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Urteil Handelsgericht des Kantons Zürich (ZH)

Kopfdaten
Kanton:ZH
Fallnummer:HG230134
Instanz:Handelsgericht des Kantons Zürich
Abteilung:-
Handelsgericht des Kantons Zürich Entscheid HG230134 vom 17.01.2024 (ZH)
Datum:17.01.2024
Rechtskraft:-
Leitsatz/Stichwort:Forderung
Zusammenfassung : Die Klägerin, eine Textilherstellerin aus der Türkei, forderte in einem Gerichtsverfahren von der Beklagten, einer GmbH aus Zürich, die Rückzahlung einer Teilzahlung in Höhe von EUR 95'000 für Textilverarbeitungsmaschinen. Die Klägerin stützte sich auf einen Grundlagenirrtum und erhielt Recht. Das Gericht verpflichtete die Beklagte zur Zahlung des Betrags zuzüglich Zinsen. Die Gerichtskosten in Höhe von CHF 6'400 wurden der Beklagten auferlegt. Die Klägerin erhielt eine Parteientschädigung von CHF 10'500.
Schlagwörter : Beklagten; Klage; Gericht; Maschinen; Sachverhalt; Parteien; Türkei; Recht; Vertrag; Handel; Import; Höhe; Verfügung; Klageantwort; Kaufvertrag; Schweiz; Grundlage; Schweizer; Geschäft; Vertrags; Eingabe; Sinne; Schweizerische; Betrieb; Textilverarbeitungsmaschinen; Teilzahlung; Anfechtung; Leistung; Schweizerischen
Rechtsnorm:Art. 102 OR ; Art. 106 ZPO ; Art. 111 ZPO ; Art. 117 IPRG ; Art. 138 ZPO ; Art. 143 ZPO ; Art. 153 ZPO ; Art. 223 ZPO ; Art. 23 OR ; Art. 31 OR ; Art. 6 ZPO ; Art. 60 ZPO ; Art. 96 ZPO ;
Referenz BGE:136 III 528;
Kommentar:
-, Berner Obligationenrecht, Art. 23 OR, 2013
Entscheid

Handelsgericht des Kantons Zürich

Geschäfts-Nr.: HG230134-O U/ei

Mitwirkend: Oberrichter Dr. Stephan Mazan, VizePräsident, und Oberrichter Roland Schmid, Handelsrichterin Dr. Eliane Ganz, Handelsrichter Wer- ner Heim und Handelsrichter Dr. Alexander Müller sowie der Gerichtsschreiber Dr. Pierre Heijmen

Urteil vom 17. Januar 2024

in Sachen

  1. San. Tic. Ltd. Sti.,

    Klägerin

    vertreten durch Rechtsanwalt lic. iur., LL.M. X. ,

    gegen

  2. GmbH, betreffend Forderung

Rechtsbegehren:

(act. 1 S. 2)

1. Es sei die Beklagte zu verpflichten, der Klägerin EUR 95'000.00 zzgl. Zins von 5 % seit 14. Juli 2021 zu bezahlen.

2. Alles unter Kosten- und Entschädigungsfolgen (zzgl. MWST) zu Lasten der Beklagten.

Sachverhalt und Verfahren
  1. Sachverhaltsübersicht

    1. Parteien und ihre Stellung

      Die Klägerin ist eine Texilherstellerin mit Sitz in der Türkei (act. 1 Rz. 5). Die Beklagte ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung mit Sitz in C. . Sie bezweckt den Handel mit Anlagen, Rohstoffen, Hilfsmitteln, Halbfertig-Produkten Fertig-Produkten aller Art (act. 1 Rz. 6; act. 3/4).

    2. Prozessgegenstand

      Gegenstand dieses Prozesses bildet eine Rückforderung eines teilweise im Voraus gezahlten Kaufpreises für vier Textilverarbeitungsmaschinen (act. 1 Rz. 2 ff.). Mit der vorliegenden Klage verlangt die Klägerin die Rückzahlung dieser Teilzahlung in Höhe von EUR 95'000 aufgrund der Anfechtung des Kaufvertrages wegen WillensMängeln.

  2. Prozessverlauf

Mit Eingabe vom 29. Juni 2023 (Datum Poststempel) reichte die Klägerin hierorts die Klage ein (act. 1). Mit Verfügung vom 30. Juni 2023 wurde die Klägerin zur Leistung eines Gerichtskostenvorschusses von CHF 8'500 aufgefordert (act. 4). Der Gerichtskostenvorschuss ging fristgerecht ein (act. 6). Mit Verfügung vom

7. September 2023 wurde der Beklagten Frist bis 13. November 2023 angesetzt, um ihre Klageantwort einzureichen (act. 7). Die vorgenannte Verfügung konnte der Beklagten zustellt werden (act. 10). Da die Beklagte bis zum Ablauf der Frist keine Klageantwort einreichte, wurde ihr mit Verfügung vom 17. November 2023

eine kurze Nachfrist im Sinne von Art. 223 Abs. 1 ZPO bis zum 11. Dezember 2023 angesetzt, mit der Androhung, dass im Säumnisfall das Gericht entweder einen Endentscheid gestützt allein auf die klägerischen Vorbringen treffen werde, sofern die Angelegenheit spruchreif sei, andernfalls zur Hauptverhandlung vorladen werde (act. 11). Auch diese Verfügung konnte der Beklagten zugestellt werden (act. 12/2). Mit Eingabe vom 4. Dezember 2023 (hierorts eingegangen am

15. Dezember 2023) nahm die Beklagte Stellung zur Klage (act. 13). Wie nachfolgend aufzuzeigen ist, erweist sich diese Eingabe als verspätet. Das Verfahren ist spruchreif.

Erwägungen
  1. Formelles

    1. Säumnis

      1. Gemäss Art. 223 Abs. 2 ZPO trifft das Gericht bei definitiv versäumter Klageantwort einen Endentscheid, sofern die Angelegenheit spruchreif ist. Auf diese Säumnisfolge wurde die Beklagte in der Verfügung vom 17. November 2023 aus- Drücklich hingewiesen (act. 11). Hierzu muss die Klage soweit geklürt sein, dass darauf entweder mangels Prozessvoraussetzungen nicht eingetreten sie durch Sachurteil erledigt werden kann. Steht dem Eintreten auf die Klage nichts entgegen, bedeutet Spruchreife, dass der Klagegrund im Hinblick auf die anwendbaren Rechtsnormen hinreichend substantiiert ist und dass das Gericht an der Richtigkeit der klägerischen Tatsachenbehauptungen keine erheblichen Zweifel hat (Art. 153 Abs. 2 ZPO). Unter den gegebenen Umständen ist, wenn es die klägerische Sachdarstellung erlaubt, nach dem Klagebegehren zu erkennen. Ist die Klage demgegenüber nicht schlüssig, also bereits nach dem Vorbringen der klagenden Partei nicht begründet, ist sie trotz Säumnis der beklagten Partei abzuweisen. Dabei hat das Gericht auch rechtshemmende, rechtshindernde und rechtsaufhebende Tatsachen zu berücksichtigen, soweit sie in der Klage selbst angefährt sind. Andere Tatsachen, die aus den Akten ersichtlich sind, dürfen nur insoweit beRücksichtigt werden, als es für das Vorhandensein der von Amtes wegen zu prüfenden Prozessvoraussetzungen von Bedeutung ist (Art. 153 Abs. 2

        ZPO; BSK ZPO-WILLISEGGER, 3. Aufl., 2017, Art. 223, N 20 und 23 m.w.H.; PA-

        HUD, in: Brunner/Gasser/Schwander, ZPO, 2. Aufl., 2016, Art. 223, N 3 f. m.w.H.).

      2. Die Zustellung von Verfügungen erfolgt durch eingeschriebene Postsen- dung auf andere Weise gegen Empfangsbestätigung (Art. 138 Abs. 1 ZPO). Eingaben müssen gemäss Art. 143 Abs. 1 ZPO spätestens am letzten Tag der Frist beim Gericht eingereicht zu dessen Handen der Schweizerischen Post einer schweizerischen diplomatischen konsularischen Vertretung übergeben werden. Eine Postaufgabe im Ausland genügt nicht. Massgeblich ist der Zeitpunkt, in dem die Eingabe dem Gericht zwecks Weiterbefürderung von der Schweizerischen Post in Empfang genommen wird (BGer 4A_399/2014 vom 11. Februar 2015 E. 2.2).

      3. Die Verfügungen vom 7. September 2023 (act. 7) und vom 17. November 2023 (act. 11) konnten der Beklagten erfolgreich und rechtsgültig zugestellt wer- den (act. 10; act. 12/2). Die mit Verfügung vom 17. November 2023 angesetzte Nachfrist endete am 11. Dezember 2023. Zur Fristwahrung wäre die Beklagte daher gehalten gewesen, ihre Klageantwort bis spätestens zu diesem Datum beim hiesigen Gericht zu dessen Handen der Schweizerischen Post zu übergeben. Indessen hat die Beklagte ihre Klageantwort am 7. Dezember 2023 in ?-sterreich aufgegeben und die übergabe an die Schweizerische Post erfolgte erst am

        14. Dezember 2023 (act. 14), weshalb sich die Klageantwort der Beklagten als klar verspätet erweist. Da somit keine (rechtzeitige) Klageantwort vorliegt und die Sache spruchreif ist, ist androhungsgemäss ein Endentscheid zu Fällen. Dabei kann die am 15. Dezember 2023 eingegangene Eingabe der Beklagten nicht be- Rücksichtigt werden.

    2. zuständigkeit

      Die Parteien haben ihren Wohnsitz bzw. Sitz in zwei unterschiedlichen Ländern, womit ein internationaler Sachverhalt vorliegt (D ASSER, in: DASSER/OBERHAMMER, SHK Lugano übereinkommen, 3. Aufl. 2021, N 10 zu Art. 1 Lug?). grundsätzlich ist bei internationalen Sachverhalten das Bundesgesetz über das Internationale Privatrecht (IPRG) vom 18. Dezember 1987 anwendbar. Gemäss Art. 1 Abs. 2

      IPRG sind jedoch völkerrechtliche VertRüge vorbehalten. Die Frage der internatio- nalen und örtlichen zuständigkeit bestimmt sich vorliegend nach Art. 2 Lug?. Diese Norm sieht einen allgemeinen Gerichtsstand im Wohnsitzstaat der beklagten Partei vor. Da die Beklagte ihren Sitz in Zürich hat, sind die Gerichte des Kantons Zürich für die vorliegende Streitigkeit ürtlich zuständig. In Anwendung von Art. 6 Abs. 2 und 3 ZPO i.V.m. 44 lit. b GOG ist das Handelsgericht Zürich sachlich zuständig.

    3. übrige Prozessvoraussetzungen

      Auch die übrigen Prozessvoraussetzungen, welche von Amtes wegen zu prüfen sind (Art. 59 i.V.m. Art. 60 ZPO), erweisen sich als erfüllt und geben zu keinen weiteren Bemerkungen Anlass.

  2. Sachverhalt

    1. Die Sachdarstellung der Klägerin (act. 1 S. 3 ff.) blieb aufgrund der versäumten Klageantwort unbestritten, und es besteht auch kein Anlass, an deren Richtigkeit zu zweifeln (Art. 153 Abs. 2 ZPO). gestützt auf die klägerische Sach- darstellung und die dazu eingereichten Urkunden (act. 3/2-20) ist von folgendem Sachverhalt auszugehen:

    1. Die Klägerin (als Käuferin) schloss mit der Beklagten (als VerKäuferin) im November 2020 einen Kaufvertrag über vier gebrauchte Textilverarbeitungsmaschinen zu einem Kaufpreis von insgesamt EUR 795'000 (act. 1 Rz. 7 ff.). Die vier streitgegenständlichen Maschinen befanden sich zu diesem Zeitpunkt in den

      Geschäftsräumlichkeiten der D.

      s.p.a. in Alba/Italien und sollten im Jahr

      2021 in Betriebsstätten der Klägerin in der Türkei geliefert werden (act. 1 Rz. 9).

    2. Nach Abschluss des Kaufvertrags schickte die Beklagte der Klägerin vier Bestellbestätigungsschreiben (sog. Order Confirmation) über den Ankauf der Maschinen (act. 1 Rz. 10; act. 3/5-8). Die Bestätigungen regelten auch die Zahlungsbedingungen. Dabei sollte die vollständige Bezahlung der vier Maschinen in drei zeitlich aufeinanderfolgenden Teilen erfolgen. Die erste Teilzahlung wurde ab Erhalt der Order Confirmation in Höhe von insgesamt EUR 95'000 fällig. Dieser

      Betrag wurde am 17. November 2020 von der Klägerin an die Beklagte überwiesen (act. 1 Rz. 11; act. 3/9).

    3. Die zweite Teilzahlung von insgesamt EUR 380'000 sollte bis zum

      30. November 2020 erfolgen. Da die Klägerin diesen Betrag nicht fristgemäss leistete, wurde sie von der Beklagten mit Schreiben vom 1. Dezember 2020 aufgefordert, den Betrag bis zum 8. Dezember 2020 zu bezahlen. Da die Klägerin die zweite Teilzahlung auch nach der Zahlungsaufforderung nicht leistete, erfolgte keine Auslieferung der Maschinen (act. 1 Rz. 12 f.; act. 3/10).

    4. Mit Verordnung des Türkischen Handelsministeriums vom 31. Dezember 2020 verbot diese die Einfuhr von - unter anderem gebrauchte Texilverarbeitungsmaschinen per 1. Januar 2021. Unter das Importverbot fielen auch die vier Texilverarbeitungsmaschinen (act. 1 Rz. 20; act. 3/15-16).

    5. Mit Schreiben vom 12. Juli 2021 erklärte die Klägerin die Anfechtung des streitgegenständlichen Kaufvertrags wegen WillensMängeln und forderte die bereits geleistete Zahlung in Höhe von EUR 95'000 von der Beklagten zurück, da sie die Maschinen aufgrund des erlassenen Exportverbots als Produktionsmittel in ihrem Betrieb in der Türkei nicht mehr nutzen konnte (act. 1 Rz. 16; act. 3/11). Das Schreiben wurde der Beklagten am 14. Juli 2021 zugestellt (act. 1 Rz. 16; act. 3/13). Mit Schreiben vom 12. August 2021 bestritt die Beklagte einen Anspruch auf Rückzahlung der geleisteten Anzahlung (act. 1 Rz. 18; act. 3/14).

  1. Rückzahlungsanspruch

    1. Anwendbares Recht

      Da die Parteien vorliegend keine Rechtswahl getroffen haben, bestimmt sich das anwendbare Recht nach Art. 117 IPRG. Gemäss Art. 117 Abs. 1 IPRG untersteht der Vertrag dem Recht des Staates, mit dem er am engsten zusammenhängt. Dabei wird vermutet, der engste Zusammenhang besteht mit dem Staat, in dem die Partei, welche die charakteristische Leistung erbringen soll, ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat (vgl. Art. 117 Abs. 2 IPRG). Nach Art. 117 Abs. 3 lit. a IPRG gilt bei VeräusserungsvertRügen die Leistung des Veräusserers als charakteristi-

      sche Leistung. Nachdem vorliegend die Beklagte die Maschinen an die Klägerin veräusserte, wurde die charakteristische Leistung in der Schweiz erbracht. Daher kommt Schweizer Recht zu Anwendung.

    2. Anfechtung

      Die Klägerin stätzt sich für den Anspruch auf Rückzahlung der geleisteten Teilzahlung in Höhe von EUR 95'000 auf einen Grundlagenirrtum im Sinne von Art. 24 Abs. 1 Ziff. 4 OR (vgl. act. 1 Rz. 24).

      1. Rechtliches

        Ein Irrtum ist die Abweichung der eigenen Sachverhaltsvorstellung vom normativ wirksamen Konsens (BRUNO SCHMIDLIN, Berner Kommentar, Obligationenrecht, Mängel des Vertragsabschlusses, Art. 23-31 OR, Bern 2013, N 7 zu Art. 23/24 OR). Zu unterscheiden ist zwischen den Erklärungsirrtümern und dem Grundlagenirrtum. Bei einem Grundlagenirrtum handelt es sich um einen Motivirrtum, der nach Art. 24 Abs. 1 Ziff. 4 OR qualifiziert ist (SCHMIDLIN, a.a.O., N 94 zu Art. 23/24 OR; FELIX DASSER, Kommentar zum Schweizerischen Obligationenrecht,

  2. Auflage, 2023, Art. 24 N 11). Qualifiziert ist ein Motivirrtum dann, wenn die irrende Partei sich über eine Rechtslage über einen bestimmten Sachverhalt geirrt hat, die sie nach Treu und Glauben im Geschäftsverkehr als notwendige Vertragsgrundlage betrachten durfte (BGer 4A_297/2013, Urteil vom

4. September 2013 E. 3.2.2; BGer 4A_217/2014, Urteil vom 4. August 2014

E. 2.4.).

Für das Vorhandensein eines Grundlagenirrtums ist ein subjektives und ein objektives Merkmal erforderlich (BGer 4A_408/2007, Urteil vom 7. Februar 2008

E. 3.2). In subjektiver Sicht ist erforderlich, dass der massgebende Sachverhalt notwendige Grundlage des Vertragsschlusses war. Dabei wird vorausgesetzt, dass bei Nichtvorhandensein des irrigen Sachverhaltes der Vertrag nicht abgeschlossen worden wäre (SCHMIDLIN, a.a.O., N 162 ff. zu Art. 23/24 OR; DASSER, a.a.O., Art. 24 N 13). Das objektive Merkmal liegt dann vor, wenn die subjektive Betrachtung der irrenden Partei nach Treu und Glauben im Geschäftsverkehr objektiv gerechtfertigt ist, d. h., sie muss einer falschen Vorstellung unterlegen sein, die vom Standpunkt nach den Anforderungen des loyalen Geschäftsverkehrs als notwendige Grundlage des Vertrages erscheint (BGE 136 III 528 E. 3.4.1.). Dies ist dann der Fall, wenn jeder vernünftige Verkehrsteilnehmer in der Lage des Irrenden, das Geschäft nicht eingegangen wäre (SCHMIDLIN, a.a.O., N 105 f. zu Art. 23/24 OR).

Ein Grundlagenirrtum kann auch bezüglich eines zuKünftigen Sachverhaltes bestehen. Vorausgesetzt wird, dass es sich um einen bestimmten Sachverhalt han- delt, und zwar in dem Sinne, dass nicht nur der Sachverhalt an sich, sondern auch dessen Eintreten bestimmt sein muss (SCHMIDLIN, a.a.O., N 244 ff. zu Art. 23/24 OR; DASSER, a.a.O., Art. 24 N 16).

4. Würdigung

Die Parteien haben einen Kaufvertrag über vier Textilverarbeitungsmaschinen im November 2020 geschlossen. Dabei blieb unbestritten, dass die Klägerin mit der Beklagten telefonisch vereinbarte, dass die Maschinen an eine von der Klägerin bestimmte Adresse in der Türkei zu liefern bzw. zu transportieren waren, damit sie die Maschinen in ihrer Betriebsstätte in der Türkei aufstellen und als Produktionsmittel in Betrieb nehmen konnte (act. 1 Rz. 7). Zudem geht aus den Bestellbestätigungen der Beklagten hervor, dass sich diese verpflichtete, die von der Klügerin erworbenen Maschinen nach Zahlung des gesamten Kaufpreises ab dem

3. Januar 2021 abzubauen und bis spätestens 31. März 2021 in Lastwagen zwecks Transports der Maschinen zu laden (vgl. act. 3/5-8). Daher sind beide Parteien davon ausgegangen, dass die Klägerin die Maschinen in die Türkei importieren wollte und fest damit rechnete, dass der Import auch tatsächlich möglich ist. Weiter blieb unbestritten, dass die streitgegenständlichen Textilverarbeitungsmaschinen vom Importverbot des Türkischen Handelsministerium mit Wirkung ab 1. Januar 2021 (Verordnung Nr. 31351) umfasst waren (act. 1 Rz. 19 ff.; act. 3/15-16).

Aus diesen Umständen kann abgeleitet werden, dass die Klägerin zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses im November 2020 davon ausging, dass die gekauften

Maschinen im Laufe des Jahres 2021 problemlos in die Türkei geliefert werden können. Die Klägerin rechnete nicht mit einem Importverbot für die Maschinen. Der Umstand, dass die Maschinen in die Türkei importiert werden können, war für die Klägerin auch wesentlich, da sie diese in ihren Betriebsstätten in der Türkei für die Produktion von Textilien einsetzen wollte. Zudem ist nicht ersichtlich, dass die Klägerin über Betriebsstätten in anderen Ländern verfügte, welche nicht vom Importverbot umfasst waren und gegebenenfalls dort hätten genutzt werden können. Es kann daher nicht angenommen werden, dass sie in Kenntnis eines Importverbots zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses den Vertrag mit der Beklagten abgeschlossen hätte. Der Import bzw. die Lieferung der Maschinen in die Türkei wurde damit aus Sicht der Klägerin zu einer notwendigen Vertragsgrundlage. Die An- nahme des ungehinderten Imports der Maschinen war auch nach Treu und Glauben im Geschäftsverkehr gerechtfertigt, da nur unter dieser Voraussetzung der Kaufvertrag dem Sinn und Zweck entsprechend durchgefährt werden konnte. Der ungehinderte Import der vier Textilverarbeitungsmaschinen in die Türkei im Verlaufe des Jahres 2021 ist daher als eine notwendige Grundlage des Vertrags im Sinne von Art. 24 Abs. 1 Ziff. 4 OR anzusehen. Da sich die Klägerin somit über den unbeschränkten Import der Maschinen in die Türkei irrte, besteht hinsichtlich des Kaufvertrags ein Anfechtungsgrund.

Da die Klägerin mit Schreiben vom 12. Juli 2021 gegenüber der Beklagten innerhalb der Jahresfrist im Sinne von Art. 31 OR die Anfechtung des Kaufvertrages erklärte (act. 1 Rz. 16; act. 3/11), wurde er für die Klägerin unverbindlich (vgl. Art. 23 OR). Damit steht ihr ein Anspruch auf Rückforderung der geleisteten Zahlung in Höhe von EUR 95'000 zu.

  1. Zinsen

    Die Klägerin verlangt einen Verzugszins ab 14. Juli 2021 (act. 1 Rz. 28). Der Anspruch auf Verzugszinsen entsteht mit Inverzugsetzung des Schuldners durch Mahnung, es sei denn, es sei ein Verfalltag vereinbart (Art. 102 OR). Vorliegend forderte die Klägerin mit Schreiben vom 12. Juli 2021 die Rückerstattung des Betrages in Höhe von EUR 95'000 bis zum 13. August 2021 (act. 3/11). Dies ist als

    Verfalltagsabrede im Sinne von Art. 102 Abs. 2 OR zu qualifizieren. Die Beklagte geriet demnach am 14. August 2021 in Verzug.

  2. Fazit

    Die Beklagte ist zu verpflichten, der Klägerin EUR 95'000 zuzüglich Zins zu 5 % seit 14. August 2021 zu bezahlen.

  3. Kosten- und Entschädigungsfolgen

    1. Gerichtskosten

      Die Höhe der Gerichtsgebühr bestimmt sich nach der gebührenverordnung des Obergerichts (Art. 96 ZPO i.V.m. 199 Abs. 1 GOG) und richtet sich in erster Li- nie nach dem Streitwert bzw. nach dem tatsächlichen Streitinteresse ( 2 Abs. 1 lit. a GebV OG). Vorliegend beträgt der Streitwert CHF 92'915 (EUR 95'000 zu einem Umrechnungskurs per 30. Juni 2023 von EUR 1 zu CHF 0.97805). Die nach 4 Abs. 1 GebV OG bestimmte ordentliche Grundgebühr Beläuft sich auf rund CHF 8'500. In Anwendung von 4 Abs. 1 und 2 sowie 10 Abs. 1 GebV OG sind die Gerichtskosten auf rund drei Viertel der Grundgebühr, d.h. CHF 6'400, festzusetzen und ausgangsgemäss der Beklagten aufzuerlegen (Art. 106 Abs. 1 ZPO). Die der Beklagten aufzuerlegenden Kosten sind vorab aus dem von der Klägerin geleisteten Kostenvorschuss zu decken. Der Klägerin ist das Rückgriffsrecht auf die Beklagte einzuräumen (vgl. Art. 111 Abs. 2 ZPO).

    2. Parteientschädigungen

Ausgangsgemäss ist die Beklagte zu verpflichten, der Klägerin eine Parteientschädigung zu leisten. Die Höhe der Parteientschädigung wird nach der Anwaltsgebührenverordnung vom 8. September 2010 (AnwGebV) bestimmt. Sie setzt sich aus der gebühr und den notwendigen Auslagen zusammen ( 1 Abs. 2 AnwGebV). Die Grundgebühr ist mit der Begründung Beantwortung der Klage verdient, für jede weitere notwendige Rechtsschrift ist ein Zuschlag zu Gewähren ( 11 Abs. 1 und 2 AnwGebV). Die Parteienentschädigung ist vorliegend auf die Höhe der Grundgebühr von rund CHF 10'500 festzusetzen. Da die Klägerin

nicht dartut, inwiefern sie nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt sein soll, ist die Parteientschädigung ohne Mehrwertsteuer zuzusprechen (vgl. BGer 4A_552/2015 E. 4.5; ZR 104 [2005] S. 291 ff.; SJZ 101 [2005] S. 531 ff.).

Das Handelsgericht erkennt:
  1. Die Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin EUR 95'000 zu bezahlen, zuzüglich 5 % seit 14. August 2021.

  2. Die Gerichtsgebühr wird festgesetzt auf CHF 6'400.

  3. Die Kosten werden der Beklagten auferlegt, jedoch aus dem von der Klägerin geleisteten Gerichtskostenvorschuss bezogen. Der Klägerin wird in diesem Umfang das Rückgriffsrecht auf die Beklagte eingeräumt.

  4. Die Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin eine Parteientschädigung von CHF 10'500 zu bezahlen.

  5. Schriftliche Mitteilung an die Parteien, an die Klägerin unter Beilage von act. 13.

  6. Eine bundesrechtliche Beschwerde gegen diesen Entscheid ist innerhalb von 30 Tagen von der Zustellung an beim Schweizerischen Bundesgericht, 1000 Lausanne 14, einzureichen. zulässigkeit und Form einer solchen Beschwerde richten sich nach Art. 72 ff. (Beschwerde in Zivilsachen) Art. 113 ff. (subsidiäre Verfassungsbeschwerde) in Verbindung mit Art. 42 und 90 ff. des Bundesgesetzes über das Bundesgericht (BGG). Der Streitwert beträgt CHF 92'915.

Zürich, 17. Januar 2024

Handelsgericht des Kantons Zürich

Der Vorsitzende:

Dr. Stephan Mazan

Der Gerichtsschreiber:

Dr. Pierre Heijmen

Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.

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