Zusammenfassung des Urteils PQ130038: Obergericht des Kantons Zürich
Ein Kinder- und Jugendhilfezentrum und das Amt für Jugend und Berufsberatung des Kantons Zürich haben keine eigene Rechtspersönlichkeit und können daher nicht als Parteien auftreten. Eine Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde ordnete eine Fremdplatzierung an und entschied, dass die Kosten vom Kinder- und Jugendhilfezentrum bzw. dem übergeordneten Amt zu tragen seien. Der Bezirksrat trat auf eine Beschwerde nicht ein, woraufhin der Kanton Zürich Beschwerde ans Obergericht einreichte. Das Obergericht entschied, dass die genannten Ämter nicht prozessfähig seien, jedoch eine Korrektur der Parteibezeichnung möglich sei. Die Beschwerde wurde als begründet erachtet, die Entscheidung des Bezirksrates aufgehoben und die Sache zur erneuten Prüfung an die Vorinstanz zurückverwiesen.
Kanton: | ZH |
Fallnummer: | PQ130038 |
Instanz: | Obergericht des Kantons Zürich |
Abteilung: | II. Zivilkammer |
Datum: | 21.01.2014 |
Rechtskraft: | - |
Leitsatz/Stichwort: | Beschwerde, Partei- und Prozessfähigkeit |
Schlagwörter : | Jugend; Recht; Kanton; Beschwerde; Entscheid; Erwachsenenschutz; Person; Gemeinwesen; Berufsberatung; Vorinstanz; Massnahme; Kantons; Rechtspersönlichkeit; Kindes; Bezirksrat; Bundesrecht; Interesse; Kinder; Erwachsenenschutzbehörde; Entscheide; Verbindung; Bundesrechts; Personen; Beschluss; Verfahren; Gemeinwesens; Amtes |
Rechtsnorm: | Art. 132 ZPO ;Art. 327c ZGB ;Art. 378 ZGB ;Art. 404 ZGB ;Art. 419 ZGB ;Art. 420 ZGB ;Art. 450 ZGB ;Art. 450f ZGB ;Art. 52 ZPO ;Art. 53 ZGB ;Art. 59 ZPO ;Art. 60 ZPO ;Art. 66 ZPO ; |
Referenz BGE: | 135 V 134; |
Kommentar: | - |
Eine Kindesund Erwachsenenschutzbehörde verfügte eine Fremdplatzierung und entschied in diesem Zusammenhang, die Kosten der Massnahme habe das Kinderund Jugendhilfezentrum (kjz) A. respektive das dem diesem übergeordnete Amt für Jugendund Berufsberatung des Kantons Zürich zu tragen. Der Bezirksrat trat auf eine dagegen erhobene Beschwerde nicht ein. Dagegen erhob der Kanton Zürich, handelnd durch das Amt für Jugend und Berufsberatung des Kantons Zürich, Jugendhilferegion B., Beschwerde ans Obergericht
Erwägungen des Obergerichts:
Der Bezirksrat trat auf die Beschwerde vom 16. Oktober 2013 mit der Begründung nicht ein, dass das Amt für Jugend und Berufsberatung Kanton Zürich nicht parteifähig sei.
Das Gericht tritt auf eine Klage ein Gesuch ein, sofern die Prozessvoraussetzungen erfüllt sind (Art. 59 Abs. 1 ZPO). Diese prüft es von Amtes wegen (Art. 60 ZPO). Das Selbe gilt bezüglich eines Rechtsmittels (vgl. Müller, DIKE-Komm-ZPO, online-Ausgabe Stand 20. Oktober 2013, Art. 59 N 37 und Blickenstorfer, DIKE-Komm-ZPO, online-Ausgabe Stand 20. Oktober 2013, vor Art. 308-334 N 70). Diese Grundsätze sind auch im Zusammenhang mit Beschwerden gegen Entscheide der Kindesund Erwachsenenschutzbehörde zu beachten (vgl. Art. 450f ZGB, teilweise in Verbindung mit Art. 314 Abs. 1 und Art. 327c Abs. 2 ZGB).
Die Vorinstanz hat insoweit richtig erkannt, dass zu den Prozessvoraussetzungen unter anderem auch die Parteiund Prozessfähigkeit gehört (Art. 59 Abs. 2 lit. c ZPO; act. 4/2 S. 2). Parteifähig ist, wer rechtsfähig ist von Bundesrechts wegen als Partei auftreten kann (Art. 66 ZPO). Rechtsfähig sind natürliche juristische Personen (vgl. Art. 11 und Art. 53 ZGB).
Beim Amt für Jugend und Berufsberatung des Kantons Zürich handelt es sich weder um eine natürliche noch um eine juristische Person (des öffentlichen Rechts). Ebenso wenig verfügt das kjz A. über eine eigene Rechtspersönlichkeit. Letzteres gehört der Jugendhilferegion B. an, einer dezentralen Verwaltungseinheit ohne eigene Rechtspersönlichkeit (vgl. § 8 Abs. 1 und Abs. 2 lit. c Kinderund Jugendhilfegesetz vom 14. März 2011, KJHG: LS 852.1). Diese ist dem Amt für Jugend und Berufsberatung und damit der Bildungsdirektion des Kantons Zürich unterstellt (vgl. § 4, § 8 f. und § 14 f. KJHG), welcher ebenfalls keine eigene Rechtspersönlichkeit zukommt (vgl. den Beschluss des OGer vom 16. Oktober 2012, LB120084, Erw. 2.1, publiziert in ZR 111 Nr. 103). Der Vorinstanz ist damit insoweit beizupflichten, als die erwähnten Amtsstellen nicht rechtsfähig sind. Eine besondere Bestimmung , welche dieselben trotz mangelnder Rechtsfähigkeit für parteifähig erklären würde, wurde weder vom Beschwerdeführer genannt noch ist eine solche ersichtlich.
Entgegen der von der Vorinstanz vertretenen Auffassung hat dies jedoch nicht zwangsläufig ein Nichteintreten auf die Beschwerde vom 16. Oktober 2013 zur Folge (act. 4/2 S. 2). Vielmehr hätte es sich im vorliegenden Fall aufgedrängt, von einer bloss unrichtigen Parteibezeichnung auszugehen. Der im Verfahren zu beachtende Grundsatz von Treu und Glauben verlangt nämlich auch, schriftliche Erklärungen der Parteien nicht streng nach dem Wortlaut, sondern nach ihrem Sinn und Zweck zu verstehen (Art. 52 ZPO i.V.m. Art. 450f ZGB). Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass bereits die KESB in der angefochtenen Kostenauflage lediglich das kjz A. und das Amt für Jugendund Berufsberatung des Kantons
Zürich erwähnt hat, obwohl die Beiden zum Kanton Zürich gehören, dem alleine Rechtspersönlichkeit zukommt. Falsche Angaben über eine Partei können berichtigt werden, wenn keine Zweifel über deren Identität bestehen (vgl. BSK-Bornatico Art. 132 N 16). Dies trifft hier zu. Die Vorinstanz wäre bei der vorliegenden Konstellation zumindest gehalten gewesen, Gelegenheit zur Berichtigung der Parteibezeichnung einzuräumen (Art. 132 ZPO
i.V.m. Art. 450f ZGB). Wie der Beschwerdeführer zu Recht geltend macht, hätte darüber hinaus die Möglichkeit bestanden, die Parteibezeichnung von Amtes wegen zu berichtigen. Darauf hat auch die Kammer im obergerichtlichen Beschluss LB120084 vom 16. Oktober 2012 hingewiesen (vgl. ZR 111 Nr. 103), welchen die Vorinstanz in ihrer Begründung angeführt hat. Diese Berichtigung ist im vorliegenden Verfahren nunmehr nachzuholen.
Es bleibt zu prüfen, ob die weiteren Voraussetzungen für das Eintreten auf die Beschwerde vom 16. Oktober 2013 gegeben sind. ( )
Gegen Entscheide der Kindesund Erwachsenenschutzbehörde kann Beschwerde beim zuständigen Gericht erhoben werden (Art. 450 Abs. 1 ZGB in Verbindung mit Art. 440 Abs. 3, Art. 314 Abs. 1 und Art. 327c Abs. 2 ZGB). Anfechtbar sind alle Endentscheide der KESB, die von Bundesrechts wegen in deren Zuständigkeit fallen (BSK, Erwachsenenschutz-Steck, Art. 450 ZGB, N 17; DIKE, Erwachsenenschutz-Kommentar-Schmid, Art. 450 ZGB, N 6).
Der dem vorliegenden Beschwerdeverfahren zugrunde liegende Entscheid der KESB vom 17. September 2013 hat neben dem Obhutsentzug die Errichtung einer Beistandschaft mit der genauen Umschreibung des Auftrages der Beiständin zum Inhalt. Darüber hinaus regelt er die Kostentragung für die Mandatsführung. Der Entscheid erfüllt die inhaltlichen Erfordernisse gemäss § 58 EG KESR. Die der KESB zugewiesene Kompetenz sowohl für die Errichtung der Beistandschaft sowie auch für die Regelung der dadurch allenfalls entstehenden Vollzugskosten basiert auf dem Bundesrecht (Art. 400 ff. ZGB). Damit liegt ein mit der Beschwerde gemäss Art. 450 ZGB anfechtbarer Entscheid vor. Erste gerichtliche Beschwerdeinstanz ist der vom Beschwerdeführer angerufene Bezirksrat (§ 63 Abs. 1 lit. b EG KESR), für Beschwerden gegen Entscheide des Bezirksrates ist die Kammer sachlich zuständig (§ 64 EG KESR).
Zur Beschwerde befugt sind die am Verfahren beteiligten Personen, die der betroffenen Person nahestehenden Personen und Personen, die ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung Änderung des angefochtenen Entscheides haben (Art. 450 Abs. 2 Ziff. 1 - 3 ZGB).
Für die Umschreibung der Beschwerdebefugnis knüpft das Gesetz materiell an die Regelung von aArt. 420 ZGB und alsdann an Art. 419 ZGB an (Botschaft Erwachsenenschutz S. 7084). Die Aufzählung in Art. 450 Abs. 2 Ziff. 1 - 3 ZGB ist abschliessend. Die Beschwerdebefugnis einer Drittperson setzt ein rechtlich geschütztes Interesse voraus; beschwerdelegitimiert sind Dritte, welche rechtlich geschützte, aktuelle und persönliche (eigene) Interessen haben, die mit der Massnahme des Erwachsenenschutzes direkt zusammenhängen (Fassbind, Erwachsenenschutz, Zürich 2012, S. 136 und S. 139; Botschaft a.a.O.).
Die Lehre vertritt die Ansicht, dass anders als im früheren Recht (vgl. aArt. 373 und aArt. 378 ZGB sowie a§ 73 Abs. 2 EG ZGB) abgesehen von Zuständigkeitskonflikten eine Beschwerdelegitimation des Gemeinwesens von Bundesrechts wegen grundsätzlich nicht mehr möglich sei, da sich eine solche weder aus Art. 450 Abs. 2 Ziff. 1 noch aus Art. 450 Abs. 2 Ziff. 3 ZGB herleiten lasse (Steck, a.a.O., Art. 450 N 31 mit Hinweisen; Fassbind, a.a.O., S. 139 f.). Gemäss anderer,
vereinzelter Meinung soll das Gemeinwesen, das Kosten des Vollzugs von Massnahmen zu tragen hat, zur Beschwerde legitimiert sein (Schmid, a.a.O., Art. 450a N 26). Die Botschaft äussert sich dazu nicht explizit.
Ein genereller Ausschluss der Beschwerdebefugnis des Gemeinwesens lässt sich weder dem Gesetzeswortlaut noch den Materialien entnehmen und erscheint auch nicht sachgerecht. Zuzustimmen ist der Auffassung, dass die Beschwerdelegitimation des Gemeinwesens insoweit auszuschliessen ist, als dadurch die der KESB zustehende Kompetenz und Pflicht zur Anordnung von erforderlichen, geeigneten und verhältnismässigen Massnahmen tangiert wird. Es darf nicht sein, dass eine solche Anordnung gegebenenfalls einzig zum Schutz von fiskalischen Interessen des Gemeinwesens unterbleibt. In diesem Sinn hat das Bundesgericht denn auch in BGE 135 V 134 ff. E. 4 entschieden, dass Sozialhilfebehörden an ordnungsgemäss ergangene rechtskräftige Massnahmen der KESB gebunden seien (Steck, a.a.O., Art. 450 N 40; Fassbind, a.a.O., S. 139/ 140). Dies steht vorliegend aber nicht in Frage. Die Kindesschutzmassnahme als solche und auch die Ernennung der Beiständin sowie die ihr zugewiesenen Aufgaben blieben unangefochten und sind nicht Gegenstand des Verfahrens.
Der Beschwerdeführer setzt sich einzig gegen die Auflage der Vollzugskosten zur Wehr, und er bestreitet die Zulässigkeit der Ersatzvornahme und seine Kostentragungspflicht. Durch den Kostenauflageentscheid ist der Beschwerdeführer als belastetes Gemeinwesen formell und materiell beschwert, und auch in den eigenen Rechten tangiert: Eine Beiständin ein Beistand hat von Bundesrechts wegen Anspruch auf eine angemessene Entschädigung und auf Ersatz der notwendigen Spesen aus dem Vermögen der betroffenen Person (vgl. Art. 404 Abs. 1 ZGB). Die Kindesund Erwachsenenschutzbehörde legt die Höhe der Entschädigung fest (vgl. Art. 404 Abs. 2, teilweise in Verbindung mit Art. 314 Abs. 1 und Art. 327c Abs. 2 ZGB), während die Kantone Ausführungsbestimmungen erlassen und die Entschädigung sowie den Spesenersatz regeln, wenn diese nicht aus dem Vermögen der betroffenen Person bezahlt werden können (vgl. Art. 404 Abs. 3 ZGB, teilweise in Verbindung mit Art. 314 Abs. 1 und Art. 327c Abs. 2 ZGB). Mit anderen Worten kommt eine Kostenauflage an die Betroffenen und an die vom kantonalen Recht bestimmten Kostenträger (Wohnsitzgemeinden bzw. Kanton; vgl. § 22 und § 25 EG KESR sowie §§ 35 ff. des Kinderund Jugendhilfegesetztes, KJHG, LS 852.1) in Betracht. Gleich wie der allfällig belastete Betroffene verfügt der durch den angefochtenen Entscheid (vorliegend allein) finanziell belastete Beschwerdeführer über ein rechtlich geschütztes eigenes Interesse an der Überprüfung der Kostenregelung. Er ist somit zur Erhebung der Beschwerde an die Vorinstanz legitimiert.
Aus den Erwägungen ergibt sich, dass sämtliche Eintretensvoraussetzungen erfüllt sind. Die Beschwerde vom 15. November 2013 erweist sich damit als begründet. Die angefochtene Dispositivziffer I des Beschlusses des Bezirksrates vom 23. Oktober 2013 ist aufzuheben und die Sache ist zur materiellen Entscheidung an die Vorinstanz zurück zu weisen (Art. 318 Abs. 1 lit. c bzw. Art. 327 Abs. 3 lit. a ZPO).
Obergericht, II. Zivilkammer Beschluss vom 21. Januar 2014 Geschäfts-Nr.: PQ130038-O/U
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