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Urteil Obergericht des Kantons Zürich (ZH)

Kopfdaten
Kanton:ZH
Fallnummer:LB120100
Instanz:Obergericht des Kantons Zürich
Abteilung:II. Zivilkammer
Obergericht des Kantons Zürich Entscheid LB120100 vom 27.02.2013 (ZH)
Datum:27.02.2013
Rechtskraft:-
Leitsatz/Stichwort:Forderung
Schlagwörter : Klagt; Beklagten; Kapital; Berufung; Rente; Vorsorge; Konto; Recht; Bezirksgericht; Auszahlung; Urteil; Entscheid; Lasse; Verfahren; Unterschrift; Person; Recht; Partei; Bundesgericht; Gericht; Vorsorgeeinrichtung; Parteien; Auftrag; Personen; Nicht; Bezahlt; Klage; Büro; Zahlte
Rechtsnorm: Art. 11 OR ; Art. 2 ZGB ; Art. 3 ZGB ; Art. 317 ZPO ; Art. 404 ZPO ; Art. 405 ZPO ; Art. 472 OR ; Art. 475 OR ; Art. 517 OR ; Art. 54 ZPO ; Art. 55 ZGB ; Art. 57 ZPO ; Art. 90 BGG ; Art. 98 ZPO ;
Referenz BGE:138 III 374;
Kommentar zugewiesen:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
Weitere Kommentare:
Entscheid

Obergericht des Kantons Zürich

II. Zivilkammer

Geschäfts-Nr. LB120100-O/U

Mitwirkend: Oberrichterin lic. iur. A. Katzenstein, Vorsitzende, Oberrichter lic. iur.

P. Diggelmann und Oberrichter Dr. P. Higi sowie Gerichtsschreiberin lic. iur. V. Seiler.

Urteil vom 27. Februar 2013

in Sachen

  1. ,

    Beklagte und Berufungsklägerin

    vertreten durch Rechtsanwalt lic. iur. X.

    gegen

  2. ,

    Klägerin und Berufungsbeklagte

    vertreten durch Rechtsanwältin Dr. iur. Y.

    sowie

  3. ,

Nebenintervenientin betreffend Forderung

Berufung gegen ein Urteil der 4. Abteilung des Bezirksgerichtes Zürich vom

  1. September 2012; Proz. CG100242

    Rechtsbegehren:

    Es sei die Beklagte zu verpflichten, der Klägerin den Betrag von

    Fr. 163'676.80 zuzüglich Zins von 5% ab 1. August 2008 zu bezahlen.

    Urteil der 4. Abteilung des Bezirksgerichtes Zürich vom 7. September 2012 (act. 57 S. 22.f.):
    1. Die Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin den Betrag von

      Fr. 163'676.80 zuzüglich Zins von 5% ab 1. August 2008 zu bezahlen.

    2. Die Gerichtsgebühr wird festgesetzt auf Fr. 11'300.-- (Pauschalgebühr). Allfällige weitere Auslagen bleiben vorbehalten.

    3. Die Gerichtskosten werden der Beklagten auferlegt.

    4. Die Beklagte wird verpflichtet, der klägerischen Rechtsvertreterin eine Prozessentschädigung von Fr. 22'062.-- (inkl. MwSt) zu bezahlen.

5./6. Mitteilungen, Rechtsmittel

Berufungsanträge:

der Beklagten (act. 63):

  1. Die Klage sei in Aufhebung des Entscheids des Bezirksgerichtes Zü- rich vom 7. September 2012 abzuweisen.

  2. Das Verfahren sei bis zum Vorliegen eines rechtskräftigen Entscheids bezüglich des vertraglichen Anspruchs der Berufungsbeklagten gegen- über der C. zu sistieren.

  3. Alles unter Kostenund Entschädigungsfolgen, letztere zuzüglich Mehrwertsteuer, zu Lasten der Berufungsbeklagten.

der Klägerin:

--

Erwägungen:
  1. Die Klägerin ist Staatsangehörige [des Staates D. ]. Sie arbeitete seit 1990 bei der E. AG ... in F. . Für die so genannte Zweite Säu- le war sie bei der C. berufliche Vorsorge (im Folgenden nur C. ) versichert. Die Beklagte (eigentlich als Verein männlich; im Folgenden weiblich wie in allen Unterlagen des Prozesses) ist ein nicht gewinnstrebiger Verein schweizerischen Rechts mit dem Zweck, Arbeitnehmer [des Staates D. ] und ihre Familien in der Schweiz beim Ausüben ihrer Rechte im Bereich der Sozialversicherung und der Ansprüche aus der Erwerbstätigkeit zu betreuen und (auch vor Gericht) zu vertreten. Sie wurde unter den Namen A1. mit Sitz an der

    G. -Strasse ... in F. gegründet und änderte später den Namen in

    1. (Hervorhebungen beigefügt). Seit dem tt. Juli 2010 ist sie im Handelsregister eingetragen. Sie wird vom H. (= A2. ) mit Sitz in I. [Stadt in D. ] gefördert, welches auch in den Statuten bei der Aufzählung, woher der Verein seine finanziellen Mittel bezieht, an erster Stelle steht.

      Im Februar 2008 suchte die Klägerin das Büro der Beklagten auf, um sich hinsichtlich der Steuerklärung beraten zu lassen. Der dort tätige J. bot ihr an, sich im Hinblick auf die bevorstehende Pensionierung um ihre Ansprüche gegenüber der SVA und der Einrichtung der beruflichen Vorsorge zu kümmern und liess sie entsprechende Vollmachten unterschreiben, wobei die zweite (betreffend Vorsorge) bei der Unterschrift noch blanko gewesen sein soll. In dieser Hinsicht habe sie J. erklärt, sie wolle kein Kapital, sondern eine Rente beziehen. Nachdem die Vorsorgeeinrichtung die relevanten Zahlen gemeldet hatte (act. 4/9), unterzeichnete sie am 8. April 2008 ein Formular, in welchem die C. ersucht wurde, das Kapital auf ein bestimmt bezeichnetes Konto auszuzahlen (act. 4/10). J. leitete dieses Formular mit einem Begleitschreiben vom selben Tag an die C. weiter, zusammen mit einer (weiteren) Vollmacht (act. 4/10a mit Anhang). Die Parteien stimmen darin überein, dass das angegebene Konto ein privates J. s war, und dass die C. das Alterskapital auf dieses Konto überwies. Um sein Vorgehen zu vertuschen, fertigte J. in der Folge Bestätigungen der C. über angebliche Rentenauszahlungen an

      (act. 4/15 unten), und er zahlte der Klägerin aus eigenen Mitteln ab August 2008

      • also ab Alter 64 der Klägerin bis und mit Mai 2009 eine fiktive monatliche Rente von Fr. 966.-- (act. 2 S. 7 f.; act. 4/15). Weitere Zahlungen erhielt die Klä- gerin nicht; es ist davon auszugehen, dass J. das ihm ausbezahlte Kapital veruntreut hat.

  2. Am 7. September 2012 fällte das Bezirksgericht den eingangs im Dispositiv wiedergegebenen Entscheid und hiess die Klage gut. Die Zustellung an die Beklagte erfolgte am 17. September 2012 (act. 60).

    Gegen das Urteil vom 7. September 2012 führt die Beklagte mit Schriftsatz vom 17. Oktober 2012, zur Post gegeben am selben Tag, rechtzeitig Berufung.

    Die Beklagte leistete den ihr auferlegten Kostenvorschuss. Weitere prozessuale Anordnungen wurden nicht getroffen.

  3. Trotz des Inkrafttretens der eidgenössischen Zivilprozessordnung am

    1. Januar 2011 war das Verfahren des Bezirksgerichts nach den bisherigen kantonalen Regeln zu Ende zu führen (Art. 404 Abs. 1 ZPO), da es am 17. Dezember 2010 eingeleitet worden war. Das Verfahren der Berufung untersteht dagegen dem neuen Recht (Art. 405 Abs. 1 ZPO). Die wesentlichsten Neuerungen sind zum einen die weit gehende Überbindung des Kostenrisikos auf den Berufungskläger (Art. 98 ZPO), die Einschränkung des Novenrechts (Art. 317 ZPO) und die strenge Rügeobliegenheit (BGE 138 III 374 E. 4.3.: il incombe au recourant de motiver son appel (art. 311 al. 1 CPC), c'est-à-dire de démontrer le caractère erroné de la motivation attaquée. Pour satisfaire à cette exigence, il ne lui suffit cependant pas de renvoyer aux moyens soulevés en première instance, ni de se livrer à des critiques toutes générales de la décision attaquée. Sa motivation doit être suffisamment explicite pour que l'instance d'appel puisse la comprendre aisément, ce qui suppose une désignation précise des passages de la décision que le recourant attaque et des pièces du dossier sur lesquelles repose sa critique). Zum anderen sind wesentlich neu die weit gehende Freiheit des Gerichts in der Gestaltung und im Umfang des Berufungsverfahrens (Art. 322 und 324 ZPO), fer-

ner der Verzicht auf eine zwingende mündliche und auf eine öffentliche Beratung (Art. 54 ZPO und § 134 GOG).

    1. Das Bezirksgericht prüft, ob J. gegenüber der Klägerin im Namen der Beklagten auftrat und bejaht das. Es geht davon aus, dass die Beklagte ihren leitenden Angestellten J. nicht ermächtigt hatte, in ihrem Namen Freizügigkeitsleistungen entgegen zu nehmen und Rentenzahlungen zu versprechen, dass die Klägerin auf eine solche Bevollmächtigung aber in guten Treuen schliessen durfte und sich die Beklagte das entgegen halten lassen muss (Urteil S. 9 - 21).

      Die Beklagte lässt das nicht gelten. Sie argumentiert, wenn J. das Vorsorgekapital der Klägerin auszahlen liess, habe er es alleine als Privatperson getan und gehe das sie die Beklagte nichts an. Sie biete kostenlose Beratung an, aber schon für das Ausfüllen einer Steuererklärung lasse sie sich bezahlen; niemand könne daher in guten Treuen annehmen, die Beklagte wolle Renten versprechen oder auch nur Vermögen verwalten oder verwahren. Sie macht geltend, der Auftrag der Klägerin an die C. zum Auszahlen des Kapitals sei gefälscht, und unter Bezugnahme auf einen jüngsten Entscheid des Bundesgerichtes bestreitet sie, dass der Klägerin überhaupt ein Schaden entstanden sei (im Einzelnen act. 63, zur Fälschung des Auftrags Rz. 10).

    2. a) Welche interne Stellung J. bei der Beklagten hatte, ist im Einzelnen nicht bekannt. Seine unbestrittene Anstellung als Geschäftsführer deutet auf eine Organeigenschaft im Sinne von Art. 55 ZGB hin. Allerdings heisst es, er sei Geschäftsführer (nur) des Büros F. gewesen. Auch die Struktur der Beklagten ist nicht bekannt, ob sie allenfalls weitere Büros führte, und wer im Rahmen des Ganzen welche Entscheidungen traf. Das kann allerdings offen bleiben. Juristische Personen können nicht nur durch ihre formellen Organe handeln, sondern wie alle Personen durch eigens bestellte Vertreter oder durch Angestellte. Es gelten die obligationenrechtlichen Regeln über die Stellvertretung. Diese kennen insbesondere die Figur der so genannten Anscheinsvollmacht: die juristische Person muss es sich nach dem Vertrauensprinzip (Art. 2 ZGB) anrechnen

lassen, wenn sie den (wenn auch objektiv unrichtigen) Eindruck erweckt oder toleriert, jemand handle für sie mit ihrer Billigung (Tuor/Schnyder/Schmid, ZGB,

13. Aufl. 2009 S. 149; BGer 4C.307/2001 vom 14. März 2002 und 4A_54/2008

vom 29. April 2008).

Entscheidend ist der Unterschied zwischen der tatsächlichen, objektiven Ermächtigung und einem allfälligen aus der subjektiven Sicht der Klägerin bestehenden weiter gehenden Rechtsschein, zusammen mit einem Handeln oder Dulden der Beklagten, bei welchem sie behaftet werden kann. Zu Recht bestreitet die Beklagte vorweg nicht, dass J. als ihr Vertreter auftrat: die unterzeichneten Vollmachten lauten auf A3. und tragen unten den Stempel A4. G. -Strasse ... (act. 4/6, 4/7). Die Beklagte hat ausdrücklich zum Zweck,

Landsleute [des Staates D. ] im Verkehr mit (Sozial-)Versicherungen zu beraten und selbst vor Gericht zu vertreten. J. war (wie soeben ausgeführt) nicht nur bei ihr angestellt, sondern er war der Geschäftsführer jedenfalls ihres Büros in F. , an welches sich die Klägerin wandte. Die Beklagte hat also, selbst wenn sie das nicht wollte, den Anschein geschaffen und bestehen lassen, dass J. für sie handeln könne. Der konkrete Umfang dieser Handlungen bleibt zu diskutieren.

Die Klägerin arbeitete bei der E. AG ... in F. , und die bescheidene Höhe des Alterskapitals im Zeitpunkt ihrer Pensionierung deutet auf einen bescheidenen Lohn und die Stellung als einfache Arbeiterin. Dass sie irgendwelche Kenntnisse allgemein administrativer Art und im Bereich der Sozialversicherungen hatte, ist nicht behauptet und nicht anzunehmen, erst recht nicht für das Gebiet der Finanztransaktionen und Versicherungen. Gegenteils suchte sie das Büro der Beklagten auf, um sich beim Ausfüllen der Steuererklärung beraten zu lassen, was schon administrativ wenig bewanderte Personen selber tun können. Die Beklagte bot und bietet die Beratung ihrer Landsleute im Bereich der Sozialversicherung und des Arbeitsverhältnisses an. Damit dürfte ihre Clientèle weit gehend aus administrativ und geschäftlich unerfahrenen Personen wie der Klägerin bestehen oder jedenfalls muss sie damit rechnen, dass sich solche unerfahrenen Personen an sie wenden. An die Möglichkeiten der Klägerin, einer Unkorrektheit oder gar einem Betrug auf die Spur zu kommen, ist daher zu Lasten der Beklagten kein strenger Massstab anzulegen.

  1. Die Klägerin machte mit der Klage geltend, die Beglaubigung ihrer Unterschrift auf dem Auszahlungsbegehren vom 8. April 2008 (act. 4/10) sei gar nicht nötig gewesen und zudem sei sie nie dafür auf dem Konsulat gewesen

    (act. 2 S. 6). Damit bestritt sie nicht, dass sie die von J. verlangte Unterschrift geleistet hatte. Die Beklagte argumentierte in der Klageantwort, dass ein Missbrauch ihres Geschäftspapiers nicht zu ihrer Haftung führe. Sie stellte in den Raum, dass die C. und möglicherweise die Bank Sorgfaltspflichten verletzten, wenn sie nicht erkannten, dass das Kapital auf ein privates Konto J. s ging. Sie behauptete aber nicht, die Unterschrift der Klägerin auf dem Auszahlungsauftrag sei gefälscht (act. 16). In der Replik verwahrte sich die Klägerin einzig dagegen, dass sie den Schwindel hätte erkennen können, bestritt aber weiterhin nicht, dass die geleisteten Unterschriften ihre eigenen sind (act. 44), und daran änderte auch die Duplik nichts (act. 52). Wenn die Beklagte in der Berufung beiläufig erwähnt, der Auftrag zur Auszahlung des Vorsorgekapitals sei gefälscht (act. 63 Rz. 10), ist das neu und nach Art. 317 Abs. 1 ZPO unzulässig.

  2. Willenserklärungen sind nach dem Vertrauensprinzip auszulegen, also danach, wie sie ein vernünftiger und korrekter Adressat unter den gegebenen Umständen nach Treu und Glauben verstehen durfte und musste (Art. 2 ZGB). Die Klägerin lässt ausführen, sie habe keine Auszahlung des Kapitals der zweiten Säule, sondern eine Rente gewollt. Das mag sein. Offenbar hat J. sie über die Tragweite der Unterschrift auf dem Auszahlungsauftrag getäuscht (zur Rafinesse seines Vorgehens nachstehend mehr). Aus der Sicht der Vorsorgeeinrichtung bestand allerdings kaum Anlass zu Misstrauen. Zugegeben mit Einverständnis der Klägerin und unter Beilage einer von dieser (wenn auch nach ihrer Behauptung blanko) unterzeichneten Vollmacht hatte J. die C. zuerst um Auskunft über die massgeblichen Zahlen ersucht und dann mit Unterschrift der Klägerin die als Formular zum Auszahlen des Kapitals ausgestalteten Seiten 3 und 4 der erhaltenen Antwort eingereicht. Dieses Formular ist in Sprache [in D. ] verfasst. Dass die Klägerin nicht lesen könne, macht keine Seite geltend. Den angekreuzten Wunsch Ausdruck Versamento di capitale senza ulteriori diritti a prestazioni hat sie also verstanden und wenn sie es nicht verstand oder ohne zu lesen unterschrieb, musste das die Empfängerin C. weder merken noch argwöhnen. Nach Treu und Glauben hat die Klägerin mit diesem Papier den Auftrag zum Auszahlen des Kapitals auf das angegebene Konto erteilt. Dieses Konto war mit einer Nummer und dem Zusatz A5. versehen. Damit wurde nach Treu und Glauben zum Ausdruck gebracht, es sei ein Konto der Beklagten

    • auch wenn das in Wahrheit nicht zutraf. Keine Partei macht geltend, es habe weiterer formeller Voraussetzungen bedurft als im von der Beklagten eingeführten Urteil des Bundesgerichts, wo die Auszahlung gültig durch gewöhnliche Schriftlichkeit verlangt werden konnte, und die geschiedene Klägerin musste ohnehin keine Zustimmung eines Ehegatten beibringen (BGer 9C_137/2012 vom 5. April 2012 E 4.1)

    Die Beklagte macht geltend, es gehöre nicht zu ihrem Tätigkeitsbereich, Geld zu verwahren. Das dürfte zutreffen. Aus der Laien-Sicht einer einfachen Arbeiterin musste es aber nicht auffällig sein, dass J. namens der Beklagten das Geld auf ein (vermeintlich) dieser gehörendes Konto anweisen liess. Gerade weil sie sich mit ihrer Beratungstätigkeit an einfache und geschäftlich nicht versierte Personen wendete, muss sich das die Beklagte anrechnen lassen. Sie machte es J. auch insofern einfach, als sie ihn mit Einzelunterschrift gegenüber Sozialversicherungen und Vorsorgeeinrichtungen auftreten liess. Sie weist richtig darauf hin, dass der fatale Auszahlungsauftrag ja nicht von J. , sondern von der Klägerin selber unterzeichnet wurde. Die übrige Korrespondenz hatte J. allerdings wie auch in anderen Fällen alleine geführt, und das trug dazu bei, dass ihm der ganze Betrug letztlich gelingen konnte. Eine mit administrativen Dingen auch nur wenig Vertraute hätte sich gewundert und wundern müssen , dass der blosse Auftrag an die Freizügigkeitsstiftung, das Kapital auf ein bestimmtes Konto zu zahlen, in der Folge eine Rente auslöste. Darauf beruhte aber wohl gerade der Erfolg J. s, dass er sich als Opfer unbeholfene Landsleute aussuchte, die ihm und dem guten Namen der Beklagten vertrauten.

    Die Klägerin darf sich immerhin auf ihre unrichtige Vorstellung, J. handle für die Beklagte, nur dann berufen, wenn sie nicht nach den Umständen und nach ihren persönlichen Möglichkeiten erkennen konnte und damit musste, dass das nicht der Fall war (Art. 3 Abs. 2 ZGB). Dazu ergibt sich Folgendes: Aus der laienhaften Sicht der Klägerin bestand darum kein Grund zum Misstrauen, weil J. bei der Angabe des Kontos listig und tückisch seinen Namen unterdrückt und der Nummer wie erwähnt den Zusatz A5. beigesetzt hatte (act. 4/10). Die Klägerin hätte misstrauisch werden können und sollen, wenn sie erkannt hätte oder hätte erkennen können, dass die Auszahlung ihres Guthabens tatsächlich an J. persönlich ging. Das wusste dieser aber erfolgreich zu verhindern: die schweizerische Post kam bemerkenswerterweise seinem Ansinnen nach, für die Klägerin bestimmte Sendungen eine zeitlang ihm J. zuzustellen (act. 44 S. 4 f. und act. 45/2, entgegen der Aussage J. s in act. 4/13; von der Beklagten nicht bestritten). So konnte er Sendungen der C. , welche bei der Klägerin hätten Argwohn wecken könne, abfangen und der Adressatin vorenthalten; diese merkte von der Umleitung ihrer Post nichts, da J. ihr die übrige Post täglich in den Briefkasten legte. Und wenn sich die Klägerin noch konkret Gedanken hätte machen können und müssen, ob es denn nicht noch einer ausdrücklichen Abmachung bedürfe, wie die Beklagte ihr Kapital weiter verwenden werde: ab ihrem 64. Geburtstag wurde ihr, wie dargestellt, eine fiktive Rente gutgeschrieben präzis in der Höhe, wie sie die C. auf Anfrage mitgeteilt hatte (act. 4/9) , die dem betrügerischen Anschein nach von der Beklagten ausbezahlt wurde, aber in Wahrheit von J. kam. Gegen so viel Schlechtigkeit kommt eine einfache Arbeiterin oder Angestellte in einem fremden Land nicht an, die sich von einer offiziösen, von Landsleuten geführten Stelle beraten und betreut meint. Eine relevante Unsorgfalt kann der Klägerin nicht vorgeworfen werden.

    Damit muss sich die Beklagte dabei behaften lassen, dass J. vermeintlich in ihrem Namen übernommen hatte, das Freizügigkeitsguthaben der Klägerin jedenfalls vorübergehend auf ein auf sie (die Beklagte) lautendes Konto anweisen zu lassen und damit zur Verfügung zu halten. Rechtlich war das ein

    Hinterlegungsvertrag (Art. 472 OR). Die Klägerin konnte und kann jederzeit die Herausgabe des Geldes verlangen (Art. 475 OR).

    Was mit dem Kapital weiter geschehen sollte, wurde nach Darstellung der Parteien nicht besprochen. Möglicherweise stellte sich die Klägerin vor, sie werde eine Rente erhalten (sie sagt ja, das habe sie immer gewollt). Worauf das abzustützen wäre, ist nach den tatsächlichen Vorbringen der Parteien nicht leicht zu sehen. Sei dem aber wie ihm wolle: ein Rentenvertrag müsste schriftlich abgefasst worden sein (Art. 517 OR). Auch wenn man sagen könnte, nach Treu und Glauben habe sich die Klägerin darauf verlassen dürfen, die Beklagte verspreche ihr eine Rente, war das nichtig (Art. 11 Abs. 2 OR) und braucht darum nicht weiter verfolgt zu werden.

  3. Das Verhältnis der Klägerin zur C. spielt unter diesen Umstän- den keine Rolle, da sie gegenüber der Beklagten aus rechtlicher Sicht (Art. 57 ZPO) einen vertraglichen Anspruch und nicht einen Schaden geltend machen kann. Dieser Anspruch bestünde auch, wenn die C. durch die Auszahlung nicht befreiend geleistet hätte und demnach der Klägerin nach wie vor das Kapital schuldete. Dabei wird das vorstehend erwähnte Urteil BGer 9C_137/2012 vom 5. April 2012 keineswegs in Frage gestellt. Dort ging es vorweg um einen gefälschten Auftrag zum Auszahlen des Kapitals, und eingeklagt war direkt die Vorsorgeeinrichtung, sodass das Bundesgericht keinen Anlass hatte, sich zum Verhältnis der Ansprüche gegen die Vorsorgeeinrichtung und gegen die Beklagte zu äussern.

    Immerhin wäre in Analogie zu den Bestimmungen über die Solidarität und nach Treu und Glauben der Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte in dem Umfang zu reduzieren, als die erstere von der Vorsorgeeinrichtung tatsächlich eine Zahlung erhalten hätte: die Klägerin begründet ihre Klage ja ausdrücklich damit, dass ihr das ausbezahlte Kapital zu ersetzen sei. Die Beklagte behauptet aber nicht, dass ein solcher Geldfluss bereits erfolgt sei. In dieser Situation ist die Entscheidung des Bezirksgerichts jedenfalls im Ergebnis richtig: weder sind Weiterungen im Verfahren noch ist eine Sistierung angezeigt. Die denkbare Auseinandersetzung der Beklagten mit der C. wird erst aktuell, wenn die Beklagte selber etwas bezahlt hat, und sie geht die Klägerin nichts an.

  4. Zum Quantitativen der Forderung (von der C. ausbezahltes Kapital, abzüglich die bezahlten Renten) äusserte sich die Beklagte vor Bezirksgericht nicht, und sie bestätigt das ausdrücklich in der Berufung (act. 63 Rz. 17). Dem ist daher nicht weiter nachzugehen (BGE 138 III 374, E. 4.3.1).

5. Die unterliegende Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Für das Verfahren der Berufung, in dessen Verlauf die Klägerin nicht begrüsst wurde, ist keine Parteientschädigung geschuldet.

Es wird erkannt:
  1. Die Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin Fr. 163'676.80 nebst Zins zu 5% ab 1. August 2008 zu bezahlen.

  2. Die Regelung der Kostenfolgen für das erstinstanzliche Verfahren (Ziffern 2 - 4 im Dispositiv des angefochtenen Urteils) wird bestätigt.

  3. Die zweitinstanzliche Entscheidgebühr wird auf Fr. 6'750.-- festgesetzt und der Beklagten auferlegt.

  4. Für das Berufungsverfahren wird keine Parteientschädigung zugesprochen.

  5. Schriftliche Mitteilung an die Parteien, an die Klägerin und die Nebenintervenientin je unter Beilage eines Doppels von act. 63, sowie an das Bezirksgericht Zürich, je gegen Empfangsschein, und an die Obergerichtskasse.

    Nach unbenutztem Ablauf der Rechtsmittelfrist gehen die erstinstanzlichen Akten an die Vorinstanz zurück.

  6. Eine Beschwerde gegen diesen Entscheid an das Bundesgericht ist innert 30 Tagen von der Zustellung an beim Schweizerischen Bundesgericht, 1000 Lausanne 14, einzureichen. Zulässigkeit und Form einer solchen Beschwerde richten sich nach Art. 72 ff. (Beschwerde in Zivilsachen) oder

Art. 113 ff. (subsidiäre Verfassungsbeschwerde) in Verbindung mit Art. 42 des Bundesgesetzes über das Bundesgericht (BGG).

Dies ist ein Endentscheid im Sinne von Art. 90 BGG.

Es handelt sich um eine vermögensrechtliche Angelegenheit. Der Streitwert beträgt Fr. 163'676.80.

Die Beschwerde an das Bundesgericht hat keine aufschiebende Wirkung.

Obergericht des Kantons Zürich

II. Zivilkammer

Die Vorsitzende:

lic. iur. A. Katzenstein

Die Gerichtsschreiberin:

lic. iur. V. Seiler

versandt am:

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