Kanton: | ZH |
Fallnummer: | HG210250 |
Instanz: | Handelsgericht des Kantons Zürich |
Abteilung: | - |
Datum: | 02.10.2023 |
Rechtskraft: | - |
Leitsatz/Stichwort: | Forderung |
Schlagwörter : | Vertrag; Vertrags; Miete; Partei; Mietobjekt; Mieter; Betrieb; Lichkeit; Mangel; Vermieter; Parteien; Unmöglichkeit; Mietvertrag; Betriebsschliessung; Leistung; Massnahmen; Geschäfts; Urteil; Aufgr; Betriebsschliessungen; Gebrauch; Vereinbart; Pandemie; Angeordnet; Betrieb; Behördlich; Coronavirus; Ordnete; Vertraglich; Mietsache |
Rechtsnorm: | Art. 106 ZPO ; Art. 111 ZPO ; Art. 119 OR ; Art. 18 OR ; Art. 2 ZGB ; Art. 236 ZPO ; Art. 253 OR ; Art. 256 OR ; Art. 258 OR ; Art. 259d OR ; Art. 33 ZPO ; Art. 6 ZPO ; Art. 8 ZGB ; Art. 91 ZPO ; Art. 96 ZPO ; Art. 97 OR ; |
Referenz BGE: | 127 III 300; 128 II 428; 132 III 268; 135 II 1; 140 III 86; 142 III 239; 143 III 157; 48 II 249; 57 II 532; |
Kommentar zugewiesen: | Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017 |
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Handelsgericht des Kantons Zürich
Geschäfts-Nr.: HG210250-O U/ei
Mitwirkend: Oberrichter Roland Schmid, Vizepräsident, und Oberrichter Dr. Daniel Schwander, die Handelsrichterin Dr. Eliane Ganz, die Handelsrichter Marius Hagger und Stefan Vogler sowie der Ge- richtsschreiber Dr. Pierre Heijmen
in Sachen
Klägerin
vertreten durch Rechtsanwältin lic. iur. X.
gegen
AG, (vormals: C. AG),
Beklagte
betreffend Forderung
(act. 1 S. 2)
1. […]
2. […]
Es sei die Beklagte unter Verrechnung ihrer Forderung für die Mietzinse April und Mai 2021 zu verpflichten, der Klägerin für die Zeit vom 10. Dezember 2020 bis zum 31. Mai 2021 Zweidrittel des Mietzinses, sprich Fr. 23'333.35.- (ohne MwSt. zu 7.7%) zu- rückzuerstatten.;
Alles unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zu Lasten der Be- klagten.
Bei der Klägerin handelt es ich um eine Aktiengesellschaft mit Sitz in Zürich, wel- che u.a. Sex- und Erotikstudios betreibt (act. 1). Die Beklagte ist eine Aktienge- sellschaft mit Sitz in D. . Sie firmierte bis im Juli 2022 unter dem Namen C. AG. Sie bezweckt die Entwicklung, Planung und Realisierung von Pro- jekten im Immobilienbereich im In- und Ausland für eigene und fremde Rechnung sowie die Erbringung von damit zusammenhängenden weiteren Dienstleistungen (act. 23).
Die Klägerin als Mieterin begehrt von der Beklagten als Vermieterin die Rückzah- lung von zwei Dritteln ihrer geleisteten Mietzinszahlungen für den Zeitraum vom
10. Dezember 2020 bis 31. Mai 2021 in der Höhe von CHF 28'333.35. Sie macht geltend, dass sie das Mietobjekt aufgrund der staatlichen Massnahmen zur Be- kämpfung der COVID-19-Pandemie nicht zum vereinbarten Vertragszweck nutzen konnte. Dieser Umstand stelle einen Mietmangel dar. Zudem ergebe sich eine Be- freiung zur Mietzinszahlung aufgrund nachträglicher Unmöglichkeit der Leistung. Ebenso sei der Vertrag wegen wesentlich veränderter Umstände anzupassen. Die
Beklagte beantragt Klageabweisung und ist der Ansicht, dass die staatlichen Be- triebsschliessungen nicht in ihren Verantwortungsbereich fallen würden. Sie habe der Klägerin die Nutzung des Mietobjekts jederzeit ermöglicht, weshalb ein An- spruch auf Mietzinsminderung nicht bestehe.
3. Dezember 2021 wurde ihr Frist angesetzt, um für die Gerichtskosten einen Vorschuss von CHF 5'600.– zu leisten (act. 4). Innert Frist leistete die Klägerin den verlangten Kostenvorschuss (act. 6). Mit Verfügung vom 18. Januar 2022 wurde der Beklagten Frist zur Erstattung ihrer schriftlichen Klageantwort ange- setzt (act. 7). Da die Beklagte innert Frist keine Klageantwort einreichte, wurde ihr mit Verfügung vom 28. März 2022 eine Nachfrist zur Erstattung ihrer schriftlichen Klageantwort angesetzt (act. 9). Mit Eingabe vom 25. April 2022 reichte die Be- klagte innert Nachfrist ihre Klageantwort ein (act. 12A; act. 13; act. 14/1-3). Mit Verfügung vom 27. April 2022 wurde die Klageantwort der Klägerin zugestellt und die Leitung des vorliegenden Prozesses an Oberrichter Dr. Daniel Schwander als Instruktionsrichter delegiert (act. 15).
22. Juli 2022 (Datum Poststempel) Ziffer 2 des Vergleichs (act. 21). Mit Verfügung
vom 30. August 2022 wurde das Verfahren bezüglich Rechtsbegehren 1 und 2 zufolge Vergleichs als erledigt abgeschrieben und hinsichtlich Rechtsbegehren 3 der zweite Schriftenwechsel angeordnet (act. 24). Am 3. November 2022 reichte die Klägerin fristgerecht ihre Replik ein (act. 26; act. 27/13). Die Beklagte erstatte- te die Duplik fristgerecht am 7. Dezember 2022 (act. 30; act. 31/1-2). Mit Verfü- gung vom 9. Dezember 2022 und unter Hinweis auf den Aktenschluss wurde die Duplik der Klägerin zugestellt (act. 32). Mit Eingabe vom 9. Januar 2023 reichte die Klägerin eine Stellungnahme zur Duplik ein (act. 34; act. 35/13). Weitere Ein- gaben erfolgten nicht.
Mit Verfügung vom 14. August 2023 wurde den Parteien Frist zur Erklärung ange- setzt, ob sie auf die Durchführung einer Hauptverhandlung verzichten (act. 37). Mit Eingabe vom 25. August 2023 teilte die Klägerin mit, dass sie die Durchfüh- rung einer Hauptverhandlung verlange (act. 39). Mit Eingabe vom 4. September 2023 erklärte die Klägerin, dass sie den Antrag auf Durchführung einer Hauptver- handlung zurückziehe (act. 41). Die Beklagte liess sich innert Frist nicht verneh- men, weshalb androhungsgemäss Verzicht auf Hauptverhandlung anzunehmen ist.
Nach durchgeführtem Hauptverfahren ist der Prozess spruchreif, weshalb ein Ur- teil zu ergehen hat (Art. 236 Abs. 1 ZPO).
Die Klägerin betrieb mehr als 20 Jahre im streitgegenständlichen Mietobjekt an
der E. -strasse … in F.
ein Sex- und Erotikstudio. Aufgrund der am
1. September 2013 in Kraft getretenen Prostitutionsverordnung schloss die Be- klagte mit der Klägerin am 19. Dezember 2013 einen neuen, unbefristeten Miet- vertrag über dieses Mietobjekt (Haus inklusive Parkplätze und Umgebung) (vgl. act. 1 Rz. 4; act. 30 S. 2; act. 3/2). Der Nettomietzins belief sich auf insgesamt CHF 7'500.– pro Monat. Als Verwendungszweck wurde im Vertragsanhang fest- gehalten, dass das Mietobjekt vom Mieter für stilles Gewerbe, als Freizeit, Erotik, Sex und Massagebetrieb genutzt wird. Der Mietbeginn wurde rückwirkend auf den 1. September 2013 festgelegt. Es wurde eine Kündigungsfrist von sechs Mo- naten vereinbart, wobei die Mieterin den Mietvertrag erstmals per 30. September 2018 kündigen konnte. Sofern die Klägerin keinen Gebrauch vom Kündigungsrecht macht, verlängert sich der Mietvertrag automatisch um weitere fünf Jahre (vgl. act. 3/2).
3. Behördliche Massnahmen im Zusammenhang mit dem Coronavirus
19. Juni 2020 zu beenden, galt ab dann nur noch die besondere Lage, weshalb die Kompetenzen an die Kantone übergingen (vgl. Art. 1a Verordnung 2 über Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus).
Mit Beschluss vom 8. Dezember 2020 wurde die Verordnung erneut angepasst (vgl. RRB Nr. 1201/2020). Danach wurde gemäss § 5 Abs. 1 der V Covid-19 die Prostitution verboten. Bordell- und Erotikbetriebe, Cabarets und ähnliche Lokale mussten geschlossen bleiben. Die Änderung trat am 10. Dezember 2020 in Kraft. Die V Covid-19 wurde am 31. Mai 2021 aufgehoben. Damit endete das Prostituti- onsverbot und die Sexarbeit war ab dem 1. Juni 2021 unter Schutzbestimmungen wieder erlaubt.
Mietzinsherabsetzung gemäss Art. 259d OR
Die Klägerin macht zunächst einen Rückforderungsanspruch für zu viel bezahlte Miete gegen die Beklagte im Sinne von Art. 259d OR geltend. Der Anspruch setzt kumulativ voraus, dass ein Mietvertrag abgeschlossen wurde, ein Mietmangel vor- liegt und der Vermieter Kenntnis vom Mangel hat (ROGER WEBER, in: WIDMER LÜ- CHINGER/OSER [Hrsg.], Basler Kommentar Obligationenrecht I, 7. Aufl., Basel 2020, N 2 ff. zu Art. 259d OR). Ein Verschulden des Vermieters für das Auftreten des Mangels ist nicht erforderlich. Die Beweislast für die Voraussetzungen der Minderung liegt gemäss Art. 8 ZGB beim Mieter (WEBER, a.a.O., N 2a zu Art. 259d OR).
Unbestrittenermassen schlossen die Parteien am 19. Dezember 2013 einen un- befristeten Mietvertrag über ein Gewerbeobjekt an der E. -strasse … in F. , welches von der Klägerin als Erotikstudio betrieben wurde (act. 3/2).
Die Klägerin stellt sich auf den Standpunkt, dass die behördlich angeordneten Be- triebsschliessungen einen Mangel am Mietobjekt darstellen würden. Die Beklagte habe als Vermieterin während der gesamten Mietzeit dafür zu sorgen, dass das Mietobjekt vertragsgemäss genutzt werden könne. Da sich die Parteien im Miet- vertrag über einen Mietzweck geeinigt hätten, falle es in den Verantwortungsbereich des Vermieters, wenn der Mieter seine Geschäftstätigkeit im Mietobjekt nicht mehr ausüben könne. Zudem sei die Nutzungsvereinbarung so zu verstehen, dass sich die Klägerin verpflichtet habe, die Mietlokalitäten ausschliesslich zum vereinbarten Zweck zu verwenden. Auch habe sie die vertraglich vereinbarten Er- trägnisse aufgrund der Schliessungsanordnung nicht beziehen können. Eine ver- tragliche Zusicherung im Hinblick auf das unternehmerische Risiko sei für das Vorliegen eines Mangels nicht erforderlich (act. 1 Rz. 27 ff.; act. 34 Rz. 3 ff.).
Die Beklagte macht geltend, dass der Klägerin nicht die Nutzung des konkreten Mietobjekts verboten worden sei, sondern nur die von ihr ausgeübte Tätigkeit (act. 13; act. 30). Als Vermieterin sei sie nur dafür verantwortlich, dass die verein- barte Nutzung grundsätzlich möglich sei. Es liege im Verantwortungsbereich der Klägerin, wenn der Staat Verbote und Einschränkungen erlasse, welche den Be- trieb beeinträchtigen. Zudem hätte die Klägerin das Mietobjekt auch anderweitig nutzen können, da die Liegenschaft nicht nur als reines Sexgewerbe vermietet worden sei (act. 1 S. 1; act. 30 S. 2). Im Anhang zum Mietvertrag sei klar geregelt worden, dass die Räumlichkeiten vom Mieter als Erotikgewerbe genutzt werden können und nicht, dass die Liegenschaft ausschliesslich als Erotikgewerbe ver- mietet werde (act. 30 S. 3). Da keine spezifische Risikotragungsklausel vereinbart worden sei und sich im Mietvertrag auch keine Zusicherung finde, wonach die Miete nicht geschuldet sei, wenn von staatlicher Seite Betriebsschliessungen an- geordnet werden würden, liege kein Mangel am Mietobjekt vor (act. 30 S. 2-3).
Rücksicht auf den vertraglichen Gebrauchszweck erforderliche Eigenschaften handeln (DAVID LACHAT ET AL., Mietrecht für die Praxis, 9. Aufl. 2016, Rz. 9.1 ff.; BEAT ROHRER, Das schweizerische Mietrecht, SVIT-Kommentar, 4. Aufl. 2018, N 3 ff. zu Art. 256 OR; PETER HIGI/CHRISTOPH WILDISEN, in: SCHMID [Hrsg.], Zürcher Kommentar, Die Miete, Art. 253-265 OR, 5. Aufl., Zürich 2019, N 27 ff. zu Art. 258 OR; MORITZ VISCHER, Die Bedeutung von Art. 256 OR für das Mietver- tragsrecht, AJP 9/2014, S. 1226 ff.; bzgl. Mängel der Mietsache vgl. Urteil des Bundesgerichts 4A_615/2015 vom 19. Mai 2016 E. 4). Die Qualität des Mietob- jekts ist Inhalt der (Dauer-)Leistungspflicht des Vermieters (HIGI/WILDISEN, a.a.O., N 29 zu Art. 258 OR; ROHRER, a.a.O., N 7 zu Art. 256 OR).
(z.B. die Konformität mit öffentlich-rechtlichen Vorschriften) sein (ROHRER, a.a.O., N 22 ff. zu Art. 256 OR).
Ein Mangel kann auch dann vorliegen, wenn der Vermieter auf den Mangel kei- nen Einfluss nehmen kann oder wenn der Mangel sich aus der Umwelt oder dem Verhalten Dritter ergibt. So kann beispielsweise bei Bau- oder Fluglärm ein Man- gel vorliegen, wenn der Lärm übermässig und bei Vertragsschluss nicht vorher- sehbar gewesen ist. Massgebend dabei ist der Zustand, mit welchem der Mieter nach dem Inhalt des Vertrages vernünftigerweise rechnen durfte, denn der Man- gel definiert sich als Abwesenheit einer Eigenschaft, die versprochen wurde oder die Gegenpartei nach Treu und Glauben erwarten dufte (HIGI, a.a.O., N 30 ff. zu Art. 258 OR; WEBER, a.a.O., N. 3 zu Art. 256; ROHRER, a.a.O., N 28 zu Art. 256 OR).
Mangel aufgrund behördlicher Beschränkungen
sprechung umstritten. Zum Teil wird vertreten, dass bei einem öffentlich- rechtlichen Nutzungsverbot, welches die Schliessung des Gewerbebetriebs ganz oder teilweise nach sich ziehe, ein Mietmangel vorliege. Dies wird im Wesentli- chen damit begründet, dass der Vermieter bei einer Vermietung von Gewerbe- räumlichkeiten dem Mieter explizit oder stillschweigend die Eigenschaft zur kom- merziellen Nutzung zusichert. Zudem habe der Mieter in dieser Situation keinen Einfluss auf den Mangel (LACHAT/BRUTSCHIN, Die Mieten in Zeiten des Coronavi- rus, mp 2/2020, S. 106; SCHENKEL, Mietzinsherabsetzung infolge Betriebsschlies- sung - Covid-19 Coronavirus, mp 2/2020, S. 156; Appellationsgericht des Kantons Tessin, mp 2/2023, Geschäfts-Nr. 12.202.41, Urteil vom 4. November 2021,
E. 7.4). Die überwiegende Meinung lehnt hingegen das Vorliegen eines Mangels ab (REICHLE/STEHLE, Coronavirus und Geschäftsraummiete, in: Jusletter 18. Mai 2020, S. 8; HIGI, Gutachterliche Stellungnahme zur Frage der Herabsetzung des Mietzinses wegen Mängeln des Geschäftsraums im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie vom 26. März 2020, S. 2; HAEFELI/GALLI/VISCHER, Coronavi- rus SARS-CoV 2: Klärung mietrechtlicher Fragen, in: Jusletter 14. April 2020, N 28; MÜLLER, in: COVID-19 - Ein Panorama der Rechtsfragen zur Corona-Krise, Basel 2020, § 3 Rz. 78; PEDUZZI, Die Auswirkungen der Notmassnahmen in der Coronakrise auf Geschäftsmietverträge, MRA 1/20, S. 3, 8 f; ROHRER, Mietrechtli- che Folgen behördlich angeordneter Nutzungsbeschränkungen für Geschäfts- räume, MRA 1/2022, S. 27, 42 f.; Obergericht des Kantons Zürich, Geschäfts-Nr.: PD210016-O/U, Urteil vom 12. Januar 2022, E. 2.4; Appellationsgericht des Kan- tons Basel-Stadt, ZB.2022.6, Urteil vom 8. August 2022, E. 3.3.3; Bundesge- richtshof, Urteil vom 12. Januar 2022; XII ZR 8/21, Rz. 29 ff.). Zur Begründung wird im Wesentlichen darauf abgestellt, dass eine pandemiebedingte Betriebs- schliessung ein Gebrauchshindernis darstelle, welches nicht auf die Beschaffen- heit, Zustand oder Lage der Mietsache beruhe (objektbezogene Eigenschaften), sondern sich auf die vom Mieter ausgeübte gewerbliche Tätigkeit beziehe (be- triebsbezogene Eigenschaft). Da die vereinbarte Beschaffenheit eines Mietobjekts in aller Regel nur objektbezogene und nicht auch betriebsbezogene Eigenschaf- ten umfasse, liege kein Mangel vor.
LI/GALLI/VISCHER, a.a.O., N 28). Vorliegend zielten die Schliessungsanordnungen im Zuge der Corona-Pandemie darauf ab, Kontakte von Menschen zu reduzieren, um die Verbreitung des Coronavirus einzudämmen. Die Anordnungen bezogen sich somit auf den Betrieb der Klägerin. Dass die Klägerin wegen der behördlicher Betriebsschliessungen keine Kunden mehr empfangen konnte, liegt daher nicht am Mietlokal bzw. an dessen Zustand oder Lage, sondern an der von ihr ausge- übten Geschäftstätigkeit. Mithin stellen die behördlich angeordneten Betriebs- schliessungen keinen Mangel der Mietsache dar.
Mangel aufgrund Nutzungsvereinbarung
Für eine Beteiligung oder eine vollständige Übernahme des unternehmerischen Risikos des Mieters ist eine ausdrückliche oder konkludente Vereinbarung zwi- schen Mieter und Vermieter erforderlich (PEDUZZI, a.a.O., S. 8; HAEFE- LI/GALLI/VISCHER, a.a.O., N 32; REICHLE/STEHLE, a.a.O., N 44).
BGE 132 III 268 ff. E. 2.3.2). Wenn der übereinstimmende wirkliche Wille der Par- teien unbewiesen bleibt, sind zur Ermittlung des mutmasslichen Parteiwillens die Erklärungen der Parteien aufgrund des Vertrauensprinzips so auszulegen, wie sie nach ihrem Wortlaut und Zusammenhang sowie den gesamten Umständen ver- standen werden durften und mussten (BGE 143 III 157 ff. E. 1.2.2 m.w.H.; BGE
142 III 239 ff. E. 5.2.1; BGE 138 III 659 ff. E. 4.2.1; PETER JÄGGI/PETER
GAUCH/STEPHAN HARTMANN, Zürcher Kommentar, Auslegung Ergänzung und An- passung der Verträge, Art. 18 OR, 4. Aufl., Zürich 2014, N 309).
Die Nutzungsvereinbarung kann entgegen der nicht näher begründeten Ansicht der Klägerin nicht dahingehend verstanden werden, dass sie das Mietobjekt ent- sprechend des Nutzungszwecks nutzen musste. Sollte eine Vereinbarung über die Gebrauchspflicht getroffen worden sein, so könnte diese zwar als Nutzungs- garantie ausgelegt werden, für welche der Vermieter einstehen möchte (LACHAT/BRUTSCHIN, a.a.O., S. 107; HIGI, Gutachterliche Stellungnahme zur Frage der Herabsetzung des Mietzinses wegen Mängeln des Geschäftsraums im Zu- sammenhang mit der Corona-Pandemie, 26. März 2020, S. 2). Allerdings müsste sich dafür eine klare Regelung aus dem Mietvertrag ergeben. Vorliegend kann der Klausel über den Verwendungszweck weder aus dem Wortlaut noch aus den Umständen eine Verpflichtung zum vereinbarten Gebrauch der Mietsache ent- nommen werden.
Weiter behauptet die Klägerin, es sei ihr eine Umsatzgarantie vertraglich zugesi- chert worden (act. 1 Rz. 27). Wenn ein Vermieter zusichert, dass sich ein be- stimmter Umsatz erzielen lasse, kann zwar daraus eine Einstandspflicht für staat- lich angeordnete Betriebsschliessungen abgeleitet werden (REICHLE/STEHLE, a.a.O., N 44). Allerdings führt die Klägerin nicht aus, aus welcher Vertragsklausel sich eine derartige vertragliche Zusicherung für einen bestimmten Umsatz ergeben soll. Weder aus dem Mietvertrag noch aus dem Anhang zum Mietvertrag ist eine Klausel für eine Umsatzgarantie ersichtlich.
Mietzinsreduktion aufgrund Unmöglichkeit
Die Klägerin macht geltend, dass durch die Schliessungsanordnung eine nach- trägliche Unmöglichkeit im Sinne von Art. 119 OR eingetreten sei. Durch das Be- triebsverbot sei die Beklagte nicht mehr in der Lage gewesen das Mietobjekt zum vereinbarten Zweck zur Verfügung zu stellen und habe damit ihre Leistung nicht mehr erfüllen können. Für die Anwendung von Art. 119 OR sei eine dauerhafte Unmöglichkeit keine Voraussetzung. Vielmehr könne auch eine nur vorüberge- hende Nichterbringbarkeit von Leistungen bei Dauerschuldverhältnissen eine Unmöglichkeit nach sich ziehen (act. 1 Rz. 30 f.; act. 26 Rz. 1 ff; act. 34 Rz. 7). Die Beklagte wendet dagegen ein, dass keine Unmöglichkeit vorliege, da die Be- triebsschliessungen von beschränkter Dauer gewesen seien. Die Bestimmungen zur nachträglichen Unmöglichkeit seien daher nicht anwendbar (act. 30 S. 2).
Soweit durch Umstände, die der Schuldner nicht zu vertreten hat, seine Leistung unmöglich geworden ist, gilt die Forderung als erloschen (Art. 119 Abs. 1 OR). Bei zweiseitigen Verträgen haftet der freigewordene Schuldner für die bereits emp- fangene Gegenleistung aus ungerechtfertigter Bereicherung und verliert die noch nicht erfüllte Gegenforderung (Art. 119 Abs. 2 OR). Art. 119 OR regelt mithin die Folgen der nachträglichen, nicht vom Schuldner zu verantwortenden Unmöglich- keit und bildet eine Korrespondenznorm zu Art. 97 OR, welcher die Folgen der nachträglichen, vom Schuldner zu verantwortenden Unmöglichkeit regelt (WOLF- GANG WIEGAND, in: WIDMER LÜCHINGER/OSER [Hrsg.], Basler Kommentar Obligati- onenrecht I, 7. Aufl., Basel 2020, N 1 ff. zu Art. 119 OR).
Es wird zwischen subjektiver und objektiver Unmöglichkeit unterschieden. Die ob- jektive Unmöglichkeit kann dabei auch auf rechtlichen Gründen, wie beispielswei- se behördliche oder gesetzliche Anordnungen, beruhen (WEBER, a.a.O., N 4 zu Art. 253 OR; BGE 111 352 E. 2a; BGE 57 II 532 E. 2). Ein Merkmal der Unmög- lichkeit ist, dass die Nichterbringbarkeit der Leistung definitiv bzw. dauerhaft sein muss (EICHENBERGER, a.a.O., N 6 zu Art. 119 OR; WIEGAND, a.a.O., N 1 zu
Art. 119 OR). So hat das Bundesgericht festgehalten, dass eine Unmöglichkeit nur in Betracht komme, wenn diese mit Gewissheit bis zum Vertragsende beste- hen bleibe oder ihr Wegfall zumindest nicht absehbar sei (BGer 4C.34/2000, Ur- teil vom 24. April 2001 E. 4; BGer 4C.344/2002, Urteil vom 12. November 2003
E. 4).
In der Literatur findet sich die Ansicht, dass bei Dauerschuldverhältnissen eine nachträgliche Unmöglichkeit auch bei einer zeitlich beschränkten Leistungsver- hinderung vorliegen könne. Danach werde die versprochene Dauerleistung für ei- nen Teil der Vertragsdauer unmöglich (GAUCH, System der Beendigung von Dau- erverträgen, Diss., Freiburg 1968 = AISUF Band 34, Freiburg 1968, S. 128 f.; AEPLI, Zürcher Kommentar Obligationenrecht, 3. Aufl., Zürich 1991, N 121 ff. zu Art. 119 OR). Die Folge der zeitweisen Unmöglichkeit könne entweder eine an- teilsmässige Herabsetzung des geschuldeten Mietzinses oder die vorzeitige Beendigung des Dauerschuldverhältnisses sein (HIGI/WILDISEN, a.a.O., N 25 zu Art. 258 OR; GAUCH, a.a.O., S. 129).
Verordnung über Massnahmen zur Bekämpfung der Covid-19-Epidemie festge- legt (vgl. Covid-19 V; LS 818.18). Ausserdem war aus den vorangegangen Lock- downs vorhersehbar, dass die Betriebsschliessungen nach Wegfall der ange- spannten Lage sofort aufgehoben werden würden. Eine dauerhafte bzw. unab- sehbare Schliessung von öffentlich zugänglichen Einrichtungen für das Publikum im Sinne der bundesgerichtlichen Rechtsprechung lag somit nicht vor.
Richterliche Vertragsanpassung
Schliesslich verlangt die Klägerin gestützt auf das Rechtsinstitut clausula rebus sic stantibus eine Vertragsanpassung, da sich die Verhältnisse aufgrund der Pandemie grundlegend geändert hätten (act. 1 Rz. 23; act. 26 Rz. 8; act. 34 Rz. 8). Die Betriebsschliessungen seien bei Vertragsschluss nicht vorhersehbar gewesen und hätten zu einem offensichtlichen Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung geführt. Die Äquivalenzstörung sei im starken Rückgang ihrer Umsätze zu sehen, da die durchschnittlichen monatlichen Umsätze im Jahr 2019 von CHF 27'600.– auf CHF 10'945.– im März 2020 gesunken seien. Ab April 2020 und bis zur Aufhebung der behördlichen Massnahmen seien keine Umsätze mehr gemacht worden (act. 1 Rz. 26; act. 3/9; act. 3/12). Um den Schaden zu minimie- ren habe sie Kurzarbeitsentschädigungen für ihre Mitarbeiter und Mietzinsredukti- onen für ihre Betriebe beantragt sowie verschiedene Kündigungen von Aufträgen ausgesprochen (act. 1 Rz. 26; act. 34 Rz. 8; act. 35/13). Der vorliegende Fall sei mit einer Konstellation vergleichbar, in welcher das Bundesgericht einem Pächter eines Restaurationsbetriebs auf den Schiffen des Vierwaldstättersees eine Re- duktion des Pachtzinses gewährt habe (BGE 48 II 249), nachdem die Einnahmen
wegen des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs stark zurückgegangen seien (act. 1 Rz. 24).
Die Beklagte bestreitet, dass die Voraussetzungen für eine richterliche Ver- tragsanpassung gegeben seien. Da das Mietverhältnis bereits mehr als 20 Jahre bestanden habe, könne bei einer kurzzeitigen Veränderung der Rahmenbedin- gungen nicht bereits eine gravierende Äquivalenzstörung angenommen werden. Eine Schliessung für wenige Monate sei nicht vergleichbar mit einer mehrjährigen Betriebseinschränkung aufgrund kriegerischer Ereignisse. Zudem sei man der Klägerin entgegengekommen, da der Mietvertrag bereits per 31. Mai 2021 aufge- löst worden sei. Dadurch habe sie Mietzinszahlungen für 28 Monate in Höhe von CHF 210'000.– gespart (act. 13 S. 2; act. 30 S. 2).
Eine richterliche Vertragsanpassung kommt in Betracht, wenn sich die Verhältnis- se seit Vertragsabschluss derart geändert haben, dass die Erfüllung des Vertra- ges für eine der Parteien nicht mehr zumutbar ist. Dabei steht der Grundgedanke im Vordergrund, dass die Parteien den Vertrag so nicht geschlossen hätten, wenn sie nicht Fehlvorstellungen über die Zustände bei Vertragsschluss oder über die Entwicklung der Verhältnisse gehabt hätten (LEHMANN/HONSELL, in: GEI- SER/FOUNTOULAKIS [Hrsg.], Basler Kommentar Zivilgesetzbuch I, 7. Aufl., Basel 2022, N 19 ff. zu Art. 2 ZGB; WIEGAND, a.a.O., N. 95 ff. zu Art. 18; LACHAT/BRUTSCHIN, a.a.O., S. 128).
Die clausula rebus sic stantibus stellt eine Ausnahme vom Grundsatz dar, dass Verträge in der Regel auch dann zu halten sind, wenn sich die Verhältnisse geän- dert haben. Mit dem Abschluss eines Vertrags übernimmt jede Partei bestimmte Risiken. Zu diesen gehört insbesondere, dass sich die zukünftigen Verhältnisse entgegen den eigenen Erwartungen entwickeln. Die Bindung an den Vertrag fin- det dort ihre Schranke, wo sie weder vom wirklichen, noch vom nach Treu und Glauben ermittelten mutmasslichen Parteiwillen getragen wird (SCHMID, in: JÄG- GI/GAUCH/HARTMANN [Hrsg.], Zürcher Kommentar Obligationenrecht, 4. Aufl. 2014,
N. 235 zu Art. 18; WIEGAND, a.a.O., N. 97 zu Art. 18).
Entsprechend setzt eine richterliche Vertragsanpassung voraus, dass sich die Verhältnisse, die weder vorhersehbar noch vermeidbar waren, geändert haben und zudem eine gravierende Äquivalenzstörung, d. h. ein grobes Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung, eingetreten ist (vgl. BGE 127 III 300 E. 5b; WIEGAND, a.a.O., N 104 zu Art. 18; WIEGAND/HURNI in: HONSELL [Hrsg.]; Kurzkommentar Obligationenrecht; 1. Aufl., 2014; N 69 zu Art. 18).
Zunächst muss eine Änderung der Verhältnisse und Umstände nach Vertrags- schluss eingetreten sein. Die Verhältnisänderung ist vorliegend gegeben, da sich aufgrund der Massnahmen zur Eindämmung des Coronavirus die Bedingungen für zahlreiche Gewerberaummieter verändert haben (so auch REICHLE/STEHLE, a.a.O., N 51). Unbestrittenermassen war die Klägerin von den Betriebsschlies- sungen betroffen und konnte das Mietobjekt nicht mehr uneingeschränkt für ihren Zweck nutzen.
300 E. 5b). Es muss also festgestellt werden, was von den Vertragsparteien hätte vorhergesehen werden können und wann eine Entwicklung vorliegt, mit der sie vernünftigerweise nicht rechnen konnten (WIEGAND, a.a.O., N 101 zu Art. 18). Grundsätzlich müssen die Parteien bei langfristigen Verträgen damit rechnen, dass sich die zur Zeit des Vertragsabschlusses bestehenden Verhältnisse später ändern können. Wenn sich die Gesetzeslage ändert, so gilt dieser Umstand nicht als unvorhersehbar. Wenn die Änderung der gesetzlichen Grundlagen als solche zwar vorhersehbar war, nicht aber deren Art, Umfang und Auswirkungen auf den Vertrag, ist die Vorhersehbarkeit zu verneinen (BGE 127 III 300 E. 5b aa; WIE- GAND, a.a.O., N 103 zu Art. 18; REICHLE/STEHLE, a.a.O., N 52). Das Bundesgericht führte dazu aus, dass beide Vertragsparteien eine solche Veränderung im Zeit- punkt des Vertragsschlusses ausserhalb des objektiv Möglichen und ihrer subjektiven Vorstellungen betrachtet haben müssen (BGer Urteil 4A_375/2010 vom
22. November 2010 E. 3.1).
Durch die unvorhersehbare Verhältnisänderung muss es zu einer schwerwiegen- den Störung des Vertragsäquivalents gekommen sein. Da es in einem Mietver- hältnis um den Austausch von vermögenswerten Leistungen geht, muss ein gro- bes Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung vorliegen. Die Störung muss jedoch nicht existenzbedrohend sein (WIEGAND, a.a.O., N 104 zu Art. 18). Eine geringfügige Störung alleine reicht allerdings nicht aus (vgl. BGE 128 II 428
E. 3c). Daraus ergibt sich, dass nicht jede einschneidende Veränderung der bei Vertragsschluss bestehenden oder gemeinsam erwarteten Verhältnisse eine Ver- tragsanpassung rechtfertigt.
Ob dem Mieter ein Festhalten an dem unveränderten Vertrag unzumutbar ist, be- darf einer umfassenden Abwägung, bei der sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind (WIEGAND, a.a.O., N. 104 zu Art. 18; LACHAT/BRUTSCHIN, a.a.O., S. 130; ENZ, Risikozuordnung in Verträgen und die COVID-19 Situation: Teil 1, in: Jusletter 18. Mai 2020, S. 1). Bei der vorzunehmenden Abwägung ist von Bedeutung, welche Nachteile dem Mieter durch die Geschäftsschliessung und deren Dauer entstanden sind. Zu berücksichtigen ist auch, welche Massnahmen der Mieter ergriffen hat oder ergreifen konnte, um die drohenden Verluste während der Geschäftsschliessung zu vermindern und ob er einen finanziellen Ausgleich für pandemiebedingte Nachteile erlangt hat. Da eine Überkompensati- on durch die richterliche Vertragsanpassung verhindert werden soll, müssten die finanziellen Vorteile dem Mieter angerechnet werden. Es ist somit eine Gesamt- betrachtung der finanziellen Situation des Mieters erforderlich.
Kosten- und Entschädigungsfolgen
Basler Kommentar ZPO, 3. Aufl., 2017, N 21 zu Art. 95). Vorliegend wurde die Beklagte nicht berufsmässig vertreten und hat auch keine Entschädigung bean- tragt oder begründet. Daher ist ihr keine Umtriebsentschädigung zuzusprechen.
Die Kosten werden der Klägerin auferlegt und aus dem von ihr geleisteten Kostenvorschuss gedeckt.
Es werden keine Partei- bzw. Umtriebsentschädigungen zugesprochen.
Eine bundesrechtliche Beschwerde gegen diesen Entscheid ist innerhalb von 30 Tagen von der Zustellung an beim Schweizerischen Bundesgericht, 1000 Lausanne 14, einzureichen. Zulässigkeit und Form einer solchen Beschwerde richten sich nach Art. 72 ff. (Beschwerde in Zivilsachen) oder Art. 113 ff. (subsidiäre Verfassungsbeschwerde) in Verbindung mit Art. 42 und 90 ff. des Bundesgesetzes über das Bundesgericht (BGG). Der Streitwert beträgt CHF 23'333.35.
Zürich, 2. Oktober 2023
Handelsgericht des Kantons Zürich
Der Vizepräsident:
Roland Schmid
Der Gerichtsschreiber:
Dr. Pierre Heijmen
Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.
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