Zusammenfassung des Urteils LE220049: Obergericht des Kantons Zürich
In dem vorliegenden Fall ging es um ein Eheschutzverfahren vor dem Obergericht des Kantons Zürich. Die Gesuchstellerin beantragte ein Kontakt- und Rayonverbot gegen den Gesuchsgegner, welches vom Einzelgericht im summarischen Verfahren am Bezirksgericht Meilen teilweise bestätigt wurde. Die Vorinstanz befristete die Massnahme bis zum 30. September 2022. Die Gesuchstellerin legte Berufung ein und forderte eine zeitlich unbefristete Anordnung des Verbots. Das Obergericht wies die Berufung ab und bestätigte die Entscheidung des Einzelgerichts. Die Gerichtskosten wurden der Gesuchstellerin auferlegt.
Kanton: | ZH |
Fallnummer: | LE220049 |
Instanz: | Obergericht des Kantons Zürich |
Abteilung: | I. Zivilkammer |
Datum: | 24.10.2022 |
Rechtskraft: | - |
Leitsatz/Stichwort: | Eheschutz |
Schlagwörter : | Gesuchsgegner; Recht; Berufung; Kontakt; Rayon; Rayonverbot; Verfahren; Vorinstanz; Gericht; Verfahren; Urteil; Ziffer; Person; Parteien; Anordnung; Schutz; Stellung; Gesuchsgegners; Berufungsverfahren; Rayonverbots; Besuchs; Dispositiv; Persönlichkeit; Besuchsrecht; änkte |
Rechtsnorm: | Art. 106 ZPO ;Art. 123 ZPO ;Art. 16 IPRG ;Art. 172 ZGB ;Art. 272 ZPO ;Art. 28 ZGB ;Art. 28b ZGB ;Art. 292 StGB ;Art. 296 ZPO ;Art. 310 ZPO ;Art. 314 ZPO ;Art. 315 ZPO ;Art. 317 ZPO ;Art. 48 IPRG ;Art. 55 ZPO ;Art. 90 BGG ;Art. 98 BGG ; |
Referenz BGE: | 142 III 413; 144 III 257; |
Kommentar: | Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017 |
Obergericht des Kantons Zürich
I. Zivilkammer
Geschäfts-Nr.: LE220049-O/U
Mitwirkend: Oberrichter lic. iur. A. Huizinga, Vorsitzender, Oberrichter Dr. M. Kriech und Oberrichterin lic. iur. B. Schärer sowie Gerichtsschreiberin MLaw C. Rüedi
Beschluss und Urteil vom 24. Oktober 2022
in Sachen
,
Gesuchstellerin und Berufungsklägerin vertreten durch Rechtsanwalt lic. iur. X. ,
gegen
,
Gesuchsgegner und Berufungsbeklagter betreffend Eheschutz
Rechtsbegehren:
(Urk. 13 S. 1)
1.-6. […]
7. Es sei dem Gesuchsgegner unter Androhung von Art. 292 StGB zu verbieten, die gemeinsame Wohnung an der C. -str. …, in D. , zu betreten und sich auf das Gebiet Schulhaus
E. umfasst von der F. -strasse / E. -weg / G. -weg / H. -weg / I. -weg sowie das Gebiet
Wohnort umfasst von der C. / J. -strasse / K. strasse / L. , M. -strasse zu begeben als auch mit der Gesuchstellerin direkt indirekt in Kontakt zu treten;
- unter Kosten- und Entschädigungsfolge (zuzüglich 7.7% MwSt) zu Lasten des Gesuchsgegners -.
Urteil des Einzelgerichts im summarischen Verfahren am Bezirksgericht Meilen vom 19. Juli 2022:
(Urk. 18 [unbegründet) = Urk. 22 [teilbegründet] = Urk. 31)
Die Akten des Verfahrens GH220027-G werden beigezogen.
Dem Gesuchsgegner wird unter Androhung von Art. 292 StGB bis zum
Dem Gesuchsgegner wird unter Androhung von Art. 292 StGB bis zum
September 2022 Kontaktverbot auferlegt und verboten, mit A. in irgendeiner Weise (persönlich, telefonisch, schriftlich, SMS, Mail etc.) Kontakt aufzunehmen durch Drittpersonen aufnehmen zu lassen. Hiervon ausgenommen sind Kontakte des Gesuchsgegners mit der Gesuchstellerin im Zusammenhang mit der Ausübung seines Besuchsrechts (vgl. Dispositiv Ziffer 6 nachfolgend).
4.-12. […]
[Mitteilung]
[Rechtsmittel]
Berufungsanträge:
der Gesuchstellerin und Berufungsklägerin (Urk. 30 S. 2):
1. Es sei dem Gesuchsgegner in Abänderung von Disp.-Ziff. 2. des angefochtenen Urteils unter Androhung von Art. 292 StGB ein Rayonverbot aufzuerlegen und zu verbieten, die Regionen gemäss Planbeilage zur GSG-Verfügung der Kantonspolizei Zürich vom 28.6.22 zu betreten. Hiervon ausgenommen sind Betretungen des Gesuchsgegners im Zusammenhang mit der Ausübung seines Besuchsrechts (vgl. Dispositiv-Ziffer 6. nachfolgend).
2. Es sei dem Gesuchsgegner in Abänderung von Disp.-Ziff. 3. des angefochtenen Urteils unter Androhung von Art. 292 StGB ein Kontaktverbot aufzuerlegen und verboten, mit A. in irgendeiner Weise (persönlich, telefonisch, schriftlich, SMS, Mail etc.) Kontakt aufzunehmen durch Drittpersonen aufnehmen zu lassen. Hiervon ausgenommen sind Kontakte des Gesuchsgeg- ners mit der Gesuchstellerin im Zusammenhang mit der Aus- übung des Besuchsrechts (vgl. Dispositiv-Ziffer 6. nachfolgend).
- unter Kosten- und Entschädigungsfolge (zuzüglich 7.7% MwSt) zu Lasten des Berufungsbeklagten -.
Prozessualer Antrag (Urk. 30 S. 2, sinngemäss):
Es sei der Gesuchstellerin und Berufungsklägerin die unentgeltliche Prozessführung zu bewilligen und ihr in der Person von Rechtsanwalt lic. iur. X. ein unentgeltlicher Rechtsvertreter zu bestellen.
des Gesuchsgegners und Berufungsbeklagten:
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Erwägungen:
Die Parteien, beide iranische Staatsangehörige, sind verheiratet und haben einen gemeinsamen Sohn, N. , geboren am tt.mm.2014.
Mit Eingabe vom 21. Juni 2022 ersuchte die Gesuchstellerin und Berufungsklägerin (fortan Gesuchstellerin) die Vorinstanz um Anordnung von Eheschutzmassnahmen (Urk. 1). Nach durchgeführter Hauptverhandlung am 19. Juli 2020 (vgl. Urk. 16) fällte die Vorinstanz gleichentags das angefochtene, zunächst unbegründet (Urk. 18) und hernach teilbegründet (Urk. 22 = Urk. 31) ergangene Urteil.
Dagegen erhob die Gesuchstellerin mit Eingabe vom 30. August 2022 fristgerecht (Urk. 23/1; Art. 314 Abs. 1 ZPO) Berufung mit den eingangs zitierten Anträgen (Urk. 30). Mit Verfügung vom 29. September 2022 wurde dem Gesuchsgegner und Berufungsbeklagten (fortan Gesuchsgegner) Frist angesetzt, um die Berufung zu beantworten (Urk. 36). Diese als Gerichtsurkunde versandte Verfügung wurde vom Gesuchsgegner nicht abgeholt (Urk. 37).
Gemäss Art. 138 Abs. 3 lit. a ZPO gilt eine eingeschriebene Postsendung, die nicht abgeholt worden ist, am siebten Tag nach dem erfolglosen Zustellungsversuch als zugestellt, sofern die Person mit einer Zustellung rechnen musste (sog. Zustellfiktion). Letzteres trifft auf den Gesuchsgegner zu, war er doch bereits vor Vorinstanz Partei und dort auch zur Hauptverhandlung am 19. Juli 2022 erschienen (vgl. Urk. 16). Zudem wurde ihm der Eingang der Berufung am
2. September 2022 angezeigt (Urk. 34). Es greift daher die Zustellfiktion nach Art. 138 Abs. 3 lit. a ZPO und das Verfahren ist androhungsgemäss (vgl. Urk. 36) oh- ne Berufungsantwort weiterzuführen.
4. Die vorinstanzlichen Akten wurden beigezogen (Urk. 1-29). Das Verfahren erweist sich als spruchreif.
Die Berufung hemmt die Rechtskraft des angefochtenen Entscheids nur im Umfang der Anträge (Art. 315 Abs. 1 ZPO). Vorab ist daher festzuhalten, dass das vorinstanzliche Urteil in den nicht angefochtenen Dispositiv-Ziffern 1, 4, 5, 6,
7, 8, 9 und 10 in Rechtskraft erwachsen ist. Dies ist vorzumerken.
Das Berufungsverfahren stellt keine Fortsetzung des erstinstanzlichen Verfahrens dar, sondern ist nach der gesetzlichen Konzeption als eigenständiges Verfahren ausgestaltet (BGE 142 III 413 E. 2.2.1). Mit der Berufung kann sowohl die unrichtige Rechtsanwendung als auch die unrichtige Feststellung des Sachverhalts geltend gemacht werden (Art. 310 ZPO). Die Berufungsinstanz verfügt über unbeschränkte Kognition bezüglich Tat- und Rechtsfragen, einschliesslich der Frage richtiger Ermessensausübung (Angemessenheitsprüfung; BGer 5A_184/2013 vom 26. April 2013, E. 3.1).
Neue Vorbringen sind im Berufungsverfahren grundsätzlich nur noch unter den Voraussetzungen von Art. 317 Abs. 1 ZPO zulässig, wenn sie also ohne Verzug vorgebracht werden (lit. a) und trotz zumutbarer Sorgfalt nicht schon vor erster Instanz vorgebracht werden konnten (lit. b).
Zunächst ist – von Amtes wegen – das vorliegend anwendbare Recht zu ermitteln, liegt doch aufgrund der iranischen Staatsangehörigkeit der Parteien ein internationaler Sachverhalt vor.
Zu prüfen ist vorab, ob der vorliegende Streitgegenstand in den Anwen- dungsbereich des Niederlassungsabkommens zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Kaiserreich Persien vom 25. April 1934 (SR 0.142.114.362; fortan Abkommen) fällt. Gemäss dessen Art. 8 Abs. 3 bleiben in Bezug auf das Personen-, Familien- und Erbrecht die Angehörigen jedes der hohen vertragschliessenden Teile im Gebiete des anderen Teils den Vorschriften ihrer Heimatgesetzgebung unterworfen (Satz 1), wobei von der Anwendung dieser Gesetze nur in besonderen Fällen und insofern abgewichen werden kann, als dies allgemein gegenüber jedem anderen fremden Staat geschieht (Satz 2). Gemäss Art. 8 Abs. 4 des Abkommens umfasst das Personen-, Familien- und Erbrecht, d.h. das Personalstatut, folgende Materien: Die Ehe, das eheliche Güterrecht, die Ehescheidung, die Trennung, die Mitgift, die Vaterschaft, die Abstammung, die Annahme an Kindes Statt, die Handlungsfähigkeit, die Volljährigkeit, die Vormundschaft und die Beiratschaft, die Entmündigung, (...), ferner alle anderen Angelegenheiten des Familienrechts mit Einschluss aller den Personenstand betreffenden Fragen.
Das infrage stehende Kontakt- und Rayonverbot wurde zwar im Rahmen ei- nes Eheschutzverfahrens bzw. als Massnahme zum Schutz der ehelichen Gemeinschaft gestützt auf Art. 172 Abs. 3 ZGB angeordnet. Allerdings hat es seine Grundlage nicht im Familienrecht, sondern im zivilrechtlichen Persönlichkeitsschutz, konkret in Art. 28b ZGB, welcher den Schutz der Persönlichkeit vor Gewalt, Drohungen Nachstellungen zum Gegenstand hat. Anders als das Familienrecht fällt aber der zivilrechtliche Persönlichkeitsschutz nicht in den sachlichen Anwendungsbereich des Abkommens, womit seine Anwendbarkeit vorliegend zu verneinen ist.
Das anwendbare Recht ist daher gestützt auf das Bundesgesetz über das Internationale Privatrecht (SR 291) zu bestimmen, wonach schweizerisches Recht zur Anwendung gelangt (Art. 48 Abs. 1 IPRG).
Selbst wenn aber die Anwendbarkeit des Abkommens und damit iranischen Rechts bejaht würde, dürfte der Inhalt desselben – trotz zumutbarer und verhält- nismässiger Nachforschungen – kaum innert nützlicher Frist zweifelsfrei festgestellt werden können. Dies, da erstens vorliegend von einer gewissen zeitlichen Dringlichkeit auszugehen ist und zweitens sich die Ausgangslage zur Ermittlung des anwendbaren iranischen Rechts eher schwierig präsentiert: Das iranische Familienrecht sieht für die Angehörigen der verschiedenen anerkannten Religionsgemeinschaften unterschiedliche Regelungen vor (vgl. Art. 12 und 13 der Verfassung der Islamischen Republik Iran). Die Parteien sind christlichen Glaubens
(vgl. Urk. 1). Sie gehören damit einer der gemäss Art. 13 der Verfassung der Islamischen Republik Iran anerkannten religiösen Minderheit an, welche im Rahmen des Gesetzes die persönlichen Angelegenheiten – wozu u.a. die Eheschliessung und Scheidung gehören – gemäss dem eigenen Statut vornehmen. Mithin gesteht ihnen die Verfassung in diesem Bereich eine eigene Gesetzgebungskompetenz zu, und für die familienrechtlichen Beziehungen der Christen ist nicht das iranische Zivilgesetzbuch massgebend. Gemäss den Ausführungen von Dr. O. leben im Iran viele kleine christliche Gemeinschaften, die sich im grossen und ganzen in vier verschiedene christliche Gruppierungen unterteilen lassen (Katholiken, orthodoxe Christen, Protestanten und gregorianische Christen). Jede dieser Gruppierungen habe vom Recht, ein eigenes Regelwerk in familienrechtlichen Angelegenheiten zu entwerfen, Gebrauch gemacht, so dass im Ergebnis fast jede christliche Minderheit ihr eigenes Familienrechtsstatut habe (DR.
O.
in: BERGMANN/FERID/HENRICH, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Iran, S. 165). Bei dieser Ausgangslage wäre daher ohnehin, auch bei grundsätzlicher Anwendbarkeit des Abkommens, gestützt auf Art. 16 Abs. 2 IPRG ersatzweise schweizerisches Recht anzuwenden.
Gemäss Art. 172 Abs. 3 ZGB trifft das Gericht zum Schutz der ehelichen Gemeinschaft auf Begehren eines Ehegatten die vom Gesetz vorgesehenen Massnahmen, wobei die Bestimmung über den Schutz der Persönlichkeit gegen Gewalt, Drohungen Nachstellungen – mithin Art. 28b ZGB – sinngemäss anwendbar ist. Gemäss Art. 28b ZGB kann die klagende Partei zum Schutz gegen Gewalt, Drohungen Nachstellungen dem Gericht beantragen, der verletzenden Person insbesondere zu verbieten, sich ihr anzunähern sich in ei- nem bestimmten Umkreis ihrer Wohnung aufzuhalten (Ziffer 1), sich an bestimmten Orten, namentlich bestimmten Strassen, Plätzen Quartieren, aufzuhalten (Ziffer 2) sowie mit ihr Kontakt aufzunehmen, namentlich auf telefonischem, schriftlichem elektronischem Weg, sie in anderer Weise zu belästigen (Ziffer 3).
Der Einleitungssatz von Art. 28b Abs. 1 ZGB nennt als Tatbestandsvoraussetzung eine Persönlichkeitsverletzung in Form der Gewalt, Drohung Nachstellung. Das bedeutet, dass zunächst eine Persönlichkeitsverletzung im Sinne von Art. 28 ZGB vorliegen muss, damit die Rechtsfolgen von Art. 28b ZGB zur Anwendung kommen können (BSK ZGB-MEILI, Art. 28b N 4). Des Weiteren hat das Gericht bei einer Anordnung gestützt auf Art. 28b ZGB zwingend den Grundsatz der Verhältnismässigkeit zu wahren. Die auszusprechende Massnahme muss daher geeignet und erforderlich sein, um die drohende Verletzung zu verhindern. Zudem muss sie der verletzenden Person zumutbar sein, d.h., es ist eine Abwägung mit den Schutzinteressen des Opfers erforderlich (HAUSHEER/AEBI- MÜLLER, Das Personenrecht des Schweizerischen Zivilgesetzbuches, 5. Aufl. 2020, N 828).
Eine zeitliche Begrenzung der Massnahmen sieht Art. 28b ZGB nicht vor. Es liegt daher im pflichtgemässen Ermessen des Gerichts, die Massnahme befristet unbefristet anzuordnen, wobei auch in zeitlicher Hinsicht der Verhältnismässigkeitsgrundsatz zu beachten ist (BGE 144 III 257 E. 4.3.3).
Die Vorinstanz folgte dem Antrag der Gesuchstellerin zwar insofern, als dass sie gestützt auf Art. 172 Abs. 3 ZGB bzw. in analoger Anwendung von Art. 28b ZGB ein Kontakt- und Rayonverbot gegenüber dem Gesuchsgegner aussprach, jedoch befristete sie dessen Geltungsdauer bis zum 30. September 2022 (Urk. 31 S. 7 f.). Hierzu erwog sie im Wesentlichen, die Gesuchstellerin habe sich betreffend die Tatbestandsvoraussetzung der Persönlichkeitsverletzung sehr oberflächlich gehalten. Bezeichnet habe sie in diesem Zusammenhang eine Drohung des Gesuchsgegners, sich umzubringen, welche ihr grosse Angst bereitet habe, sowie eine zumindest verbale Auseinandersetzung der Parteien. Weitere Details, insbesondere betreffend Intensität, Dauer und Auswirkungen der Persönlichkeitsverletzungen habe sie nicht genannt. Zudem habe die Gesuchstellerin nicht dargelegt, warum das Kontakt- und Rayonverbot zeitlich unbeschränkt gelten solle. Demgegenüber habe die Gesuchstellerin erklärt, dass sie den Gesuchsgegner seit der Anordnung des strafrechtlichen Kontakt- und Rayonverbots bei einem Anlass wiedergesehen habe, das Aufeinandertreffen problemlos verlaufen sei und sie seitdem weniger Angst habe. Darüber hinaus habe sie gar von sich aus angeboten, dass der Gesuchsgegner zur Ausübung des Besuchsrechts mit dem gemeinsamen Sohn in ihre Wohnung könne. Gründe, ein unbefristetes und langdauerndes Rayon- und Kontaktverbot auszusprechen, seien nicht ersichtlich, zumal das bis zum 30. September 2022 strafrechtlich angeordnete Kontakt- und Rayonverbot bereits Wirkung zeige und die Gesuchstellerin weniger Angst vor dem Gesuchsgegner habe, und da spontane Kontakte möglich und geplante kurze Treffen im Zusammenhang mit dem Besuchsrecht selbst aus Sicht der Gesuchstellerin problemlos seien. Indes sei verhältnismässig, bis zum 30. September 2022 ein Kontakt- und Rayonverbot anzuordnen, damit sich die Situation zwischen den Parteien weiter beruhigen könne (Urk. 31 S. 6 f.).
Die Gesuchstellerin beantragt im Berufungsverfahren wiederum die zeitlich unbefristete Anordnung eines Kontakt- und Rayonverbots (Urk. 30 S. 2). Den vorinstanzlichen Erwägungen setzt sie im Wesentlichen was folgt entgegen: Zwar sei richtig, dass sie vor Vorinstanz ausgeführt habe, sie fürchte sich weniger vor dem Gesuchsgegner. Dies aber nur, da sie um das Bestehen der Ersatzmass- nahmen im Strafverfahren gewusst habe. Sodann treffe zu, dass sie von sich aus angeboten habe, dass der Gesuchsgegner das Besuchsrecht in ihrer Wohnung ausüben könne. Dies habe sie getan, da der Wohnort des Gesuchsgegners für Kinderbesuche nicht geeignet sei. Sie habe das Kindeswohl über ihre eigenen Bedürfnisse gestellt, was ihr hoch anzurechnen sei und nicht zu ihrem Nachteil ausgelegt werden dürfe. Schliesslich habe sie vor Vorinstanz tatsächlich dargelegt, dass es kein Problem sei, wenn sie den Sohn jeweils alleine, ohne Begleitung, übergebe und in Empfang nehme. Jedoch sei diesbezüglich festzustellen, dass sie in einem Asylheim wohne und bei den Übergaben nicht alleine dort sei (Urk. 30 S. 3).
Der Gesuchsgegner habe sich vor Vorinstanz demgegenüber überhaupt nicht vernehmen lassen. Zwar habe er am Schluss ausgeführt, dass er mit dem Ersatzmassnahmeentscheid nicht einverstanden gewesen sei. Dies aber, da er den Inhalt dieses Entscheids nicht verstanden habe und nicht, wie dies die Vorinstanz insinuiere, weil er mit dem Rayonverbot an sich nicht einverstanden gewesen sei. Zumindest sei diese Auslegung der Aussage des Gesuchsgegners nicht stringent, habe er doch nicht ausgeführt, weshalb er damit nicht einverstanden sei. Klar geworden sei indes, dass der Gesuchsgegner eine Regelung wünsche, damit er seinen Sohn sehen könne. Daraus sei zu schliessen, dass er mit den Ersatzmassnahmen nur hinsichtlich der damit verbundenen Verhinderung des Besuchsrechts nicht einverstanden gewesen sei und nicht bezüglich des zu Grunde liegenden Kontakt- und Rayonverbots. Dass sie keine weiteren Details betreffend Intensität, Dauer und Auswirkungen der Persönlichkeitsverletzungen vorgebracht habe, sei irrelevant, da der Gesuchsgegner sich nicht dagegen positioniert habe. Es habe kein Anlass bestanden, das Begehren weiter zu substantiierten, da der betreffende Bereich der Eheschutzmassnahmen der Dispositionsmaxime unterliege. Der Gesuchsgegner habe in Kenntnis ihrer Anträge auf die Beantwortung der Fragen der Vorderrichterin auf das Stellen anderslautender Anträge verzichtet. Daraus folge, dass er sich ihren Ausführungen und insbesondere ihren Anträgen angeschlossen bzw. sich damit einverstanden gezeigt habe. Es liege keine Bestreitung durch Schweigen vor (Urk. 30 S. 3 ff.).
Nicht zutreffend sei, dass sie nicht dargelegt habe, warum das Kontakt- und Rayonverbot unbeschränkt bzw. in zeitlicher Hinsicht über die bereits angeordnete Zwangsmassnahme hinausgehen solle. In den Plädoyernotizen sei festgehalten, dass das zivilrechtliche Verbot als Schutz über die Dauer der strafrechtlichen Ersatzmassnahmen hinaus diene. Es sei gerichtsnotorisch, dass sie als Privatklägerin im Strafverfahren betreffend strafrechtliche Zwangsmassnahmen keine aktive Parteistellung besitze. Sobald die Verfahrensleitung auf Ersatzmassnahmen verzichte, habe sie keine strafprozessuale Legitimation, dagegen vorzugehen, und bleibe ungeschützt. Die Dauer des Schutzes liege also nicht in ihren Händen und es sei angezeigt, ihr einen zivilrechtlich statuierten Schutz einzurichten (Urk. 30 S. 5).
Die Ausführungen der Gesuchstellerin im Rahmen der Berufung vermögen nicht darüber hinwegzutäuschen, dass sie ihren Antrag betreffend zeitlich unbeschränkte Anordnung eines Kontakt- und Rayonverbots nicht hinreichend begründet hat bzw. sie es unterlassen hat, der Vorinstanz den diesbezüglich wesentlichen Sachverhalt substantiiert vorzutragen.
Zwar gelangt im Eheschutzverfahren die eingeschränkte Untersuchungsmaxime zur Anwendung (Art. 271 lit. a in Verbindung mit Art. 272 ZPO). Diese verpflichtet das Gericht allerdings entgegen der Auffassung der Gesuchstellerin nicht zur eigentlichen Erforschung des Sachverhalts, wie dies in Kinderbelangen gestützt auf Art. 296 ZPO der Fall ist. Wie unter der im ordentlichen Verfahren geltenden Verhandlungsmaxime haben die Parteien dem Gericht die Tatsachen, auf die sie ihre Begehren stützen, darzulegen und die Beweismittel anzugeben (vgl. Art. 55 Abs. 1 ZPO). Sie sind weder von ihrer Behauptungs- noch von ihrer Beweislast befreit, und es ist nach wie vor Sache der Parteien, die entscheidrelevanten Tatsachen in das Verfahren einzubringen. Zwar gilt im Geltungsbereich von Art. 272 ZPO eine gesteigerte Fragepflicht; die Parteien werden vom Gericht bei der Sammlung des Prozessstoffs durch geeignete Fragen unterstützt. Ist aber eine Partei – wie vorliegend die Gesuchstellerin – durch einen Rechtsanwalt vertreten, so kann und muss sich das Gericht diesbezüglich wie in einem ordentlichen Verfahren zurückhalten (OGer ZH LE200011 vom 27. April 2020, E. 2.2 m.w.H.).
Der Gesuchsbegründung sind zum beantragten Kontakt- und Rayonverbot lediglich pauschale (Rand-)Bemerkungen zu entnehmen, so dass die Gesuchstellerin ihre körperliche und psychische Integrität nicht weiter durch den Gesuchsgegner habe beeinträchtigen lassen wollen (Urk. 13 S. 2), dass der Gesuchsgeg- ner offenbar psychisch auffällig sei, da er die Gesuchstellerin und sich selbst habe umbringen wollen (Urk. 13 S. 3), und dass die gestützt auf Art. 28b ZGB beantragten Schutzmassnahmen geeignet seien, um die Gesuchstellerin über die strafrechtlichen Ersatzmassnahmen hinaus zu schützen (Urk. 13 S. 2). Mit anderen Worten äusserte sich der Rechtsvertreter der Gesuchstellerin im Rahmen der Gesuchsbegründung weder explizit zur Tatbestandsvoraussetzung der Persönlichkeitsverletzung noch zur Verhältnismässigkeit der von ihm beantragten Mass- nahmen und unterliess es damit insbesondere, den für die Verhältnismässigkeitsprüfung relevanten Sachverhalt darzulegen.
Nicht zu überzeugen vermögen in dieser Hinsicht auch die Ausführungen der Gesuchstellerin im Rahmen der persönlichen Befragung. So gab sie auf Frage, ob sie Angst vor dem Gesuchsgegner habe, zu Protokoll, seit Anordnung des Rayonverbots sei nichts mehr passiert. Sie habe den Gesuchsgegner zudem bei einem Anlass wiedergesehen, und es habe keine Probleme gegeben. Seither habe sie weniger Angst (Urk. 16 S. 5). Weiter führte sie auf entsprechende Frage aus, begleitete Übergaben des gemeinsamen Sohnes seien keine notwendig; sie habe kein Problem damit, den Sohn jeweils am Samstag dem Gesuchsgegner alleine zu übergeben und zurückzunehmen (Urk. 16 S. 5). Selbst wenn die Vorinstanz diese Ausführungen falsch interpretiert hätte, wie dies die Gesuchstellerin geltend macht, lässt sich aus ihren Aussagen jedenfalls nicht ableiten, dass die Anordnung eines zeitlich unbeschränkten Kontakt- und Rayonverbots erforderlich wäre.
Dass die Verhältnismässigkeitsprüfung vor diesem Hintergrund zuungunsten der Gesuchstellerin ausgefallen ist und die Vorinstanz von der Anordnung eines zeitlich unbeschränkten Kontakt- und Rayonverbots abgesehen hat, ist daher nicht zu beanstanden. So ist es denn auch nicht Sache des Gerichts, in den beigezogenen Strafakten nach Anhaltspunkten zu suchen, welche für die Anordnung eines zeitlich unbeschränkten Kontakt- und Rayonverbots sprächen.
Unbehelflich ist nach dem Gesagten das Argument der Gesuchstellerin, der Gesuchsgegner habe sich vor Vorinstanz nicht zu ihren Anträgen und Vorbringen geäussert bzw. diese nicht bestritten. Selbst wenn man ihr in diesem Punkt zustimmen würde, befreite dies die Gesuchstellerin zwar von der Substantiierungslast, nicht aber von der Behauptungslast.
Als Novum bringt die Gesuchstellerin im Berufungsverfahren vor, der Gesuchsgegner habe sie erneut bedroht, und zwar in der Folge eines nach der Hauptverhandlung durchgeführten Besuchs des Sohnes. Sie sei deswegen zu ei- ner erneuten Strafanzeige gezwungen gewesen (Urk. 30 S. 6). Wiederum unterliess es die Gesuchstellerin aber, den für die Verhältnismässigkeitsprüfung relevanten Sachverhalt darzulegen, weshalb die Anordnung eines zeitlich unbeschränkten Kontakt- und Rayonverbots – auch in Kenntnis dieses erneuten Vorfalles – nicht gerechtfertigt erscheint.
Nach dem Gesagten ist die Berufung abzuweisen und es sind die Dispositiv- Ziffern 2 und 3 des Urteils des Einzelgerichts im summarischen Verfahren am Bezirksgericht Meilen vom 19. Juli 2022 zu bestätigen.
Die Gerichtsgebühr für das Berufungsverfahren ist in Anwendung von § 12 Abs. 1 und 2 in Verbindung mit § 5 Abs. 1 und § 6 Abs. 2 lit. b GebV OG auf Fr. 1'500.– festzusetzen und ausgangsgemäss der Gesuchstellerin aufzuerlegen (Art. 106 Abs. 1 ZPO). Für das Berufungsverfahren sind keine Parteientschädigungen zuzusprechen; der Gesuchstellerin infolge ihres Unterliegens (Art. 106 Abs. 1 ZPO), dem Gesuchsgegner mangels Aufwendungen.
Die Gesuchstellerin beantragt für das Berufungsverfahren die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und die Bestellung eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes (Urk. 30 S. 2 und 7). Die Gesuchstellerin ist Asylsuchende mit Ausweis N, wird von der Sozialhilfe unterstützt und hat keinerlei Vermögen (vgl. Urk. 10 S. 2; Urk. 13 S. 5; Urk. 14/2). Sie ist daher mittellos im Sinne von Art. 117 lit. a ZPO. Zudem können ihre Rechtsbegehren nicht als aussichtslos im Sinne von Art. 117 lit. b ZPO bezeichnet werden, sodass ihr die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren ist. Da auch im Berufungsverfahren eine anwaltliche Verbeiständung der rechtsunkundigen Gesuchstellerin zur Wahrung ihrer Rechte notwendig erscheint (Art. 118 Abs. 1 lit. c ZPO), ist ihr in der Person von Rechtsanwalt lic. iur. X. ein unentgeltlicher Rechtsbeistand zu bestellen.
Es wird beschlossen:
Es wird vorgemerkt, dass die Dispositiv-Ziffern 1, 4, 5, 6, 7, 8, 9 und 10 des Urteils des Einzelgerichts im summarischen Verfahren am Bezirksgericht Meilen vom 19. Juli 2022 in Rechtskraft erwachsen sind.
Der Gesuchstellerin wird für das Berufungsverfahren die unentgeltliche Rechtspflege gewährt und in der Person von Rechtsanwalt lic. iur. X. ein unentgeltlicher Rechtsbeistand bestellt.
Schriftliche Mitteilung mit nachfolgendem Urteil.
Es wird erkannt:
Die Berufung wird abgewiesen und die Dispositiv-Ziffern 2 und 3 des Urteils des Einzelgerichts im summarischen Verfahren am Bezirksgericht Meilen vom 19. Juli 2022 werden bestätigt.
Die zweitinstanzliche Entscheidgebühr wird auf Fr. 1'500.– festgesetzt.
Die Gerichtskosten für das zweitinstanzliche Verfahren werden der Gesuchstellerin auferlegt, jedoch zufolge Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege einstweilen auf die Gerichtskasse genommen. Die Nachzahlungspflicht gemäss Art. 123 ZPO bleibt vorbehalten.
Für das zweitinstanzliche Verfahren werden keine Parteientschädigungen zugesprochen.
Schriftliche Mitteilung an die Parteien, an das Migrationsamt des Kantons Zürich sowie an die Vorinstanz, je gegen Empfangsschein.
Nach unbenutztem Ablauf der Rechtsmittelfrist gehen die erstinstanzlichen Akten an die Vorinstanz zurück.
Eine Beschwerde gegen diesen Entscheid an das Bundesgericht ist innert 30 Tagen von der Zustellung an beim Schweizerischen Bundesgericht, 1000 Lausanne 14, einzureichen. Zulässigkeit und Form einer solchen Beschwerde richten sich nach Art. 72 ff. (Beschwerde in Zivilsachen) Art. 113 ff. (subsidiäre Verfassungsbeschwerde) in Verbindung mit Art. 42 des Bundesgesetzes über das Bundesgericht (BGG).
Dies ist ein Entscheid über vorsorgliche Massnahmen im Sinne von Art. 90 BGG und Art. 98 BGG.
Es handelt sich um eine nicht vermögensrechtliche Angelegenheit.
Die Beschwerde an das Bundesgericht hat keine aufschiebende Wirkung. Hinsichtlich des Fristenlaufs gelten die Art. 44 ff. BGG.
Zürich, 24. Oktober 2022
Obergericht des Kantons Zürich
Zivilkammer
Die Gerichtsschreiberin:
MLaw C. Rüedi versandt am:
ya
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