Zusammenfassung des Urteils PQ210070: Obergericht des Kantons Zürich
In dem Gerichtsverfahren vor dem Kantonsgericht von Graubünden ging es um ein Ausstandsgesuch, das von X. gegen Y. erhoben wurde. X. begründete sein Gesuch damit, dass er Y.'s Befangenheit aufgrund früherer Verfahren und persönlicher Ansichten vorwarf. Nach Prüfung aller Argumente und Gesichtspunkte entschied die II. Strafkammer, dass das Ausstandsgesuch unbegründet sei und wies es ab. Die Kosten des Verfahrens in Höhe von CHF 1'000.-- wurden X. auferlegt.
Kanton: | ZH |
Fallnummer: | PQ210070 |
Instanz: | Obergericht des Kantons Zürich |
Abteilung: | II. Zivilkammer |
Datum: | 15.12.2021 |
Rechtskraft: | - |
Leitsatz/Stichwort: | Kindesschutzmassnahmen |
Schlagwörter : | Mutter; Kindes; Familie; Entscheid; Eltern; Familienbegleitung; KESB-act; Recht; Beiständin; Verfahren; Beschwerde; Bezirksrat; Tochter; Anordnung; Bülach; Situation; Jugendcoach; Verfahren; Beistandschaft; BR-act; Person; Rechtsmittel; Anhörung; Verfahrens; Jugendcoaching; Urteil; Erwachsenenschutz |
Rechtsnorm: | Art. 299 ZPO ;Art. 304 ZGB ;Art. 306 ZGB ;Art. 307 ZGB ;Art. 308 ZGB ;Art. 440 ZGB ;Art. 446 ZGB ;Art. 450 ZGB ;Art. 450a ZGB ;Art. 450b ZGB ;Art. 90 BGG ; |
Referenz BGE: | 131 III 553; 140 III 636; 142 III 732; |
Kommentar: | - |
Obergericht des Kantons Zürich
II. Zivilkammer
Geschäfts-Nr.: PQ210070-O/U
Mitwirkend: Oberrichterin lic. iur. E. Lichti Aschwanden, Vorsitzende, Oberrichterin lic. iur. A. Strähl und Ersatzrichter Dr. E. Pahud sowie Gerichtsschreiber lic. iur. M. Häfeli
Urteil vom 15. Dezember 2021
in Sachen
Beschwerdeführerinnen
2 vertreten durch MLaw X. ,
sowie
Verfahrensbeteiligter
betreffend Kindesschutzmassnahmen
Erwägungen:
Mit Entscheid vom 1. Juni 2021 ordnete die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde Bülach Nord (fortan KESB) für die Familie A. B. C. gestützt auf Art. 308 Abs. 1 und 2 ZGB eine sozialpädagogische Familienbegleitung (wenn möglich in tamilischer Sprache) an sowie eine Beistandschaft für B. , geb. tt.mm.2008. Als Beiständin setzte sie D. vom kjz Bülach ein und sie übertrug ihr folgende Aufgaben (KESB-act. 68, Dispositiv-Ziff. 1 - 3):
( )
die Eltern in der nach den Umständen gebotenen Weise zu beraten und sie in Erziehungs- und kulturellen Fragen sowie in ihrer Sorge um B. mit Rat und Tat zu unterstützen;
die Eltern im Kontakt mit den involvierten Fachpersonen zu unterstützen;
mit B. in regelmässigem Kontakt zu stehen und sich über deren Situation, Bedürfnisse und Wünsche ins Bild zu setzen und deren Entwicklung zu begleiten;
umgehend die angeordnete sozialpädagogische Familienbegleitung gemäss Ziff. 1 hievor zu organisieren, zu überwachen und zu begleiten sowie die Fi- nanzierung zu beantragen.
Dem Entscheid zugrunde liegt eine Gefährdungsmeldung der Kinderschutzgruppe des Kinderspitals Zürich vom 23. November 2020, worin auf die wiederholte Gewalt der Mutter A. gegenüber der Tochter B. hingewiesen worden war (KESB-act. 8). Gleichzeitig hatte das Kinderspital Zürich auch Strafanzeige erhoben (KESB-act. 4/2).
B. war in Begleitung der Schulsozialarbeiterin am 23. November 2020 auf der Notfallstation des Kinderspitals Zürich vorstellig geworden, nachdem bereits Tage zuvor seitens der Schulleitung die Polizei eingeschaltet worden war.
B. habe sich vor dem anstehenden Elterngespräch in der Schule gefürchtet
und davon berichtet, dass sie bei Schulnoten unter 5 von der Mutter jeweils geschlagen werde; sie habe sich entschlossen der Mutter die Noten nicht mehr zu zeigen und werde nun seit zwei Monaten nicht mehr geschlagen. Da B. von der Mutter nicht habe weggehen wollen und keine akute Gefahr bestanden habe, sei B. von der Kinderschutzgruppe wieder nach Hause entlassen worden (KESB-act. 2 und 8).
Für die Verfahrensvertretung von B. im Strafverfahren bestellte die KESB mit superprovisorischem Entscheid vom 25. November 2020 (bestätigt mit Entscheid vom 23. Februar 2021, KESB-act. 51) gestützt auf Art. 306 Abs. 2 ZGB eine Beiständin (KESB-act. 9). Diese teilte der Kantonspolizei am 11. Januar 2021 mit, dass B. für weitere Aussagen nicht zur Verfügung stehe und von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch mache und keinen Strafantrag stelle (KESB-act. 31), was im Polizeirapport vom 13. Januar 2021 so festgehalten wur- de (KESB-act. 32). Nach der im Auftrag der Staatsanwaltschaft I des Kantons Zürich erfolgten polizeilichen Einvernahme der Mutter vom 8. Februar 2021 (KESBact. 50, Anhang) gab es im Strafverfahren keine Weiterungen.
Der Vater und die Mutter von B. wurden im Beisein des Onkels (Bru- der des Vaters) von der KESB am 12. Januar 2021 angehört (KESB-act. 29). Die Mutter A. räumte ein, B. geschlagen zu haben, dass es Schwierigkeiten in der Schule gegeben habe und sie für ihren Mann, der nach der Geburt von B. von einer Blitzbombe getroffen worden war, alles machen müsse. Der pflegebedürftige Vater bestätigte die Aussagen. Anlässlich dieser Anhörung zeigten sich die Eltern, der Onkel und auch B. mit der Errichtung einer Beistandschaft, die nötigenfalls eine sozialpädagogische Familienbegleitung anregen werde, einverstanden (KESB-act. 29 S. 5 - 8).
Am 20. Januar 2021 wandte sich die Kindesverfahrensvertreterin des Strafverfahrens an die KESB und ersuchte um Unterstützung für die Familie, nachdem die Mutter ausser sich geraten sei, als ihr von der Schule mitgeteilt worden sei, dass aufgrund der familiären Situation für B. keine Leistungsnoten mehr zur Unterschrift herausgegeben würden (KESB-act. 35). An einer telefonisch durchgeführten Anhörung vom 9. März 2021, an welcher die Mutter und B. teilnahmen, wurde diesen eröffnet, dass die KESB sich entschlossen habe, eine sozialpädagogische Familienbegleitung anzuordnen, womit sich Mutter und Tochter nicht einverstanden erklärten. Mit der Anordnung einer Beistandschaft erklärten sie sich nach wie vor einverstanden (KESB-act. 56). Es folgten weitere Abklärung für die Umsetzung und Finanzierung des geplanten Entscheides, welcher am 1. Juni 2021 erging (KESB-act. 68).
Am 18. Juni 2021 teilte B. am Telefon gegenüber der KESB mit, dass sie und ihre Eltern mit einer sozialpädagogischen Familienbegleitung nicht einverstanden seien und ob gegen den Entscheid vorgegangen werden könne. Gemäss entsprechender Aktennotiz wurde B. auf die Rechtsmittelbelehrung hingewiesen (KESB-act. 72). Am 30. Juni sandte sie einen entsprechenden Brief per
E-Mail an die KESB; der Eingang dort wurde mit 1. Juli 2021 angegeben (KESBact. 73 und 74/2). Dieser Brief wurde den Eltern von B. zur Kenntnis gebracht mit dem Vermerk, dass ohne Gegenbericht das Schreiben von B. als Beschwerde dem Bezirksgericht (recte: Bezirksrat) Bülach weitergeleitet werde (KESB-act. 75). Ein gleiches Schreiben (datiert vom 30. Juni 2021, Poststempel
3. Juli 2021) richtete B. auch direkt an den Bezirksrat Bülach, wo es am 5. Juli 2021 einging (BR-act. 2 - 4). Mit Präsidialverfügung vom 6. Juli 2021 nahm der Bezirksrat Vormerk von der Beschwerde und holte eine Stellungnahme der KESB sowie der Eltern als Verfahrensbeteiligte ein (BR-act. 5). Die Stellungnahme der KESB (BR-act. 8) wurde B. und ihren Eltern zugestellt (BR-act. 11), worauf sich sowohl B. wie auch die Mutter mit Schreiben je vom 20. August 2021 wiederum äusserten (BR-act. 12 und 13). Mit Urteil vom 1. September 2021 wies der Bezirksrat Bülach die Beschwerde ab; von einer Kostenerhebung sah er ab (BR-act. 16). Der Entscheid wurde B. und deren Mutter am 2. September 2021 zugestellt (BR-act. 16, Anhang).
7. Am 5. Oktober 2021 übermittelte die Bezirksratskanzlei Bülach dem Obergericht je ein undatiertes Schreiben von A. und B. (Beschwerdeführerinnen 1 und 2), welche am 4. Oktober 2021 (Poststempel 1. Oktober 2021) dort eingegangen waren. Ebenfalls übermittelt wurden die Akten des Bezirksrates
(BR-act. 1 - 8 und 10 - 16) sowie der KESB (= BR act. 9 [1 - 81]). Mutter und
Tochter wenden sich auch vor der Kammer gegen die angeordnete sozialpädagogische Familienbegleitung. Mit Beschluss vom 19. Oktober 2021 wurde für B. in der Person von X. eine Verfahrensvertretung für das oberge-
richtliche Verfahren bestellt und diese sowie Mutter und Tochter zur Anhörung auf den 16. November 2021 vorgeladen (act. 11/1 und 11/2). Mit Schreiben vom 20. Oktober 2021 wurde die mit Entscheid der KESB vom 1. Juni 2021 als Beiständin eingesetzte D. um einen Bericht gebeten (act. 14). Dieser ging am 12. November 2021 ein (act. 17 und 18/1). Am 16. November 2021 fand die Anhörung statt (Prot. S. 5 ff.). In ihrer schriftlichen Stellungnahme vom 24. November 2021 beantragte die Verfahrensvertreterin, es sei auf die Anordnung einer sozialpädagogischen Familienbegleitung zu verzichten und der entsprechende Auftrag an die Beiständin zu streichen. Der Beiständin sei neu der Auftrag zu erteilen, für
B. einen Jugendcoach zu organisieren, das Coaching zu überwachen und zu begleiten und dessen Finanzierung zu organisieren (act. 19). Mit Verfügung vom 26. November 2021 wurde der Beschwerdeführerin 1 Frist eingeräumt sich dazu zu äussern. Die Frist lief ungenutzt ab. Das Verfahren ist spruchreif.
Das Beschwerdeverfahren in Kindes- und Erwachsenenschutzsachen ist im EG KESR geregelt, welches als kantonales Verfahrensrecht die Vorgaben der Art. 450 ff. ZGB (i.V.m. Art. 314 und Art. 440 Abs. 3 ZGB) zu befolgen hat. Es sind die Vorschriften des EG KESR (insbes. die §§ 63, 65 ff. EG KESR) und ergänzend die Vorschriften des GOG anzuwenden; subsidiär sind die Bestimmungen der ZPO als kantonales Recht zu beachten (§ 40 EG KESR und Art. 450f ZGB).
Nach Eingang der Beschwerde prüft das Gericht von Amtes wegen das Vorliegen der Rechtsmittelvoraussetzungen. Für Beschwerden gegen Entscheide des Bezirksrates ist das Obergericht zuständig (Art. 450 Abs. 1 ZGB i.V.m. § 64 EG KESR). Die Beschwerde ist innert dreissig Tagen ab Zustellung des angefochte- nen Entscheides (Art. 450b Abs. 1 ZGB) schriftlich und begründet bei der Beschwerdeinstanz einzureichen (Art. 450 Abs. 2 ZGB). Dabei kann Gegenstand des zweitinstanzlichen Beschwerdeverfahrens einzig der Entscheid des Bezirksrates sein, nicht aber jener der KESB.
Zur Beschwerde legitimiert sind gemäss Art. 450 Abs. 2 Ziff. 1 ZGB die am Verfahren beteiligten Personen. Damit sind in erster Linie die betroffenen Perso- nen gemeint, das heisst die natürlichen Personen, die von der behördlichen Massnahme unmittelbar berührt sind. Dazu zählen im Kindesschutzverfahren neben dem Kind selbst in aller Regel auch die Eltern (Botschaft zum Kindes- und Erwachsenenschutzrecht, in: BBl 2006, 7001ff, S. 7084; BGer 5A_979/2013 vom
28. März 2014, E. 6). Sowohl Mutter und Tochter sind vom angefochtenen Entscheid unmittelbar betroffen und daher zur Beschwerdeerhebung legitimiert. Der Mutter schadet deshalb nicht, dass sie im erstinstanzlichen Beschwerdeverfahren nicht eigenständig Beschwerde erhoben hat, sondern sich erst in einer Stellung- nahme der Beschwerde der Tochter angeschlossen hat.
B. ist mit heute gut 13 ½ Jahren minderjährig, weshalb ihre Rechte grundsätzlich durch ihre Eltern als gesetzliche Vertreter wahrgenommen werden (Art. 304 ZGB). Auch soweit sie in der Sache als urteilsfähig erscheint, bedarf es für die Rechtswirksamkeit ihrer Handlungen der Zustimmung ihrer gesetzlichen Vertreter, es sei denn es handle sich um unentgeltliche Vorteile, Angelegenheiten des täglichen Lebens höchst persönliche Rechte (BSK ZGB I, 6. A.,: FANK- HAUSER zu Art. 19, N 7 f. und SCHWENZER/COTTIER zu Art. 304/305 N 3 f.). Ob die Urteilsfähigkeit gegeben ist, ist in jedem Einzelfall zu prüfen. Das Bundesgericht hat z.B. im Zusammenhang mit der Kindesanhörung Kindern ab 11-13 Jahren durchaus Urteilsfähigkeit attestiert (BGE 131 III 553 ff.), was auch mit Bezug auf das Antragsrecht des Kindes im Sinne von Art. 299 Abs. 3 ZPO vertreten wird (vgl. dazu SCHWEIGHAUSER in: FamKomm Scheidung, Band II, 2. A., N 22). Gleiches muss auch bei der vorliegend in Frage stehenden Anordnung einer sozialpädagogischen Familienbegleitung gelten. Auch die Kindesverfahrensvertreterin hält B. für die zu entscheidende Frage für urteilsfähig (act. 19 S. 2).
Vorliegend wandten sich B. wie auch ihre Mutter mit ihren Schreiben in- nert der Rechtsmittelfrist von 30 Tagen mit demselben Anliegen an den Bezirksrat, welche dieser der Kammer weiterleitete. Die Frist hat als eingehalten zu gelten, weil nach der bundesgerichtlichen Praxis ein bei der Vorinstanz anstatt bei der Rechtsmittelinstanz erhobenes Rechtsmittel den Rechtsmittelklägerinnen
nicht schadet (BGE 140 III 636 E. 2 - 4). Der Umstand, dass auch die Mutter dasselbe Anliegen vertritt wie B. , kann sodann als Genehmigung deren Han- delns betrachtet werden.
Der Vollständigkeit halber ist in diesem Zusammenhang bezüglich der erstinstanzlichen Beschwerde festzuhalten, dass sich den Akten nicht entnehmen lässt, wann der Mutter wie auch der Tochter der Entscheid der KESB vom 1. Juni 2021 zugegangen ist. Das bei der KESB eingereichte Schreiben von B. (KESBact. 74/2), welches die KESB als Beschwerde entgegengenommen hatte, ging dort indes jedenfalls innert Rechtsmittelfrist ein und wurde den Eltern von B. weitergeleitet mit dem Bemerken, dass ohne Gegenbericht von einer Beschwerde (KESB-act. 75), will heissen von einer Genehmigung derselben durch die Eltern ausgegangen würde. Auch insoweit kann mithin von einer gültigen Beschwerdeerhebung ausgegangen werden.
Aus der Begründungpflicht ergibt sich auch, dass die Beschwerde einen Antrag enthalten muss, aus dem sich ergibt, was mit der Beschwerde erreicht wer- den will. An Begründung und Antrag dürfen namentlich bei Laienbeschwerden keine überhöhten Anforderungen gestellt werden. Es muss genügen, wenn erkennbar wird, warum und inwiefern jemand mit der getroffenen Anordnung ganz teilweise nicht einverstanden ist (vgl. BGer 5A_922/2015 vom 4. Februar 2016, E. 5.1 und 5.2).
Weder die Beschwerde der Mutter noch diejenige von B. enthält einen konkreten Antrag. Es wird indes deutlich und klar geäussert, dass sie sich einzig gegen die Anordnung der sozialpädagogischen Familienbegleitung wenden und hiefür auch verschiedene Begründungen angeben. Damit genügen die Beschwerden den formellen Anforderungen.
Im Übrigen geben die Rechtsmittelvoraussetzungen zu keinen weiteren Bemerkungen Anlass und es ist nach dem Gesagten auf die Beschwerde einzutreten.
Mit der Beschwerde kann (neben Rechtsverweigerung und Rechtsverzögerung) eine Rechtsverletzung, die unrichtige unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts die Unangemessenheit des Entscheides gerügt werden (Art. 450a Abs. 1 ZGB). Der Rechtsmittelbehörde kommt sowohl in rechtlicher wie auch in tatsächlicher Hinsicht umfassende Überprüfungsbefugnis zu; dazu gehört auch die volle Ermessensüberprüfung (STECK, FamKomm Erwachsenenschutz, Art. 450a ZGB N 3 und 10). Für das Verfahren in Erwachse- nenschutzbelangen gilt die Untersuchungs- und Offizialmaxime (Art. 446 ZGB; BGE 142 III 732. E. 3.4.1 mit weiteren Hinweisen). Von der Beschwerde führen- den Partei ist indes darzulegen und aufzuzeigen, inwiefern der angefochtene Entscheid als fehlerhaft erachtet wird.
Der Bezirksrat kam im angefochtenen Entscheid zum Schluss, es bestehe nach wie vor eine Kindswohlgefährdung, welche Kindesschutzmassnahmen erforderlich mache. Eine Beistandschaft reiche in dieser Situation für sich allein nicht aus. Vielmehr bedürfe es einer Familienbegleitung vor Ort, welche die Eltern direkt im Familienalltag bei der Erziehung unterstützen bzw. ihre Erziehungskompetenzen stärken könne. Dabei stützte sich die Vorinstanz einerseits auf die auf den 23. November 2020 zurückgehende Gefährdungsmeldung sowie die seitens der Schule ergangenen Meldungen, wonach bereits in der dritten und vierten Primarklasse gewaltanwendende Erziehungsmethoden der Mutter thematisiert wor- den waren. Die Mutter habe andererseits ihre Überforderungssituation anlässlich der Anhörung vom 12. Januar 2021 eingeräumt und ebenso, dass sie die Tochter geschlagen habe und hohe Anforderungen an sie stelle. Auch habe sie auf ihre andere Kultur hingewiesen, in welcher strengere Erziehungsmethoden zur Anwendung gelangten. Die späteren Beteuerungen sowohl der Mutter wie auch der Tochter, welche sich ganz hinter die Mutter stelle, die Situation habe sich nun gebessert und B. werde nicht mehr geschlagen und es sei jetzt alles gut, seien nicht glaubhaft, zumal die Mutter noch in ihrer Stellungnahme vom 23. August 2021 selbst geschildert habe, dass sie seit ihrer Kindheit strenge Erziehungsmassnahmen erlebt habe. Solche langjährigen Verhaltensmuster liessen sich nicht von einem auf den anderen Tag ändern (act. 5).
Die Beschwerdeführerin 1 macht in ihrer Beschwerde wie schon vor Vorinstanz geltend, dass sie wie auch ihr Ehemann und die Tochter keine fremden Personen in ihren Privaträumen und keine Begleitung im Alltag wünsche. Die Tochter habe keine Angst vor ihr, vielmehr wolle sie , die Beschwerdeführerin 1, alles tun, dass sich die Tochter wohl fühle und sie arbeite sehr an sich. Die letzten neun Monate hätten mehr als genug gezeigt, dass sie es auch ohne fremde Hilfe schafften. Seit letztem Jahr, als sich die Situation zugespitzt habe, sei die Situation heute verändert (act. 3). Anlässlich der Anhörung vom 16. November 2021 bestätigte die Beschwerdeführerin 1, dass es zuhause gut gehe mit B. . Sie schilderte die durch die Pflegebedürftigkeit ihres Ehemannes bedingten Schwierigkeiten, auch finanzieller Natur, mit B. gebe es aber keine Probleme. Sie lerne gut und auch ihr Verhalten und das Feedback aus der Schule seien gut. Sie bestätigte, dass sie keine sozialpädagogische Familienbegleitung wolle, weil sie auch wegen der gesundheitlichen Situation ihres Mannes keine fremden Perso- nen zu Hause haben wolle. Sie verfüge über verschiedene Personen, die sie bei Bedarf um Unterstützung bitten könne, langsam könne sie sich selber Hilfe holen und auch B. könne sie unterstützen. Sie stehe bei Bedarf auch in Kontakt mit der Beiständin. Als Mutter brauche sie keine Hilfe (Prot. S. 12 - 18).
Auch B. , die Beschwerdeführerin 2, hält in ihrer Beschwerde fest, dass sie eine Familienbegleitung im jetzigen Zeitpunkt unnötig finde. Das sei nicht ideal für die Privatsphäre der Familie und sie wolle nicht, dass der Friede durch irgendeine fremde Person gestört werde. Ihre Mutter habe sich sehr geändert. Es sei ihr, B. s, Wunsch, dass die Sache mal stehen gelassen werde (act. 4). In der Anhörung erklärte B. , es gehe ihr gut und es sei zuhause viel besser. Die Probleme, die sie früher gehabt habe, gebe es nicht mehr so. Die Mutter schimpfe schon noch, aber nicht mehr so heftig wie früher. Wenn sie eine schlechte Note nach Hause bringe, sei es nicht mehr wie früher. Das helfe ihr und ihre Mutter verstehe, dass sie nicht immer zu Hause sitzen und lernen könne. Sie sei nun in der 1. Sekundarklasse A, wo es ihr gut gefalle. Im Elterngespräch hätten sie gesagt, dass sie zufrieden seien mit ihr und sie die Gymiprüfung schreiben könne. In der Klasse verstehe sie sich mit allen gut und sie gehe zweimal die Woche mit zwei, drei anderen aus der Klasse ins Fussballtraining. Mit der Beiständin
habe sie einen guten Kontakt und sie finde die Idee eines Jugendcoaches, welche diese aufgebracht habe, gut (Prot. S. 5 - 12 und S. 18/19).
Die Kindesverfahrensvertreterin hielt in ihrer Stellungnahme vom 24. November 2021 fest, dass aus ihrer Sicht nach wie vor zahlreiche Risikofaktoren bestünden, welche die Entwicklung von B. negativ beeinflussten gar beeinträchtigten. Sie erwähnt dabei den Leidensdruck durch Mobbing in der Primarschule, die problematischen Erziehungsmethoden der Mutter und deren Leistungsanspruch gegenüber der Tochter, den gesundheitlichen Zustand beider Elternteile, die Migration und Integration in der Schweiz sowie die finanziellen Schwierigkeiten und die Konflikte zwischen den Eltern. B. habe aber auch viele Ressourcen, sei aufgestellt und voller Tatendrang. Dies zeuge von einer charakterlichen Stärke und grosser Resilienz. Auch deckten sich die Resultate aus den Testverfahren mit dem was B. zum Ausdruck bringe. Die Gefähr- dungsmomente seien vor dem Hintergrund von B. s Stärke und Resilienz zu beurteilen. Den Willen von B. beurteilt die Kindesvertreterin als autonom gebildet, aber der innerfamiliären Situation angepasst. Sie wolle die familiäre Atmosphäre keinesfalls verschlechtern. Dabei gehe sie davon aus, dass dies bei der Anordnung einer Familienbegleitung geschehe. Zumal sie seit ihrem Oberstufeneintritt auch nicht mehr zur Schulsozialarbeiterin gehe, was ihr in der Mittelstufe eigentlich gut getan habe, habe sie indes die Anordnung eines Jugendcoachings als positiv aufgenommen. Als Massnahme erachtet die Kindesvertreterin die Anordnung eines solchen neben dem Weiterbestand der Beistandschaft als sinnvoll und notwendig (act. 19). Auch die Beiständin hält die Anordnung eines Jugendcoachings angesichts des Widerstandes der Familie gegen die Familienbegleitung für dringend nötig (act. 18/1).
Wie eingangs erwähnt blieb die von der KESB mit Entscheid vom 1. Juni 2021 angeordnete Beistandschaft nach Art. 308 Abs. 1 und 2 ZGB unangefochten. Angefochten ist einzig die Anordnung der sozialpädagogischen Familienbegleitung sowie die damit verbundene, der Beiständin übertragene Aufgabe, diese zu organisieren, zu überwachen und zu begleiten (Dispositiv Ziff. 1 und Ziff. 2 d, BR-act. 1 S. 6). Dass die Voraussetzungen für die Anordnung von Kindesschutzmassnahmen als solche gegeben sind, steht nicht mehr zur Diskussion und ergibt sich ohne weiteres aus dem Gesagten und den Akten. Die Beschwerdeführerin- nen wehren sich nicht gegen die Beistandschaft als solche und stehen mit der Beiständin in gutem Kontakt.
Die Beschwerdeführerinnen wehren sich indes konstant und übereinstimmend aus verschiedenen Gründen gegen die Anordnung einer sozialpädagogischen Familienbegleitung. Sowohl die Kindesverfahrensvertreterin wie auch die Beiständin erachten eine solche unter diesen Umständen als wenig erfolgversprechend. Statt dessen empfehlen sie als Ergänzung zur Beistandschaft die Anordnung eines Jugendcoachings, welcher B. selbst positiv gegenübersteht und gegen welche auch die Mutter nicht opponiert. Die Kindesvertreterin hält fest, dass ein Jugendcoach mit handlungs- und verhaltensbezogenen Interventionen Jugendliche befähigen könne, die Anforderungen des Alltags erfolgreich zu meistern und ihre Entwicklungsaufgaben zu bewältigen. Da vorliegend B. s Eltern nicht genügend Ressourcen hätten, um B. zu unterstützen und zu för- dern, sei es sinnvoll eine externe, neutrale Vertrauens- und Unterstützungsperson für B. zu beauftragen, um sie im Umgang mit ihrer Alltags- und Lebensrealität zu begleiten und zu unterstützen, sie beim Übergang von der Schule ins Berufsleben zu fördern und sie dazu zu befähigen, sowie mit ihr einen höheren Selbstwert und die Sicherheit in sozialen Situationen zu erarbeiten und ihre Identitätsentwicklung zu begünstigen (act. 19 S. 6). Auch die Beiständin weist darauf hin, dass Fachpersonen wie Jugendcoachs hauptsächlich mit den Jugendlichen zusammen arbeiteten und mit ihnen etwas unternähmen. Gleichzeitig arbeiteten sie auch mit den Eltern zusammen. Sie könnten die Befindlichkeit von B. und die Situation der Familie beobachten, B. unterstützen und bei entwicklungshemmenden anderen gefährlichen Situationen die Beiständin involvieren (act. 18/1 S. 5). B. hat es gegenüber der Kindesvertreterin wie auch anlässlich der Anhörung (Prot. S. 19) ausdrücklich begrüsst, eine (Fach-)Person zur Seite zu haben, mit welcher sie bei Bedarf reden könne, und die Beschwerdeführerin 1 stellte sich dem nicht entgegen. Es erscheint in dieser Situation angezeigt und angesichts der in Aussicht stehenden guten Kooperation der Beteiligten als erfolgversprechend, anstelle der von den Beteiligten abgelehnten sozialpädagogischen Familienbegleitung ein Jugendcoaching anzuordnen und die Beiständin mit der Aufgabe zu betrauen, dieses mit einer geeigneten Fachkraft zu installieren, das Jugendcoaching zu begleiten und für dessen Finanzierung besorgt zu sein.
Die Beschwerde ist im Sinne des Gesagten gutzuheissen. Dispositiv Ziff. I des Urteils des Bezirksrates Bülach vom 1. September 2021 ist aufzuheben. Ebenfalls aufzuheben sind Dispositiv Ziff. 1 und Ziff. 2 d) des Beschlusses der KESB vom 1. Juni 2021 und im Sinne der Erwägungen zu ersetzen.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens fallen die Kosten für das obergerichtliche Beschwerdeverfahren ausser Ansatz. Die Kosten für die Kindesverfahrensvertretung sind auf die Gerichtskasse zu nehmen. Die Entschädigung für die Kindesvertretung wird in einem separaten Beschluss festgesetzt. Weitere Entschädigungen sind keine zuzusprechen.
Es wird erkannt:
Die Beschwerde wird im Sinne der Erwägungen gutgeheissen.
Dispositiv Ziff. I des Urteils des Bezirksrates Bülach vom 1. September 2021 sowie Dispositiv Ziff. 1 und Ziff. 2 d) des Beschlusses der KESB vom 1. Juni 2021 werden aufgehoben. Die aufgehobenen Dispositivziffern des KESB- Beschlusses werden durch folgende Fassung ersetzt:
Für B. wird gestützt auf Art. 307 Abs. 1 ZGB ein Jugendcoaching angeordnet.
Es wird eine Beistandschaft nach Art. 308 Abs. 1 und 2 ZGB mit folgen- den Aufgaben errichtet:
( )
d) das mit Ziff. 1 angeordnete Jugendcoaching mit einer geeigneten Fachkraft zu installieren, das Jugendcoaching zu begleiten und für dessen Finanzierung besorgt zu sein.
Die Entscheidgebühr fällt ausser Ansatz.
Die Kosten der Kindesverfahrensvertretung werden auf die Gerichtskasse genommen.
Es werden keine Entschädigungen zugesprochen.
Schriftliche Mitteilung an die Beschwerdeführerin 1 sowie die Kindesvertreterin mit Auflage, der Beschwerdeführerin 2 den Entscheid kindgerecht mitzuteilen, die Beiständin D. , [Adresse], die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde Bülach Nord sowie - unter Rücksendung der eingereichten Akten an den Bezirksrat Bülach, je gegen Empfangsschein.
Eine Beschwerde gegen diesen Entscheid an das Bundesgericht ist innert 30 Tagen von der Zustellung an beim Schweizerischen Bundesge-
richt, 1000 Lausanne 14, einzureichen. Zulässigkeit und Form einer solchen Beschwerde richten sich nach Art. 72 ff. (Beschwerde in Zivilsachen) Art. 113 ff. (subsidiäre Verfassungsbeschwerde) in Verbindung mit Art. 42 des Bundesgesetzes über das Bundesgericht (BGG).
Dies ist ein Endentscheid im Sinne von Art. 90 BGG.
Es handelt sich um eine nicht vermögensrechtliche Angelegenheit.
Die Beschwerde an das Bundesgericht hat keine aufschiebende Wirkung.
Obergericht des Kantons Zürich
II. Zivilkammer Der Gerichtsschreiber:
lic. iur. M. Häfeli versandt am:
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