Zusammenfassung des Urteils AC100011: Kassationsgericht des Kantons Zürich
In dem vorliegenden Fall geht es um eine Ehescheidung, bei der die Gesuchstellerin Unterhaltsbeiträge für sich und die gemeinsame Tochter fordert. Nach mehreren Verhandlungen und Gerichtsurteilen wurde der Gesuchsteller dazu verpflichtet, monatliche Unterhaltsbeiträge von Fr. 1'350.- an die Gesuchstellerin zu zahlen. Die Kosten des Verfahrens wurden je zur Hälfte den Parteien auferlegt. Der Richter, Dr. R. Klopfer, entschied über den Fall.
Kanton: | ZH |
Fallnummer: | AC100011 |
Instanz: | Kassationsgericht des Kantons Zürich |
Abteilung: | - |
Datum: | 10.09.2010 |
Rechtskraft: | - |
Leitsatz/Stichwort: | Nachträgliche Anordnung der Verwahrung |
Schlagwörter : | Verwahrung; Vorinstanz; Tatsache; Gutachter; Vollzug; Geschworenengericht; Vollzugs; Verwahrungen; Kantons; Gericht; Ziffer; Klinik; Obergerichts; Vollzug; Sinne; Statistik; Möglichkeit; Revision; Fälle; Nichtigkeitsbeschwerde; Beschluss; Kammer; Aussage; Wiederaufnahme; Revisionskammer; Verfahren |
Rechtsnorm: | Art. 385 StGB ;Art. 397 StGB ;Art. 42 BGG ;Art. 43 StGB ;Art. 65 StGB ;Art. 78 BGG ;Art. 93 BGG ; |
Referenz BGE: | 116 IV 353; 120 IV 246; |
Kommentar: | - |
Kassationsgericht des Kantons Zürich
Kass.-Nr. AC100011/U/mum
Mitwirkende: die Kassationsrichter Herbert Heeb, Vizepräsident, Andreas Donatsch, die Kassationsrichterin Yvona Griesser, der Kassationsrichter Matthias Brunner und der Ersatzrichter Kurt Meier sowie der juristische Sekretär Lukas Künzli
Zirkulationsbeschluss vom 10. September 2010
in Sachen
X.,
Verurteilter, Gesuchsgegner und Beschwerdeführer
amtlich verteidigt durch Rechtsanwalt [ ]
gegen
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Gesuchstellerin und Beschwerdegegnerin
vertreten durch Oberstaatsanwalt lic.iur. Martin Bürgisser,
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Florhofgasse 2, Postfach, 8090 Zürich
betreffend
Das Gericht hat in Erwägung gezogen:
1. Das Geschworenengericht des Kantons Zürich sprach X. (...) mit Urteil vom 6./12. Mai 1993 und 4. Juli 1995 schuldig des Mordes sowie weiterer Delikte und bestrafte ihn mit 20 Jahren Zuchthaus (vgl. OG act. 6).
Das Amt für Strafund Massnahmenvollzug des Kantons Zürich widerrief mit Verfügung vom 26. August 1996 die mit Verfügung der Justizdirektion des Kantons Zürich vom 28. September 1988 angeordnete bedingte Entlassung aus dem Strafvollzug. X. hatte damit weitere 378 Tage Zuchthaus (Reststrafen aus drei früheren Urteilen) zu verbüssen (vgl. OG act. 10).
Das Strafende erreicht X. laut Vollzugsdaten des Amtes für Justizvollzug am
8. Oktober 2010 (OG act. 3 S. 1).
2. Die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich stellte mit Eingabe vom
24. November 2009 bei der III. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Zürich das Gesuch, X. sei gestützt auf Art. 65 Abs. 2 StGB nachträglich zu verwahren (OG act. 2). Sie erklärte dabei den Antrag des Amtes für Justizvollzug des Kantons Zürich vom 22. Oktober 2009 auf Änderung der Sanktion nach Art. 65 StGB:
Anordnung einer nachträglichen Verwahrung nach Art. 65 Abs. 2 StGB (OG act. 3) zum integrierenden Bestandteil ihrer Gesuchsbegründung (vgl. OG act. 2
S. 2 oben). Das Geschworenengericht verzichtete auf eine Vernehmlassung (OG act. 18). Der amtliche Verteidiger von X. stellte den Hauptantrag auf Abweisung des Gesuchs um Anordnung einer nachträglichen Verwahrung (OG act. 24 S. 2).
Die Revisionskammer des Obergerichts erachtete die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Verfahrens im Sinne von Art. 65 Abs. 2 StGB als gegeben und wies mit Beschluss vom 29. März 2010 das Geschworenengericht an, in Sachen X. über das Vorliegen der Voraussetzungen einer Sicherungsverwahrung zu entscheiden und gegebenenfalls die Dispositiv-Ziffern 2.a und 3 der Geschworenengerichtsurteile vom 6./12. Mai 1993 und vom 4. Juli 1995 zu ergänzen (OG act. 27=KG act. 2).
3. Gegen den obergerichtlichen Beschluss liess X. (nachfolgend Beschwerdeführer) kantonale Nichtigkeitsbeschwerde einlegen, die sein amtlicher Verteidiger rechtzeitig angemeldet und begründet hat (vgl. KG act. 1 und 6). Die Vorinstanz verzichtete auf eine Vernehmlassung (KG act. 10). Die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich (nachfolgend Beschwerdegegnerin) beantragte in ihrer Beschwerdeantwort vom 12. Mai 2010 die Abweisung der Nichtigkeitsbeschwerde (vgl. KG act. 12 S. 1). Der Vizepräsident des Kassationsgerichts stellte die Beschwerdeantwort dem Beschwerdeführer mit Verfügung vom 17. Mai 2010 zur Kenntnisnahme zu (KG act. 14).
Die Revisionskammer des Obergerichts hat mit dem angefochtenen Entscheid die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Verfahrens nach Art. 65 Abs. 2 StGB bejaht. Diesen Beschluss hat die Revisionskammer des Obergerichts als erste Instanz im Sinne von § 428 StPO gefasst (vgl. Art. 65
Abs. 2 Satz 2 StGB i.V.m. § 439 Abs. 1 StPO und § 16 VO des Obergerichts über die Organisation des Obergerichts [LS 212.51]). Die kantonale Nichtigkeitsbeschwerde ist somit nach § 428 StPO analog der Zulässigkeit der Nichtigkeitsbeschwerde gegen obergerichtliche Revisionsentscheide nach § 439ff. StPO (vgl. ZR 105 Nr. 47) grundsätzlich zulässig.
Die entscheidrelevanten Erwägungen der Revisionskammer lassen sich wie folgt zusammenfassen: Das Geschworenengericht habe sich bei seinem Sanktionsentscheid offensichtlich vom Ziel leiten lassen, die Öffentlichkeit bestbzw. längstmöglich vor dem Beschwerdeführer zu schützen. Vor diesem Hintergrund sei der Frage nach der möglichen Dauer einer Verwahrung im Rahmen der damaligen Urteilsfindung entscheidende Bedeutung zugekommen. Entsprechende Bedeutung erlange im vorliegenden Verfahren die Frage, wie es um die Richtigkeit der seinerzeit darauf gegebenen Antwort bestellt gewesen sei. Die Angabe des Gutachters, wonach seinerzeit die Dauer einer Verwahrung in der Praxis zwei bis drei, kaum aber mehr als fünf Jahre betragen habe, sei angesichts der damaligen Vollzugsverhältnisse nicht korrekt und unvollständig gewesen. Zwar sei es im Jahre 1992 durchaus so gewesen, dass ein Grossteil der Verwahrungen geistig Abnormer im Sinne von Art. 43 Ziff. 1 Abs. 2 aStGB eine Dauer von fünf Jahren nicht überschritten habe. In etwa gleich vielen Fällen habe die Vollzugsdauer jedoch bereits damals zwischen fünf und fünfzehn Jahren betragen(vgl. dazu BFS [Bundesamt für Statistik] Aktuell, 19 Kriminalität und Strafrecht, Verwahrungen, Verurteilungen und Vollzug, Neuchâtel 2007, S. 7). Weiter sei zu beachten, dass eine Verwahrung schon damals die Möglichkeit einer noch längerfristigeren Unterbringung geboten und diese Möglichkeit in Einzelfällen schon damals ausgeschöpft worden sei. Diese Tatsache sei neu. Das Geschworenengericht, das
dem Unmittelbarkeitsprinzip unterworfen - diesbezüglich auf die Aussage des Gutachters habe abstellen dürfen und müssen, habe sie - die neue Tatsache - nicht kennen können. Die neue Tatsache sei auch erheblich. Die dem Geschworenengerichtsurteil zugrundeliegenden Feststellungen würden dadurch derart erschüttert, dass augrund des veränderten Sachverhalts eine Verwahrung unumgänglich erscheine, habe das Geschworenengericht doch wie erwähnt beabsichtigt, in erster Linie die Öffentlichkeit vor dem Beschwerdeführer bestund längstmöglich zu schützen (vgl. KG act. 2 S. 28f.).
Nach § 430b Abs. 1 StPO ist die kantonale Nichtigkeitsbeschwerde nicht zulässig, soweit gegen eine Entscheidung die bundesrechtliche Beschwerde in Strafsachen erhoben werden kann. Das Bundesgericht überprüft im bundesrechtlichen Beschwerdeverfahren insbesondere eine behauptete Verletzung von Bundesrecht (Art. 95 lit. a BGG). Die hier zur Diskussion stehende nachträgliche Anordnung einer Verwahrung hat mit Art. 65 Abs. 2 StGB eine (direkt anwendbare) bundesrechtliche Regelung gefunden (vgl. HEER, in BSK, Strafrecht I, 2. Auflage, Basel 2007, N 40 zu Art. 65 StGB). Danach kann das Gericht die Verwahrung nachträglich anordnen, wenn sich bei einem Verurteilten während des Vollzugs der Freiheitsstrafe aufgrund neuer Tatsachen Beweismittel ergibt, dass die
Voraussetzungen der Verwahrung gegeben sind und im Zeitpunkt der Verurteilung bereits bestanden haben, ohne dass das Gericht davon Kenntnis haben konnte. Es stellt sich vorab die Frage, inwieweit dem Bundesgericht bzw. dem Kassationsgericht mit Blick auf § 430b StPO in diesem Zusammenhang Überprüfungsbefugnisse zukommen.
In der Lehre wird hierzu unter Hinweis auf die Rechtsprechung zu Art. 397 aStGB bzw. Art. 385 StGB (Wiederaufnahme des Verfahrens zu Gunsten des Verurteilten) festgestellt, dass das Bundesgericht im Verfahren der Beschwerde in Strafsachen als Rechtsfrage prüfe, ob von den richtigen Begriffen der neuen Tatsachen, Beweismitteln und der Erheblichkeit ausgegangen worden und ob die voraussichtliche Veränderung der tatsächlichen Grundlagen rechtlich relevant sei,
d.h. zu einer Verwahrung führen könne (vgl. HEER, a.a.O., N 89 zu Art. 65 StGB
m.H.a. BGE 116 IV 353 und 122 IV 66; vgl. auch N 103, 108-110 zu Art. 385
StGB ). Tatfragen seien so an der gleichen Kommentarstelle weiter -, ob eine Tatsache ein Beweismittel dem Sachrichter bekannt war neu ist und ob eine neue Tatsache ein neues Beweismittel geeignet ist, die tatsächlichen Grundlagen des Urteils zu erschüttern, dessen Revision verlangt wird. Ein bundesgerichtliches Präjudiz zur Frage der Abgrenzung zwischen Tatund Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Anwendung von Art. 65 Abs. 2 StGB liegt
soweit ersichtlich - nicht vor.
Der Analogieschluss zur Rechtsprechung zu Art. 397 aStGB bzw. Art. 385 StGB erscheint grundsätzlich als sachgerecht. Bei Art. 65 Abs. 2 StGB handelt es sich der Sache nach um eine Wiederaufnahme des Verfahrens zu Ungunsten des Verurteilten (vgl. HEER, a.a.O., N 40 zu Art. 65 StGB). Es stellen sich gleiche ähnliche Abgrenzungsfragen wie bei der Wiederaufnahme des Verfahrens nach Art. 397 aStGB bzw. Art. 385 StGB. Hinsichtlich der Frage der Neuheit der Tatsache ist bei Art. 65 Abs. 2 StGB im Gegensatz zu Art. 385 StGB jedoch von Bedeutung, weshalb die Tatsache das Beweismittel dem Gericht in der Hauptsache unbekannt war. Der Wortlaut von Art. 65 Abs. 2 StGB ist wie die Vorinstanz zutreffend festhielt in diesem Punkt enger gefasst ([...], ohne dass das Gericht davon Kenntnis haben konnte, [...]). Als neu im Sinne der letztgenannten Bestimmung gelten daher nur Tatsachen, die dem Gericht nicht bekannt sein konnten. Es geht um Fakten, die früher für das Gericht objektiv unmöglich erkennbar waren, so bereits die Vorinstanz wörtlich (vgl. KG act. 2 S. 25 m.H. auf HEER, a.a.O., N 67 zu Art. 65 StGB). Folglich muss die entsprechende Tatfrage lauten: konnte die Tatsache das Beweismittel dem Sachrichter bekannt sein bzw. war die Tatsache das Beweismittel für den Sachrichter objektiv unmöglich erkennbar. Ob die tatsächlichen Feststellungen die Bejahung der Neuheit der Tatsache im Sinne von Art. 65 Abs. 2 StGB erlauben, ist indessen eine bundesrechtliche Rechtsfrage (vgl. so jedenfalls im Ergebnis BGE 116 IV 353 E. 2 und 3; BGE 120 IV 246 E. 2/a und 3/b, je zur altrechtlichen Rechtsprechung zu Art. 397 aStGB).
Was die Kognition des Kassationsgerichts im Bereich Tatfragen anbelangt, erscheint es als angezeigt, in Anlehnung an die Rechtsprechung zu § 449 StPO (Wiederaufnahme zu Gunsten eines Verurteilten) solcherart Rügen mit freier Kognition zu prüfen (vgl. Kass.-Nr. 99/394 S, Beschluss vom 5. Juni 2000, in Sachen B., E. II/2.4 und 2.5 a.E. m.H. auf ZR 95 Nr. 17).
a) Die eigentliche Kernrüge des Beschwerdeführers beschlägt die Feststellung der Vorinstanz, dass die Angabe des Gutachters, wonach seinerzeit die Dauer einer Verwahrung in der Praxis zwei bis drei, kaum aber mehr als fünf Jahre betragen habe, angesichts der damaligen Vollzugsverhältnisse nicht korrekt und unvollständig gewesen sei (vgl. KG act. 1 S. 9, Ziffer 21; S. 16, Ziffer 14). Nach Auffassung des Beschwerdeführers lasse sich diese Feststellung nicht vertreten, da die Angaben des damaligen Gutachters für das Geschworenengericht erkennbar keine Vollständigkeit beanspruchten. Zur Begründung der Rüge führt der Beschwerdeführer aus: der damalige Gutachter habe ausdrücklich darauf hingewiesen, dass er die Frage der Notwendigkeit einer Verwahrung nicht beantwortet habe. Ob wegen der Gefährlichkeit des Beschwerdeführers sichernde Massnahmen zu treffen seien, könne das Gericht laut Gutachter aber aufgrund der vorliegenden Unterlagen entscheiden. Weiter sei klar, dass der Gutachter die Frage, wie lange Verwahrungen an geistig abnormen Tätern in der Regel dauern würden, nur hinsichtlich von in psychiatrischen Kliniken vollzogenen Massnahmen beantwortet habe und auch nur hinsichtlich dieser Art von Massnahmevollzug
überhaupt eine Antwort zu geben in der Lage gewesen sei. Der Gutachter habe ausschliesslich von Massnahmen gesprochen, bei denen ein Psychiater eine weitere Behandlung nicht mehr für nötig gehalten habe bzw. eine Entlassung aus einer psychiatrischen Klinik erfolgt sei. Dies werde noch zusätzlich dadurch verdeutlicht, dass der Gutachter ausdrücklich bemerkte, er habe diesbezüglich den Chefarzt der Psychiatrischen Klinik Winterthur gefragt, weil er mehr Erfahrung besitze. Eine Aussage zu in Strafvollzugsanstalten vollzogenen Verwahrungen habe er nicht gemacht. Der Gutachter sei vom Präsidenten des Geschworenengerichts gefragt worden, ob er sagen könne, wie lange Verwahrungen an geistig abnormen Tätern in der Regel dauern würden. Allein schon die Art der Fragestellung beinhalte die Möglichkeit, dass es auch Fälle mit längerer Verwahrungsdauer geben könne. Der Gutachter habe die Fragen nicht als Experte für Vollzugswesen beantwortet. Er - der Gutachter habe sogar erklärt, er habe sich mangels Erfahrung beim Chefarzt der Psychiatrischen Klinik Winterthur erkundigt und habe von diesem die Auskunft erhalten, keinen Fall zu kennen, der länger als fünf Jahre gedauert habe. Der Gutachter habe somit nur das Wissen einer einzigen Person weiter gegeben, die ihrerseits ebenfalls erkennbar nicht einen Gesamtüberblick habe haben können, schon gar nicht für in Strafanstalten vollzogene Verwahrungen. Unter diesen Umständen sei es willkürlich, wenn die Vorinstanz diese Angaben des Experten als vor dem Hintergrund der damaligen Vollzugsverhältnisse als nicht korrekt und unvollständig bezeichnet habe. Eine Beurteilung der Richtigkeit und Vollständigkeit einer Aussage habe ausschliesslich vor dem Hintergrund dessen zu erfolgen, was die Aussage auch tatsächlich beinhalte. Die Vorinstanz habe jedoch einen Bezug der seinerzeitigen Aussagen des psychiatrischen Experten zu den Vollzugsverhältnissen insgesamt hergestellt. Einen Bezug, den der Gutachter klar erkennbar aber gerade nicht hergestellt habe, wenn er ausschliesslich von Verwahrungen gesprochen habe, die in psychiatrischen Kliniken vollzogen worden seien. Die Beurteilung der vom damaligen Gutachter gemachten Aussage - und damit auch die Herleitung einer neuen Tatsache sei daher vor dem Hintergrund einer völlig falschen Bezugsgrösse erfolgt (vgl. KG act. 1 S. 13-14, Ziffer 31).
b) Gutachter Dr. med. A. erklärte seinerzeit anlässlich der geschworenengerichtlichen Verhandlung auf die Frage des Präsidenten, ob er über Erfahrungszahlen verfüge, wie lange Verwahrungen an geistig abnormen Tätern in der Regel dauern würden (GG Prot. S. 585): Meines Wissens ist es bei Art. 43 StGB so, dass die Massnahmen abgebrochen werden, wenn der Psychiater eine weitere Behandlung nicht mehr für nötig hält. Zum Beispiel würde man jemanden entlassen, der Stimmen hört und nun seit drei Jahren in der Klinik ist und seitdem keine Symptome mehr hat und sich unter Neuroleptika wohl fühlt. Wenn er vielleicht schon einige Zeit extern untergebracht war und eine Arbeitsstelle hat und es dort gut gegangen ist, dann kann seine definitive Entlassung erfolgen. Das ist in vielen Fällen vielleicht nach zwei bis drei Jahren der Fall. Ich habe diesbezüglich den Chefarzt der Psych. Klinik Winterthur gefragt, weil er mehr Erfahrung besitzt. Ihm ist niemand bekannt, der länger als fünf Jahre in einer solchen Massnahme war.
Aufgrund der Ausführungen von Gutachter A. war für das Geschworenengericht erkennbar, dass die gutachtlichen Aussagen keine Vollständigkeit beanspruchten und nur einen Teil der Praxis des Verwahrungsvollzugs wiedergeben konnten. Die Antworten von A. liessen insbesondere die Möglichkeit offen, dass in Einzelfällen (wenn eben z.B. eine Behandlung nicht angeschlagen hatte ein Täter ganz besonders gefährlich erschien) die Praxis von dem abwich, was er selbst kannte. Wenn A. von vielen Fällen spricht, sind dies eben gerade nicht alle. Es ist weiter unwiderlegt und wird auch durch die Vorinstanz konstatiert, dass im Jahre 1992 in vielen Fällen die Verwahrungen (geistig Abnormer im Sinne von Art. 43 Ziff. 1 Abs. 2 aStGB) eine Dauer von fünf Jahren nicht überschritten (vgl. KG act. 2 S. 28). A. sprach erkennbar nur von in Kliniken Verwahrten bzw. er gab das Wissen des Chefarztes der Psychiatrischen Klinik Winterthur weiter, der seinerseits ebenfalls erkennbar nicht einen Gesamtüberblick haben konnte, namentlich nicht für in Strafanstalten vollzogene Verwahrungen. Vor diesem Hintergrund ist es verfehlt, die seinerzeitigen Angaben von A. als nicht korrekt und unvollständig zu bezeichnen. Die Rüge ist begründet.
Die Begründetheit der Rüge führt zur Gutheissung der Beschwerde und zur Aufhebung des angefochtenen Entscheids. Im Hinblick auf die Neuentscheidung durch die Vorinstanz sind noch die folgenden Rügen zu behandeln.
a) Der Beschwerdeführer rügt im vorstehenden Sachzusammenhang
zumindest sinngemäss implizit (vgl. KG act. 1 S. 9, Ziffer 21; S. 14, Ziffer 31 a.E. und Ziff. 32; S. 16, Ziffer 34) -, es könne auch nicht gefolgert werden,
das Geschworenengericht habe nicht erkennen können, dass schon damals eine von den gutachterlichen Angaben abweichende Vollzugspraxis vorgeherrscht habe.
Die Vorinstanz sah die neue Tatsache darin, dass man heute (aufgrund der Statistik) wisse, dass schon damals in etwa gleich vielen Fällen die Dauer der Verwahrung zwischen 5 und 15 Jahren lag. Die Neuheit dieser Tatsache begrün- dete die Vorinstanz konkret damit, dass das Geschworenengericht seinerzeit wegen des Unmittelbarkeitsprinzips diesbezüglich auf die Aussagen des damaligen Gutachters habe abstellen dürfen und müssen, und es - das Geschworenengericht - diese Tatsache daher nicht habe kennen können (vgl. KG act. 2 S. 28,
und 4. Abschnitt; vorstehend E. III/1).
Gemäss den vorstehenden Ausführungen war für das Geschworenengericht erkennbar, dass die seinerzeitigen Angaben des Gutachters anlässlich der geschworenengerichtlichen Verhandlung keine Vollständigkeit beanspruchten und nur einen Teil der Realität wiedergaben. Die Antworten von A. anlässlich der geschworenengerichtlichen Verhandlung liessen wie gesagt insbesondere die Möglichkeit offen, dass in Einzelfällen der Vollzug der Verwahrung länger dauerte. Er verneinte auch nicht, dass entsprechende Verwahrungsfälle bestanden, sondern gab nur sein eigenes (begrenztes) Wissen und jenes des Chefarztes der Psychiatrischen Klinik Winterthur wieder, der seinerseits ebenfalls erkennbar nicht einen Gesamtüberblick über die Vollzugspraxis haben konnte. Es kann daher auch nicht gesagt werden, dem Geschworenengericht habe (wegen des Unmittelbarkeitsprinzips) nicht bekannt sein können bzw. für das Geschworenengericht sei objektiv unmöglich erkennbar gewesen (vgl. vorstehend E. II), dass schon
damals eine teilweise von den gutachterlichen Angaben abweichende Vollzugspraxis herrschte. Mithin erweist sich auch diese Rüge als begründet.
a) Der Beschwerdeführer erachtet die Annahme der Vorinstanz, dass schon damals in Einzelfällen längere Verwahrungsdauern als fünfzehn Jahre zu verzeichnen gewesen wären, als aktenwidrig willkürlich. Zur Begründung führt er an, dass sich aus der von der Vorinstanz angeführten Statistik nicht ergebe, dass schon früher längere Verwahrungsdauern als fünfzehn Jahre zu verzeichnen gewesen wären. In der Statistik seien per Ende 1992 vielmehr keine entsprechenden Fälle vermerkt. Die Annahme der Vorinstanz widerspreche somit dem von ihr selbst angerufenen Zahlenmaterial (vgl. KG act. 1 S. 12-13, Zif-
fer 30).
b) Die Vorinstanz stellte auf S. 28 (3. Abschnitt) des angefochtenen Beschlusses fest: Die Angabe des Gutachters, wonach seinerzeit die Dauer der Verwahrung in der Praxis zwei bis drei, kaum aber mehr als fünf Jahre betrug, war vor dem Hintergrund der damaligen Vollzugsverhältnisse nicht korrekt und unvollständig. Zwar war es im Jahr 1992 durchaus so, dass ein Grossteil der Verwahrungen geistig Abnormer im Sinne von Art. 43 Ziff. 1 Abs. 2 aStGB eine Dauer von fünf Jahren nicht überschritt. In etwa gleich vielen Fällen lag die Vollzugsdauer jedoch bereits damals zwischen fünf und fünfzehn Jahren (vgl. dazu BFS [Bundesamt für Statistik] Aktuell, 19 Kriminalität und Strafrecht, Verwahrungen, Verurteilungen und Vollzug, Neuchâtel 2007, S. 7). Weiter ist zu beachten, dass eine Verwahrung schon damals die Möglichkeit einer noch längerfristigeren Unterbringung bot und diese Möglichkeit in Einzelfällen schon damals ausgeschöpft wurde.
Der Hinweis auf die Publikation des Bundesamtes für Statistik findet sich vor dem Satz, in welchem die Vorinstanz von noch längerfristigeren Unterbringungen spricht, und für gewöhnlich werden Belegstellen erst nach einer entsprechenden Feststellung angeführt. Es liegt daher nahe, dass die Vorinstanz nicht auf die publizierte Statistik Bezug genommen hatte, als sie feststellte, dass die Möglichkeit einer noch längerfristigeren Unterbringung in Einzelfällen schon damals ausgeschöpft worden sei. Nicht hinreichend klar ist indessen, ob die Vorinstanz, wenn sie von damals sprach, konkret auf das Jahr 1992 Bezug nehmen wollte, und mit einer noch längerfristigeren Unterbringung tatsächlich solche Verwahrungen meinte, die über 15 Jahre dauerten. Diese beiden Unklarheiten brauchen nicht
aufgelöst bzw. entschieden zu werden, nachdem die Nichtigkeitsbeschwerde aus den vorstehend genannten Gründen bereits gutzuheissen ist. Indessen rechtfertigen sich im Hinblick auf die Neuentscheidung durch die Vorinstanz folgende Hinweise.
In der Publikation des Bundesamtes für Statistik sind per 31. Dezember 1992 keine Fälle verzeichnet, bei denen die Verwahrung länger als fünfzehn Jahre andauerte (vgl. KG act. 3 S. 7 und 17 [BFS Aktuell, 19 Kriminalität und Strafrecht, Neuchâtel 2007]). Die Statistik beruht auf weitgehend vollständigem Zahlenmaterial. Lediglich hinsichtlich einzelner Verwahrungsfälle wird ein Vorbehalt gemacht mit der Anmerkung, dass die Abweichungen von den dargestellten Zahlen jedoch klein sein dürften (vgl. KG act. 3 S. 4, rechte Spalte). Die Möglichkeit, dass es Verwahrungsfälle gab, bei denen der Vollzug über 15 Jahre dauerte, ist somit klein, wenn nicht gar bloss theoretischer Natur. Bei dieser Sachlage hätte die angefochtene Erwägung eines Nachweises bedurft, falls die Vorinstanz effektiv auf das Jahr 1992 Bezug nehmen wollte und Verwahrungsfälle mit über 15jähriger Vollzugdauer meinte. Ohne einen solchen Nachweis würde die Feststellung jedenfalls angesichts der statistischen Angaben als eine nicht rechtsgenügend erstellte Behauptung erscheinen, die in dieser Form nicht dem Entscheid hätte zugrunde gelegt werden dürfen.
Die beiden gutgeheissenen Beschwerdepunkte beschlagen die tatsächlichen Grundlagen zur Beantwortung der Rechtsfrage, ob die Neuheit der Tatsache im Sinne von Art. 65 Abs. 2 StGB bejaht werden könne nicht. Diese Frage ist nach Rückweisung der Sache wieder offen. Den weiteren Rügen, welche sich ebenfalls um die Frage der Neuheit der Tatsache drehen, kommt daher keine eigenständige Bedeutung mehr zu, und es kann offen bleiben, ob es dabei überhaupt um überprüfbare Tatfragen geht (vgl. KG act. 1 S. 14-15, Ziffer 32; S. 15, Ziffer 33). Das Gleiche gilt, soweit der Beschwerdeführer die Bejahung der Erheblichkeit der (neuen) Tatsache bemängelt (vgl. KG act. 1 S. 15, Ziffer 33), und weiter einwendet, das Geschworenengericht hätte in Kenntnis der statistischen Angaben zur Praxis des Verwahrungsvollzugs entgegen der Ansicht der Vorinstanz gerade keine Verwahrung ausgesprochen (vgl. KG act. 1 S. 15-16, Ziffer 33).
Ausgangsgemäss werden die Kosten des Kassationsverfahrens, einschliesslich diejenigen der amtlichen Verteidigung, auf die Gerichtskasse genommen. Über die anwaltliche Entschädigung wird mit separater Präsidialverfügung entschieden werden.
Beim vorliegenden (Rückweisungs-)Beschluss handelt es sich um einen Zwischenentscheid. Gegen solche Entscheide ist die Beschwerde in Strafsachen nach Art. 78 BGG an das Bundesgericht nur unter den in Art. 93 BGG genannten Voraussetzungen zulässig. Ob diese erfüllt sind, entscheidet das Bundesgericht.
Das Gericht beschliesst:
In Gutheissung der Nichtigkeitsbeschwerde wird der Beschluss der Revisionskammer des Obergerichts vom 29. März 2010 aufgehoben und die Sache im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen.
Die Gerichtsgebühr für das Kassationsverfahren wird festgesetzt auf Fr. 1'000.-.
Die Kosten des Kassationsverfahrens, inklusive diejenigen der amtlichen Verteidigung, werden auf die Gerichtskasse genommen.
Gegen diesen Entscheid kann unter den Voraussetzungen von Art. 93 BGG innert 30 Tagen nach dessen Empfang schriftlich durch eine Art. 42 BGG entsprechende Eingabe Beschwerde gemäss Art. 78 ff. BGG an das Schweizerische Bundesgericht, 1000 Lausanne 14, erhoben werden.
Hinsichtlich des Fristenlaufes gelten die Art. 44 ff. BGG.
Schriftliche Mitteilung an die Parteien, die Revisionskammer des Obergerichts des Kantons Zürich und das Amt für Justizvollzug des Kantons Zürich, Bewährungsund Vollzugsdienste, Sonderdienst, je gegen Empfangsschein.
Der juristische Sekretär:
Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.
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