Zusammenfassung des Urteils NE220002: Obergericht des Kantons Zürich
In dem Gerichtsverfahren vor dem Obergericht des Kantons Zürich ging es um eine negative Feststellungsklage, bei der der Kläger feststellen lassen wollte, dass er nicht Schuldner bestimmter Betreibungen ist und dass diese Verfahren unrechtmässig eingeleitet wurden. Die Vorinstanz setzte einen Kostenvorschuss fest, den der Kläger nicht bezahlte, woraufhin die Vorinstanz auf die Klage nicht eingetreten ist. Der Kläger legte Berufung ein und argumentierte unter anderem, dass die Festsetzung des Kostenvorschusses zu hoch war und gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstiess. Das Obergericht hob den Nichteintretensentscheid auf und wies die Sache zur weiteren Behandlung an die Vorinstanz zurück. Die Kosten für das Berufungsverfahren fielen aus, da der Beklagten keine Kosten auferlegt werden durften.
Kanton: | ZH |
Fallnummer: | NE220002 |
Instanz: | Obergericht des Kantons Zürich |
Abteilung: | II. Zivilkammer |
Datum: | 06.09.2022 |
Rechtskraft: | - |
Leitsatz/Stichwort: | Negative Feststellungsklage |
Schlagwörter : | Berufung; Verfügung; Berufungskläger; Vorinstanz; Recht; Kostenvorschuss; Frist; Entscheid; Klage; Streitwert; Betrag; Kostenvorschusses; Verfahren; Feststellungsklage; Nichteintreten; Berufungsbeklagte; Bezirksgericht; Nichteintretens; Rechtsmittel; Betreibung; Eingabe; Endentscheid; Fristansetzung; Gericht; Wiederherstellung; Berufungsverfahren; Meilen; Zinsen; Entscheidgebühr; Berufungsklägers |
Rechtsnorm: | Art. 101 ZPO ;Art. 103 ZPO ;Art. 106 ZPO ;Art. 116 ZPO ;Art. 148 ZPO ;Art. 241 ZPO ;Art. 3 ZPO ;Art. 308 ZPO ;Art. 311 ZPO ;Art. 52 ZPO ;Art. 93 BGG ; |
Referenz BGE: | - |
Kommentar: | Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017 |
Obergericht des Kantons Zürich
Zivilkammer
Geschäfts-Nr.: NE220002-O/U
Mitwirkend: Oberrichterin lic. iur. E. Lichti Aschwanden, Vorsitzende, Oberrichterin lic. iur. M. Stammbach und Oberrichterin lic. iur.
Strähl sowie Gerichtsschreiber Dr. M. Tanner
Verfügung und Urteil vom 6. September 2022
in Sachen
,
Kläger und Berufungskläger
gegen
Beklagte und Berufungsbeklagte
vertreten durch Eidgenössische Finanzverwaltung, betreffend negative Feststellungsklage
Rechtsbegehren:
Es sei festzustellen, dass der Beschwerdeführer nicht Schuldner der mit Betreibungen Nr. 1, Nr. 2, Nr. 3, Nr. 4, 5 und 6 des Betreibungsamtes Küsnacht-Zollikon-Zumikon betriebenen Forderungen im Umfange von CHF 34'838.60, CHF 500.–,
CHF 3'877'760.–, CHF 3'000.–, CHF 800.– und CHF 25'800.–
nebst Zinsen und Kosten ist.
Es sei sodann festzustellen, dass die Betreibungsverfahren ungerechtfertigterweise eingeleitet worden sind, weshalb Nichtigkeit besteht bzw. die Aufhebung derselbigen zu erklären ist.
Das Betreibungsamt Küsnacht-Zollikon-Zumikon sei anzuweisen, die Registereinträge zu löschen resp. diese keinem Dritten mitzuteilen.
Alles unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zu Lasten der Beschwerdegegnerin.
Verfügung des Einzelgerichtes:
Mit Bezug auf einen Betrag von CHF 3'877'260.– nebst Zinsen und Kosten wird das Verfahren als durch Rückzug der Klage erledigt abgeschrieben. Im darüber hinausgehenden Umfang wird auf die Klage nicht eingetreten.
Die Entscheidgebühr wird festgesetzt auf CHF 3'000.–.
Die Gerichtskosten werden dem Kläger auferlegt.
Es wird davon Vormerk genommen, dass die Beklagte keine Parteientschä- digung verlangt hat.
[Mitteilungen]
[Rechtsmittel]
Berufungsanträge:
des Berufungsklägers (act. 14 S. 2):
1. Mir sei die unentgeltliche Rechtspflege zu gewaehren.
Das Urteil des Bezirksgericht Meilen vom 1.6.22 sei aufzuheben und die Beschwerdegegnerin I sei anzuweisen, auf meine Negative Feststellungsklage ueber einen Teilbetrag von CHF 35'838.60 einzutreten.
Eventualiter sei die Angelegenheit an das Bezirksgericht Meilen zur Neube- urteilung unter Beruecksichtigung der vorliegenden Beweismittel zum Ausfaellen einer rechts- und faktenbasierten Verfuegung zurueckzuweisen.
Saemtliche Kosten gehen zulasten der Beschwerdegegnerin II.
Erwägungen:
Ausgangslage und Verfahrensverlauf
A. (Berufungskläger) ist Schuldner verschiedener Betreibungen, welche beim Betreibungsamt Küsnacht-Zollikon-Zumikon eingeleitet worden sind. Gläubigerin in der Betreibung Nr. 6 ist die Schweizerische Eidgenossenschaft (Berufungsbeklagte; act. 2/2/3). Mit zwei separaten als negative Feststellungsklagen bezeichneten und gegen die Berufungsbeklagte gerichteten Eingaben wandte sich der Berufungskläger am 26. Februar 2022 an das Bezirksgericht Meilen
(act. 2/1) mit den vorstehend im einzelnen aufgeführten Rechtsbegehren. Das Bezirksgericht nahm die Rechtsbegehren 2 und 3 als betreibungsrechtliche Beschwerde entgegen und eröffnete ein Aufsichtsbeschwerdeverfahren (Geschäfts- Nr. CB220003-G). Mit Urteil vom 11. März 2022 wies das Bezirksgericht die Beschwerde ab (act. 1 = act. 2/3) und leitete die Eingabe des Berufungsklägers hinsichtlich des Rechtsbegehrens 1 an das zuständige Einzelgericht zur Beurteilung weiter (a.a.O. S. 7). Darauf wurde ein Verfahren betreffend negative Feststellungsklage vor dem Einzelgericht im ordentlichen Verfahren (Vorinstanz) eröffnet (Geschäfts-Nr. FO220001-G). Ausgehend von einem Streitwert von insgesamt Fr. 3'942'699.– verpflichtete die Vorinstanz den Berufungskläger mit Verfügung vom 19. April 2022 zur Leistung eines Kostenvorschusses von Fr. 60'200.–
(act. 3). Mit einer ebenfalls vom 19. April 2022 datierten Eingabe teilte der Berufungskläger der Vorinstanz mit, er reduziere die negative Feststellungsklage auf den Betrag von Fr. 35'838.60 (act. 6). Den ihm mit Verfügung vom 19. April 2022 auferlegten Kostenvorschuss bezahlte der Berufungskläger nicht, worauf ihm die Vorinstanz mit Verfügung vom 3. Mai 2022 eine Nachfrist von 5 Tagen ansetzte, unter der Androhung, dass im Säumnisfall auf die Klage nicht eingetreten würde (act. 8). Diese Verfügung konnte dem Berufungskläger nicht zugestellt werden;
sie wurde – als Gerichtsurkunde verschickt – von ihm innert der siebentägigen Abholungsfrist nicht auf der Post abgeholt (act. 10). Innert der Nachfrist wurde der Kostenvorschuss nicht bezahlt. Mit Verfügung vom 1. Juni 2022 trat die Vorinstanz auf die negative Feststellungsklage des Berufungsklägers nicht ein
(act. 11 = act. 15/1 = act. 16, zitiert als act. 16).
Der Berufungskläger richtete sich mit Eingabe vom 3. Juni 2022 (Poststempel 7. Juni 2022) mit einer als Beschwerde bezeichneten Eingabe mit den vorstehend wiedergegebenen Anträgen an das Obergericht des Kantons Zürich
(act. 14). Die Akten der Vorinstanz wurden beigezogen (act. 1-12), und den Parteien wurde der Eingang des Rechtsmittels angezeigt (act. 17/1-2). Mit Verfügung vom 8. Juli 2022 wurde die Prozessleistung an die Referentin delegiert und der Berufungsbeklagten Frist für die Berufungsantwort angesetzt (act. 18). Die Berufungsbeklagte reichte ihre Berufungsantwort am 10. August 2022 rechtzeitig ein (act. 20). Das Doppel der Berufungsantwort (act. 20) ist dem Berufungskläger mit dem vorliegenden Urteil zuzustellen. Das Verfahren erweist sich als spruchreif.
Prozessuales
Erstinstanzliche Endentscheide sind mit Berufung anfechtbar, wenn der Streitwert der zuletzt aufrechterhaltenen Rechtsbegehren mindestens Fr. 10'000.– beträgt (Art. 308 Abs. 1 und 2 ZPO). Gemäss konstanter Praxis der Kammer sind unrichtig bezeichnete Rechtsmittel ohne Weiteres mit dem richtigen Namen und nach den richtigen Regeln zu behandeln (OGer ZH PF110004 vom 9. März 2011, E. 5.2).
Wie erwähnt zog der Berufungskläger die negative Feststellungsklage im Fr. 35'838.60 übersteigenden Betrag mit seiner Eingabe vom 19. April 2022 zurück (act. 6). Die vorliegende Rechtsmitteleingabe richtet sich gegen den Nichteintretensentscheid der Vorinstanz, die mit dem besagten Entscheid einerseits das Verfahren im Betrag von Fr. 3'877'260.– nebst Zinsen und Kosten infolge Rückzugs abschrieb und andererseits auf die Klage im Betrag von Fr. 35'838.60 nicht eintrat. Entsprechend betrug der Streitwert der Klage im Zeitpunkt der Verfügung vom 1. Juni 2022 noch Fr. 35'838.60. Der Streitwert für die Berufung ist
somit erreicht. Zudem liegt ein erstinstanzlicher Endentscheid und damit ein gültiges Anfechtungsobjekt für eine Berufung im Sinne von Art. 308 Abs. 1 lit. a ZPO vor.
Die vorliegende Berufung wurde innert 30 Tagen schriftlich und begründet eingereicht (act. 14 S. 2 f.; Art. 311 Abs. 1 ZPO). Auf die Berufung ist demnach einzutreten.
Sachliche Zuständigkeit für Wiederherstellungsgesuch
Die Vorinstanz begründete den Nichteintretensentscheid damit, dass der Berufungskläger den Kostenvorschuss auch innert der mit Verfügung vom 3. Mai 2022 angesetzten Nachfrist nicht bezahlt habe. Die Verfügung vom 3. Mai 2022 habe dem Berufungskläger zwar nicht zugestellt werden können, sie gelte jedoch am siebten Tag nach dem erfolglosen Zustellversuch als fristauslösend zugestellt (act. 16 S. 3).
Der Berufungskläger führt aus, die Verfügung der Vorinstanz vom 3. Mai 2022 betreffend Nachfristansetzung habe ihm im ersten Zustellversuch nicht zugestellt werden können, da er sich gemäss dem beiliegenden Arztzeugnis des Onkologen PD Dr. med. B. ab dem 27. April 2022 einer schweren, teilweise stationären Chemotherapie mit schwerwiegenden Nebenwirkungen habe unterziehen müssen (act. 14 S. 2). Der Berufungskläger reicht eine Bestätigung von PD Dr. med. B. vom 12. Mai 2022 ins Recht, aus welcher hervorgeht, dass der Berufungskläger seit März 2022 in der Klinik für Hämatologie und Onkologie in Behandlung ist und dort seit dem 27. April 2022 chemotherapeutisch behandelt wird, wobei die Chemotherapie voraussichtlich bis mindestens Ende Juli 2022 fortgesetzt wurde. Dem Berufungskläger wird in der genannten Bestätigung, die offenbar im Hinblick auf einen auf den 9. Mai 2022 angesetzten Einvernahmetermin in Bern ausgestellt wurde, vorerst bis Ende Juli 2022 eine Verhandlungsunfähigkeit bescheinigt (act. 15/2). Diese Ausführungen des Berufungsklägers entsprechen inhaltlich einem Wiederherstellungsgesuch nach Art. 148 ZPO.
Nach Art. 148 Abs. 1 ZPO kann das Gericht auf Gesuch einer säumigen Partei eine Nachfrist gewähren zu einem Termin erneut vorladen, wenn die Partei glaubhaft macht, dass sie kein nur ein leichtes Verschulden trifft. Das Wiederherstellungsgesuch ist gemäss Art. 148 Abs. 2 ZPO innert zehn Tagen seit Wegfall des Säumnisgrundes einzureichen. Ist ein Entscheid eröffnet worden, so kann die Wiederherstellung innerhalb von sechs Monaten seit Eintritt der Rechtskraft verlangt werden (Art. 148 Art. 3 ZPO). Ein Gesuch um Wiederherstellung ist bei derjenigen Instanz zu stellen, vor welcher eine Handlung resp. ein Termin versäumt worden ist (M ERZ, DIKE-Komm-ZPO, 2. Aufl. 2016, Art. 148 N 37). Somit wäre vorliegend die Vorinstanz und nicht die Kammer für die Beurteilung des Wiederherstellungsgesuches zuständig. Auf die Berufung ist diesbezüglich nicht einzutreten. Eine Rückweisung und eine Beurteilung des Wiederherstellungsgesuchs durch die Vorinstanz erübrigen sich indessen, da die Frage, ob bezüglich der Zustellung der Verfügung vom 3. Mai 2022 die Zustellungsfiktion greift nicht, aus den nachfolgenden Gründen für den Ausgang des vorliegenden Berufungsverfahrens nicht entscheidend ist.
Festsetzung des Kostenvorschusses durch die Vorinstanz
Der Berufungskläger macht im Wesentlichen geltend, nach dem erfolgten Teilrückzug habe der Streitwert der negativen Feststellungsklage noch
Fr. 35'838.60 betragen. Die Vorinstanz habe es nach Eingang des Klagerückzugs vorsätzlich unterlassen, den mit Verfügung vom 19. April 2022 festgelegten Kostenvorschuss auf rund Fr. 3'000.– zu reduzieren. Damit habe die Vorinstanz gegen Treu und Glauben verstossen. Die Verfügung vom 19. April 2022 sei ihm erst nach dem von ihm erklärten teilweisen Klagerückzug am 21. April 2022 zugestellt worden. Die Verfügung vom 3. Mai 2022, mit der ihm eine Nachfrist für den überhöhten Kostenvorschuss von Fr. 60'177.– (recte: Fr. 60'200.–) angesetzt worden sei, sei rechtswidrig. Der Berufungskläger kritisiert, die Vorinstanz habe trotz des mit Schreiben vom 19. April 2022 erklärten Teilrückzugs im Betrag von
Fr. 3'877'260.– (nebst Zinsen und Kosten) den mit Verfügung vom 19. April 2022 festgesetzten Kostenvorschuss nicht reduziert und eine Nachfrist für den überhöhten Kostenvorschuss von Fr. 60'177.– (recte: Fr. 60'200.–) angesetzt (act. 14 S. 2).
Die Berufungsbeklagte stellt sich auf den Standpunkt, der Kostenvorschuss sei mit Verfügung vom 19. April 2022 rechtskräftig auf Fr. 60'200.– festgesetzt worden, da der Berufungskläger gegen die genannte Verfügung keine Beschwer- de geführt habe. Die Vorinstanz habe die Verfügung vom 19. April 2022 aufgrund der vom Berufungskläger nachträglich vorgenommenen Modifikation nicht mehr ändern können. Die Verfügung sei mangels Beschwerde in Rechtskraft erwachsen. Bezüglich der Zustellung der Verfügung vom 3. Mai 2022, mit welcher dem Berufungskläger eine Nachfrist zur Leistung des rechtskräftig festgesetzten Kostenvorschusses gewährt worden sei, komme die Zustellfiktion zum Tragen. Die Nachfrist sei somit am 16. Mai 2022 ungenutzt verstrichen. Es sei nicht ersichtlich, weshalb die Vorinstanz den Kostenvorschuss vorsätzlich nicht reduziert bzw. dem Berufungskläger rechtswidrig eine Nachfrist angesetzt habe (act. 20 S. 2 f.).
Die vom Berufungskläger in seiner Berufung gegen die Nichteintretensverfügung vom 1. Juni 2022 vorgebrachten Beanstandungen richten sich gegen die Verfügung vom 3. Mai 2022 betreffend Nachfrist für die Leistung des mit Verfügung vom 19. April 2022 festgesetzten Kostenvorschusses von Fr. 60'200.–. Bei der Verfügung vom 3. Mai 2022 handelt es sich um eine prozessleitende Verfügung. Gemäss der Praxis der Kammer können prozessleitende Verfügungen, die aufgrund einer gesetzlichen Bestimmung der Beschwerde unterliegen, mit dem Endentscheid nicht mehr angefochten werden. Demgegenüber schliesst die Beschwerdemöglichkeit nach Art. 319 Abs. 1 lit. b Ziff. 2 ZPO die Anfechtung einer prozessleitenden Verfügung zusammen mit dem Endentscheid nicht aus, es sei denn, die entsprechende prozessleitende Verfügung sei tatsächlich weitergezogen und die Rüge sei behandelt worden (OGer PP120005 vom 14. März 2012, publ. in: ZR 111/2012 Nr. 28). Damit hängt die Frage, ob im vorliegenden Berufungsverfahren gegen die Nichteintretensverfügung der Vorinstanz vom 1. Juni 2022 auf die Kritik des Berufungsklägers an der Verfügung vom 3. Mai 2022 eingegangen werden kann, davon ab, ob gegen die zuletzt genannte Verfügung der Vorinstanz eine gesetzliche Beschwerdemöglichkeit zur Verfügung stand.
Die in Art. 103 ZPO vorgesehene, gesetzliche Beschwerdemöglichkeit ist auf die erste Fristansetzung für die Leistung eines Kostenvorschusses beschränkt. Entsprechend kann eine Partei gemäss der Praxis der Kammer die Höhe des Kostenvorschusses nicht erst mit einem Rechtsmittel gegen die Nachfristansetzung rügen, wenn sie sich gegen die erste Fristansetzung nicht gewehrt hat (OGer ZH PD170004 vom 20. Juni 2017 E. 2 a). Mit anderen Worten sieht
Art. 103 ZPO keine Beschwerdemöglichkeit für die Anfechtung einer Nachfristansetzung im Sinne von Art. 319 lit. b Ziff. 1 ZPO vor. Die Beschwerde gegen die Ansetzung der Nachfrist steht folglich lediglich zur Verfügung, wenn im Sinne von Art. 319 lit. b Ziff. 2 ZPO ein nicht leicht wieder gutzumachender Nachteil droht. Daraus folgt, dass die prozessleitende Verfügung vom 3. Mai 2022 im vorliegen- den Rechtsmittelverfahren gegen den Endentscheid überprüft werden kann.
Entgegen der Rechtsauffassung der Berufungsbeklagten erwachsen prozessleitende Entscheide nicht in materielle Rechtskraft. Vielmehr können prozessleitende Entscheide grundsätzlich bis zum Endentscheid abgeändert werden. Die Unabänderlichkeit prozessleitender Verfügungen kann sich lediglich aus Gründen der Rechtssicherheit aus dem Umstand ergeben, dass zuerkannte Rechte nicht in Frage gestellt werden dürfen (BK ZPO-F REI, Band II, Bern 2012, Art. 124 N 16; JENNY/JENNY, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger [Hrsg.], ZPO Kommentar, 3. Aufl., Basel 2016, Art. 124 N 4; WEBER, in: Oberhammer/Domej/
Haas [Hrsg.], Kurzkommentar ZPO, 3. Aufl., 2021, Art. 124 N 3; MÜLLER, Prozessleitende Entscheide im weiteren Sinne, Eine Untersuchung von Zwischenentscheiden und prozessleitenden Verfügungen nach ZPO und BGG, in: ZZZ 2014/2015 S. 245 ff., insbes. S. 263 f.). Vorliegend sind keinerlei Gründe ersichtlich, die gegen die Abänderbarkeit der Verfügung vom 19. April 2022 sprechen. Die Festsetzung des Kostenvorschusses war nicht Gegenstand eines Beschwer- deverfahrens, in deren Rahmen die Höhe des Kostenvorschusses bestätigt wur- de. Ausserdem wäre ein allfälliger Beschwerdeentscheid betreffend die Festsetzung des Kostenvorschusses aufgrund des nachträglich erfolgten, teilweisen Klagerückzugs nicht mehr bindend. Folglich war die Festsetzung des Kostenvorschusses mit Verfügung vom 19. April 2022 ohne weiteres abänderbar.
Wie aus den vorstehenden Erwägungen hervorgeht, kreuzte sich der vom Berufungskläger mit Eingabe vom 19. April 2022 erklärte Teilrückzug im Betrag von Fr. 3'877'260.– (nebst Zinsen und Kosten) mit der gleichentags datierten Verfügung der Vorinstanz. Der Teilrückzug im erwähnten Betrag hatte die Wirkung eines rechtskräftigen Entscheides (Art. 241 Abs. 2 ZPO). Folglich hatte die Vorinstanz im Zeitpunkt der Nachfristansetzung vom 3. Mai 2022 lediglich noch die negative Feststellungsklage im Betrag von Fr. 35'838.60 zu beurteilen. Die Re- duktion des Streitwertes zwischen der ersten Fristansetzung und der Nachfristansetzung war zweifellos erheblich, entspricht sie doch einer Verminderung des Streitwertes um das 107-fache. Die Reduktion des Streitwertes im genannten Umfang wirkt sich auch ganz wesentlich auf die Höhe der Entscheidgebühr aus. Beim ursprünglichen Streitwert von Fr. 3'942'699.– beträgt die ordentliche Entscheidgebühr gemäss der Gerichtsgebührenverordnung des Obergerichts vom 8. September 2010 (LS 211.11; GebV OG) Fr. 60'177.–, bei einem Streitwert von
Fr. 35'838.60 beläuft sie sich auf Fr. 4'417.– (§ 4 Abs. 1 GebV OG). Damit reduzierte sich die ordentliche Entscheidgebühr aufgrund des vom Berufungskläger erklärten Teilrückzuges um das 13fache. Vor dem teilweisen Klagerückzug war der Vorinstanz kein grosser Zeitaufwand entstanden. Entsprechend war im Zeitpunkt der Nachfristansetzung am 3. Mai 2022 klar, dass sich die im Endentscheid festzulegende Entscheidgebühr massiv reduzieren würde.
Der Grundsatz, im Verfahren nach Treu und Glauben zu handeln (Art. 52 ZPO), gilt auch für das Gericht. Angesichts der erheblichen Klagereduktion und des geringfügigen Aufwandes der Vorinstanz verstiess die Nachfristansetzung (unter Androhung des Nichteintretens im Säumnisfall) für den aufgrund des ursprünglichen Streitwertes festgesetzten Kostenvorschusses von Fr. 60'200.– gegen den Grundsatz von Treu und Glauben. Da die Vorinstanz mit der Verfügung vom 3. Mai 2022 Recht verletzte, lagen im Zeitpunkt der Verfügung vom 1. Juni 2022 die Voraussetzungen für einen Nichteintretensentscheid im Sinne von
Art. 101 Abs. 3 ZPO nicht vor. Der Entscheid der Vorinstanz, auf die Klage im Betrag von Fr. 35'838.60 samt Zinsen und Kosten nicht einzutreten, ist deshalb aufzuheben, und das Verfahren ist zur Fortführung des Prozesses an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Kosten- und Entschädigungsfolgen
Die Vorinstanz hat bei der Regelung der Kosten- und Entschädigungsfolgen in den Dispositiv-Ziffern 2 bis 4 nicht zwischen den Kosten für die zurückgezoge- ne Klage und denjenigen für das Nichteintreten unterschieden. Die Aufhebung des Nichteintretensentscheids mit Bezug auf die Klage im Betrag von
Fr. 35'838.60 führt deshalb dazu, dass die Regelung der Kosten- und Entschädigungsfolgen in den Dispositiv-Ziffern 2 bis 4 insgesamt aufzuheben ist.
Grundsätzlich würde die Berufungsbeklagte im Berufungsverfahren kostenpflichtig (Art. 106 Abs. 1 ZPO). Da ihr jedoch gestützt auf § 200 lit. a GOG i.V.m. Art. 116 Abs. 2 ZPO keine Kosten auferlegt werden dürfen, fallen die Kosten für das Berufungsverfahren ausser Ansatz. Das vom Berufungskläger für das Berufungsverfahren gestellte Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege (act. 14 S. 2) ist damit gegenstandslos geworden und abzuschreiben.
Da der Berufungskläger seinen Antrag um Zusprechung einer Parteientschädigung nicht begründet hat (vgl. Art. 95 Abs. 3 lit. c ZPO), ist ihm keine zuzusprechen.
Es wird verfügt:
Das Gesuch des Berufungsklägers um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege für das Berufungsverfahrens wird abgeschrieben.
Schriftliche Mitteilung mit nachfolgendem Erkenntnis.
Es wird erkannt:
Die Berufung wird gutgeheissen. Der Nichteintretensentscheid in Dispositivziffer 1 sowie die Dispositivziffern 2 bis 4 der Verfügung des Einzelgerichts des Bezirksgerichts Meilen vom 1. Juni 2022 werden aufgehoben und die Sache zur Durchführung des Verfahrens an die Vorinstanz zurückgewiesen.
Die Entscheidgebühr für das Berufungsverfahren fällt ausser Ansatz.
Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen.
Schriftliche Mitteilung an die Parteien, an den Berufungskläger unter Beilage der Berufungsantwort (act. 20), sowie an das Bezirksgericht Meilen, je gegen Empfangsschein.
Nach unbenütztem Ablauf der Rechtsmittelfrist gehen die erstinstanzlichen Akten an die Vorinstanz zurück.
Eine Beschwerde gegen diesen Entscheid an das Bundesgericht ist innert 30 Tagen von der Zustellung an beim Schweizerischen Bundesge-
richt, 1000 Lausanne 14, einzureichen. Zulässigkeit und Form einer solchen Beschwerde richten sich nach Art. 72 ff. (Beschwerde in Zivilsachen) Art. 113 ff. (subsidiäre Verfassungsbeschwerde) in Verbindung mit Art. 42 des Bundesgesetzes über das Bundesgericht (BGG).
Dies ist ein Zwischenentscheid im Sinne von Art. 93 BGG.
Es handelt sich um eine vermögensrechtliche Angelegenheit. Der Streitwert beträgt Fr. 35'838.60.
Die Beschwerde an das Bundesgericht hat keine aufschiebende Wirkung.
Obergericht des Kantons Zürich
II. Zivilkammer
Die Vorsitzende:
lic. iur. E. Lichti Aschwanden
Der Gerichtsschreiber:
Dr. M. Tanner
versandt am:
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