwert und im Hinblick auf die Häufigkeit des gleichzeitigen abfliegenden Verkehrs auf den sich überkreuzenden Pisten 16 und 28 besonders ins Gewicht fällt (Urk. 1 S. 45), so dass seitens Skyguide im Nachhinein Verbesserungsbedarf erkannt und realisiert worden ist (vgl. Urk. 31/2-3), kommt diesem Umstand zur Beurteilung der konkreten Sorgfaltspflichtverletzung des Beschuldigten keine wesentliche bzw. höchstens untergeordnete Bedeutung zu. Die sinngemäss zwischen den Zeilen aufscheinende Auffassung der Vorinstanz, dass der nicht optimale Arbeitsplatz des Flugleiters ADC zwingend dazu geführt habe, dass die notwendige Sicherheit im vorliegenden Fall nicht habe aufrechterhalten werden kön- nen und insofern eine, das Handeln des Beschuldigten relativierende gar in den Hintergrund drängende Mitursache des Airprox dargestellt habe, kann nicht geteilt werden. Wie die Staatsanwaltschaft zutreffend ausführt (Urk. 86

    S. 30), vermögen die Ausführungen der Vorinstanz aus gleich zwei Gründen nicht zu überzeugen. Zum Einen würde die erstinstanzliche Argumentation im Umkehrschluss bedeuten, dass eine sichere Abwicklung des Flugverkehrs auf dem Flughafen Zürich bei den damals im Einsatz stehenden technischen Geräte generell unmöglich war. Eine solche Schlussfolgerung findet indes in den

    Ausführungen des Schlussberichts SUST keine Stütze; in diesem wird lediglich von einer Erschwerung, nicht aber von einer Verunmöglichung der Arbeit des Fluglotsen durch den ergonomisch ungünstigen Arbeitsplatz gesprochen. Zum Anderen geht die Argumentation im konkreten Fall an der Sache vorbei, da dem Beschuldigten vorzuwerfen ist, den continuous watch infolge falscher Prioritätensetzung (Beschäftigung mit den nicht deutlich weniger dringenden Vermessungsflügen) ausser Acht gelassen zu haben und nicht wegen falscher Interpretation der Bildschirm bzw. Systeminformationen an seinem Arbeitsplatz. Tatsache ist, dass der Beschuldigte aufgrund dieses unzulässigen Unterbruchs (Studium der Unterlagen betreffend die nicht prioritären Vermessungsflüge) - das Gesamtbild aus den Augen verlor und trotz Anzeige auf dem L. -Bildschirm und dem O. und trotz ausreichend guter Sichtbedingungen nicht bzw. erst auf den stage 2 Alarm des G. _- Systems realisierte, dass es zu einem gefährlichen, gleichzeitigen Startlauf der beiden Flugzeuge D. und F. gekommen war.

  35. Dass sich der Beschuldigte nicht auf das G. -System verlassen durfte, wurde bereits erwähnt (Rz 78). Die Verteidigung widersprach dieser Auffassung: es gebe keine Gründe, dem G. in der damals eingesetzten Version seine Funktion als Schutzwall abzuerkennen (Urk. 97 S. 16-20). Es sei zwar kein eigenständiges Schutznetz, sondern ein Hilfsinstrument, das rechtzeitig gegen Fehlentscheide des Flugverkehrsleiter protestiere. Zum Zeitpunkt des Vorfalles sei es zwar noch nicht einmal ein Jahr in Kraft gewesen. In der dazugehörigen Dienstanweisung werde es aber als ein Sicherheitsnetz bezeichnet, welches in timely manner Warnungen on actual or potentional conflicts generiere (Service Order in Urk. 98/2). Es entspreche einer Steinzeitlogik, wenn in einer hochtechnischen Gesellschaft Hilfssysteme wie das G. das (damit vergleichbare) P. jegliche Bedeutung verlieren würden und der Mensch sich auf diese Maschinen nicht mehr verlassen dürfte (Prot. II S. 32). Aus all dem leitet die Verteidigung ab, dass Fluglotsen dem

    G. schon damals das Vertrauen schenken durften und mussten dahingehend, dass es Konflikte wie das vorliegende rechtzeitig entschärfe. Allerdings muss auch die Verteidigung einräumen, dass das G. -System in

    der ersten Zeit seit der Einführung zur Unzufriedenheit der Flugverkehrsleiter sehr häufig Fehlalarme auslöste; auch lässt sie gelten, dass die diesem System zugedachte Funktion primär darin bestand, vor dem Eindringen (incursion) insbesondere von Fahrzeugen auf die Piste zu warnen (Urk. 97 S. 18f.; Prot. II S. 32f. und 34). Solches hat denn auch der Beschuldigte als erstes nach dem Alarm gedacht und überprüft (Prot. II S. 18f.). Wenn die Staatsanwaltschaft daraus schloss, dass das System von seiner Konzeption her nicht darauf ausgerichtet war, vor einer drohenden Kollision von zwei sich mit hoher Geschwindigkeit aufeinander zubewegender Flugzeuge zu warnen, so ist dies nicht falsch, sondern kann sich auf die gleiche Feststellung der SUST abstützen (Urk. 1 S. 51). Die Schwächen der im ersten Jahr nach seiner Einführung in Kraft stehenden Version von G. _ sind heute aufgrund der später von der SUST erteilten Sicherheitsempfehlungen und der darauf folgenden Upgrades des Systems offensichtlich. Angesichts des Umstands, dass das System in der Version von 2010 neu war und regelmässig Fehlalarme produzierte sowie seines sich auch aus der Dienstanweisung 2010 ergebenden Ausgerichtet-seins auf die Warnung vor dem Eindringen insbesondere von Fahrzeugen auf die Flugpiste, sowie aus der von der SUST festgestellten (a.a.O.), aber auch logisch ableitbaren Tatsache, dass das Auslösen der Warnung bei sich sehr schnell aufeinander zubewegenden Objekten geschwindigkeitsbedingt zu spät erfolgt, kann der Auffassung der Verteidigung, wonach sich die Flugverkehrsleiter und damit auch der Beschuldigte vorbehaltlos auf das System G. verlassen durften, nicht beigepflichtet werden. Vielmehr entband das Vorhandensein des G. _-Systems (in der Version 2010) einen Flugverkehrsleiter damals keineswegs bereits von der situationsund ortsgerechten Erfüllung seiner Pflicht zum continuous watch. Nicht zuletzt der Umstand, dass das damalige G. -System gemäss der übereinstimmenden Auffassung des Schlussberichts SUST und des Privatgutachtens I. Sicherheitsdefizite aufwies bzw. teilweise zu spät reagierte

    (Urk. 1 S. 30 und 51 f., Urk. 33/2 S. 8 und 10, vgl. Rz 78), führt deshalb auf der Ebene der rechtlichen Würdigung des Verhaltens des Beschuldigten zu

    keiner Relativierung der ihm vorzuwerfenden Sorgfaltspflichtverletzung (sondern ist allenfalls im Rahmen der Strafzumessung zu berücksichtigen).

  36. Widersprüchliches Verhalten von F. :

    Die Verteidigung brachte schliesslich vor, dass sich die Besatzung von

    F. widersprüchlich verhalten habe, indem sie dem Beschuldigten mit der Mitteilung ready when reaching um 11:41:14 UTC einen rollenden Start signalisiert habe. Der Beschuldigte habe deshalb nicht damit rechnen müssen, dass F. wie dann erfolgt einen standing take off durchführte und sich der Startlauf in der Folge erheblich (nach der Rechnung der Verteidigung: 55 Sekunden) verzögerte (Urk. 71 S. 20).

  37. In diesem Punkt kann den Ausführungen der Vorinstanz im Ergebnis, nicht aber in ihrer Begründung gefolgt werden:

  38. Die Vorinstanz argumentierte, dass die Ankündigung ready when reaching von F. um 11:41:14 UTC dem Beschuldigten durchaus signalisiert habe, dass dieses Flugzeug ohne Verzögerung ein Startlauf vornehmen könne, da dieses Verhalten von F. der Regelung in ICAO Doc 4444 7.9.3.4. entsprochen habe. Gemäss dieser Bestimmung hätte F. seinen Startlauf somit grundsätzlich unverzüglich einleiten sollen, nachdem es um 11:42:19 UTC vom Beschuldigten die Starterlaubnis erhalten hatte und sich dabei immer noch auf dem Rollweg ECHO befand (Urk. 84 S. 56 f.).

  39. Die Bestimmung von ICAO Doc 4444 7.9.3.4. lautet wie folgt:

    In the interest of expediting traffic, a clearance of immediate take-off may be issued to an aircraft before it enters the runway. On acceptance of such clearance, the aircraft shall taxi out to the runway and take-off in one continuous movement.”

    Die Regelung besagt somit, dass der Flugverkehrsleiter im Interesse der Beschleunigung des Verkehrs einem Flugzeug eine Freigabe zu sofortigen Start erteilen kann, bevor dieses die Startpiste betritt, und das Flugzeug nach Annahme einer solchen Freigabe in einer kontinuierlichen Bewegung zur Startbahn rollen und starten sollte.

  40. Gemäss dem durch den Schlussbericht SUST (Urk. 1 S. 10) erstellten und vom Privatgutachten I. (Urk. 33/2 S. 14) anerkannten Geschehensablauf befand sich das Flugzeug auf dem Rollweg ECHO, etwa 700 Meter vor dem Haltepunkt der Piste 16, als es um 11:41:14 UTC dem Flugverkehrsleiter ADC meldete: Hello F. , ready when reaching. Der Flugverkehrsleiter ADC erteilte der Besatzung darauf umgehend die Freigabe, in die Startposition auf der Piste 16 zu rollen (und nicht etwa schon die Startfreigabe). Erst um 11: 42:19 UTC, erteilte der Flugverkehrsleiter ADC der Besatzung von

    F. die Startbewilligung: [ ] runway one six cleared for take off. Das Flugzeug F. befand sich in diesem Zeitpunkt noch auf dem Rollweg ECHO, etwa 50 Meter vor dem Pistenanfang der Piste 16, und bestätigte die Startbewilligung umgehend.

  41. Dieser Geschehensablauf zeigt, dass die Besatzung von F. ihre Mitteilung ready when reaching (11:41:14 UTC) über eine Minute vor der Erteilung der Startfreigabe durch den Beschuldigten (11:42:19 UTC) abgab. Bereits der Umstand, dass ein derart langer Zeitraum verstrich, legt nahe, dass der Beschuldigte im Zeitpunkt der Startfreigabe nicht (mehr) damit rechnen durfte, dass die Besatzung umgehend starten würde. Hinzu kommt, dass der Beschuldigte gemäss Wortlaut eine 'normale' Startfreigabe (Clearance for take off), nicht aber eine Freigabe zu sofortigen Start (Clearance for immediate take off) erteilte. Entgegen der Ansicht der Vorinstanz kam damit die Regelung von ICAO Doc 4444 7.9.3.4. überhaupt nicht zum Zug, was selbstverständlich auch der Beschuldigte wusste. Die Besatzung von F. war deshalb nach Annahme der Startfreigabe nicht verpflichtet, in einer kontinuierlichen Bewegung zur Startbahn zu rollen und zu starten. Auch musste sie nicht annehmen, dass der Beschuldigte möglicherweise trotz normaler Startfreigabe einen umgehenden, rollenden Start erwarten würde; und dies aufgrund ihrer über eine Minute alten ersten Meldung. Sie war deshalb, entgegen den Ausführungen der Verteidigung und des Privatgutachtens I. _

    (Urk. 33/2 S. 15) nicht gehalten, dem Beschuldigten zu melden, dass sie ein standing take off ausführen würde.

  42. Entsprechend folgt aus dem Schlussbericht SUST (hier ist der Vorinstanz wieder zu folgen, Urk. 84 S. 57), dass ein standing take off bei Flugzeugen mit unterschiedlichen (intermixed) Triebwerken ein Standardprozedere darstellt und entsprechend häufig vorkommt. Der von F. durchgeführte standing take off war damit nicht aussergewöhnlich, sondern erfolgte gemäss den Vorgaben des Flugbetriebshandbuchs B der Swiss Airlines (operational manual B - OM B) in Kapitel 2.14.20 (vgl. Urk. 1 S. 25 f.) und stellte in diesem Sinn keine Unregelmässigkeit dar. Der Beschuldigte durfte deshalb aufgrund dieser Praxis und vor dem Hintergrund der von ihm erteilten normalen Startfreigabe nicht darauf vertrauen, dass die Besatzung von F. ihm die allfällige Notwendigkeit eines standing take off über Funk mitteilt. Im Übrigen legt die eigene Aussage des Beschuldigten, wonach die F. ohnehin triebwerksbedingt auf ein standing take off angewiesen gewesen sei (Urk. 5

    S. 2f.), nahe, dass er auch ohne Meldung von dieser Notwendigkeit ausgegangen ist.

  43. Damit übereinstimmend hat auch der Gutachter B. (wie bereits ausgeführt wurde) festgehalten, dass ein Flugverkehrsleiter in einem Fall wie dem vorliegenden mit der Möglichkeit eines standing take off rechnen müsse (Urk. 36 S. 43 f.; vgl. diesbezüglich die Erwägungen in Rz 160).

  44. Auch wenn somit der standing take off des Flugzeugs F. den vorliegenden Airprox begünstigt haben mag, kann der Beschuldigte hieraus nach dem Gesagten nichts zu seinen Gunsten ableiten.

  45. Missachtung der dauernden Hörbereitschaft durch die Besatzungen von F. und D. :

    Im Gutachten I. wird ausgeführt, eine Ursache, die zum vorliegenden Airprox geführt habe, sei auch darin zu sehen, dass weder die Besatzung von F. die Startfreigabe an D. , noch die Besatzung von D. die Startfreigabe an F. _ über Funk (aktiv) mitgehört habe, obgleich sie aufgrund der Vorschrift des sog. continuous listening watch (also der dauernden Hörbereitschaft), wie sie in einer ICAO-Richtlinie im Annex 2 zum Abkommen über die Internationale Zivilluftfahrt (AIZ) festgehalten werde, hiezu verpflichtet gewesen seien. Durch ein entsprechendes aktives Zuhören der zwei Besatzungen hätte der Airprox verhindert werden können (Urk. 33/2 S. 12 f. und 27 f.).

  46. Im Schlussbericht SUST wird hinsichtlich dieses Umstandes das Folgende festgehalten: Dass die Besatzung von F. während des Startlaufs nicht wahrgenommen habe, dass der Flugverkehrsleiter der Besatzung von

    D. ebenfalls eine Startfreigabe erteilt habe, lasse sich dadurch erklären, dass in dieser Phase des Starts die Konzentration im Führen und Überwachen des Flugzeugs liege und die Wahrnehmung in einem solchen Moment unbewusst auf das eigene Funkrufzeichen konzentriert sei. Erfolge der Aufruf für ein anderes Flugzeug könne es vorkommen, dass die auf das Funkrufzeichen folgende Meldung ausgeblendet werde. Die Besatzung von D. sodann habe sich mit ihrem Flugzeug im line up auf die Piste 28 befunden, als der Flugverkehrsleiter der Besatzung von F. die Startfreigabe erteilt habe. In dieser Phase habe die Besatzung von D. mittels gegenseitiger verbaler Kommunikation unter den Piloten die letzten Punkte der Prüfliste auswendig abzuarbeiten und durchzuführen gehabt. Wie für alle Besatzungen gelte auch für die Besatzung von D. dass in solchen Phasen hoher Konzentration die Wahrnehmung auf das eigene Funkrufzeichen fokussiert sei und eine Meldung mit einem anderen Funkrufzeichen ausgeblendet werde (Urk. 1 S. 41).

  47. Den Ausführungen des Schlussberichts SUST kann entnommen werden, dass das Überhören der Startfreigabe des jeweils anderen Flugzeugs auf die Konzentrationsanforderungen zurückzuführen ist, die an die Piloten in den nämlichen Momenten gestellt wurden, und in diesem Sinne nichts Aussergewöhnliches darstellt. Die Piloten haben somit offensichtlich nichts falsches getan, sondern die Prioritäten richtig gesetzt. Der Beschuldigte kann aus diesem Umstand deshalb nichts zu seinen Gunsten ableiten. Dies gilt selbst dann, wenn gleichwohl von einer Sorgfaltspflichtverletzung hinsichtlich der Vorschrift des continuous listening watch ausgegangen werden müsste. Das Überhören dieser Funksprüche durch Piloten der beiden Flugzeuge stellt kein derart aus sergewöhnlicher Umstand dar, dass es das (pflichtwidrige) Verhalten des Beschuldigten in den Hintergrund zu drängen vermöchte (vgl. hiezu Rz 17).

  48. Zwischenfazit:

    Zusammenfassend ist festzuhalten, dass zwar im kurzen Zeitraum vor dem Airprox verschiedene Umstände bestanden, welche die Tätigkeit des Beschuldigten als Flugverkehrsleiter ADC zusätzlich erschwerten. So wechselte der Beschuldigte erst kurz vor dem Airprox an den Arbeitsplatz des Flugverkehrsleiters ADC, seine Arbeitslast als Flugverkehrsleiter ADC war zu diesem Zeitpunkt aufgrund des regen Verkehrsaufkommens hoch, der dannzumalige ergonomisch ungünstige Arbeitsplatz des Flugverkehrsleiters ADC, insbesondere die Darstellung einzelner Bildschirme sowie die akustischen Signale, erforderten vollste Aufmerksamkeit und der Beschuldigte hatte auch noch Manöver der Vermessungsflüge zu überwachen, was er zuvor noch nie getan hatte.

  49. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz (Urk. 84 S. 58) kann indes nicht gesagt werden, dass diese in ihrem Zusammenspiel zweifelsohne sehr anspruchsvollen - Umstände nicht nur für den Beschuldigten, sondern an seiner Stelle auch für jeden vergleichbaren anderen Flugverkehrsleiter nicht vollumfänglich beherrschbar waren. Vielmehr muss davon ausgegangen werden, dass ein durchschnittlicher, verantwortungsbewusster und gut ausgebildeter Flugverkehrsleiter unter den gleichen Umständen wie der Beschuldigte welcher aber, im Unterschied zum Beschuldigten die richtigen Prioritäten gesetzt hätte - den ortsund situationsgeforderten continuous watch hätte durchhalten können und deshalb im Zeitpunkt der Erteilung der Starterlaubnis an

    D. die auf der Piste 16 startende F. in seinem mentalen Lagebild gehabt hätte. Mit der Staatsanwaltschaft kann sodann gesagt werden, dass der Beschuldigte hätte er sich in seiner Situation tatsächlich überfordert gefühlt (was er aber nicht geltend macht) geeignete Massnahmen hätte treffen müssen, um eine sichere Auftragserfüllung zu gewährleisten. Wenn die Verteidigung dies als Vorwurf an die Adresse des Beschuldigten versteht und ihm begegnen will, indem sie von einer für den Beschuldigten unbemerkten

    Überlastungssituation spricht, für die er nicht die Verantwortung trage (Urk. 97

    S. 29 unten), so ist zu wiederholen, dass der Vorwurf der Sorgfaltspflichtverletzung des Beschuldigten nicht auf das Versäumnis der Einforderung von Unterstützung gerichtet ist, sondern auf die falsche Priorisierung seiner unterschiedlichen Tätigkeiten im Tower.

  50. Die Verletzung der Pflicht zum continuous watch gemäss der Vorschrift von ICAO Doc 4444 7.1.1.2 ist dem Beschuldigten daher nicht nur objektiv, sondern auch in subjektiver Hinsicht vorwerfbar. Ein pflichtwidriges Verhalten des Beschuldigten ist damit gegeben und eine Sorgfaltspflichtverletzung im Sinne von Art. 12 Abs. 3 StGB somit zu bejahen.

        1. Verletzung der Pflicht gemäss ICAO Doc 4444 7.9.3.1

  51. Inhalt der Regelung zur Separation:

    Die Regelung von ICAO Doc 4444 7.9.3.1, welche unter dem Titel Take-off Clearance steht, und somit die Starterlaubnis betrifft, lautet folgendermassen:

    Take-off clearance may be issued to an aircraft when there is reasonable assurance that the separation in 7.9.2, or prescribed in accordance with 7.11, will exist when the aircraft commences take-off.

    Diese Regelung hält demnach fest, dass einem Flugzeug die Starterlaubnis erst erteilt werden darf, wenn mit ausreichender Sicherheit feststeht, dass die Separation gemäss Ziff. 7.9.2. (oder wie in Übereinstimmung mit Ziff. 7.11 vorgeschrieben) besteht, wenn das Flugzeug mit dem Startlauf beginnt (wobei hier die Klammern der besseren Übersichtlichkeit gesetzt worden sind Urteilsredaktion). Die Regelung normiert damit nicht weiter, wann die zur Erteilung der Starterlaubnis erforderliche Separation gegeben ist, sondern verweist hierfür auf die Ziff. 7.9.2 und 7.11 von ICAO Doc 4444.

  52. Ziff. 7.11. von ICAO Doc 4444 hat den Titel reduced runway separation minima between aircrafts using the same runway und betrifft dementsprechend Vorschriften, welche für Flugzeuge gelten, die auf der gleichen Piste starten.

  53. Ziff. 7.9.2 von ICAO Doc 4444 hat den Titel Separation of departing aircraft, betrifft somit die Separation startender Flugzeuge, und lautet folgendermassen:

    Except as provided in 7.11 and Chapter 5, Section 5.8, a departing aircraft will not be permitted to commence take-off until the preceding departing aircraft has crossed the end oft he runway-in-use or has started a turn or until all preceding landing aircraft are clear of the runway-in-use.

  54. Die Vorschrift von ICAO Doc 4444 7.9.3.1 wie auch die von ihr angerufenen Vorschriften enthalten detaillierte Handlungsanweisunge

Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.

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