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Urteil Obergericht des Kantons Zürich (ZH)

Zusammenfassung des Urteils SB160399: Obergericht des Kantons Zürich

Es geht um ein Gerichtsverfahren vor dem Obergericht des Kantons Zürich, bei dem es um einfache Körperverletzung und Widerruf geht. Der Beschuldigte wird freigesprochen und die Schadenersatz- und Genugtuungsbegehren des Privatklägers werden abgewiesen. Die Kosten des Untersuchungsverfahrens und des erstinstanzlichen Gerichtsverfahrens werden auf die Gerichtskasse genommen. Die zweitinstanzliche Gerichtsgebühr wird festgesetzt auf Fr. 3'000.-. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden zur Hälfte dem Privatkläger auferlegt und zur Hälfte auf die Gerichtskasse genommen. Es wird dem Beschuldigten eine Prozessentschädigung von Fr. 8'000.- für anwaltliche Verteidigung aus der Gerichtskasse zugesprochen. Der Privatkläger wird verpflichtet, dem Beschuldigten für das Berufungsverfahren eine Prozessentschädigung von Fr. 2'000.- für anwaltliche Verteidigung zu bezahlen. Es besteht die Möglichkeit, gegen diesen Entscheid bundesrechtliche Beschwerde in Strafsachen zu erheben.

Urteilsdetails des Kantongerichts SB160399

Kanton:ZH
Fallnummer:SB160399
Instanz:Obergericht des Kantons Zürich
Abteilung:I. Strafkammer
Obergericht des Kantons Zürich Entscheid SB160399 vom 20.04.2017 (ZH)
Datum:20.04.2017
Rechtskraft:-
Leitsatz/Stichwort:Einfache Körperverletzung und Widerruf
Schlagwörter : Beschuldigte; Privatkläger; Beschuldigten; Treppe; Berufung; Pfefferspray; Verteidigung; Verletzung; Gericht; Privatklägers; Urteil; Anklage; Verletzungen; Zeugin; Aussage; Korridor; Recht; Vorinstanz; Aussagen; Treppensturz; Entschädigung; Verfahren; Sinne; Angriff; Handgemenge; Sachverhalt; Auseinandersetzung; Notwehr; Staatsanwaltschaft; Beweis
Rechtsnorm:Art. 10 StPO ;Art. 126 StGB ;Art. 139 StPO ;Art. 15 StGB ;Art. 16 StGB ;Art. 399 StPO ;Art. 402 StPO ;Art. 426 StPO ;Art. 428 StPO ;Art. 437 StPO ;Art. 52 OR ;Art. 82 StPO ;Art. 9 StPO ;Art. 90 StPO ;
Referenz BGE:102 IV 65; 107 IV 12; 136 IV 49; 138 IV 81; 139 IV 179; 79 IV 148;
Kommentar:
-

Entscheid des Kantongerichts SB160399

Obergericht des Kantons Zürich

I. Strafkammer

yGeschäfts-Nr.: SB160399-O/U/jv

Mitwirkend: die Oberrichter lic. iur. R. Naef, Präsident, lic. iur. M. Langmeier und lic. iur. B. Gut sowie der Gerichtsschreiber Dr. iur. F. Manfrin

Urteil vom 20. April 2017

in Sachen

  1. ,

    Privatkläger und I. Berufungskläger (EB/Nichteintreten) erbeten vertreten durch Vertreter M.A. HSG in Law X. ,

    sowie

    Staatsanwaltschaft Limmattal / Albis,

    vertreten durch Leitende Staatsanwältin lic. iur. C. Wiederkehr,

    Anklägerin

    gegen

  2. ,

Beschuldigter und II. Berufungskläger

erbeten verteidigt durch Rechtsanwalt Dr. iur. Y. ,

betreffend

einfache Körperverletzung und Widerruf
Berufung gegen ein Urteil des Bezirksgerichtes Horgen, Einzelgericht, vom 7. Juni 2016 (GG160010)

Anklage:

Die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Limmattal / Albis vom 31. März 2016 (Urk. 16) ist diesem Urteil beigeheftet.

Urteil der Vorinstanz:

(Urk. 49 S. 37 f.)

Es w ird e rka nnt:

  1. Der Beschuldigte ist schuldig der einfachen Körperverletzung im Sinne von Art. 123 Ziff. 1 StGB i.V.m. Art. 16 Abs. 1 StGB.

  2. Der Beschuldigte wird bestraft mit einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu Fr. 140.-.

  3. Der Vollzug der Geldstrafe wird aufgeschoben und die Probezeit auf 3 Jahre festgesetzt.

  4. Die mit Strafbefehl der Staatsanwaltschaft Limmattal / Albis vom 4. August 2014 (B- 1*/2014/2580) für eine Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu Fr. 140.angesetzte Probezeit von 2 Jahren wird um 1 Jahr verlängert.

  5. Der Beschuldigte wird verpflichtet, dem Privatkläger Schadenersatz von Fr. 372.40 zu bezahlen. Im Mehrbetrag wird das Schadenersatzbegehren abgewiesen.

  6. Der Beschuldigte wird verpflichtet, dem Privatkläger Fr. 200.als Genugtuung zu bezahlen.

    Im Mehrbetrag wird das Genugtuungsbegehren abgewiesen.

  7. Die Gerichtsgebühr wird angesetzt auf:

    Allfällige weitere Kosten bleiben vorbehalten.

  8. Die Kosten der Untersuchung und des gerichtlichen Verfahrens werden dem Beschuldigten auferlegt.

  9. Der Beschuldigte wird verpflichtet, dem Privatkläger eine reduzierte Prozessentschädigung von Fr. 3'050.- (inkl. MwSt.) zu bezahlen.

  10. (Mitteilungen)

  11. (Rechtsmittel)

Berufungsanträge:

(Prot. II S. 6 f.)

  1. Der Verteidigung des Beschuldigten: (Urk. 50 S. 3; Urk. 67; Prot. II S. 11 f.)

    1. Es sei das Urteil des Einzelgerichtes des Bezirksgerichtes Horgen vom

      7. Juni 2016 vollumfänglich aufzuheben.

    2. Der Beschuldigte sei von Schuld und Strafe freizusprechen.

    3. Der Beschuldigte sei für seine Umtriebe und Anwaltskosten vollumfänglich zu entschädigen.

    4. Die Kosten der Untersuchung und des gerichtlichen Verfahrens seien auf die Staatskasse zu nehmen.

      Eventualanträge (für den Fall der Bestätigung des Schuldspruchs):

      1. Es sei die Geldstrafe auf 30 Tagessätze zu Fr. 100 zu reduzieren.

      2. Der Vollzug der Geldstrafe sei aufzuschieben und die Probezeit auf 2 Jahre festzusetzen.

      3. Die mit Strafbefehl vom 4. August 2014 angesetzte Probezeit sei nicht zu verlängern

      4. Es sei dem Privatkläger A. kein Schadenersatz zuzusprechen.

      5. Es sei dem Privatkläger A. keine Genugtuung zuzusprechen.

      6. Es sei der Beschuldigte nicht zu verpflichten, dem Privatkläger A. eine Prozessentschädigung zu bezahlen.

      7. Dem Beschuldigten sei eine Parteientschädigung für anwaltliche Verteidigung zu bezahlen.

  2. Der Staatsanwaltschaft: (Urk. 55 S. 1)

    Bestätigung des vorinstanzliehen Urteils.

  3. Der Privatklägerschaft: (Urk. 57 S. 1)

Bestätigung des vorinstanzliehen Urteils.

Erwägungen:

I. Verfahrensgang, Berufungsumfang, Prozessuales
  1. Verfahrensgang

    1. In Bezug auf den Verfahrensgang bis zum vorinstanzlichen Urteil kann auf die entsprechenden Erwägungen im angefochtenen Entscheid verwiesen werden (Urk. 49 S. 4 f.).

    2. Das eingangs im Dispositiv wiedergegebene Urteil der Vorinstanz vom

      7. Juni 2016 (Urk. 49 S. 37 f.) wurde den anwesenden Parteien im Anschluss an die Hauptverhandlung mündlich eröffnet, kurz begründet und übergeben (Art. 82 Abs. 1 StPO; Urk. 41; Prot. I S. 24 f.) Der Staatsanwaltschaft wurde das Urteilsdispositiv am 9. Juni 2016 zugestellt (Urk. 42).

    3. Gegen dieses Urteil liessen sowohl der Beschuldigte als auch der Privatkläger rechtzeitig Berufung anmelden (Art. 399 Abs. 1 StPO i.V.m. Art. 90 Abs. 2 StPO; Urk. 43 und 44). Am 5. September 2016 wurde sämtlichen Parteien das begründete Urteil (Urk. 46 = Urk. 49) zugestellt (Urk. 45/1-3).

    4. Die Berufungserklärung des Beschuldigten erfolgte am 14. September 2016 (Datum Poststempel) und damit innert der zwanzigtägigen Frist von Art. 399 Abs. 3 StPO (Urk. 50 und 51). Der Privatkläger hingegen hat innerhalb der in Art. 399 Abs. 3 StPO festgelegten Frist keine schriftliche Berufungserklärung ein-

      gereicht, weshalb mit Beschluss vom 8. November 2016 auf die Berufung des Privatklägers nicht eingetreten wurde (Urk. 63).

    5. Die Staatsanwaltschaft (Urk. 55) und der Privatkläger (Urk. 57) verzichteten auf Anschlussberufung und beantragten die Bestätigung des vorinstanzlichen Urteils.

    6. Zur Berufungsverhandlung am 20. April 2017 erschienen der Beschuldigte in Begleitung seines Verteidigers sowie der Privatkläger in Begleitung seines Rechtsvertreters (Prot. II S. 6 ff.).

  2. Umfang der Berufung

    Der Beschuldigte ficht das vorinstanzliche Urteil vollumfänglich an und beantragt einen Freispruch (Urk. 50 S. 3; Urk. 67 S. 2 ff.; Prot. II S. 6 f., 10), weshalb keine Dispositivziffer des vorinstanzlichen Urteils in Rechtskraft erwachsen ist (Art. 399 Abs. 3 StPO i.V.m. Art. 402 StPO und Art. 437 StPO).

  3. Strafantrag

    Beim hier zu beurteilenden Delikt der einfachen Körperverletzung im Sinne von Art. 123 Ziff. 1 StGB handelt es sich um ein Antragsdelikt. Hierfür hat der Geschädigte formund fristgerecht Strafantrag gestellt (Urk. 15/1).

  4. Beweisanträge des Beschuldigten

Die Verteidigung stellt im Rahmen der Berufungsbegründung (Urk. 67) und anlässlich der Berufungsverhandlung eine Reihe von Beweisanträgen, die allerdings im Zuge der Berufungsverhandlung teilweise zurückgezogen wurden (Prot. II

S. 10 f.; Urk. 67 S. 4). Wie zu zeigen sein wird, ist der Beschuldigte freizusprechen. Die beantragten Beweisabnahmen erweisen sich damit als gegenstandslos.

II. Sachverhalt
  1. Anklagevorwurf / Parallelverfahren

    1. In tatsächlicher Hinsicht geht die Anklagebehörde von folgendem Vorgang

      aus (Urk. 16 S. 2 f.): Zwischen den Mietern B.

      (der Beschuldigte) und

      A.

      (der Privatkläger) soll es in der Waschküche des Mehrfamilienhauses zu

      einem Nachbarschaftsstreit gekommen sein. Der Streit soll sich daran entzündet haben, dass der Beschuldigte - nach Ansicht des Privatklägers - den Waschplan nicht einhalte. Im Verlaufe dieser zunächst verbal ausgetragenen Streitigkeit soll

      der Privatkläger A.

      einen Pfefferspray gegen den Beschuldigten eingesetzt

      haben, worauf Letzterer den Privatkläger gepackt, durch den Gang geschoben und ihn an dessen Ende einige Treppenstufen hinuntergestossen haben soll. Dabei soll der Privatkläger mit dem Kopf gegen die Wand gestossen sein, wodurch er im Wesentlichen eine Rissquetschwunde an der linken Stirnhälfte und weitere in der Anklageschrift beschriebene kleinere Verletzungen davongetragen haben soll. Jedenfalls zu Beginn der Auseinandersetzung war eine weitere Mieterin, die Zeugin C. , in der Waschküche zugegen.

    2. Von beiden Seiten wurde Strafantrag gestellt (Urk. 14/1 und 15/1) und beide Vorwürfe (der Peffersprayeinsatz des Privatklägers; das Versursachen des Treppensturzes durch den Beschuldigten) wurden von der Staatsanwaltschaft in einem gemeinsamen Untersuchungsverfahren untersucht und hernach separat zur Anklage gebracht (Urk. 16 und 19). Der Vorwurf des Pfeffersprayeinsatzes bildet Gegenstand des parallelen Berufungsverfahrens gegen A. (SU160061).

  2. Zusammengefasster Standpunkt des Beschuldigten / Ausgangslage

    1. Der Beschuldigte beantragt einen vollumfänglichen Freispruch (Urk. 67). Die Aggressionen und der Angriff seien einzig und allein vom Privatkläger ausgegangen. Der Privatkläger habe den Spray überraschend gezückt und dem Beschuldigten direkt in die Augen gesprüht. Erst als Reaktion darauf habe der Beschuldigte den Privatkläger gepackt, vor sich den Gang hergeschoben und

      schliesslich Richtung Treppe von sich weggestossen (Urk. 67 S. 8 und 11). Allerdings sei nicht erstellt, dass der Privatkläger dann tatsächlich die Treppe hinunter gestürzt sei und sich dabei bzw. dadurch die Kopfverletzung zugezogen habe. Es könne auch sein, dass sich der Privatkläger die Verletzungen selber zugefügt aufgrund des eingeatmeten Pfeffersprays einen Schwächeanfall erlitten habe und gestürzt sei (Urk. 67 S. 11 ff.).

    2. Im Folgenden ist zu prüfen, ob sich der dem Beschuldigten zur Last gelegte Anklagesachverhalt mit rechtsgenügender Sicherheit erstellen lässt. Die Berufungsinstanz muss sich dabei nicht mit jedem einzelnen Vorbringen des Beschuldigten auseinandersetzen. Vielmehr kann sie sich auf die für den Entscheid wesentlichen Punkte beschränken. Es müssen wenigstens kurz die Überlegungen genannt werden, von denen sich das Gericht hat leiten lassen und auf die sich sein Entscheid stützt (BGE 139 IV 179 E. 2.2; BGE 138 IV 81 E. 2.2; je mit Hinweisen).

    3. Insbesondere auf die Vorbringen der Verteidigung zur Vorgeschichte in der fraglichen Liegenschaft (Urk. 67 S. 4 ff.) wird nicht weiter einzugehen sein. Die unter diesem Titel geschilderten angeblichen früheren Vorkommnisse in der Liegenschaft sind für die Beurteilung des Anklagevorwurfs nicht von Relevanz. Aus denselben Überlegungen sind die zahlreichen dazu gestellten Beweisanträgen abzuweisen. Über unerhebliche Tatsachen ist kein Beweis zu führen (Art. 139 Abs. 2 StPO).

  3. Grundsätze der Sachverhaltserstellung

    1. Was die Vorinstanz zu den massgebenden Grundsätzen der Sachverhaltserstellung, den Beweiswürdigungsregeln (dabei insbesondere zur Aussagewürdigung) sowie den verfügbaren Beweismitteln ausführt, ist nicht zu beanstanden (Urk. 49 S. 6 ff.). Darauf kann verwiesen werden (Art. 82 Abs. 4 StPO).

    2. Die Aussagen der Beteiligten wurden von der Vorinstanz allesamt korrekt zusammengefasst. Darauf ist ebenfalls zu verweisen (Urk. 49 S. 8 ff.; Art. 82 Abs. 4 StPO).

  4. Zum Auslöser der Auseinandersetzung

    1. Entgegen der Verteidigung (Urk. 67 S. 7) hat die Vorinstanz nicht verkannt, dass der Privatkläger die tätliche Auseinandersetzung initiierte. In Würdigung der Beweismittel gelangt nämlich die Vorinstanz zum Schluss, dass es der Privatkläger war, der im Rahmen der zunächst nur verbal ausgetragenen Auseinandersetzung als erster tätlich wurde, indem er den Pfefferspray bereits im Waschraum wie auch im anschliessenden Handgemenge gegen den Beschuldigten einsetzte (Urk. 49 S. 15 f.).

    2. Diese Schlussfolgerung ist nicht zu beanstanden und wird insbesondere

      durch die glaubhaften Aussagen der Zeugin C.

      gestützt, die jedenfalls den

      Beginn der Auseinandersetzung der Beiden aus nächster Nähe miterlebt hatte und überzeugend schilderte, wie der Privatkläger den Beschuldigten unvermittelt mit dem Pfefferspray attackiert, der Beschuldigte den Privatkläger in der Folge am Oberkörper gepackt und durch den Korridor Richtung Treppe gestossen hat, wobei der Privatkläger weiter gegen den Beschuldigten sprayte (Urk. 7 S. 4, 7 f., 11 und 13).

      Die Aussagen der Zeugin stehen im Übrigen auch nicht im Widerspruch zu den Vorbringen der Privatklägervertretung, wonach man mit einem Pfefferspray nicht den gesamten Korridor hindurch ununterbrochen sprayen könne, da die Sprüh- dauer begrenzt sei (Urk. 76 S. 6; Prot. II S. 11). Wenn die Sprühdauer auf gesamthaft ca. 4 Sekunden limitiert ist (Urk. 75/3), ist es zwar nicht denkbar wie die Zeugin auf Nachfrage zu Protokoll gab - nonstop (Urk. 7 S. 11 Antwort auf Frage 63) während des gesamten Handgemenges zu sprayen. Ohne Weiteres möglich ist indes, mehrere, wenngleich kürzere Sprühstösse über die gesamte Korridorlänge auszulösen (so auch der Beschuldigte, Urk. 73 S. 4: mehrfach gespritzt). Dass die Zeugin dies als Nonstop-Pfefferspray-Einsatz wahrnahm, erscheint aufgrund der vorherrschenden Hektik/Panik und des Umstands, dass die Zeugin selbst auch vom Pfefferspray erfasst wurde, durchaus lebensnah und verständlich. Der Schluss der Vorinstanz, wonach der Privatkläger den Pfefferspray auch im Handgemenge im Korridor weiter einsetzte, ist folglich nicht zu beanstanden.

      Diese Aussagen der Zeugin stehen zudem im Kern im Einklang mit jenen des Beschuldigten (Urk. 4 S. 2 f.; Urk. 6 S. 4 f. und 20; Prot. I S. 9-12; Urk. 73 S. 3 ff.).

  5. Zur Verletzung sursac he und zum Treppensturz insbesondere

    1. Nicht zu folgen ist der Vorinstanz indes darin, dass keine unüberwindbaren Zweifel daran bestünden, dass die Verletzungen des Privatklägers die unmittelbare Folge des Treppensturzes seien, so, wie in der Anklageschrift umschrieben (Urk. 49 S. 15 f.).

      Die Antwort auf die Frage, wie resp. auf welche Art die Verletzungen des Privatklägers entstanden sind, wird Bedeutung erlangen für die rechtliche Beurteilung des Verhaltens des Beschuldigten, insbesondere auch unter dem Aspekt der Notwehr (Art. 15 f. StGB).

    2. Die Zeugin C.

      hat den Fortgang der Auseinandersetzung in Treppennähe nicht mehr beobachtet (Urk. 7 S. 8). Zur Verletzungsursache lässt sich aus ihren Aussagen folglich nichts ableiten.

    3. Der Beschuldigte gab zwar zunächst zu Protokoll, dass er den Privatkläger

      ohne Verletzungsabsicht - die Treppe hinuntergestossen habe (Urk. 4 S. 3; vgl. auch Urk. 6 S. 4 und Prot. I S. 10 ff.). Anlässlich der vorinstanzlichen Hauptverhandlung führte er dann allerdings aus, er habe den Privatkläger auf die Seite gedrückt, um sich einen Fluchtweg freizumachen, wobei der Privatkläger dann hinunter gestürchelt sei (Prot. I S. 11 i.f.). Im Rahmen der Berufungsverhandlung erklärte der Beschuldigte, er habe den Privatkläger Richtung Treppe gestossen, um sich den Fluchtweg freizumachen (Urk. 73 S. 4). Bei all seinen Aussagen gab der Beschuldigte jedoch konstant zu Protokoll, dass er nicht gesehen habe, ob/dass/wie der Beschuldigte die Treppe hinuntergestürzt sei (Urk. 4 S. 3; Urk. 6 S. 5 f.; Prot. I S. 10).

    4. Der Privatkläger selber hat weder geltend gemacht, dass die Verletzungen vom Treppensturz herrührten, noch dass er überhaupt die Treppe hinuntergestürzt sei (vgl. zuletzt Urk. 74 S. 3 ff.). Würden seine Verletzungen tatsächlich von einem Treppensturz herrühren, wäre aus aussagepsychologischer Sicht zu erwar-

      ten, dass dieser Treppensturz in seinen Schilderungen Erwähnung findet. Der Privatkläger präsentiert indes eine völlig andere Version. So soll es der Beschuldigte gewesen sein, der ihn im Korridor quasi unvermittelt von hinten angegriffen, geschlagen und gewürgt und durch den Korridor geschoben habe. Bei der Treppe habe der Beschuldigte versucht, ihm das Bein zu stellen. Er habe sich aber am Geländer halten können. Sie hätten immer Kontakt zueinander bis zum Zwischenboden des Treppenhauses gehabt. Dort angekommen, habe der Beschuldigte seinen Kopf gegen die Wand geschlagen und erst daraufhin habe er sich mit dem Pfefferspray zur Wehr gesetzt (Urk. 5 S. 2; Urk. 6 S. 7; Urk. 74 S. 3 f., 6).

      Der Privatkläger zeichnet ein Bild der Geschehnisse, wonach der Beschuldigte Urheber der Tätlichkeiten gewesen sein und er, der Privatkläger, dabei quasi eine rein passive (Opfer-)Rolle eingenommen haben soll, bis er sich zuletzt unten auf der Zwischenplattform der Treppe mit dem Pfefferspray habe wehren können. Diese Version der tatsächlichen Geschehnisse steht allerdings jedenfalls was die Anfangsphase der tätlichen Auseinandersetzung anbelangt in diametralem Widerspruch zu den glaubhaften Aussagen der Zeugin C. , weshalb die Vorinstanz zu Recht die Aussagen des Privatklägers als wenig glaubhaft taxiert hat (vgl. Urk. 49 S. 11-13). Diese Tatversion wird dem Beschuldigten im Übrigen auch nicht zur Last gelegt, weshalb sich diesbezügliche Weiterungen bereits aufgrund des Akkusationsprinzips erübrigen (Art. 9 Abs. 1 StPO). Dieses Prinzip bindet das erkennende Gericht an den in der Anklageschrift umschriebenen Sachverhalt. Dies wird von der Privatklägervertretung verkannt, wenn sie jedenfalls sinngemäss einen Schuldspruch gestützt auf die nicht zur Anklage erhobene Tatversion des Privatklägers fordert (Prot. II S. 14 ff.).

      Dass der Beschuldigte, wie es ihm in der Anklageschrift zum Vorwurf gemacht wird, den Privatkläger die Treppe hinuntergestossen hätte, wird vom Privatkläger nicht behauptet (vgl. zuletzt Urk. 74 S. 3 f., 6). Gerade wenn man davon ausgeht, dass der Privatkläger mit seinem Aussageverhalten bestrebt war, seinen eigenen Beitrag zu beschönigen und sich in ein günstigeres Licht zu rücken, so ist kein plausibler Grund ersichtlich, weshalb er just den Treppensturz mit Verletzungsfolge unterwähnt lassen sollte. Dieser Treppensturz wäre selbst nach der Version

      des Privatklägers die massivste Gewaltanwendung, die ihm widerfahren wäre. Hätte der Treppensturz stattgefunden und wäre der Privatkläger bestrebt, den Beschuldigten als einzigen Aggressor und sich selber als Opfer darzustellen, dann wäre zu erwarten, dass dieses Sachverhaltselement in prominenter Weise vom Privatkläger geschildert wird.

      Zwar hat der Privatkläger anlässlich der Berufungsverhandlung erstmals geltend gemacht, dass der Beschuldigte versucht habe, ihn die Treppe hinunterzustossen. Er verneinte hingegen, wie auch in den bisherigen Einvernahmen (Urk. 5

      S. 2; Urk. 6 S. 7), explizit einen Treppensturz (Urk. 74 S. 4: [Er] wollte mich dann

      auch noch die Treppe runterstossen. Das ist ihm aber nicht gelungen.). Dieser Widerspruch zwischen den Aussagen des Privatklägers und dem zur Anklage gebrachten Vorwurf blieb während des gesamten bisherigen Verfahrens unaufgelöst. Oder anders: Es bestehen mithin nicht zu unterdrückende Zweifel daran,

      dass der Privatkläger A.

      die Kopfverletzung wegen einem durch den Beschuldigten verursachten Treppensturz erlitten hat, wie in der Anklage beschrieben.

    5. Der Privatkläger trug aus diesen Geschehnissen im Wesentlichen eine Rissquetschwunde am Kopf, stirnseitig links, davon (Urk. 15/4). Wird jemand rücklings die Treppe hinuntergestossen, wären tendenziell eher Verletzungen am Hinterkopf zu erwarten. Aus dem Verletzungsbild lässt sich jedenfalls nichts ableiten, was den Anklagevorwurf in dieser Hinsicht stützt.

    6. Zusammengefasst ist festzuhalten, dass niemand einen Treppensturz des Privatklägers beobachtet hat und ein solcher vom Privatkläger selber auch nicht behauptet wird. Für die von der Verteidigung ins Feld geführten Tatversionen (Selbstbeibringung etc.; Urk. 67 S. 11 ff.) bestehen zwar keine vernünftigen Anhaltspunkte. Dennoch bleibt bei der vorliegenden Beweislage letztlich unklar, wie, auf welche Art genau die Verletzungen entstanden sind bzw. wo der Privatkläger mit dem Kopf genau aufgeschlagen ist. Der dem Beschuldigten in der Anklageschrift zur Last gelegte Sachverhalt, wonach er den Privatkläger die Treppe hinuntergestossen und jener dadurch unter anderem Kopfverletzungen davongetra-

gen habe, lässt sich nach dem Gesagten nicht mit rechtsgenügender Sicherheit erstellen.

Vielmehr ist nicht einmal erwiesen, dass die Verletzungen überhaupt durch Einwirken des Beschuldigten kausal resultiert sind. In Anwendung des Grundsatzes in dubio pro reo (Art. 10 Abs. 3 StPO) ist folglich von der für den Beschuldigten günstigsten Sachlage auszugehen, nämlich dass die Kopfverletzung überhaupt nicht in kausaler Art und Weise durch das Verhalten des Beschuldigten entstanden sind.

Selbst wenn im Sinne einer Eventualbegründung - davon ausgegangen würde, dass der Privatläger die Verletzungen im dynamischen Handgemenge im Korridor davontrug, als sich der Beschuldigte gegen die noch immer andauernde Pfeffersprayattacke zur Wehr setzte, müsste aus den nachgenannten rechtlichen Überlegungen ein Freispruch ergehen. Denn erwiesen ist nach dem Gesagten auch, dass der Privatkläger dem Beschuldigten Pfefferspray mehrfach direkt ins Gesicht spritzte, und zwar auch noch während des Handgemenges im Korridor (Aussage der Zeugin C. , Urk. 7 S. 4, 7 f., 11 und 13).

III. Rechtliche Würdigung
  1. Einfache Körperverletzung, Art. 123 Ziff. 1 Abs. 1 StGB

    1. Die Vorinstanz hat die rechtlichen Grundsätze zum Tatbestand der einfachen Körperverletzung korrekt dargestellt. Darauf ist zu verweisen (Urk. 49 S. 18 f.).

    2. Die Verletzungen des Privatklägers sind fotografisch (Urk. 3 S. 1) wie auch in einem ärztlichen Bericht (Urk. 15/4) dokumentiert. Der Privatkläger trug im Wesentlichen eine Rissquetschwunde am Kopf, stirnseitig links, davon. Eine derartige Verletzung übersteigt ohne Weiteres das Ausmass einer Tätlichkeit im Sinne von Art. 126 StGB und ist folglich als einfache Körperverletzung im Sinne von Art. 123 Ziff. 1 Abs. 1 StGB zu qualifizieren.

    3. Wenn davon auszugehen wäre, was sich vorliegend indes nicht mit rechtsgenügender Sicherheit erstellen lässt, dass die Verletzungen im Handgemenge durch Einwirkung des Beschuldigten verursacht worden sind, wäre weiter davon auszugehen, dass der Beschuldigte mit seinem Handeln Verletzungen der eingetretenen Art zumindest fahrlässig verursachte in Kauf nahm. Wer in einem engen Kellerkorridor (vgl. Urk. 3 S. 2 ff.) in tätlicher Weise in einem dynamischen Geschehen auf einen anderen Menschen einwirkt, schubst und stösst, wenn auch in der Absicht einen Angriff abzuwehren (dazu sogleich), nimmt in Kauf, dass jener bspw. mit dem Kopf gegen die Wand schlägt, wodurch es zu Kopfverletzungen der eingetretenen Art kommen kann.

    4. Wenn also davon ausgegangen würde, dass der Beschuldigte dem Privatläger die Verletzungen im dynamischen Handgemenge im Korridor zugefügt hat, wäre ein derartiges Verhalten mithin als tatbestandsmässig im Sinne von Art. 123 Ziff. 1 Abs. 1 StGB zu qualifizieren.

  2. Rechtfertigende Notwehr, Art. 15 StGB

    1. Der Beschuldigte wie auch die Verteidigung berufen sich (zumindest eventualiter) auf eine rechtfertigende Notwehr (Urk. 67 S. 16 ff.). Der Beschuldigte will sich durch sein körperliches Einwirken auf den Privatkläger gegen den Pfeffersprayangriff zur Wehr gesetzt und sich so den Weg durch den Korridor ins Freie freigemacht haben (so zuletzt Prot. I S. 11 f.; zuletzt auch Urk. 73 S. 3 f.).

      Die Vorinstanz hat eine rechtfertigende Notwehr verneint, ging dabei allerdings vom Sachverhalt gemäss Anklageschrift aus (vgl. Urk. 49 S. 21 f.). Wie nachfolgend im Sinne einer Eventualbegründung zu zeigen ist, wäre eine rechtfertigende Notwehr selbst dann zu bejahen, wenn der Beschuldigte dem Privatkläger die Verletzungen im dynamischen Handgemenge im Korridor zugefügt hätte, wovon allerdings in tatsächlicher Hinsicht aufgrund des Grundsatzes in dubio pro reo nicht auszugehen ist.

    2. Wird jemand ohne Recht angegriffen unmittelbar mit einem Angriff bedroht, so ist der Angegriffene und jeder andere berechtigt, den Angriff in einer

      den Umständen angemessenen Weise abzuwehren (Art. 15 StGB). Überschreitet der Abwehrende die Grenzen der Notwehr, so mildert das Gericht die Strafe (Art. 16 Abs. 1 StGB). Überschreitet er die Grenzen der Notwehr in entschuldbarer Aufregung Bestürzung über den Angriff, so handelt er nicht schuldhaft (Art. 16 Abs. 2 StGB). Nach der Rechtsprechung muss die Abwehr in einer Notwehrsituation nach der Gesamtheit der Umstände als verhältnismässig erscheinen. Eine Rolle spielen vor allem die Schwere des Angriffs, die durch den Angriff und die Abwehr bedrohten Rechtsgüter, die Art des Abwehrmittels und dessen tatsächliche Verwendung (BGE 102 IV 65 E. 2a mit Hinweisen, insb. BGE 79 IV 148 E. 1). Die Angemessenheit der Abwehr ist aufgrund jener Situation zu beurteilen, in der sich der rechtswidrig Angegriffene im Zeitpunkt seiner Tat befand. Es dürfen nicht nachträglich allzu subtile Überlegungen darüber angestellt werden, ob der Angegriffene sich nicht allenfalls auch mit anderen, weniger einschneidenden Massnahmen hätte begnügen können und sollen (BGE 107 IV 12 E. 3a mit Hinweis; zum Ganzen: BGE 136 IV 49 E. 3.2 mit Hinweisen). Ein Angegriffener ist nach Lehre und Rechtsprechung nicht verpflichtet zu fliehen; vielmehr ist er berechtigt, sich zu wehren (BGE 136 IV 49 und 79 IV 148).

    3. Der Beschuldigte wurde im Rahmen einer zunächst nur verbal ausgetragenen Auseinandersetzung unvermittelt durch den Privatkläger mit Pfefferspray attackiert. Die Wirkungen von Pfefferspray (mit dem Wirkstoff Capsaicin) sind hinlänglich bekannt. In den Augen bewirkt Pfefferspray einen heftigen brennenden Schmerz und führt regelmässig zu einem krampfartigen Schluss der Augenlider. Es kommt zu Rötungen und Schwellungen der Bindehaut und damit einher geht regelmässig ein heftiger Tränenfluss. Das Einatmen des Pfeffersprays bewirkt Husten und Atemnot. All diese Wirkungen wurden im Übrigen von den beteiligten Personen (Zeugin C. , der Beschuldigte und der Privatkläger) auch eindrücklich beschrieben (vgl. nur Urk. 6 S. 4 ff., 10; Urk. 7 S. 4 und 14; vgl. auch den Polizeirapport Urk. 2).

      Pfefferspray gilt zwar entgegen der Verteidigung (Urk. 67 S. 20) - nicht als Waffe im Sinne des Waffengesetzes und der dazu erlassenen Verordnung (Art. 4 Abs. 1 lit. b WG in Verbindung mit Art. 1 WV in Verbindung mit Anhang 2 e

      contrario). Dennoch stellt dieser Pfeffersprayeinsatz gegen den Beschuldigten aufgrund der beschriebenen Wirkungen einen rechtswidrigen Angriff auf die körperliche Integrität des Beschuldigten dar. Es blieb auch nicht nur bei einem Spritzer. Vielmehr ist gestützt auf die glaubhaften Aussagen der Zeugin C. erwiesen, dass der Privatkläger auch im Fortgang der Auseinandersetzung mehrfach Pfefferspray versprüht hat (Urk. 7 S. 4: Herr A.

      hat weitergesprayt.;

      so auch Urk. 7 S. 13), und zwar gegen das Gesicht des Beschuldigten (Urk. 7

      S. 8). Es ist mit anderen Worten von einem während der Auseinandersetzung im Korridor andauernden Angriff auszugehen.

    4. Dieser Angriff berechtigte den Beschuldigten zu angemessenen Verteidigungshandlungen. Er war wie dargelegt - nicht gehalten, ohne jeglichen physischen Widerstand die Flucht zu ergreifen.

      Wiederum gemäss den glaubhaften Aussagen der Zeugin (dazu vorstehend), die sich mit jenen des Beschuldigten decken, hat der Beschuldigte den Privatkläger am Oberkörper gepackt und durch den Gang gestossen. Es sei so die Zeugin ein Hin-und-Her-Schieben gewesen (Urk. 7 S. 4, 7 f., 11). Der Beschuldigte hat dabei versucht, dem Privatkläger den Pfefferspray zu entreissen (Urk. 4 S. 2; Urk. 7 S. 11). Es ist mithin von einem äusserst dynamischen, ringkampfähnlichen Handgemenge mit den Worten des Beschuldigten von einem Gerangel (Urk. 4 S. 3) auszugehen. Dass dabei nicht mehr sämtliche Abwehrbewegungen kontrolliert erfolgten, liegt nicht nur aufgrund der emotionsgeladenen Situation und den durch den unvermittelten Angriff ausgelösten Fluchtund Verteidigungsinstinkt beim Beschuldigten (vgl. dazu Urk. 4 S. 3; Urk. 6 S. 4 ff.) auf der Hand, sondern erklärt sich massgeblich auch dadurch, dass die Sinneswahrnehmung aufgrund des vom Privatkläger versprühten Reizstoffes massiv beeinflusst war.

    5. Dass der Beschuldigte dem Privatkläger direkt, gezielt und bewusst eine blutende Verletzung am Kopf verursachen wollte, kann im Rahmen eines solchen Gerangels mit Pfeffersprayeinsatz - und insbesondere auch mit Blick auf die Aussagen der Zeugin C. (vorstehend) - nicht nachgewiesen werden.

      Die Abwehrhandlung ist damit als proportional zu werten, zumal sie gegen das gleichrangige Rechtsgut - die körperliche Integrität gerichtet war, welches auch der Angreifer anvisiert hatte. Auch unter Subsidiaritätsgesichtspunkten ist die Abwehrhandlung vertretbar, da vom Beschuldigten zumindest in der überaus kurzen Reaktionszeit und in diesem dynamischen Handgemenge beeinträchtigt durch den Pfefferspraywirkstoff - nicht verlangt werden kann, er hätte sich eines milderen Abwehrmittels bedienen müssen.

    6. Selbst wenn also der Beschuldigte dem Privatkläger die Verletzungen im dynamischen Handgemenge im Korridor zugefügt haben sollte, hätte er in rechtfertigender Notwehr gehandelt. Der Beschuldigte wäre somit auch unter rechtlichen Gesichtspunkten in Anwendung von Art. 15 StGB vom Vorwurf der einfachen Körperverletzung im Sinne von Art. 123 Ziff. 1 Abs. 1 StGB freizusprechen. Mit dem Freispruch entfällt auch die Grundlage für die Verlängerung der Probezeit der Vorstrafe (Urk. 49 S. 29).

  1. Zivilansprüche

    Das Gericht entscheidet über die anhängig gemachte Zivilklage, wenn es den beschuldigten freispricht und der Sachverhalt spruchreif ist (Art. 126 Abs. 1 lit. b StPO). Ist der Sachverhalt hingegen nicht spruchreif und wird der Beschuldigte freigesprochen, so wird die Zivilklage auf den Zivilweg verwiesen (Art. 126 Abs. 2 lit. d StPO).

    Der vorliegende Sachverhalt erweist sich auch in zivilrechtlicher Hinsicht als liquide, denn auch unter zivilrechtlichen Gesichtspunkten ist von einer berechtigten Notwehr im Sinne von Art. 52 Abs. 1 OR seitens des Beschuldigten auszugehen. Als Folge davon wäre ein allfälliger vom Privatkläger erlittener Schaden ohnehin nicht zu ersetzen. Entsprechendes gilt auch für das Genugtuungsbegehren des Privatklägers.

    Demzufolge sind die Schadenersatzund die Genugtuungsforderung des Privatklägers abzuweisen.

  2. Kostenund Entschädigungsfolgen
  1. Kosten

    1. Der Beschuldigte ist freizusprechen. Die Kosten der Untersuchung sowie des erstinstanzlichen Gerichtsverfahrens sind somit auf die Gerichtskasse zu nehmen (Art. 426 Abs. 1 und 2 StPO).

    2. Der Beschuldigte obsiegt im Berufungsverfahren vollumfänglich. Demgegenüber unterliegt der Privatkläger mit seinem Antrag auf Bestätigung des vorinstanzlichen Urteils. Im Lichte einer interessengemässen Wertung sind die Kosten des Berufungsverfahrens zur Hälfte dem Privatkläger aufzuerlegen und zur Hälfte auf die Gerichtskasse zu nehmen (Art. 428 Abs. 1 StPO).

  2. Entschä digung

    1. Wird die beschuldigte Person freigesprochen, so hat sie Anspruch auf Entschädigung ihrer Aufwendungen für die angemessene Ausübung ihrer Verfahrensrechte (Art. 429 Abs. 1 lit. a StPO). Zu den Entschädigungen für Aufwendungen zur Wahrung der Verfahrensrechte (Art. 429 Abs. 1 lit. a StPO) gehören primär die Kosten der frei gewählten Verteidigung, wenn die Verbeiständung angesichts der tatsächlichen rechtlichen Komplexität des Falls geboten war (S CHMID, Handbuch StPO, 2. Aufl. 2013, N 1810).

    2. Vorliegend war der Beizug einer anwaltlichen Verteidigung gerechtfertigt, zumal auch die Gegenseite anwaltlich vertreten ist und zudem ein Widerruf zur Debatte stand. Der Verteidiger reichte zur Bezifferung des Entschädigungsanspruchs vier Honorarnoten ein (Urk. 71/1-4).

    3. Die Höhe der Entschädigung für die anwaltliche Verteidigung richtet sich nach der Verordnung über die Anwaltsgebühren vom 8. September 2010 (Anwaltsgebührenverordnung, LS 215.3, nachstehend: AnwGebV). Diese setzt sich aus einer Gebühr sowie den notwendigen Auslagen zusammen (§ 1 Abs. 2 AnwGebV).

      Die Gebühr für die Führung eines Strafprozesses (einschliesslich Vorbereitung des Parteivortrages und Teilnahme an der Hauptverhandlung) beträgt im Bereich der Zuständigkeit des Einzelgerichts auch im Berufungsverfahren in der Regel Fr. 600.bis Fr. 8'000.-, wobei auch zu berücksichtigen ist, ob das vorinstanzliche Urteil ganz nur teilweise angefochten wurde (§ 18 Abs. 1 i.V.m.

      § 17 Abs. 1 lit. a AnwGebV). Innerhalb dieses Rahmens wird die Grundgebühr

      nach den besonderen Umständen, namentlich nach Art und Umfang der Bemühungen und Schwierigkeiten des Falles, bemessen (vgl. § 2 AnwGebV). Im Vorverfahren bemisst sich die Gebühr nach dem notwendigen Zeitaufwand (§ 16 Abs. 1 AnwGebV). Notwendige Auslagen sind namentlich bezahlte Gerichtskosten, Reisespesen, Porti, Kosten für Telekommunikation und Fotokopien (§ 22 Abs. 1 AnwGebV).

    4. Der von der Verteidigung geltend gemachte Stundenansatz von Fr. 300.ist angemessen und bewegt sich im Rahmen von § 3 AnwGebV.

      Für das Vorverfahren veranschlagt die Verteidigung einen Aufwand von 12 Stunden, mithin Fr. 4'004.60 inkl. Spesenpauschale und MwSt. (Urk. 71/1+2). Der Aufwand ist ausgewiesen und erscheint angemessen.

      Im Weiteren macht die Verteidigung einen Aufwand von 22.45 Stunden für das erstinstanzliche Verfahren geltend (Urk. 71/3, Aufwandpositionen bis und mit 12.09.2016). Dies entspricht einem Betrag von Fr. 7'492.inkl. Spesenpauschale und MwSt. Der Gebührenrahmen reicht für das erstinstanzliche Verfahren wie erwähnt bis Fr. 8'000.-. Die für das vorinstanzliche Verfahren geltend gemachte Entschädigung bewegt sich damit am obersten Rand des Gebührenrahmens. Allerdings rechtfertigen Schwierigkeit und Aktenumfang keine Entschädigung in dieser Grössenordnung. In der Leistungsübersicht (Urk. 71/3) figurieren denn auch verschiedene Positionen, die nicht bzw. nicht in der geltend gemachten Höhe angemessen erscheinen, namentlich die Abklärung der Bundesgerichtspraxis während 1 ¾ Stunden, die diversen Telefonate insbesondere mit dem Mandanten.

      Angesichts des doch sehr überschaubaren Aktenumfangs und der eher geringen Komplexität des Falles erscheint eine pauschale Entschädigung für das Untersuchungsund das erstinstanzliche Gerichtsverfahren von Fr. 8'000.angemessen.

      Für das Berufungsverfahren macht die Verteidigung schliesslich eine Entschädigung von Fr. 8'242.85 geltend (Urk. 71/3 ab 13.09.2016 sowie Urk. 71/4), also wiederum in einer Höhe, die gar ausserhalb des Gebührenrahmens liegt. Dies (namentlich der Aufwand für das Plädoyer vor Berufungsgericht) erscheint wiederum unter Berücksichtigung der konkreten Bedeutung und Schwierigkeit des Falles (§ 18 Abs. 1 i.V.m. § 17 Abs. 1 lit. a und § 1 Abs. 2 AnwGebV) als zu hoch. Eine pauschale Entschädigung für das Berufungsverfahren von Fr. 4'000.erscheint angemessen. Ausgangsgemäss ist der Privatkläger zu verpflichten, die Hälfte dieser Entschädigung zu bezahlen. Die andere Hälfte ist auf die Gerichtskasse zu nehmen.

    5. Zusammengefasst ist dem Beschuldigten für das gesamte Verfahren, unter Einbezug der Hauptund Berufungsverhandlungen, eine Entschädigung für anwaltliche Verteidigung von insgesamt Fr. 12'000.- (einschliesslich MwSt.) aus der Gerichtskasse zuzusprechen.

Es wird erkannt:

  1. Der Beschuldigte B. wird vollumfänglich freigesprochen.

  2. Die Schadenersatzund Genugtuungsbegehren des Privatklägers A. werden abgewiesen.

  3. Die erstinstanzliche Kostenfestsetzung (Disp.-Ziff. 7) wird bestätigt.

  4. Die Kosten der Untersuchung sowie des erstinstanzlichen Gerichtsverfahrens werden auf die Gerichtskasse genommen.

  5. Die zweitinstanzliche Gerichtsgebühr wird festgesetzt auf Fr. 3'000.-.

  6. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden zur Hälfte dem Privatkläger auferlegt und zur Hälfte auf die Gerichtskasse genommen.

  7. Für das Untersuchungsverfahren und das erstinstanzliche Gerichtsverfahren wird dem Beschuldigten eine Prozessentschädigung von Fr. 8'000.für anwaltliche Verteidigung aus der Gerichtskasse zugesprochen.

  8. Der Privatkläger wird verpflichtet, dem Beschuldigten für das Berufungsverfahren eine Prozessentschädigung von Fr. 2'000.für anwaltliche Verteidigung zu bezahlen.

    Zudem wird dem Beschuldigten für das Berufungsverfahren eine Prozessentschädigung von Fr. 2'000.für anwaltliche Verteidigung aus der Gerichtskasse zugesprochen.

  9. Mündliche Eröffnung und schriftliche Mitteilung im Dispositiv an

    • die Verteidigung im Doppel für sich und zuhanden des Beschuldigten (übergeben)

    • die Staatsanwaltschaft Limmattal / Albis

    • die Vertretung des Privatklägers im Doppel für sich und die Privatklägerschaft (übergeben)

      sowie in vollständiger Ausfertigung an

    • die Verteidigung im Doppel für sich und zuhanden des Beschuldigten

    • die Staatsanwaltschaft Limmattal / Albis

    • die Vertretung des Privatklägers im Doppel für sich und die Privatklägerschaft

      und nach unbenütztem Ablauf der Rechtsmittelfrist bzw. Erledigung allfälliger Rechtsmittel an

    • die Vorinstanz

    • die Koordinationsstelle VOSTRA zur Entfernung der Daten gemäss Art. 12 Abs. 1 lit. d VOSTRA mittels Kopie von Urk. 10/1 mit dem Vermerk Freispruch

    • die Kantonspolizei Zürich, mit separatem Schreiben (§ 54a Abs. 1 PolG) betr. Geschäfts-Nr. 63869330

  10. Gegen diesen Entscheid kann bund esrechtliche Beschwerde in Strafsachen erhoben werden.

Die Beschwerde ist innert 30 Tagen, von der Zustellung der vollständigen, begründeten Ausfertigung an gerechnet, bei der Strafrechtlichen Abteilung des Bundesgerichtes (1000 Lausanne 14) in der in Art. 42 des Bundesgerichtsgesetzes vorgeschriebenen Weise schriftlich einzureichen.

Die Beschwerdelegitimation und die weiteren Beschwerdevoraussetzungen richten sich nach den massgeblichen Bestimmungen des Bundesgerichtsgesetzes.

Obergericht des Kantons Zürich

I. Strafkammer Zürich, 20. April 2017

Der Präsident:

lic. iur. R. Naef

Der Gerichtsschreiber:

Dr. iur. F. Manfrin

Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.

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