Zusammenfassung des Urteils SB110610: Obergericht des Kantons Zürich
Das Obergericht des Kantons Zürich hat in einem Urteil vom 22. Juni 2012 über den Fall der Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich gegen die Beschuldigte C. entschieden. Die Beschuldigte wurde der fahrlässigen Tötung schuldig befunden und zu einer bedingt vollziehbaren Freiheitsstrafe von 14 Monaten verurteilt. Sie wurde auch zur Zahlung einer Genugtuung von CHF 5'000.- an die Privatklägerin verpflichtet. Die Gerichtskosten wurden auf CHF 3'600.- festgesetzt. Die Kosten der Untersuchung und des Verfahrens wurden der Beschuldigten auferlegt, aber abgeschrieben. Die Staatsanwaltschaft hat Berufung eingelegt und fordert eine Freiheitsstrafe von 8 ½ Jahren. Die Verteidigung der Beschuldigten fordert die Abweisung der Berufung.
Kanton: | ZH |
Fallnummer: | SB110610 |
Instanz: | Obergericht des Kantons Zürich |
Abteilung: | II. Strafkammer |
Datum: | 22.06.2012 |
Rechtskraft: | - |
Leitsatz/Stichwort: | vorsätzliche Tötung |
Schlagwörter : | Beschuldigte; Opfer; Beschuldigten; Vorinstanz; Staatsanwalt; Staatsanwaltschaft; Verteidigung; Tötung; Aussage; Kantons; Berufung; Rettungsdienst; Würgen; Urteil; Sinne; Alkohol; Aussagen; Freiheitsstrafe; Obduktion; Todes; Massnahme; Gutachten; Eventualvorsatz |
Rechtsnorm: | Art. 111 StGB ;Art. 113 StGB ;Art. 117 StGB ;Art. 12 StGB ;Art. 135 StPO ;Art. 186 StPO ;Art. 19 StGB ;Art. 425 StPO ;Art. 426 StPO ;Art. 47 StGB ;Art. 48 StGB ;Art. 51 StGB ;Art. 54 StGB ;Art. 63 StGB ;Art. 84 StPO ; |
Referenz BGE: | 131 IV 145; 136 IV 1; |
Kommentar: | - |
Obergericht des Kantons Zürich
II. Strafkammer
Geschäfts-Nr. SB110610-O/U/gs
Mitwirkend: die Oberrichter lic. iur. Th. Meyer, Vorsitzender, und lic. iur. et phil.
Glur, Ersatzoberrichter lic. iur. Stiefel sowie die Gerichtsschreiberin lic. iur. Laufer
Urteil vom 22. Juni 2012
in Sachen
Anklägerin und Berufungsklägerin
sowie
1. +A. , gestorben tt. September 2009, Geschädigter
2. B. ,
Privatklägerin
gegen
Beschuldigte und Berufungsbeklagte
amtlich verteidigt durch Rechtsanwalt lic. iur. X.
betreffend vorsätzliche Tötung
Anklage:
Die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich vom 24. August 2010 ist diesem Urteil beigeheftet (Urk. 39).
Urteil der Vorinstanz:
Die Beschuldigte ist schuldig der fahrlässigen Tötung im Sinne von Art. 117 StGB.
Die Beschuldigte wird bestraft mit 14 Monaten Freiheitsstrafe, wovon 371 Tage durch Untersuchungsund Sicherheitshaft erstanden sind.
Der Vollzug der Freiheitsstrafe wird aufgeschoben und die Probezeit auf 2 Jahre festgesetzt.
Das mit Verfügung der Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich vom
August 2010 beschlagnahmte olivgrünfarbene Halstuch sowie die mit Verfügung der Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich vom 4. August 2010 beschlagnahmten Betäubungsmittelutensilien werden eingezogen und der Kantonspolizei Zürich zur Vernichtung überlassen.
Es wird festgestellt, dass die Beschuldigte gegenüber der Privatklägerin aus dem eingeklagten Ereignis dem Grundsatze nach schadenersatzpflichtig ist. Zur genauen Feststellung des Umfanges des Schadenersatzanspruches wird die Privatklägerin auf den Weg des Zivilprozesses verwiesen.
Die Beschuldigte wird verpflichtet, der Privatklägerin Fr. 5'000.als Genugtuung zu bezahlen.
Die Entscheidgebühr wird festgesetzt auf Fr. 3'600.-. Über die weiteren Kosten (Barauslagen usw.) wird die Gerichtskasse Rechnung stellen.
Die Kosten der Untersuchung und des gerichtlichen Verfahrens werden der Beschuldigten auferlegt, aber abgeschrieben. Die Kosten der amtlichen Verteidigung werden auf die Gerichtskasse genommen; vorbehalten bleibt eine Nachforderung gemäss Art. 135 Abs. 4 StPO. Über die Höhe der Kosten der amtlichen Verteidigung wird mit separater Verfügung entschieden.
Berufungsanträge:
Der Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich: (Urk. 74 S. 1)
Schuldigsprechung im Sinne der Anklage
Bestrafung mit einer Freiheitsstrafe von 8 ½ Jahren
Anrechnung der erstandenen Haft
Anordnung einer ambulanten Behandlung im Sinne von Art. 63 StGB während des Vollzuges der Freiheitsstrafe
Definitive Einziehung und Vernichtung der mit Verfügung der Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich vom 4. August 2010 beschlagnahmten Gegenstände
Kostenauflage
Der Verteidigung der Beschuldigten: (Prot. II S. 7)
Die Berufung sei abzuweisen und das Urteil des Bezirksgerichts Horgen vom 22. Juni 2011 zu bestätigen.
Unter Kostenund Entschädigungsfolgen zu Lasten des Staates.
Erwägungen:
Am tt. September 2009 kurz nach 7 Uhr morgens stellte der Rettungsdienst den Tod von +A. fest. Die Beschuldigte hatte ihren Freund +A. in einem Streit gewürgt und danach telefonisch den Rettungsdienst alarmiert, als er sich nicht mehr bewegte. Das spielte sich in der Wohnung der Beschuldigten in D. ab.
Am 24. August 2010 erhob die Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich Anklage gegen die Beschuldigte wegen vorsätzlicher Tötung (Urk. 22). Da eine Behandlung bis zum Inkrafttreten der Schweizerischen Strafprozessordnung und der damit verbundenen Abschaffung des Geschworenengerichts per Ende 2010 nicht mehr möglich war, wurde das Verfahren an das Bezirksgericht Horgen überwiesen, wo am 22. Juni 2011 die Hauptverhandlung stattfand (Prot. I S. 4 ff.).
Die III. Abteilung des Bezirksgerichts Horgen sprach die Beschuldigte mit Urteil vom 22. Juni 2011 vom Vorwurf der vorsätzlichen Tötung frei und verurteilte sie stattdessen wegen fahrlässiger Tötung und bestrafte sie mit einer bedingt vollziehbaren Freiheitsstrafe von 14 Monaten. Im Zivilpunkt wurde der Privatklägerin eine Genugtuung von CHF 5'000.00 zugesprochen und festgestellt, dass die Beschuldigte dem Grundsatz nach schadenersatzpflichtig sei (Urk. 61 S. 33).
Dieser Entscheid wurde den Parteien im Anschluss an die Hauptverhandlung und die geheime Urteilsberatung mündlich eröffnet und im Dispositiv übergeben (Prot. I S. 14 f.). Die Staatsanwaltschaft meldete mit Eingabe vom 24. Juni 2011 die Berufung an (Urk. 53). Die begründete Ausfertigung des Urteils erhielten die Parteien am 23. September 2011 (Urk. 57/1-3). Die Berufungserklärung trägt das Datum des 23. September 2011 und ging am 11. Oktober 2011 hierorts ein (Urk. 63). Die gesetzlichen Fristen wurden somit eingehalten.
Die Staatsanwaltschaft hat ihre Berufung nicht eingeschränkt und verlangt einen Schuldspruch wegen vorsätzlicher Tötung und eine Freiheitsstrafe von 8 ½ Jahren, verbunden mit einer ambulanten Massnahme (Urk. 63; Urk. 74 S. 1). Die Beschuldigte und die Privatklägerin haben das vorinstanzliche Urteil nicht angefochten. Dieses ist demnach in Bezug auf die Einziehung von beschlagnahmten Gegenständen (Dispositivziffer 4), den Zivilpunkt (Dispositivziffern 5 und 6) und die Regelung der Kostenfolgen (Dispositivziffern 7 und 8) rechtskräftig geworden, was vorab festzustellen ist.
Der mit der Berufungserklärung gestellte Beweisantrag auf Einholung eines Zweitgutachtens zum Obduktionsgutachten des Instituts für Rechtsmedizin der Universität Zürich vom 31. Dezember 2009 (Urk. 63 S. 2 f.) wurde von der Verfahrensleitung am 24. April 2012 abgewiesen (Urk. 71).
Objektiver Tatbestand
Die Vorinstanz kam zusammenfassend zum Schluss, dass der Tod des Opfers, wenn auch begünstigt durch die kombinierte Wirkung von Opiaten, Opioiden, Benzidiazepinen und Alkohol, so doch in erster Linie durch das Würgen der Beschuldigten eingetreten sei (Urk. 61 S. 13 f. E. 2.10.9.), welche damit zumindest eine Mitursache für den Todeseintritt gesetzt habe, was sie auch anerkenne (Urk. 61 S. 15 E. 3.1.). Damit habe sie den objektiven Tatbestand der vorsätzlichen wie auch der fahrlässigen Tötung erfüllt (Urk. 61 S. 20 E. 3.1.13).
Die Vorinstanz bezeichnete das Obduktionsgutachten des Instituts für Rechtsmedizin, auf dessen Feststellungen die oben wiedergegebenen Schlussfolgerungen beruhen, als mangelhaft (vgl. Urk. 61 S. 11). Dieses Urteil ist jedoch nicht berechtigt, wie nachstehend gezeigt wird, und die Einholung eines Zweitgutachtens, was die Staatsanwaltschaft unter Bezugnahme auf die kritischen Worte der Vorinstanz beantragte (Urk. 63 S. 2 f.; Urk. 74 S. 5), erübrigt sich daher.
Auf eine Ergänzungsfrage, bei deren Formulierung ein von der Verteidigung beigezogener Experte behilflich gewesen war (vgl. Urk. 49 S. 6 f.; Urk. 6/15 und Urk. 6/16), hält das Ergänzungsgutachten vom 17. Mai 2010 fest, dass die vom Chemiker nachgewiesene Opiatintoxikation (vgl. Urk. 6/7) unter Berücksichtigung der Gewöhnung des Opfers insbesondere an den Wirkstoff Methadon (vgl. Urk. 6/19
S. 2 ff. und 6/20 S. 2 f.) lediglich zu einer Beeinträchtigung des Atemregulationszentrums im Sinne einer Atemdepression, jedoch nicht zu einer für sich allein tödlichen Atemlähmung geführt habe (Urk. 6/20 S. 3). Diesen Unterschied verkennt die Verteidigung, wenn sie in ihrem Plädoyer vor der Vorinstanz gleichwohl von einer tödlichen Atemlähmung ausgeht (Prot. I S. 12 E. 5), obwohl es dafür nach Auffassung der Sachverständigen keinen Grund gibt. Im Plädoyer im Berufungsverfahren ist nurmehr von einer Atemdepression die Rede (Prot. II S. 7). Vielmehr steht aufgrund der Gutachten fest, dass das Würgen durch die Beschuldigte kausal für den Todeseintritt war. Das drückt die Aussage im Obduktionsgutachten aus, dass ein Tötungsdelikt vorliege (Urk. 6/8 S. 5), die deshalb nicht so banal und unqualifiziert ist, wie die Vorinstanz meint (Urk. 61 S. 12).
Sowohl das ursprüngliche Obduktionsgutachten vom 31. Dezember 2009 als auch die Ergänzung vom 17. Mai 2010 halten im Übrigen keineswegs apodiktisch (Urk. 61 S. 11; Urk. 51 S. 3 Ziff. 3) fest, dass es sich beim Würgen um die alleinige Todesursache handle. Vielmehr schliessen sie eine Beeinflussung des Todesverlaufs durch den Drogenkonsum nicht aus, wie die Hinweise auf eine damit verbundene Einschränkung der Handlungsund Urteilsfähigkeit des Opfers (welch erstere dazu beigetragen haben mag, dass er sich nicht wehrte) und auf eine Atemdepression zeigen (vgl. Urk. 6/8 S. 5 und Urk. 6/20 S. 20). Die Kritik der Vorinstanz, das Gutachten gehe auf das Zusammenwirken des Würgens mit anderen Ursachen nicht ein (Urk. 61 S. 11 ff.), geht daher fehl.
Ob eine kausale Ursache, wie vorliegend das Würgen, auf ein geschwächtes Opfer trifft, so dass bereits ein vergleichsweise geringer Einsatz von Kraft sonstigen Mitteln zum (deliktischen) Erfolg führt, ist aus forensisch-medizinischer Sicht unerheblich (Urk. 6/20 S. 3), und hat auf die Strafbarkeit keinen Einfluss (vgl. BGE 131 IV 145). Allenfalls kann sich ein solcher Umstand auf das Verschulden auswirken (vgl. dazu unten III.3), wobei vorliegend zu beachten ist, dass der geschwächte Zustand des Opfers ebenso wie angebliche Herzprobleme (vgl. Urk. 3/3 S. 14 A. 95; Urk. 3/3 S. 2) - der Beschuldigten laut eigenen Angaben bekannt war (Urk. 48 S. 12 f.; Urk. 3/1 S. 5; Urk. 3/2 S. 9 A. 65 ff. und A. 72).
Das von der Verteidigung eingereichten Privatgutachten von Prof. Dr. med. E. vom 8. Februar 2010 erwähnt, dass die bei der Legalinspektion und bei der Obduktion festgestellten Petechien (punktförmige Einblutungen; vgl. Urk. 6/9 und 6/10) nicht nur vital durch Strangulation (wie im Obduktionsgutachten angenommen, Urk. 6/8 S. 4 f.), sondern auch postmortal in Bauchlage aufgetreten sein könnten. Darauf gebe es hier allerdings keine Hinweise, so dass man von vital entstandenen Stauungsblutungen als Folge eines längerdauernden (aber nicht zwingend direkt zum Tode führenden) Würgens ausgehen könne (Urk. 49 S. 2).
Unter Hinweis darauf, dass die Beschuldigte von der Telefonistin des Rettungsdienstes angewiesen wurde, das Opfer auf den Rücken zu drehen (vgl. Urk. S. 11/2 S. 2), zweifelte die Verteidigung vor der Vorinstanz den Schluss auf ein längerdauerndes Würgen als Todesursache an. Den Widerspruch zur Auffassung des von ihr beigezogenen Sachverständigen erklärte sie damit, dass dieser über diese zusätzlichen Informationen nicht verfügt habe und deshalb eine postmortale Bauchlage vorschnell ausgeschlossen habe (Urk. 51 S. 5 f.).
Dabei handelt es sich jedoch um einen Trugschluss. Die Verteidigung übersieht, dass die Beschuldigte gemäss ihren eigenen Angaben sofort den Notruf verstän- digte, als sie bemerkte, dass sich das Opfer nicht mehr bewegte (Urk. 48 S. 13; Urk. 3/2 S. 17 A. 124). Laut dem polizeilichen Wahrnehmungsbericht, auf den zugunsten der Beschuldigten ergänzend zu ihren Aussagen abgestellt werden kann, nannte sie eine Zeitspanne von 1 bis 10 Minuten bis zur Alarmierung des Rettungsdienstes (Urk. 4/1/2 S. 2). Auch wenn das Opfer unmittelbar nach der Tat offenbar nicht in Rückenlage war womit noch nicht feststeht, dass es sich in Bauchlage befand kann von einer postmortalen Bauchlage mit den vom Privatgutachter erwähnten möglichen Folgen bei einer so kurzen Dauer von vornherein keine Rede sein, so dass kein Anlass besteht, an der vom Obduktionsgutachten
angenommenen vitalen Entstehung der Einblutungen als Folge der Strangulation zu zweifeln.
Die Argumentation der Verteidigung würde voraussetzen, dass zwischen Würgen und Notruf eine längere Zeitdauer verstrichen ist. Darauf könnten Beobachtungen von Nachbarn hindeuten, die ungefähr eine Stunde vor dem Eintreffen der Rettungskräfte zum letzten Mal Geräusche hörten, die vom Opfer stammten, und die berichteten, danach sei es ruhig gewesen, bis der Rettungsdienst gekommen sei (vgl. Urk. 1/1 S. 6; Urk. 4/4/2 S. 6 A. 24 f.). Da keine Konfrontation mit diesen Nachbarn stattgefunden hat, sind diese Aussagen nur zugunsten der Beschuldigten verwertbar. Es würde kein günstiges Licht auf die Beschuldigte werfen, wenn sie mit der Alarmierung der Rettungskräfte eine Stunde mehr zugewartet hätte, nachdem sie das Opfer gewürgt hatte und sich dieses nicht mehr bewegte. Ausserdem wäre sie in einem wichtigen Punkt der Lüge überführt, was auch die Glaubhaftigkeit ihrer übrigen Aussagen stark beeinträchtigen würde.
Das Obduktionsgutachten äussert sich nicht zur Dauer des Verlaufs und postuliert insbesondere keinen raschen Todeseintritt, wie das Ergänzungsgutachten vom
17. Mai 2010 zu den vom Privatgutachter als atypisch für einen raschen Erstickungstod durch Erwürgen bezeichneten Befunden einer schweren Hirnüberwässerung und einer massiven Blutstauung der Lungen (Urk. 49 S. 3) festhält (Urk. 6/20 S. 2 A. 2). Die vom Privatgutachter aufgestellte These eines protrahierten Verlaufs (Urk. 49 S. 4), lässt sich aus diesen Befunden jedoch nicht ableiten, wie das Ergänzungsgutachten weiter klarstellt (Urk. 6/20 S. 2 A. 3).
Ganz abgesehen davon würde auch ein protrahierter Verlauf nichts an der Kausalität ändern, da auf jeden Fall das Würgen die Kausalkette in Gang setzte und der
frühere spätere - Todeseintritt eine ohne Weiteres voraussehbare und damit adäquat kausale Folge davon darstellt. An die Adresse des Privatgutachters (vgl. Urk. 49 S. 6) ist festzuhalten, dass es sich dabei um eine Rechtsfrage handelt, bei deren Beantwortung das Gericht nicht auf die Unterstützung von Sachverständigen angewiesen ist. Eine Ergänzung des Gutachtens drängt sich damit auch aus diesem Grund nicht auf.
4. Es steht demnach aufgrund des Gutachtens fest, dass der Tod als Folge des Würgens eintrat. Damit liegt was auch in diesem Zusammenhang keine unqualifizierte Feststellung ist ein Tötungsdelikt vor, mit der Folge dass namentlich der objektive Tatbestand der folgenden Delikte erfüllt ist: vorsätzliche Tötung i.S. von Art. 111 StGB, Totschlag i.S. von Art. 113 StGB und fahrlässige Tötung i.S. von Art. 117 StGB. Eine Qualifikation als Mord wird zurecht von keiner Seite geltend gemacht (Urk. 50 S. 6). Die Abgrenzung zwischen den genannten Tatbeständen hängt ab vom subjektiven Tatbestand, der nachfolgend zu erstellen ist.
Eventualvorsatz Fahrlässigkeit
Da der Vorsatz als innere Tatsache der direkten Beobachtung nicht zugänglich ist, stehen bei seiner Ermittlung die verschiedenen Einvernahmen der Beschuldigten im Vordergrund (Urk. 3/1-6; Urk. 48; Urk. 73). Ausser gegenüber den Ermittlungsbehörden und den gerichtlichen Instanzen schilderte die Beschuldigte den Tathergang auch im Rahmen der psychiatrischen Begutachtung (Urk. 8/7 S. 30 f.). Da diese Äusserungen nicht ordnungsgemäss protokolliert wurden, sind ihre im forensisch-psychiatrischen Gutachten vom 26. Mai 2010 wiedergegebenen Aussagen jedoch nicht gegen sie verwertbar (vgl. Schmid, Kommentar zur Strafprozessordnung, Art. 186 StPO N 11 a.E.).
Neben den Einvernahmen der Beschuldigten sind die Aufzeichnung des Notrufs der Beschuldigten beim Rettungsdienst (Urk. 11/1-2), sowie die polizeilichen Wahrnehmungsberichte über die Verhältnisse unmittelbar nach dem Eintreffen des Rettungsdienstes in der Wohnung der Beschuldigten (Urk. 4/1/1-2) von Bedeutung. Die Aussagen von Verwandten und Nachbarn, von denen sich letztere teilweise nicht nur zu ihrer Person, sondern auch zur Sache, d.h. zu den Vorgängen in der Tatnacht, äusserten (Urk. 4/3/1-4 und Urk. 4/4/1-8), können nicht gegen sie verwendet werden, da keine Konfrontation stattfand und die Beschuldigte somit ihre prozessualen Teilnahmerechte nicht wahrnehmen konnte.
Zwar steht im Rahmen der Beweiswürdigung grundsätzlich nicht die Glaubwürdigkeit der befragten Person, sondern die Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen im Vordergrund, die sich aus einer inhaltsanalytischen Würdigung dieser Aussagen
ergibt, wie die Vorinstanz richtig festhielt (Urk. 61 S. 9 E. 2.8). Angesichts der grossen Bedeutung ihrer Aussagen kann es jedoch mit dem vorinstanzlichen Hinweis auf das mit ihrer Rolle als Beschuldigter verbundene persönliche Interesse am Verfahrensausgang nicht sein Bewenden haben (vgl. Urk. 61 S. 9 E. 2.8), sondern ist ihre Glaubwürdigkeit einer eingehenderen Prüfung zu unterziehen.
Für die Aussagemotivation der Beschuldigten ist neben ihrer von der Vorinstanz erwähnten prozessualen Rolle weiter bedeutsam, dass sie bei diesem Vorfall ihren Freund verlor, den sie trotz allem (vgl. zur Illustration ihres Beziehungslebens die Beschreibung der Tatnacht, unten 3) geliebt hatte, wie sie glaubhaft versicherte, so dass sie damit leben muss, dass sie durch eigenes Verschulden (wie auch immer dieses juristisch zu qualifizieren ist) ihren Freund verloren hat (vgl. Urk. 3/1
S. 7; Urk. 3/5 S. 6; Urk. 48 S. 15). Die Wahrnehmungsberichte der Polizisten, die mit dem Rettungsdienst vor Ort waren, schildern denn auch, dass sie sich deswegen Vorwürfe machte (vgl. Urk. 4/1/1 und 4/1/2).
Man darf diese Selbstvorwürfe nicht als Schuldeingeständnis werten. Auch bei einer fahrlässigen Tatbegehung wäre die Beschuldigte (nicht nur nach ihrem eigenen Verständnis) als Verursacherin am Tod ihres Freundes nicht unschuldig. Ebenso wenig ist aber der Schluss zulässig, sie könne den Tod ihres Freundes unmöglich (im Sinne der gängigen Definition des Eventualvorsatzes, vgl. dazu unten 7) in Kauf genommen haben, auch wenn dies ausserhalb des Tatzeitraums effektiv nicht der Fall gewesen sein mag, wie ihre erste Reaktion nahelegt und worauf auch der Umstand hindeutet, dass sie die Gelegenheit nicht nutzte, ihr Handeln als Notwehrhandlung zu rechtfertigen, sondern Berichte der Nachbarn über Streitigkeiten relativierte und bestritt, dass das Opfer jemals gegen sie gewalttätig geworden sei (Urk. 3/2 S. 5 ff. A. 34 ff.; Urk. 3/3 S. 2 A. 10 ff.).
Der Umstand, dass das Opfer der grundsätzlich geliebte Lebenspartner war, ist aus psychologischer Sicht eine hohe Hürde für das Eingeständnis eines irgendwie gearteten Vorsatzes. Im Bereich zwischen Eventualvorsatz und Fahrlässigkeit, wo die Abgrenzung nicht auf objektiv feststellbaren Fakten, sondern auf Nuancen beruht, kann das durchaus genügen, um die Erinnerung so zu beeinflussen, dass ein riskantes Verhalten von einem bewussten Wagnis zu einer blossen Unachtsamkeit umgedeutet wird. Vor allem wo sie sich nicht auf konkrete Beobachtungen, sondern auf Gefühle Gedanken beziehen, sind die Aussagen der Beschuldigten daher vor diesem Hintergrund mit grosser Zurückhaltung zu würdigen.
Zu beachten ist ferner, dass die Abgrenzung zwischen Eventualvorsatz und Fahrlässigkeit juristisch sehr komplex ist, was nicht nur die gerichtlichen Erwägungen zeigen (Urk. 61 S. 16 f. E. 3.1.3 ff.), sondern auch der Briefwechsel zwischen dem untersuchungsführenden Staatsanwalt und dem Verfasser des Polizeirapports illustriert (Urk. 1/3 S. 2). Fragen nach Rechtsbegriffen überfordern (nicht nur) Laien und sind daher wenig ergiebig (vgl. Urk. 3/5 S. 6 oben). Wie die Vorinstanz in Bezug auf die ermittelnden Polizisten richtig schreibt (Urk. 61 S. 19 E. 3.1.10), interessiert nicht die juristische Qualifikation der Tat, sondern die Schilderung ihrer Wahrnehmungen. Das gilt auch für die Beschuldigte. Es ist die Aufgabe des Gerichts, den so ermittelten Sachverhalt rechtlich zu würdigen. Die Vorinstanz weicht von diesen Grundsätzen ab, wenn sie auf rechtliche Ausführungen der Polizisten zum Vorsatz abstellt (Urk. 61 S. 19 E. 3.1.10).
Die Beschuldigte und das Opfer kamen in der Tatnacht zwischen 22 und 23 Uhr nach Hause, nachdem sie am Abend in Zürich bei städtischen Einrichtungen ihre Betäubungsmittelrationen abgeholt hatten. Die Nacht war von Streit (Gekiffel, Urk. 3/2 S. 15 A. 119), unterbrochen von kurzen Pausen, geprägt. Das Opfer schlief im Verlauf der Nacht weniger als eine Stunde (Urk. 3/2 S. 12 A. 93) bzw. eine bis zwei Stunden (Urk. 48 S. 10) in gekrümmter Stellung auf dem Fussboden, während die Beschuldigte laut eigenen Angaben die ganze Nacht kein Auge schloss. Beide tranken Alkohol, die Beschuldigte Wodka, das Opfer mehrere Dosen Bier. Nach Mitternacht beklagten sich Nachbarn wegen Ruhestörung, was anscheinend öfter vorkam. Daraufhin zerschlug das Opfer mit einem Krückstock der Beschuldigten eine Fensterscheibe, worauf die Beschuldigte befürchtete, sie verliere nun die Wohnung, weil sie anscheinend von der Verwaltung eine entsprechende Androhung erhalten hatte, was das Opfer allerdings nicht beeindruckt habe (Urk. 3/1 S. 2 f.; Urk. 3/2 S. 8 ff.; Urk. 48 S. 7 ff.; Urk. 73 S. 6 ff.)
Zur Tat sagt die Beschuldigte aus, sie sei vor dem Sofa auf dem Boden gesessen, als der Getötete zu ihr gekommen sei in den Worten der Beschuldigten um mich zu plagen (Urk. 3/1 S. 3): Er habe sie an den Haaren gerissen und gepüngt, was sie als leichten Stoss mit der Faust gegen Schulter Oberarm bezeichnet (Urk. 3/3 S. 2 A. 9), was aber an anderer Stelle als schnalzende Berührung mit den Fingern am Hinterkopf beschrieben wird (Urk. 8/7 S. 29; Urk. 48
S. 9 unten; Urk. 73 S. 6). Das sei sein Tigg gewesen, sonst habe er sie nie angerührt (Urk. 3/2 S. 6 f. A. 46 ff.). Da habe sie sich umgedreht und sei auf ihn los (Urk. 3/1 S. 3; Urk. 3/2 S. 16 A. 119; Urk. 3/3 S. 9 A. 60).
Danach wird ihre Erinnerung lückenhaft (Urk. 3/1 S. 3; Urk. 3/3 S. 10 A. 63 ff.). Sie bestreitet jedoch nicht, dass sie den Beschuldigten mit den Händen am Hals packte (Urk. 3/2 S. 16 A. 119; Urk. 3/5 S. 1 f.; Urk. 48 S. 10; Urk. 73 S. 7), was sich im Übrigen mit den Feststellungen des Obduktionsgutachtens deckt (Urk. 6/8
S. 4 f.). Bei der Schlusseinvernahme weiss sie zwar nicht mehr, ob sie ihn schüttelte (Urk. 3/6 S. 3). Sowohl bei der vorherigen Einvernahme (Urk. 3/5 S. 3) als auch anlässlich der vorinstanzlichen Hauptverhandlung erwähnt sie diesen Aspekt jedoch und stellt ihn gegenüber dem Würgen in den Vordergrund (Urk. 48 S. 7 und 10).
Wie lange sie das Opfer so festhielt, kann sie nicht sagen (Urk. 3/1 S. 7; Urk. 3/2
S. 16 A. 119). Das auf die entsprechende Frage nachgeschobene Gefühl, es sei nicht lange gewesen, ist wenig aussagekräftig (Urk. 3/5 S. 2), und die ergänzenden Fragen des Gerichts brachten keine Klarheit (Urk. 48 S. 15). Alles andere wäre auch erstaunlich, da Zeitschätzungen notorisch unzuverlässig sind, umso mehr wenn sie von direkt Beteiligten stammen und Erlebnisse betreffen, die stark emotional besetzt sind und teilweise verdrängt wurden, worauf die lückenhaften Aussagen der Beschuldigten hindeuten (Urk. 3/3 S. 10 ff.).
Laut Obduktionsgutachten belegen die Stauungsblutungen eine nicht unerhebliche stumpfe mechanische Energie durch Würgen (Urk. 8/7 S. 4). Das von der Beschuldigten eingereichte Privatgutachten ist spezifischer und geht von einem längerdauernden Würgen aus, das dafür mit eher geringer Kraftanwendung ausgeführt worden sei (Urk. 49 S. 5 f.). Die Anklageschrift macht daraus einige wenige Minuten, was allerdings letztlich nicht genauer ist (Urk. 39 S. 3). Bereits eine einzige Minute kann sehr lange sein, vor allem wenn es sich nicht um eine dynamische Abfolge von Bewegungen, sondern um einen mehr weniger statischen Vorgang handelt wie hier. Genauer, als dass es sich um einen längeren Zeitraum handelte (vgl. Urk. 49 S. 4 unten) und nicht bloss um einige Sekunden, wie die Vorinstanz mutmasste (Urk. 48 S. 15), lässt sich dies nicht mehr eruieren, was allerdings genügt, um eine Entscheidung zu treffen.
Der Getötete habe sich nicht gewehrt, wie die Beschuldigte wiederholt mit sichtlicher Verwunderung beschreibt (Urk. 3/1 S. 2; Urk. 3/2 S. 16; Urk. 3/3 S. 12 A. 79 ff.; Urk. 3/5 S. 4; Urk. 3/6 S. 3; Urk. 48 S. 7; Urk. 73 S. 10). Auch als sie ihn losgelassen habe, habe er nichts gemacht. Sie habe gemeint, er stelle sich tot, und habe ihn aufgefordert, damit aufzuhören. Als er sich noch immer nicht bewegt habe, habe sie gemerkt, dass er sich nicht verstelle, sondern dass etwas nicht stimme, und habe die Sanität angerufen (Urk. 3/2 S. 16 A. 119; Urk. 3/5 S. 2; Urk. 48 S. 14).
Auf der Aufnahme des Anrufs beim Rettungsdienst ist zu hören wie die Beschuldigte während der Reanimationsbemühungen sagt: A. es isch nüme luschtig jetzt (Urk. 11/2 S. 5), und in der ersten Einvernahme am Morgen nach der Tat sagte sie aus, sie habe gedacht, er macht Scheisse und tue einfach so... Er hat das schon einige Male gemacht (Urk. 3/1 S. 2). In der delegierten Einvernahme vom 15. September 2009 konnte sie sich jedoch auch auf Vorhalt von entsprechenden Beobachtungen in den Wahrnehmungsberichten der Polizisten, die mit dem Rettungsdienst vor Ort waren (Urk. 4/1/1 S. 2 und Urk. 4/1/2 S. 2), nicht an Situationen erinnern, in denen sich ihr Freund tot gestellt hatte. Jedenfalls seien das keine Gewaltsituationen gewesen, es sei höchstens vorgekommen, dass er sich schlafend gestellt habe, um sie mit einem Nebenbuhler zu belauschen, sagte sie schliesslich auf mehrmalige Nachfrage (Urk. 3/3 S. 8 ff. A. 47 ff.).
Auch an ein grünes Halstuch, das sie laut einem der beiden Wahrnehmungsberichte am Morgen danach als Tatwerkzeug bezeichnete (Urk. 4/1/1 S. 2) und das sich bei den Akten befindet (Urk. 40), vermochte sich die Beschuldigte später nicht mehr zu erinnern (Urk. 3/ 1S. 4; Urk. 3/3 S. 13 A. 88 ff.; Urk. 3/6 S. 3). Aufgrund der Obduktion steht zwar nicht fest, kann aber auch nicht ausgeschlossen werden, dass neben den Händen ein Drosselinstrument zum Einsatz kam (Urk.
6/8 S. 4 f.). Die Anklageschrift nimmt darauf jedoch keinen Bezug, sondern geht von einem reinen Würgevorgang aus (vgl. Urk. 39 S. 3), so dass darauf nicht weiter einzugehen ist.
Mit der Aufnahme des Anrufs bei der Notrufzentrale ist zwar das unmittelbare Nachtatverhalten der Beschuldigten (sofern man ihrer Darstellung folgt, dass sie sofort den Rettungsdienst verständigte, nachdem sich das Opfer nicht mehr bewegte; vgl. oben A.3) dokumentiert. Es ist allerdings ein Irrtum zu glauben, dass man damit einen direkten Einblick in die Haltung der Beschuldigten zur Tatzeit erhält.
Wie die Beschuldigte selbst sagt, war der Anlass für ihren Anruf beim Notruf die Feststellung, dass ihr Freund nicht mehr atmete (vgl. Urk. 11/2 S. 1). Vermutlich war er damals bereits tot, was der Beschuldigten zwar nicht bewusst war. Sie merkte jedoch, dass etwas nicht stimmt (Urk. 48 S. 14), wie auch die Wahl der Nummer des Notrufs zeigt. Ihre spätere heftige Reaktion auf die Feststellung des Todes (vgl. Urk. 4/1/2 S. 2) deutet darauf hin, dass sie auf einen Erfolg ihrer Reanimationsversuche gehofft hatte, was vielleicht auch auf die motivierenden Worte der Telefonistin des Rettungsdienstes zurückzuführen war (vgl. Urk. 11/2).
Es ist zwar richtig, dass die Beschuldigte am Telefon hörbar ergriffen war bzw. emotional sehr betroffen schien. Der Hinweis, dass diese Gefühle und Intentionen nicht gespielt sein dürften (Urk. 61 S. 9 E. 2.9 und S. 19 E. 3.1.10), führt jedoch nicht weiter, denn diese Momentaufnahme stammt aus der Zeit nach der oben geschilderten Entdeckung, dass etwas nicht stimmt, und es ist durchaus vorstellbar, dass die Entdeckung, dass ihr Freund sich auf einmal nicht mehr bewegte, dazu führte, dass Wut (vgl. Urk. 48 S. 10 oben) in Reue umschlug. Aus der auf dieser Aufnahme dokumentierten Stimmung kann daher nicht auf die Gefühlslage zur Tatzeit zurückgeschlossen werden.
Ferner sind diese Äusserungen mehrdeutig. Zwar ist denkbar, dass die Beschuldigte durch den Eintritt des Todes überrascht wurde, weil sie nicht damit gerechnet hatte, was zwar vielleicht sorgfaltspflichtwidrig und damit fahrlässig gewesen wäre, aber zugleich bedeuten würde, dass sie dieses Ereignis nicht in Kauf genommen und somit nicht vorsätzlich gehandelt hatte, wie die Verteidigung geltend macht und die Vorinstanz als glaubhaft erachtet. Es kann jedoch genau so gut sein, dass sie den Tod zwar nicht wollte, doch zumindest in Kauf nahm, dass sie dann aber trotzdem erschrak, als dieses Ereignis tatsächlich eintrat, und daraufhin von Gewissensbissen gepackt wurde, worauf sie den Rettungsdienst alarmierte und das Opfer wiederzubeleben versuchte. Aus den von der Vorinstanz erwähnten Reanimationsversuchen (Urk. 61 S. 19 f. E. 3.1.10) lässt sich nichts ableiten, da ihr angesichts der bestimmenden Aufforderung durch die Telefonistin des Rettungsdienstes gar keine andere Wahl blieb (Urk. 11/2).
Aussagen der Beschuldigten zur Tat, die einer inhaltlichen Würdigung zugänglich wären, liegen aus jener Zeit entgegen der Auffassung der Vorinstanz nicht vor (Urk. 61 S. 10 E. 2.9). Die früheste Beschreibung des Tathergangs findet sich in den Wahrnehmungsberichten der Polizisten, die mit den Rettungskräften in der Wohnung waren (Urk. 4/1/1 und 2). Es ist jedoch unklar, was darin auf Äusserungen der Beschuldigten beruht und was Interpretation darstellt. So findet sich etwa die Behauptung, sie habe das Opfer wachrütteln wollen, was die Vorinstanz als ihre Schilderung bezeichnet und für glaubhaft hält (Urk. 61 S. 20 E. 3.1.10), nicht in den ersten Aussagen der Beschuldigten, sondern nur in einem dieser polizeilichen Wahrnehmungsberichte, und wird dort ausdrücklich als persönlicher Eindruck des Verfassers deklariert (Urk. 4/1/1 S. 2). Wenn die Beschuldigte diese Argumentation später in der staatsanwaltschaftlichen Befragung vom 22. Januar 2010 aufgreift (Urk. 3/5 S. 5 m.H. auf S. 3), ist die Authentizität dieser Aussage daher fraglich.
Die Beschuldigte schilderte vor der Vorinstanz, sie habe sich aufgeregt (Urk. 48 S. 7) bzw. sei so hässig gewesen, als ihr Freund sie in der weiter oben beschriebenen Art und Weise gepiesackt habe und trotz ihrer Aufforderung nicht damit aufgehört habe. Da habe sie sich umgedreht und ihn am Hals genommen und geschüttelt (Urk. 48 S. 9 f.). Heute bestätigte sie auf Befragen, sie sei wütend geworden. Nachdem sie, seit sie um 22 23 Uhr nach Hause gekommen seien, habe hören müssen, was sie für ein Arschloch sei, habe es sich aufgestaut. Mit dem Püngen und Plagen sei es dann fertig gewesen (Urk. 73 S. 8). Auch
wenn Emotionen wie Ärger Wut in früheren Aussagen der Beschuldigten nicht vorkommen, erscheint diese Schilderung angesichts der Provokationen, denen sie laut ihrer konstanten Darstellung von Seiten des Opfers ausgesetzt war (vgl. Urk. 3/1 S. 3), gut einfühlbar. Bereits in den ersten Befragungen durch den Staatsanwalt und die Polizei erwähnt sie den Wunsch, in Ruhe gelassen zu werden bzw. dass sich das Opfer beruhige (Urk. 3/1 S. 3; Urk. 3/2 S. 16), was in die gleiche Richtung geht.
Wie aufgrund der in diesem Punkt übereinstimmenden verschiedenen, von der Staatsanwaltschaft und der Verteidigung eingeholten gerichtsmedizinischen Gutachten feststeht, würgte die Beschuldigte das Opfer während längerer Zeit (vgl. oben B.4). Die Beschuldigte betont immer wieder, dass sich das Opfer nicht wehrte (Urk. 3/2 S. 16 A. 119; Urk. 3/3 S. 10 A. 61; Urk. 3/5 S. 2, S. 4 und S. 6; Urk.
3/6 S. 3; Urk. 48 S. 7 und S. 14; Urk. 73 S. 10 f.). Das bedeutet, als sie das Opfer mit den Händen um den Hals fasste, trat der gewünschte Effekt rasch ein, und das Opfer war ruhig (Urk. 3/5 S. 3). Trotzdem liess sie das Opfer nicht los, sondern hielt es weiterhin im Würgegriff, obwohl ihr die möglicherweise tödlichen Folgen bekannt waren, wie sie mehrfach anerkannte (Urk. 3/1 S. 3; Urk. 3/5 S. 5; Urk. 48 S. 7). Dass sie mit einer Gegenwehr rechnete, wie sie betont, verdeutlicht dass ihr der aggressive und potentiell (lebens-) gefährliche Charakter ihres Verhaltens bewusst war.
Gerade weil sie so sehr wünschte, das Opfer solle endlich ruhig sein und sie in Ruhe lassen, kann ihr nicht entgangen sein, dass sich dieses auf einmal nicht mehr rührte und die erwünschte Wirkung somit eingetreten war (vgl. Urk. 73
S. 11). Ihr nachträglicher Erklärungsversuch, sie habe ihn wachrütteln wollen (Urk. 3/5 S. 5), den die Vorinstanz aufnimmt (Urk. 61 S. 30 E. 3.1.10), steht im Widerspruch zu ihrem erklärten Ziel - Ruhe - und erscheint daher wenig überzeugend. Im Übrigen beruht diese Behauptung, wie bereits erwähnt, auf der Interpretation eines Polizisten, der anscheinend davon ausging, dass die Beschuldigte das Opfer als Wiederbelebungsmassnahme geschüttelt habe, nachdem sie bemerkt hatte, dass sich dieses nicht mehr bewegte (Urk. 4/1/1 S. 2), was nicht Gegenstand der Anklage ist.
Wollte die Beschuldigte wirklich nur in Ruhe gelassen werden, ist unverständlich, weshalb sie nicht aufhörte, als sich ihr Plagegeist (vgl. Urk. 3/1 S. 3) auf einmal nicht mehr rührte. Der Umstand, dass sich ihr Freund nicht wehrte, wie die Beschuldigte mit erkennbarem Erstaunen berichtet (Urk. 3/2 S. 16 A. 119; Urk. 3/3 S. 10 A. 61; Urk. 3/5 S. 2, S. 4 und S. 6; Urk. 3/6 S. 3; Urk. 48 S. 7 und S. 14;
Urk. 73 S. 10), war ein von der Vorinstanz gesuchtes - äusserliches Anzeichen für eine Todesgefahr (Urk. 61 S. 14 E. 2.11.2). Wollte die Beschuldigte aufhören, bevor es gefährlich wurde, wie ihr die Vorinstanz zugesteht (Urk. 61 S. 20 E.
3.1.10 und S. 21 E. 3.1.15), hätte sie in diesem Moment reagieren müssen.
Auch wenn es zutreffen sollte, dass sich das Opfer schon öfter tot gestellt hatte, weshalb die Beschuldigte zuerst an einen Scherz glaubte, wie sie anfänglich bekundet habe (vgl. oben 4 m.H. auf Urk. 3/1 S. 2 und Urk. 3/3 S. 8 ff. A. 47 ff.), gab es keinen Grund, so lange weiterzumachen, bis sich das Opfer endlich zu wehren begann. Vor dem Hintergrund des Wunschs der Beschuldigten nach Ruhe machte das erst recht keinen Sinn, da es dadurch höchstens zu einem Wiederaufflammen der Auseinandersetzung gekommen wäre, die sie ja beenden wollte. Wollte die Beschuldigte das Opfer zur Vernunft zu bringen (vgl. Urk. 3/5 S. 5; Urk. 61 S. 21 E. 3.1.15), ist ebenfalls unverständlich, weshalb sie weitermachte, nachdem das Opfer endlich ruhig war.
Die Beschuldigte bestreitet, dass sie den Tod des Opfers in Kauf genommen habe. Auf diesen Standpunkt, den sie verständlicherweise im Prozess einnimmt, kann jedoch angesichts ihres Eigeninteresses (vgl. oben B.2) nicht abgestellt werden, wie auch die Vorinstanz findet (Urk. 61 S. 19 E. 3.1.10). Angesichts der erstellten äusseren Tatumstände und ihres anerkannten Wissens um das mit ihrem Handeln verbundene Risiko, ist die einzige plausible Erklärung dafür, dass sie das Opfer weiter würgte, obwohl sie bemerkte, dass sich dieses nicht mehr bewegte, dass sie die Möglichkeit eines Erstickungstodes sehend in Kauf nahm. Ihre Erklärungsversuche sie habe das Opfer wachrütteln bzw. zur Vernunft bringen wollen halten einer genaueren Betrachtung nicht stand und stellen nachträgliche Schutzbehauptungen dar.
Sowohl dem eventualvorsätzlichen als auch dem bewusst fahrlässigen Täter ist das Risiko des Eintritts des strafrechtlichen Erfolgs bekannt. Die beiden Formen des Vorsatzes, die vorliegend voneinander abzugrenzen sind, unterscheiden sich nicht in Bezug auf das Wissen, sondern auf den Willen: Während der bewusst fahrlässige Täter trotz grundsätzlicher Kenntnis des Risikos (= Wissen) leichtfertig darauf vertraut, es werde schon nichts passieren, d.h. das Risiko werde sich nicht verwirklichen, rechnet der eventualvorsätzliche Täter mit dieser Möglichkeit und handelt trotzdem, d.h. er lässt es darauf ankommen und nimmt den Eintritt des Erfolgs in Kauf (so die bekannte Formel) bzw. findet sich damit ab, wobei nach der neueren Rechtsprechung nicht erforderlich ist, dass er den Erfolg auch billigt (Trechsel / Jean-Richard, Praxiskommentar, Art. 12 StGB N 14).
Es ist ja noch denkbar, dass die Beschuldigte darauf vertraute, es werde schon nichts passieren, als sie das Opfer am Hals packte und zu würgen begann, obwohl bereits dies angesichts des geschwächten Zustands des Opfers riskant war, wie die Verteidigung selbst einräumt (Urk. 51 S. 10 unten). Die Beschuldigte hörte jedoch nicht auf, als sich das Opfer nicht mehr bewegte, was ein klares Warnzeichen war, sondern machte weiter. Der Zusammenhang zwischen Würgen, Erwürgen und Tod war der Beschuldigten grundsätzlich bekannt, wie sie anerkennt (Urk. 3/1 S. 3; Urk. 3/5 S. 5; Urk. 48 S. 7), und ist so naheliegend, dass es nicht vorstellbar ist, dass sie nicht mit dieser Möglichkeit rechnete und diese zumindest in Kauf nahm, als sie das regungslose Opfer während einer längeren Zeitdauer (vgl. dazu oben 4 m.H. auf Urk. 49 S. 4 unten und S. 5 unten) würgte. Die Beschuldigte handelte damit eventualvorsätzlich im Sinne der oben wiedergegebenen Umschreibung.
Rechtliche Qualifikation
Der Eventualvorsatz wird in Bezug auf die Strafbarkeit dem direkten Vorsatz gleichgestellt (Art. 12 Abs. 2 zweiter Satz StGB). Die unterschiedliche Intensität des Willens wirkt sich jedoch auf das Verschulden aus und ist somit bei der Strafzumessung zu berücksichtigen. Die Beschuldigte hat demnach den Grundtatbestand der vorsätzlichen Tötung i.S. von Art. 111 StGB erfüllt und ist, da keiner der
gesetzlichen Spezialtatbestände erfüllt ist (vgl. zum Totschlag i.S. von Art. 113 StGB unten 2) dieses Delikts schuldig zu sprechen.
Die Vorinstanz stellte anlässlich der Hauptverhandlung eine Qualifikation als Totschlag zur Diskussion (Prot. I S. 5), ohne diesen Tatbestand jedoch in ihrem Entscheid zu prüfen, weil sie den Grundtatbestand der vorsätzlichen Tötung mangels Vorsatz verneinte und so von vornherein zu einem anderen Ergebnis kam. Die Verteidigung nimmt diese Position im Berufungsverfahren im Sinne eines Eventualstandpunktes auf (Prot. II S. 8 f. m.H. auf Urk. 75 = Auszüge aus Schwarzenegger, BSK, Art. 113 StGB N 6 ff.).
Es trifft zwar zu, dass die Anwendung von Art. 113 StGB voraussetzt, dass die heftige Gemütsbewegung - und nicht die unter dem Einfluss dieses Affekts begangene Tat - nach den Umständen entschuldbar ist. Dabei ist jedoch ein objektiver Massstab anzulegen. Es genügt nicht, dass der Affekt psychologisch erklärbar ist, sondern seine Entstehung muss aus der Sicht eines objektiv wertenden Betrachters als menschlich begreiflich bzw. verständlich erscheinen, so dass anzunehmen ist, auch ein anderer, an sich anständig Gesinnter, wäre in der betreffenden Situation leicht in einen solchen Affekt geraten (Trechsel / Fingerhuth, Art. 113 StGB N 9; Schwarzenegger, BSK, Art. 113 StGB N 8 f.).
Eine heftige Gemütsbewegung ist der Beschuldigten zweifellos zuzubilligen. Wie die Charakterisierung der Tat als affektakzentuiert durch den psychiatrischen Gutachter zeigt, der einen Zusammenhang zur Alkoholproblematik der Beschuldigten herstellt (Urk. 8/7 S. 47), handelt es sich dabei jedoch nicht um eine emotionale Reaktion, wie sie allgemein in dieser Situation zu erwarten wäre. Es liegt daher keine Entschuldbarkeit im Sinne der oben erwähnten Lehre und Rechtsprechung vor. Der subjektiven Erklärbarkeit dieser Gemütsbewegung - die in der Annahme einer leichtbis mittelgradigen Reduktion der Schuldfähigkeit im psychiatrischen Gutachten zum Ausdruck kommt ist im Rahmen der Strafzumessung bei der Würdigung des subjektiven Verschuldens Rechnung zu tragen.
Der ordentliche Strafrahmen für eine vorsätzliche Tötung reicht von fünf bis zwanzig Jahre. Da verschiedene Strafmilderungsgründe vorliegen (insbesondere Art. 19 Abs. 2 StGB; vgl. dazu unten 4 und 5), kann er auch unterschritten werden. Dazu kommt es jedoch nur in seltenen Ausnahmefällen, wie die Staatsanwaltschaft vor der Vorinstanz mit Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesgerichts vorsorglich ausführte (Urk. 50 S. 7). Ob dazu Anlass besteht, kann erst am Schluss der Strafzumessung aufgrund einer umfassenden Würdigung aller wesentlichen Strafzumessungsfaktoren entschieden werden, wenn das aus dem Tatverschulden und der Täterpersönlichkeit hergeleitete Strafmass im Sinne einer Kontrolle dem Strafrahmen gegenübergestellt wird (vgl. Mathys, Zur Technik der Strafzumessung, SJZ 100 / 2004 S. 173 ff., S. 180).
Die Strafe wird nach dem Verschulden zugemessen. Das Verschulden bestimmt sich nach der Schwere der Verletzung Gefährdung des betroffenen Rechtsguts, nach der Verwerflichkeit des Handelns, den Beweggründen und Zielen des Täters sowie danach, wie weit der Täter nach den inneren und äusseren Umständen in der Lage war, die Gefährdung Verletzung zu vermeiden. Neben dem Verschulden werden das Vorleben und die persönlichen Verhältnisse sowie die Wirkung der Strafe auf das Leben des Täters berücksichtigt (Art. 47 StGB).
Vergleicht man die Tat der Beschuldigten mit anderen Formen von Tötungsdelikten, so ist zu berücksichtigen, dass bloss ein Eventualvorsatz als mildeste Vorsatzform vorliegt und dass die Tat auf der anderen Seite weit von einem Mord entfernt ist, wie auch die Staatsanwaltschaft einräumt (Urk. 50 S. 7). Die Höchststrafe für eine bewusst fahrlässige Tatbegehung, worauf die Vorinstanz erkannte (vgl. Urk. 61 S. 24 E. 4.3.1.2), liegt bei drei Jahren. Der Vorsatz ist in der Regel das zentrale Element für die Bewertung des Tatverschuldens. Liegen keine aussergewöhnlichen Umstände vor, ist das Tatverschulden bei einer eventualvorsätzlichen Begehung im unteren Drittel des zur Verfügung stehenden Strafrahmens anzusiedeln, was aufgrund der konkreten Tatumstände näher einzugrenzen ist.
Sowohl die Vorinstanz als auch die Staatsanwaltschaft haben die Tötungsart mit den blossen Händen zutreffend als erschwerendes Element erwähnt (Urk. 61 S. 23 E. 4.3.1.1; Urk. 50 S. 7). Die Dauer des Würgens war kausal für den Eintritt des Todes und wurde bereits zur Begründung des Eventualvorsatzes herangezogen, so dass dieser Umstand bei der Strafzumessung nicht mehr erschwerend ins Gewicht fällt. Dass die Beschuldigte mit grosser Kraftanstrengung gewürgt habe, wie die Staatsanwaltschaft schreibt (Urk. 50 S. 7), ist nicht erstellt. Der einleitend erwähnte Umstand (vgl. oben A.1), dass das Opfer geschwächt war und deshalb ein vergleichsweise geringer Krafteinsatz genügte, um den Tod herbeizuführen, vermag sie hingegen nicht zu entlasten, da ihr dieser geschwächte Zustand bekannt war und da überdies erstellt ist, dass sie das Opfer nicht nur kurz würgte.
Die Vorinstanz gesteht der Beschuldigten in subjektiver Hinsicht eine entschuldbare heftige Gemütsbewegung i.S. von Art. 48 lit. c StGB zu (Urk. 61 S. 24). Der Wortlaut dieser Bestimmung entspricht dem des Tatbestands des Totschlags, zu dem dieser allgemeine Strafmilderungsgrund im Verhältnis der Subsidiarität steht. Es kann demnach auf die oben gemachte Feststellung verwiesen werden, wonach die Voraussetzung der Entschuldbarkeit nicht erfüllt ist (oben II.C.2; Trechsel / Affolter-Eijsten, Art. 48 StGB N 17 f.; Wiprächtiger, Basler Kommentar, Art. 48 StGB N 26). Der Verlauf der Tatnacht mit den Provokationen des Opfers entlastet die Beschuldigte. Die vom Gutachter bei der Tat beobachtete Affektakzentuierung, die sich auf die Schuldfähigkeit auswirkt, ist jedoch nur dort zu berücksichtigen (vgl. unten 4), um eine Doppelberücksichtigung zu vermeiden (Urk. 50 S. 8).
Zusammenfassend ist das Tatverschulden der Beschuldigten unter Berücksichtigung all dieser Umstände im Rahmen einer vorsätzlichen Tötung als noch leicht zu bezeichnen, was einer Einsatzstrafe von rund zehn Jahren entspricht.
Das ausführliche forensisch-psychiatrische Gutachten von Dr. med. F. vom 26. Mai 2010 diagnostiziert bei der Beschuldigten zum Tatzeitraum eine ängstlich (vermeidende) Persönlichkeitsstörung mit dependenten Zügen, eine mittelgradig depressive Episode sowie Abhängigkeiten von den Substanzen Heroin, Benzodiazepin und Alkohol (Urk. 8/7 S. 44). Zum Tatzeitraum habe sich die Beschuldigte längerfristig in einer zumindest mittelgradig depressiven Grundstimmung befunden als Folge der Schicksalsschläge nach dem Tod ihres Vaters im Jahr 2004, in dessen Folge die Beschuldigte neben Betäubungsmitteln massiv Alkohol zu konsumieren begann, und der Beinamputation im Jahr 2008 (Urk. 8/7 S. 45).
Die eigentliche Tat bezeichnet der Gutachter als affektakzentuiert, weil das gezeigte Tatverhalten bei der Beschuldigten aus der Vorgeschichte nicht bekannt sei. Allerdings erwähnt er eine sich seit 2008 entwickelnde affektive Instabilität mit Impulskontrollschwierigkeiten und aggressiver Gespanntheit durch den Alkoholkonsum und die depressive Symptomatik. Auf eine Affektakzentuierung deuteten neben den ausgeprägten Erinnerungsinseln auch das nach der Gewaltanwendung gezeigte Hilfeverhalten und die Distanzierung von der Tat mit Bestürzung hin. Dass es der Beschuldigten während der Tatnacht trotz zahlreicher Provokationen durch das Opfer lange gelungen sei, Ruhe zu bewahren, spreche jedoch für eine grundsätzliche erhaltene Steuerungsfähigkeit. Es könne daher von einer höchstens leichtbis mittelgradigen Minderung der Steuerungsfähigkeit aufgrund der Affektakzentuierung und der Alkoholwirkung ausgegangen werden. Hinweise auf eine Einschränkung der Einsichtsfähigkeit seien demgegenüber nicht vorhanden (Urk. 8/7 S. 45 ff.).
Daraus schloss der Gutachter auf eine höchstens leichtbis mittelgradig eingeschränkte Schuldfähigkeit i.S. von Art. 19 Abs. 2 StGB (vgl. Urk. 8/7 S. 47 und
S. 50 zu 2). Dieser überzeugend begründeten Einschätzung ist zu folgen. Es ist zu beachten, dass der Gutachter mit dieser Angabe nicht eine Bandbreite zwischen zwei Werten, sondern einen Punkt auf einer Skala bezeichnet, der zwischen diesen beiden Werten liegt. Es besteht daher entgegen der Auffassung der Vorinstanz (Urk. 61 S. 24 E. 4.3.1.5) und der Verteidigung (Prot. I S. 12 f.) kein Anlass, den Grundsatz in dubio pro reo zur Anwendung zu bringen und eine mittlere Verminderung der Schuldfähigkeit anzunehmen.
Die Beschuldigte konsumiert seit über 25 Jahren regelmässig Drogen. Ihre heutige Situation darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie keine typische Drogenkarriere hinter sich hat, sondern viele Jahre sozial gut integriert war
und einer geregelten Arbeit nachging, was insbesondere dadurch zum Ausdruck kommt, dass sie keine Vorstrafen erwirkte, was von einer überdurchschnittlichen Disziplin und Anpassung zeugt, wie die Vorinstanz und die Staatsanwaltschaft zurecht hervorheben (Urk. 61 S. 26; Urk. 50 S. 9; Urk. 74 S. 9). Die Vorstrafenlosigkeit der Beschuldigten ist ihr jedoch, entsprechend der aktuellen bundesgerichtlichen Rechtsprechung nicht strafmindernd anzurechnen (BGE 136 IV 1 ff.).
Die Lebenssituation der Beschuldigten geriet anscheinend aus dem Gleichgewicht als ihr Vater starb, der Alkoholiker gewesen sei, worauf sie selbst massiv zu trinken begann. Sie stürzte mehrmals ob der Alkohol dabei eine Rolle spielte, ist nicht bekannt - und verletzte sich am Knie. Im Verlauf der Behandlung zog sie sich eine Infektion zu, die nicht ausheilte. Schliesslich musste das Bein amputiert werden (vgl. Urk. 13/6 S. 5 A. 15). In dieser Zeit verlor sie ihre Stelle und lernte den ebenfalls drogensüchtigen +A. , das nachmalige Opfer, kennen, der ihren langjährigen Freund G. , mit dem sie seit dem Beginn ihrer Drogensucht zusammen gewesen war, als Lebenspartner ablöste. Diese neue Beziehung war nicht frei von Spannungen, wie aus den Ausführungen zur Sache hervorgeht (vgl. oben II.B.2 und 3). Diese Schicksalsschläge und der damit verbundene gesundheitliche und soziale Absturz sind leicht strafmindernd zu berücksichtigen.
Auch wenn das Gericht einen Eventualvorsatz annimmt, hält es die Versicherungen der Beschuldigten, dass sie den Tod ihres Freundes nicht wollte (vgl. Urk. 49
S. 15), für glaubhaft. Es ist ihr deshalb zuzugestehen, dass sie durch die unmittelbaren Folgen ihrer Tat zwar nicht physisch, aber psychisch unmittelbar betroffen ist. Davon geht nicht nur die Vorinstanz (Urk. 61 S. 25 E. 4.3.2.1), sondern auch die Staatsanwaltschaft aus (Urk. 50 S. 9). Diese Betroffenheit ist zwar nicht so gross, dass es zu einer bei Vorsatzdelikten nur sehr restriktiv zu gewährenden - Strafbefreiung kommt (vgl. Riklin, Basler Kommentar, Art. 54 StGB N 36 f.), sie führt jedoch zu einer Strafminderung (vgl. Trechsel / Pauen Borer, Art. 54 StGB N 3 a.E.).
Nachdem die Beschuldigte die Folgen ihrer Tat realisierte, alarmierte sie die Rettungskräfte und versuchte das Opfer unter der telefonischen Anleitung der Telefonistin des Rettungsdienstes wiederzubeleben (vgl. Urk. 11/2), was zwar nicht gelang, aber als Ausdruck tätiger Reue strafmindernd zu würdigen ist.
Ebenfalls strafmindernd zu berücksichtigen ist das kooperative Verhalten der Beschuldigten im Strafverfahren. Da die Abgrenzung zwischen Eventualvorsatz und Fahrlässigkeit eine Rechtsfrage darstellt, kann ihr die Bestreitung des Eventualvorsatzes entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft (Urk. 50 S. 9) nicht als Einschränkung ihrer Geständnisbereitschaft entgegengehalten werden.
Unter Berücksichtigung der soeben angeführten persönlichen Faktoren ist die schuldangemessene Strafe auf fünf Jahre zu reduzieren. Die Beschuldigte ist demnach mit einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren zu bestrafen. Der ordentliche Strafrahmen wird demnach nicht verlassen (vgl. oben 1). An diese Strafe ist die verbüsste Haft anzurechnen (Art. 51 StGB). Die Beschuldigte befand sich seit dem Morgen nach der Tat bis am tt. September 2010 während 371 Tagen in Haft (vgl. Urk. 29; Urk. 33; Urk. 61 S. 26 f. E. 4.2.2). Bei diesem Strafmass ist sowohl die Gewährung des bedingten als auch des teilbedingten Vollzugs von Gesetzes wegen ausgeschlossen (Art. 42 f. StGB).
Die Staatsanwaltschaft beantragt die Anordnung einer ambulanten Behandlung im Sinne von Art. 63 StGB während des Vollzuges der Freiheitsstrafe (Urk. 50 S. 9; Urk. 63 S. 2 Ziff. 4; Urk. 74 S. 1; Prot. II S. 6). Die Beschuldigte erklärte sich mit der Anordnung einer ambulanten Massnahme einverstanden (Urk. 48 S.6; Prot. II S. 9).
Dem bereits erwähnten forensisch-psychiatrischen Gutachten von Dr. med.
F. vom 26. Mai 2010 lässt sich entnehmen, dass die Beschuldigte im Tatzeitpunkt unter einer ängstlichen (vermeidenden) Persönlichkeitsstörung, einer zumindest mittelgradigen Depression sowie einer Heroin-, Benzodiazepinund Alkoholabhängigkeit gelitten habe. Sämtliche Diagnosen seien in deutlicher Ausprägung vorliegend. Die für die Tatzeit festgestellten psychischen Störungsbilder würden weiterhin bestehen (Urk. 8/7 S. 44 und 50). Die Rückfallgefahr für ähnlich gelagerte Straftaten wie die zur Last gelegte Tötung schätzt Dr. med. F. als gering-moderat ein. Die Persönlichkeitsstörung, die Alkoholabhängigkeit sowie die
Depressionsproblematik würden mit der Tatbegehung in ursächlichem Zusammenhang stehen und die Legalprognose belasten. Angesichts der dargelegten Rückfallgefahr bezüglich schwerwiegender Delikte sei die Anordnung einer Therapie als Massnahme zwar nicht zwingend nötig. Es bestehe jedoch ein ausgeprägter Behandlungsbedarf, der sich nicht auf die Alkoholund Drogenproblematik beschränke. Eine Massnahme würde sich sowohl auf die psychische Gesundheit als auch auf das verbleibende Restrisiko günstig niederschlagen (Urk. 8/7
S. 48 ff.). Nach dem Gesagten kann die Massnahmebedürftigkeit der Beschuldigten bejaht werden.
Gemäss dem psychiatrischen Gutachten können die festgestellten psychischen Störungen sowie die Suchtproblematik behandelt werden. Die Beschuldigte sei zudem bereit und motiviert, sich einer solchen Behandlung zu unterziehen
(Urk. 8/7 S. 49 ff.). Vor der Vorinstanz hat sich die Beschuldigte denn auch ausdrücklich mit der Anordnung einer ambulanten Behandlung einverstanden erklärt (Urk. 48 S. 6). Wie bereits die Staatsanwaltschaft festgehalten hat (Prot. II S. 6), kann aus dem Umstand, dass die Beschuldigte ihre Psychologin seit September 2011 nicht mehr konsultiert hat, nicht darauf geschlossen werden, dass sie nicht mehr bereit dazu wäre, sich einer Massnahme zu unterziehen, gab die Beschuldigte als Grund dafür doch an, sie habe nach dem erstinstanzlichen Verfahren an Angstzuständen gelitten und das Haus nicht mehr verlassen können (Urk. 73 S. 2
f. und 12). Damit ist auch heute von der Massnahmefähigkeit und Massnahmewilligkeit der Beschuldigten auszugehen.
Unter diesen Umständen ist für die Beschuldigte eine ambulante Massnahme im Sinne von Art. 63 Abs. 1 StGB anzuordnen, ohne dass der Strafvollzug zugunsten dieser Massnahme aufzuschieben ist, da nicht ersichtlich ist, inwiefern der gleichzeitige Vollzug der Freiheitsstrafe den Behandlungserfolg negativ beeinflussen könnte.
Die Beschuldigte trägt ausgangsgemäss die Kosten des Berufungsverfahrens. Mit Rücksicht auf ihre finanziellen Verhältnisse sind diese jedoch sogleich abzuschreiben (Art. 425 StPO). Davon ausgenommen sind die Kosten der amtlichen Verteidigung, die (unter dem Vorbehalt der Nachforderung gemäss Art. 135 Abs. 4 StPO) auf die Gerichtskasse genommen werden (Art. 426 Abs. 1 StPO).
Es wird beschlossen:
Es wird festgestellt, dass das Urteil des Bezirksgerichts Horgen vom 22. Juni 2011 bezüglich Dispositivziffern 4 (Einziehung), 5 und 6 (Zivilpunkt) sowie 7 und 8 (Kostenregelung) in Rechtskraft erwachsen ist.
Mündliche Eröffnung und schriftliche Mitteilung mit nachfolgendem Urteil.
Es wird erkannt:
Die Beschuldigte C. ist schuldig der vorsätzlichen Tötung im Sinne von Art. 111 StGB.
Die Beschuldigte wird bestraft mit 5 Jahren Freiheitsstrafe, wovon 371 Tage durch Untersuchungsund Sicherheitshaft erstanden sind.
Es wird eine ambulante Behandlung der Beschuldigten im Sinne von Art. 63 StGB (Suchtbehandlung Alkohol und Drogen) angeordnet.
Der Vollzug der Freiheitsstrafe wird nicht aufgeschoben.
Die Gerichtsgebühr für das Berufungsverfahren wird festgesetzt auf: Fr. 3'000.00 ; die weiteren Kosten betragen:
Fr. amtliche Verteidigung (noch ausstehend)
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden (mit Ausnahme der Kosten der amtlichen Verteidigung) der Beschuldigten auferlegt, aber abgeschrieben.
Die Kosten der amtlichen Verteidigung im Berufungsverfahren werden auf die Gerichtskasse genommen. Eine Nachforderung gemäss Art. 135 Abs. 4 StPO bleibt vorbehalten.
Mündliche Eröffnung und schriftliche Mitteilung im Dispositiv an
die amtliche Verteidigung im Doppel für sich und zuhanden der Beschuldigten
die Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich
die Privatklägerin B.
(Eine begründete Urteilsausfertigung - und nur hinsichtlich ihrer eigenen Anträge [Art. 84 Abs. 4 StPO)] wird den Privatklägern nur zugestellt, sofern sie dies innert 10 Tagen nach Erhalt des Dispositivs verlangen.)
sowie in vollständiger Ausfertigung an
die amtliche Verteidigung im Doppel für sich und zuhanden der Beschuldigten
die Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich
und nach unbenütztem Ablauf der Rechtsmittelfrist bzw. Erledigung allfälliger Rechtsmittel an
die Vorinstanz, mit dem Hinweis, dass der Kantonspolizei Zürich ein Entscheidexemplar zuzustellen ist
das Amt für Justizvollzug des Kantons Zürich, Abteilung Bewährungsund Vollzugsdienste
die Koordinationsstelle VOSTRA mit Formular A
die KOST Zürich mit dem Formular Löschung des DNA-Profils und Vernichtung des ED-Materials zwecks Bestimmung der Vernichtungsund Löschungsdaten
das Migrationsamt des Kantons Zürich.
Rechtsmittel:
Gegen diesen Entscheid kann bundesrechtliche Beschwerde in Strafsachen erhoben werden.
Die Beschwerde ist innert 30 Tagen, von der Zustellung der vollständigen, begründeten Ausfertigung an gerechnet, bei der Strafrechtlichen Abteilung des Bundesgerichtes (1000 Lausanne 14) in der in Art. 42 des Bundesgerichtsgesetzes vorgeschriebenen Weise schriftlich einzureichen.
Die Beschwerdelegitimation und die weiteren Beschwerdevoraussetzungen richten sich nach den massgeblichen Bestimmungen des Bundesgerichtsgesetzes.
Obergericht des Kantons Zürich
II. Strafkammer
Zürich, 22. Juni 2012
Der Vorsitzende:
Oberrichter lic. iur. Th. Meyer
Die Gerichtsschreiberin:
lic. iur. Laufer
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