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Urteil Obergericht des Kantons Zürich (ZH)

Kopfdaten
Kanton:ZH
Fallnummer:NQ120002
Instanz:Obergericht des Kantons Zürich
Abteilung:II. Zivilkammer
Obergericht des Kantons Zürich Entscheid NQ120002 vom 22.05.2012 (ZH)
Datum:22.05.2012
Rechtskraft:-
Leitsatz/Stichwort:Entmündigung nach Art. 369 Abs. 1 ZGB
Schlagwörter : Berufung; Bezirk; Bezirksrat; Beistand; Sozialbehörde; Vormundschaft; Bülach; Entmündigung; Beistandschaft; Massnahme; Bezirksrates; Familie; Schwägerin; Schutz; Beschluss; Entscheid; Vormundschaftsbehörde; Recht; Betreuung; Akten; Bundesrecht; Ausreichen; Berufungsklägerin; Errichtung; Fürsorge; Vormundschaftliche; Ebenda; Unterstützung; Gutachten; Betreuungs
Rechtsnorm: Art. 116 ZPO ; Art. 18 ZGB ; Art. 360 ZGB ; Art. 369 ZGB ; Art. 373 ZGB ; Art. 374 ZGB ; Art. 380 ZGB ; Art. 392 ZGB ; Art. 393 ZGB ; Art. 395 ZGB ; Art. 90 BGG ;
Referenz BGE:-
Kommentar zugewiesen:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
Weitere Kommentare:
Entscheid

Obergericht des Kantons Zürich

II. Zivilkammer

Geschäfts-Nr.: NQ120002-O/U

Mitwirkend: Oberrichter lic. iur. P. Diggelmann, Vorsitzender, Oberrichter lic. iur.

P. Hodel und Oberrichterin lic. iur. M. Stammbach sowie Gerichtsschreiber lic. iur. M. Isler.

Urteil vom 22. Mai 2012

in Sachen

Sozialbehörde A. , Vormundschaftsbehörde,

Berufungsklägerin

gegen

B. ,

Berufungsbeklagte

betreffend Entmündigung nach Art. 369 Abs. 1 ZGB

Berufung gegen einen Beschluss des Bezirksrates Bülach vom 16. Dezember 2011 Nr. 442; VO.2011.338 (Sozialbehörde A. )

Erwägungen:

I.
    1. B. (die Berufungsbeklagte) konnte im März dieses Jahres ihren

      60. Geburtstag feiern. Sie ist seit ihrer Geburt behindert und aufgrund ihrer kör- perlichen und geistigen Verfassung ausserstande, sich um ihre rechtlichen Angelegenheiten zu kümmern und ihre finanziellen und administrativen Belange zu erledigen. Frau B. lebt in der Familie ihres Bruders, zusammen mit dessen Ehefrau und deren beiden gemeinsamen Söhnen. Ihre Schwägerin, Frau

      C. , kümmert sich in der täglichen Pflege um B. . Frau B. bezieht eine Hilflosenentschädigung in der Höhe von monatlich rund Fr. 1'160.--. Die Zusatzleistungen betragen monatlich rund Fr. 2'100.--. Beide Unterstützungsleistungen werden auf das Konto der Schwägerin einbezahlt. Einen Anspruch auf eine IV-Rente hat Frau B. nicht, weil sie nie Beiträge in die Invalidenversicherung einbezahlte und weil der Versicherungsfall (die Behinderung) nicht in der Schweiz eintrat.

      Gemäss Aktennotiz der Sozialabteilung der Gemeinde A. hat mit Telefonanruf vom 24. Mai 2011 D. _, Neffe von B. , bei der Sozialbehörde

      1. um Errichtung einer Vormundschaft für B. ersucht (act. 6/1=act. 3/7). Mit Schreiben vom 20. Juni 2011 gelangte die Sozialbehörde A. an den Hausarzt der Berufungsbeklagten, Dr. med. E. , und bat ihn um Beantwortung verschiedener Fragen zum Gesundheitszustand von Frau B. , deren Handlungsradius und Betreuungssituation (act. 6/8=act. 3/5). Ein Kurzbericht von Dr. med. E. vom 9. September 2011 ging am 15. September 2011 bei der Sozialbehörde A. ein (act. 6/9=act. 3/3). Am 26. September 2011 hörte eine Delegation der Sozialbehörde A. Frau B. , C. und D. an (act. 6/11=act. 3/4).

    2. Entgegen dem am 26. Oktober 2011 gestellten Antrag der Sozialbehörde A. , B. unter Vormundschaft gemäss Art. 369 ZGB zu stellen und als Vormund Herrn F. , Amtsvormundschaft Bezirk Bülach, einzusetzen (act. 3/2), sprach der Bezirksrat Bülach am 16. Dezember 2011 keine Entmündigung

aus. Er wies das Geschäft zur Anordnung einer Beistandschaft gemäss Art. 392

i.V.m. 393 ZGB und zur Einsetzung von C. als Beiständin von B. an die Sozialabteilung A. zurück (act. 3/1=act. 7 S. 3 f., Dispositivziffer 1). Er erwog zusammengefasst, die Errichtung einer Vormundschaft wäre aufgrund des gegebenen Umfeldes im heutigen Zeitpunkt unverhältnismässig, eine Beistandschaft sei als ausreichend zu erachten.

    1. Gegen diesen Beschluss vom 16. Dezember 2011 des Bezirksrates Bülach richtet sich die vorliegend zu beurteilende Berufung der Sozialbehörde A. . Der angefochtene Entscheid wurde der Berufungsklägerin am 30. Januar 2012 zugestellt (act. 5/5). Die am 9. Februar 2012 zur Post gegebene Berufung erfolgte rechtzeitig (§ 188 Abs. 1 GOG). In der Berufung werden folgende Anträge gestellt (act. 2 S. 1):

      1. Es sei Dispositiv Ziff. I des Beschlusses des Bezirksrates Bülach aufzuheben.

      1. Für B. sei eine Vormundschaft nach Art. 369 Abs. 1 ZGB zu errichten.

      2. Als Vormund für B. sei eine ausserfamiliäre neutrale Drittperson wie Herr F. , Amtsvormundschaft Bezirk Bülach, einzusetzen.

      Mit Präsidialverfügung vom 28. Februar 2012 wurde dem Bezirksrat Frist zur freigestellten Vernehmlassung zur Berufung angesetzt (act. 8), und die Akten des Bezirksrates und der Sozialbehörde wurden beigezogen (act. 4). Der Bezirksrat Bülach beantragte mit Eingabe vom 8. März 2012 Abweisung der Berufung

      (act. 10). Die Berufungsklägerin verzichtete innerhalb der ihr angesetzten Frist zur freigestellten Stellungnahme zur Vernehmlassung des Bezirksrates Bülach vom

      8. März 2012 explizit auf eine Stellungnahme (act. 11 und act. 13). Der Prozess ist spruchreif.

    2. Vorab stellt sich die Frage der Legitimation der Berufungsklägerin als Antrag stellender Behörde zum Ergreifen des Rechtsmittels. Das vorliegende Berufungsverfahren richtet sich laut § 187 Abs. 1 GOG nach den Bestimmungen von

Art. 308 ff. ZPO, soweit das GOG nichts anderes anordnet. Zur Einlegung einer Berufung befugt sind die Parteien (vgl. anstatt vieler: KUKO ZPO-Brunner, Vorbem. zu Art. 308-334 N 10). Gemäss § 191 GOG kommt dem Bezirksrat und der

Vormundschaftsbehörde in Berufungsbzw. Beschwerdeverfahren vor Obergericht die Stellung als Vorinstanzen zu. Sie sind nicht Partei. Die Vormundschaftsbehörde ist damit, jedenfalls wenn es um die Entscheide der unteren Aufsichtsbehörde geht, als Vorinstanz grundsätzlich nicht beschwerdelegitimiert. Eine Beschwerdelegitimation der Vormundschaftsbehörde ist nur ausnahmsweise gegeben, soweit sie sich gegen Kosten wendet, die ihr die Aufsichtsbehörde auferlegt hat (BSK ZGB I-Geiser, Art. 420 N 34, mit Hinweis auf ZVW 1994, 32ff.). Insoweit ist sie in ihren eigenen schutzwürdigen Interessen betroffen.

Beim vorliegend angefochtenen Beschluss handelt es sich allerdings nicht um einen Entscheid der unteren Aufsichtsbehörde. Entmündigungen erfolgen auf Antrag der Vormundschaftsbehörde durch den Bezirksrat (§ 83 EGZGB). Der Bezirksrat als Entmündigungsbehörde amtet in dieser Funktion nicht als untere Aufsichtsbehörde. Die Vormundschaftsbehörde ist die mit der Untersuchung des Falles betraute Behörde. Sie ist verpflichtet, das Verfahren von Amtes wegen einzuleiten und durchzuführen, sobald nach ihrer vorläufigen Beurteilung das Bedürfnis nach einer Entmündigung besteht. Diese Pflicht ist Ausfluss der Offizialmaxime und gilt damit von Bundesrechts wegen (BK-Schnyder/Murer, Art. 373 ZGB N 77). Nach kantonalem Recht (§ 83 EGZGB) ist die mit der Untersuchung betraute Vormundschaftsbehörde antragsberechtigt. Rechtsmittellegitimiert sind nach Bundesrecht auch die nach kantonalem Recht antragsberechtigten Behörden

(BK-Schnyder/Murer, Art. 373 ZGB N 170 i.V.m. N 85 ff., insb. N 92). Der nach Bundesrecht berechtigte Antragsteller darf von Bundesrechts wegen jenen Entscheid anfechten, der auf Nicht-Entmündigung lautet bzw. anstelle der Entmündigung eine mildere Massnahme anordnet, weil er dadurch in seinen ihm von Bundesrechts wegen zukommenden Rechten verletzt sein könnte; er darf sich jedoch von Bundesrechts wegen nicht der Anordnung der Entmündigung widersetzen (BK-Schnyder/Murer, Art. 373 ZGB N 177). Vorliegend wendet sich die Sozialbehörde A. gegen den Entscheid des Bezirksrates Bülach, der auf Abweisung ihres Antrages auf Errichtung einer Vormundschaft für die Berufungsbeklagte lautet. Sie ist daher von Bundesrechts wegen zur Berufung legitimiert.

II.
    1. Gemäss Art. 369 Abs. 1 ZGB ist eine mündige Person, die infolge von Geisteskrankheit oder Geistesschwäche ihre Angelegenheiten nicht selber zu besorgen vermag, zu ihrem Schutz dauernd des Beistandes und der Fürsorge bedarf oder die Sicherheit anderer gefährdet, unter Vormundschaft zu stellen. Die Entmündigung wegen Geisteskrankheit oder Geistesschwäche darf nur nach Einholung eines Gutachtens von Sachverständigen erfolgen (Art. 374 Abs. 2 ZGB). Die Entmündigung als schwerwiegendste vormundschaftliche Massnahme ist sodann nur zulässig, wenn sie sich als verhältnismässig erweist, namentlich wenn weniger schwerwiegende Anordnungen - eine Beistandschaft nach Art. 392 oder

      Art. 393 ZGB bzw. eine Beiratschaft nach Art. 395 ZGB - zum Schutze des Betroffenen nicht ausreichen. Die Anordnung einer kombinierten Beistandschaft nach Art. 392 Ziff. 1 ZGB und Art. 393 Ziff. 2 ZGB ermöglicht sowohl die persönliche Fürsorge als auch die Vertretung des Schutzbefohlenen und die Verwaltung seines Vermögens. Hinreichend ist diese Massnahme aber nur, soweit der Verbei-ständete mit dem Beistand kooperiert, denn die Beistandschaft belässt dem Schutzbefohlenen die volle Handlungsfähigkeit (BK-Schnyder/Murer, Art. 392 ZGB N 73 und Art. 393 ZGB N 46). Die (kombinierte) Verbeiratung nach Art. 395 Abs. 1 und/oder Abs. 2 ZGB führt zu einer teilweisen Beschränkung der Handlungsfähigkeit und macht gewichtige oder heikle Geschäfte von der Zustimmung des Beirates abhängig und/oder schliesst den Schutzbefohlenen von der Vermö- gensverwaltung aus. Beistandschaft und Beiratschaft leisten aber immer nur Spezialfürsorge und decken nur einen Teilbereich ab, während die Vormundschaft die Gesamtfürsorge bezweckt. Entscheidend für die Wahl der im Einzelfall passenden Massnahme sind die konkreten Schutz-, Vertretungsund Betreuungsbedürfnisse (BK-Schnyder/Murer, Vorbem. zu Art. 392-397 ZGB N 12 und N 20).

    2. Der Bezirksrat Bülach hat in seinem Beschluss vom 16. Dezember 2011 einzig festgehalten, bei der Errichtung einer Massnahme sei auch der Grundsatz der Verhältnismässigkeit zu beachten. Aufgrund des gegebenen Umfeldes sei eine Beistandschaft ausreichend (act. 7 S. 3). Eine stärkere Massnahme wäre nur dann notwendig, wenn B. durch Dritte zu Vertragsabschlüssen oder der-

gleichen gebracht werden könnte, was indessen praktisch auszuschliessen sei (ebenda). Unter Berücksichtigung des gegebenen kulturellen, gesellschaftlichen und familiären Hintergrundes sei die Führung des Mandates familienintern zu regeln. Bei Bedarf könne die Unterstützung durch Dritte eingefordert werden (ebenda).

In seiner Vernehmlassung vom 8. März 2012 (act. 10) hält der Bezirksrat Bülach nachträglich zusammengefasst fest, die Voraussetzungen für eine Entmündigung nach Art. 369 ZGB seien nicht gegeben, weil eine kombinierte Beistandschaft nach Art. 392 Ziff. 1 und 393 Ziff. 2 ZGB sich aktuell als ausreichend erweise.

  1. sei überhaupt nicht in der Lage, am Rechtsverkehr teilzunehmen, weil sie zum mündlichen und schriftlichen Ausdruck völlig unfähig sei. Die persönliche Fürsorge in der Familie sei dauernd gewährleistet. Es sei im heutigen Zeitpunkt nicht auf eine hypothetische Entwicklung abzustellen, weder in Bezug auf die künftige Pflegebedürftigkeit von B. noch in Bezug auf die spätere Lebensführung des die Schwägerin unterstützenden Neffen. Sinngemäss macht damit der Bezirksrat geltend, es könne nicht eine Vormundschaft nach Art. 369 ZGB gewissermassen „auf Vorrat“ errichtet werden.

    1. Vorliegend sind bereits die Voraussetzungen für eine Entmündigung unter Berücksichtigung von § 84 Abs. 1 EGZGB nicht gegeben. Gemäss Art. 374 Abs. 2 ZGB kann jemand wegen Geisteskrankheit oder Geistesschwäche nur entmündigt werden, wenn ein Gutachten von Sachverständigen eingeholt worden ist. Damit ist ein Arzt oder eine Ärztin mit Kenntnissen in Psychiatrie gemeint; über eine spezialärztliche Ausbildung in Psychiatrie muss der Gutachter aber nicht zwingend verfügen (BSK ZGB I-Geiser, Art. 374 N 13). § 84 Abs. 1 EGZGB konkretisiert diese Bestimmung; danach ist bei Entmündigung wegen Geisteskrankheit oder Geistesschwäche das Gutachten des Bezirksarztes unter Zuziehung des behandelnden Arztes oder dasjenige eines Arztes an den kantonalen Krankenanstalten einzuholen.

      Die Sozialbehörde A. hat nicht, wie es § 84 Abs. 1 EGZGB vorschreibt, beim Bezirksarzt eine ärztliche Abklärung veranlasst, welcher seinerseits allenfalls Auskünfte beim Hausarzt sowie weitere ärztliche Berichte hätte einholen

      können. Dr. med. E. als behandelnder Arzt kann ohnehin nicht Gutachter sein. Zudem muss sich das Gutachten nicht nur zur Geisteskrankheit, sondern auch zur Notwendigkeit der Bevormundung aussprechen. Das Gutachten soll den Beweis dafür erbringen, dass das Mündel infolge seiner geistigen Behinderung vormundschaftlichen Schutzes bedarf (BSK ZGB I-Geiser, Art. 374 N 15). Dr. med. E. hält in seinem ärztlichen Kurzbericht vom 9. September 2011 lediglich fest, der bestehende psychische und physische Zustand von B. sei massivst reduziert, altersentsprechend mittelschwer abgebaut, wegen fehlender intellektueller Kompetenz (geistig, behindert, infantil; act. 3/3). Möglicherweise müsse Frau B. in einer betreuten Einrichtung untergebracht werden. Gegen die jetzt organisierte Betreuung durch die Schwägerin bringt Dr. med. E. nichts vor, auch wenn er festhält, dass die Schwägerin grenzwertig belastet, häu- fig auch überbelastet sei. Es wird aber im Bericht nicht dargetan, inwiefern Art. 369 ZGB erfüllt sein soll, insbesondere inwiefern die Entmündigungsvoraussetzungen, d.h. die sozialen Voraussetzungen (konkrete Schutz-, Betreuungsund Vertretungsbedürftigkeit), gegeben sein sollen. Im Gegenteil hält

      Dr. med. E. fest, dass die Gefahr bestehe, dass Frau B. sich selber schädigen könnte, wobei ein Unterzeichnen von Verträgen zu ihren Ungunsten aufgrund ihrer intellektuellen Situation nahezu ausgeschlossen sei (act. 3/3).

      Dr. med. E. hält denn auch fest, dass Frau B. eines Beistandes bzw. eines Vormundes bedürfe (ebenda). Eine Beurteilung der künftigen Entwicklung erfolgte im Bericht nicht. Einer Gesprächsnotiz der Vormundschaftssekretärin der Sozialbehörde A. vom 17. Juni 2011 lässt sich sogar vielmehr entnehmen, dass Dr. med. E. erklärt, dass er Frau B. lediglich selten sehe, das letzte Mal im Dezember 2009, er sehe sie zu wenig, als dass er etwas über ihren jetzigen Zustand sagen könne (act. 3/8).

      Dieser ärztliche Kurzbericht von Dr. med. E. würde den Anforderungen an ein Gutachten gemäss Art. 374 Abs. 2 ZGB somit auch inhaltlich keinesfalls genügen.

    2. Hinzu kommt Folgendes: Es lässt sich den Akten keine Diagnose der Art der Behinderung von Frau B. entnehmen. Aufgrund des in den Akten gezeichneten Bildes kann indes davon ausgegangen werden, dass Frau B. im Sinne von Art. 369 ZGB seit Geburt an einer Geistesschwäche leidet und auch für einfachste administrative Dinge und für Geschäfte selbst sehr beschränkter Tragweite nicht urteilsfähig ist (vgl. auch act. 3/8). Die mangelnde Urteilsfähigkeit wiederum ist ein absoluter Nichtigkeitsgrund für jedes Rechtsgeschäft (Art. 18 ZGB), und selbst wenn ein Dritter sie nicht erkannt haben würde (oder bewusst übersehen haben wollte), wäre es ein Leichtes, sie nachzuweisen und ein allenfalls äusserlich abgeschlossenes Geschäft damit zu Fall zu bringen. Der Wirkungskreis von Frau B. , welche die deutsche Sprache nur wenig versteht und sie nicht spricht (act. 3/4), ist zudem sehr gering: Sie hält sich ständig in der Wohnung ihres Bruders und dessen Familie auf und verlässt diese nicht bzw. nur im Beisein von Familienangehörigen (vgl. act. 3/2 S. 1). Sie ist daher auch unter diesem Aspekt nicht vor einer eigenen Handlungsfähigkeit zu schützen. Es wurde von der Sozialbehörde A. nicht vorgebracht und geht auch nirgends aus den Akten hervor, dass sich Frau B. in der Vergangenheit jemals selber mittels rechtsgeschäftlicher Handlungen gefährdet oder geschädigt hätte. Im Sinne der Stufenfolge und der Subsidiarität der vormundschaftlichen Massnahmen ist auf die mildere Beistandschaft zu erkennen, wenn diese die negativen Folgen der Schwächezustände ausreichend zu mildern oder die Umgebung des Schützlings die nötige Unterstützung zu bieten vermag (allgemein und besonders zur Unterstützung durch die Familie BSK ZGB I-Langenegger, vor Art. 360-456 N 8). Die familiäre Umgebung vermag B. die nötige Unterstützung zu bieten:

    3. C. will sich nach wie vor um ihre bedürftige Schwägerin kümmern, welche seit 21 Jahren zusammen mit ihr und ihrer Familie im gleichen Haushalt lebt (act. 3/2 S. 1 unten, act. 3/4). Für C. ist B. eine Art Kind geworden (act. 3/4). Aber auch B. hat offensichtlich eine grosse emotionale und soziale Beziehung zu C. , wenn ausgeführt wird, B. weine immerfort, wenn sie für ein Mal ein paar Tage bei einer anderen Verwandten in Obhut sei (act. 3/4). Eine Platzierung von B. in einem Heim kommt für die Familie

      1. -C. -D. nicht zuletzt wegen der bestehenden engen Bindung nicht in Frage. Die Behörden seien mit dem Anliegen auf Errichtung vormundschaftlicher Massnahmen (nur) deshalb kontaktiert worden, weil die Familie ein

        Bankkonto für B. habe errichten wollen, was die Bank indes verweigert habe. Angaben von C. zufolge gibt es bei der Pflege keine Probleme (ebenda). In schriftlich zu erledigenden Angelegenheiten könne der Neffe, d.h. der Sohn von C. , behilflich sein, welcher sich jeden zweiten oder dritten Tag im elterlichen Haushalt aufhalte (ebenda). Frau C. stellt sich deshalb als Vormundin für ihre Schwägerin zur Verfügung (ebenda).

        Einer der Unterstützung bedürftigen Person ist wenn möglich ein Vormund oder Beistand ihres Vertrauens, namentlich ein dafür geeigneter Verwandter, beizugeben (Art. 380 und 381 ZGB; so wird es auch vom nächsten Jahr an unter dem neuen Erwachsenenschutzrecht sein: Art. 401 Abs. 1 und 2 rev. ZGB). Im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht unbestrittenermassen die persönliche Fürsorge für B. . Bei der persönlichen Fürsorge spielt die persönliche Beziehung zwischen Schützling und Beistand bzw. Vormund eine grosse Rolle, weshalb die gesetzliche Bevorzugung eines Familienangehörigen als Mandatsträger hier umso mehr greifen muss. Gegen die Eignung von Frau C. als Betreuungsund Bezugsperson von Frau B. wird nichts vorgebracht. Dass Frau

      2. , nach Jahrzehnten der Betreuung, gelegentlich erschöpft und entkräftet ist, verwundert angesichts dieser anspruchsvollen (Lebens-)Aufgabe nicht. Hausbetreuungsdienste (etwa Spitex) können hier wertvolle ergänzende Leistungen im Bereich Pflege und Haushalt erbringen. Aufgrund der Akten ist davon auszugehen, dass C. ihrer Schwägerin diese Fürsorge angemessen und gebührend zukommen lässt, weshalb unter diesem Aspekt C. als Amtsträgerin sehr wohl in Frage kommt.

    4. Offenbar war die Familie und insbesondere die Schwägerin von Frau

  1. in all den vergangenen Jahren ausreichend in der Lage, auch die administrativen und finanziellen Belange von Frau B. zu bewältigen. Neu in der jetzigen Situation ist diesbezüglich (lediglich), dass eine Institution (sprich die oben erwähnte Bank) eine Regelung der Vertretungsmacht bzw. -befugnis verlangt hat. Die mit der Sache betraute Sozialbehörde A. ist zum Schluss gekommen, dass es von nun an insbesondere zur Besorgung der administrativen Belange von Frau B. und zur Regelung rechtsgeschäftlicher Handlungen,

    inklusive Vermögensverwaltung, vormundschaftlicher Massnahmen bedarf. Sie will deshalb die formelle Errichtung einer Vormundschaft (bzw. einer Beistandschaft) und die Ernennung einer Amtsperson zum Mandatsträger. Auch wenn aus heutiger Sicht zu sagen ist, dass es voraussichtlich mittelfristig um das Erledigen alltäglicher administrativer Angelegenheiten von B. wie den Verkehr mit Sozialversicherung, Krankenkasse, Bank oder Steueramt gehen wird, und damit um (einfachen) schriftlichen Verkehr mit Ämtern, die ihrerseits gute und niederschwellige Hilfe anbieten, so fragt sich doch, ob die fehlenden Deutschkenntnisse von

  2. nicht ein unüberwindbares Hindernis für die Ausübung des Mandates sind. C. wird offenbar, was die sprachliche Verständigung betrifft, familienintern unterstützt.

Die Durchführung der von der Vormundschaftsbehörde umschriebenen Aufgaben liegt ausschliesslich im Verantwortungsbereich des Mandatsträgers (BKSchnyder/Murer, Art. 360 ZGB N 15). Es ist seine (eigene) Pflicht, die vormundschaftlichen Massnahmen durchzuführen. Hilfspersonen können für die Besorgung der ihm zugewiesenen Aufgaben beigezogen werden (BSK ZGB I- Langenegger, Art. 360 ZGB N 8 ff.). Wertvolle private Hilfestellungen sollen denn auch soweit wie möglich erhalten und behördlich unterstützt werden. Eine Substitutionsbefugnis - ein Recht auf Übertragung der Durchführung des Amtes bzw. einzelner Aufgaben - hat der Amtsträger aber nicht. Die Durchführung des Amtes, wozu etwa auch die Überwachung der beigezogenen Hilfsperson gehört, lässt sich nur sehr schwierig bzw. nicht mit der Tatsache in Vereinbarung bringen, dass die designierte Amtsperson kein Deutsch spricht bzw. kein schriftliches Deutsch versteht. Damit fällt der (einzige) von der Sozialbehörde A. gegen C. als Mandatsträgerin vorgebrachte Einwand die Deutschkenntnisse von C. würden zur Erledigung der administrativen und schriftlichen Belange nicht ausreichen (act. 3/2 S. 2) ins Gewicht. In diesem Sinne ist die Berufung gutzuheissen und Dispositivziffer I des Beschlusses des Bezirksrates Bülach vom 16. Dezember 2011 insoweit aufzuheben, als der Sozialbehörde A. die Weisung erteilt wird, C. als Beiständin einzusetzen (act. 3/1 S. 3 unten). Die Sozialbehörde hat indes in Nachachtung des Prinzips des Vorrangs eines tauglichen Verwandten zu prüfen, ob eine (andere) Person aus dem näheren sozialen Umfeld von

B. etwa D. geeignet ist, das sich vorliegend in überschaubarem Masse haltende Amt des Beistandes zu erfüllen.

3. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass mit der Anordnung einer Beistandschaft gemäss Art. 392 Ziff. 1 ZGB und Art. 393 Ziff. 2 ZGB den konkreten

Schutz-, Vertretungsund Betreuungsbedürfnissen von Frau B. Genüge getan ist. Ganz abgesehen davon, dass die formellen Voraussetzungen nicht gegeben sind, darf die Behörde eine Entmündigung nicht aussprechen, wenn wie vorliegend eine mildere Massnahme eine Beistandschaft genügt. Es ist damit auch nicht zu beanstanden, dass der Bezirksrat Bülach bezüglich der gutachterlichen Abklärungen keine Weiterungen vorgenommen hat. Die fehlenden Deutschkenntnisse von C. sind mit dem Amt des Beistandes nicht vereinbar, auch wenn C. die im Vordergrund stehenden konkreten Schutzund Betreuungsbedürfnisse ihrer Schwägerin zu gewährleisten vermag. Es liegt aber (einstweilen) kein wichtiger Grund im Sinne von Art. 380 ZGB vor, welcher der Einsetzung einer Person aus dem näheren sozialen Umfeld von B. als Mandatsträger entgegenstehen würde. Die Sozialbehörde A. hat die Bestellung einer solchen Privatperson als Beistand zu prüfen. Es ist somit in diesem Sinn Dispositivziffer I des Beschlusses des Bezirksrates Bülach vom 16. Dezember 2011 aufzuheben und das Verfahren zur Neubeurteilung an die Sozialbehörde A. zurückzuweisen (§ 196 GOG).

III.

Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die Kosten des Berufungsverfahrens in reduziertem Umfang festzusetzen und der Berufungsklägerin aufzuerlegen (§ 200 GOG i.V.m. Art. 116 ZPO). Im Übrigen werden für diesen Entscheid keine Kosten erhoben. Mangels Umtriebe ist der Berufungsbeklagten keine Prozessentschädigung zuzusprechen.

Es wird erkannt:

  1. Die Berufung wird teilweise gutgeheissen und die Sozialbehörde A. wird in Abänderung von Dispositivziffer I des Beschlusses des Bezirksrates Bülach vom 16. Dezember 2011 angewiesen, die Bestellung eines Beistandes im Sinne der Erwägungen zu prüfen.

    Im Übrigen wird die Berufung abgewiesen und der Beschluss des Bezirksrates Bülach vom 16. Dezember 2011 bestätigt.

  2. Die Entscheidgebühr wird auf Fr. 500.-- festgesetzt.

  3. Die Gerichtskosten des Berufungsverfahrens werden der Berufungsklägerin auferlegt.

  4. Es werden keine Prozessentschädigungen zugesprochen.

  5. Schriftliche Mitteilung an die Parteien, die Direktion der Justiz und des Innern (Gemeindeamt des Kantons Zürich) und - unter Rücksendung der Akten - an den Bezirksrat Bülach, je gegen Empfangsschein, sowie an die Obergerichtskasse.

  6. Eine Beschwerde gegen diesen Entscheid an das Bundesgericht ist innert 30 Tagen von der Zustellung an beim Schweizerischen Bundesgericht, 1000 Lausanne 14, einzureichen. Zulässigkeit und Form einer solchen Beschwerde richten sich nach Art. 72 ff. (Beschwerde in Zivilsachen) oder Art. 113 ff. (subsidiäre Verfassungsbeschwerde) in Verbindung mit Art. 42 des Bundesgesetzes über das Bundesgericht (BGG).

Dies ist ein Endentscheid im Sinne von Art. 90 BGG.

Es handelt sich um eine nicht vermögensrechtliche Angelegenheit.

Die Beschwerde an das Bundesgericht hat keine aufschiebende Wirkung.

Obergericht des Kantons Zürich

II. Zivilkammer Der Gerichtsschreiber:

lic. iur. M. Isler

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