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Urteil Obergericht des Kantons Zürich (ZH)

Kopfdaten
Kanton:ZH
Fallnummer:SB140021
Instanz:Obergericht des Kantons Zürich
Abteilung:II. Strafkammer
Obergericht des Kantons Zürich Entscheid SB140021 vom 27.06.2014 (ZH)
Datum:27.06.2014
Rechtskraft:-
Leitsatz/Stichwort:versuchte Nötigung
Zusammenfassung : Es handelt sich um einen Fall vor dem Obergericht des Kantons Zürich, bei dem es um versuchte Nötigung ging. Die Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl ging gegen das Urteil des Bezirksgerichts vor und beantragte eine Geldstrafe für den Beschuldigten. Der Beschuldigte hatte den Autoschlüssel eines Privatklägers entwendet, um eine Lohnforderung durchzusetzen. Das Gericht entschied letztendlich, den Beschuldigten schuldig zu sprechen und mit einer Geldstrafe von 2 Tagessätzen zu belegen. Die Kosten des Verfahrens wurden dem Beschuldigten zur Hälfte auferlegt, aber aufgrund seiner finanziellen Lage erlassen.
Schlagwörter : Beschuldigte; Beschuldigten; Staat; Staatsanwalt; Geldstrafe; Staatsanwaltschaft; Privatkläger; Vorinstanz; Urteil; Tagessätze; Gericht; Berufung; Verteidigung; Probezeit; Nötigung; Befehl; Täter; Vollzug; Zürich-Sihl; Tagessätzen; Anschlussberufung; Arbeit; Verhältnisse; Abteilung; Sinne; Schuld; Privatklägers; Verhalten; Verschulden
Rechtsnorm:Art. 181 StGB ; Art. 22 StGB ; Art. 339a OR ; Art. 34 StGB ; Art. 37 StGB ; Art. 40 StGB ; Art. 42 StGB ; Art. 425 StPO ; Art. 428 StPO ; Art. 44 StGB ; Art. 47 StGB ; Art. 51 StGB ; Art. 52 StGB ; Art. 82 StPO ; Art. 84 StPO ;
Referenz BGE:135 IV 180;
Kommentar:
Donatsch, Hans, Hansjakob, Lieber, Kommentar StPO, Art. 382 StPO, 2014
Entscheid

Obergericht des Kantons Zürich

II. Strafkammer

Geschäfts-Nr.: SB140021-O/U/cs

Mitwirkend: der Oberrichter lic. iur. Ruggli, Präsident, Ersatzoberrichterin lic. iur.

Bertschi und Ersatzoberrichter lic. iur. Huizinga sowie die Gerichtsschreiberin lic. iur. Aardoom

Urteil vom 27. Juni 2014

in Sachen

Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl, vertreten durch Staatsanwalt lic. iur. Moder

Anklägerin, Berufungsklägerin und Anschlussberufungsbeklagte

gegen

A. ,

Beschuldigter, Berufungsbeklagter und Anschlussberufungskläger amtlich verteidigt durch Rechtsanwältin lic. iur. X.

betreffend versuchte Nötigung

Berufung gegen ein Urteil des Bezirksgerichtes Zürich, 10. Abteilung - Einzelgericht, vom 19. November 2013 (GB130088)

Strafbefehl:

Der Strafbefehl der Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl vom 22. April 2013 (Urk. 35) ist diesem Urteil beigeheftet.

Urteil der Vorinstanz:

  1. Der Beschuldigte ist schuldig der versuchten Nötigung im Sinne von Art. 181 StGB in Verbindung mit Art. 22 Abs. 1 StGB.

  2. Es wird in Anwendung von Art. 52 StGB von einer Bestrafung des Beschuldigten abgesehen.

  3. Die mit Strafbefehl der Staatsanwaltschaft, Abteilung 2 Emmen, vom 9. März 2012 angesetzte Probezeit von zwei Jahren wird um ein Jahr verlängert.

  4. Die Entscheidgebühr wird festgesetzt auf:

    Fr. 1'500.00 ; die weiteren Kosten betragen: Fr. Kosten Kantonspolizei

    Fr. Kanzleikosten

    Fr. Auslagen Untersuchung

  5. Die Kosten gemäss vorstehender Ziffer sowie die Kosten des Strafbefehls Nr. F-3/2012/6515 vom 22. April 2013 in Höhe von Fr. 900.00 und allfällige nachträgliche Untersuchungsund Überweisungskosten der Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl werden dem Beschuldigten auferlegt, jedoch definitiv abgeschrieben.

Berufungsanträge:

  1. Des Vertreters der Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl: (Urk. 71 S. 1)

    1. Das Urteil des Bezirksgerichtes Zürich vom 19. November 2013 sei mit Ausnahme der Dispositiv Ziffer 2 zu bestätigen.

    2. Der Beschuldigte sei zu einer Geldstrafe von 25 Tagessätzen zu

      Fr. 10.00, entsprechend Fr. 250.00, wovon 2 Tagessätze durch Haft erstanden sind, zu bestrafen, wobei der Vollzug der Geldstrafe - unter Ansetzung einer Probezeit von 3 Jahren aufzuschieben sei.

  2. Der Verteidigung des Beschuldigten: (Urk. 72 S. 2)

    1. Der Beschuldigte sei vom Vorwurf der versuchten Nötigung i.S. von Art. 181 StGB i.V.m. Art. 22 StGB von Schuld und Strafe vollumfänglich freizusprechen.

    2. Auf die Verlängerung der Probezeit des Strafbefehls, Abteilung 2 Emmen, vom 9. März 2012 sei aufgrund des obig beantragten Freispruchs zu verzichten.

    1. Dem Beschuldigten sei für die Dauer in der Polizeihaft vom 21. auf den

      22. April 2013 eine Entschädigung von CHF 400.00 zuzusprechen.

    2. Die Kosten der Untersuchung und des erstund zweitinstanzlichen gerichtlichen Verfahrens seien auf die Staatskasse zu nehmen.

    3. Die Kosten der amtlichen Verteidigung im zweitinstanzlichen Verfahren seien auf die Staatskasse zu nehmen.

Erwägungen:

  1. Prozessgeschichte

    1. Mit Strafbefehl vom 22. April 2013 wurde der Beschuldigte wegen versuchter Nötigung mit einer Geldstrafe von 25 Tagessätzen zu Fr. 10.bestraft, unter Anrechnung der erstandenen Haft und Aufschub des Vollzugs der Strafe bei einer Probezeit von 3 Jahren. Zudem wurde die mit Strafbefehl der Staatsanwaltschaft Emmenbrücke vom 9. März 2012 angesetzte Probezeit von zwei Jahren um ein Jahr verlängert (Urk. 35). Die Untersuchungsbehörde hielt nach fristgerechter Einsprache des Beschuldigten am Strafbefehl fest, woraufhin der Einzelrichter am Bezirksgericht Zürich mit Verfügung vom 11. Juni 2013 das Verfahren zufolge fehlenden Strafbedürfnisses einstellte (Urk. 47).

    2. Die Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl erhob gegen diesen Entscheid am

      16. Juli 2013 Beschwerde ans Obergericht des Kantons Zürich (Urk. 50). Die

      III. Strafkammer erwog, dass für den vorliegenden Fall nach Anklageerhebung eine Einstellung nicht mehr möglich sei und wies das Verfahren zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurück (Urk. 53), welche in der Folge mit Datum vom

      19. November 2013 das eingangs angeführte Urteil fällte (Urk. 54).

    3. Die Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl meldete am 6. Dezember 2013 rechtzeitig Berufung gegen das vorinstanzliche Urteil an und stellte den Antrag, der Beschuldigte sei in Aufhebung von Dispositiv Ziffer 2 des bezirksgerichtlichen Urteils zu einer Geldstrafe von 25 Tagessätzen à Fr. 10.zu bestrafen, wovon

      2 Tagessätze durch Haft erstanden seien, wobei der Vollzug der Geldstrafe unter Ansetzung einer Probezeit von 3 Jahren aufzuschieben sei (Urk. 60 S. 3).

    4. Mit Verfügung vom 14. April 2014 wurde dem Beschuldigten in Anwendung von Art. 130 lit. d StPO eine amtliche Verteidigung bestellt (Urk. 66). Anlässlich der Berufungsverhandlung erklärte diese, dass der Beschuldigte das gesamte vorinstanzliche Urteil anfechte. Diesbezüglich hielt sie fest, dass sie erst zu einem späten Zeitpunkt eingesetzt worden sei. Sie selbst habe keine Frist zur Erhebung einer Anschlussberufung erhalten. Der Beschuldigte sei nicht anwaltlich vertreten

      gewesen und habe das Verfahren gar nicht verstanden. Er habe aber immer so auch vor Vorinstanz gesagt, dass er von Schuld und Strafe freizusprechen sei. Es könne ihm nicht zum Vorwurf gemacht werden, dass er selber in der Sache keine Berufung erhoben habe, da er den Unterschied, dass es hier um Ziffer 2 des Urteils gegangen sei, nicht verstanden habe und er wegen Ziffer 1 hätte Berufung erheben müssen. Der Beschuldigte habe seiner Verteidigerin klar bestätigt, dass er sich nicht schuldig fühlte. Zwar habe er den Sachverhalt äusserlich anerkannt, aber das könne ihm nicht zum Verhängnis gemacht werden, weil er nicht anwaltlich vertreten gewesen sei (Urk. 72 S. 3; Prot. II S. 12).

      Nach einer Zwischenberatung des Gerichts hielt der Präsident fest, dass dem Beschuldigten mit Präsidialverfügung vom 28. Januar 2014 Frist zur Anschlussberufung angesetzt worden sei. Die amtliche Verteidigung sei indessen erst mit Präsidialverfügung vom 14. April 2014 eingesetzt worden. Demzufolge hätte entweder von Beginn an die amtliche Verteidigung eingesetzt die Frist zur Anschlussberufung neu angesetzt werden müssen. Die Frist zur Erklärung der Anschlussberufung wurde deshalb gegenüber dem Beschuldigten durch das Gericht wieder eröffnet (Prot. II S. 13). Die Verteidigerin erklärte in der Folge formell Anschlussberufung, welche sich auf sämtliche Ziffern des vorinstanzlichen Urteils beziehe (Prot. II S. 13).

    5. Beweisergänzungsanträge wurden nicht gestellt.

  2. Schuldpunkt

    1. Dem Beschuldigten wird vorgeworfen, am 17. September 2012, um ca. 11:45 Uhr, aus dem an der B. -Strasse ... in Zürich parkierten Lieferwagen des Privatklägers dessen Schlüsselbund behändigt zu haben und ihm diesen während den folgenden ca. 27 Stunden vorenthalten zu haben. Dies, um den Privatkläger so zur Bezahlung der geforderten Lohnsumme von Fr. 220.zu bewegen, was ihm allerdings nicht gelungen sei.

    2. Diesen Sachverhalt hat der Beschuldigte stets eingestanden und dies auch anlässlich der Berufungsverhandlung bestätigt (Urk. 3 S. 2 f.; Urk. 32 S. 2 f.;

      Urk. 42 S. 4; Prot. II S. 11). Der Sachverhalt ist somit erstellt.

    3. In rechtlicher Hinsicht würdigte die Vorinstanz das Verhalten des Beschuldigten als versuchte Nötigung im Sinne von Art. 181 StGB in Verbindung mit

      Art. 22 Abs. 1 StGB.

      1. Dass die Handlungsfreiheit des Privatklägers durch den Beschuldigten eingeschränkt wurde, wird nicht bestritten (Urk. 72 S. 5). Beim Tatbestand der Nötigung ist die Rechtswidrigkeit positiv zu begründen. Dass der durch den Beschuldigten verfolgte Zweck - Geltendmachung einer bestehenden Lohnforderung rechtmässig war, wurde bereits durch die Vorinstanz festgehalten. Es kann auf die Ausführungen der Vorinstanz und der Verteidigerin verwiesen werden (Urk. 59 S. 5; Urk. 72 S. 5 f.).

      2. Der Beschuldigte lässt geltend machen, dass auch das verwendete Mittel und die Relation von Mittel und Zweck nicht unerlaubt waren. Da seine Lohnforderung fällig gewesen sei, habe ihm gemäss Art. 339a OR ein Retentionsrecht zugestanden und bestehe auch die notwendige Relation zur Lohnforderung (Urk. 72

        S. 6). Indessen benötigte bzw. benutzte der Beschuldigte das besagte Fahrzeug nicht zur Ausführung seiner Arbeitstätigkeit. So führte er aus, dass er jeweils selbständig an den Arbeitsort reiste (Urk. 3 S. 1 f.). Wie bereits die Vorinstanz zutreffend festhielt, besteht somit kein Zusammenhang der Behändigung des Schlüssels zur Arbeitstätigkeit des Beschuldigten, welcher ein Retentionsrecht im Sinne des Obligationenrechts begründet hätte.

      3. Der Beschuldigte macht weiter geltend, er habe sich in einer Notstandsituation befunden, da er zum Tatzeitpunkt auf der Strasse gelebt habe und dringend auf das geforderte Geld angewiesen gewesen sei (vgl. Urk. 59 S. 4 f.; Prot. II

        S. 11; Urk. 72 S. 7 f.). Die Vorinstanz hat diese Argumentation zutreffend verworfen, auf welche Erwägungen verwiesen werden kann (Art. 82 Abs. 4 StPO;

        Urk. 59 S. 5 f.). So ist zwar nachvollziehbar, dass der Beschuldigte grundsätzlich auf Geld zur Deckung seiner Bedürfnisse angewiesen war. Mit der Staatsanwalt schaft (Prot. II S. 14 f.) ist indessen darauf hinzuweisen, dass der Staat für solche Situationen ein soziales Auffangnetz zur Verfügung stellt, indem die Möglichkeit von Sozialhilfe besteht und es auch genügend private Organisationen gibt, an welche man sich für eine Mahlzeit einen Schlafplatz wenden kann (vgl. dazu auch nachfolgend 3. 6). Zur Durchsetzung seiner Forderung wäre dem Beschuldigten der Rechtsweg offen gestanden. Zudem bestand zu keinem Zeitpunkt eine unmittelbare Lebensgefahr für den Beschuldigten.

    4. Die rechtliche Würdigung der Vorinstanz ist somit zutreffend. Der Beschuldigte machte sich damit der versuchten Nötigung im Sinne von Art. 181 StGB in Verbindung mit Art. 22 Abs. 1 StGB schuldig (vgl. Urk. 54 S. 10).

  3. Fehlendes Strafbedürfnis

    1. Die zuständige Behörde sieht von einer Strafverfolgung, einer Überweisung an das Gericht einer Bestrafung ab, wenn Schuld und Tatfolgen geringfügig sind (Art. 52 StGB). Die Vorinstanz hat die bundesgerichtliche Rechtsprechung und die Lehre zur Anwendung dieser Bestimmung zutreffend wiedergegeben; darauf ist zu verweisen (vgl. Art. 82 Abs. 4 StPO).

    2. Der Einzelrichter am Bezirksgericht Zürich sah von einer Bestrafung des Beschuldigten ab, da dieser offenkundig in prekären Verhältnissen von der Hand in den Mund lebe und keinen Weg gesehen habe, seine weitgehend berechtigte Forderung auf dem behördlichen Weg durchzusetzen; die subjektive Schwere der Tat sei damit vernachlässigbar. Auch die objektive Schwere der Tat sei geringfügig, da ein harmloses Mittel zur Nötigung verwendet worden und die Integrität des Privatklägers nicht beeinträchtigt worden sei. Ferner stünden bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen mit der Pfandnahme bzw. Retention gesetzlich zulässige Sicherungsmittel für Forderungen zur Verfügung. Schliesslich habe der Beschuldigte keineswegs den Eindruck eines unbelehrbaren Delinquenten erweckt (Urk 54 S. 7 f.).

    3. Die Staatsanwaltschaft monierte diesbezüglich, dass die Selbstjustiz des Beschuldigten nicht gerechtfertigt gewesen sei, auch wenn er wohl keinen Weg

      gesehen habe, rasch an sein Geld zu kommen. Der Beschuldigte habe den Autoschlüssel während rund 27 Stunden und folglich über einen nicht unerheblichen Zeitraum vorenthalten. Unter Beachtung der bundesgerichtlichen Rechtsprechung hinsichtlich Nacktwanderns und verbotener Selbsthilfe beim Zuparkieren von Falschparkern bei der die Blockierung der Wegfahrt für wenige Minuten schon ausreichend sei, um den Tatbestand zu erfüllen könne die faktische Blockierung des Fahrzeugs über 27 Stunden klarerweise nicht als geringfügige Folge der Tat gesehen werden; der Beschuldigte sei daher zu bestrafen (Urk. 60 S. 2 f.; Urk. 71 S. 2 f.).

    4. Der Beschuldigte liess an der heutigen Verhandlung auf die Ausführungen der Vorinstanz verweisen (Prot. II S. 15; Urk. 59 S. 6 ff.).

    5. Gemäss seinen eigenen Aussagen erhielt der Beschuldigte vom Privatkläger am 13. September 2012 Fr. 100.- und am 14. September 2014 Fr. 200.als Lohnvorschuss (Urk. 3 S. 3 und 5). In der staatsanwaltschaftlichen Einvernahme vom 22. April 2013 ergänzte der Beschuldigte, dass ihn ein Polizist am

      17. September 2012 am Tag des Vorfalls angerufen und geheissen habe, auf den Polizeiposten zu kommen, wo er nach Rückgabe des Schlüssels vom Privatkläger weitere Fr. 120.erhalten würde. Er habe erwidert, den Schlüssel weiter einzubehalten, bis der Privatkläger ihm den ganzen zustehenden Lohn ausbezahle. Er sei davon ausgegangen, dass der Privatkläger nach der Wegnahme des Schlüssels genügend schlau sei, ihm den Lohn zu zahlen und richtig zu reagieren (Urk. 32 S. 3 f.; vgl. Prot. I S. 4).

    6. Auch wenn ohne Weiteres ersichtlich ist, dass der Beschuldigte in prekären Verhältnissen lebt, trifft dessen Behauptung nicht zu, aufgrund des Verhaltens des Privatklägers nicht einmal ausreichend Geld zur Finanzierung eines Essens gehabt zu haben, da er kurz vor dem Vorfall insgesamt Fr. 300.erhalten hatte und ihm danach weitere Fr. 120.- (nach Aussagen des Privatklägers gar Fr. 150.-, vorbehältlich der definitiven Abrechnung) in Aussicht gestellt wurden. Entgegen der Vorinstanz kann das Verhalten des Beschuldigten damit auch nicht als vollkommen nachvollziehbar und nachfühlbar bezeichnet werden. Ferner erscheint es

      wie bereits oben unter 2.3.2 ausgeführt als unzulässig, die Handlungen des

      Beschuldigten in die Nähe der Pfandnahme bzw. Retention zu rücken, da er sich eigenmächtig und ohne Zustimmung den Besitz am Schlüsselbund des Privatklägers verschafft hatte. Voraussetzung für die Strafbefreiung gemäss Art. 52 StGB ist die Geringfügigkeit von Schuld und Tatfolgen. Beide Voraussetzungen müssen kumulativ erfüllt sein. Wer trotz polizeilicher Aufforderung bei gleichzeitigem Inaussichtstellen einer zumindest teilweisen Begleichung der Forderung weiterhin an einem tatbestandsmässigen Verhalten, verpönter Selbstjustiz, festhält, dessen Schuld kann in subjektiver Hinsicht nicht mehr als derart gering erachtet werden.

    7. Aus diesem Grund erscheinen die Voraussetzungen für das Absehen von einer Strafe als nicht gegeben; die Berufung der Staatsanwaltschaft ist begründet und es ist eine Strafe auszufällen.

  4. Strafzumessung

    1. Als Strafen sieht das Strafgesetzbuch Geldstrafe gemäss Art. 34 StGB, gemeinnützige Arbeit im Sinne von Art. 37 StGB und Freiheitsstrafe gemäss Art. 40 StGB vor. Gemäss Art. 34 Abs. 1 StGB beträgt die Geldstrafe höchstens 360 Tagessätze, sofern das Gesetz nichts anderes vorsieht. Die Zahl der Tagessätze ist nach dem Verschulden des Täters zu bestimmen. Gemäss Abs. 2 derselben Bestimmung beträgt ein Tagessatz höchstens Fr. 3'000.-.

    2. Das Gericht misst die Strafe nach dem Verschulden des Täters zu. Es berücksichtigt dabei das Vorleben und die persönlichen Verhältnisse sowie die Wirkung der Strafe auf das Leben des Täters (Art. 47 Abs. 1 StGB). Das Verschulden wird nach der Schwere der Verletzung Gefährdung des betroffenen Rechtsguts, nach der Verwerflichkeit des Handelns, den Beweggründen und Zielen des Täters sowie danach bestimmt, wie weit der Täter nach den inneren und äusseren Umständen in der Lage war, die Gefährdung Verletzung zu vermeiden

      (Art. 47 Abs. 2 StGB). Für die Zumessung der Strafe ist zwischen der Tatund der Täterkomponente zu unterscheiden. Bei der Tatkomponente ist als Ausgangspunkt die objektive Schwere des Delikts festzulegen und zu bewerten. Dabei ist anhand des Ausmasses des Erfolgs sowie auf Grund der Art und Weise des Vorgehens zu beurteilen, wie stark das strafrechtlich geschützte Rechtsgut beeinträchtigt worden ist. Ebenfalls von Bedeutung sind die kriminelle Energie, der Tatbeitrag bei Tatausführung durch mehrere Täter sowie ein allfälliger Versuch. Hinsichtlich des subjektiven Verschuldens sind insbesondere das Motiv, die Beweggründe, die Willensrichtung sowie das Mass an Entscheidungsfreiheit des Täters zu beurteilen. Die Täterkomponente umfasst die persönlichen Verhältnisse, das Vorleben, insbesondere frühere Strafen Wohlverhalten, und das Verhalten nach der Tat und im Strafverfahren, insbesondere gezeigte Reue und Einsicht, ein abgelegtes Geständnis (Donatsch/Flachsmann/Hug/Weder, Kommentar zum Schweizerischen Strafgesetzbuch, 13. Aufl., Zürich 2013, Art. 47 N 5 ff.).

    3. Der Tatbestand der Nötigung nach Art. 181 StGB wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren Geldstrafe bis 360 Tagessätzen bestraft. Bei einem Versuch, wie vorliegend, kann das Gericht die Strafe mildern (Art. 22 Abs. 1 StGB).

    4. Bezüglich der objektiven Tatschwere ist festzuhalten, dass das Verschulden sehr leicht wiegt. Das abgenötigte Verhalten bestand einzig in der Wegnahme des Fahrzeugschlüssels des Privatklägers und damit in der faktischen Verunmöglichung, den Lieferwagen zu fahren. Der Privatkläger erlitt keinen relevanten Nachteil. Es ist von einer geringen kriminellen Energie auszugehen, da der Beschuldigte nach einem probaten Mittel zur Durchsetzung seiner Forderung auf Arbeitslohn gegenüber dem Arbeitgeber suchte. Auch die Tatfolgen für den Privatkläger waren nicht schwerwiegend, da ihm durch seinen Vater noch am Tag der Behändigung des Fahrzeugschlüssels durch den Beschuldigten der passende Ersatzschlüssel gebracht wurde (Urk. 4 S. 2). Das Fahrzeug stand dem Privatkläger somit nur wenige Stunden nicht zu Verfügung und aus den Akten ist nicht ersichtlich, dass diesem daraus ein Schaden entstanden wäre. Dass der angestrebte Erfolg ausblieb, lag ausserhalb des Einflussbereichs des Beschuldigten und wirkt sich deshalb nur marginal zu seinen Gunsten aus.

    5. Beim subjektiven Tatverschulden ist zu berücksichtigen, dass der Beschuldigte vorsätzlich handelte und auch nach einem Anruf eines Polizisten weiterhin am tatbestandsmässigen Verhalten festhielt. Hingegen sind seine Beweggründe weitgehend nachvollziehbar. Schliesslich war der Beschuldigte, der sich eigen-

      ständig unter dem Existenzminimum durchschlägt, auf eine prompte Zahlung der Lohnforderung dringend angewiesen.

    6. Das Verschulden des Beschuldigten kann gesamthaft als sehr leicht bezeichnet werden. Es erscheint eine Einsatzstrafe von 2 Tagessätzen Geldstrafe als angemessen.

    7. Bezüglich des Vorlebens und der persönlichen Verhältnisse des wegen Zechprellerei vorbestraften 45-jährigen Beschuldigten ist bekannt, dass er in die Sekundarschule an einer Privatschule abschloss, eine Lehre als Schriftenund Reklamenmaler absolvierte und danach bei diversen Arbeitgebern vor allem im Hoch-, Tief, Strassenund Gartenbau arbeitete. Er lebt derzeit als Obdachloser alleine auf der Strasse und finanziert sich durch Gelegenheitsarbeiten; er hat weder Vermögen noch Schulden (Urk. 11 f.; Urk. 32 S. 5 f.). Seinen heutigen Ausführungen ist zu entnehmen, dass seine persönlichen Verhältnisse im Wesentlichen unverändert geblieben sind (Prot. II S. 6 ff.). Der Biographie des Beschuldigten lassen sich keine strafzumessungsrelevanten Faktoren entnehmen.

    8. Die Vorstrafe des Beschuldigten vom 9. März 2012 wegen Zechprellerei und die Delinquenz während laufender Probezeit wirken sich straferhöhend aus. Das weitgehende Geständnis des Beschuldigten ist hingegen strafmindernd zu berücksichtigen. Diese Strafzumessungsfaktoren halten sich in etwa die Waage.

    9. In Anbetracht aller relevanter Umstände erweist sich demnach eine Geldstrafe von 2 Tagessätzen als angemessen.

    10. Der Tagessatz darf nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung auch in misslichen finanziellen Verhältnissen den Betrag von Fr. 10.- nicht unterschreiten, um noch als ernsthafte Sanktion wahrgenommen zu werden (Urteil BGer vom

      13. Juli 2010, 6B_610/2009, E. 1.5; BGE 135 IV 180 E. 1.4.2 mit Hinweisen). Für

      den mittellosen Beschuldigten ist mithin die von der Untersuchungsbehörde beantragte Höhe des Tagessatzes festzusetzen.

    11. Unter Berücksichtigung sämtlicher massgebender Strafzumessungsgründe erscheint es dem Verschulden und den persönlichen Verhältnissen des Beschul-

      digten angemessen, ihn mit einer Geldstrafe von 2 Tagessätzen zu Fr. 10.zu bestrafen, welche als durch 2 Tage Haft geleistet gilt (Art. 51 StGB).

  5. Vollzug

    1. Das Gericht schiebt den Vollzug einer Geldstrafe, von gemeinnütziger Arbeit einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten und höchstens zwei Jahren in der Regel auf, wenn eine unbedingte Strafe nicht notwendig erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen Vergehen abzuhalten (Art. 42 Abs. 1 StGB). Materiell ist demnach das Fehlen einer ungünstigen Prognose vorausgesetzt. Das heisst in Anlehnung an die herrschende Praxis, dass auf das Fehlen von Anhaltspunkten für eine Wiederholungsgefahr abgestellt wird. Die günstige Prognose wird also vermutet.

    2. Da vorliegend eine Geldstrafe auszufällen ist, sind in objektiver Hinsicht die Voraussetzungen zur Gewährung des bedingten Strafvollzuges erfüllt. Der Beschuldigte weist eine Vorstrafe über 10 Tagessätze Geldstrafe aus dem März 2012 auf; Art. 42 Abs. 2 StGB gelangt nicht zur Anwendung. Weil keine Umstände vorliegen, die einen Vollzug der Geldstrafe erheischen, ist dem Beschuldigten der bedingte Strafvollzug zu gewähren.

    3. Schiebt das Gericht den Vollzug einer Strafe ganz teilweise auf, so bestimmt es dem Verurteilten eine Probezeit von zwei bis fünf Jahren (Art. 44 Abs. 1 StGB). Diese ist auf zwei Jahre anzusetzen.

  6. Widerruf

    1. Die Vorinstanz verlängerte die mit Strafbefehl der Staatsanwaltschaft, Abteilung 2, Emmen, vom 9. März 2012 angesetzte Probezeit um ein Jahr. Sie hat die theoretischen Grundlagen der Delinquenz während laufender Probezeit korrekt dargelegt, worauf verwiesen werden kann (Urk. 59 S. 9). Indessen erscheint angesichts der leichten Delinquenz des Beschuldigten sowie dessen günstiger Prognose eine Verwarnung als genügend, um den Beschuldigten von der Ver- übung weiterer Straftaten abzuhalten.

  7. Kostenfolge

    1. Ausgangsgemäss ist das vorinstanzliche Kostendispositiv (Ziff. 4 und 5) zu bestätigen.

    2. Im Berufungsverfahren tragen die Parteien die Kosten nach Massgabe ihres Obsiegens Unterliegens (Art. 428 Abs. 1 StPO).

    3. Die Staatsanwaltschaft obsiegt in dem Sinne, dass zwar eine Strafe auszufällen ist, jedoch fällt diese deutlich tiefer aus als beantragt. Auch der Beschuldigte dringt nur teilweise mit seiner Anschlussberufung durch. Ausgangsgemäss sind die Kosten ohne diejenigen der amtlichen Verteidigung - dem Beschuldigten zur Hälfte aufzuerlegen, wegen der finanziellen Lage des Beschuldigten sind sie ihm jedoch zu erlassen (Art. 425 StPO), und im Übrigen auf die Gerichtskasse zu nehmen. Die Kosten der amtlichen Verteidigung sind ebenfalls auf die Gerichtskasse zu nehmen (Art. 425 StPO).

Es wird erkannt:

  1. Der Beschuldigte A.

    ist schuldig der versuchten Nötigung im Sinne

    von Art. 181 StGB in Verbindung mit Art. 22 Abs. 1 StGB.

  2. Der Beschuldigte wird bestraft mit einer Geldstrafe von 2 Tagessätzen zu Fr. 10.-, die als durch 2 Tage Untersuchungshaft geleistet gilt.

  3. Dem Beschuldigten wird der bedingte Vollzug der Geldstrafe bewilligt und die Probezeit auf 2 Jahre festgesetzt.

  4. Der Beschuldigte wird in Bezug auf den bedingten Vollzug gemäss Strafbefehl der Staatsanwaltschaft, Abteilung 2, Emmen, vom 9. März 2012 verwarnt.

  5. Das vorinstanzliche Kostendispositiv (Ziff. 4 und 5) wird bestätigt.

  6. Die zweitinstanzliche Gerichtsgebühr wird festgesetzt auf:

    Fr. 2'000.00 ; die weiteren Kosten betragen: Fr. 3'842.05 amtliche Verteidigung

  7. Die Kosten des Berufungsverfahrens, mit Ausnahme der Kosten der amtlichen Verteidigung, werden dem Beschuldigten zur Hälfte auferlegt, jedoch erlassen, und im Übrigen auf die Gerichtskasse genommen.

    Die Kosten der amtlichen Verteidigung werden auf die Gerichtskasse genommen.

  8. Mündliche Eröffnung und schriftliche Mitteilung im Dispositiv an

    • die amtliche Verteidigung im Doppel für sich und zuhanden des Beschuldigten (übergeben)

    • die Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl (übergeben)

    • die Privatklägerschaft C.

      (Eine begründete Urteilsausfertigung - und nur hinsichtlich ihrer eigenen Anträge [Art. 84 Abs. 4 StPO] wird Privatklägern nur zugestellt, sofern sie dies innert 10 Tagen nach Erhalt des Dispositivs verlangen.)

      sowie in vollständiger Ausfertigung an

    • die amtliche Verteidigung im Doppel für sich und zuhanden des Beschuldigten

    • die Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl

      und nach unbenütztem Ablauf der Rechtsmittelfrist bzw. Erledigung allfälliger Rechtsmittel an

    • die Vorinstanz

    • die Koordinationsstelle VOSTRA mit Formular A und B

    • die KOST Zürich mit dem Formular Löschung des DNA-Profils und Vernichtung des ED-Materials zwecks Löschung des DNA-Profils

    • die Staatsanwaltschaft, Abteilung 2, Emmen, ... [Adresse] (im Dispositiv, zu den Akten Ak-Nr. SA2 11 7473 21).

  9. Rechtsmittel:

Gegen diesen Entscheid kann bundesrechtliche Beschwerde in Strafsachen erhoben werden.

Die Beschwerde ist innert 30 Tagen, vom Empfang der vollständigen, begründeten Ausfertigung an gerechnet, bei der Strafrechtlichen Abteilung des Bundesgerichtes (1000 Lausanne 14) in der in Art. 42 des Bundesgerichtsgesetzes vorgeschriebenen Weise schriftlich einzureichen.

Die Beschwerdelegitimation und die weiteren Beschwerdevoraussetzungen richten sich nach den massgeblichen Bestimmungen des Bundesgerichtsgesetzes.

Obergericht des Kantons Zürich

II. Strafkammer Zürich, 27. Juni 2014

Der Präsident:

Oberrichter lic. iur. Ruggli

Die Gerichtsschreiberin:

lic. iur. Aardoom

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