Kanton: | ZH |
Fallnummer: | GG150250 |
Instanz: | Bezirksgericht Zürich |
Abteilung: | Einzelrichter o.V. |
Datum: | 26.01.2016 |
Rechtskraft: | - |
Leitsatz/Stichwort: | Weiterleiten einer ehrenrührigen Kurznachricht über Twitter (Retweet). |
Zusammenfassung : | Das Obergericht des Kantons Zürich hat in einem Fall betreffend arbeitsrechtliche Forderungen entschieden. Eine GmbH in Liquidation war Beklagte und Beschwerdeführerin gegen einen Kläger. Das Konkursamt Andelfingen reichte eine Beschwerde ein, die später zurückgezogen wurde. Aufgrund der Konkurseröffnung wurde der Prozess automatisch eingestellt, weshalb das Urteil nicht rechtsgültig war. Da das Konkursverfahren abgeschlossen ist, muss das Beschwerdeverfahren wieder aufgenommen werden. Das Beschwerdeverfahren ist kostenlos und es werden keine Parteientschädigungen zugesprochen. |
Schlagwörter : | Beschuldigte; Privatkläger; Richt; Twitter; Retweet; Beschuldigten; Tweet; Account; Veröffentlichung; Follower; Persönlichkeit; -hitlerc; Person; -hitlerch; Medium; Dölf; Medien; Genugtuung; Leser; Gericht; Domain; Verbreitung; Tweets; Persönlichkeitsverletzung; Hermann; Bundesgericht; Politik |
Rechtsnorm: | Art. 10 EMRK ; Art. 16f BV ; Art. 172 StPO ; Art. 173 StGB ; Art. 174 StGB ; Art. 27 StGB ; Art. 28 StGB ; Art. 28 ZGB ; Art. 28a ZGB ; Art. 31 StGB ; Art. 426 StPO ; Art. 49 OR ; |
Referenz BGE: | 111 II 209; 125 IV 206; 127 III 481; 128 IV 53; 129 III 49; 131 III 26; 136 IV 145; 137 IV 313; 73 IV 65; 74 IV 129; 86 IV 145; |
Kommentar: | -, Berner 4. Auflage, Art. 49 OR, 2013 Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017 |
Der Kurznachrichtendienst Twitter (www.twitter.com) ist ein Medium im Sinne von Art. 28 StGB (Erwägung 4.3.).
Jedenfalls eine Kurznachricht (Tweet) auf einem Account, der nicht nur von Angehörigen und Bekannten seines Inhabers beachtet wird, ist eine Veröffentlichung im Sinne von Art. 28 StGB (Erwägung 4.4.).
Das Weiterleiten eines ehrenrührigen Tweets (Retweet) ist Teil der für Twitter typischen Verbreitungskette und daher kraft des Privilegs von Art. 28 StGB straflos (Erwägung 4.5.).
Das Privileg von Art. 28 StGB greift nicht bei Rassendiskriminierung, harter Pornographie Gewaltdarstellungen (Erwägung 4.6.).
Der Twitter-Account einer Einzelperson hat keinen vom Autor verschiedenen Redaktor und keine andere für die Veröffentlichung verantwortliche Person im Sinne von Art. 322bi s StGB (Erwägung 4.7.).
Publikumsbefragungen zur Ermittlung der Auffassung des Durchschnittslesers verlagern das Problem, anstatt es zu lösen (Erwägung 5.3.).
Bei einer Persönlichkeitsverletzung durch einen Retweet kommt neben Geld auch eine Richtigstellung Urteilsveröffentlichung durch einen neuen Tweet als andere Form der Genugtuung in Frage (Erwägung 5.4.).
Zwischen einem rechtswidrigen Retweet und der ausgelösten Strafuntersuchung fehlt es wegen Art. 28 StGB am adäquaten Kausalzusammenhang, der freigesprochene Beschuldigte ist nicht kostenpflichtig (Erwägung 6.)
Der Privatkläger ist Rechtsanwalt und Politiker. Landesweit bekannt wurde er durch die Rolle, die er beim Rücktritt des Nationalbankpräsidenten Philipp Hildebrand gespielt hatte. Der Beschuldigte ist Redaktor der WochenZeitung. In der WoZ vom 14. Juni 2012 veröffentlichte er einen Artikel über den Privatkläger: Als Halter der Internet-Adresse adolf-hitler.ch war damals X. AG, Hermann Lei eingetragen. Das ergab eine Abfrage auf der Website der Stiftung SWITCH, welche Domains mit den Endungen .ch und .li verwaltet. Der Beschuldigte ging in seinem Artikel der Frage nach, was der Privatkläger mit adolf-hitler.ch zu tun hat.
NewsMän verbreitet über seinen Twitter-Account Medienberichte, die ihm interessant scheinen. Früher nannte er sich MusicMän2013. Seine Identität ist nicht bekannt. Am 13. Juli 2012 veröffentlichte MusicMän2013 über Twitter eine Kurznachricht. Der Tweet wies auf einen Artikel in der NZZ und einen Leserbrief hin, mit dem der Privatkläger darauf reagiert hatte. Artikel und Leserbrief drehen sich um einen Dokumentarfilm des Schweizer Fernsehen über den Rücktritt von Philipp Hildebrand. Sie haben nichts mit der Hitler-Domain zu tun. In seiner Kurznachricht bezeichnete MusicMän2013 den Privatkläger als Hermann Dölf Lei. Jene Twitterer, welche die Tweets von MusicMän2013 verfolgen, erhielten diese Kurznachricht auf ihrem eigenen Twitter-Account angezeigt. Zu diesen Followern von MusicMän2013 gehört auch der Beschuldigte.
Die Staatsanwaltschaft wirft dem Beschuldigten vor, er habe den Tweet von MusicMän2013 kommentarlos an seine eigenen Follower weitergeleitet. Das Weiterleiten eines Tweets ist denkbar einfach. Der Nutzer braucht lediglich das Retweet-Symbol anzuklicken anzutippen, damit der erhaltene Tweet auch auf dem Account der eigenen Follower angezeigt wird. Wegen dieses Retweets erhebt die Staatsanwaltschaft gegen den Beschuldigten Anklage wegen Verleumdung Übler Nachrede.
Am 16. Juni 2013 zeigte der Privatkläger den Beschuldigten bei der Staatsanwaltschaft an und beantragte dessen Bestrafung wegen Verleumdung.
Er machte geltend, den fraglichen Retweet erst am 7. Mai 2013 entdeckt zu haben, so dass die dreimonatige Antragsfrist (Art. 31 StGB) gewahrt sei. Die Staatsanwaltschaft erledigte das Strafverfahren mit Einstellungsverfügung vom
11. April 2014. Sie bezweifelte die Rechtzeitigkeit des Strafantrags und hielt dafür,
der Zusatz Dölf sei für die meisten Leser unverständlich allenfalls als Hinweis auf die Geschichte mit der Hitler-Domain zu verstehen, keinesfalls werde der Privatkläger damit aber als Anhänger des Nationalsozialismus diskreditiert. Das Obergericht hob die Verfügung vom 11. April 2014 am 26. Januar 2015 auf: Es bestünden keine ernsthaften Anhaltspunkte dafür, dass der Privatkläger den fraglichen Retweet schon früher entdeckt habe, im übrigen handle es sich um einen Zweifelsfall, der untersucht gehöre.
Die Staatsanwaltschaft versuchte, MusicMän2013 ausfindig zu machen. Das ist bis heute nicht gelungen. Sie befragte den Beschuldigten und den Privatkläger am 1. September 2015 und erhob am 17. September 2015 Anklage. Zur Hauptverhandlung erschienen der Privatkläger, der Beschuldigte und seine Verteidigerin.
Der Beschuldigte hat bestätigt, dass er den Tweet von MusicMän2013 mit der Bezeichnung Hermann Dölf Lei weitergeleitet (retweetet) hat. Die Darstellung des Sachverhalts in der Anklageschrift trifft zu und ist unter den Parteien auch nicht strittig. Der Streit dreht sich um die rechtliche Würdigung des Geschehenen.
Der Üblen Nachrede macht sich schuldig, wer jemanden bei einem anderen eines unehrenhaften Verhaltens anderer Tatsachen beschuldigt verdächtigt, die geeignet sind, seinen Ruf zu schädigen (Art. 173 Ziff. 1 Abs. 1 StGB). Der Üblen Nachrede macht sich ebenfalls schuldig, wer eine solche Beschuldigung Verdächtigung weiterverbreitet (Art. 173 Ziff. 1 Abs. 2 StGB). Der Verleumdung macht sich schuldigt, wer solche Beschuldigungen oder
Verdächtigungen wider besseres Wissen erhebt verbreitet (Art. 174 Ziff. 1 StGB).
Der Vorwurf, Sympathien für das Nazi-Regime zu haben, ist rufschädigend (BGE 137 IV 313, E. 2.1.1., S. 315 mit weiteren Hinweisen). Fragen kann man sich einzig, ob der Beschuldigte einen derartigen Vorwurf erhoben hat. Die Staatsanwaltschaft und der Privatkläger erblicken diesen Vorwurf im weitergeleiteten Tweet, in dem von Hermann Dölf Lei die Rede war.
Wird eine strafbare Handlung durch Veröffentlichung in einem Medium begangen und erschöpft sie sich in dieser Veröffentlichung, so ist, unter Vorbehalt der nachfolgenden Bestimmungen, der Autor allein strafbar (Art. 28 Abs. 1 StGB). Kann der Autor nicht ermittelt in der Schweiz nicht vor Gericht gestellt werden, so ist der verantwortliche Redaktor nach Artikel 322bis [StGB] strafbar.
Fehlt ein verantwortlicher Redaktor, so ist jene Person nach Artikel 322bis [StGB]
strafbar, die für die Veröffentlichung verantwortlich ist (Art. 28 Abs. 2 StGB).
Art. 322bis StGB lautet wie folgt: Wer als Verantwortlicher nach Artikel 28 Absätze 2 und 3 [des Strafgesetzbuchs] eine Veröffentlichung, durch die eine strafbare Handlung begangen wird, vorsätzlich nicht verhindert, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren Geldstrafe bestraft. Handelt der Täter fahrlässig, so ist die Strafe Busse.
Bereits die 1942 in Kraft getretene Urfassung des schweizerischen Strafgesetzbuchs enthielt eine Sonderregelung für strafbare Veröffentlichungen. Sie war auf strafbare Handlungen beschränkt, die durch das Mittel der Druckerpresse begangen werden. Das umfasste sowohl Zeitungen und Zeitschriften als auch nicht periodische Druckschriften. Grundsätzlich war allein der Verfasser strafbar. Konnten die Untersuchungsbehörden ihn nicht ermitteln, so waren allenfalls der Verleger, der Redaktor der Drucker strafbar, nicht
aber alle weiteren Mitwirkenden (vgl. Art. 27 StGB in der Fassung von 1937/1942 [BBl 1937 III 625ff.]).
Die heutige Regelung trat am 1. April 1998 in Kraft, damals noch als Art. 27 StGB (heute: Art. 28 StGB). Die Ausdehnung der Sonderregelung von der Druckerpresse auf sämtliche Medien hatte vor allem Radio und Fernsehen im Auge, gilt aber nicht nur für sie (vgl. ZELLER in: NIGGLI/WIPRÄCHTIGER, Basler Kommentar, Strafrecht I, 3. Auflage 2013, N 20ff. zu Art. 28 StGB).
Schon im Jahr 1947 befasste sich das Bundesgericht mit der Tragweite des damaligen Art. 27 StGB: Auf die Phase vor der Entstehung eines Textes waren die allgemeinen Regeln über die Teilnahme an der Straftat eines andern durchaus anzuwenden. Das Bundesgericht hielt aber auch fest, von all jenen Personen, die sich mit Herstellung und Verbreitung einer Druckschrift befassten, seien allenfalls die in Art. 27 StGB genannten strafbar (Redaktor, Verleger, Drucker, Leiter des Anzeigeteils). Alle anderen, zum Beispiel die Verträger, blieben straflos. Das gilt auch, wenn sie nach den allgemeinen Regeln Gehilfen Mittäter einer Ehrverletzung wären (BGE 73 IV 65, S. 67f.). Was das bedeutet, zeigt ein späterer Entscheid anschaulicher: Ein Musiklehrer, der einem Journalisten Unterlagen für einen kritischen Artikel über das Konservatorium Zürich verschafft hatte, kam als Mittäter, Anstifter Gehilfe des Journalisten in Frage (BGE 86 IV 145, E. 1, S. 147).
Bereits 1948 erkannte das Bundesgericht, Art. 27 StGB gelte nicht nur für professionell hergestellte Druckerzeugnisse, sondern auch für eine mit Schreibmaschine und Matrize in wenigen hundert Exemplaren hergestellte Broschüre, die Bürger in einer Gemeindewahl verteilt hatten: Es gehe nicht darum, ein bestimmtes technisches Verfahren zu privilegieren. Vervielfältigte Schriften spielten eine wichtige Rolle in öffentlichen Debatten über Politik, Kunst, Literatur und dergleichen, deswegen sei die Strafbarkeit bei ihrer Herstellung und Verbreitung eingeschränkt (BGE 74 IV 129, E. 2, S. 130ff.).
Wer alles von der Sonderregelung geschützt ist, zeigt ein Entscheid des Bundesgerichts aus dem Jahr 2002: Einige Lokalpolitiker und Mitglieder der CVP im Wallis, welche die Fristenlösung beim Schwangerschaftsabbruch ablehnten, beteiligten sich in unterschiedlicher Form an einer Plakataktion, die auf jene Politikerinnen der CVP zielte, die sich für die Fristenlösung einsetzten. Das Bundesgericht sprach jene Personen schuldig, die das Plakat gestaltet dafür Informationen beschafft hatten, weil es das Plakat als ehrverletzend einstufte. Nichtsdestotrotz sprach es all jene Beteiligten frei, die sich auf das Plakatieren beschränkt hatten. Unter dem alten wie auch unter dem neuen Recht bleibe straflos, wer eine ehrverletzende Schrift nur verbreite. Der Buchhändler, Kioskmitarbeiter Zeitungsverkäufer, aber auch wer Traktate verteile Plakate klebe, der Briefträger usw., sie alle seien von Art. 28 StGB geschützt, der nur den Autor für strafbar erkläre. Das Privileg gelte nicht nur für Angestellte eines Medienunternehmens. Auch als Anstifter, Gehilfe Mittäter komme nur in Frage, wer nicht Teil der Herstellungsund Verbreitungskette eines Medienerzeugnisses sei (BGE 128 IV 53, insb. E. 5e, S. 66ff.).
In den zusammengefassten Entscheiden ist vor allem davon die Rede, dass Art. 28 StGB an die Stelle der allgemeinen Regeln über die Gehilfenschaft, die Anstiftung und die Mittäterschaft (Art. 24ff. StGB) trete. Das ist nicht alles. Die Bestimmungen über die Üble Nachrede und die Verleumdung machen das Weiterverbreiten ehrenrühriger Behauptungen Verdächtigungen zu einem
eigenständigen Delikt (Art. 173 Ziff. 1 Abs. 2 StGB; Art. 174 Ziff. 1 Abs. 2 StGB).
Die vom Bundesgericht beispielhaft zitierten Plakatkleber, Kioskmitarbeiter usw. erfüllen den Tatbestand des Weiterverbreitens regelmässig. Nichtsdestotrotz erklärte das Bundesgericht, die Plakatkleber blieben straflos. Art. 28 StGB schützt demnach nicht nur, soweit es um Anstiftung, Gehilfenschaft Mittäterschaft geht. Auch die zum eigenständigen Delikt ausgestaltete Teilnahme durch Weiterverbreiten ist mit Art. 28 StGB von der Strafbarkeit ausgenommen, solange sich die Täter innerhalb der für das Medium typischen Herstellungsund Verbreitungskette bewegen. Davon geht auch das Bundesgericht aus.
Für Twitter, Facebook, Google+ und ähnliche Plattformen ist sowohl der englische Ausdruck social media als auch dessen eingedeutschte Variante gebräuchlich. Mit dem Wortlaut von Art. 28 StGB ist es vereinbar, Veröffentlichungen auf Twitter dieser Regelung zu unterstellen.
Als die heutige Fassung von Art. 28 StGB entstand, hatte das Internet bei Weitem noch nicht die heutige Bedeutung. Twitter gab es noch nicht. Der historische Gesetzgeber hatte vor allem Radio und Fernsehen vor Augen, wollte aber eine Regelung schaffen, die alle Medien gleich behandelt. Die Botschaft des Bundesrates erwähnt das Internet denn auch in einem Atemzug mit in Vergessenheit geratenen Kommunikationsformen wie Teletext und Videotex (BBl 1996 IV 527). Der Gesetzgeber wählte das farblose, umfassende Wort Medium, wo er auch hätte Radio und Fernsehen schreiben können. Die Entstehungsgeschichte der heutigen Fassung von Art. 28 StGB ist nicht ausschlaggebend, spricht aber eher dafür, Twitter als Medium zu behandeln.
Zugleich mit der Neuregelung der Mediendelikte hat das Parlament den Quellenschutz geregelt (heute: Art. 28a StGB und Art. 172 StPO). Auch um zu entscheiden, wie weit der Quellenschutz geht, hatte sich das Bundesgericht damit zu befassen, was ein Medium bzw. ein periodisch erscheinendes Medium ist: Die Täterin nutzte die Kommentarfunktion auf der Website des Schweizer Fernsehens, um unter dem Pseudonym Michael Schwizer launige Kommentare abzugeben, die ein ehemaliger Arbeitskollege als Anspielung auf ihn erkannte
und für ehrverletzend hielt. Das Bundesgericht stellte ausdrücklich einen
Zusammenhang zwischen Art. 28 StGB (Strafbarkeit von Veröffentlichungen) und Art. 28a StGB (Quellenschutz) her und schützte das Schweizer Fernsehen. Es hatte sich geweigert, den Namen der Bloggerin preiszugeben. Auch die
Kommentarfunktion der Website des Schweizer Fernsehens sei ein Medium bzw. Teil eines Mediums (zum Ganzen: BGE 136 IV 145, E. 3.2 und 3.3, S. 149f.; Urteil Nr. GG110138-L des Bezirksgerichts Zürich vom 30. September 2011).
Twitter und ein Blog auf einer Website sind vergleichbar. Der Begriff Medium in Art. 28 StGB und Art. 28a StGB/Art. 172 StPO ist einheitlich auszulegen. Das legt es nahe, Twitter genau so wie einen Blog auf der Website des Schweizer Fernsehens als Medium im Sinne von Art. 28 StGB zu behandeln.
Die deutliche Begrenzung des Personenkreises, der sich durch eine Veröffentlichung strafbar machen kann, dient dem freien Austausch der Meinungen, wie er auch durch die Bundesverfassung und die Europäische Menschenrechtskonvention geschützt ist (Art. 16f. BV; Art. 10 EMRK). Dieser Regelungszweck spricht für den Einbezug von Twitter. Der Tweet, um den es hier geht, bezog sich auf politisch relevante Debatten. Sowohl die Hintergründe und Begleitumstände des Rücktritts eines Nationalbankpräsidenten, als auch die Frage, was ein Politiker mit der Domain adolf-hitler.ch zu tun hat, sind ein legitimer Gegenstand öffentlicher Diskussion. Selbstverständlich dient Twitter auch dem Austausch von Banalitäten, privatem Klatsch und Tratsch rein organisatorischer Informationen über Vereinsanlässe und dergleichen. Darauf ist Twitter aber nicht beschränkt. Zahlreiche Politiker, Unternehmen, Behörden, Parteien usw. nutzen Twitter, um sich Gehör zu verschaffen. Den überzeugendsten Beleg für die meinungsbildende Funktion von Twitter lieferten die Mächtigen der Volksrepublik China. Sie blockierten den Dienst einige Tage bevor sich die blutige Niederschlagung der Proteste auf dem Platz des Himmlischen Friedens zum zwanzigsten mal jährte. Twitter ist bis heute nur in Hong Kong und Macao problemlos zugänglich. Twitter dient dem freien Austausch von Informationen und Meinungen und ist deshalb ein Medium im Sinne von Art. 28 StGB.
Art. 28 StGB hat allerdings nicht zum Zweck, folgenlose Ehrverletzungen für jedermann zu ermöglichen das Internet zum rechtsfreien Raum zu machen. Auf die Gefahren eines Missbrauchs strafloser Retweets ist deshalb einzugehen.
Es ist denkbar, dass sich der Verfasser ehrverletzender Texte hinter einem Retweet versteckt und in Tat und Wahrheit selbst für den ursprünglichen Tweet auf einem anonymen Account dem Account einer Person im Ausland sorgt. Technisch ist das einfach zu bewerkstelligen. Recht schwierig ist es jedoch, eine derartige Fälschung überzeugend aussehen zu lassen. Ein kurz vor einem ehrverletzenden Retweet eröffneter anonymer Account mit wenigen Followern und einigen pro forma Tweets wird Staatsanwaltschaften und Gerichte nicht überzeugen. Freunde im Ausland müsste ein Täter erst überzeugen, sich für so etwas herzugeben, und meist ist es auch nicht plausibel, weshalb sich plötzlich eine Person aus der Ferne einmischt. Wer sich auf Twitter mit Verbalinjurien eindeckt, hat meist eine Vorgeschichte im realen Leben. Auch jene Bloggerin, deren Blogs zu BGE 136 IV 145 führten, konnte die Untersuchungsbehörde trotz Quellenschutz ausfindig machen. Privatkläger und Angeklagte hatten eine langwierige Vorgeschichte, die von Konflikten am ehemals gemeinsamen Arbeitsplatz geprägt war. Aufgrund des Inhalts der anonymen Blogs war klar, von wem sie stammen mussten (vgl. zum Nachspiel von BGE 136 IV 145: Urteil
Nr. GG110138-L des Bezirksgerichts Zürich vom 30. September 2011). Das ist typisch, denn das reine Cybermobbing ist selten. Es sind dieselben Personen, die ihre Opfer online und offline schikanieren. Gelegentlich wird es Tätern gelingen, dank solcher Tricks anonym zu bleiben, so wie auch nicht jeder Diebstahl und bei weitem nicht jede Verkehrsregelverletzung aufgeklärt wird. Die Missbrauchsrisiken sind jedoch überschaubar. Es gibt sie auch andernorts im Internet, etwa in den Kommentarfunktionen, die das Bundesgericht dem Quellenschutz unterstellt, und bei den althergebrachten, papierenen Formen der Kommunikation. Das kann nicht dazu führen, Twitter trotz gegebener Voraussetzungen abzusprechen, ein Medium zu sein.
Hinzu kommt, dass den Betroffenen nicht allein das Strafrecht zu Gebot steht, um sich gegen ehrenrührige Retweets zu wehren. Zivilrechtlich gibt es keine Privilegierung der Herstellungsund Verbreitungskette der Medien (BGE 128 IV 53, E. 8, S. 72f.). Der Betroffene kann gegen jeden klagen, der an einer Persönlichkeitsverletzung mitwirkt, also auch gegen den Retweeter (Art. 28 Abs. 1 ZGB). Der Kläger kann eine Berichtigung die Beseitigung rechtswidriger Inhalte erwirken, zudem Schadenersatz und Genugtuung, wenn der Täter vorsätzlich fahrlässig gehandelt hat (Art. 28a ZGB; Art. 41ff. OR). Die Anwendung von Art. 28 StGB auf Retweets lässt Betroffene nicht schutzlos. Die zivilrechtlichen Folgen einer Persönlichkeitsverletzung einschliesslich der anfallenden Verfahrenskosten sind als Anreiz für korrektes Verhalten im Internet mindestens so wirksam wie eine bedingte Geldstrafe.
Die Auslegung von Art. 28 StGB muss dazu führen, Twitter als Medium anzuerkennen.
Fragen kann man sich jedoch, ob jeder Tweet eine Veröffentlichung in einem Medium (Art. 28 Abs. 1 StGB) ist. Technisch ist jeder Tweet öffentlich: Wer irgendwo auf der Welt unzensierten Zugang zum Internet hat, kann jeden Tweet abrufen, dafür braucht man nicht Follower des Verfassers zu sein, es bedarf nicht einmal eines Twitter-Accounts. Die Tweets des Privatklägers sind unter
Der Politologe Claude Longchamp hat auf seinem Blog eine Laudatio auf NewsMän verfasst, und dieser hat eine vierstellige Zahl von Followern. Das sind weit mehr, als Familie, Freunde und Bekannte, auch bei einer gut vernetzten Person. NewsMän verschafft sich mit seinen Tweets mindestens so viel Gehör und Öffentlichkeit wie jene engagierten Bürger, die in den vierziger Jahren mit Schreibmaschine und Matrize zweihundert Broschüren herstellten. Seine Tweets sind auch dann eine Veröffentlichung im Sinne von Art. 28 StGB, wenn man darauf abstellt, ob ein Account tatsächlich von der Öffentlichkeit beachtet wird.
Von der Strafbarkeit ausgenommen ist nur das Weiterverbreiten ehrenrühriger Äusserungen innerhalb der medienspezifischen Verbreitungskette (vgl. auch ZELLER, a.a.O., N 57ff. zu Art. 28 StGB). Bei den seit vielen Jahren gebräuchlichen Methoden, sich in der Öffentlichkeit Gehör zu verschaffen, ist ziemlich klar, was damit gemeint ist. Abgesehen von BGE 128 IV 53 war das kaum je Gegenstand höchstrichterlicher Entscheide. Hier stellt sich die Frage, ob der Retweet zu der für Kurznachrichten auf Twitter typischen und üblichen Verbreitungskette gehört.
Die Betreiber von Twitter haben es darauf angelegt, dass die Nutzer Kurznachrichten weiterverbreiten. Ein Klick ein Antippen des Touchscreens genügt. Ein Stück weit leben die sozialen Medien davon, dass die Nutzer die Inhalte auswählen. Was vielen lesenswert erscheint, wird auch über mehrere Accounts weitergeleitet (retweetet) und vielen Nutzerinnen und Nutzern im eigenen Account angezeigt. Anderes bleibt zwar theoretisch von mehr als einer Milliarde Menschen abrufbar, wird aber nur auf den Accounts der Follower des ursprünglichen Verfassers angezeigt und auch dort bald von neueren Tweets nach unten verdrängt.
Diese Auswahl der Inhalte durch die Nutzer und die Verknüpfung der Nutzer untereinander ist auch aus kommerziellen Gründen gewollt. Twitter verdient Geld
mit Werbeeinblendungen und mit dem Verkauf von Daten. Bestimmte Inserenten bezahlen Twitter nach Massgabe der Anzahl Retweets ihrer Anzeige. Auch die Analyse der verkauften Daten durch Dritte wird ergiebiger, wenn ersichtlich ist, wer wessen Follower ist und wer was favorisiert, ignoriert wer was an welchen Personenkreis retweetet (zum Ganzen: VINDU GOEL, For Twitter, Key to Revenue Is No Longer Ad Simplicity, New York Times vom 17. September 2013,
S. B1). Das Retweeten ist Teil des Konzepts von Twitter und auch wichtig für dessen kommerziellen Erfolg. Es ist Teil der von Twitter geplanten und gewollten Verbreitungskette eines Tweets.
Nicht nur die Absichten der Betreiber von Twitter, auch das Verhalten der Nutzer lässt den Retweet als Teil der für Twitter typischen Verbreitungskette einer Kurznachricht erscheinen. Retweeten ist keine Seltenheit. Das zeigt ein Blick auf den Twitter-Account eines beliebigen Politikers Journalisten, kein anderes Bild ergibt sich bei den Accounts des Privatklägers und des Beschuldigten. Das hat sich bereits im Sprachgebrauch niedergeschlagen. Jedenfalls auf Englisch ist häufig die Rede davon, ein Text, ein Bild ein Video habe sich wie ein Virus auf den sozialen Medien ausgebreitet (It went viral.). Das Bild des Virus, der sich von Träger zu Träger ausbreitet, konnte nur entstehen, weil die Nutzer der sozialen Medien Inhalte tatsächlich eifrig weiterleiten. Das gilt auch für die Twitterer.
Bei Zeitungen und Zeitschriften hat die Weiterverbreitung durch Leserinnen und Leser kaum eine Bedeutung. Zeitungen kommen über bezahlte Mitarbeiter eines Kiosk zu den gelegentlichen Leserinnen und Lesern und über bezahlte Verträgerinnen zu den Abonnenten. Sicher kommt es gelegentlich vor, dass Leser Zeitungen weiter verbreiten, indem sie diese im Zug liegen lassen indem sich Nachbarn gegenseitig Tages-Anzeiger und NZZ in den Briefkasten legen, damit nicht beide beides abonnieren müssen. Das ist aber weder entscheidend
für den geschäftlichen Erfolg einer Zeitung, noch ist es zahlenmässig bedeutsam.
Auf all das kann es jedoch nicht ankommen. Jahrzehnte vor dem Internet hat das Bundesgericht klargestellt, dass unerheblich ist, ob jemand berufsmässig privat handelt. Es spielt auch keine Rolle, ob jemand ein professionelles Medienprodukt verbreitet ein nach Feierabend mit einfachen Mitteln hergestelltes, laienhaftes Werk.
Der Retweet ist durchaus vergleichbar mit dem Wirken jener Personen, die im Rahmen der Plakataktion der CVP im Unterwallis Plakate geklebt haben. Auch sie kannten die verbreiteten Inhalte. Sie handelten aus freien Stücken, nicht weil sie damit ihren Lebensunterhalt verdienten, und sie erreichten die Öffentlichkeit.
Hinzu kommt, dass es bedeutend mehr Identifikation mit einem Inhalt und Engagement braucht, um Plakate zu kleben als um Tweets per Mausklick weiterzuleiten. Wäre das strafbar, würden die Gerichte von bedeutend höherer krimineller Energie sprechen. Jene Wertungen, die in BGE 128 IV 53 zu Freisprüchen führten, sprechen für die Straflosigkeit des Retweets.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der Retweet ein Glied der für Kurznachrichten auf Twitter typischen, üblichen und von den Betreibern gewollten Verbreitungskette ist. Das Retweeten einer ehrenrührigen Kurznachricht muss deshalb gestützt auf Art. 28 Abs. 1 StGB straflos bleiben, obwohl es den Tatbestand des Weiterverbreitens im Sinne von Art. 173 Ziff. 1 Abs. 2 StGB (Üble Nachrede) bzw. Art. 174 Ziff. 1 Abs. 2 StGB (Verleumdung) erfüllt.
Die Privilegierung der medienspezifischen Verbreitungskette greift nur bei Straftaten, die sich in der strafbaren Veröffentlichung erschöpfen (Art. 28 Abs. 1 StGB). Das ist bei Ehrverletzungsdelikten der Fall, um sie ging es in allen zitierten Bundesgerichtsurteilen zu Art. 28 StGB. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass das Bundesgericht Art. 28 StGB nicht auf Rassendiskriminierung, harte Pornographie Gewaltdarstellungen anwendet. Das wäre mit dem Wortlaut,
aber nicht mit dem Zweck von Art. 28 StGB vereinbar (BGE 125 IV 206, E. 3c, S. 211f.).
Da die Identität von NewsMän bis heute nicht bekannt ist, stellt sich die Frage, ob der Beschuldigte als verantwortlicher Redaktor für die Veröffentlichung des Tweets verantwortliche Person nach Art. 322bis StGB zu bestrafen ist. Der
Beschuldigte ist nicht der Redaktor von NewsMän und er hatte auch keinen Einfluss auf den Entscheid von NewsMän, einen Tweet mit der Bezeichnung Hermann Dölf Lei abzusetzen. Der Tweet war bereits öffentlich, als der Beschuldigte ihn auf seinem eigenen Twitter-Account angezeigt erhielt. Ein Schuldspruch wegen der Nichtverhinderung einer strafbaren Veröffentlichung würde den Wortlaut von Art. 322bis StGB überdehnen. Der Beschuldigte war nicht in einer Position, in welcher er die Veröffentlichung von NewsMän hätte verhindern können.
Bei einem Twitter-Account dürfte es nur ausnahmsweise einen vom Autor der Tweets verschiedenen Redaktor eine andere, für die Veröffentlichung verantwortliche Person als den Autoren selbst geben. In der Regel veröffentlicht der Autor im Alleingang durch einen Mausklick. Anders verhält es sich bei jenen Twitter-Accounts, hinter denen ein ganzes Team steht. Bei einem Twitter-Account eines Unternehmens, einer Behörde, einer Partei usw. kann es durchaus eine Redaktion bzw. einen Verantwortlichen geben. Ob NewsMän eine Einzelperson ist ob ein ganzes Team hinter dem Account steht, ist nicht bekannt. Jedenfalls wirft die Anklage dem Beschuldigten nicht vor, Teil eines solchen Teams zu sein, und es gibt auch keinerlei Hinweise darauf, dass es so wäre.
Der Beschuldigte ist nicht der Autor der Bezeichnung Hermann Dölf Lei. Er ist von Schuld und Strafe freizusprechen, weil er sich mit seinem Retweet innerhalb der für einen Tweet typischen Verbreitungskette bewegt hat.
Anders als nach der Zürcher Strafprozessordnung entscheidet das Gericht heute auch bei einem Freispruch über Zivilansprüche, wenn der Sachverhalt spruchreif ist (Art. 126 Abs. 1 lit. b StPO). Der Sachverhalt, auf den es ankommt, steht fest und die Parteien bestreiten ihn nicht. Über die Zivilansprüche des Privatklägers ist zu urteilen.
Wer in seiner Persönlichkeit widerrechtlich verletzt wird, kann zu seinem Schutz gegen jeden, der an der Verletzung mitwirkt, das Gericht anrufen (Art. 28 Abs. 1 ZGB). Eine Verletzung ist widerrechtlich, wenn sie nicht durch Einwilligung des Verletzten, durch ein überwiegendes privates öffentliches Interesse durch Gesetz gerechtfertigt ist (Art. 28 Abs. 2 ZGB).
Der Schutz der Persönlichkeit durch das Zivilrecht geht einiges weiter als der strafrechtliche Schutz der Ehre. Während des Strafrecht nur bei Aussagen greift, die den Geschädigten als charakterlich anständigen Menschen in Frage stellen, kann eine zivilrechtliche Persönlichkeitsverletzung auch Fragen betreffen, die um die Qualitäten eines Menschen im Beruf kreisen, etwa als Politiker, Handwerker, Unternehmer, Wissenschaftler dergleichen. Vorwürfe, ein Anhänger des Nationalsozialismus zu sein nur schon das Wirken jenes Regimes zu verharmlosen, sind auch strafrechtlich relevant. Dass derartige Vorwürfe auch eine zivilrechtliche Persönlichkeitsverletzung sind, bedarf keiner näheren Erläuterung (BGE 129 III 49, E. 2.3; BGE 111 II 209). Detailliert zu prüfen ist jedoch, ob sich ein derartiger Vorwurf rechtfertigen lässt und ob ihn der Beschuldigte überhaupt erhoben hat.
Der Privatkläger ist zumindest zur relativen Person der Zeitgeschichte geworden, indem er eine wichtige Rolle gespielt hatte bei der Weiterleitung von Verdachtsmomenten auf Insidergeschäfte, die zum Rücktritt des damaligen Präsidenten der Nationalbank führten. Er übt auch heute öffentliche Ämter aus.
Bei aktiven Politikern sind sogar politische Aktivitäten, die Jahrzehnte zurück liegen, legitimer Gegenstand öffentlicher Diskussion (BGE 111 II 209, insb. E. 3c,
S. 213f.). In einem Zeitungsartikel der Frage nachzugehen, was der Privatkläger mit der Domain adolf-hitler.ch zu tun hat, war rechtens. Angesichts seiner Rolle beim Rücktritt des SNB-Präsidenten, aber auch, weil er damals wie heute dem Kantonsrat des Kantons Thurgau angehörte, bestand ein legitimes Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit (vgl. BGE 127 III 481, E. 2c/aa und
E. 2c/bb, S. 488ff.). Der Privatkläger kann nicht verlangen, dass der Beschuldigte darüber nichts veröffentlicht. Er kann aber sehr wohl verlangen, dass der Beschuldigte darüber nichts Unwahres veröffentlicht. Falschmeldungen sind nur ganz ausnahmsweise durch ein überwiegendes öffentliches Interesse gerechtfertigt (BGE 129 III 49, E. 2.2, S. 51f.).
Wäre der Privatkläger ein Anhänger Verharmloser des Nationalsozialismus, dann dürfte man das auch öffentlich sagen und die Diskussion darüber, was mit der Bezeichnung Hermann Dölf Lei gemeint sei, würde sich erübrigen. Es ist deshalb kurz darauf einzugehen, was die Recherchen des Beschuldigten ergeben haben und was nicht:
www.adolf-hitler.c h war nie eine Propagandaseite. W., ein Klient des Beschuldigten, bestimmte, was dort zu sehen war. Er sprach mit dem Beschuldigten und sagte ihm, er habe bewusst nur den Wikipedia-Artikel über Adolf Hitler aufgeschaltet. W. zeigte dem Beschuldigten ein Kündigungsschreiben eines Webhosting-Unternehmens. Es wollte die von W. betriebenen Seiten nicht mehr aufschalten. Dieses Unternehmen beanstandete andere, von W. betriebene Internet-Adressen als ehrverletzend. Die Inhalte von adolf-hitler.ch bezeichnete es dagegen als rechtlich nicht relevant, doch errege die Domain nur schon aufgrund ihres Namens Aufsehen. Das Webhosting-Unternehmen fürchtete um seinen Ruf und wollte nichts mit adolf-hitler.ch zu tun haben.
Das Kündigungsschreiben belegt, dass die Auskünfte von W. korrekt waren. Das Webhosting-Unternehmen hätte die Inhalte nicht als unbedenklich bezeichnet, wenn es sich um Nazi-Propaganda gehandelt hätte. W. erklärte dem Beschuldigten, er registriere über die X. AG eine vierstellige Anzahl von InternetAdressen. Er bzw. die X. AG würden damit Geld verdienen, dass sie dort Werbung aufschalten. Adolf Hitler werde oft gegoogelt. Die Domain adolf-hitler.ch war eine kommerziell motivierte Geschmacklosigkeit, mehr aber nicht.
Die Verbindung von adolf-hitler.ch zum Privatkläger besteht darin, dass der Privatkläger im Jahr 2010 die X. AG gegründet hat und nach der Gründung ein halbes Jahr lang deren einziger Verwaltungsrat war. Dann wurde W. einziger Verwaltungsrat, das ist er bis heute. Die X. AG hatte ihr Domizil von der Gründung bis im Jahr 2013 beim Anwaltsbüro des Privatklägers. Dann verlegte die X. AG ihren Sitz. All das ergibt sich aus den Handelsregistern der jeweiligen Sitzkantone.
Das Kündigungsschreiben an W. im März 2009 zeigt, dass er die Domain adolfhitler.ch bereits beherrschte, bevor der Privatkläger die X. AG für ihn gegründet hat. Dass die Stiftung SWITCH auf ihrer Website noch im Sommer 2012 als Halter der Domain X. AG Hermann Lei angab, war zumindest missverständlich.
Einziger Verwaltungsrat der X. AG war damals bereits seit gut zwei Jahren W. Die
X. AG hatte lediglich ihr Domizil beim Anwaltsbüro des Klägers. Das bedeutet im Wesentlichen, dass jedermann der X. AG Mitteilungen rechtsgültig an die Büroadresse des Privatklägers zustellen konnte. Dass der Privatkläger die Domiziladresse zur Verfügung stellte, bedeutet aber nicht, dass er in der X. AG das Sagen hatte.
Eine weiter gehende Verbindung des Privatklägers zu adolf-hitler.ch haben die Recherchen des Beschuldigten nicht zu Tage gefördert. Selbstverständlich sind die geschäftlichen Aktivitäten eines Politikers legitimer Gegenstand öffentlicher Debatte. Dass der Privatkläger als Verwaltungsrat und später als Domiziladresse für eine Aktiengesellschaft wirkte, die sich aus kommerziellen Gründen eine
Geschmacklosigkeit mit der Domain adolf-hitler.ch leistete, durfte der Beschuldigte veröffentlichen. Deren Urheber war jedoch W., nicht der Privatkläger. Aus der Verbindung des Privatklägers zu adolf-hitler.ch lässt sich nicht der Schluss ziehen, er sei ein Neonazi, Revisionist dergleichen.
Der Artikel hat auch ergeben, dass W. auf zahlreichen Blogs Ansichten vertritt, die sich rechts vom bürgerlichen Mainstream bewegen. W. unterhielt offenbar auch einen Blog, der die damalige Bundesrätin Micheline Calmy-Rey verunglimpfte. Der Rechtsdienst des EDA wandte sich deswegen an W., der Privatkläger kritisierte diese Intervention in der Zeitung Schweizerzeit als massiven Einschüchterungsversuch. Der Artikel erwähnt weiter, dass der Privatkläger einen Politiker der Schweizer Demokraten vor Gericht verteidigte. Dieser hatte sich wegen Rassendiskriminierung zu verantworten, weil er in der Parteizeitung [gemeint wohl: der Schweizer Demokraten] gefordert hatte, keine Muslime einzubürgern. Die Recherchen haben ergeben, dass sich im Umfeld des Privatklägers Personen befinden, die prononciert rechts denken und sich auch öffentlich so äussern. Das macht weder den Privatkläger, noch W. den vom Privatkläger verteidigten Politiker zu Anhängern Verharmlosern des Nationalsozialismus.
Der Privatkläger ist kein Anhänger Verharmloser des Nationalsozialismus. Die Recherchen des Beschuldigten haben dafür keine ernsthaften Anhaltspunkte zu Tage gefördert. Dass der Privatkläger Positionen rechts des bürgerlichen Mainstreams vertritt, ändert daran nichts. Der Beschuldigte will denn auch keinen entsprechenden Vorwurf erhoben haben. Er sieht in der Bezeichnung Dölf, die er weitergeleitet hat, lediglich einen Hinweis auf die Angelegenheit mit der HitlerDomain.
Bei Veröffentlichungen, die von mehr als einer Hand voll Personen wahrgenommen werden, lässt sich nicht bei jedem einzelnen Leser feststellen, wie er einen Text tatsächlich verstanden hat. Ausschlaggebend ist, wie ein Durchschnittsleser die fragliche Äusserung versteht. Mit einzubeziehen ist der gesamte Kontext der fraglichen Äusserung (zum Ganzen: BGE 127 III 481,
E. 2b/aa, S. 487, mit weiteren Hinweisen). Zahlreiche Medienjuristen kritisieren
diese Praxis. Die Frage, wie diese jene Äusserung auf den durchschnittlichen Leser wirke, lasse sich nicht aufgrund der Lebenserfahrung beurteilen, dafür sei eine vertiefte argumentative Auseinandersetzung wenn nicht gar eine Publikumsbefragung notwendig (vgl. act. 32 S. 6f. und MISCHA CHARLES SENN, Der gedankenlose Durchschnittsleser als normative Figur, medialex 1998 S. 150ff.).
Sicherlich sollen die Gerichte nicht einfach apodiktisch erklären, der Durchschnittsleser verstehe einen Text so und nicht anders. Die Gerichte sollen sich so konkret wie möglich damit auseinandersetzen, wer eine Veröffentlichung wahrgenommen hat, welches Vorwissen die Adressaten haben und welche Schlüsse sie ziehen. Publikumsbefragungen an die Stelle richterlicher Überlegungen treten zu lassen, würde das Problem aber nur verlagern: Würde man Versuchspersonen etwa den fraglichen Retweet vorlegen, müsste das Gericht ein Gutachter ja auch auswählen, was für Versuchspersonen repräsentativ für die Follower des Beschuldigten jene von NewsMän sind. Ferner wäre zu entscheiden, ob die Versuchspersonen den WoZ-Artikel vorher zum Lesen erhalten nicht. Solch teuren Abklärungen mit zweifelhaftem Beweiswert haben sich die Gerichte hierzulande stets mit gutem Grund widersetzt.
Der Beschuldigte hat den Tweet von NewsMän an seine eigenen Follower weitergeleitet. Dass damals rund 1500 Twitterer Follower des Beschuldigten waren, verleitet dazu, die Reichweite des Retweets zu überschätzen. Die wenigsten Twitterer schauen systematisch alles an, was sich seit dem letzten Blick auf ihren Account getan hat. Die meisten werfen nur einen Blick auf die
neuesten Meldungen auf ihrem Account, ohne zu den älteren hinunterzuscrollen. Wer vielen Personen folgt, muss seinen Account genau im richtigen Moment anschauen, um die Meldung des Beschuldigten überhaupt wahrzunehmen. Auch sind längst nicht alle, die sich irgendwann einmal bei Twitter registriert und die Tweets des Beschuldigten verfolgt haben, aktive Nutzer. Es ist gut möglich, dass nur eine Hand voll nur ein paar Dutzend Follower des Beschuldigten den fraglichen Retweet wahrgenommen haben. Allerdings dürften diese sich nicht gross von den restlichen Followern unterscheiden. Es lässt sich höchstens sagen, dass jene Twitterer, die den Retweet tatsächlich wahrgenommen haben, im Zweifel eher zu den interessierteren und zu jenen gehören, die häufig auf ihren Twitter-Account schauen.
Der Beschuldigte hatte damals bereits weit mehr Follower, als durch Familie, Freunde und Bekannte zu erklären sind. Die meisten dürften Leserinnen und Leser sein, die seine Arbeit als Journalist schätzen, ohne ihn persönlich zu kennen. Solche Follower haben ein überdurchschnittliches Interesse am Zeitgeschehen. Eine gewisse Überschneidung dürfte der Kreis der Follower des Beschuldigten auch mit dem Kreis der Leserinnen und Leser der WochenZeitung haben. Dort publiziert der Beschuldigte am meisten, so dass die meisten Follower beim Lesen der WoZ begonnen haben, sich für seine Arbeit zu interessieren, und dann begonnen haben, ihm auf Twitter zu folgen. Damit ist noch immer recht wenig über den Kreis der Follower des Beschuldigten bekannt. Es dürfte sich mehrheitlich um gut ausgebildete, überdurchschnittlich am Zeitgeschehen interessierte und politisch eher links stehende Leserinnen und Leser handeln.
Wer von der ganzen Angelegenheit um die Hitler-Domain noch nie etwas gehört alles bereits wieder vergessen hat, für den ist die Bezeichnung Hermann Dölf Lei unverständlich. Die einzige Persönlichkeit, die in den Medien regelmässig unter der Bezeichnung Dölf erscheint, ist alt Bundesrat Adolf Ogi, der mit dieser Sache überhaupt nichts zu tun hat.
Wer die Fakten rund um die Hitler-Domain ganz genau vor Augen hat, der wird in der Bezeichnung Dölf lediglich eine Anspielung auf die vom Beschuldigten veröffentlichte Angelegenheit erblicken. Die Bezeichnung hätte dann etwa die Bedeutung Hermann Lei, der mit der Geschichte um adolf-hitler.ch. Wer vor Augen hat, dass die Verbindung des Privatklägers zur Domain adolf-hitler.ch weit loser ist, als der erste Anschein vermuten lässt und dass es sich dabei nicht um eine Propaganda-Seite gehandelt hat, der wird in der Bezeichnung Dölf nicht den Vorwurf erblicken, der Privatkläger sei ein verkappter Neonazi.
Diese beiden Extreme, überhaupt kein Vorwissen alle Fakten exakt vor Augen, dürften jedoch beide nicht das Vorwissen des durchschnittlichen
Followers des Beschuldigten wiedergeben. Die meisten, die sich für die Arbeit des
Beschuldigten interessieren, dürften die Geschichte um adolf-hitler.ch mitbekommen haben. Der Artikel lag allerdings bereits einen Monat zurück. Auch im Kopf von gebildeten Menschen mit regem Interesse an Politik verdrängen neuere Ereignisse rasch, was vor einem Monat aktuell war. Zudem lesen die wenigsten Menschen alle Artikel einer Zeitung, die sie abonniert haben vom Anfang bis zum Ende. Aus diesem Grund kann sogar ein missverständlicher Titel rechtswidrig sein, selbst wenn man bei der Lektüre des ganzen Artikels ein korrektes Bild erhält (vgl. BGE 137 IV 313, E. 2.1.3., S. 315f. und die dort zitierten Entscheide). Das Vorwissen des Durchschnittslesers dürfte sich deshalb darauf beschränken, dass irgendetwas war mit dem Privatkläger und adolf-hitler.ch, ohne ganz genau im Gedächtnis abrufen zu können, worin die Verbindung zwischen dem Privatkläger und adolf-hitler.ch genau bestand. Der Beschuldigte kommentierte die Fakten sinngemäss so, dass sich kein Nachweis dafür erbringen lasse, der Privatkläger sei ein Anhänger Verharmloser des Nationalsozialismus, die ganze Geschichte werfe aber viele offene Fragen auf, zu denen sich der Privatkläger bedeckt halte. Wer diesen Grundtenor des Artikels noch vor Augen hat, nicht aber die detaillierte Herleitung dieser Einschätzung, der ist durchaus geneigt, Hermann Dölf Lei als Hermann Lei, der verkappte Neonazi zu lesen. Dies erst recht, da der Kreis der Follower des Beschuldigten
im Durchschnitt einem Politiker am rechten Rand der SVP wenig Wohlwollen
entgegenbringen dürfte.
Es ist nochmals zu betonen, dass eine detaillierte und in den Fakten korrekte Darstellung der Verbindung des Privatklägers zu adolf-hitler.ch zulässig war. Die Verkürzung dieser Diskussion zum Namenszusatz Dölf einen Monat später, als nicht mehr alle Fakten in allen Köpfen präsent waren, verletzte jedoch die Persönlichkeit des Privatklägers. Im Kontext des einen Monat zuvor erschienen Artikels des Beschuldigten ist der Zusatz als der verkappte Neonazi zu deuten, nicht bloss als der mit der Hitler-Domain.
Als Folge einer Persönlichkeitsverletzung kann das Gericht jeden, der daran mitgewirkt hat, verpflichten, eine Berichtigung das Urteil zu veröffentlichen (Art. 28a Abs. 2 ZGB). Das Gericht kann ferner die Widerrechtlichkeit einer Persönlichkeitsverletzung feststellen (Art. 28a Abs. 1 Ziff. 3 ZGB). Diese Ansprüche bestehen unabhängig vom Verschulden und unabhängig von der Schwere der Persönlichkeitsverletzung.
Sofern die Schwere der Persönlichkeitsverletzung es rechtfertigt, kann das Gericht auch eine Geldsumme als Genugtuung zusprechen auf eine andere Art der Genugtuung erkennen (Art. 49 Abs. 1 und Abs. 2 OR). Auch eine Richtigstellung eine Veröffentlichung des Urteils kommt als andere Form der Genugtuung in Frage. Der Anspruch auf Genugtuung setzt neben der Schwere der Verletzung Verschulden voraus (zum Ganzen: BGE 131 III 26, E. 12.1 und
E. 12.2, S. 29ff.).
Der Privatkläger hat auf Frage des Gerichts erklärt, er könne sich auch eine andere Form der Genugtuung als Geld vorstellen. Das Gericht könnte sogar von Amtes wegen auf eine andere Form der Genugtuung erkennen (ROLAND BREHM, Berner Kommentar, 4. Auflage, 2013, N 98 zu Art. 49 OR). Der Anwendungsbereich von Art. 49 Abs. 2 OR ist beschränkt, gerade bei Ehrverletzungen kann aber eine immaterielle Form der Genugtuung angemessener sein als Geld. Die Wahl zwischen den verschiedenen Formen der
Genugtuung ist ein Ermessensentscheid, der zu begründen ist (BGE 131 III 26, E. 12.2.2, S. 31).
Der implizit mit dem Retweet erhobene Vorwurf, der Privatkläger sei ein Anhänger Verharmloser des Nationalsozialismus, verletzt dessen Persönlichkeit schwer genug, um eine Genugtuung zu rechtfertigen. Den Beschuldigten trifft ein Verschulden, zumindest in der Form der Fahrlässigkeit. Er wusste wie kein zweiter, was seine Recherchen ergeben hatten und was nicht. Er hätte bedenken müssen, wie die Verkürzung seiner rechtmässigen Berichterstattung zum Übernamen Dölf auch noch verstanden werden kann, auch wenn er selbst darin nur einen Hinweis auf seinen Artikel sehen will. Bezüglich der Schwere der Persönlichkeitsverletzung ist immerhin auch festzuhalten, dass die Reichweite seines Retweets beschränkt gewesen sein dürfte.
Der Privatkläger war Verwaltungsrat und später nur noch Domizilgeber der X. AG, welche aus kommerziellen Gründen adolf-hitler.ch aufschaltete, aber keine Propagandaseite betrieb. Die Berichterstattung darüber war dem Privatkläger gegenüber nicht sehr wohlwollend, aber rechtmässig. Die Pressefreiheit schützt auch ein gewisses Mass an Zuspitzung, Übertreibung und Ungenauigkeit. Als aktiver Politiker hatte es der Privatkläger hinzunehmen, dass ein Journalist seine Geschäftstätigkeit durchleuchtet. Der Ärger, der dadurch entsteht, dass der Privatkläger seinen Namen immer wieder im Zusammenhang mit der HitlerDomain in der Zeitung lesen musste, ist nicht Folge des rechtswidrigen Retweets. Darauf kann es bei der Festsetzung einer Genugtuung nicht ankommen.
Den ursprünglichen Tweet von NewsMän und den Retweet des Beschuldigten hat der Privatkläger fast zehn Monate lang überhaupt nicht wahrgenommen und auch nicht darunter gelitten. Er stiess nur darauf, weil er mit einer speziellen Suchmaschine die alten Tweets des Beschuldigten durchstöbert hat. Seine spontane Reaktion auf seinen Fund war in erster Linie Freude darüber, eine
Äusserung gefunden zu haben, die zu weit geht und gute Prozesschancen bietet. Als er auf den Retweet stiess, schrieb er einem Bekannten, der sich mit Twitter besser auskannte: Sali X. Ich glaub jetzt habe ich Hanimann am Wickel. ( ). Unter dem rechtswidrigen Retweet hatte der Privatkläger nicht zu leiden. Hinzu kommt, dass hier eine Äusserung, die zu weit geht, in einer an sich legitimen politischen Debatte gefallen ist. Auch bei der Auslegung des Zivilrechts ist die Freiheit der Meinungsäusserung mit zu bedenken. Mit der Beteiligung an politischen Debatten auf Twitter sollten finanzielle Risiken nur zurückhaltend verknüpft werden. Geld als Genugtuung wäre eher angemessen bei Cybermobbing ohne politischen Kontext.
Der Privatkläger ist nicht auf Geld als Trost und Ausgleich für seinen Ärger angewiesen, der nicht Folge des Retweets ist. Weit besser gedient ist ihm mit einer Korrektur des falschen Eindrucks, den der Übername Dölf geschaffen hat (vgl. BGE 131 III 26, E. 12.2.2, S. 31). Der Beschuldigte ist deshalb zur Wiedergutmachung der Persönlichkeitsverletzung zu verpflichten, dieses Urteil auf Twitter bekannt zu machen. So lässt sich der Adressatenkreis des ursprünglichen Retweets am Besten erreichen. Mit dieser für den Privatkläger wirksamen und für den Beschuldigten kostengünstigen Art der Genugtuung lassen sich die legitimen Anliegen, den guten Ruf zu schützen und Debatten im Internet nicht an unüberschaubare Risiken zu knüpfen, am ehesten in Einklang bringen.
Eine Kurznachricht auf Twitter umfasst höchstens 140 Zeichen. Das lässt keinen Raum für eine differenzierte Darlegung der Überlegungen des Gerichts. Der Tweet muss deshalb einen Hinweis auf die Urteilsnummer enthalten. Damit finden Interessierte die Berichterstattung in den Medien und können sich selbst ein Bild machen. Auch der Freispruch ist zu erwähnen. Wer sich für die Angelegenheit interessiert, wird vielleicht andernorts eine Nachricht vom Freispruch ohne Bericht über die zivilrechtliche Regelung finden und denken, das Erkenntnis betreffend Persönlichkeitsverletzung sei überholt. Diese Überlegungen führen zur Verpflichtung des Beschuldigten, auf seinem Twitter-Account folgende Meldung
zu veröffentlichen: Bezirksgericht Zürich: Retweet von Hermann
Wird die beschuldigte Person freigesprochen, so können ihr die Verfahrenskosten ganz teilweise auferlegt werden, wenn sie rechtswidrig und schuldhaft die Einleitung des Verfahrens bewirkt hat (Art. 426 Abs. 2 StPO). Eine Kostenpflicht für unnötige Verfahren ist jedoch auch bei schuldhafter Verursachung ausgeschlossen (Art. 426 Abs. 3 lit. a StPO).
Der Beschuldigte hat die Persönlichkeit des Privatklägers durch seinen Retweet verletzt und damit rechtswidrig gehandelt. Ohne den Retweet hätte es das Strafverfahren nicht gegeben. Aufgrund von Art. 28 StGB war der Retweet jedoch kein zureichender Grund für ein Strafverfahren. Zwischen dem rechtswidrigen Retweet des Beschuldigten und dem Strafverfahren besteht ein natürlicher, aber kein adäquater Kausalzusammenhang, so dass der Beschuldigte nicht kostenpflichtig wird. Die Kosten, einschliesslich jener für das obergerichtliche Beschwerdeverfahren, sind auf die Gerichtskasse zu nehmen. Dem entsprechend ist der Beschuldigte aus der Gerichtskasse zu entschädigen (Art. 429 Abs. 1 lit. a StPO). Da dem Beschuldigten keine Kosten auferlegt werden können, kann er auch nicht verurteilt werden, den Privatkläger für seinen Aufwand zu entschädigen (Art. 433 Abs. 1 lit. b StPO). Es muss mit den regulären Kostenund Entschädigungsfolgen eines Freispruchs sein Bewenden haben.
Bezirksgericht Zürich Einzelgericht in Strafsachen Urteil vom 26. Januar 2016 GG150250-L
Hinweis: Die Parteien haben sich vor Obergericht geeinigt. Der Privatkläger hat seinen Strafantrag zurückgezogen, was zur Aufhebung dieses Urteils geführt hat.
(Mitgeteilt von lic.iur. Thomas Fleischer)
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