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Urteil Obergericht des Kantons Zürich (ZH)

Kopfdaten
Kanton:ZH
Fallnummer:LB120101
Instanz:Obergericht des Kantons Zürich
Abteilung:II. Zivilkammer
Obergericht des Kantons Zürich Entscheid LB120101 vom 27.02.2013 (ZH)
Datum:27.02.2013
Rechtskraft:-
Leitsatz/Stichwort:Forderung
Schlagwörter : Klagt; Klagten; Beklagten; Berufung; Klägers; Auszahlung; Konto; Recht; Bezirksgericht; Recht; Rente; Urteil; Partei; Klage; Verfahren; Freizügigkeitsstiftung; Auszahlungsantrag; Entscheid; Vollmacht; Vorsorgekapital; Person; Tigkeit; Stiftung; Lassen; Austrittsleistung; Auftrag; Unterzeichnet; Personen; Bundesgericht
Rechtsnorm: Art. 150 OR ; Art. 2 ZGB ; Art. 3 ZGB ; Art. 317 ZPO ; Art. 395 OR ; Art. 400 OR ; Art. 404 ZPO ; Art. 405 ZPO ; Art. 466 OR ; Art. 470 OR ; Art. 54 ZPO ; Art. 55 ZGB ; Art. 57 ZPO ; Art. 90 BGG ; Art. 98 ZPO ;
Referenz BGE:138 III 374;
Kommentar zugewiesen:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
Weitere Kommentare:
Entscheid

Obergericht des Kantons Zürich

II. Zivilkammer

Geschäfts-Nr. LB120101-O/U

Mitwirkend: Oberrichterin lic. iur. A. Katzenstein, Vorsitzende, Oberrichter lic. iur.

P. Diggelmann und Oberrichter Dr. P. Higi sowie Gerichtsschreiberin lic. iur. V. Seiler.

Urteil vom 27. Februar 2013

in Sachen

  1. ,

    Beklagte und Berufungsklägerin

    vertreten durch Rechtsanwalt lic. iur. X.

    gegen

  2. ,

Kläger und Berufungsbeklagter

vertreten durch Rechtsanwältin M.A. HSG in Law Y.

betreffend Forderung

Berufung gegen ein Urteil der 4. Abteilung des Bezirksgerichtes Zürich vom

11. September 2012; Proz. CG110038

Rechtsbegehren:

1. Die Beklagte sei zu verpflichten, dem Kläger den Betrag von CHF 106'500.75 nebst Zins zu 5% seit 19. April 2007 zu bezahlen.

2. Alles unter Kostenund Entschädigungsfolgen zu Lasten der Beklagten

Urteil der 4. Abteilung des Bezirksgerichtes Zürich vom 11. September 2012 (act. 44 S. 20 f.):
  1. Die Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin [recte: dem Kläger] Fr. 106'500.75 nebst Zins zu 5 % seit 19. April 2008 zu bezahlen.

  2. Die Entscheidgebühr wird auf Fr. 9'000.- (Pauschalgebühr) festgesetzt. Allfällige weitere Auslagen bleiben vorbehalten.

  3. Die Gerichtskosten werden der beklagten Partei auferlegt.

  4. Die beklagte Partei wird verpflichtet, der Rechtsvertreterin der klagenden Partei eine Parteientschädigung von Fr. 14'700.- zu bezahlen.

5./6. Mitteilungen, Rechtsmittel

Berufungsanträge:

der Beklagten (act. 49):

  1. Die Klage sei in Aufhebung des Entscheids des Bezirksgerichtes Zü- rich vom 11. September 2012 abzuweisen.

  2. Das Verfahren sei bis zum Vorliegen eines rechtskräftigen Entscheids bezüglich des vertraglichen Anspruchs des Berufungsbeklagten gegenüber der Freizügigkeitsstiftung der C. zu sistieren.

  3. Alles unter Kostenund Entschädigungsfolgen, letztere zuzüglich Mehrwertsteuer, zu Lasten des Berufungsbeklagten.

des Klägers:

--

Erwägungen:

1. Der Kläger hat Wurzeln [des Staates D. ]. Er arbeitete seit 1985 als Automechaniker bei der E. AG in . Die Beklagte (eigentlich als Verein männlich; im Folgenden weiblich wie in allen Unterlagen des Prozesses) ist ein nicht gewinnstrebiger Verein schweizerischen Rechts mit dem Zweck, Arbeitnehmer [aus dem Staat D. ] und ihre Familien in der Schweiz beim Ausüben ihrer Rechte im Bereich der Sozialversicherung und der Ansprüche aus der Erwerbstätigkeit zu betreuen und (auch vor Gericht) zu vertreten. Sie wurde unter den Namen A1. mit Sitz an der F. -Strasse ... in G. gegründet und änderte später den Namen in A. (Hervorhebungen beigefügt). Seit dem tt.mm.2010 ist sie im Handelsregister eingetragen (act. 5/1). Sie wird vom H. (= A2. ) mit Sitz in I. [Stadt in D. ] gefördert, welches auch in den Statuten bei der Aufzählung, woher der Verein seine finanziellen Mittel bezieht, an erster Stelle steht (act. 5/3).

Da der Kläger an gesundheitlichen Beschwerden am Fuss (HalluxBeschwerden, Arthrose) litt, welche ihn teilweise bis ganz arbeitsunfähig machten, stellte er im Jahr 2005 bei der IV einen Antrag zum Rentenbezug. Gegenüber dem Vorbescheid bzw. der entsprechenden Verfügung der IV-Stelle (SVA ), die ihm (für die meiste Zeit ab 1. Oktober 2005) eine halbe IV-Rente zusprach, machte der Kläger eine anhaltende vollständige Arbeitsunfähigkeit geltend, und er wollte dementsprechend eine ganze IV-Rente erstreiten. Mit diesem Anliegen suchte der Kläger im Dezember 2006 bei der Beklagten Unterstützung. Der als Berater in deren Büro an der F. -Strasse in G. tätige Geschäftsführer der Beklagten J. führte für den Kläger die Korrespondenz zwischen den verschiedenen Behörden und mit den Ärzten und legte im Namen des Klägers Rechtsmittel gegen die Verfügung ein. Die Bemühungen blieben indessen erfolglos (vgl.

BGer 9C_271/2008 vom 5. Mai 2008; act. 4/5-6) und der Kläger war über den Ausgang der Verfahren enttäuscht. Im Frühjahr 2007 erklärte J. dem Klä- ger, wenn er sein Pensionskassenguthaben zur Hälfte auf ein Sperrkonto bei der C. Bank (C. ) überweise, erhalte er eine bessere finanzielle Absicherung im Alter. Später kam J. erneut auf den Kläger zu und riet ihm, er solle sein Altersguthaben an die Stiftung Auffangeinrichtung BVG in überweisen lassen, dort könne er bessere Konditionen erzielen. Der Kläger ging darauf ein und unterschrieb die ihm von J. vorgelegten Papiere. So wurde bei der C. ein Freizügigkeitskonto für den Kläger eröffnet und die hälftige Austrittsleistung am 5. April 2007 auf dieses Konto überweisen (vgl. act. 4/11). Der Kläger unterzeichnete im Weiteren eine Vollmacht (act. 4/10) und einen Auszahlungsantrag an die Freizügigkeitsstiftung der C. (act. 4/9), beide mit Datum vom

13. April 2007. Durch diverse Manipulationen erreichte J. , dass das Vorsorgekapital des Klägers im Betrag von Fr. 109'524.75 per 18. April 2007 (act. 4/13) ihm persönlich - (zunächst) auf ein Konto der K. - ausbezahlt wurde. Der Kläger erhielt im Zeitraum zwischen August 2008 und Februar 2009 monatliche Zahlungen von Fr. 432.-- (vgl. act. 4/20a-g). Die Parteien sind sich darin einig, dass J. das Vorsorgekapital des Klägers im übrigen Teil veruntreut hat (vgl. act. 2 N 10, 14; act. 4/14; act. 49 N 8 S. 6).

    1. Mit Weisung vom 21. Dezember 2010 machte der Kläger die Klage über das eingangs wiedergegebene Rechtsbegehren am 17. März 2011 hängig. Mit der Klageantwort verkündete die Beklagte der Freizügigkeitsstiftung der

      C. sowie der K. , Filiale , den Streit (act. 14). Beide Banken verzichteten nach entsprechender Mitteilung bzw. Fristansetzung (act. 15 ff.) auf einen Prozessbeitritt (vgl. act. 20). Das Bezirksgericht ordnete einen zweiten Schriftenwechsel an (act. 23, act. 29, act. 37).

      Am 11. September 2012 fällte das Bezirksgericht das eingangs im Dispositiv wiedergegebene Urteil, mit dem es die Klage guthiess. Die Zustellung an die Beklagte erfolgte am 17. September 2012 (act. 46).

    2. Gegen das Urteil vom 11. September 2012 führt die Beklagte mit Schriftsatz vom 17. Oktober 2012 - zur Post gegeben am selben Tag (act. 51) - rechtzeitig Berufung.

Die Beklagte leistete den ihr auferlegten Kostenvorschuss. Weitere prozessuale Anordnungen wurden nicht getroffen.

3. Nachdem zwar das Verfahren vor dem Friedenrichter am 10. Dezember 2010, mithin vor dem Inkrafttreten der eidgenössischen Zivilprozessordnung (ZPO) am 1. Januar 2011 eingeleitet wurde, die Klage indessen erst am 17. März 2011 beim Bezirksgericht rechtshängig gemacht wurde, richtete sich bereits das erstinstanzliche Verfahren nach den Regeln der ZPO und der dazugehörigen kantonalen Erlasse (GOG, ferner GebV OG und AnwGebV vom 8. September 2010; vgl. Art. 404 Abs. 1 ZPO e contrario; ZR 110/2011 Nr. 60, S. 191). Ebenso untersteht das Berufungsverfahren dem neuen Recht (Art. 405 Abs. 1 ZPO). Die wesentlichsten Neuerungen sind zum einen die weit gehende Überbindung des Kostenrisikos auf den Berufungskläger (Art. 98 ZPO), die Einschränkung des Novenrechts (Art. 317 ZPO) und die strenge Rügeobliegenheit (BGE 138 III 374 E. 4.3.: il incombe au recourant de motiver son appel (art. 311 al. 1 CPC), c'est-à-dire de démontrer le caractère erroné de la motivation attaquée. Pour satisfaire à cette exigence, il ne lui suffit cependant pas de renvoyer aux moyens soulevés en première instance, ni de se livrer à des critiques toutes générales de la décision attaquée. Sa motivation doit être suffisamment explicite pour que l'instance d'appel puisse la comprendre aisément, ce qui suppose une désignation précise des passages de la décision que le recourant attaque et des pièces du dossier sur lesquelles repose sa critique). Zum anderen sind wesentlich neu die weit gehende Freiheit des Gerichts in der Gestaltung und im Umfang des Berufungsverfahrens (Art. 322 und 324 ZPO), ferner der Verzicht auf eine zwingende mündliche und auf eine öffentliche Beratung (Art. 54 ZPO und § 134 GOG).

4.1 Das Bezirksgericht prüft, ob J. gegenüber dem Kläger im Namen der Beklagten auftrat und bejaht das. Es geht weiter davon aus, dass J. die Beklagte für die vom Kläger in Auftrag gegebenen Vorkehrungen rechtsgültig zu

vertreten vermocht habe. Der Kläger habe die Beklagte entsprechend der Empfehlungen J. s damit betrauen wollen, sein Freizügigkeitsguthaben zwecks Erzielung besserer Konditionen auf eine Stiftung zu überweisen. Es handle sich dabei um eine Unterstützungsleistung bei der Regelung sozialversicherungsrechtlicher Ansprüche, welche in den genuinen Tätigkeitsbereich der Beklagten falle.

J. sei daher auch ermächtigt gewesen, den Auftrag im Namen der Beklagten anzunehmen (Urteil S. 9 - 11).

Die Beklagte lässt das nicht gelten. Sie kritisiert, das Bezirksgericht übersehe, dass J. den Kläger nicht nur beraten habe, sondern vom Kläger überdies zur Überweisung des Vorsorgekapitals auf ein von ihm errichtetes Konto ermächtigt worden sei. Die Entgegennahme bzw. Aufbewahrung und Verwaltung von Vermögen sei aber vom Vereinszweck bzw. Tätigkeitsbereich der Beklagten nicht gedeckt. Wenn J. sich das Vorsorgekapital des Klägers habe auszahlen lassen, habe er es als Privatperson getan und gehe das die Beklagte nichts an. Unter Bezugnahme auf einen jüngsten Entscheid des Bundesgerichts (BGer 9C_137/2012 vom 5. April 2012) bestreitet die Beklagte schliesslich, dass dem Kläger überhaupt ein Schaden entstanden sei (act. 51).

      1. Der Kläger machte in der Klageschrift geltend, er könne nicht beurteilen, ob Vollmacht und Auszahlungsantrag bereits vollständig ausgefüllt und bedruckt gewesen seien, als er diese unterschrieben habe oder ob J. die Dokumente erst im Nachhinein noch um gewisse Angaben ergänzt habe. Mit Bestimmtheit könne er aber sagen, dass weder er noch seine Ehefrau, welche den Auszahlungsantrag mitunterzeichnet habe, das Konsulat [des Staates

        D. ] in aufgesucht hätten, um ihre Unterschriften beglaubigen zu lassen, und dass er einer Auszahlung seiner Freizügigkeitsleistung auf ein Konto der Beklagten niemals zugestimmt hätte (act. 2 N 10). Dass J. die Unterschriften gefälscht habe, behauptete er damit nicht. In der Replik verwahrte sich der Kläger gegen den Einwand, dass er J. persönlich (und nicht die Beklagte) beauftragt habe, bestritt aber weiterhin nicht, dass die geleisteten Unterschriften seine eigenen seien (act. 29 S. 3 ff.), und daran änderte auch die Duplik nichts (act. 40). Wenn die Beklagte in der Berufung erwähnt, die der C. zur Auszahlung des

        Vorsorgekapitals vorgelegte Vollmacht sei mangelhaft gewesen (act. 49 S. 9), ist das neu und nach Art. 317 Abs. 1 ZPO unzulässig.

        Tatsächlich wollte der Kläger wohl keine Auszahlung seines (hälftigen) Vorsorgekapitals auf ein Konto der Beklagten, sondern er wünschte - entsprechend den Verheissungen J. s - die Überweisung des Guthabens auf die Stiftung Auffangeinrichtung BVG und die Ausrichtung einer Rente. Offenbar hat J. den Kläger über die Tragweite der Unterschrift auf der Vollmacht und auf dem Auszahlungsantrag vom 13. April 2007 getäuscht. Willenserklärungen sind freilich nach dem Vertrauensprinzip auszulegen und rechtlich so zu würdigen, wie sie ein vernünftiger und korrekter Adressat unter den konkreten Umständen nach Treu und Glauben verstehen durfte und musste (vgl. Art. 2 ZGB; vgl. BSK Watter/Schneller, Art. 33 N 17 f.). Die vom Kläger unterzeichnete Vollmacht ermächtigt die Beklagte ausdrücklich zur Auflösung des Freizügigkeitskontos des Klägers und Überweisung der Austrittsleistung auf ein Konto lautend auf A3.

        (act. 4/10). Damit wurde zum Ausdruck gebracht, es sei ein Konto der Beklagten

        - auch wenn das in Wahrheit nicht zutraf. So weit ist der Beklagten beizustimmen, dass die relevante Bevollmächtigung die Entgegennahme der Austrittsleistung im Namen des Klägers, d.h. die Überweisung der Austrittsleistung auf ein Konto der Beklagten umfasste. Ebenso weist der die Unterschrift des Klägers tragende Auszahlungsantrag die Beklagte als Kontoinhaberin aus (act. 4/9). Hat der Kläger den Auszahlungsantrag vor der Unterzeichnung nicht gelesen, blanko unterzeichnet oder mangels genügender Sprachkenntnisse nicht richtig verstanden, konnte das die C. als Adressatin weder merken noch auch nur erahnen. Nach Treu und Glauben hat der Kläger mit diesem Papier den Auftrag zum Auszahlen des Kapitals auf das angegebene Konto erteilt. Keine Partei macht im Übrigen geltend, es habe weiterer formeller Voraussetzungen als des schriftlichen Auszahlungsantrags bedurft.

      2. Welche interne Stellung J. bei der Beklagten hatte, ist im Einzelnen nicht bekannt. Seine unbestrittene Anstellung als Geschäftsführer deutet auf eine Organeigenschaft im Sinne von Art. 55 ZGB hin. Allerdings heisst es, er sei Geschäftsführer (nur) des Büros G. gewesen. Auch die Struktur der

        Beklagten ist nicht bekannt, ob sie allenfalls weitere Büros führte, und wer im Rahmen des Ganzen welche Entscheidungen traf. Das kann allerdings offen bleiben. Juristische Personen können nicht nur durch ihre formellen Organe handeln, sondern wie alle Personen durch eigens bestellte Vertreter oder durch Angestellte. Es gelten für diese die obligationenrechtlichen Regeln über die Stellvertretung. Diese kennen insbesondere die Figur der so genannten Anscheinsvollmacht: die juristische Person muss es sich nach dem Vertrauensprinzip (Art. 2 ZGB) anrechnen lassen, wenn sie den (wenn auch objektiv unrichtigen) Eindruck erweckt oder toleriert, jemand handle für sie mit ihrer Billigung (Tuor/Schnyder/Schmid, ZGB, 13. A. 2009, S. 149; BGer 4C.307/2001 vom 14. März 2002 und 4A_54/2008 vom

        29. April 2008).

        Entscheidend ist der Unterschied zwischen der tatsächlichen, objektiven Ermächtigung und einem allfälligen aus der subjektiven Sicht des Klägers bestehenden weiter gehenden Rechtsschein, zusammen mit einem Handeln oder Dulden der Beklagten, bei welchem sie behaftet werden kann. Zu Recht bestreitet die Beklagte vorweg nicht, dass J. als ihr Vertreter auftrat: die unterzeichnete Vollmacht lautet bei der Rubrik beauftragt hiermit auf A3. ohne weiteren Zusatz, und sie trägt unten den Stempel A4. F. -Strasse .../PF

        G. (act. 4/10). Die Beklagte hat ausdrücklich zum Zweck, Landsleute [des Staates D. ] im Verkehr mit (Sozial-)Versicherungen zu beraten und - selbst vor Gericht - zu vertreten. J. war (wie soeben ausgeführt) nicht nur bei ihr angestellt, sondern er war der Geschäftsführer jedenfalls ihres Büros in G. , das der Kläger mit seinem Anliegen aufsuchte. Die Beklagte hat also, selbst wenn sie das nicht wollte, den Anschein geschaffen und bestehen lassen, dass J. für sie handeln könne. Der konkrete Umfang dieser Handlungen bleibt zu diskutieren.

        Der Kläger war und ist ein einfacher Arbeiter. Dass er irgend welche Kenntnisse allgemein administrativer Art und im Bereich der Sozialversicherungen hatte, ist nicht behauptet und nicht anzunehmen, erst recht nicht für das Gebiet der Finanztransaktionen und Versicherungen. Gegenteils ist unwidersprochen behauptet, dass er für sein Anliegen der Erstreitung einer höheren IV-Rente Unterstützung benötigte. Er war, was das Freizügigkeitsguthaben und die darauf anzuwendenden Regeln anging, ohne eigene Kenntnisse und ohne Erfahrung, und wandte sich deshalb an die Beklagte als eine bewährte Institution mit Zentrale im heimatlichen I. , welche ihre Landsleute im Bereich der Sozialversicherung berät. Ihre Clientèle dürfte denn auch weit gehend aus administrativ und geschäftlich unerfahrenen Personen wie dem Kläger bestehen - oder jedenfalls muss sie damit rechnen, dass sich solche unerfahrenen Personen an sie wenden. An die Möglichkeiten des Klägers, einer Unkorrektheit oder gar einem Betrug auf die Spur zu kommen, ist daher zu Lasten der Beklagten kein strenger Massstab anzulegen.

        Bei einer sorgfältigen juristischen Auslegung der Vollmacht vom 13. April 2007 (wie sie die Möglichkeiten des Klägers allerdings wohl überstieg) käme man zum Ergebnis, dass diese Generalvollmacht zur Vornahme aller Handlungen, für welche kantonale oder eidgenössische Gesetze eine Spezialvollmacht verlangen, den Abschluss eines Vertrages mit einer Bank oder mit einer Versicherungsgesellschaft umfasst, insbesondere die Abgabe von Erklärungen gegenüber der Freizügigkeitsstiftung der C. . Dabei geht es um eine Vereinbarung oder die Abgabe einer Willenserklärung im Verhältnis des Klägers zu einer Bank oder Versicherung resp. Vorsorgeeinrichtung. Das trifft den Kern der statutarischen Tä- tigkeit der Beklagten: sie unterstützt den Hilfesuchenden in seinem Auftreten und Handeln gegenüber einer Einrichtung der Sozialversicherung. Dass dabei der Leiter ihres Büros (eben: J. ) tätig wurde und handelte, lag auf der Hand.

        Dabei dürfte durchaus zutreffen, dass der Zweck und der Tätigkeitsbereich der Beklagten die Entgegennahme und Verwaltung von Vorsorgekapitalien nicht deckte und die Beklagte ihren Geschäftsführer J. auch nicht zu solchen Handlungen ermächtigt hatte. Der Kläger behauptet nichts Gegenteiliges. Aber aus seiner Laien-Sicht (mit welcher die Beklagte wie oben dargestellt rechnen musste) musste es nicht auffällig sein, dass J. namens der Beklagten das Geld auf ein (vermeintlich) dieser gehörendes Konto anweisen liess. Gerade weil sie sich mit ihrer Beratungstätigkeit an einfache und geschäftlich nicht versierte Personen wendete, muss sich das die Beklagte anrechnen lassen. Sie machte es

        J. auch insofern einfach, als sie ihn mit Einzelunterschrift gegenüber Sozialversicherungen und Vorsorgeeinrichtungen auftreten liess. Sie erwähnt korrekt (act. 49 N 3), dass der verhängnisvolle Auszahlungsantrag vom Kläger selber unterzeichnet wurde, die vorgängige Korrespondenz hatte J. allerdings wie auch in anderen Fällen alleine geführt (vgl. act. 4/8 und 4/14), und das trug dazu bei, dass ihm der ganze Betrug letztlich gelingen konnte.

      3. Der Kläger darf sich immerhin auf seine Vorstellung nur dann berufen, wenn er ihre Unrichtigkeit nicht nach den Umständen und nach seinen persönlichen Möglichkeiten erkennen konnte und damit musste (Art. 3 Abs. 2 ZGB). Dazu ergibt sich Folgendes: Aus der laienhaften Sicht des Klägers bestand darum kein Grund zum Misstrauen, weil J. bei der Angabe des Kontos listig und tü- ckisch seinen Namen unterdrückt und als Kontoinhaberin die Beklagte

        (A5. ) angegeben hatte. Der Kläger hätte misstrauisch werden können und sollen, wenn er erkannt hätte oder hätte erkennen können und müssen, dass die Auszahlung seines Guthabens tatsächlich an J. persönlich ging. Das wusste dieser aber erfolgreich zu verhindern: die schweizerische Post kam bemerkenswerterweise seinem Ansinnen nach, für den Kläger bestimmte Sendungen eine zeitlang ihm - J. - zuzustellen (act. 4/12). So konnte er den Beleg, welcher die Auszahlung bestätigte und als Empfänger nicht die Beklagte nannte (act. 4/13), abfangen und dem Kläger vorenthalten; dieser merkte von der Umleitung seiner Post nichts, da J. ihm die übrige Post täglich in den Briefkasten legte. Eine relevante Unsorgfalt kann dem Kläger nicht vorgeworfen werden.

        Für Fachpersonen des Geldund Versicherungswesens, vielleicht auch schon für kaufmännisch nur grund-gebildete Menschen, hätte sich die Frage aufgedrängt, ob der (Beratungsund Vertretungs-)Zweck der Beklagten die Entgegennahme und Verwaltung des Vorsorgeguthabens umfasse. Sie hätten sich wohl gefragt, ob (oder warum) sie denn keinen Beleg erhielten, der die Auszahlung, die Überweisung und später die Berechnung der Rente ausweise. Das gilt allerdings eben nicht für den Kläger als ausgesprochenen Laien. Wie Renten im Einzelnen berechnet werden, ob und was für eine Rendite auf dem Kapital einberechnet wird, wie gross der Abschlag für eine Rente mit Rückgewähr mathematisch sein

        muss, verstehen auch gut ausgebildete Personen mitunter nicht, oder jedenfalls nicht immer. Ob der Kläger hinterher das Fehlverhalten J. s hätte erkennen können und müssen, ist im Grunde nicht mehr relevant. Es träfe wohl nicht zu:

        J. veranlasste fingierte Rentenzahlungen mit der Mitteilung an den Begünstigten: A3. , Inhaber J. , [Adresse], Ergänzungsrente IV-BVG , Vertrag , Vers. ... (Für B. tt.mm.44) (act. 4/20). Bei so viel Raffinesse des Betrügers kann dem Kläger nicht vorgehalten werden, er hätte den Schwindel erkennen können und müssen (Art. 3 Abs. 2 ZGB).

        Damit muss sich die Beklagte dabei behaften lassen, dass J. vermeintlich in ihrem Namen übernommen hatte, das Freizügigkeitsguthaben des Klägers für diesen entgegen zu nehmen und zwecks Auszahlung einer Rente an den Kläger auf das Konto eines Dritten, nämlich der Stiftung Auffangeinrichtung BVG in ..., zu überweisen. Rechtlich war das ein (einfacher) Auftrag (Art. 395 OR) verbunden mit einer Anweisung (Art. 466 OR). Gegenüber dem Angewiesenen kann der Anweisende widerrufen, solange jener dem Empfänger seine Annahme nicht erklärt hat (Art. 470 Abs. 2 OR). Letzteres ist vorliegend nicht geschehen. Die Stiftung Auffangeinrichtung in ... hat offensichtlich nie eine entsprechende Mitteilung erhalten, und sie eröffnete auch kein Konto für den Kläger (vgl. act. 4/14). Indem der Kläger mit seiner Klage den Betrag seiner Austrittsleistung (abzüglich bereits erfolgter Zahlungen, dazu sogleich) von der Beklagten fordert, widerruft er sinngemäss die Anweisung, das Guthaben an die Stiftung Auffangeinrichtung BVG zu überweisen. Der Beklagten erwächst damit aus dem Auftrag mit dem Kläger die sofort fällige Pflicht, die für ihn entgegengenommene Austrittsleistung zu erstatten (Art. 400 Abs. 1 OR; vgl. BSK OR I-Weber, Art. 400 N 12, 15).

      4. Das Verhältnis des Klägers zur Freizügigkeitsstiftung der C. spielt unter diesen Umständen keine Rolle, da er gegenüber der Beklagten aus rechtlicher Sicht (Art. 57 ZPO) einen vertraglichen Anspruch (auf Erfüllung) und nicht einen Schaden geltend machen kann. Dieser Anspruch bestünde auch, wenn die C. durch die Auszahlung nicht befreiend geleistet hätte und somit dem Kläger nach wie vor das Kapital schuldete. Dabei wird das von der Beklagten angeführte Urteil BGer 9C_137/2012 vom 5. April 2012 keineswegs in Frage gestellt. Dort ging es vorweg um einen gefälschten Auftrag zum Auszahlen des Kapitals, und eingeklagt war direkt die Vorsorgeeinrichtung, so dass das Bundesgericht keinen Anlass hatte, sich zum Verhältnis der Ansprüche gegen die Vorsorgeeinrichtung und gegen die Beklagte zu äussern.

        Immerhin wäre in Analogie zu den Bestimmungen über die Solidarität

        (Art. 150 Abs. 2 OR) und nach Treu und Glauben der Anspruch des Klägers gegen die Beklagte in dem Umfang zu reduzieren, als er von der Vorsorgeeinrichtung tatsächlich eine Zahlung erhalten hätte: der Kläger begründet seine Klage ja ausdrücklich damit, dass ihm das ausbezahlte Kapital zu ersetzen sei. Die Beklagte behauptet aber nicht, dass ein solcher Geldfluss bereits erfolgt sei, sondern sie lässt es (nur) offen, ob der Kläger bereits gegen die Freizügigkeitsstiftung vorgehe oder es erst noch tun werde, und sie sieht eine aufgrund eines solchen Vorgehens mögliche Zahlung so oder so als künftigen Sachverhalt: (es) wird sich - dies dann tatsächlich als Novum - erweisen, dass gar kein Schaden besteht, für den der Berufungsbeklagte die Berufungsklägerin belangen könnte (act. 49

        Rz 13 S. 9). In dieser Situation ist die Entscheidung des Bezirksgerichts jedenfalls im Ergebnis richtig: weder sind Weiterungen im Verfahren noch ist eine Sistierung angezeigt. Die denkbare Auseinandersetzung der Beklagten mit der Freizügigkeitsstiftung der C. wird erst aktuell, wenn die Beklagte selber etwas bezahlt hat, und sie geht den Kläger nichts an.

      5. Für das Quantitativ seiner Forderung hat der Kläger in erster Instanz darauf abgestellt, was die Freizügigkeitsstiftung nach Abzug der Quellensteuer auszahlte (Fr. 109'524.75), und davon die von J. ihm tatsächlich ausbezahlten Renten-Beträge (7 x Fr. 432.--) abgezogen (act. 2 Rz 14). Die Beklagte äusserte sich dazu nicht vor Bezirksgericht und zieht die Höhe bzw. Berechnung der eingeklagten Forderung ebenso in der Berufung nicht in Zweifel (act. 49 Rz 14). Nach Zeit und Umfang ebenso unbeanstandet ist die Verpflichtung zur Leistung von Zins zu 5 % seit 19. April 2008. Darauf ist nicht zurück zu kommen.

5. Im Ergebnis ist die Klage - in Bestätigung des angefochtenen Urteils - gutzuheissen. Die unterliegende Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Für

das Verfahren der Berufung, in dessen Verlauf der Kläger nicht begrüsst wurde, ist keine Parteientschädigung geschuldet.

Es wird erkannt:
  1. Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger Fr. 106'500.75 nebst Zins zu 5 % seit 19. April 2008 zu bezahlen.

  2. Die Regelung der Kostenfolgen für das erstinstanzliche Verfahren (Ziffern 3 - 5 im Dispositiv des angefochtenen Urteils) wird bestätigt.

  3. Die zweitinstanzliche Entscheidgebühr wird auf Fr. 5'400.-- festgesetzt, der Beklagten auferlegt und mit dem von ihr geleisteten Kostenvorschuss verrechnet.

  4. Für das Berufungsverfahren wird keine Parteientschädigung zugesprochen.

  5. Schriftliche Mitteilung an die Parteien, an den Kläger unter Beilage des Doppels von act. 49, sowie an das Bezirksgericht Zürich, je gegen Empfangsschein, und an die Obergerichtskasse.

    Nach unbenutztem Ablauf der Rechtsmittelfrist gehen die erstinstanzlichen Akten an die Vorinstanz zurück.

  6. Eine Beschwerde gegen diesen Entscheid an das Bundesgericht ist innert 30 Tagen von der Zustellung an beim Schweizerischen Bundesgericht, 1000 Lausanne 14, einzureichen. Zulässigkeit und Form einer solchen Beschwerde richten sich nach Art. 72 ff. (Beschwerde in Zivilsachen) oder Art. 113 ff. (subsidiäre Verfassungsbeschwerde) in Verbindung mit Art. 42 des Bundesgesetzes über das Bundesgericht (BGG).

Dies ist ein Endentscheid im Sinne von Art. 90 BGG.

Es handelt sich um eine vermögensrechtliche Angelegenheit. Der Streitwert beträgt Fr. 106'500.75.

Die Beschwerde an das Bundesgericht hat keine aufschiebende Wirkung.

Obergericht des Kantons Zürich

II. Zivilkammer

Die Vorsitzende:

lic. iur. A. Katzenstein

Die Gerichtsschreiberin:

lic. iur. V. Seiler

versandt am:

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