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Urteil Kantonsgericht (SZ)

Zusammenfassung des Urteils BEK 2023 129: Kantonsgericht

Die Staatsanwaltschaft hat die amtliche Verteidigung für einen Beschuldigten widerrufen, da der Verdacht auf ein Betäubungsmittelvergehen reduziert wurde und keine tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten mehr bestehen sollen. Die Verteidigerin des Beschuldigten hat dagegen Beschwerde eingelegt, die Staatsanwaltschaft fordert die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde. Das Kantonsgericht entscheidet, dass der Widerruf der amtlichen Verteidigung gerechtfertigt ist, da keine besonderen Schwierigkeiten für den Beschuldigten bestehen. Die Beschwerde wird abgewiesen, auf die Kosten wird verzichtet, und die Verteidigerin wird mit 800 CHF entschädigt.

Urteilsdetails des Kantongerichts BEK 2023 129

Kanton:SZ
Fallnummer:BEK 2023 129
Instanz:Kantonsgericht
Abteilung:-
Kantonsgericht Entscheid BEK 2023 129 vom 18.12.2023 (SZ)
Datum:18.12.2023
Rechtskraft:-
Leitsatz/Stichwort:Widerruf der amtlichen Verteidigung
Schlagwörter : Verteidigung; Staatsanwaltschaft; Beschuldigte; Verteidigerin; Beschuldigten; Schwierigkeiten; Kantonsgericht; Freiheitsstrafe; Recht; Widerruf; Verfügung; BetmG; Verfahren; Untersuchung; U-act; Gericht; Antrag; Bagatellfall; Beschwerdeverfahren; Abteilung; Landesverweisung; Mitbeschuldigten; KG-act; Beschwerdeant­wort; Interesse; Probleme; Akten; öglich
Rechtsnorm:Art. 134 StPO ;Art. 135 StPO ;Art. 19 BetmG;Art. 42 BGG ;Art. 428 StPO ;
Referenz BGE:143 I 164;
Kommentar:

Entscheid des Kantongerichts BEK 2023 129

BEK 2023 129 - Widerruf der amtlichen Verteidigung
Kantonsgericht Schwyz
1





Beschluss vom 18. Dezember 2023
BEK 2023 129


Mitwirkend
KantonsgerichtsvizePräsident Stefan Weber,
Kantonsrichterinnen Clara Betschart und Ilaria Beringer,
Gerichtsschreiber Mathis B?sch.



In Sachen
A.__,
Beschuldigter und Beschwerdeführer,
verteidigt durch Rechtsanwältin B.__,

gegen

Staatsanwaltschaft, 1. Abteilung, Einsiedlerstrasse 55, 8836 Bennau,
StrafverfolgungsBehörde und Beschwerdegegnerin,
vertreten durch Staatsanwältin C.__,



betreffend
Widerruf der amtlichen Verteidigung
(Beschwerde gegen die Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 18. September 2023, SU 2022 7984);-



hat die Beschwerdekammer,

nachdem sich ergeben und in Erwägung:
1. In der gegen den Beschuldigten zunächst wegen des Verdachts des Verbrechens gegen das Betäubungsmittelgesetz nach Art. 19 Abs. 2 BetmG eröffneten Strafuntersuchung (U-act. 9.1.013) bestellte die Staatsanwaltschaft Rechtsanwältin B.__ als amtliche Verteidigerin, weil eine Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr eine Landesverweisung drohte (Art. 130 lit. b StPO; U-act. 2.8.003). In der Folge reduzierte sich indes der Verdacht auf ein Betäubungsmittelvergehen im Sinne von Art. 19 Abs. 1 BetmG, das die Staatsanwaltschaft, ohne persönlich vor Gericht aufzutreten, mit Antrag auf eine bedingte Freiheitsstrafe unter einem Jahr sowie ohne Antrag auf eine Landesverweisung anzuklagen beabsichtigt. Daher widerrief die Staatsanwaltschaft die amtliche Verteidigung mit Verfügung vom 18. September 2023 in der Auffassung, dass zwar kein Bagatellfall vorliege, der Selbstverteidigung des mittellosen Beschuldigten sich aber keine tatsächlichen rechtlichen Schwierigkeiten entgegenstellten. Mit Eingabe vom 29. September 2023 beschwert sich die Verteidigerin namens des Beschuldigten beim Kantonsgericht mit dem Antrag, diese Verfügung aufzuheben und die Unterzeichnende weiterhin als notwendige, eventualiter amtliche Verteidigerin einzusetzen. Die Staatsanwaltschaft verlangt vernehmlassend, die Beschwerde kostenfällig abzuweisen. Sie begründet ihren Antrag u.a. damit, dass mit dem Beschuldigten ohne Konfrontationseinvernahme nurmehr eine Schlusseinvernahme mit der Konsequenz durchgefährt werde, dass Allfällige belastende Aussagen der Mitbeschuldigten nicht gerichtsverwertbar wären (KG-act. 3, insbes. S. 2 f. zu Ziff. 2.2 f. der Beschwerde).
2. fällt der Grund für die amtliche Verteidigung dahin, so widerruft die Verfahrensleitung das Mandat (Art. 134 Abs. 1 StPO).
a) Art. 130 lit. b StPO knüpft nicht an das abstrakt höchstmögliche, sondern an das konkret zu erwartende Strafmass an (BGE 143 I 164 E. 2.4.3), weshalb aufgrund der in der angefochtenen Verfügung und der Beschwerdeantwort geäusserten Absicht der Staatsanwaltschaft, eine bedingte Freiheit?strafe von unter einem Jahr und keine Landesverweisung zu beantragen, die Gründe zur notwendigen Verteidigung entfallen.
b) Abgesehen von der notwendigen Verteidigung (Art. 132 Abs. 1 lit. a StPO, dazu s. oben lit. a) ordnet die Verfahrensleitung eine amtliche Verteidigung an, wenn der Beschuldigte nicht über die erforderlichen Mittel verfügt was vorliegend unbestritten ist und die Verteidigung zur Wahrung seiner Interessen geboten ist (Art. 132 Abs. 1 lit. b StPO). Zur Wahrung der Interessen des Beschuldigten ist die Verteidigung namentlich geboten, wenn es sich nicht um einen Bagatellfall handelt und der Straffall in tatsächlicher rechtlicher Hinsicht Schwierigkeiten bietet, denen er allein nicht gewachsen wäre (Abs. 2). Ein Bagatellfall liegt jedenfalls dann nicht mehr vor, wenn eine Freiheitsstrafe von mehr als 4 Monaten eine Geldstrafe von mehr als 120 Tagessätzen zu erwarten ist (Abs. 3). Vorliegend ist unbestritten, dass es sich nicht um einen Bagatellfall handelt. In Bezug auf die Frage, ob die Bestellung einer amtlichen Verteidigerin im Interesse der Rechtspflege erforderlich erscheint, bringt der Beschwerdeführer ebenfalls vor, dass ihm eine Maximalstrafe von drei Jahren Freiheitsstrafe drohen könne. Weil die Staatsanwaltschaft wiederholt davon ausgeht, eine bedingte Freiheitsstrafe unter einem Jahr zu beantragen, relativiert sich hier diese abstrakte Strafandrohung nicht unerheblich. Zur Rechtfertigung einer Aufrechterhaltung der amtlichen Verteidigung Müssten tatsächliche und rechtliche Schwierigkeiten hinzukommen, denen der Beschuldigte allein nicht gewachsen wäre. An diese Probleme dürfen angesichts der von der Staatsanwaltschaft in Aussicht genommenen Freiheitsstrafe von über vier Monaten jedoch nicht allzu hohe Anforderungen gestellt werden (BGer 1B_24/2023 vom 24. Februar 2023 E. 2.2; BGE 143 I 164 E. 3 m.H.).
aa) Vorliegend ist aufgrund der Beschwerdeantwort der Staatsanwaltschaft (KG-act. 3 S. 3) davon auszugehen, dass sie die zehn Personen erfassende Strafuntersuchung nicht trennt, indes den Beschwerdeführer nicht mehr mit den weiteren Mitbeschuldigten konfrontieren, sondern ohne weitere Beweisabnahme nur noch einer Schlusseinvernahme unterziehen und dann anklagen wird. Insofern sind für die weitere Voruntersuchung keine rechtlichen Schwierigkeiten ersichtlich. Zu Recht geht die Staatsanwaltschaft auch davon aus, dass die bisherige amtliche Verteidigerin den Beschuldigten über den Akten- und Verfahrensstand instruiert haben wird. Der Beschuldigte wird daher bei diesem in Bezug auf seine Person in Aussicht genommenen Untersuchungsabschluss keine, die Fortführung der amtlichen Verteidigung rechtfertigende besonderen Schwierigkeiten haben. Die Probleme der Abgrenzung zum qualifizierten Tatbestand von Art. 19 Abs. 2 BetmG entfallen und im übrigen muss der Beschuldigte zu seiner Verteidigung vor Gericht nicht alle möglichen Differenzierungen zu den Tatvarianten von Art. 19 Abs. 1 BetmG, sondern die TatbestandsVorwürfe (insbes. Anbau und Handel) im Kontext der ihm vorgeworfenen Lebensvorgänge praktisch nachvollziehen können (BEK 2021 193 vom 20. Dezember 2021 E. 3.c m.H.). Sachverhaltsmässig verfolgt die Staatsanwaltschaft laut der Begründung der angefochtenen Verfügung indes nur noch den unbefugten Anbau von Drogenhanf im Sinne von Art. 19 Abs. 1 lit. a BetmG.
bb) Es wird nicht konkret geltend gemacht und ist nicht ersichtlich, dass der Beschuldigte sich nicht allein gegen den Vorwurf des Drogenhanfanbaus zur Wehr setzen und allenfalls darlegen könnte, warum er sich in der inkriminierten Gewerbehalle aufgehalten habe. Es bestehen keine Hinweise auf mangelnde Ausbildung, sprachliche Schwierigkeiten, gesundheitliche andere Probleme, die den Beschuldigten daran hinderten, sich gegen die ihn erhobenen Anschuldigungen adäquat zur Wehr zu setzen (vgl. auch U-act. 10.9.001 Fragen 65 und 71). Dass der entsprechend über seine Rechte, namentlich dasjenige der Aussageverweigerung belehrte Beschuldigte sich ohne erneute Instruktionen durch eine Verteidigung belasten könnte (vgl. U-act. 10.9.001 Fragen 32, 36 und 72), sind keine eine amtliche Verteidigung rechtfertigende Schwierigkeiten.
cc) Soweit die Verteidigerin weiter rägt, die Staatsanwaltschaft hätte die Dokumentation der drei mit der Beschwerde eingereichten E-Mails (KG-act. 1/4-6) in den Akten unterlassen, ist darauf nicht weiter einzugehen, weil kein Zusammenhang mit dem vorliegenden Anfechtungsobjekt besteht. Der Vorwurf einer Gehörsverletzung ist nicht nachvollziehbar, hat doch die Verteidigerin diese Mails erhalten.
3. Zusammenfassend ist der Widerruf der notwendigen bzw. amtlichen Verteidigung für den Abschluss der Voruntersuchung inkl. Schlusseinvernahme nicht zu beanstanden. Mit diesem Entscheid wird der Notwendigkeit einer amtlichen Verteidigung in einem Allfälligen erstinstanzlichen Verfahren für den Fall einer Konfrontation mit mehreren, womöglich anwaltlich verteidigten Mitbeschuldigten freilich nicht vorgegriffen. Es ist auch nicht zu prüfen, ob der Widerruf und die allenfalls nur vorübergehende Entlassung der amtlichen Verteidigerin zweckmässig sind, da zurzeit die Voraussetzungen für deren Anordnung nicht mehr bestehen (vgl. Lieber, SK, 3. A. 2020, Art. 134 StPO N 1). Die Beschwerde ist mithin abzuweisen. Bei diesem Verfahrensausgang trägt an sich der Beschuldigte die Kosten des Beschwerdeverfahrens (Art. 428 Abs. 1 StPO), indes ist hier auf deren Erhebung ausnahmsweise zu verzichten, nachdem die Staatsanwaltschaft ihre Vorgehensweise erst in der Beschwerdeantwort präzisierte und die Mittellosigkeit des Beschuldigten unbestritten ist. Nachdem der infolgedessen bestätigte Widerruf ihr Mandat in der Untersuchung beendete, ist die amtliche Verteidigerin im mit gewissen rechtlichen Schwierigkeiten einhergehenden Beschwerdeverfahren auch ohne Rückzahlungsvorbehalt nach Ermessen zu entschädigen (Art. 135 Abs. 4 StPO; ?? 2, 5 Abs. 1, 6 und 13 GebTRA);-



beschlossen:
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Auf die Erhebung der Kosten des Beschwerdeverfahrens wird verzichtet.
Die amtliche Verteidigerin wird für das Beschwerdeverfahren aus der Kantonsgerichtskasse mit Fr. 800.00 (inkl. Auslagen und MWST) entschädigt.
Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit Zustellung nach Art. 78 ff. des Bundesgerichtsgesetzes (BGG) Beschwerde in Strafsachen beim Bundesgericht in Lausanne eingereicht werden. Die Beschwerdeschrift muss den Anforderungen von Art. 42 BGG entsprechen.
Zufertigung an die Verteidigerin (2/R) und die Staatsanwaltschaft (1/A an die 1. Abteilung und 1/R an die Amtsleitung/zentraler Dienst) sowie nach definitiver Erledigung an die Staatsanwaltschaft (1/R, mit den Akten an die 1. Abteilung) und die Kantonsgerichtskasse (1/, im Dispositiv).
Namens der Beschwerdekammer
Der KantonsgerichtsvizePräsident Der Gerichtsschreiber





Versand
19. Dezember 2023 amu




Quelle: https://gerichte.sz.ch

Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.

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