BEK 2023 49 - Einstellung Strafverfahren
Kantonsgericht Schwyz
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Beschluss vom 16. August 2023
BEK 2023 49
Mitwirkend
KantonsgerichtsvizePräsidentin Daniela Pürez-Steiner,
Kantonsrichterinnen Clara Betschart und Ilaria Beringer,
Gerichtsschreiber Mathis B?sch.
In Sachen
A.__,
Privatklägerin und Beschwerdeführerin,
vertreten durch Rechtsanwalt B.__,
gegen
Staatsanwaltschaft, 1. Abteilung, Sicherheitsstätzpunkt Biberbrugg,
Einsiedlerstrasse 55, 8836 Bennau,
StrafverfolgungsBehörde und Beschwerdegegnerin,
vertreten durch Staatsanwältin C.__,
betreffend
Einstellung Strafverfahren
(Beschwerde gegen die Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 31. März 2023, SU 2022 6677);-
hat die Beschwerdekammer,
nachdem sich ergeben und in Erwägung:
1. D.__ sel. verunglückte am 24. Juli 2022 um 11:57 Uhr auf der Axenstrasse auf der Fahrt nach dem Wolfsprung in Richtung Brunnen. Er kam mit einem Personenwagen rechtsseitig von der Fahrbahn ab, kollidierte mit der Felswand, durchbrach über die beiden Fahrstreifen zurückgeschleudert das linksseitige Metallgel?nder, sTürzte ca. 45 Meter über die senkrechte Felswand in den Vierwaldstättersee ab und ertrank. A.__ ersuchte als Lebenspartnerin des Verstorbenen mit Schreiben vom 29. September 2022 um Anerkennung als AnGehörige des Opfers im Sinne von Art. 116 Abs. 2 StPO und entsprechender Parteistellung als Privatklägerin (U-act. 3.1.01). Ausserdem regte ihr Anwalt eine Untersuchung darüber an, ob das an der Unfallstelle vorhandene Geländer den Strassenverhältnissen angemessen war und äusserte den Verdacht der fahrlässigen Tütung zufolge Unterlassung einer genügenden Strassensicherung (U-act. 16.1.02). Mit Verfügung vom 31. März 2023 stellte die Staatsanwaltschaft das Strafverfahren ein. Dagegen beschwerte sich A.__ rechtzeitig beim Kantonsgericht. Sie beantragt, die EinstellungsVerfügung aufzuheben und die Staatsanwaltschaft anzuweisen, die Strafuntersuchung ordentlich zu führen und notwendige Beweise zu erheben. In der Beschwerdevernehmlassung bestreitet die Staatsanwaltschaft die Legitimation der nicht erbberechtigten Beschwerdeführerin und beantragt, die Beschwerde abzuweisen, sofern darauf einzutreten sei (KG-act. 4). Dazu liess sich die Beschwerdeführerin nochmals kurz vernehmen, ohne das Fehlen ihrer Erbberechtigung zu bestreiten (KG-act. 6). Am 17. Juli 2023 ging eine weitere Eingabe ihres Rechtsanwalts betreffend eine Medienmitteilung des Bundesamtes für Strassen (ASTRA) ein (KG-act. 8).
2. Die Beschwerdeführerin begründet ihre Beschwerdelegitimation damit, als nächste AnGehörige des Verstorbenen Opferrechte im Sinne von Art. 1 Abs. 2 OHG bzw. 116 Abs. 2 StPO innezuhaben, weil sie Genugtuung und Schadenersatz für die mutmassliche Tütung ihres Lebenspartners und Unterstätzers beanspruche (Art. 117 Abs. 3 StPO).
a) Stirbt die geschädigte Person, ohne auf ihre Verfahrensrechte als Privatklägerschaft verzichtet zu haben, so gehen ihre Rechte auf die AnGehörigen im Sinne von Artikel 110 Absatz 1 StGB in der Reihenfolge der Erbberechtigung über (Art. 121 Abs. 1 StPO). Nach dem Tode der beschuldigten verurteilten Person der Privatklägerschaft können die AnGehörigen im Sinne von Artikel 110 Absatz 1 StGB in der Reihenfolge der Erbberechtigung ein Rechtsmittel ergreifen das Rechtsmittelverfahren weiterführen, soweit sie in ihren rechtlich Geschützten Interessen betroffen sind (Art. 382 Abs. 3 StPO). Die Rechtsnachfolge der Privatklägerschaft ist restriktiv zu verstehen (BGE 148 IV 162 E. 3.5 m.H.; STK 2022 12 vom 4. April 2023 E. 3). Die Beschwerdeführerin legt nicht dar, sich in die von Art. 121 Abs. 1 bzw. Art. 382 Abs. 3 StPO vorausgesetzte Reihenfolge der AnGehörigen mit Erbberechtigung einreihen zu können. Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung sind im übrigen selbst bei vorhandener Erbberechtigung zivilrechtliche Forderungen grundsätzlich gemeinsam geltend zu machen (BGE 142 IV 82 E. 3.3). Insoweit fehlt es der Beschwerdeführerin nicht nur an der Stellung als Privatklägerin und der für die Rechtsmittellegitimation erforderlichen Erbenstellung, sondern auch am Betroffensein in ihren rechtlich Geschützten Interessen (Art. 382 Abs. 3 StPO; STK 2022 12 vom 4. April 2023 E. 3.b).
b) Als AnGehörige des Opfers gelten neben Ehegatten, Kindern und Eltern auch Personen, die ihm in ähnlicher Weise nahestehen (Art. 116 Abs. 2 StPO). Ihnen stehen, sofern sie ZivilAnsprüche geltend machen, die gleichen Rechte wie dem Opfer zu (Art. 117 Abs. 3 StPO). Unter dem Opfer nach Art. 116 Abs. 2 StPO in ähnlicher Weise nahestehenden Personen sind solche des nahen Umfelds gemeint, die nicht notwendigerweise durch verwandtschaftliche Beziehungen verbunden sind. Massgebend sind die sich aus den konkreten Lebensverhältnissen ergebenden faktischen Bindungen, so zum Beispiel beim Konkubinat. Ausschlaggebend ist die Intensität der Bindung zum Opfer. Diese ist danach zu prüfen, ob sie in ihrer Qualität jener mit den in Art. 116 Abs. 2 StPO ausDrücklich erwähnten entspricht (BGer 6B_148/2017 vom 14. Juni 2017 E. 1.1 m.H.). Es obliegt der Beschwerdeführerin die Beschwerdevoraussetzungen darzutun (dazu etwa BEK 2022 176 vom 19. Mai 2023 E. 2 m.H.), was sie hier sowohl hinsichtlich der vorausgesetzten qualitativen Intensität ihrer Partnerschaft zum Opfer (vgl. BGer 6B_148/2017 vom 14. Juni 2017 E. 1.3) bzw. ihres unmittelbaren Betroffenseins durch einen staatlichen übergriff (vgl. zum garantierten Recht auf Leben auch Huber in Meyer-Lade?wig/Nettesheim/von Raumer, EMRK, 5. A. 2023, Art. 2 EMRK N 15 und 26), als auch bezüglich der Möglichkeit der Geltendmachung von einzig ihr und nicht den Erben zustehenden Zivilforderungen inhaltlich unterlässt. Die Beschwerdeinstanz hat die Akten in Hinblick auf die Beschwerdelegitimation nicht zu prüfen. Dennoch ist festzustellen, dass auch der Staatsanwaltschaft gegenüber nur eine langjährige Lebenspartnerschaft geltend gemacht wurde, ohne deren ebenfalls hinsichtlich eines Allfälligen Versorgerschadens erhebliche Qualität näher zu konkretisieren (U-act. 3.1.01). Daher ist auf das Rechtsmittel nicht einzutreten, umso weniger als keine privatrechtlichen Haftungsfolgen für die angeblich ungenügende Strassensicherung ersichtlich sind.
3. Abgesehen davon führte die Staatsanwaltschaft aus, dass zur passiven Sicherheit für die Anbringung von Fahrzeug-Rückhaltesystemen und deren Lage im Strassenraum verschiedene Entscheidkriterien massgebend seien (angef. Verfügung E. 7.b), deren Abwägung mithin im Ermessen der Behörden liege und nicht strikt vorgegeben sei. Daher gelangte sie zum Schluss, dass keine rechtliche Verpflichtung zum Bau einer Leitplanke an der Unfallstelle bestanden habe (ebd. E. 7.c). Inwiefern diese Feststellungen willkürlich sein sollen, legt die Beschwerdeführerin nicht dar und ist nicht ersichtlich. In diesem Sinne gibt es entgegen der Beschwerdeführerin keine klare Anleitung durch Regeln dafür, welche Leistungseigenschaften Rückhaltesysteme aufweisen müssen, so dass deren Erfüllung in Bezug auf die Unfallstelle nicht gutachterlich abgeklürt und entsprechende Normverstöße bzw. Unterlassungen nicht festgestellt, respektive keine Gefahrenfreiheit garantiert werden könnte. Der Anprall ist zwar ein Sonderrisiko, dass bei der Projektierung und Ausführung von Kunstbauten der Nationalästrassen zu berücksichtigen ist (s. angef. Verfügung E. 7.b mit entsprechendem Hinweis auf die einschlägige ASTRA-Richtlinie). Ferner trifft es zu, dass die entsprechende Beschreibung des Fahrzeuganpralls als frontal in der angefochtenen Verfügung (ebd. E. 7.c) missVerständlich ist, weil der Unfallwagen seitlich in das parallel zur Strasse verlaufende Geländer prallte (U-act. 8.1.04 S. 14 ff.). Diese Umstände ändern jedoch nichts daran, dass die Wahl der Schutzvorrichtung mit geeigneten Aufhaltestufen ein stets mit einem Restrisiko verbundener Ermessensentscheid ist. Dabei stellt insbesondere der Anprall indes eine aussergewöhnliche Einwirkung mit geringer Eintretenswahrscheinlichkeit (vgl. ASTRA-Richtlinie Anprall von Straßenfahrzeugen auf Bauwerksteile von Kunstbauten Ziff. 1.1) dar. Deshalb ist nicht zu beanstanden, dass die Staatsanwaltschaft zum Schluss gelangte, es müsse an der Unfallstelle mit einer mehr weniger geraden Strassenführung nicht derart wahrscheinlich mit einer solchen Einwirkung gerechnet werden, um die Behörden zur Erstellung einer lückenlosen Leitplanke entlang des Abgrunds zum See verpflichtet zu betrachten, zumal sich zwischen der Strasse und dem Geländer noch ein Trottoir befand. Dies gilt umso mehr für vorliegendes Unfallszenario, in welchem der Verstorbene nicht auf der seeseitigen Fahrbahn unterwegs war und zunächst unbestritten ohne ersichtlichen äusseren Anlass (ebd. E. 4) an einer Stelle in die Felswand fuhr, wo die Strasse ausgangs der Verzweigung nach Morschach noch durch eine Sperrfläche unterteilt (U-act. 8.1.05 S. 6 f.) nicht so eng ist wie an ihren in Richtung Brunnen nachfolgenden mit Leitplanken gesicherten Abschnitten (U-act. 8.1.04 S. 7 ff.). Aus diesen Gründen wäre die Beschwerde abzuweisen, selbst wenn auf sie eingetreten werden könnte.
4. Aus den in der zweiten Erwägung genannten Gründen ist auf die Beschwerde nicht einzutreten. Von der möglichen Belastung der Beschwerdeführerin mit den Kosten des Beschwerdeverfahrens im Sinne von Art. 423 i.V.m. Art. 428 Abs. 1 StPO (vgl. Griesser, SK, 2. A. 2020, Art. 423 StPO N 1) darf hier aufgrund der tragischen Fallumstände abgesehen werden. Die Voraussetzungen für eine Entschädigung der Beschwerdeführerin sind nicht erfüllt (Art. 436 Abs. 1 i.V.m. Art. 433 Abs. 1 StPO);-
beschlossen:
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.
Von der möglichen Kostenerhebung wird abgesehen. Die Sicherheitsleistung von Fr. 1500.00 wird der Beschwerdeführerin nach definitiver Erledigung aus der Kantonsgerichtskasse zurückbezahlt.
Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit Zustellung nach Art. 78 ff. des Bundesgerichtsgesetzes (BGG) Beschwerde in Strafsachen beim Bundesgericht in Lausanne eingereicht werden. Die Beschwerdeschrift muss den Anforderungen von Art. 42 BGG entsprechen.
Zufertigung an den Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin (2/R) und die Staatsanwaltschaft (1/A an die 1. Abteilung und 1/R an die Amtsleitung/zentraler Dienst) sowie nach definitiver Erledigung an die 1. Abteilung der Staatsanwaltschaft (1/R, mit den Akten) und die Kantonsgerichtskasse (1/, im Dispositiv).
Namens der Beschwerdekammer
Die KantonsgerichtsvizePräsidentin Der Gerichtsschreiber
Versand
17. August 2023 kau