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Urteil Kantonsgericht (SZ)

Zusammenfassung des Urteils BEK 2021 136: Kantonsgericht

Die IV-Stelle Schwyz hat Strafanzeige gegen einen Beschuldigten erstattet, der verdächtigt wird, überdurchschnittlich viele Patienten behandelt und falsche Rechnungen gestellt zu haben. Die Staatsanwaltschaft eröffnete eine Strafuntersuchung wegen Betrugs und Urkundenfälschung. Das Kantonsgericht hat entschieden, dass die IV-Stelle Schwyz weiterhin als Privatklägerin auftreten darf. Die Staatsanwaltschaft hat das Strafverfahren gegen den Beschuldigten eingestellt und Kosten von CHF 38'484.45 festgelegt. Die IV-Stelle Schwyz hat Beschwerde gegen die Einstellungsverfügung eingereicht. Die Beschwerde wurde teilweise gutgeheissen, und die Kosten des Beschwerdeverfahrens gehen zu Lasten des Staates.

Urteilsdetails des Kantongerichts BEK 2021 136

Kanton:SZ
Fallnummer:BEK 2021 136
Instanz:Kantonsgericht
Abteilung:-
Kantonsgericht Entscheid BEK 2021 136 vom 13.01.2022 (SZ)
Datum:13.01.2022
Rechtskraft:-
Leitsatz/Stichwort:Einstellung Strafverfahren
Schlagwörter : Staatsanwalt; Staatsanwaltschaft; Beschuldigte; Beschuldigten; Einstellung; Verfügung; Patienten; U-act; Sachverhalt; Bezug; Sinne; Betrug; Behandlung; Verfahren; IV-Stelle; Tatbestand; Tatbestand; Delegation; Schwyz; Betrugs; Urkundenfälschung; Hilfspersonal; Material; Polizei; Untersuchung; Behandlungen
Rechtsnorm:Art. 104 StPO ;Art. 146 StGB ;Art. 148a StGB ;Art. 299 StPO ;Art. 318 StPO ;Art. 319 StPO ;Art. 382 StPO ;Art. 393 StPO ;Art. 397 StPO ;Art. 42 BGG ;Art. 428 StPO ;Art. 436 StPO ;Art. 79 ATSG ;Art. 87 AHVG ;
Referenz BGE:144 IV 240;
Kommentar:

Entscheid des Kantongerichts BEK 2021 136

BEK 2021 136 - Einstellung Strafverfahren

Beschluss vom 13. Januar 2022
BEK 2021 136


Mitwirkend
KantonsgerichtsPräsident Prof. Dr. Reto Heizmann,
Kantonsrichterinnen Clara Betschart und lic. iur. Ilaria Beringer,
Gerichtsschreiber lic. iur. Mathis B?sch.

In Sachen
IV-Stelle Schwyz, Postfach 53, Rubiswilstrasse 8, 6431 Schwyz,
Beschwerdeführerin,

gegen

1. A.__,
Beschuldigter und Beschwerdegegner,
erbeten verteidigt durch Rechtsanwalt B.__,
2. Staatsanwaltschaft, 3. Abteilung, Postfach 128, 8832 Wollerau,
StrafverfolgungsBehörde und Beschwerdegegnerin,
vertreten durch Staatsanwalt C.__,

betreffend
Einstellung Strafverfahren
(Beschwerde gegen die Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 2. September 2021, SU 2020 1234);-

hat die Beschwerdekammer,

nachdem sich ergeben und in Erwägung:
1. Die IV-Stelle Schwyz erstattete am 18. Dezember 2014 Strafanzeige gegen den Beschuldigten. Sie verdächtigt ihn, überdurchschnittlich viele Patienten behandelt und bei ihr bewusst nach dem zahnürztlichen Tarif Rechnungen für Leistungen gestellt zu haben, die er nicht persönlich erbracht bzw. an nichtzahnürztliche Personen delegiert habe (nachfolgend sog. DelegationsFälle). Weiter wirft sie dem Beschuldigten vor, mehrfach rezyklierte Materialen (Brackets und Bänder) als neue verrechnet und Sterilisationsprotokolle umgeschrieben zu haben (U-act. 8.1.001 = KG-act. 1/3; vgl. auch U-act. 8.0.001 S. 4 f.).
a) Die Staatsanwaltschaft eröffnete eine Strafuntersuchung gegen den Beschuldigten wegen Betrugs sowie Urkundenfälschung (U-act. 9.1.01) und aberkannte der IV-Stelle Schwyz die Parteistellung als Privatklägerin. Die Beschwerdekammer befand in Gutheissung einer Beschwerde der IV-Stelle, dieser dürfe die Parteistellung im Sinne von Art. 104 Abs. 2 StPO nicht aberkannt werden, wenn die Staatsanwaltschaft im Sachverhalt einen sozialversicherungsrechtlichen Tatbestand gemäss Art. 79 Abs. 3 ATSG nicht ausschliessen könne (BEK 2020 191 vom 26. Februar 2021 E. 3).
b) Die Staatsanwaltschaft stellte mit Verfügung vom 2. September 2021 das Strafverfahren gegen den Beschuldigten wegen mehrfachen Betrugs im Sinne von Art. 146 Abs. 1 StGB und Urkundenfälschung im Sinne von Art. 251 Ziff. 1 StGB sowie Widerhandlung gegen Art. 87 Abs. 1 AHVG i.V.m. Art. 70 IVG betreffend Vorfälle im Zeitraum von September 2006 bis April 2016 in D.__ unter Auflage der Kosten von Fr. 38484.45 zu Lasten des Beschuldigten ein. Mit Beschwerde vom 13. September 2021 beantragt die
IV-Stelle Schwyz dem Kantonsgericht, die EinstellungsVerfügung sei aufzuheben und die Staatsanwaltschaft anzuweisen, die Strafuntersuchung fortzuführen. Die Staatsanwaltschaft stellt vernehmlassend den Antrag, die Beschwerde sei kostenpflichtig abzuweisen (KG-act. 3). Der Beschuldigte verlangt mit Beschwerdeantwort vom 10. November 2021 ebenfalls deren Abweisung, soweit darauf eingetreten werden könne (KG-act. 9).
2. Die IV-Stelle ist als VersicherungstRüger nach Art. 79 Abs. 3 ATSG eine Behörde im Sinne von Art. 104 Abs. 2 StPO, der öffentlichrechtliche Aufgaben und hoheitliche Befugnisse übertragen sind (BGE 144 IV 240). Sie ist daher wie eine Privatklägerschaft zur Beschwerde legitimiert, solange der Sachverhalt die StraftatBestände von Art. 148a StGB und Art. 87 AHVG erFällen könnte (Art. 382 StPO; BEK 2020 191 vom 26. Februar 2021). Soweit sich die Beschwerdeführerin zur Einstellung wegen Urkundenfälschung und Betrug äussert, wäre dagegen grundsätzlich auf ihre Beschwerde nicht einzutreten.
a) Neben dem Verdacht der Urkundenfälschung und des Betrugs stellte die Staatsanwaltschaft das Verfahren auch betreffend mehrfache Widerhandlung gegen Art. 87 Abs. 1 AHVG i.V.m. Art. 70 IVG ein. Die Beschwerdeführerin Müsste nach Art. 385 Abs. 1 lit. b StPO in ihrer Beschwerde aufzeigen, weshalb die DelegationsFälle entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft unter den Straftatbestand von Art. 87 Abs. 1 AHVG i.V.m. Art. 70 IVG fallen, bzw. dass und inwiefern die Staatsanwaltschaft den Sachverhalt falsch feststellte (BGer 6B_473/2019 vom 27. Mai 2019 E. 3).
aa) Die Staatsanwaltschaft beschränkte in Bezug auf den sozialversicherungsrechtlichen Tatbestand die erheblichen DelegationsFälle zufolge Verjährung (Art. 97 Abs. 1 lit. d StGB) auf den Zeitraum von September 2014 bis April 2016. Soweit sie diesen Straftatbestand in Bezug auf lediglich bis Mitte 2014 beschöftigte Praktikantinnen demzufolge nicht mehr prüfen will, ist dies nicht zu beanstanden, auch wenn die Beschwerdeführerin aus nachvollziehbaren Gründen angesichts der Untersuchungsdauer wenig Verständnis dafür äussert. Soweit die Beschwerdeführerin die staatsanwaltschaftliche Feststellung, unausgebildete Praktikantinnen seien lediglich bis Mitte 2014 angestellt worden (dazu U-act. 10.1.005 Rn 633 ff.), in tatsächlicher Hinsicht für unzureichend abgeklürt hält, begründet sie ihre Zweifel konkret nicht. Auch insoweit dürfte daher auf die Beschwerde nicht eingetreten werden.
bb) Im übrigen wird die Einstellung wegen einer Widerhandlung gegen Art. 87 Abs. 1 AHVG i.V.m. Art. 70 IVG nicht nur mit der im Zusammenhang von Arbeiten der Praktikantinnen angerufenen Verjährung begründet. Vielmehr erwog die Staatsanwaltschaft, dass der Beschuldigte mit den in Rechnung gestellten Forderungen keine Leistungen im Sinne dieses sozialversicherungsrechtlichen Straftatbestandes erwirkte bzw. die Versicherung nicht veranlasste, Versicherungsleistungen auszurichten, welche seinen Patienten nicht geschuldet gewesen wären (angef. Verfügung E. 5.1.1 und 5.1.3). Zudem stellt sie fest, dass weder sozialversicherungsrechtliche noch tarifvertragliche Bestimmungen zur persönlichen Leistungserbringung auszumachen seien (dazu ausführlich ebd. E. 4.5), gegen die der Beschuldigte durch die Delegation von Arbeiten an langjöhrige Mitarbeiterinnen verstossen haben könnte (ebd. E. 5.1.5). Mit diesen Erwägungen setzt sich die Beschwerdeführerin im Rahmen des für ihre Beschwerdelegitimation massgeblichen Sachverhalts (vgl. oben E. 2) jedoch ebenso wenig auseinander wie mit den die weiteren Sachverhalte betreffenden Erwägungen, dass die Wiederverwendung gebrauchter Materialien (ebd. E. 5.1.4, Brackets und Bänder) bzw. die angeblich falschen Tarifabrechnungen (E. 5.1.6) nicht tatbestandsmässig seien. Namentlich beruft sie sich auf keine Bestimmungen, die den Beschuldigten zur persönlichen Leistungserbringung dazu verpflichtet hätten, für die mit ihr abgerechneten Arbeiten nur zahnürztlich ausgebildetes Hilfspersonal einzusetzen. Zum Einwand, dass weder sie noch die Patienten über die teilweise mehrfache Wiederverwendung von Brackets und Bänder informiert worden seien, ist die Beschwerdeführerin nicht befugt: Soweit sie die fehlende Information der Patienten rägt, betrifft dies ein Betrugselement (vgl. vor lit. a) und soweit sie das Verschweigen nur ungenügend untersuchter Allfälliger Kostenersparnissen ihr gegenüber geltend macht, betrifft ihr Einwand gemäss Begründung der angefochtenen Verfügung, mit denen sie sich nicht hinreichend auseinandersetzt, nicht durch Art. 87 Abs. 1 AHV erfasste Leistungen.
b) Soweit die Beschwerdeführerin geltend macht, durch das Verschweigen der Tatsachen, dass mehrfach rezykliertes Material verwendet und IV-Patienten nicht persönlich durch den Beschuldigten behandelt wurden, sei sie um Allfällige Kostenersparnisse gekommen, ist sie nicht direkt betroffen und mithin nicht beschwerdebefugt (vgl. dazu BEK 2020 191 vom 26. Februar 2021 E. 2.a sowie auch noch unten E. 3.b). Allerdings könnte in solchen Sachverhalten bei summarischer Betrachtung auch ein im Sinne von Art. 87 Abs. 4 AHVG i.V.m. Art. 70 IVG strafbares Verhalten liegen. Nach dieser Bestimmung wird unter anderem derjenige bestraft, der bei der Durchführung des Gesetzes seine Stellung als Organ Funktionür zum Nachteil Dritter zum eigenen Vorteil missbraucht. In Bezug auf diesen Tatbestand ist die Beschwerdeführerin gestützt auf Art. 104 Abs. 2 StPO i.V.m. Art. 79 ATSG beschwerdebefugt und es ist im Nachfolgenden zu prüfen, ob sich ihre Kritik der Untersuchungsführung insofern nicht als stichhaltig erweist. Die Staatsanwaltschaft pröfte bisher diesen Tatbestand soweit ersichtlich nicht und es ist nicht Sache der Beschwerdeinstanz, die Anwendbarkeit dieses Tatbestandes vorab auszuschliessen.
3. Das Vorverfahren, welches nach der Terminologie der Strafprozessordnung aus dem Ermittlungsverfahren der Polizei und der Untersuchung der Staatsanwaltschaft besteht (Art. 299 Abs. 1 StPO), hat zum Zweck, den Verdacht auf eine strafbare Handlung abzuklüren. Es müssen ausgehend vom Verdacht, es sei eine Straftat begangen worden, Erhebungen getätigt und Beweise gesammelt werden, um festzustellen, ob ein Strafbefehl zu erlassen, Anklage zu erheben das Verfahren einzustellen ist (Art. 6, 7 Abs. 1, 299 Abs. 2 und 308 StPO). Gemäss Art. 319 Abs. 1 StPO verfügt die Staatsanwaltschaft unter anderem dann die Einstellung des Verfahrens, wenn kein Tatverdacht erhürtet ist, der eine Anklage rechtfertigt (lit. a), kein Straftatbestand erfüllt ist (lit. b) RechtfertigungsGründe einen Straftatbestand unanwendbar machen (lit. c). Bei zweifelhafter Beweisoder Rechtslage hat nicht die Staatsanwaltschaft über die Stichhaltigkeit des strafrechtlichen Vorwurfs zu entscheiden, sondern das zur materiellen Beurteilung zuständige Gericht. Dies bedeutet praktisch aber nicht, dass die Staatsanwaltschaft beweismässig jeglichen Zweifel ausräumen, d.h. jeder Spur und jedem Hinweis nachgehen muss, wenn sie das Verfahren nicht mit Anklage Strafbefehl abschliessen will. Bei unvollständigen, keinen Untersuchungsabschluss im Sinne von Art. 318 StPO rechtfertigenden Beweislagen durch Einstellungen dem Gericht vorzugreifen verbietet indes der Grundsatz in dubio pro duriore (etwa BEK 2018 44 vom 11. Juli 2018 E. 2 m.H.).
a) Die Beschwerdeführerin macht geltend, die Staatsanwaltschaft hätte die durch die Polizei ermittelten unrechtmässigen Handlungen auf der Beweisebene entkröften müssen. In dieser Hinsicht drängt sich eine Prüfung der EinstellungsVerfügung zusätzlich in Bezug auf den bisher Unberücksichtigten Straftatbestand von Art. 87 Abs. 4 AVG i.V.m. Art. 70 IVG auf (vgl. oben E. 2.b). Im Wesentlichen bringt die Beschwerdeführerin in Bezug auf diverse Erwägungen der angefochtenen Verfügung vor, es hätten mehr Zeugen einvernommen werden müssen, um den Sachverhalt, insbesondere die Frage korrekt abzuklüren, inwieweit die Hilfspersonen des Beschuldigten bei Behandlungen begleitet der Kostenersparnis zum eigenen Vorteil willen allein gelassen worden seien (zuletzt vgl. etwa Beschwerde II./6.).
b) Im ersten Polizeibericht sind die DelegationsFälle bzw. die zahnürztlich abgerechneten Tarifpositionen für Arbeiten, die langjöhrige Mitarbeiterinnen ohne entsprechende Ausbildung ausführten, ausgewiesen. Dabei wurde ein Deliktsbetrag von über 3 Mio. als eindeutig eingeschältzt (U-act. 8.0.001 S. 10 ff.). Dieses Ergebnis korrespondiert auf einen ersten Blick ohne Weiteres mit dem zweiten Polizeibericht, wonach der Beschuldigte pro Tag mehr als doppelt so viele Patienten als üblich kieferorthopädisch behandelt haben soll (U-act. 8.0.010). Die unüblich hohe Anzahl behandelter Patienten deutet darauf hin, dass der Beschuldigte eine Vielzahl von Arbeiten weder persönlich erbracht noch kontrolliert haben könnte.
c) Die Staatsanwaltschaft begründete ausführlich, inwiefern dem Beschuldigten nicht nachgewiesen werden könne, durch die Delegation entsprechender Arbeiten gegen sozialversicherungsrechtliche tarifvertragliche Bestimmungen verstossen zu haben. Daher habe er weder die Beschwerdeführerin noch die Patienten, die immer über die Personen, die sie behandelten, im Bilde waren, täuschen können (angef. Verfügung E. 4.5.6). Auch die Behandlungen durch das nicht zahnürztlich ausgebildete Hilfspersonal seien medizinisch indiziert und daher zu den erbrachten Versicherungsleistungen äquivalent gewesen, weshalb es auch an einem Vermögensschaden fehle (ebd. E. 4.5.7). In der Beschwerdevernehmlassung wiederholt die Staatsanwaltschaft die Weisung (KSME Rn. 1203), wonach bei unSelbständig tätigen medizinischen Hilfspersonen die verordnenden ürzte/-innen die Verantwortung bezüglich der fachgerechten Durchführung der Massnahme tragen. Sie hält dazu fest, dass eine Pflicht zur Anweisung im Detail sowie Kontrollen im Einzelfall nirgends ausDrücklich festgeschrieben seien.
d) In tatsächlicher Hinsicht ist mit der zuletzt erwähnten Feststellung nichts gewonnen, kann doch die Verantwortung für eine fachgerechte Behandlung durch Hilfspersonen unter Umständen nur durch die persönliche Anwesenheit, Nämlich nur durch eine Anweisung im Detail bzw. Kontrollen im Einzelfallwahrgenommen werden. Die Staatsanwaltschaft äusserte sich in der angefochtenen Verfügung zu den von der Polizei ermittelten Behandlungstätigkeiten der Hilfspersonen im Einzelnen indes nicht näher, insbesondere nicht zum Ablauf bzw. Ineinandergreifen der durch das Hilfspersonal ausgefährten Arbeiten mit denjenigen Behandlungen, die der Beschuldigte persönlich vornahm (sog. Slots, vgl. etwa U-act. 10.1.05 Rn. 394 ff.). So blieb etwa Ungeklärt, inwiefern der offenkundig vielbeschöftigte Beschuldigte hinreichend Zeit zur Kontrolle der Arbeiten seiner Dentalassistentinnen und Praktikantinnen einsetzte bzw. ob er wie behauptet alles Nätige 100-prozentig kontrollieren konnte (U-act. 10.1.005 Rn. 356 ff.), wenn diese die Patienten permanent fertig machten, damit der Beschuldigte nur kommen und gehen konnte
(U-act. 10.1.001 Nr. 20 ff.). Damit ist vorläufig nicht als hinreichend unwahrscheinlich auszuschliessen, dass der Beschuldigte bei der Durchführung von Behandlungen, die er als Arzt für die IV leistete, seine Stellung zum eigenen Vorteil missbraucht haben könnte, indem er kieferorthopädische Arbeiten an das Hilfspersonal delegierte und zu wenig, unter Umständen ohne die nätige persönliche präsenz, kontrollierte. Im Hinblick auf Art. 87 Abs. 4 AHVG i.V.m. Art. 70 IVG erscheint daher die Beweislage nicht hinreichend geklürt. Die weiteren Klürungen und Allfälligen Beweisabnahmen, deren Umfang und Art und Weise im Ermessen der Staatsanwaltschaft liegen, können auch in Bezug auf die Verwendung des teilweise mutmasslich mehrfach rezyklierten Materials sowie Allfälliger Vermögensdelikte in gleichen Sachverhalten durchaus neue Erkenntnisse ergeben. Deshalb hat die zur Gewährleistung eines gesetzkonformen Vorverfahrens verpflichtete Beschwerdeinstanz (vgl. Keller, SK, 3. A. 2020, Art. 393 StPO N 1a) auch die Einstellung in Bezug auf Betrug in den vorliegenden Beschwerdeentscheid einzubeziehen. Insoweit ist vorläufig auf Folgendes hinzuweisen:
aa) Es erscheint nicht ohne Weiteres ausgeschlossen, dass die kantonalrechtliche Pflicht des Beschuldigten zur persönlichen Leistungserbringung ( 25 GesG) bei der Beurteilung seines Kontrollverhaltens bei Patientenbehandlungen durch sein Hilfspersonal eine Rolle spielen kann. Diese Abläufe unterstehen im Unterschied zu den Abrechnungen mit der Beschwerdeführerin nicht ausschliesslich dem Bundessozialversicherungsrecht.
bb) Ferner fällt in Bezug auf den Betrug durchaus ins Gewicht, dass wovon auch die Staatsanwaltschaft ausgeht durch die inkriminierten Behandlungen auch Jugendliche betroffen sind (vgl. angef. Verfügung E. 4.5.2), was hinsichtlich der Arglist eines möglicherweise täuschenden Verhaltens, sei es in Bezug auf die fehlende ürztliche Behandlung die Verwendung mehrfach rezyklierten Materials, durchaus erheblich sein könnte.
e) Die Staatsanwaltschaft wird weitere Untersuchungshandlungen und Klürungen angesichts der weiterlaufenden Verjährung befürderlich an die Hand nehmen müssen. Dazu drängen sich zurzeit keine Weisungen im Sinne von Art. 397 Abs. 3 StPO auf, zumal es wie gesagt grundsätzlich Sache der Staatsanwaltschaft ist, die erforderlichen Ermittlungen zu bestimmen, und die Beschwerdeinstanz einen neuen Tatbestand aufwirft, den die Staatsanwaltschaft bisher nicht untersuchte.
4. Aus diesen Gründen ist die Beschwerde, soweit auf sie einzutreten ist, gutzuheissen und die angefochtene Verfügung mit Ausnahme der den separaten Sachverhalt der Sterilisationsprotokolle betreffenden Urkundenfälschung aufzuheben. Ausgangsgemäss gehen die Kosten zu Lasten des Staates (Art. 428 Abs. 4 StPO). Dem unterliegenden Beschuldigten ist keine Entschädigung zuzusprechen (e contrario Art. 436 Abs. 2 StPO);-


beschlossen:
1. Die Beschwerde wird, soweit auf sie einzutreten ist, gutgeheissen und die angefochtene Verfügung betreffend die Einstellung wegen mehrfachen Betrugs und Widerhandlungen gegen Art. 87 AHVG i.V.m. Art. 70 IVG aufgehoben.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens von Fr. 1500.00 gehen zu Lasten des Staates.
3. Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit Zustellung nach Art. 78 ff. des Bundesgerichtsgesetzes (BGG) Beschwerde in Strafsachen beim Bundesgericht in Lausanne eingereicht werden. Die Beschwerdeschrift muss den Anforderungen von Art. 42 BGG entsprechen.
4. Zufertigung an die Beschwerdeführerin (1/R), den Verteidiger (2/R) und die Staatsanwaltschaft (2/R, mit den Akten an die 3. Abteilung und 1/R an die Amtsleitung/zentraler Dienst) sowie nach definitiver Erledigung an die Kantonsgerichtskasse (1/, im Dispositiv).
Namens der Beschwerdekammer
Der KantonsgerichtsPräsident

Der Gerichtsschreiber

Versand
17. Januar 2022 kau
Quelle: https://gerichte.sz.ch

Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.

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