Zusammenfassung des Urteils NH220001: Obergericht des Kantons Zürich
Die geschiedenen Eltern von C., einem Kind, waren gemeinsam sorgeberechtigt, wobei das Kind nach der Scheidung bei der Mutter lebte. Die Mutter entführte das Kind ohne Zustimmung des Vaters von Deutschland in die Schweiz. Der Vater beantragte beim Obergericht des Kantons Zürich die Rückführung des Kindes nach Deutschland. Das Gericht entschied zugunsten des Vaters, da die Entführung des Kindes das Sorgerecht des Vaters verletzte. Die Mutter weigerte sich während des Verfahrens, am Gericht teilzunehmen. Das Gericht ordnete die Rückführung des Kindes an und legte die Kosten der Mutter auf.
Kanton: | ZH |
Fallnummer: | NH220001 |
Instanz: | Obergericht des Kantons Zürich |
Abteilung: | II. Zivilkammer |
Datum: | 05.07.2022 |
Rechtskraft: | - |
Leitsatz/Stichwort: | Rückführung eines Kindes |
Schlagwörter : | Rückführung; Deutschland; Beklagten; Kindes; Kanton; Kantons; Kläger; Klägers; BG-KKE; Recht; Jugend; Berufsberatung; Schweiz; Aufenthalt; Dispositiv-Ziffer; Sorge; Gericht; Verweigerung; Obergericht; Parteien; Verfahren; Sinne; Verfügung; Verweigerungsgr; Über; Rechtsanwältin; Sorgerecht; Kindsvertreterin; Rückführungsbegehren |
Rechtsnorm: | Art. 106 ZPO ;Art. 147 ZPO ;Art. 18 MWSTG ;Art. 254 ZPO ;Art. 292 StGB ;Art. 90 BGG ; |
Referenz BGE: | 130 III 533; 133 III 146; |
Kommentar: | Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017 |
Obergericht des Kantons Zürich
II. Zivilkammer
Geschäfts-Nr.: NH220001-O/U
Mitwirkend: Oberrichterin lic. iur. E. Lichti Aschwanden, Vorsitzende, Oberrichterin lic. iur. A. Strähl und Oberrichter Dr. iur. E. Pahud sowie Gerichtsschreiber MLaw B. Lakic
in Sachen
,
Kläger
vertreten durch Rechtsanwältin lic. iur. X1. und Rechtsanwältin MLaw X2. ,
gegen
,
Beklagte
sowie
,
Verfahrensbeteiligter
vertreten durch Rechtsanwältin lic. iur. Y. , betreffend Rückführung eines Kindes
Sachverhalt / Prozessgeschichte
Die Parteien sind die geschiedenen Eltern von C. , geboren am tt. mm. 2015. Sie lebten bis Anfang 2022 in der gleichen Ortschaft, in D. , in Deutschland. Gemäss den unbestritten gebliebenen Angaben des Klägers üben sie das Sorgerecht über C. gemeinsam aus (vgl. act. 4/5 Dispositiv-Ziffer 2). C. wohnte seit der Scheidung der Eltern vom tt. März 2019 bei der Beklagten, wobei der Kläger – gemäss eigenen Angaben – ein 14-tägiges Besuchsrecht ausübte.
Ende Januar/Anfang Februar 2022 reiste die Beklagte mit C. in die Schweiz, wo sie sich und C. am 7. Februar 2022 im Einwohnerregister der Gemeinde E. an der F. -strasse ... anmeldete (act. 5). Da dies ohne die Zustimmung des Klägers geschah, erstattete dieser bei der Thüringer Polizei Anzeige gegen die Beklagte wegen Entziehung von C. ; das Strafverfahren wurde mit Strafbefehl des Amtsgerichts Sonderhausen vom 12. Mai 2022 abgeschlossen (zum Ganzen act. 4/1-3). Zudem gelangte der Kläger am 14. März 2022 an die deutsche Zentralbehörde und stellte einen Antrag auf Rückführung von C. (act. 19/7; vgl. auch act. 4/4).
Mit Beschluss vom 17. Mai 2022 übertrug das Amtsgericht Sonderhausen dem Kläger im Sinne einer einstweiligen Anordnung das Aufenthaltsbestimmungsrecht für C. zur alleinigen Ausübung, wobei die gemeinschaftliche elterliche Sorge beibehalten wurde (act. 4/5).
Mit Eingabe vom 22. Juni 2022 (Datum Poststempel) stellte der Kläger beim Obergericht des Kantons Zürich ein Begehren um Rückführung von C. nach Deutschland (act. 2). Mit Verfügung vom 23. Juni 2022 wurde C. in der Person von Rechtsanwältin lic. iur. Y. eine Kindsvertreterin bestellt. Neben gewissen prozessualen Anordnungen wurde der Beklagten Frist angesetzt, um eine allfällige Stellungnahme zum Rückführungsgesuch einzureichen. Es wur- de der Einzug der Reisedokumente der Beklagten und von C. sowie die
Ausschreibung beider im automatisierten Polizeifahndungssystem RIPOL und SIS angeordnet. Die Beklagte wurde unter Strafandrohung angewiesen, sich jeweils am Montag, Mittwoch und Freitag mit C. bei der Kantonspolizeistation
G. Bahnhof zu melden (act. 7). Die Verfügung wurde der Beklagten samt Beilagen am 23. Juni 2022 polizeilich zugestellt (act. 12)
Mit Eingabe vom 24. Juni 2022 (Datum Poststempel, hierorts eingegangen am 27. Juni 2022) gelangte die Beklagte – unter Rücksendung sämtlicher ihr zugesandter Urkunden – ans Obergericht (act. 10 und act. 11/1-4). Darauf wurden ihr mit Schreiben der Vorsitzenden vom 27. Juni 2022 unter anderem die Säum- nisfolgen dargelegt, falls sie nicht zur Verhandlung vom 4. und 5. Juli 2022 erscheinen sollte. Zudem wurde sie darauf hingewiesen, dass anlässlich der Verhandlung versucht werde, zwischen den Parteien eine Einigung zu erzielen
(act. 15). Gleichentags wurden den Parteien sowie der Kindsvertreterin die Vorla- dungen zur Anhörung und Verhandlung auf den 4. und 5. Juli 2022 – unter Hinweis auf die Säumnisfolgen – verschickt (act. 14/1-4).
Der Kläger reichte mit Eingabe vom 29. Juni 2022 weitere Unterlagen ein (act. 18 und 19/1-7).
Am 4. Juli 2022 fand die Verhandlung über das Rückführungsbegehren statt. Der Kläger wurde angehört (Prot. S. 8 ff.); die Beklagte verliess den Gerichtssaal während der Anhörung des Klägers – da sie die Legitimation des Gerichts nicht akzeptieren konnte – und weigerte sich in der Folge, in den Gerichtssaal zurückzukehren (Prot. S. 12, 18 und 24). Die Rechtsvertreterin des Klägers und die Kindsvertreterin erstatteten ihre Stellungnahmen zu den bisherigen Vorbringen sowie zur Anhörung des Klägers. Vergleichsgespräche konnten keine geführt werden.
Auf eine Anhörung von C. im Sinne von Art. 9 Abs. 2 BG-KKE wur- de aufgrund seines Alters verzichtet (vgl. BGE 133 III 146 E. 2.6).
Das Verfahren ist spruchreif. Auf die Vorbringen der Parteien ist nachfolgend einzugehen, soweit das erforderlich ist.
Prozessuales
Der Kläger stützt sein Rückführungsbegehren auf das Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung vom 25. Oktober 1980 (HKÜ). Sowohl Deutschland als auch die Schweiz sind Vertragsstaaten dieses Übereinkommens (www.hcch.net). Ziel des Abkommens ist es, die sofortige Rückgabe widerrechtlich in einen Vertragsstaat verbrachter dort zurückgehaltener Kinder sicherzustellen (Art. 1 lit. a HKÜ). Beweispflichtig für das Vorliegen der Voraussetzungen der Rückführung ist, wer diese verlangt; das ist vorliegend der Kläger.
Der am tt. mm. 2015 geborene C. ist noch nicht 16-jährig und fällt somit in den Anwendungsbereich des HKÜ (Art. 4 2. Satz HKÜ).
Zuständig für die Beurteilung von Rückführungsgesuchen ist als einzige Instanz das obere Gericht des Kantons, in dem sich das Kind im Zeitpunkt der Einreichung des Gesuches aufhält (Art. 7 Abs. 1 BG-KKE). Vorliegend bewohnte C. im Zeitpunkt der Gesuchseinreichung mit der Beklagten eine Wohnung in E. , Zürich. Das Obergericht des Kantons Zürich ist folglich örtlich und sachlich für das Rückführungsbegehren zuständig. Es entscheidet in einem summarischen Verfahren (Art. 8 Abs. 2 BG-KKE). Es gelten somit die Regeln der
Art. 252 ff. ZPO, es gilt das Beweismass des Glaubhaftmachens, Beweise sind primär durch Urkunden zu erbringen (vgl. Art. 254 Abs. 1 ZPO) und es sind die Parteien wenn möglich persönlich anzuhören (vgl. Art. 9 Abs. 1 BG-KKE).
Da die Beklagte den Gerichtssaal während der Verhandlung verliess und auch nicht mehr zurückkehrte (Prot. S. 12, 18, 24), fehlt eine Stellungnahme ihrerseits zum Rückführungsbegehren, zumal sie in der Eingabe vom 24. Juni 2022 (act. 10) nicht zum Rückführungsbegehren des Klägers Stellung nahm, sondern die Legitimation des Obergerichts und der zuständigen Oberrichter als entschei- dende Instanz in Zweifel zog. Androhungsgemäss ist deshalb aufgrund der Akten zu entscheiden (Art. 8 Abs. 2 BG-KKE i.V.m. Art. 219 und Art. 147 Abs. 2 ZPO; vgl. act. 14/1-2). Der Kläger wurde wie erwähnt angehört (vgl. oben E. I. 3.); eine
formelle Anhörung der Beklagten war aufgrund der Umstände nicht möglich. Weitere Befragungen Beweisaussagen erübrigen sich.
Zur Sache
Vorbemerkung
Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist das Rückführungsbegehren des Klägers; es geht weder um die Zuteilung der Obhut der elterlichen Sorge noch um die Regelung des Kontakts zwischen C. und den Eltern. Es ist somit nicht abzuklären bzw. darüber zu entscheiden, ob es für C. besser wäre, in der Schweiz bei der Beklagten in Deutschland beim Kläger aufzuwachsen. Alleiniges Thema des Rückführungsprozesses ist die Prüfung der Voraussetzungen für die Rückführung – namentlich das widerrechtliche Verbringen Zurückbehalten im Sinne von Art. 3 HKÜ. Sind die Voraussetzungen gemäss Art. 3 HKÜ erfüllt, ist die Rückführung grundsätzlich anzuordnen (Art. 12 Abs. 1 HKÜ), soweit nicht ein Ausschlussgrund vorliegt (vgl. insbesondere Art. 13 Abs. 1 sowie Abs. 2 HKÜ).
Es ist unbestritten geblieben, dass die Beklagte mit C. ohne Zustimmung des Klägers Ende Januar/Anfang Februar 2022 von D. , Deutschland, in die Schweiz reiste und sich am 7. Februar 2022 in E. anmeldete. Seither wohnt sie dort (act. 4/3 S. 1, Prot. S. 15 f.). Der Kläger hat das vorliegend zu beurteilende Rückführungsgesuch am 22. Juni 2022 eingereicht (act. 2). Damit ist die Jahresfrist gemäss Art. 12 Abs. 1 HKÜ gewahrt.
Gewöhnlicher Aufenthalt
Der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes in einem Vertragsstaat ist nach Art. 4 HKÜ eine Voraussetzung für die Anwendbarkeit des Übereinkommens, und der gewöhnliche Aufenthalt im Herkunftsstaat ist gemäss Art. 3 Abs. 1 lit. a HKÜ eine Rückführungsvoraussetzung (BGer 5A_764/2009 vom 11. Januar 2010 E. 2.1). Bevor C. in die Schweiz kam, hatte er unbestrittenermassen seinen gewöhnlichen Aufenthalt in D. in Deutschland (act. 2 Rz. 16). Der gewöhnliche Aufenthalt von C. befand sich demnach in einem Vertragsstaat.
Verletzung des Sorgerechts
Voraussetzung für die Rückführung eines Kindes in sein früheres Aufenthaltsland ist, dass es widerrechtlich in einen anderen Vertragsstaat verbracht dort zurückgehalten wird. Das Verbringen Zurückhalten ist dann widerrechtlich, wenn dadurch das Sorgerecht verletzt wird, das einer Person, Behörde sonstigen Stelle allein gemeinsam nach dem Recht des Staates zusteht, in dem das Kind unmittelbar vor dem Verbringen Zurückhalten seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte (Art. 3 lit. a HKÜ).
Es ist unbestritten geblieben, dass den Parteien die elterliche Sorge gemeinsam zusteht (act. 2 Rz. 5, act. 20 Rz. 2; vgl. auch act. 4/5 Dispositiv-Ziffer 1). Dass dem Kläger mit Beschluss des Amtsgerichts Sondershausen vom 17. Mai 2022 in der Zwischenzeit, nach der Ausreise der Beklagten mit C. aus Deutschland, im Sinne einer vorsorglichen Massnahme das Aufenthaltsbestimmungsrecht alleine übertragen wurde, ist vorliegend nicht relevant.
Das Sorgerecht muss einem Elternteil nicht nur rechtlich zustehen, son- dern dieser muss es im massgeblichen Zeitraum auch tatsächlich ausgeübt haben (Art. 3 Abs. 1 lit. b HKÜ). Es genügt dabei regelmässig, wenn sich ein Sorgerechtsinhaber um die Rückgabe des Kindes bemüht und regelmässigen Kontakt mit ihm hatte, beispielsweise im Rahmen eines Besuchsrechts (vgl. BGer 5A_840/2011 vom 13. Januar 2012 E. 2.3).
Gemäss Aussagen des Klägers habe er seit der Scheidung C. alle 14 Tage für das Wochenende zu sich genommen (act. 2 Rz. 5, Prot. S. 11 ff.). Der Kläger widersprach seinerseits der Darstellung der Beklagten, die sie anlässlich eines Telefonats mit der Vorsitzenden und gegenüber der Polizei dahingehend geäussert hatte, dass der Kläger C. geschlagen und sich nicht um ihn gekümmert habe (Prot. S. 21). Der Kläger führte dazu aus, C. habe sich bei ihm an Regeln halten müssen, aber er habe seinen Sohn noch nie geschlagen (Prot. S. 21). Auch der (lediglich pauschal gehaltene) Vorwurf der Beklagten, der Kläger habe sich nicht um C. gekümmert, wird durch die glaubhafte Darstellung des Klägers, der in der Anhörung seine mit C. unternommenen Aktivitäten schilderte, entkräftet (Prot. S. 19 oben).
Indem C. widerrechtlich in die Schweiz verbracht wurde, ist die Voraussetzung nach Art. 3 Abs. 1 lit. b HKÜ ohne Weiteres gegeben.
Verweigerungsgrund nach Art. 13 Abs. 1 lit. a HKÜ
Auch bei gegebenen Rückführungsvoraussetzungen ist eine Rückführung dann nicht anzuordnen, wenn die Beklagte glaubhaft machen kann, dass der Kläger das Sorgerecht zur Zeit des Verbringens tatsächlich nicht ausgeübt, dem Verbringen zugestimmt dieses nachträglich genehmigt hat (Art. 13 Abs. 1 lit. a HKÜ).
Wie dargelegt ist davon auszugehen, dass der Kläger das Sorgerecht tatsächlich ausgeübt hat (vgl. E. III.3.2.). Ferner macht die Beklagte nicht geltend, der Kläger habe dem Verbringen zugestimmt resp. dieses nachträglich genehmigt. Der Kläger ist nach wie vor nicht einverstanden, dass C. in der Schweiz verbleibt. Ein Verweigerungsgrund nach Art. 13 Abs. 1 lit. a HKÜ liegt damit nicht vor.
Verweigerungsgrund nach Art. 13 Abs. 1 lit. b HKÜ
Nach Art. 13 Abs. 1 lit. b HKÜ ist das Gericht des ersuchten Staates nicht verpflichtet, die Rückgabe des Kindes anzuordnen, wenn sie mit der schwerwiegenden Gefahr eines körperlichen seelischen Schadens für das Kind verbunden ist das Kind auf eine andere Weise in eine unzumutbare Lage bringt. Der Verweigerungsgrund wird in Art. 5 BG-KKE konkretisiert: Demnach bringt die Rückführung das Kind insbesondere dann in eine unzumutbare Lage, wenn der entführende Elternteil unter Würdigung der gesamten Umstände nicht in der Lage ist es ihm offensichtlich nicht zugemutet werden kann, das Kind im Staat zu betreuen, in dem es vor der Entführung den gewöhnlichen Aufenthalt hatte (Art. 5 lit. b BG-KKE), und die Unterbringung beim anderen Elternteil bei Drittperso- nen offensichtlich nicht dem Wohl des Kindes entspricht (Art. 5 lit. a BG-KKE).
Da C. nicht bei einer Drittperson untergebracht ist, ist auf den Verweigerungsgrund von Art. 5 lit. c HKÜ an dieser Stelle nicht einzugehen.
Die Verweigerungsgründe sind von der Partei, die sich darauf stützt, anhand substantiiert vorgetragener Anhaltspunkte objektiv glaubhaft zu machen. Die Beklagte hat sich nicht zur Sache und entsprechend auch nicht zu allfälligen Verweigerungsgründen gemäss Art. 13 Abs. 1 lit. b HKÜ bzw. Art. 5 BG-KKE geäussert. Die von ihr anlässlich des Telefonats mit der Vorsitzenden aufgeworfenen Anschuldigungen, der Kläger habe C. geschlagen, sind zu pauschal gehalten und wurden ausserdem vom Kläger glaubhaft bestritten (Prot. S. 21).
Auch die Kindsvertreterin brachte nichts vor, was eine Verweigerung der Rückführung im Sinne von Art. 13 Abs. 1 lit. b HKÜ resp. Art. 5 BG-KKE rechtfertigten würde. Dass sich C. innert kurzer Zeit in seiner neuen Umgebung und in der Schule gut eingelebt hat, dass er dort Freunde hat und sich mit dem (neuen) Lebenspartner der Beklagten gut versteht, ist zwar erfreulich (vgl. Prot.
S. 22); dies alleine rechtfertigt allerdings eine Verweigerung der Rückführung nicht, zumal nicht erkennbar ist, inwiefern dies in Deutschland anders sein soll. Es darf angenommen werden, dass sich C. auch in Deutschland wieder schnell einleben und den Anschluss in seinem gewohnten Umfeld rasch finden wird. Mit der Kindsvertreterin ist davon auszugehen, dass das Rückführungsverfahren und ein mögliches Verfahren betreffend Aufenthaltsbestimmungsrecht in Deutschland für die Beklagte eine Stresssituation verursacht (Prot. S. 22). Es ist – auch wenn dies wünschenswert wäre – nicht auszuschliessen, dass C. dies mitbekommt und es ihn belasten wird. Allerdings ist daran zu erinnern, dass die Ausschlussgründe eng auszulegen und bei Art. 13 Abs. 1 lit. b HKÜ lediglich schwerwiegende und konkrete Gefahren für das Kind zu berücksichtigen sind, zum Beispiel bei einer Rückführung in ein Kriegsoder Seuchengebiet, aber auch wenn ernsthaft zu befürchten ist, dass das Kind nach der Rückgabe misshandelt missbraucht wird und nicht zu erwarten ist, dass die zuständigen Behörden des Herkunftsstaates gegen die Gefährdung erfolgreich einschreiten (vgl. BGer 5A_576/2018 vom 31. Juli 2018 E. 5.1 und BGer 5A_293/2016 vom 8. August 2016 E. 5.3 je m.w.H.). Mit solchen Gefahren sieht sich C. bei einer Rückführung in keiner Weise konfrontiert. Darüber hinaus kann davon ausgegangen werden, dass die Beklagte – unabhängig vom Ausgang des vorliegenden Verfahrens – einem Verfahren betreffend Aufenthaltsbestimmungsrecht ausgesetzt wäre. Die schwerwiegende Gefahr eines körperlichen seelischen Schadens für C. bei einer Rückführung ist folglich zu verneinen.
Weitere Verweigerungsgründe gemäss dem HKÜ resp. dem BG-KKE wurden weder geltend gemacht noch sind solche ersichtlich.
Zusammenfassend sind die Voraussetzungen für die Rückführung von C. nach Deutschland gegeben. Das Rückführungsbegehren ist gutzuheissen und C. s Rückführung nach Deutschland anzuordnen.
Vollstreckung
Im Bestreben, weitere Rechtsstreitigkeiten im Vollstreckungsverfahren zu verhindern, hat der Bundesgesetzgeber vorgeschrieben, dass bereits der Sachentscheid Vollstreckungsanordnungen treffen soll (Art. 11 Abs. 1 BG-KKE; vgl. bereits BGE 130 III 533 f.). Die Einzelheiten der Vollstreckung sind auf eine Weise zu regeln, die kein neues Gerichtsverfahren betreffend die Vollstreckung verlangt (vgl. BBl 2007 2595 S. 2627).
Der Kläger beantragt in seinen Schlussanträgen, es sei ihm C. durch die Kantonspolizei zur unverzüglichen Rückführung nach Deutschland zu übergeben (act. 20 Ziff. 1 Abs. 2). Dazu ist festzuhalten, dass auch nach Darstellung des Klägers die Beklagte die Hauptbezugsperson von C. ist und sie sich bisher hauptsächlich um dessen Betreuung gekümmert hat. Dies war vor der Ausreise der Beklagten mit C. in die Schweiz so und ist es seither erst recht. Ein abruptes Herausreissen aus der derzeitigen Betreuungssituation wäre dem Kindeswohl abträglich. C. besucht sodann die Schule in E. , und es soll ihm ermöglicht werden, das Schuljahr hier zu beenden, zumal das Schulende bereits in zwei Wochen ansteht. Die Beklagte erhält damit Zeit und Gelegenheit, die Rückkehr von C. vorzubereiten und mit C. nach Deutschland zurückzukehren, um das dortige familienrechtliche Verfahren gegebenenfalls
fortzusetzen. Zuständig für die Vollstreckung von Kindesrückführungen ist das Amt für Jugend und Berufsberatung des Kantons Zürich (Ziff. I. 4. Beschluss des Regierungsrates vom
1. Juli 2009 zur Inkraftsetzung des Bundesgesetzes über internationale Kindesentführung und der Haager Übereinkommen zum Schutz von Kindern und Erwachsenen). Die Vollzugsbehörde ist anzuweisen, die Rückführung von C. nach Deutschland unter Mitwirkung der Beklagten zu organisieren und die Beklagte und C. bis zur Landesgrenze zu begleiten. Die Rückkehr nach Deutschland soll bis spätestens Montag, 25. Juli 2022, erfolgen und ist vom Amt für Jugend und Berufsberatung dem Obergericht und den zuständigen Behörden mitzuteilen.
Für den Fall, dass eine Rückreise nach Deutschland bis am 25. Juli 2022 nicht erfolgen kann, ist das Amt für Jugend und Berufsberatung zu beauftragen, die angeordnete Rückführung zwangsweise zu vollstrecken und C. in die Obhut des Klägers zu geben.
Die sich beim Obergericht befindenden Originaldokumente – es handelt sich um einen Personalausweis und um den Truppenausweis der Beklagten – sind mit dem vorliegenden Entscheid dem Amt für Jugend und Berufsberatung zu übergeben. Ausweise Reisedokumente für C. konnten keine erhältlich gemacht werden, weshalb auch eine Aushändigung – wie vom Kläger beantragt (act. 20 S. 2 Ziff. 3 Abs. 1) – nicht angeordnet werden kann.
Die mit Verfügung vom 23. Juni 2022 angeordnete Meldepflicht gemäss Dispositiv-Ziffer 6 ist aufrechtzuerhalten, soweit das Amt für Jugend und Berufsberatung keine anderslautenden Anordnungen trifft. Sie fällt mit dem Vollzug der Rückführung dahin. Auch das der Beklagten mit Verfügung vom 23. Juni 2022 auferlegte Verbot, C. aus dem Kanton Zürich wegzubringen wegbringen zu lassen, gilt weiter; davon ausgenommen ist die Rückreise nach Deutschland in Nachachtung des vorliegenden Rückführungsentscheids. Die Ausschreibung der Beklagten im RIPOL und im SIS gemäss den Dispositiv-Ziffern 7 und 8 der genannten Verfügung sind erst nach erfolgter Ausreise des Kindes zu widerrufen.
Kosten- und Entschädigungsfolgen
Für Rückführungsgesuche gestützt auf das HKÜ ist weitgehende Kostenlosigkeit vorgesehen (Art. 26 Abs. 1 HKÜ). Gemäss Art. 14 BG-KKE ist Art. 26 HKÜ auch auf das Gerichtsverfahren anwendbar, was sich im Übrigen auch schon aus dem Wortlaut von Art. 26 Abs. 3 HKÜ ergibt. Deutschland hat einen Vorbehalt i.S.v. Art. 26 Abs. 3 HKÜ angebracht (vgl. www.hcch.net > de > instruments > conventions > 28 ; letztmals besucht am 4. Juli 2022). Die Schweiz wen- det daher das Gegenseitigkeitsprinzip an und garantiert die Kostenlosigkeit (gleich wie Deutschland) nur im Rahmen der unentgeltlichen Rechtspflege nach dem innerstaatlichen Recht (vgl. BGer 5A_822/2013 vom 28. November 2013
E. 4.1).
Die Gerichtskosten, zu welchen auch die Kosten der Kindsvertreterin gehören, sind ausgangsgemäss der unterliegenden Beklagten aufzuerlegen
(Art. 106 Abs. 1 ZPO). Ferner hat die Beklagte (allfällige) Kosten der Rückgabe von C. und die Kosten der Rechtsvertreterin des Klägers antragsgemäss zu entschädigen (Art. 26 Abs. 4 HKÜ und Art. 95 Abs. 3 lit. b ZPO). Eine darüberhinausgehende Entschädigung an den Kläger für dessen Reisekosten im Zusammenhang mit dem Rückführungsverfahren (vgl. act. 20 Rz. 8) ist mangels Substantiierung nicht zuzusprechen.
Die Grundlage der Gebührenfestsetzung bilden der Streitwert bzw. das tatsächliche Streitinteresse, der Zeitaufwand des Gerichts und die Schwierigkeit des Falls (§ 2 Abs. 1 GebV OG). Dem tragen die Tarife gemäss §§ 4 ff. GebV OG Rechnung. In Anwendung von § 12 Abs. 1 und 2 i.V.m. § 5 Abs. 1, § 8 Abs. 1 und
§ 10 Abs. 1 GebV OG ist die Entscheidgebühr auf Fr. 1'000.– festzusetzen.
Über die Entschädigung der Kindsvertreterin wird in einem separaten Beschluss entschieden. Rechtsanwältin lic. iur. Y. wird ersucht, der Kammer ihre Kostennote einzureichen.
Die Parteientschädigung für den Kläger ist nach § 5 Abs. 1 i.V.m.
§ 9 AnwGebV festzusetzen. Bei der Bemessung der Entschädigung ist von einem mittelschweren Fall i.S. des § 5 Abs. 1 AnwGebV auszugehen (rechtlich einfach,
hingegen tatsächlich nicht; erhebliche Verantwortung). Dies führt zu einer Grundgebühr von rund Fr. 8'000.–, die gemäss § 9 AnwGebV auf Fr. 1'600.– herabzusetzen ist. Für die Verhandlungen vom 4. und 5. Juli 2022 sind sodann Zuschläge von insgesamt 100 % geschuldet, was zu einer Entschädigung von insgesamt
Fr. 3'200.– führt. Ein Mehrwertsteuerzuschlag ist dabei nicht zuzusprechen, weil der Wohnsitz des Klägers als Empfänger der juristischen Dienstleistung im Ausland liegt (vgl. Art. 1 Abs. 2 i.V.m. Art. 8 Abs. 1 und Art. 18 Abs. 1 MWSTG).
Es wird die Rückführung des Kindes C. , geb. tt. mm. 2015, nach Deutschland angeordnet.
Das Amt für Jugend und Berufsberatung des Kantons Zürich wird als Vollzugsbehörde angewiesen, unter Mitwirkung der Beklagten die Rückführung von C. nach Deutschland zu organisieren und bis spätestens 25. Juli 2022 durchzuführen.
Die Reisedokumente der Beklagten (Personalausweis und Truppenausweis) werden dem Amt für Jugend und Berufsberatung übergeben.
Für den Fall, dass die Beklagte C. nach Deutschland zurückführt, ist sie von der Kantonspolizei Zürich, zu deren Beizug das Amt für Jugend und Berufsberatung ermächtigt ist, bis zur Landesgrenze zu begleiten. Das Amt für Jugend und Berufsberatung wird angewiesen,
der Beklagten die Reisedokumente erst an der Grenze vor ihrer Einreise nach Deutschland aushändigen zu lassen;
der Kantonspolizei Zürich, dem Obergericht des Kantons Zürich, II. Zivilkammer, und dem Bundesamt für Justiz, Dienste für internationale Kindesentführungen, zu Handen der deutschen Zentralbehörde, den genauen Zeitpunkt der Übergabe der Reisedokumente sowie den Reiseplan (den genauen Zeitpunkt der Ausreise aus der Schweiz sowie die Ankunftszeit am Bestimmungsort in Deutschland) mitzuteilen.
Für den Fall, dass sich C. nach dem 25. Juli 2022 weiterhin in der Schweiz aufhält, wird das Amt für Jugend und Berufsberatung damit beauftragt, den Rückführungsentscheid gemäss Dispositiv-Ziffer 1 zwangsweise zu vollstrecken und C. in die Obhut des Klägers zu geben. Das Amt für Jugend und Berufsberatung des Kantons Zürich wird ersucht, der Kammer vom erfolgten Zwangsvollzug unverzüglich Mitteilung zu machen.
Der Beklagten bleibt bis zum Vollzug der Rückführung unter Androhung der Bestrafung wegen Ungehorsams gegen eine amtliche Verfügung im Sinne von Art. 292 StGB (Bestrafung mit Busse bis Fr. 10'000.–) im Widerhandlungsfall verboten, C. aus dem Kanton Zürich wegzubringen wegbringen zu lassen, ausgenommen für die Rückreise nach Deutschland im Sinne der Dispositiv-Ziffern 2 und 4.
Die Meldepflicht der Beklagten gemäss Dispositiv-Ziffer 6 der Verfügung vom 23. Juni 2022 bleibt bis zu einer anderslautenden Anweisung des Amtes für Jugend und Berufsberatung aufrecht erhalten. Die Meldepflicht fällt mit dem Vollzug der Rückführung dahin.
Die mit Verfügung vom 23. Juni 2022, Dispositiv-Ziffern 7 und 8, angeordnete Ausschreibung im RIPOL und SIS wird bis zur Ausreise gemäss der vorstehenden Dispositiv-Ziffer 4 bis zur Zwangsvollstreckung gemäss der vorstehenden Dispositiv-Ziffer 5 aufrechterhalten. Die Kantonspolizei Zürich wird angewiesen, die Ausschreibung im RIPOL und SIS nach erfolgter Ausreise des Kindes unverzüglich zu widerrufen.
Die Entscheidgebühr wird auf Fr. 1'000.– festgesetzt. Hinzu kommen die Kosten für die Vertretung des Kindes durch Rechtsanwältin lic. iur. Y. .
Die Kosten dieses Verfahrens (Entscheidgebühr und Entschädigung der Kindsvertretung) sowie die Kosten der Rückreise von C. werden voll- umfänglich der Beklagten auferlegt.
Über die Kosten für die Kindesvertreterin wird in einem separaten Beschluss entschieden. Rechtsanwältin lic. iur. Y. wird ersucht, der Kammer ihre Kostennote einzureichen.
Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger eine Parteientschädigung von Fr. 3'200.– zu bezahlen.
Mündliche Eröffnung und schriftliche Mitteilung durch Übergabe dieses Entscheides an die Parteien und an die Kindesvertreterin, sowie je gegen Empfangsschein an das Bundesamt für Justiz, Dienste für internationale Kindesentführungen, Bundesrain 20, 3003 Bern, das Staatssekretariat für Migration, 3003 Bern, das Amt für Jugend und Berufsberatung des Kantons Zürich (AJB) unter Beilage der Originale des Personalausweises und des Truppenausweises gemäss act. 9 und die Kantonspolizei Zürich.
Eine Beschwerde gegen diesen Entscheid an das Bundesgericht ist innert 10 Tagen von der mündlichen Eröffnung an beim Schweizerischen Bundesgericht, 1000 Lausanne 14, einzureichen. Zulässigkeit und Form einer solchen Beschwerde richten sich nach Art. 72 ff. (Beschwerde in Zivilsachen) Art. 113 ff. (subsidiäre Verfassungsbeschwerde) in Verbindung mit Art. 42 des Bundesgesetzes über das Bundesgericht (BGG).
Dies ist ein Endentscheid im Sinne von Art. 90 BGG.
Es handelt sich um eine nicht vermögensrechtliche Angelegenheit.
Die Beschwerde an das Bundesgericht hat keine aufschiebende Wirkung.
Obergericht des Kantons Zürich
II. Zivilkammer
Die Vorsitzende:
lic. iur. E. Lichti Aschwanden
Der Gerichtsschreiber:
MLaw B. Lakic
versandt / übergeben am:
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