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Urteil Obergericht des Kantons Zürich (ZH)

Kopfdaten
Kanton:ZH
Fallnummer:PQ220065
Instanz:Obergericht des Kantons Zürich
Abteilung:II. Zivilkammer
Obergericht des Kantons Zürich Entscheid PQ220065 vom 27.10.2022 (ZH)
Datum:27.10.2022
Rechtskraft:-
Leitsatz/Stichwort:Zustimmung zum Wechsel des Aufenthaltsortes nach Art. 301a Abs. 2 ZGB / unentgeltliche Rechtspflege
Schlagwörter : Beschwerde; Recht; Beschwerdeführerin; Entscheid; Deutschland; Aufschiebende; Beschwerdegegner; Unentgeltliche; Kindes; Verfahren; Wohnung; Kinder; Bezirk; Vorinstanz; BR-act; Bezirksrat; Entzug; Aufschiebenden; Beziehung; Rechtspflege; Hinwil; Kindergarten; Aufenthalt; Aufenthaltsort; Gericht; Umzug; Dringlichkeit; Beschluss; Mutter; Vater
Rechtsnorm: Art. 106 ZPO ; Art. 123 ZPO ; Art. 298b ZGB ; Art. 301a ZGB ; Art. 446 ZGB ; Art. 450 ZGB ; Art. 450a ZGB ; Art. 450c ZGB ; Art. 450f ZGB ; Art. 98 BGG ;
Referenz BGE:138 III 374; 141 III 569; 142 III 1; 142 III 502; 143 III 193;
Kommentar zugewiesen:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
Weitere Kommentare:
Entscheid

Obergericht des Kantons Zürich

II. Zivilkammer

Geschäfts-Nr.: PQ220065-O/U

Mitwirkend: Oberrichterin lic. iur. E. Lichti Aschwanden, Vorsitzende, Oberrichterin lic. iur. R. Bantli Keller und Oberrichter Dr. E. Pahud sowie Gerichtsschreiberin MLaw M. Schnarwiler

Beschluss und Urteil vom 27. Oktober 2022

in Sachen

  1. ,

    Beschwerdeführerin

    vertreten durch Rechtsanwalt lic. iur. X. ,

    gegen

  2. ,

Beschwerdegegner

vertreten durch Rechtsanwältin lic. iur. Y. ,

betreffend Zustimmung zum Wechsel des Aufenthaltsortes nach Art. 301a Abs. 2 ZGB / unentgeltliche Rechtspflege

Beschwerde gegen einen Beschluss des Bezirksrates Hinwil vom 23. Sep- tember 2022 i.S. C. , geb. tt.mm.2021; VO.2022.15 (Kindes- und Er- wachsenenschutzbehörde Bezirk Hinwil)

Erwägungen:

I.

  1. A. und B. (fortan: Beschwerdeführerin und Beschwerdegegner oder Mutter und Vater) sind die nicht verheirateten Eltern von C. , geboren am tt.mm.2021. Mit Entscheid vom 24. Mai 2022 entschied die Kindes- und Er- wachsenenschutzbehörde Bezirk Hinwil (KESB) Folgendes (BR-act. 2):

    1. C. wird gestützt auf Art. 298b Abs. 2 ZGB unter die ge- meinsame elterliche Sorge der Eltern, A. und B. , ge- stellt.

  2. (Erziehungsgutschriften)

  3. Der Mutter, A. , wird gestützt auf Art. 301 a Abs. 2 ZGB die Zustimmung zur Verlegung des Aufenthaltsortes von C. nach Deutschland erteilt.

  4. Der Antrag vom 15. März 2022 des Vaters auf Anordnung einer alternierenden Obhut wird abgewiesen.

[…]

  1. Mit Eingabe vom 30. Juni 2022 erhob der Vater Beschwerde gegen diesen Entscheid beim Bezirksrat Hinwil (BR-act. 1). Er beantragte unter anderem, es sei C. unter seine alleinige Obhut zu stellen, es sei der Mutter zu verbieten, den Aufenthaltsort von C. nach Deutschland zu verlegen und es sei der Mutter ein ausgedehntes Besuchsrecht zuzusprechen (BR-act. 1 S. 2 ff.). Der Be- zirksrat holte eine Vernehmlassung der KESB vom 3. August 2022 (BR-act. 23) und eine Beschwerdeantwort der Mutter vom 5. August 2022 ein (BR-act. 25). Die Mutter beantragte, es sei die Beschwerde abzuweisen, der Beschwerde die auf- schiebende Wirkung zu entziehen und ihr die unentgeltliche Rechtspflege und Rechtsverbeiständung zu bewilligen (BR-act. 25 S. 2). Es folgten eine Stellung- nahme des Vaters zum Antrag auf Entzug der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde vom 22. August 2022 (BR-act. 34) und eine Stellungnahme der Mutter vom 2. September 2022 (BR-act. 37). Mit Beschluss vom 23. September 2022 wies der Bezirksrat Hinwil (Vorinstanz) den Antrag auf Entzug der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde ab (Dispositiv-Ziffer I) und hielt fest, dass die Kosten für diesen Zwischenentscheid mit dem Endentscheid verlegt würden (Dispositiv- Ziffer II; act. 4/B = act. 7 [Aktenexemplar]).

  2. Mit Eingabe vom 6. Oktober 2022 (Eingang 10. Oktober 2022) erhob die Beschwerdeführerin Beschwerde gegen den Beschluss der Vorinstanz vom 23. Sep- tember 2022 mit folgendem Rechtsbegehren (act. 2 S. 2):

    1. Es sei Ziff. I. des Beschlusses des Bezirksrates Hinwil (V0.2022.15/3.02.00) vom 23. September 2022 (Zwischenent- scheid betreffend Antrag auf Entzug der aufschiebenden Wir- kung) auszuheben;·

    1. Es sei der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zu entziehen;·

    2. Alles unter Kosten- und Entschädigungsfolgen (zuzüglich MWSt) zu Lasten des Beschwerdegegners.

Gleichzeitig ersuchte sie um Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege, inklu- sive unentgeltliche Rechtsverbeiständung (act. 2 S. 2). Die vorinstanzlichen Akten des Bezirksrats (act. 8/1-47; zitiert als BR-act.) und der KESB (act. 8/24/1-288; zitiert als KESB-act.) wurden beigezogen (vgl. act. 5). Das Verfahren ist spruch- reif.

II.

    1. Das Beschwerdeverfahren in Kindes- und Erwachsenenschutzsachen richtet sich nach den Bestimmungen des Schweizerischen Zivilgesetzbuchs (ZGB) und des Einführungsgesetzes zum Kindes- und Erwachsenenschutzrecht (EG KESR, LS 232.3). Enthalten diese Gesetze keine Regelung, gelten für die Verfahren vor den gerichtlichen Beschwerdeinstanzen die Bestimmungen des Gerichtsorganisa- tionsgesetzes (GOG, LS 211.1) sowie subsidiär und sinngemäss die Bestimmun- gen der Schweizerischen Zivilprozessordnung (ZPO; Art. 450f ZGB und § 40 EG KESR). Beschwerden gegen Entscheide der KESB werden in erster Instanz vom Bezirksrat und in zweiter Instanz vom Obergericht beurteilt (Art. 450f ZGB i.V.m.

      §§ 40 und 63 f. EG KESR und § 50 GOG). Gegenstand des zweitinstanzlichen Beschwerdeverfahrens können nur die Entscheide des Bezirksrats, nicht diejeni- gen der KESB sein.

    2. Mit der Beschwerde kann (neben Rechtsverweigerung und Rechtsverzöge- rung) eine Rechtsverletzung, die unrichtige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhaltes oder Unangemessenheit des Entscheides ge-

rügt werden (Art. 450a Abs. 1 ZGB). Der Rechtsmittelbehörde kommt sowohl in rechtlicher wie auch in tatsächlicher Hinsicht umfassende Überprüfungsbefugnis zu; dazu gehört auch die volle Ermessensüberprüfung (BSK ZGB I-DROESE,

Art. 450a N 3 und 10). Im Verfahren vor der KESB und den gerichtlichen Beschwerdeinstanzen ist der Sachverhalt von Amtes wegen zu erforschen und das Gericht ist an die Anträge der Parteien nicht gebunden (Art. 446 ZGB). Von der Beschwerde führenden Partei ist indes darzulegen und aufzuzeigen, inwiefern der angefochtene Entscheid als fehlerhaft erachtet wird. Sie muss sich sachbezogen mit den Entscheidgründen des angefochtenen Entscheides auseinandersetzen und darlegen, inwiefern die Vorinstanz das Recht falsch angewendet bzw. den Sachverhalt unrichtig festgestellt haben soll. Dies gilt auch im Bereich der Unter- suchungsmaxime (Art. 446 ZGB, §§ 65 und 67 EG KESR; BGE 141 III 569

E. 2.3.3; BGE 138 III 374 E. 4.3.1). Die Beschwerdeinstanz darf sich primär auf die geltend gemachten Rügen und Anträge konzentrieren (BSK ZGB I-DROESE, Art. 450a N 5).

2. Der Entscheid der Vorinstanz vom 6. Oktober 2022 ist mit Beschwerde im Sinne von Art. 450 ZGB anfechtbar. Die Beschwerde wurde rechtzeitig erhoben (vgl. act. 7, Anhang). Als betroffene Person und Partei im vorinstanzlichen Verfah- ren ist die Beschwerdeführerin zur Beschwerde an die Kammer legitimiert (Art. 450 Abs. 2 ZGB). Die Beschwerde enthält sodann Anträge und eine Begründung (act. 2). Dem Eintreten auf die Beschwerde steht insoweit nichts entgegen.

III.

1. Die Vorinstanz führte nach Wiedergabe der Parteivorbringen (act. 7 S. 3 ff.) sowie der rechtlichen Grundlagen für den Entzug der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde (act. 7 S. 5 f.) aus, der Beschwerdeführerin sei zwar Recht zu geben, dass der geplante Umzug nach Deutschland für C. einfacher sei, solange sie ihre Aussenwelt noch nicht aktiv wahrnehme bzw. an ihr aktiv teil- nehme und keine freundschaftlichen Beziehungen zu anderen Kindern oder Er- wachsenen geknüpft habe. C. habe am tt.mm.2022 allerdings erst ihren ersten Geburtstag gefeiert. Bis sie an ihrer Aussenwelt aktiv teilnehme und tiefer- gehende Beziehungen zu ihren Mitmenschen aufbauen könne, dauere es noch

einige Zeit. Es sei davon auszugehen, dass das vorliegende Verfahren bis dahin abgeschlossen sei. Auch in den Kindergarten käme C. frühestens im Au- gust 2025 und somit in drei Jahren. Ob ein allfälliger Umzug selbst im Kindergar- tenalter dem Kindswohl von C. entgegenstehe, könne nach jetziger Sicht noch nicht beurteilt werden. Allerdings sei ein Umzug gerade kurz vor Eintritt in den Kindergarten oder Eintritt in die 1. Klasse nicht unüblich. Ein Umzug zu die- sem Zeitpunkt erfolge oft mit der Intention, dass anschliessend für die Dauer der obligatorischen Schulzeit kein Ortswechsel vorgenommen werde und das Kind sein schulisches Umfeld nicht wechseln müsse. Soweit die Beschwerdeführerin vorbringe, bereits Dispositionen getroffen zu haben, welche sich nicht mehr leicht rückgängig machen liessen, sei zu erwähnen, dass die Beschwerdeführerin diese Dispositionen während laufender Rechtsmittelfrist getroffen habe:·Der Entscheid der KESB vom 23. Mai 2022 sei am 31. Mai 2022 versandt worden. Die Unter- zeichnung des Mietvertrages für die Wohnung in Gossau sei am 15. Juni 2022 er- folgt und die Kündigung der Wohnung in D. am 28. Juni 2022. Dass die Beschwerdeführerin diese Dispositionen nicht leicht wieder rückgängig machen kön- ne, werde nicht weiter in Frage gestellt, sei jedoch für die Entscheidfindung nicht von weitergehender Relevanz. Es gehe nicht an, dass durch das Schaffen von nicht leicht wieder rückgängig zu machenden Dispositionen die Dringlichkeit be- jaht und damit die Möglichkeit einer rechtsstaatlich einwandfreien Prüfung der Rechtslage beeinflusst werde. Auch das Vorbringen der Beschwerdeführerin, dass sie ab Dezember 2022 obdachlos sein werde, sei zum jetzigen Zeitpunkt als reine Behauptung zu werten. Der Beschwerdeführerin bleibe noch genügend Zeit, um eine Wohnung ab Dezember zu finden, falls dies zwischenzeitlich nicht schon passiert sei. Inwiefern vorliegend die Interessen an einem sofortigen Vollzug des Entscheides gegen jene an einer rechtsstaatlich einwandfreien Prüfung der Rechtslage schwerer wiegen dürften, erhelle nicht. Der Entzug der aufschieben- den Wirkung komme von vornherein immer nur bei Gefahr im Verzug und Dring- lichkeit in Frage, was in diesem Fall nicht gegeben sei. Der Beschwerde sei die aufschiebende Wirkung nicht zu entziehen und der Antrag der Beschwerdeführe- rin entsprechend abzuweisen (act. 7 S. 6 f.). Im Übrigen sei mit Entscheid vom

16. August 2022 der persönliche Verkehr zwischen dem Kindsvater und C.

geregelt und der Beschwerde diesbezüglich die aufschiebende Wirkung entzogen worden. Ein regelmässiger Kontakt zwischen dem Beschwerdegegner und seiner Tochter C. und somit eine Vater-Tochter Beziehung sei jetzt herzustellen. Mit dem vorliegend beantragten Entzug der aufschiebenden Wirkung und dem da- raus resultierenden Umzug der Beschwerdeführerin und C. nach Nord- deutschland wäre dies mutmasslich kaum mehr möglich und C. würde mög- licherweise keine Beziehung zu ihrem Vater aufbauen können. Der ausnahms- weise Entzug der aufschiebenden Wirkung sei vorliegend auch vor diesem Hin- tergrund nicht gerechtfertigt (act. 7 S. 7).

2. Die Beschwerdeführerin kritisiert, die Vorinstanz verkenne, dass das Kinder- gartenalter in Deutschland bereits ab drei Jahren gelte, d.h. dass C. bereits im Jahr 2024 in den Kindergarten gehe. Sie müsse zeitnah einen Platz reservie- ren, was erst möglich sei, wenn sie einen festen Wohnsitz in Deutschland hätten (act. 2 Rz. 4 f.). Wenn der Beschwerdegegner das Verfahren noch weiter in die Länge ziehe, bestehe die erhebliche Gefahr, dass C. ein Jahr Kindergarten verpasse und dann den anderen Kindern in ihrer Entwicklung nachstehe. Zudem verkenne die Vorinstanz, dass C. bald in einem Alter sein werde, in wel- chem sie soziale Beziehungen zu Gspänli aufbaue, was noch mehr dafür spre- che, dass sie nicht verfahrensbedingt verzögert mit dem Aufbau von sozialen Kontakten mit Kindern in ähnlichem Alter beginnen könne (act. 2 Rz. 5). Während die KESB die gesamte Situation genauestens kenne und das Kindeswohl in den Vordergrund stelle, habe die Vorinstanz nur aufgrund der Akten entschieden (act. 2 Rz. 8). Der Beschwerdegegner habe bislang mit seinen etlichen Eingaben und Beschwerden das Verfahren schon sehr in die Länge gezogen und es sei weiter- hin davon auszugehen, dass er das Verfahren bis zur letzten Instanz ausschöpfen werde. Dabei lasse er die Interessen seines eigenen Kindes völlig ausser Acht (act. 2 Rz. 9). Die Vorinstanz verkenne im Gegensatz zur KESB auch, dass der Beschwerdegegner anlässlich seiner persönlichen Anhörung einem Wohnorts- wechsel nach Deutschland explizit zugestimmt habe und seine Meinung aus hei- terem Himmel und ohne jegliche Vorwarnung geändert habe (act. 2 Rz. 10 f.). Vor diesem Hintergrund bzw. im Vertrauen hierauf habe sie (die Beschwerdeführerin) nicht leicht wieder rückgängig zu machende Dispositionen getroffen (act. 2

Rz. 12 f.). Das widersprüchliche Verhalten des Beschwerdegegners verdiene kei- nen Rechtsschutz. Zudem habe sie das Recht zu entscheiden, wo sie ihre Nieder- lassung begründen wolle (act. 2 Rz. 13). Es sei auch nicht ersichtlich, dass der Umzug nach Norddeutschland einem Aufbau der Beziehung zwischen C. und dem Beschwerdegegner entgegenstehe. Der Beschwerdegegner habe seit der Geburt kaum Interesse daran gehabt, eine solche Beziehung aufzubauen; er habe sie im Jahr 2022 gerade ein paar Mal gesehen (act. 2 Rz. 15). Auf der ande- ren Seite bestehe nun die reelle Gefahr, dass sie (die Beschwerdegegnerin) und ihre einjährige Tochter ab Dezember 2022 obdachlos sein könnten (act. 2 Rz. 14). Das Verweilen in der Schweiz ohne Wohnung, der Verlust der Wohnung in Deutschland und die verspätete Integration der Tochter in ihrem neuen Lebens- umfeld überwiegten als Nachteile diejenigen des Beschwerdegegners und seien nicht mehr wieder gut zu machen (act. 2 Rz. 16). Zudem sei zu berücksichtigen, dass die Erfolgsaussichten der Beschwerde sehr klein seien (act. 2 Rz. 16).

V.

1. Gemäss Art. 314 Abs. 1 i.V.m. Art. 450c ZGB hat die Beschwerde auf- schiebende Wirkung, sofern die Kindesschutzbehörde oder die gerichtliche Beschwerdeinstanz nichts anderes verfügt. Ein Entzug der aufschiebenden Wirkung kommt ausnahmsweise bei besonderer Dringlichkeit in Frage und muss sich mit den Besonderheiten des konkreten Falles begründen lassen (BSK ZGB I-GEISER, Art. 450c N 7). Im Einzelfall ist eine Abwägung der konkret auf dem Spiel stehen- den Interessen vorzunehmen (BGE 143 III 193 E. 4). Zu erwähnen ist zudem, dass mit dem Wegzug des Kindes nach Deutschland, welches wie die Schweiz das Haager Kindesschutzübereinkommen ratifiziert hat, grundsätzlich sogleich ein gewöhnlicher Aufenthalt des Kindes in Deutschland begründet würde und die in- ternationale Zuständigkeit der schweizerischen Gerichte gemäss Konvention ent- fiele (Art. 5 Abs. 2 Haager Kindesschutzübereinkommens, HKsÜ; u.a. BGE 143 III 193 E. 2 und BGE 142 III 1 E. 2.1; BGer 5A_293/2016 vom 8. August 2016 E. 3.1

m.w.H.). Zwar bleiben die schweizerischen Beschwerdeinstanzen gemäss jünge- rer Praxis des europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte dennoch sachlich zuständig (vgl. EGMR Antrag Nr. 69444/67 E. 54 ff.). Die Regelung im Kindesschutzübereinkommen betont dennoch das Anliegen, dass grundsätzlich die Ge- richte am Ort, wo sich das Kind befindet, über Kinderanliegen entscheiden sollen, weil diese mit den Verhältnissen des Kindes am besten vertraut sind. Der Entzug der aufschiebenden Wirkung bei Ausreisen ins Ausland ist daher nur mit grosser Zurückhaltung vorzusehen.

2.

    1. Vorab ist festzuhalten, dass sich das vorliegende Beschwerdeverfahren ein- zig um die Frage des Entzugs der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde dreht. Hingegen bilden die streitigen Fragen der Obhut, des Wechsels des Auf- enthaltsortes und des Besuchsrechts nicht Verfahrensgegenstand. Sie sind einzig im Rahmen der Hauptsachenprognose bei der Interessenabwägung von Bedeu- tung.

    2. Die Beschwerdeführerin begründet die besondere Dringlichkeit bzw. das überwiegende Interesse an einem sofortigen Umzug nach Deutschland im We- sentlichen mit der Gefahr, dass C. ein Jahr Kindergarten verpassen könnte und bald in einem Alter sein werde, in welchen sie soziale Beziehungen zu Gspänli aufbaue. Im Weiteren verweist sie auf die gekündigte Wohnung in

D. und den drohenden Verlust der neu angemieteten Wohnung in Deutsch- land.

      1. C. ist ein Jahr alt und würde auch in Deutschland (wo die Kinder ge- mäss der Beschwerdeführerin bereits mit drei Jahren in den Kindergarten eintre- ten) den Kindergarten frühestens im Jahr 2024 besuchen. Eine zeitliche Dring- lichkeit ist vor diesen Hintergrund nicht zu sehen. Die Vorinstanz weist sodann zu Recht darauf hin, dass es bei einem Kind im Alter von C. noch einige Zeit dauert, bis es an der Aussenwelt aktiv teilnehmen und tiefergehende Beziehun- gen zu ihren Mitmenschen aufbauen kann. Es besteht unter diesem Aspekt kein ersichtlicher Grund, wieso C. mit der Beschwerdeführerin nicht auch zu ei- nem späteren Zeitpunkt nach Deutschland übersiedeln könnte, ohne dass ihre Entwicklung gefährdet wäre.

      2. Die Beschwerdeführerin hat die Wohnung in D. auf Ende November 2022 gekündigt und gemäss ihren Ausführungen noch keine neue Wohnung in der Schweiz gefunden. Mit der Erwägung der Vorinstanz, dass ihr noch genügend Zeit verbleibe, um eine Wohnung ab Dezember zu finden, setzt sie sich allerdings nicht auseinander. Insbesondere tut sie nicht dar, welche erfolglosen Suchbemü- hungen sie unternommen hat, aufgrund derer von der nahen Möglichkeit auszu- gehen wäre, dass sie und C. ab Dezember ohne Wohnung sein könnten. Eine entsprechende konkrete Gefahr kann im heutigen Zeitpunkt nicht bejaht werden. Auch die von der Beschwerdeführerin nur vage angedeutete Konse- quenz, dass sie die in Deutschland gefundene Wohnung wieder verliere, weil sie sich zwei Wohnungen nicht leisten könne, vermag keinen anderen Schluss zu begründen. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass es der Beschwerdefüh- rerin nicht gelingen könnte, zu einem späteren Zeitpunkt (erneut) eine passende Wohnung in Deutschland zu finden.

      3. Weitere Umstände, welche eine besondere Dringlichkeit für eine Verlegung des Aufenthaltsorts nach Deutschland begründen könnten, wurden nicht dargetan und sind nicht ersichtlich.

2.3 Vor diesem Hintergrund – d.h. angesichts des Fehlens von Umständen, die für eine besondere Dringlichkeit sprechen – vermag auch eine Hauptsachenprog- nose, die prima facie zu Gunsten der von der KESB angeordneten Regelung (Er- teilung der Zustimmung zur Verlegung des Aufenthaltsortes) ausfällt (vgl. BGE 142 III 502 E. 2.5), nichts zu ändern. Gleiches gilt mit Bezug auf das von der Beschwerdeführerin angeführte ursprüngliche Einverständnis des Beschwerdegeg- ners mit einem Umzug nach Deutschland. Wenn der Beschwerdegegner seine Meinung hinsichtlich eines Wechsels des Aufenthaltsorts seiner Tochter geändert hat (vgl. dazu BR-act. 23 S. 2), fühlt sich die Beschwerdeführerin in ihrem diesbe- züglichen Vertrauen zwar verständlicherweise getäuscht. Ein solcher Meinungs- umschwung des Beschwerdegegners ist angesichts der Auswirkungen, welche ein Aufenthaltsortswechsel auf den persönlichen Verkehr bzw. den Aufbau einer Vater-Tochter-Beziehung haben kann, aber nicht als geradezu missbräuchlich zu qualifizieren.

3. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Beschwerdeführerin keine be- sondere Dringlichkeit dargetan hat, welche es ausnahmsweise gebieten würde, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zu entziehen. Die Beschwerde ist abzuweisen.

V.

1. Die Entscheidgebühr für das vorliegende Beschwerdeverfahren wird auf Fr. 800.– festgesetzt (§ 5 Abs. 1 und § 8 Abs. 1 GebV OG). Ausgangsgemäss

sind die Kosten der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 106 Abs. 1 ZPO; s. zur Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege sogleich E. 2). Parteientschädigun- gen sind keine zuzusprechen; der Beschwerdeführerin nicht, weil sie unterliegt, dem Beschwerdegegner nicht, will ihm keine Aufwendungen entstanden sind, die zu entschädigen wären.

2.

    1. Die Beschwerdeführerin stellt für das obergerichtliche Verfahren ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege, inklusive unentgeltliche Rechtsverbeiständung.

    2. Eine Person hat Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege, wenn sie nicht über die erforderlichen Mittel verfügt, um den Prozess zu finanzieren, und ihr Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint (Art. 117 lit. a und b ZPO).

Die Mittellosigkeit der Beschwerdeführerin ergibt sich aus den bei den Akten lie- genden Unterlagen (vgl. act. 2 S. 8 f.; act. 4/4 ff.). Was die Aussichtslosigkeit be- trifft, ist die Kammer in familienrechtlichen Verfahren grundsätzlich zurückhaltend bei deren Bejahung, insbesondere soweit es um die elterliche Sorge, die Obhut und die Betreuungsregelung geht. Vorliegend ist zugunsten der Beschwerdefüh- rerin keine von vornherein bestehende Aussichtslosigkeit anzunehmen. Der Beschwerdeführerin ist die unentgeltliche Rechtspflege für das obergerichtliche Ver- fahren zu gewähren und Rechtsanwalt lic. iur. X. als unentgeltlicher Rechtsbeistand zu bestellen. Die Beschwerdeführerin ist darauf hinzuweisen, dass sie zur Nachzahlung verpflichtet ist, sobald sie dazu in der Lage ist (Art. 123 ZPO).

Es wird beschlossen:

  1. Der Beschwerdeführerin wird die unentgeltliche Rechtspflege bewilligt und Rechtsanwalt lic. iur. X. als unentgeltlicher Rechtsbeistand bestellt.

  2. Schriftliche Mitteilung mit nachfolgendem Urteil.

Es wird erkannt:

  1. Die Beschwerde wird abgewiesen und der Beschluss des Bezirksrats Hinwil vom 23. September 2022 wird bestätigt.

  2. Die Entscheidgebühr für das obergerichtliche Verfahren wird auf Fr. 800.– festgesetzt und der Beschwerdeführerin auferlegt, aber zufolge gewährter unentgeltlicher Rechtspflege einstweilen auf die Gerichtskasse genommen. Die Nachzahlungspflicht gemäss Art. 123 ZPO bleibt vorbehalten.

  3. Es werden keine Parteientschädigungen zugesprochen.

  4. Der unentgeltliche Rechtsbeistand der Beschwerdeführerin, Rechtsanwalt lic. iur. X. , wird eingeladen, seine Kostennote einzureichen. Über die Entschädigung für das obergerichtliche Verfahren wird mit separatem Beschluss entschieden.

  5. Schriftliche Mitteilung an die Parteien, die Kindes- und Erwachsenenschutz- behörde Bezirk Hinwil sowie – unter Rücksendung der eingereichten Akten – an den Bezirksrat Hinwil, je gegen Empfangsschein.

  6. Eine Beschwerde gegen diesen Entscheid an das Bundesgericht ist innert 30 Tagen von der Zustellung an beim Schweizerischen Bundesge-

richt, 1000 Lausanne 14, einzureichen. Zulässigkeit und Form einer solchen Beschwerde richten sich nach Art. 72 ff. (Beschwerde in Zivilsachen) oder Art. 113 ff. (subsidiäre Verfassungsbeschwerde) in Verbindung mit Art. 42 des Bundesgesetzes über das Bundesgericht (BGG).

Dies ist ein Entscheid über vorsorgliche Massnahmen im Sinne von Art. 98 BGG. Es handelt sich um eine nicht vermögensrechtliche Angelegenheit.

Die Beschwerde an das Bundesgericht hat keine aufschiebende Wirkung.

Obergericht des Kantons Zürich

II. Zivilkammer

Die Gerichtsschreiberin:

MLaw M. Schnarwiler versandt am:

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