Zusammenfassung des Urteils NP130017: Obergericht des Kantons Zürich
Die Kläger, Eigentümer benachbarter Grundstücke, fordern in einem Eigentumsfreiheitsklageverfahren, dass der Beklagten verboten wird, überhängende Äste zu kappen. Nach erfolglosen aussergerichtlichen Einigungsversuchen und einem vorläufigen Kappverbot durch das Gericht, kam es zu einem Streit über eine angebliche Vereinbarung bezüglich des Rückschnitts der Äste. Die Kläger bestreiten diese Vereinbarung und berufen sich auf einen Irrtum ihres Rechtsvertreters. Das Obergericht des Kantons Zürich hob das Urteil der Vorinstanz auf und wies die Sache zur weiteren Klärung zurück. Die Gerichtskosten für das Berufungsverfahren wurden auf CHF 3'500 festgesetzt.
Kanton: | ZH |
Fallnummer: | NP130017 |
Instanz: | Obergericht des Kantons Zürich |
Abteilung: | I. Zivilkammer |
Datum: | 03.10.2013 |
Rechtskraft: | - |
Leitsatz/Stichwort: | Verbot (Kappung von Ästen) |
Schlagwörter : | Beklagten; Äste; Recht; Rückschnitt; Vorinstanz; Beweis; Berufung; Kapprecht; Entscheid; Beweismittel; Verfahren; Vertrag; Parteien; Hängeweide; Rechtsvertreter; Vertrags; Klägern; Verfahrens; Sinne; Grenze; Vereinbarung; Kapprechts; Angebot; Irrtum |
Rechtsnorm: | Art. 152 ZPO ;Art. 18 OR ;Art. 317 ZPO ;Art. 318 ZPO ;Art. 641 ZGB ;Art. 687 ZGB ;Art. 8 ZGB ;Art. 928 ZGB ;Art. 93 BGG ; |
Referenz BGE: | 121 III 118; 132 III 27; |
Kommentar: | - |
Obergericht des Kantons Zürich
I. Zivilkammer
Geschäfts-Nr.: NP130017-O/U
Mitwirkend: Oberrichter Dr. R. Klopfer, Vorsitzender, Oberrichterin
Dr. L. Hunziker Schnider und Oberrichter lic. iur. M. Spahn sowie Gerichtsschreiber lic. iur. H. Dubach
Beschluss vom 3. Oktober 2013
in Sachen
Kläger und Berufungskläger
1, 2 vertreten durch Rechtsanwalt Dr. iur. X. ,
gegen
Beklagte und Berufungsbeklagte
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. iur. Y. , betreffend Verbot (Kappung von Ästen)
Erwägungen:
Die Parteien sind Eigentümer benachbarter Grundstücke. Auf dem Grundstück der Kläger und Berufungskläger (nachfolgend: Kläger) steht eine Hängeweide, deren Äste teilweise auf das Grundstück der Beklagten und Berufungsbeklagten (nachfolgend: Beklagten) hinüberragen. Mit der vorliegenden Eigentumsfreiheitsklage wollen die Kläger der Beklagten verbieten lassen, die überragenden Äste zu kappen.
Die Beklagte stört sich seit längerem an den überragenden Ästen. Da ihre früheren Versuche, die Kläger zum Rückschnitt der Hängeweide zu bewegen, fehlschlugen, kündigte sie mit Schreiben vom 13. Februar 2010 an, die Kappung der überragenden Äste selbst vornehmen zu wollen. Daraufhin gelangten die Kläger an das Audienzrichteramt des Bezirksgerichtes Zürich, welches der Beklagten mit Verfügung vom 8. April 2010 vorsorglich verbot, die in ihr Grundstück hineinragenden Äste der Hängeweide zurückzuschneiden und den Klägern Frist ansetzte, um den ordentlichen Zivilprozess einzuleiten (Urk. 3/5 = 13/23). Die Rechtsvertreter der Parteien bemühten sich in der Folge um eine aussergerichtliche Einigung. Die Frage, ob eine solche Einigung gültig zustande kam und falls ja, mit welchem Inhalt, bildet den Hauptstreitpunkt des vorliegenden Verfahrens. Die Kläger verzichteten jedenfalls auf die Prosequierung des Massnahmeentscheides und liessen Ende November 2010 einen Rückschnitt der Hängeweide vornehmen. Dieser Rückschnitt ging der Beklagten aber zu wenig weit, weshalb sie den Klägern mit Email vom 18. Februar 2011 erneut androhte, den Baum selber nachzuschneiden (Urk. 3/11 = 13/14). Die Kläger gelangten hierauf wiederum an das Einzelgericht Audienz am Bezirksgericht Zürich, welches mit Urteil vom 22. März 2011 ein zweites vorsorgliches Verbot aussprach (Urk. 3/1 = 13/24).
Mit Eingabe vom 18. Mai 2011 machten die Kläger die vorliegende Klage bei der Vorinstanz anhängig. Sie verlangten damit, dass der Beklagten unter Strafandrohung verboten werde, die überragenden Äste der Hängeweide zurückzuschneiden (Urk. 1). Für den Verlauf des erstinstanzlichen Verfahrens kann auf die Ausführungen der Vorinstanz verwiesen werden. Mit Urteil vom 23. Mai 2013 wies diese die Klage ab (Urk. 66 = 70).
Gegen den Entscheid der Vorinstanz erhoben die Kläger am 25. Juni 2013 Berufung. Sie beantragten, es sei das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur Durchführung des Beweisverfahrens und zum Neuentscheid im
Sinne ihrer Begründung an die Vorinstanz zurückzuweisen (Urk. 69 S. 2). Die Berufungsantwort datiert vom 13. September 2013. Die Beklagte beantragte darin, die Berufung vollumfänglich abzuweisen und das vorinstanzliche Urteil zu bestätigen (Urk. 76 S. 2). Am 24. September 2013 folgte unaufgefordert eine Replik der Kläger (Urk. 80), welche der Beklagten zur Kenntnisnahme zugestellt wurde
(Urk. 81).
Die Kläger als Eigentümer der streitbetroffenen Hängeweide stützen ihre Klage auf den in Art. 641 Abs. 2 ZGB verankerten Anspruch, jede ungerechtfertigte Einwirkung abzuwehren. Ihrer Ansicht nach hat die Beklagte kein Recht, die überragenden Äste zu kappen. Diese wehrt sich gegen die Klage, indem sie in erster Linie geltend macht, die Kläger hätten sich im Rahmen einer aussergerichtlichen Einigung verpflichtet, sämtliche überragenden Äste zurückzuschneiden. Erst in zweiter Linie beruft sich die Beklagte auf das gesetzliche Kapprecht nach Art. 687 Abs. 1 ZGB.
Die Wurzeln, Äste und Zweige eines Baumes sind auch insoweit, als sie auf fremden Boden hinüberragen, Bestandteile des Baumes, von dem sie ausgehen, und stehen daher in demselben Eigentum wie dieser. Die Frage, inwieweit der Nachbar zur Duldung der Einwirkung verpflichtet ist, beantwortet sich nicht ausschliesslich nach den allgemeinen Bestimmungen von Art. 641 Abs. 2 und Art. 928 ZGB; zu beachten sind insbesondere die Spezialvorschriften von Art. 687 ZGB sowie des kantonalen Rechts. Nach Art. 687 Abs. 1 ZGB kann der Nachbar überragende Äste und eindringende Wurzeln kappen, wenn sie sein Eigentum schädigen. Der geschädigte Nachbar muss sich beim Pflanzenbesitzer beschweren und ist erst nach Ablauf einer angemessenen Frist zur Ausübung seines Selbsthilferechts befugt. Mit diesem Erfordernis nimmt das Gesetz Rücksicht darauf, dass dem Besitzer des Baumes daran gelegen sein kann, die Beseitigung selbst und ausserhalb der Vegetationsperiode vorzunehmen. Dementsprechend ist auch die Frist zu bemessen (BK-Meier-Hayoz, Art. 678/688 ZGB N 27 f.).
a) Vorliegend ist zwischen den Parteien seit längerem streitig, ob die übergreifenden Äste die Beklagte schädigen und ihr ein entsprechendes Kapprecht zusteht, ob sie den Überhang zu dulden hat. Nachdem die Kläger durch Bestreitung des Kapprechts beim Audienzrichteramt ein erstes vorsorgliches Kappverbot erwirkt hatten, wandten sie sich via Rechtsvertreter mit Schreiben vom 14. April 2010 an die Beklagte und unterbreiteten dieser ein Angebot für eine einvernehmliche Streitbeilegung. Angeboten wurde, die herunterhängenden, im Luftraum des Grundstücks der Beklagten befindlichen Triebe und Zweige der Hängeweide bis Ende April 2010 soweit als möglich zurückzuschneiden beziehungsweise auszudünnen. Gleichzeitig liessen die Kläger die Beklagte wissen, dass gemäss Auskunft des Gärtners ein solcher Rückschnitt bis längstens Ende April 2010 in Frage käme (Urk. 13/4).
Die Beklagte beantwortete das Schreiben der Kläger erst am 11. Mai 2010. Sie konstatierte, dass das Angebot zumindest der gewünschten Richtung entspreche, hielt aber auch fest, dass sie grundsätzlich ein Kapprecht für jeden Baumteil beanspruche, der über die Grenze reiche. Erst wenn die überhängenden Äste und Zweige mit ihren langen Trieben geschnitten seien, lasse sich abschätzen, ob alsdann auch noch ein Teil des Zwillingsstammes entfernt werden müsse (Urk. 13/5).
Mit Schreiben vom 28. Mai 2010 wiesen die Kläger die Beklagte darauf hin, dass ein Rückschnitt der Hängeweide nur bis Ende April 2010 in Frage gekommen wäre. Sie boten jedoch an, die Frist zur Einreichung der Klage verstreichen zu lassen und den Baum zurückzuschneiden beziehungsweise auszudün- nen, sobald dies aus botanischen Gesichtspunkten vertretbar sei. Im Gegenzug verlangten sie, dass die Beklagte auf die Ausübung des Kapprechts verzichte, solange kein rechtskräftiger Entscheid des ordentlichen Gerichts dies erlaube
(Urk. 13/6).
Die Beklagte lehnte dieses Angebot mit Schreiben vom 4. Juni 2010 ab und unterbreitete den Klägern (immer noch via Rechtsvertreter) einen eigenen Vorschlag, der wörtlich wie folgt lautete (Urk. 3/13 = 13/7):
Sie [Anm.: die Beklagte] ist bereit, den Klägern Gelegenheit zum verlangten grenzbezogenen Rückschnitt einzuräumen. Die Beklagte ist demzufolge bereit, auf die Ausübung des Kapprechts bis 15. Dezember 2010 zu verzichten, damit die Kläger den Rückschnitt in der vegetationsmässig richtigen Jahreszeit vornehmen können. [ ]
Der klägerische Rechtsvertreter antwortete mit E-Mail vom 14. Juni 2010 folgendermassen (Urk. 3/14 = 13/8):
Ich beziehe mich auf ihr Schreiben vom 4. Juni 2010 und teile Ihnen mit, dass meine Klienten den Vorschlag Ihrer Klientin akzeptieren. Meine Klienten werden also den streitigen Baum im kommenden Herbst zurückschneiden lassen. Ich werde Ihnen den definitiven Termin zur gegebenen Zeit noch bekannt geben. Im Gegenzug verzichtet Ihre Klientin bis zum 15. Dezember 2010 auf die Ausübung des Kapprechts.
Die Beklagte geht davon aus, dass mit diesem Briefwechsel eine Vereinbarung zustande kam und sich die Gegenseite zu einem Rückschnitt bis auf die Grenze verpflichtet habe (Urk. 38 S. 12). Die Kläger machen demgegenüber geltend, dass sie nicht den Willen gehabt hätten, einem Vergleich zuzustimmen, der sie verpflichtet hätte, ausnahmslos alle in die Liegenschaft der Beklagten hineinragenden Stammteile, Äste und Triebe zurückzuschneiden (Urk. 32 S. 6). Sie seien im Interesse einer Streiterledigung damit einverstanden gewesen, die streitige Hängeweide bis 15. Dezember 2010 weitergehend zurückzuschneiden und auszudünnen (Urk. 32 S. 10). Die Kläger bestreiten somit das Bestehen eines tatsächlichen normativen Konsenses. An einer Stelle behaupten sie allerdings, dass auch die Beklagte den Vergleich in ihrem Sinne verstanden hätte (Urk. 32
S. 7). Für den Eventualfall, dass von einem normativen Konsens im Sinne der Beklagten auszugehen wäre, berufen sich die Kläger auf Irrtum (Urk. 1 Rz. 16).
a) Der Inhalt eines Vertrags bestimmt sich in erster Linie durch subjektive Auslegung, das heisst nach dem übereinstimmenden wirklichen Parteiwillen
(Art. 18 Abs. 1 OR). Wenn dieser unbewiesen bleibt, sind zur Ermittlung des mutmasslichen Parteiwillens die Erklärungen der Parteien aufgrund des Vertrauensprinzips so auszulegen, wie sie nach ihrem Wortlaut und Zusammenhang sowie den gesamten Umständen verstanden werden durften und mussten (BGE 132 III 27 f. E. 4; 131 III 611 E. 4.1.; je mit Hinweisen).
Der Vorinstanz ist zunächst darin zuzustimmen, dass eine objektive Auslegung der Parteierklärungen nur einen Schluss zulässt, nämlich, dass die Parteien den Kapprechtsstreit dadurch beilegen wollten, dass die Kläger alle die Grenze überragenden Äste zurückschneiden würden und die Beklagte im Gegenzug bis zum 15. Dezember 2010 darauf verzichten würde, die Äste selbst zu kappen. Den Klägern sollte Gelegenheit eingeräumt werden, den Rückschnitt selbst vorzunehmen und dies ausserhalb der Vegetationsperiode. Danach hätte die Beklagte wohl ohne erneute Fristansetzung kappen dürfen. Der Umfang des Rückschnitts war von der Beklagten in ihrem Angebot eindeutig und klar umschrieben worden. Die Kläger durften die Formulierung grenzbezogener Rückschnitt nach Treu und Glauben nicht anders verstehen, als Rückschnitt aller die Grenze überragenden Äste. Wären sie lediglich zu einem Rückschnitt in geringerem Umfang bereit gewesen, hätten sie dies in ihrer Antwort kundtun müssen. Die Zustimmung der Kläger erfolgte daraufhin aber vorbehaltlos und es ist kein Grund ersichtlich, weshalb die Beklagte diese Erklärung nicht als solche vorbehaltlose Zustimmung zu ihrem Angebot hätte verstehen müssen und dürfen.
Daran ändert insbesondere auch die Ausgangslage nichts. Beide Parteien hatten zwar zuvor auf ihren Standpunkten beharrt beziehungsweise nur geringe Zugeständnisse gemacht. Im Massnahmeverfahren konnten die Kläger zudem bereits ein vorsorgliches Kappverbot erwirken und damit einen ersten prozessualen Erfolg verbuchen. Vor diesem Hintergrund musste ihre Zustimmung zum beklagtischen Angebot wahrlich als Gesinnungswandel erscheinen. Es ist jedoch nichts Aussergewöhnliches, wenn eine Partei im Verlaufe eines Rechtsstreits ihre Position aufgibt und zwar auch dann nicht, wenn sie zuvor auf dieser beharrte, sich möglicherweise weiterhin im Recht fühlt sich gar weiterhin bessere Prozesschancen ausrechnet. Irgendwann sind die meisten Parteien das Streiten leid
- die einen früher, die anderen später. Wenn es aber soweit ist, steigt erfahrungsgemäss ihre Bereitschaft, einen Rechtsstreit einvernehmlich beizulegen und auch dementsprechende Zugeständnisse zu machen. Ob ein solcher Gesinnungswandel bei den Klägern tatsächlich erfolgt ist, ist eine andere Frage. Darauf ist später einzugehen. Massgebend ist an dieser Stelle einzig, dass die Beklagte darauf vertrauen durfte, dass die Kläger ihre Meinung geändert hatten. Es ist auch nicht ersichtlich, inwiefern der Umstand, dass die Kläger ihr Einverständnis mit einer einfachen Email und nicht wie die vorangegangene Korrespondenz mit einem förmlichen Brief erteilten, dieses Vertrauen der Beklagten hätte zerstören sollen.
Die Kläger machten nun, wie bereits erwähnt, an einer Stelle geltend, dass beide Parteien einen vom objektivierten Auslegungsergebnis abweichenden subjektiven Vertragswillen gehabt hätten (Urk. 32 S. 7). Demnach wäre nach dem übereinstimmenden wirklichen Parteiwillen eine Vereinbarung zustande gekommen, wonach die Kläger sich lediglich verpflichteten, den Baum nochmals zurückzuschneiden und auszudünnen und die Beklagte im Gegenzug bis zum 15. Dezember 2010 auf ihr Kapprecht verzichten würde. Die Beklagte hält diese Betrachtungsweise für geradezu abstrus (Urk. 38 Rz. 11). Ein von der objektiven Auslegung abweichender übereinstimmender wirklicher Parteiwille wäre nach
Art. 18 Abs. 1 OR massgebend. Die Beweislast dafür trägt, wer daraus zu seinen Gunsten eine Rechtsfolge ableitet (vgl. BGE 121 III 118 E. 4.b/aa). Die Kläger rufen, ausser für ihren eigenen Vertragswillen, keine Beweismittel an. Hinsichtlich des angeblichen Willens der Beklagten verweisen sie einzig auf den Umstand, dass diese sich erst nach Einleitung des zweiten Massnahmeverfahrens auf die Vereinbarung berief. In der vorprozessualen Korrespondenz argumentierte die Beklagte noch mit den gesetzlichen Voraussetzungen des Kapprechts (vgl.
Urk. 33). Dieses Verhalten erstaunt zwar, kann aber zum Beispiel prozesstaktische Gründe gehabt haben. Es kann auch sein, dass der Beklagten respektive ihrem Anwalt zu diesem Zeitpunkt schlicht nicht mehr bewusst war, was genau vereinbart worden war. Aus dem Verhalten der Beklagten nach Vertragsschluss lässt sich aber nicht ableiten, dass sie die Kläger so verstanden habe, dass diese den Baum lediglich in einem verhältnismässigen Ausmass zurückschneiden würden, zumal die Beklagte auch nach Vertragsschluss stets an ihrer Forderung nach einem vollständigen Rückschnitt bis auf die Grenze festhielt. Bleibt der von den
Klägern behauptete subjektive Vertragswillen somit unbewiesen, ist auf das objektive Auslegungsergebnis abzustellen.
a) Zu prüfen bleibt letztlich, ob sich die Kläger erfolgreich auf einen Irrtum ihres Rechtsvertreters X. , der sich mit dem Vorschlag der Beklagten einverstanden erklärte, berufen können (vgl. Gauch/Schluep/Schmid/Rey, OR/AT, 9. Aufl., Zürich 2008, N 818). Die Vorinstanz verneinte dies und führte dazu einzig aus, dass die Kläger nicht plausibel erklären beziehungsweise substantiieren könnten, welcher anderen Erklärung der Beklagten sie hätten zustimmen wollen, wenn nicht dem von der Beklagten ursprünglich geforderten Rückschnitt. Das trifft so nicht zu. Die Kläger erwähnten bereits vor Vorinstanz, dass ihr Rechtsvertreter das Schreiben der Beklagten vom 4. Juni 2010 so verstanden habe, dass es diese nur, aber immerhin ablehne, bei einem allenfalls ungenügenden Rückschnitt des Baumes bis zum Vorliegen eines rechtskräftigen Gerichtsentscheides im ordentlichen Verfahren auf das Kapprecht zu verzichten. Insofern hätten sich auch ihre eigenen Zugeständnisse ausschliesslich auf den zeitlichen und nicht auf den sachlichen, gegenständlichen Aspekt beziehen sollen. Sie beziehungsweise ihr Rechtsvertreter hätten sich lediglich verpflichten wollen, den Baum weitergehend zurückzuschneiden und auszudünnen nicht aber, ausnahmslos alle in die Liegenschaft der Beklagten hineinragende Stammteile, Äste und Triebe bis auf die Grenze zurückzuschneiden (Urk. 32 S. 6 und 10). Diese (angebliche) Vertragsvorstellung deckt sich nach dem Gesagten nicht mit dem, was im normativ gemeinsamen Vertragswillen Ausdruck gefunden hat. Es läge folglich ein Erklärungsirrtum im Sinne von Art. 23 f. OR vor. Mit Schreiben vom 24. Februar 2011 (Urk. 3/15) haben sich die Kläger gegenüber der Beklagten auf den Irrtum berufen und den Vertrag somit rechtzeitig angefochten. Die Wesentlichkeit des (angeblichen) Irrtums (error in quantitate; Art. 24 Abs. 1 Ziff. 3 OR) steht sodann kaum in Frage, dreht sich der vorliegende Streit doch darum, ob beziehungsweise wie weit die Stammteile, Äste und Triebe zurückzuschneiden sind (Urk. 3/9, 3/11, 3/13), und sprach selbst die Beklagte nach dem Zurückschneiden noch davon, viele Äste würden die Grenze nach wie vor massiv überragen (Urk. 3/9), weshalb die Differenz zwischen gewollter und tatsächlich vereinbarter Leistung erheblich erscheint. Bestritten wurde seitens der Beklagten allerdings, dass die Kläger sich
überhaupt geirrt hätten (Urk. 12 S. 8). Die Kläger wollten die Vereinbarung einfach nicht erfüllen und würden nun ihre Zustimmung bestreiten (Urk. 38 S. 7 ff.).
Die Ungültigkeit Unwirksamkeit eines Rechtsgeschäfts hat als rechtshindernden Sachumstand zu beweisen, wer sich darauf beruft (BK-Walter, Art. 8 ZGB N 504). Der Irrende hat bei Geltendmachung eines Erklärungsirrtums zu beweisen, dass er die angefochtene äussere Erklärung im Zeitpunkt ihrer Abgabe tatsächlich nicht gewollt deren Inhalt und Bedeutung missverstanden, er anderes gewollt als erklärt hatte (BK-Walter, Art. 8 ZGB N 506; BK-Schmidlin, Art. 23/24 OR N 211). Nicht zu beanstanden ist die Erwägung der Vorinstanz, dass allein aus dem Umstand, dass die Kläger die Vereinbarung letztlich nicht im Sinne der Beklagten erfüllten, noch nicht auf einen Irrtum im Zeitpunkt der Erklärungsabgabe geschlossen werden kann. Die Kläger offerierten aber als Beweismittel für ihre Darstellung auch ausdrücklich ihre eigene Befragung, eventuell Beweisaussage, sowie die Zeugenaussage ihres Rechtsvertreters (Urk. 1 S. 4,
Urk. 32 S. 6). Diese Beweismittel erscheinen durchaus tauglich, um den erforderlichen Beweis zu erbringen. Dadurch, dass die Vorinstanz einen Erklärungsirrtum ausschloss, ohne die genannten Beweismittel abzunehmen respektive ohne überhaupt zu begründen, weshalb auf eine Abnahme verzichtet werden kann, verletzte sie das Recht der Kläger auf Beweis (Art. 152 ZPO und Art. 8 ZGB).
Im Berufungsverfahren reichten die Kläger neue Beweismittel ein
(Urk. 72/2-3). Die Verspätung begründeten sie damit, dass der ursprünglich mit dem Fall befasste erstinstanzliche Richter nach dem ersten Schriftenwechsel einen Augenschein angeordnet habe und dadurch sowie durch entsprechende Äusserungen anlässlich des Augenscheins zu erkennen gegeben habe, dass das Gericht nicht von einer rechtsgeschäftlichen Vereinbarung im Sinne der Beklagten ausgehe. Sie hätten sich vor diesem Hintergrund nicht dazu veranlasst gesehen, ihre Sachdarstellung zu diesem Thema in der Replik mit weiteren Beweismitteln zu belegen. Es liege ein Fall von Art. 317 Abs. 1 lit. b ZPO vor. Dem kann nicht gefolgt werden. In Bezug auf die vom Gesetz verlangte zumutbare Sorgfalt ist zu fragen, ob eine Partei, welche das erstinstanzliche Verfahren umsichtig und versiert geführt hat, die Tatsache das Beweismittel schon vor erster Instanz hätte erkennen und in den Prozess einbringen müssen, wenn sie den Prozessstoff und ihr eigenes Umfeld kritisch überblickt. Die Beanspruchung des Novenrechts setzt demnach Schuldlosigkeit beziehungsweise fehlende Verantwortung hinsichtlich des Nichtvorbringens der Tatsache beziehungsweise des Beweismittels vor erster Instanz voraus (ZK-Reetz/Hilber, Art. 317 ZPO N 62). Die Frage nach dem Bestand und dem Inhalt einer rechtsgeschäftlichen Vereinbarung über den Rückschnitt darf mit Fug als der zentrale Streitpunkt des vorliegenden Verfahrens bezeichnet werden. Dies musste aufgrund des vorangegangenen Massnahmeverfahrens auch den Klägern bewusst sein. In der Klagebegründung (und im Übrigen auch in der Replik) widmeten sie sich denn auch hauptsächlich diesem Thema. Die Beklagte hatte während des ganzen Verfahrens den Standpunkt vertreten, dass eine Vereinbarung über einen Rückschnitt bis zur Grenze zustande gekommen sei. Die Vertragsauslegung der Vorinstanz, der nun auch die Kammer folgt, war somit keineswegs neu überraschend. Vor diesem Hintergrund erscheint es als grobfahrlässig, dass die Kläger den eigenen Eventualstandpunkt betreffend Irrtum nicht bereits vor erster Instanz mit allen ihnen verfügbaren Beweismitteln untermauerten. Es ist auch weder ersichtlich noch näher dargetan, weshalb die Kläger auf die vorläufige Einschätzung des einstigen Vorderrichters hätten vertrauen dürfen. Der Emailverkehr zwischen den Klägern und ihrem Rechtsvertreter (Urk. 72/2-3) beziehungsweise die darauf gestützten neuen Tatsachenvorbringen sind daher nicht zu berücksichtigen.
Wie gesehen, hat die Vorinstanz taugliche Beweismittel nicht abgenommen. Es stellt sich somit die Frage einer diesbezüglichen Rückweisung des Verfahrens. Eine solche kann erfolgen, wenn der Sachverhalt in wesentlichen Teilen zu vervollständigen ist (Art. 318 Abs. 1 lit. c Ziff. 2 ZPO). Diese Gesetzesvorschrift stellt ihrem Wortlaut nach eine Kannvorschrift dar. Anstelle einer Rückweisung kann die Berufungsinstanz auch selber die nötigen Beweise abnehmen. Es ist dabei nach pflichtgemässem Ermessen eine Abwägung zwischen der Wahrung der Zweistufigkeit des Entscheidungsprozesses und der Prozessbeschleunigung zu treffen, wobei der Regelfall die neue Entscheidung des Berufungsgerichtes darstellt und die Rückweisung die Ausnahme bildet (ZK-Reetz/Hilber, Art. 318 ZPO N 25 f.). Vorliegend stellen sich je nach Ergebnis des Beweisverfahrens be-
treffend Irrtum allenfalls weitere Fragen beziehungsweise ist der Sachverhalt allenfalls weiter zu vervollständigen. So hat sich die Vorinstanz nicht dazu geäussert, ob die Voraussetzungen des gesetzlichen Kapprechts gegeben sind. Sie hat wohl auch noch nicht genügend abgeklärt, ob eine durch die überhängenden Äste verursachte Schädigung des beklagtischen Grundstücks vorliegt. Dazu wird gegebenenfalls ein Gutachten einzuholen sein. Es ist daher zur Wahrung der Zweistufigkeit des Entscheidungsprozesses angezeigt, den Prozess zur Ergänzung des Verfahrens und zu neuer Entscheidung an die erste Instanz zurückzuweisen.
Die Gerichtsgebühr für das Berufungsverfahren ist auf Fr. 3'500.festzusetzen. Es rechtfertigt sich, die Regelung der Prozesskosten des Berufungsverfahrens dem neuen Entscheid der Vorinstanz vorzubehalten; die Vorinstanz wird zusammen mit den vor ihr aufgelaufenen Prozesskosten nach Massgabe des (endgültigen) Verfahrensausgangs darüber zu entscheiden haben.
Es wird beschlossen:
Das Urteil des Einzelgerichts am Bezirksgericht Zürich, 2. Abteilung, vom
23. Mai 2013 wird aufgehoben und die Sache zur Ergänzung des Verfahrens und zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen.
Die Entscheidgebühr wird auf Fr. 3'500.festgesetzt.
Die Liquidierung der Prozesskosten des vorliegenden Berufungsverfahrens wird dem neuen Entscheid der Vorinstanz vorbehalten.
Es wird vorgemerkt, dass die Kläger einen Kostenvorschuss von Fr. 3'500.geleistet haben.
Schriftliche Mitteilung an die Parteien sowie an das Einzelgericht am Bezirksgericht Zürich, 2. Abteilung, je gegen Empfangsschein.
Nach unbenutztem Ablauf der Rechtsmittelfrist gehen die erstund zweitinstanzlichen Akten an die Vorinstanz.
Eine Beschwerde gegen diesen Entscheid an das Bundesgericht ist innert 30 Tagen von der Zustellung an beim Schweizerischen Bundesgericht, 1000 Lausanne 14, einzureichen. Zulässigkeit und Form einer solchen Beschwerde richten sich nach Art. 72 ff. (Beschwerde in Zivilsachen) Art. 113 ff. (subsidiäre Verfassungsbeschwerde) in Verbindung mit Art. 42 des Bundesgesetzes über das Bundesgericht (BGG).
Dies ist ein Zwischenentscheid im Sinne von Art. 93 BGG.
Es handelt sich um eine vermögensrechtliche Angelegenheit. Der Streitwert beträgt Fr. 25'000.-.
Die Beschwerde an das Bundesgericht hat keine aufschiebende Wirkung. Hinsichtlich des Fristenlaufs gelten die Art. 44 ff. BGG.
Zürich, 3. Oktober 2013
Obergericht des Kantons Zürich
Zivilkammer
Der Gerichtsschreiber:
lic. iur. H. Dubach versandt am:
mc
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