Zusammenfassung des Urteils LF220046: Obergericht des Kantons Zürich
Die Privatklägerin A.________ hat Beschwerde gegen die Ablehnung des Gesuchs um unentgeltliche Rechtspflege durch die Staatsanwaltschaft des Kantons Schwyz eingereicht. Sie argumentiert, dass die Vorinstanz nicht ausreichend dargelegt hat, wie sie den monatlichen Bedarf berechnet hat. Die Beschwerdeführerin ist der Meinung, dass sie bedürftig ist und die Kosten des Vorverfahrens nicht tragen kann. Das Gericht analysiert die finanzielle Situation der Beschwerdeführerin und ihrer beiden volljährigen Töchter und kommt zu dem Schluss, dass sie in der Lage ist, die Verfahrenskosten zu tragen. Daher wird die Beschwerde abgewiesen und die Kosten des Verfahrens der Beschwerdeführerin auferlegt. Die Entscheidung kann innerhalb von 30 Tagen angefochten werden.
Kanton: | ZH |
Fallnummer: | LF220046 |
Instanz: | Obergericht des Kantons Zürich |
Abteilung: | II. Zivilkammer |
Datum: | 28.09.2022 |
Rechtskraft: | - |
Leitsatz/Stichwort: | Testament |
Schlagwörter : | Berufung; Erblasserin; Recht; Verfügung; Berufungskläger; Vorsorge; Vorsorgeauftrag; Ziffer; Wille; Todes; Willen; Berufungsbeklagte; Verfahren; Vollmacht; Urteil; Eröffnung; Vorinstanz; Anordnung; Entscheid; Rubrum; Gericht; Vorsorgeauftrages; Meilen; Rechtsmittel; Einzelgericht; Verfügungen; Wunsch; Testament; Willensvollstrecker; Erben |
Rechtsnorm: | Art. 142 ZPO ;Art. 308 ZPO ;Art. 310 ZPO ;Art. 311 ZPO ;Art. 314 ZPO ;Art. 317 ZPO ;Art. 521 ZGB ;Art. 533 ZGB ;Art. 551 ZGB ;Art. 556 ZGB ;Art. 600 ZGB ;Art. 90 BGG ;Art. 98 BGG ; |
Referenz BGE: | 120 II 5; 131 III 106; 131 III 601; 135 III 578; 142 III 413; 144 III 81; 56 II 351; |
Kommentar: | Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017 |
Obergericht des Kantons Zürich
II. Zivilkammer
Geschäfts-Nr.: LF220046-O/U
Mitwirkend: Oberrichterin lic. iur. E. Lichti Aschwanden, Vorsitzende, Oberrichter Dr. M. Sarbach und Oberrichterin lic. iur. A. Strähl sowie Gerichtsschreiberin lic. iur. A. Götschi
Beschluss und Urteil vom 28. September 2022
in Sachen
Berufungskläger,
1, 2 vertreten durch Rechtsanwalt MLaw X.
gegen
Berufungsbeklagte,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. iur. Y1. und / Rechtsanwältin MLaw Y2. ,
betreffend Testament
Rechtsbegehren:
(sinngemäss)
Es sei der Vorsorgeauftrag der Erblasserin vom 13. April 2021 amtlich zu eröffnen.
Urteil des Einzelgerichtes:
(act. 6)
Der Vorsorgeauftrag der Erblasserin vom 13. April 2021 wird nicht amtlich eröffnet.
Sämtliche Anordnungen des Urteils vom 12. April 2022 (Geschäfts- Nr.: EL220100-G) bleiben in Kraft.
Das Geschäft wird als erledigt abgeschrieben.
Die Entscheidgebühr wird festgesetzt auf:
CHF 500.00 ; die weiteren Kosten betragen: CHF 0.00 Barauslagen / Familienscheine CHF 500.00 Kosten total.
Die Gerichtskosten werden zu Lasten des Nachlasses mit separater Rech- nung von B. , ... [Adresse], vertreten durch Rechtsanwalt MLaw
X. , ... [Adresse], bezogen. 6./7. (Mitteilung / Rechtsmittel).
Berufungsanträge:
der Berufungskläger (act. 7 S. 2):
1. Es sei das Urteil des Bezirksgerichts Meilen vom 27. Mai 2022 (EL220236) aufzuheben und es sei der Vorsorgeauftrag von
D. – geboren am tt. Februar 1950, von E. LU, gestorben am tt.mm.2022, wohnhaft gewesen in F. (nachfolgend Erblasserin) – vom 13. April 2021 amtlich zu eröffnen.
Eventualiter sei das Urteil des Bezirksgerichts Meilen vom 27. Mai 2022 (EL220236) aufzuheben und es sei die Sache an die Vorinstanz zur Neubeurteilung zurückzuweisen.
Alles unter Kosten- und Entschädigungsfolge (zuzüglich Mehrwertsteuer) zu Lasten des Staates, eventualiter zu Lasten der Berufungsbeklagten.
der Berufungsbeklagten (act. 16 S. 2):
1. Das Rubrum sei dahingehend zu berichtigen, dass die bisher als Berufungsbeklagte bezeichnete C. gänzlich aus dem Rubrum entfernt wird.
Eventualiter sei das Rubrum dahingehend zu berichtigen, dass die bisher als Berufungsbeklagte bezeichnete C. im Rubrum als Verfahrensbeteiligte aufgeführt wird.
Unter Kosten- und Entschädigungsfolge (zuzüglich Mehrwertsteuer) zulasten des Staates, eventualiter zu Lasten der Berufungskläger.
Erwägungen:
Sachverhalt / Prozessgeschichte
D. (nachfolgend: Erblasserin), wohnhaft gewesen in F. , verstarb am tt.mm.2022 (vgl. act. 6 Rubrum). Die Parteien sind die Kinder der Erblasserin; der Berufungskläger 2 darüber hinaus auch deren Willensvollstrecker (vgl. act. 10/2 E. II. und Dispositiv-Ziffer 3).
Mit Eingabe vom 28. Februar 2022 ersuchte die Berufungsbeklagte das Einzelgericht im summarischen Verfahren des Bezirksgerichts Meilen um Anordnung eines Sicherungsinventars, einer Siegelung und weiterer Massnahmen im Sinne von Art. 551 ZGB, worauf dieses mit Entscheid vom 1. März 2022 die Aufnahme eines Sicherungsinventars und die Siegelung des Nachlasses anordnete
(vgl. act. 10/2 E. I./1).
Das Notariat G. reichte mit Eingabe vom 3. März 2022 eine öffentliche letztwillige Verfügung der Erblasserin vom 15. Oktober 2020 ein (vgl. act. 10/2
E. I./2). Am 22. März 2022 stellte das Einzelgericht im summarischen Verfahren des Bezirksgerichts Meilen (nachfolgend: Vorinstanz) dem Berufungskläger 2 ein Willensvollstreckerzeugnis aus (act. 10/1). Mit Urteil vom 12. April 2022 (act. 10/2) eröffnete die Vorinstanz u.a. die öffentliche letztwillige Verfügung der Erblasserin
vom 15. Oktober 2020, stellte den gesetzlichen Erben die Ausstellung der Erbbescheinigung in Aussicht und nahm Vormerk davon, dass der Berufungskläger 2 das Mandat als Willensvollstrecker angenommen hatte (a.a.O., Dispositiv-Ziffern 1 bis 3).
Mit Eingabe vom 20. Mai 2022 (act. 1) reichte der Rechtsvertreter der Berufungskläger der Vorinstanz einen Vorsorgeauftrag der Erblasserin vom 13. April 2021 (act. 2 = act. 10/4) zur amtlichen Eröffnung ein.
Mit Urteil vom 27. Mai 2022 (act. 3 = act. 6 [Aktenexemplar] = act. 8) entschied die Vorinstanz im eingangs wiedergegebenen Sinne.
Dagegen erheben die Berufungskläger mit Eingabe vom 9. Juni 2022 Berufung (act. 7) und reichen Unterlagen ins Recht (act. 10/1-7).
Die vorinstanzlichen Akten wurden von Amtes wegen beigezogen (act. 1-4). Mit Verfügung vom 29. August 2022 (act. 13) wurde den Berufungsklägern Frist angesetzt, um für das Berufungsverfahren einen Kostenvorschuss zu leisten, und der Berufungsbeklagten wurde Frist angesetzt, um die Berufungsantwort zu erstatten. Der Kostenvorschuss (act. 15) und die fristgerecht eingereichte Berufungsantwort (vgl. act. 13 i.V.m. act. 14/2 i.V.m. act. 16, Art. 142 Abs. 1 und 3 ZPO) mit den eingangs wiedergegebenen Anträgen sind eingegangen. Auf eine inhaltliche Beantwortung der Berufung hat die Berufungsbeklagte verzichtet und sich einzig zu den beantragten Kosten- und Entschädigungsfolgen vernehmen lassen (vgl. nachfolgende E. 4). Mit dem vorliegenden Urteil ist den Berufungsklägern ein Doppel der Berufungsantwort noch zuzustellen. Die Sache ist spruchreif.
Prozessuales
Die Eröffnung letztwilliger Verfügungen gehört zu den Sicherungsmassregeln des Erbganges (Art. 551 Abs. 2 i.V.m. Art. 556 ZGB). Es handelt sich um ei- ne Angelegenheit der freiwilligen Gerichtsbarkeit, welche der Kanton Zürich dem Einzelgericht im summarischen Verfahren zugewiesen hat (vgl. Art. 556 i.V.m. Art. 551 Abs. 1 ZGB und Art. 54 Abs. 1-3 SchlT ZGB; § 24 lit. c und § 137 lit. d GOG i.V.m. Art. 248 lit. e ZPO).
Gegen erstinstanzliche Entscheide im summarischen Verfahren ist in vermögensrechtlichen Angelegenheiten die Berufung nur zulässig, sofern der Streitwert mindestens Fr. 10'000.– beträgt (vgl. Art. 308 Abs. 2 ZPO). Erbrechtliche Angelegenheiten sind naturgemäss vermögensrechtlicher Art (vgl. BGE 135 III 578 ff., E. 6.3), was – entgegen der Ansicht der Berufungskläger (act. 7 Rz. 4) – auch für die erbrechtlichen Sicherungsmassregeln, wie hier die Eröffnung letztwilliger Verfügungen, gilt (vgl. DIGGELMANN, DIKE-Komm-ZPO, 2. Aufl. 2016, Art. 91 N 30; ENGLER/JENT, Behördliche Mitwirkung beim Erbgang – Mechanik eines «eigenartigen» Verfahrens, in: SJZ 113/2017, S. 421 ff., S. 424). Der Streitwert liegt hier über Fr. 10'000.– (vgl. act. 7 Rz. 4). Die Berufung ist somit zulässig.
Mit der Berufung kann die unrichtige Feststellung des Sachverhaltes durch die Vorinstanz sowie eine unrichtige Rechtsanwendung der Vorinstanz geltend gemacht werden (vgl. Art. 310 ZPO). Die Berufung ist innert der Berufungsfrist (Art. 314 Abs. 1 ZPO) und begründet (vgl. Art. 311 Abs. 1 ZPO) bei der Berufungsinstanz einzureichen, d.h. der Berufungskläger hat im Einzelnen darzulegen, aus welchen Gründen der angefochtene Entscheid seiner Meinung nach falsch sein und deshalb abgeändert werden soll (sog. Begründungslast, vgl. ZK ZPO- REETZ/THEILER, 3. Aufl. 2016, Art. 311 N 36).
Die Berufung wurde innert der Berufungsfrist (vgl. act. 3 i.V.m. act. 4/1 i.V.m. act. 7 S. 1) schriftlich, mit Anträgen versehen und mit Begründung bei der Kammer als zuständiger Rechtsmittelinstanz eingereicht. Dem Eintreten auf die Berufung steht insoweit nichts entgegen.
In Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit, wie hier, gilt – entgegen der Ansicht der Berufungskläger nicht der uneingeschränkte (vgl. act. 7 Rz. 8), sondern – gemäss Art. 255 lit. b ZPO der eingeschränkte Untersuchungsgrundsatz (vgl. KUKO ZPO-JENT-SØRENSEN, 3. Aufl. 2021, Art. 255 N 2). Dieser wirkt sich nach der Praxis des Bundesgerichts nicht auf das Novenrecht im Berufungsverfahren aus (vgl. BGE 142 III 413 ff.). Noven sind damit im vorliegenden Berufungsverfahren grundsätzlich nicht unbeschränkt, sondern lediglich nach Massgabe von Art. 317 Abs. 1 ZPO zulässig. Neue Tatsachen werden vor Berufungsinstanz danach nur noch berücksichtigt, wenn sie ohne Verzug vorgebracht werden und trotz zumutbarer Sorgfalt nicht schon vor erster Instanz vorgebracht wer- den konnten (vgl. Art. 317 Abs. 1 ZPO). Eine Partei, die solche im Berufungsverfahren einführen will, hat darzulegen, dass diese Voraussetzungen erfüllt sind (vgl. etwa OGer ZH LB110049 vom 5. März 2012, E. II./1.2 m.w.H.).
Die anwaltlich vertretenen Berufungskläger legen nicht dar, inwiefern die in der Berufungsschrift neu aufgestellten Tatsachenbehauptungen und neu offerierten Beweismittel (vgl. insb. act. 7 Rz. 15 ff. mit act. 1) die Voraussetzungen von Art. 317 Abs. 1 ZPO erfüllen, weshalb diese hier nicht berücksichtigt werden kön- nen.
Bei der Eröffnung von Verfügungen von Todes wegen hat die Eröffnungsbehörde vorgängig zu prüfen, ob ein Dokument die Merkmale einer letztwilligen Verfügung eines Erbvertrags trägt. Nichtigkeit hat sie von Amtes wegen festzustellen, zu beachten und bei der Eröffnung mitzuteilen (vgl. PraxKomm Erbrecht- EMMEL, 4. Aufl. 2019, Art. 557 N 3). Mit der Eröffnung beginnt unter anderem die absolute zehnjährige Verwirkungsfrist für die Ungültigkeitsklage (Art. 521 ZGB), die Herabsetzungsklage (Art. 533 ZGB) und die Erbschaftsklage (Art. 600 ZGB) zu laufen. Über die formelle und materielle Gültigkeit letztwilliger Verfügungen und die definitive Ordnung der materiellen Rechtsverhältnisse befindet das Eröff- nungsgericht jedoch nicht; dies bleibt im Streitfall dem anzurufenden ordentlichen Gericht vorbehalten (vgl. BSK ZGB II-KARRER/VOGT/ LEU, 6. Aufl. 2019, Vor
Art. 551-559 N 10 und Art. 557 N 11 m.w.H.; PraxKomm Erbrecht-EMMEL, a.a.O.,
Art. 557 N 10).
Da im Rahmen der Eröffnung letztwilliger Verfügungen somit grundsätzlich über kein materielles Recht entschieden wird, prüft die Kammer nach ständiger Praxis im Rechtsmittelverfahren auch lediglich, ob das Einzelgericht in diesem beschränkten Rahmen zutreffend verfahren ist (vgl. statt vieler OGer ZH LF110058 vom 14. Juli 2011, E. 2.2 und LF110047 vom 27. Juli 2011, E. 3.2 m.w.H.).
Zulässigkeitsvoraussetzung eines jeden Rechtsmittels und damit auch der Berufung ist die Beschwer; sie ist das für das Rechtsmittelverfahren von Amtes
wegen zu beachtende Pendant zum Rechtsschutzinteresse im erstinstanzlichen Verfahren, welches eine Prozessvoraussetzung darstellt (vgl. Art. 59 Abs. 2 lit. a ZPO). Das Erfordernis der Beschwer hat die Wirkung, dass nur derjenige zur Erhebung eines Rechtsmittels befugt ist, der ein von der Rechtsordnung geschütztes, d.h. ein schutzwürdiges Interesse (tatsächlicher rechtlicher Natur) an der Abänderung des erstinstanzlichen Entscheides besitzt (vgl. BGE 120 II 5 ff.,
E. 2a; ZK ZPO-REETZ, 3. Aufl. 2016, Vor Art. 308 ff. N 30).
Die Berufungskläger führen zu ihrer Beschwer aus, aufgrund ihrer Erbenstellung ein schützenswertes Interesse daran zu haben, dass die letztwillige Verfügung der Erblasserin als verbindliche Anordnung bzw. als verbindlicher Ausgleichungsdispens qualifiziert werde (vgl. act. 7 Rz. 2).
Wie gesehen wird im Rahmen der Eröffnung letztwilliger Verfügungen grundsätzlich über kein materielles Recht entschieden und damit eine allfällige letztwillige Verfügung auch nicht als verbindliche Anordnung qualifiziert. Jedoch beginnen mit der Eröffnung – wie gesehen – die Klagefristen zu laufen. Die Berufungskläger haben somit ein schutzwürdiges Interesse an einer Eröffnung des Vorsorgeauftrages, wenn dieser eine Verfügung von Todes wegen enthält. Ob dem so ist, ist auf der Begründetheitsstufe zu prüfen (vgl. sogleich unter Materielles).
Die Berufungsbeklagte beantragt die Berichtigung des Rubrums; sie sei gänzlich zu entfernen, eventualiter sei sie als Verfahrensbeteiligte aufzuführen. Sie begründet diesen Antrag im Wesentlichen damit, dass sie durch eine Gutheissung der Berufung nicht beschwert sei, weil der Auslegung der Eröffnungsbehörde keinerlei Verbindlichkeit materiellrechtliche Wirkung zukomme. Da ihr jegliches rechtlich geschütztes Interesse am Ausgang des Rechtsmittelverfahrens fehle, könne sie auch nicht Partei sein (vgl. act. 16 Rz. 5 f.).
Wie gesehen beginnen mit einer Eröffnung die Klagefristen zu laufen (vgl. soeben E. 2.5 f.), weshalb die Berufungsbeklagte als gesetzliche Erbin (die mangels anderslautender testamentarischer Anordnungen der Erblasserin zur Erbfolge gelangt) durch eine Gutheissung der Berufung potentiell beschwert ist und deren Anspruch auf rechtliches Gehör zu wahren war. Sie ist daher als (Gegen-) Partei im Rubrum aufzunehmen. Die Tatsache, dass sie auf eine Berufungsantwort in der Sache verzichtete, vermag daran nichts zu ändern. Entsprechend sind Haupt- und Eventualantrag der Berufungsbeklagten abzuweisen.
Materielles
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist die Frage, ob der von den anwaltlich vertretenen Berufungsklägern vor Vorinstanz eingereichte Vorsorgeauftrag der Erblasserin vom 13. April 2021 Verfügungen von Todes wegen enthält, die hätten eröffnet werden müssen.
Die Vorinstanz begründete die Nichteröffnung des Vorsorgeauftrages der Erblasserin vom 13. April 2021 damit, dass das genannte Dokument im Rahmen der vorläufigen Auslegung nicht als letztwillige Verfügung aufzufassen sei, da es am erforderlichen animus testandi fehle. Insbesondere würden Wünsche der Erblasserin – wie etwa, dass die Erbangelegenheit innert max. 6 Monaten erledigt und abgeschlossen sein solle und ihr Vermögen per Stichtag ihres Todes als Basis genommen werde und nicht was vorher gewesen sei – keine Willenserklärungen darstellen, durch welche die Erblasserin für den Fall ihres Todes über ihren Nachlass verfügt hätte (vgl. act. 6 E. II./2).
Die Berufungskläger halten dem im Wesentlichen entgegen, der Vorsorgeauftrag enthalte zum einen eine Vollmacht über den Tod hinaus und den Wunsch, die Abwicklung des Nachlasses bzw. Erbteilung innert sechs Monaten abzuschliessen. Zum anderen habe die Erblasserin in Ziffer 8b festgehalten, dass ihr Vermögen per Stichtag ihres Todes als Basis für die Erbteilung gelten solle und nicht was vorher gewesen war. Mit dem letzten Teilsatz habe sie die Erben von der Ausgleichungspflicht befreit. Dies habe die Erblasserin dem Berufungskläger 2 mehrfach mündlich und im Beisein Dritter bestätigt (vgl. insb. act. 7 Rz. 13, 18).
Der Wortlaut Wunsch führe nicht per se zur Unverbindlichkeit dieser Anordnung. Dieser lasse sich nur unter Berücksichtigung des Gesamtkontextes des
fraglichen Schriftstücks sowie nach dem wirklichen Willen der Verfasserin auslegen (a.a.O., Rz. 23). Der Erblasserin seien die juristischen Begriffe eines Testamentes nicht bekannt gewesen. Auch habe sie zwar Deutsch gesprochen, doch sei dies nicht ihre Muttersprache gewesen. Sie habe in Ziffer 9 des Vorsorgeauftrages auch festgehalten, dass sie diesen mit den Parteien und H. besprochen habe (a.a.O., Rz. 26). Auch wenn die Erblasserin das Wort Wunsch verwendet habe, habe es ihrem wirklichen Willen entsprochen, im Vorsorgeauftrag verbindliche Willenserklärungen in vermögensrechtlichen Angelegenheiten in Bezug auf ihren Tod zu hinterlassen (a.a.O., Rz. 27 f.).
Zunächst ist eine Verfügung von Todes wegen von einem Rechtsgeschäft unter Lebenden abzugrenzen. Das Kriterium hierfür ist der Zeitpunkt, in welchem das Rechtsgeschäft seine Wirkungen entfalten soll. Während Rechtsgeschäfte unter Lebenden schon vor dem Tod des Verpflichteten rechtliche Bindungen begründen, entstehen bei den Verfügungen von Todes wegen die Verpflichtungen grundsätzlich erst mit dem Tod des Erblassers (zum Ganzen: BGE 144 III 81 ff., E. 3.1).
Unerlässliche Voraussetzung für das Vorliegen (und die Gültigkeit) einer letztwilligen Verfügung ist insbesondere, dass die Erblasserin ihren Testierwillen (animus testandi) erklärt, das heisst ihren rechtsgeschäftlichen Gestaltungswillen, über ihr Vermögen für die Zeit nach ihrem Tod zu verfügen. Dieser Testierbzw. Gestaltungswille umfasst zum einen den Geschäftswillen, das heisst den (endgültigen und aktuellen) Willensentschluss der Erklärenden, ein Rechtsverhältnis in bestimmter Weise zu gestalten, zum andern den Erklärungswillen, also den Entschluss der Erklärenden, den Geschäftswillen zu äussern (vgl. BGE 144 III 81 ff., E. 3.3 m.w.H.).
Der Testierwille muss aus dem Testament selber, d.h. aus seinem Wortlaut, hervorgehen. Ergibt der Wortlaut für sich selber betrachtet kein eindeutiges Ergebnis bzw. sind die testamentarischen Anordnungen unklar und so formuliert, dass sie ebenso gut im einen wie im andern Sinn verstanden werden können, darf das Gericht die von der Erblasserin verwendeten Formulierungen unter Berücksichtigung des Testamentes als Ganzes auslegen. Es kann auch ausserhalb der
Testamentsurkunde liegende Elemente (Externa) zur Auslegung heranziehen, aber nur soweit, als dadurch eine im Text enthaltene Angabe geklärt erhärtet und der in gesetzlicher Form manifestierte Wille der Erblasserin dadurch erhellt wird (vgl. BGE 131 III 601 ff., E. 3.1 = Pra 95 [2006] Nr. 65; 131 III 106 ff., E. 1.1;
120 II 182 ff., E. 2a je m.w.H.). Es gilt die Vermutung, dass Gewolltes und Gesagtes übereinstimmen. Der Wortlaut ist primäres Auslegungsmittel, zusammen mit dem systematischen Zusammenhang, der inneren Logik bzw. der erkennbaren Leitidee der Anordnung (vgl. OGer ZH LF160012 vom 10. März 2016, E. 4 m.w.H.). Wer sich auf einen vom objektiv verstandenen Sinn und Wortlaut abweichenden Willen der Erblasserin beruft, ist beweispflichtig und hat entsprechende Anhaltspunkte konkret nachzuweisen (vgl. BGE 131 III 106 ff., E. 1.2). Die Erben andere Bedachte haben keinen Anspruch auf Schutz ihres Verständnisses der letztwilligen Verfügung; es kommt mit andern Worten nicht darauf an, wie sie die Erklärung der Erblasserin verstehen durften und mussten, sondern einzig darauf, was die Erblasserin mit ihrer Äusserung sagen wollte (vgl. BGE 131 III 106 ff., E. 1.1 m.w.H.).
Blosse Empfehlungen, Wünsche Bitten, die die Erblasserin gegenüber den Erben äussert, sind keine Verfügungen, weil deren Befolgung ins Belieben des Adressaten gestellt wird. Sie bedeuten ihrem Inhalt nach keine verbindlichen Anordnungen und sind in einer letztwilligen Verfügung unwirksam (vgl. BGer 5A_114/2008 vom 7. August 2008, E. 2.1 mit Verweis auf BGE 56 II 351 ff., E. 1 und 90 II 476 ff., E. 3-5). Ob eine Erklärung der Erblasserin ein blosser Wunsch, Entwurf dergleichen ist ob tatsächlich eine Verfügung von Todes wegen vorliegt, ist auf dem Wege der Auslegung zu ermitteln.
Ziffer 8 des Vorsorgeauftrages (act. 2) lautet wie folgt:
Der vorliegende Vorsorgeauftrag soll nach meinem Versterben als Vollmacht über den Tod hinaus weiter bestehen.
Mein Wunsch ist es, dass die Erb-Angelegenheit max. innert 6 Monaten erledigt und abgeschlossen sein sollte.
Mein Wunsch ist es, dass mein Vermögen per Stichtag mei- nes Todes als Basis genommen wird und nicht was vorher gewesen war.
Ziffer 9 lautet wie folgt:
Ich gebe diese Erklärung nach sorgfältiger Überlegung und in der vollen Verantwortung für mich selbst ab sowie im Bewusstsein, dass bezüglich der medizinischen Massnahmen meine Ärzte, Betreuer Bevollmächtigten an den Entscheid des Beauftragten gebun- den sind. Ich habe diese Verfügung mit folgenden Personen besprochen: A. , I. , B. , H. , welche bestätigen kön- nen, dass ich zu diesem Zeitpunkt nach deren Wahrnehmung urteilsfähig war und der Inhalt meinem Willen entspricht.
Offensichtlich ist, dass die Erblasserin in der erwähnten öffentlichen Urkunde den Vorsorgeauftrag verbindlich regeln wollte. Dieser soll jedoch naturgemäss bereits zu Lebzeiten – nämlich im Fall einer Urteilsunfähigkeit der Erblasserin – Wirkung entfalten und stellt insoweit keine Verfügung von Todes wegen dar. Fraglich ist, ob die Ziffer 8 in Verbindung mit Ziffer 9 dieses öffentlich beurkundeten Vorsorgeauftrages eine Verfügung von Todes wegen im Sinne einer letztwilligen Verfügung enthält.
Gemäss dem Wortlaut von Ziffer 8 des öffentlich beurkundeten Vorsorgeauftrages, soll dieser nach dem Versterben der Erblasserin als Vollmacht über den Tod hinaus weiterbestehen. Unter diesem Titel hielt die Erblasserin in lit. a und b von Ziffer 8 je einen Wunsch fest.
Eine Vollmacht über den Tod hinaus (sog. transmortale Vollmacht) erlangt nach juristischem Verständnis im Gegensatz zur Vollmacht auf den Todesfall (sog. postmortale Vollmacht) nicht erst auf den Zeitpunkt des Ablebens der Vollmachtgeberin Wirksamkeit, sondern grundsätzlich schon zu Lebzeiten – es sei denn, der Bevollmächtigte soll tatsächlich erst nach dem Ableben der Vollmachtgeberin auftreten. Nur in letzterem Fall handelt es sich bei einer Vollmacht über den Tod hinaus um ein Rechtsgeschäft von Todes wegen (vgl. BGE 147 IV
465 ff., E. 4.1 m.w.H.; STEPHAN WOLF, in: EMMENEGGER/HRUBESCH-MILLAUER/
KRAUSKOPF/WOLF [Hrsg.], Brücken bauen, Festschrift für Thomas Koller, Bern 2018, Die Vollmacht im Erbgang des Vollmachtgebers – zu einer Schnittstelle
zwischen Obligationen- und Erbrecht, S. 975 ff., S. 979 und 980). Hinweise darauf, dass die mit der Vorsorge der Erblasserin beauftragten Bevollmächtigten nach dem Willen der Erblasserin tatsächlich erst nach deren Ableben auftreten sollten, wurden keine vorgebracht und sind nach dem Gesagten auch nicht erkennbar. Vielmehr erscheint es naheliegend, dass die Erblasserin mit der Anord- nung, der Vorsorgeauftrag solle als Vollmacht über den Tod hinaus weiterbestehen, sicherstellen wollte, dass die mit ihrer Personen- und Vermögenssorge sowie mit ihrer Vertretung im Rechtsverkehr und in geschäftlichen Angelegenheiten Beauftragten (vgl. act. 10/4 Ziffer 1) auch über ihren Tod hinaus im Sinne einer transmortalen Vollmacht als Bevollmächtigte auftreten bzw. handeln können, insbesondere bis der Berufungskläger 2 als Willensvollstrecker würde auftreten bzw. handeln können. Diesen hatte sie in ihrer öffentlichen letztwilligen Verfügung vom
15. Oktober 2020 als Willensvollstrecker eingesetzt. Auch die Systematik des Vorsorgeauftrages legt nahe, dass dessen Inhalt (insb. Vermögenssorge, Vertretung im Rechtsverkehr, geschäftliche Angelegenheiten und Grundsätze für die Entschädigung der Beauftragten für entsprechende Leistungen) aufgrund dieser Vollmacht nach dem Willen der Erblasserin von den Bevollmächtigten auch nach ihrem Versterben beachtet und umgesetzt werden sollte.
Weiter lässt sich aus der Systematik des Vorsorgeauftrages und der Ziffer 8 ableiten, dass sich die Erblasserin in Ziffer 8 Buchstabe a und b auf den Zeitraum nach ihrem Ableben beziehen wollte. Denn inhaltlich richtet sich Ziffer 8 an die Erben der Erblasserin, insbesondere an den Berufungskläger 2, den sie als Willensvollstrecker eingesetzt hat. Trotz des gewählten Wortlautes (Wunsch) ist davon auszugehen, dass die Erblasserin in Ziffer 8 verbindliche Anordnungen treffen wollte, zumal sie den Vorsorgeauftrag öffentlich beurkunden liess. Vor diesem Hintergrund und mit Blick auf die in lit. a erwähnte Erb-Angelegenheit ist davon auszugehen, dass die Erblasserin mit der Anordnung in lit. b sicherstellen wollte, dass der Stand ihres Vermögens zum Zeitpunkt ihres Todes als Basis für die Erbteilung genommen wird. Mit anderen Worten wollte sie ihre Erben damit von einem Ausgleich dispensieren. Somit ist in vorläufiger Auslegung des Vorsorgeauftrages entgegen der Ansicht der Vorinstanz davon auszugehen, dass dieser in Ziffer 8 lit. b eine Verfügung von Todes wegen enthält.
3.7 Die Berufung ist gutzuheissen, das Urteil des Einzelgerichtes summarisches Verfahren des Bezirksgerichtes Meilen vom 27. Mai 2022 ist aufzuheben und der Vorsorgeauftrag der Erblasserin vom 13. April 2021 zu eröffnen. Festzuhalten bleibt, dass dies am Testamentseröffnungsurteil der Vorinstanz vom 12. April 2022 (Geschäfts-Nr. EL220100-G) nichts ändert.
Kosten- und Entschädigungsfolgen
Die Höhe und Verlegung der erstinstanzlichen Kosten wurde zu Recht nicht beanstandet. An den Dispositiv-Ziffern 4 und 5 des angefochtenen Entscheides ändert sich somit nichts.
Die Berufungsbeklagte hat sich im vorliegenden Verfahren auf Anträge zu ihrer prozessualen Stellung beschränkt und auf eine inhaltliche Beantwortung der Berufung in der Sache verzichtet (vgl. oben E. 1.7). Da sich die Berufungsbeklagte mit dem angefochtenen Entscheid nicht identifizierte, wird sie im vorliegenden Testamenteröffnungsverfahren nicht kostenpflichtig. Es rechtfertigt sich daher hier, die Gerichtskosten analog zum erstinstanzlichen Verfahren zu Lasten des Nachlasses von den Berufungsklägern zu beziehen. Die Entscheidgebühr ist auf Fr. 3'000.– festzusetzen (§ 12 Abs. 1 und 2 i.V.m. § 4 Abs. 1 und 2 i.V.m. § 8 Abs. 1 GebV OG) und mit dem von den Berufungsklägern in entsprechender Höhe geleisteten Kostenvorschuss zu verrechnen. Aus denselben Überlegungen sind keine Parteientschädigungen zuzusprechen.
Es wird beschlossen:
Der Antrag der Berufungsbeklagten, das Rubrum sei dahingehend zu berichtigen, dass sie gänzlich aus dem Rubrum entfernt werde, wird abgewiesen.
Der Eventualantrag der Berufungsbeklagten, das Rubrum sei dahingehend zu berichtigen, dass sie im Rubrum als Verfahrensbeteiligte aufgeführt wer- de, wird abgewiesen.
Mitteilung und Rechtsmittelbelehrung gemäss nachfolgendem Urteil.
Es wird erkannt:
In Gutheissung der Berufung wird Dispositiv-Ziffer 1 des Urteils des Einzelgerichtes summarisches Verfahren des Bezirksgerichtes Meilen vom 27. Mai 2022 aufgehoben und durch folgende Fassung ersetzt:
1. Der Vorsorgeauftrag der Erblasserin vom 13. April 2021 wird amtlich eröffnet.
Den Beteiligten wird je eine Fotokopie des eingereichten Vorsorgeauftrages vom 13. April 2021 zugestellt. Die eingereichte Kopie bleibt im Gerichtsarchiv des Bezirksgerichtes Meilen aufbewahrt.
Im Übrigen wird das vorinstanzliche Urteil bestätigt.
Die zweitinstanzliche Entscheidgebühr wird auf Fr. 3'000.– festgesetzt.
Die Gerichtskosten werden zu Lasten des Nachlasses mit separater Rech- nung vom Berufungskläger 2 (Willensvollstrecker) bezogen und mit dem von den Berufungsklägern geleisteten Kostenvorschuss verrechnet.
Parteientschädigungen werden keine zugesprochen.
Schriftliche Mitteilung an die Parteien, an die Berufungskläger unter Beilage von Doppeln der Berufungsantwort (act. 16), sowie an das Einzelgericht im summarischen Verfahren des Bezirksgerichtes Meilen, je gegen Empfangsschein.
Nach unbenütztem Ablauf der Rechtsmittelfrist gehen die erstinstanzlichen Akten an die Vorinstanz zurück.
Eine Beschwerde gegen diesen Entscheid an das Bundesgericht ist innert 30 Tagen von der Zustellung an beim Schweizerischen Bundesge-
richt, 1000 Lausanne 14, einzureichen. Zulässigkeit und Form einer solchen Beschwerde richten sich nach Art. 72 ff. (Beschwerde in Zivilsachen) Art. 113 ff. (subsidiäre Verfassungsbeschwerde) in Verbindung mit Art. 42 des Bundesgesetzes über das Bundesgericht (BGG).
Dies ist ein Endentscheid im Sinne von Art. 90 BGG und ein Entscheid über vorsorgliche Massnahmen im Sinne von Art. 98 BGG.
Es handelt sich um eine vermögensrechtliche Angelegenheit. Der Streitwert liegt über Fr. 30'000.–.
Die Beschwerde an das Bundesgericht hat keine aufschiebende Wirkung.
Obergericht des Kantons Zürich
II. Zivilkammer
Die Gerichtsschreiberin:
lic. iur. A. Götschi versandt am:
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