Zusammenfassung des Urteils STBER.2020.5: Strafkammer
Das Gericht verhandelt über den Fall eines Beschuldigten, der mehrfache einfache Körperverletzungen begangen hat. Es wird festgestellt, dass der Beschuldigte an einer schweren psychischen Erkrankung leidet, darunter eine hebephrene Schizophrenie. Die Gutachterin empfiehlt eine stationäre therapeutische Behandlung und warnt vor einem hohen Risiko für weitere Gewalthandlungen, insbesondere bei Abbruch der Behandlung. Der Beschuldigte wird zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt und muss eine stationäre Behandlung nach Art. 59 StGB antreten. Die Kosten des Verfahrens und der Behandlung werden dem Beschuldigten auferlegt.
Kanton: | SO |
Fallnummer: | STBER.2020.5 |
Instanz: | Strafkammer |
Abteilung: |
Datum: | 29.04.2020 |
Rechtskraft: |
Leitsatz/Stichwort: | einfache Körperverletzung, mehrfache vers. schwere Körperverletzung, etc. sowie Widerrufsverfahren |
Schlagwörter : | Beschuldigte; Massnahme; Beschuldigten; Urteil; Gericht; Freiheit; Gutachterin; Behandlung; Staat; Gutachten; Massnahmen; Urteils; Recht; Solothurn; Körperverletzung; Freiheitsstrafe; Vollzug; Störung; Anordnung; Gericht; Massnahmenvollzug; Psychiatrische; Berufung; Therapie; Psychiatrischen |
Rechtsnorm: | Art. 10 StPO ;Art. 129 StGB ;Art. 225 StGB ;Art. 42 StGB ;Art. 428 StPO ;Art. 56 StGB ;Art. 59 StGB ;Art. 63 StGB ;Art. 9 BV ; |
Referenz BGE: | 127 IV 1; 128 I 81; 128 IV 247; 129 I 49; 130 I 337; 132 II 257; 133 II 384; 136 II 539; 141 IV 369; 142 IV 1; 145 IV 65; |
Kommentar: | - |
Es wirken mit:
Präsident Marti, Vorsitz
Oberrichter Kiefer
Oberrichterin Hunkeler
Gerichtsschreiber Bachmann
In Sachen
Staatsanwaltschaft, Franziskanerhof, Barfüssergasse 28, Postfach 157, 4502 Solothurn,
Anklägerin
gegen
A.___, amtlich verteidigt durch Rechtsanwalt Alexander Kunz, Gressly Rechtsanwälte,
Beschuldigter und Berufungskläger
betreffend einfache Körperverletzung, Anordnung einer stationären
Es erscheinen zur Verhandlung vor Obergericht:
für die Staatsanwaltschaft: Staatsanwältin C.___ in Begleitung einer Rechtspraktikantin
der Beschuldigte A.___
sein amtlicher Verteidiger Alexander Kunz
zwei Polizisten.
Der Vorsitzende eröffnet die Berufungsverhandlung und gibt die Zusammensetzung des Gerichts bekannt. Es wird festgestellt, dass folgende Teile des erstinstanzlichen Urteils rechtskräftig geworden sind: Vorfrageweise Beschluss-Ziffern 12 (Einstellung des Strafverfahrens wegen einfacher Körperverletzung sowie wegen Fahrens ohne gültigen Fahrausweis), Urteils-Ziffern 12 (Schuldspruch wegen mehrfacher einfacher Körperverletzung und Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten), Urteils-Ziffer 3 (Widerruf Geldstrafe), Urteils-Ziffer 7 (Absehen von der Landesverweisung), Urteils-Ziffern 89 (Genugtuung und Entschädigung des amtlichen Verteidigers).
Die Gutachterin Dr. med. B.___ wird vom Vorsitzenden bereits jetzt auf die Pflicht zur wahrheitsgemässen Aussage hingewiesen.
Der Vorsitzende gibt bekannt, dass das Gericht die Frage der Sicherheitshaft prüfen wird. Die Parteien werden darauf hingewiesen, dass sie sich im Rahmen der Parteivorträge zu diesem Punkt äussern können. Seitens der Parteien werden keine Vorfragen aufgeworfen.
Anschliessend werden der Beschuldigte zur Person und die Gutachterin Dr. med. B.___ als Sachverständige befragt. Für die Aussagen wird auf die separaten Einvernahmeprotokolle und die Tonaufnahme verwiesen.
Es werden keine weiteren Beweisanträge gestellt, weshalb das Beweisverfahren geschlossen werden kann. Die Parteien stellen und begründen folgende Anträge:
Staatsanwältin C.___:
1. Es sei festzustellen, dass das Urteil des Amtsgerichts von Solothurn-Lebern vom 14. Oktober 2019 betreffend die Urteilsziffern 1 bis 3 und 7 bis 11 in Rechtskraft erwachsen ist.
2. Für A.___ sei eine stationäre therapeutische Behandlung nach Art. 59 StGB anzuordnen (evtl. Sicherheitshaft).
3. A.___ sei die erstandene Untersuchungshaft in der Zeit vom 15. November 2016 bis 21. August 2017 bzw. die Freiheitsstrafe aus dem Massnahmenvollzug seit dem 22. August 2017 bis heute an die Freiheitsstrafe bzw. an die stationäre Massnahme anzurechnen.
4. Es sei festzustellen, dass sich A.___ seit dem 22. August 2017 im vorzeitigen Massnahmenvollzug befindet und zur Sicherung des Massnahmenvollzugs darin belassen wird.
5. Die Entschädigung der amtlichen Verteidigung des Beschuldigten A.___, Rechtsanwalt Alexander Kunz, sei durch das erkennende Gericht festzusetzen und zufolge des amtlichen Mandats vom Staat Solothurn zu bezahlen. Es sei weiter zu verfügen, dass der Beschuldigte die entsprechenden Kosten dem Kanton zurückzuerstatten habe, sobald es seine finanziellen Verhältnisse zulassen.
6. Die gemäss Ziff. 11 des Urteils des Amtsgerichts von Solothurn-Lebern vom 14. Oktober 2019 vom Beschuldigten für das erstinstanzliche Verfahren zu bezahlenden (anteilsmässigen) Verfahrenskosten in der Höhe von CHF 13'010.00 sowie die gesamten Kosten für das zweitinstanzliche Verfahren seien dem Beschuldigten A.___ zur Bezahlung aufzuerlegen.
Rechtsanwalt Alexander Kunz:
1. Das Urteil des Amtsgerichts Solothurn-Lebern vom 14. Oktober 2019 (Urteil SLSAG.2019-2-ASLSTE) sei hinsichtlich der Dispositiv-Ziffern 4, 5 und 6 aufzuheben.
2. Für den Berufungskläger sei anstelle einer stationären therapeutischen Behandlung nach Art. 59 StGB eine ambulante Massnahme nach Art. 63 StGB anzuordnen.
3. Die ausgestandene Untersuchungshaft bzw. der Freiheitsentzug aus dem Massnahmenvollzug sei an die ausgefällte Freiheitsstrafe anzurechnen.
4. Für die Überhaft bzw. den Freiheitsentzug aus dem Massnahmenvollzug sei dem Berufungskläger eine angemessene Entschädigung auszurichten.
5. Unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zulasten des Staates Solothurn.
Der Beschuldigte macht vom Recht zum letzten Wort Gebrauch und erklärt, die Delikte, die er begangen habe, täten ihm leid. Er hoffe, dass es früher später zu einer ambulanten Massnahme nach Art. 63 StGB komme.
Damit endet die öffentliche Hauptverhandlung und das Gericht zieht sich zur geheimen Beratung zurück. Die Parteien verzichten auf eine mündliche Urteilseröffnung. Das Urteil wird den Parteien durch den Gerichtsschreiber telefonisch mitgeteilt. Das Urteilsdispositiv wird den Parteien schriftlich zugestellt.
Die Strafkammer des Obergerichts zieht in Erwägung:
I. Prozessgeschichte
1. Die Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn eröffnete am 30. Mai 2016 gegen den Beschuldigten eine Strafuntersuchung wegen Gefährdung des Lebens (Art. 129 StGB), nachdem am 1. März 2016 die Polizei nach Olten an die Industriestrasse hatte ausrücken müssen, wo der Beschuldigte eine Prostituierte während nach dem einvernehmlichen Geschlechtsverkehr gewürgt habe (AS 1 ff.; 205 f.).
2. Am 16. November 2016 und 31. Januar 2017 erfolgten zwei weitere Strafanzeigen wegen diverser Vorhalte vom 16. Juli/6. September 2016 (AS 139 ff.) sowie vom 14. November 2016 (AS 168 ff.).
3. Mit Verfügung vom 18. November 2016 ordnete das Haftgericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft für die Dauer von drei Monaten Untersuchungshaft an (AS 331 f.).
Am 27. Dezember 2016 wurde der Beschuldigte in die Bewachungsstation des Inselspitals Bern verlegt (AS 347).
4. Am 20. Februar 2017/ 26. April 2017 und 22. Mai 2017 verlängerte das Haftgericht die Untersuchungshaft jeweils um drei Monate bzw. um einen Monat (AS 359 f.; 385 f.; 402 f.).
Der Beschuldigte hielt sich vom 16. März 2017 bis am 6. November 2017 auf der Forensisch-Psychiatrischen Station [...] der Universitären Psychiatrischen Dienste Bern (UPD) auf (AS 473 ff.).
5. Am 6. Juli 2017 erliess die Staatsanwaltschaft eine konkretisierte und am 5. September 2017 eine bereinigte Eröffnungsverfügung (AS 315 ff.; 317.45 ff.).
6. Am 17. August 2017 stellte der Beschuldigte den Antrag auf Antritt des vorzeitigen Massnahmenvollzugs, den die Staatsanwaltschaft mit Verfügung vom 22. August 2017 bewilligte (AS 413.13 und 413.25).
Der Beschuldigte wurde in der Folge am 6. November 2017 im Rahmen einer Zwischenplatzierung in die Justizvollzugsanstalt [Ort] versetzt (AS 413.58 f.; 413.61).
7. Am 5. Januar 2018 erstellte die Staatsanwaltschaft die Anklageschrift und überwies die Akten an das Strafgericht Solothurn-Lebern (AS 317.90 ff.). Mit Beschluss vom 20. April 2018 wies das Amtsgericht Solothurn-Lebern die ihm von der Staatsanwaltschaft zur Beurteilung überwiesenen Akten zur Ergänzung der Untersuchung an diese zurück (AS 317.83 ff.).
8. Am 25. September 2018 wurde der Beschuldigte in die Klinik für Forensische Psychiatrie [ ] versetzt (AS 413.64.1 ff.).
9. Mit Verfügung vom 14. November 2018 stellte die Staatsanwaltschaft die Strafuntersuchung betreffend der Vorhalte vom 16. Juli/6. September 2016 (Strafanzeige vom 16. November 2016) ein (AS317.202 ff.).
10. Die Anklageschrift datiert vom 20. Dezember 2018 (AS 1 ff.).
11. Am 14. Oktober 2019 fällte das Amtsgericht Solothurn-Lebern das folgende Urteil (S-L 126 ff.):
beschlossen:
1. Das Strafverfahren gegen A.___ wegen einfacher Körperverletzung, angeblich begangen am 1. März 2016, ist zufolge Rückzugs des Strafantrags eingestellt.
2. Das Strafverfahren gegen A.___ wegen Fahrens ohne gültigen Fahrausweis, angeblich begangen am 7. April 2016, ist zufolge Eintritts der Verfolgungsverjährung eingestellt.
und in Anwendung der Art. 123 Ziff. 1 Abs. 1 StGB, Art. 19 Abs. 2, Art. 40, Art. 46 Abs. 1, Art. 47, Art. 51, Art. 59, Art. 66abis StGB, Art. 82 Abs. 1 und 2, Art. 122 ff., Art. 135, Art. 335 ff., Art. 416 ff. StPO, § 146, § 158 GT
festgestellt und erkannt:
1. A.___ hat sich der mehrfachen einfachen Körperverletzung, begangen am 14. November 2016, schuldig gemacht.
2. A.___ wird verurteilt zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten.
3. Der A.___ mit Urteil der Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn vom 17. November 2015 bedingt gewährte Vollzug für eine Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je CHF 30.00 ist widerrufen und die Geldstrafe wird als vollstreckbar erklärt.
4. Für A.___ wird eine stationäre therapeutische Behandlung nach Art. 59 StGB angeordnet.
5. A.___ sind 1064 Tage Untersuchungshaft bzw. Freiheitsentzug aus dem Massnahmenvollzug an die Freiheitsstrafe bzw. an die stationäre Massnahme angerechnet.
6. Es wird festgestellt, dass sich A.___ seit dem 22. August 2017 im vorzeitigen Massnahmenvollzug befindet und zur Sicherung des Massnahmenvollzugs darin belassen wird.
7. Von einer Landesverweisung wird abgesehen.
8. A.___ wird bei seiner Anerkennung behaftet, F.___ CHF 1000.00 als Genugtuung zu bezahlen.
9. a) Die Entschädigung des amtlichen Verteidigers von A.___, Rechtsanwalt Alexander Kunz, wird inkl. 4 ½ h Hauptverhandlung und Nachbearbeitung auf CHF 27'958.30 (Honorar CHF 24'534.00, Auslagen CHF 1'399.40 und 7.7 bzw. 8 % Mehrwertsteuer CHF 2'024.90) festgesetzt und ist zufolge amtlicher Verteidigung vom Staat zu bezahlen. Vorbehalten bleibt der Rückforderungsanspruch des Staates während 10 Jahren im Umfang von 2/3 entsprechend CHF 18'638.85 sowie der Nachzahlungsanspruch des amtlichen Verteidigers im Umfang von 2/3 entsprechend CHF 4'897.95 (Differenz zum vollen Honorar à CHF 230.00 pro Stunde [mangels Honorarvereinbarung kann der geltend gemachte Stundenansatz von CHF 250.00 praxisgemäss nicht gewährt werden]), sobald es die wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschuldigten erlauben.
b) Es wird festgestellt, dass die Zentrale Gerichtskasse dem amtlichen Verteidiger bereits CHF 7'500.00, CHF 2'572.00 und CHF 9'000.00 überwiesen hat, so dass ihm noch die Differenz von CHF 8'886.30 auszubezahlen ist.
10. Das Amtsgericht verzichtet auf eine schriftliche Begründung des Urteils, wenn keine Partei ein Rechtsmittel ergreift innert 10 Tagen seit Zustellung der Urteilsanzeige niemand ausdrücklich eine schriftliche Begründung verlangt.
11. Die Kosten des Verfahrens mit einer Staatsgebühr von CHF 6000.00, total CHF 19'515.00, sind wie folgt durch den Beschuldigten zu bezahlen bzw. durch den Staat Solothurn zu übernehmen:
- A.___: 2/3 entsprechend CHF 13'010.00;
- Staat Solothurn: 1/3 entsprechend CHF 6'505.00.
Wird kein Rechtsmittel ergriffen und verlangt keine Partei ausdrücklich eine schriftliche Begründung des Urteils, so reduziert sich die Staatsgebühr um CHF 1'000.00, womit die gesamten Kosten CHF 18'515.00 betragen und wie folgt zu bezahlen sind:
- A.___: 2/3 entsprechend CHF 12'343.35;
- Staat Solothurn: 1/3 entsprechend CHF 6'171.65.
12. Mit Eingabe vom 31. Oktober 2019 meldete der Beschuldigte gegen das Urteil die Berufung an (S-L 137).
Gemäss Berufungserklärung vom 27. Januar 2020 richtet sich die Berufung gegen folgende Ziffern des erstinstanzlichen Urteils:
- Ziff. 4: Anordnung einer stationären Massnahme gemäss Art. 59 StGB;
- Ziff. 5: Anrechnung von 1'064 Tagen Untersuchungshaft an die Freiheitsstrafe bzw. den Massnahmenvollzug;
- Ziff. 6: Feststellung und Aufrechterhaltung des vorzeitigen Massnahmenvollzuges.
Beantragt wird die Ausfällung einer Freiheitsstrafe und die Anordnung einer ambulanten Massnahme gemäss Art. 63 StGB. Die ausgestandene Untersuchungshaft und der vorzeitige Massnahmenvollzug seien an die Freiheitsstrafe anzurechnen und der Beschuldigte sei für die ausgestandene Überhaft zu entschädigen.
13. Die Staatsanwaltschaft reichte gegen das Urteil kein Rechtsmittel ein.
14. Die Hauptverhandlung vor dem Obergericht fand am 29. April 2020 statt. Anlässlich dieser Verhandlung wurde die psychiatrische Gutachterin als Sachverständige befragt.
15. Am 19. Mai 2020 wurde den Parteien die berichtigte Urteilsanzeige zugestellt.
II. Die rechtskräftigen Schuldsprüche
Der Beschuldigte wurde mit Urteil des Amtsgerichts Solothurn-Lebern vom 14. Oktober 2019 wie folgt schuldig gesprochen:
Vorfall vom 14. November 2016
Die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft vom 20. Dezember 2018 hält dem Beschuldigten folgenden Sachverhalt vor:
Anklagschrift Ziff. 2: Mehrfache versuchte schwere Körperverletzung, evtl. mehrfache einfache Körperverletzung):
a) begangen am 14. November 2016, zwischen ca. 05:15 und 05:30 Uhr, in [...], Psychiatrische Klinik, zum Nachteil von D.___ (Patient und Zimmernachbar des Beschuldigten in der Psychiatrischen Klinik), indem der Beschuldigte D.___ fünfbis sechsmal mit den Fäusten ins Gesicht schlug sowie mit dem Fuss in den Bauch trat, wodurch dieser eine arge und bleibende Entstellung des Gesichtes des Geschädigten und/oder eine andere schwere Schädigung der körperlichen Gesundheit des Geschädigten zumindest in Kauf nahm, zumal es in Anbetracht der Art, Anzahl und Intensität der Tathandlungen in erregtem Zustand - nur dem Zufall zuzuschreiben ist, dass keine bleibende Entstellung des Gesichtes des Geschädigten und/oder keine andere schwere Schädigung der körperlichen Gesundheit des Geschädigten eingetreten ist.
Der Geschädigte erlitt gemäss Arztbericht [ ] Dr. med. E.___, vom 21. November 2016 eine Jochbeinkontusion rechts.
b) begangen am 14. November 2016, zwischen ca. 05:15 und 05:30 Uhr, in [...], Psychiatrische Klinik, zum Nachteil von F.___ (Pflegefachmann in der Psychiatrischen Klinik), indem der Beschuldigte dem Geschädigten, nachdem dieser sich zwischen den Beschuldigten und D.___ stellte, zweimal mit der geballten Faust ins Gesicht schlug, wodurch dieser eine arge und bleibende Entstellung des Gesichtes des Geschädigten und/oder eine andere schwere Schädigung der körperlichen Gesundheit des Geschädigten zumindest in Kauf nahm, zumal es in Anbetracht der Art, Anzahl und Intensität der Tathandlungen in erregtem Zustand - nur dem Zufall zuzuschreiben ist, dass keine bleibende Entstellung des Gesichtes des Geschädigten und/oder keine andere schwere Schädigung der körperlichen Gesundheit des Geschädigten eingetreten ist.
Der Geschädigte erlitt gemäss eigenen Angaben einen Nasenbeinbruch sowie ein Hämatom am linken Auge und war gemäss Arztzeugnis des [Spitals], Dr. med. G.___ (Chefarzt Klinik für Hals-, Nasen-, Ohrenheilkunde), vom 14. November 2016 bis 19. November 2016 arbeitsunfähig.
Die Vorinstanz erachtete den vorgehaltenen Sachverhalt gemäss Anklageschrift als erstellt. In rechtlicher Hinsicht qualifizierte sie das Vorgehen des Beschuldigten jeweils als einfache Körperverletzung und sprach ihn deshalb der mehrfachen Tatbegehung i.S. von Art. 123 Ziff. 1 Abs. 1 StGB schuldig.
III. Die rechtskräftige Strafzumessung
1. Das Amtsgericht Solothurn-Lebern führte zur Strafzumessung Folgendes aus (Urteil S. 26 ff.):
«2.2.1 Einsatzstrafe für die einfache Körperverletzung zum Nachteil von D.___ (Anklageschrift Ziff. 2 a)
Bei der Strafzumessung ist vorerst zu beachten, dass sich die objektive Tatschwere nach dem Erfolg der Tat sowie der Art und Weise der Herbeiführung des Erfolgs bemisst. Hierzu ist festzuhalten, dass D.___ bei dem Übergriff auf ihn noch relativ glimpflich davon kam. Er erlitt nach seinen Aussagen sowie gestützt auf den Arztbericht des [Spitals] vom 21. November 2016 nebst einem vorübergehenden Nasenbluten und gewissen Schmerzen «nur» eine Jochbeinkontusion rechts. Der eingetretene Erfolg stellt, wie im Rahmen der rechtlichen Würdigung erläutert, eine einfache Körperverletzung dar. D.___ wurde direkt nach dem Übergriff auf die Notfallstation des [Spital] gebracht, konnte allerdings noch am selben Tag wieder in die stationäre psychiatrische Therapie zurückverlegt werden, da eine Fraktur ausgeschlossen werden konnte (Akten 188 f). D.___ befand sich zu keinem Zeitpunkt in einer unmittelbaren Lebensgefahr und obwohl eine durch eine andere Person zugefügte Körperverletzung am Opfer zweifellos nicht spurlos vorbeigehen kann und sicherlich einen gewissen Schock auslöst, gibt es im vorliegenden Fall keine Anhaltspunkte für eine nachhaltige traumatisierende Wirkung. Es bestehen insofern keine schwerwiegenden Folgen der Körperverletzung und das Ausmass des verschuldeten Erfolgs kann auch mit Blick auf andere Körperverletzungsfälle noch als leicht eingestuft werden. Bezüglich der Art und Weise der Herbeiführung des Erfolgs imponiert insbesondere das mehrmalige, gezielte Zuschlagen mit der Faust gegen den Kopf bzw. das Gesicht von D.___. Nach dem Beweisergebnis ist erstellt, dass der Beschuldigte insgesamt fünfbis sechsmal gegen den Kopf von D.___ schlug. A.___ muss sich überdies vorwerfen lassen, dass er auch nach dem Eingreifen von F.___ nicht aufhörte mit den Schlägen. Vielmehr griff er auch den Pfleger (grundlos) an und versetzte, nachdem er F.___ geschlagen hatte, D.___ erneut einen Faustschlag. Diese Vorgehensweise lässt auf eine nicht unbeachtliche kriminelle Energie und Gewaltbereitschaft schliessen. D.___ war an jenem Morgen gemäss eigenen Aussagen zwar in guter körperlicher Verfassung, dennoch gilt es zu berücksichtigen, dass der Übergriff für ihn völlig unerwartet kam.
Insgesamt ist unter Berücksichtigung des Ausmasses des verschuldeten Erfolgs und der Art und Weise der Herbeiführung des Erfolgs von einer für eine einfache Körperverletzung mittelschweren objektiven Tatschwere auszugehen, was konkret einer Strafe im mittleren Drittel des Strafrahmens, also Freiheitsstrafe von 13 Monaten bis 24 Monate, entspricht.
In subjektiver Hinsicht handelte A.___ mit direktem Vorsatz und zeigte Hartnäckigkeit, indem er fünfbis sechsmal auf D.___ einschlug. Die Beweggründe für seine Tat waren rein egoistischer Natur: A.___ explodierte förmlich, als sein Zimmergenosse am frühen Morgen das Licht einschaltete und ihm (A.___) dies nicht bekam. Zwischen der erheblichen Gewaltanwendung und dem Beweggrund besteht ein massives Missverhältnis insbesondere auch, weil der Beschuldigte aufgrund dieses nichtigen Anlasses nicht nur D.___, sondern auch noch F.___, der nur schlichten wollte, massiv angriff. A.___ ist daher eine nicht unerhebliche Skrupellosigkeit zu attestieren. Sein eigenwilliges und rücksichtsloses Vorgehen zeugt von einer nicht unerheblichen Intensität des deliktischen Willens. Immerhin ist dem Beschuldigten zugute zu halten, dass er die Tat nicht plante, sondern er spontan und unüberlegt, aus einem momentanen Affekt heraus handelte. Die Intensität des deliktischen Willens und die Beweggründe wirken sich insgesamt in leichtem Ausmass verschuldenserhöhend aus.
Insgesamt ist unter Würdigung des subjektiven Tatverschuldens und unter Berücksichtigung der objektiven Tatschwere immer noch von einem mittelschweren Verschulden auszugehen, dies aber eher im oberen Bereich des mittleren Drittels des Strafrahmens, weshalb die Einsatzstrafe dort anzusiedeln ist. Eine Einsatzstrafe von 22 Monaten wird zur Abgeltung des Tatverschuldens als angemessen erachtet.
A.___ ist durch seine Delinquenz wesentlich von der Norm abgewichen und die Taten wären vermeidbar gewesen. In diesem Zusammenhang liegen allerdings Anhaltspunkte vor, dass er sich aufgrund innerer Umstände nicht rechtskonform verhalten konnte, wird ihm doch im psychiatrischen Gutachten vom 20. Januar 2017 sowie im Ergänzungsgutachten vom 29. November 2018 eine erhebliche Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit und damit verbunden eine in einem mittleren Mass verminderte Schuldfähigkeit attestiert (Akten 460, 472.8 f.) Aufgrund dessen reduziert sich das Tatverschulden auf ein leichtes Verschulden. Die Einsatzstrafe wird deshalb auf 11 Monate Freiheitsstrafe reduziert.
2.2.2 Asperation für die einfache Körperverletzung zum Nachteil von
Bezüglich der Tatkomponente des Ausmasses des verschuldeten Erfolgs ist festzuhalten, dass es F.___ etwas schlimmer traf als D.___. Zwar wurde er im Gegensatz zu D.___ «nur» zweimal von A.___ geschlagen. Allerdings erlitt er nach seinen Aussagen sowie gestützt auf den Arztbericht des [Spital] vom 15. November 2016 durch die Faustschläge einen Nasenbeinbruch sowie ein Hämatom am linken Auge. Es ist ausserdem aktenkundig, dass er gemäss Arztzeugnis des [Spitals] eine Woche zu 100 % arbeitsunfähig war (Akten 187, 189.2 f.). F.___ berichtete im Rahmen seiner letzten Einvernahme ausserdem davon, dass es immer wieder Phasen gab, in welchen er so angespannt gewesen sei, dass er nicht mehr richtig habe sprechen können und gezittert habe. Der eingetretene Erfolg stellt zwar wie vorstehend erläutert ebenfalls eine einfache Körperverletzung dar. Die Verletzungen von F.___ können allerdings sicher nicht mehr als leicht bezeichnet werden. Nichtsdestotrotz befand sich auch F.___ zu keinem Zeitpunkt in einer unmittelbaren Lebensgefahr. Zu erwähnen ist ausserdem, dass F.___ völlig unbeteiligt war bzw. nur zwischen A.___ und D.___ schlichten wollte, was dem Beschuldigten wiederum nicht bekam und er aus diesem Grund seinem Ärger freien Lauf liess. Aufgrund des sehr engen sachlichen, zeitlichen und örtlichen Zusammenhangs der einfachen Körperverletzungen sowohl D.___ als auch F.___ gegenüber, kann ansonsten vollumfänglich auf das unter IV. Ziffer 2.2.1 vorstehend Erläuterte verwiesen werden.
In Anbetracht sämtlicher der genannten Faktoren wiegt das Verschulden auch hier mittelschwer. Aufgrund der in mittlerem Ausmass verminderten Schuldfähigkeit wird dieses Verschulden auch hier auf ein leichtes Verschulden reduziert. Das Gericht erachtet eine Asperation um sechs Monate als angemessen, was ohne Berücksichtigung der Täterkomponente eine Freiheitsstrafe von 17 Monaten zur Folge hat.
2.3 Täterkomponente
Aus den Akten geht hervor, dass A.___ als einziges gemeinsames Kind seines italienisch-stämmigen und in der Schweiz aufgewachsenen Vaters und seiner aus der Dominikanischen Republik stammenden Mutter am 8. Juni 1996 in Solothurn geboren wurde. Er ist somit heute 23 Jahre alt. Seine Mutter brachte eine fünf Jahre ältere Halbschwester in die Beziehung ein, mit der der Beschuldigte bis 2006 aufwuchs. Aus nachgängigen Beziehungen der Eltern hat er ausserdem zwei Halbbrüder auf Seiten der Mutter (ca. 2008 und 2011 geboren) und einen Halbbruder auf Seiten des Vaters (ca. 2009 geboren). Seine Mutter litt, zumindest im Jahr 2006, unter Depressionen und musste ärztlich behandelt werden. Sein Vater war abhängig von Heroin und dealte mit Drogen, weshalb er von 1990 bis 1994 und von Ende 1997 bis 2000 im Rahmen gerichtlich angeordneter Massnahmen institutionell behandelt wurde. Die Eltern trennten sich 2001 und der Beschuldigte lebte in der Folge zusammen mit der Halbschwester bei der Mutter. 2006 wurde gerichtlich verfügt, dass der Vater das Aufenthaltsbestimmungsrecht für A.___ erhält.
Die Entwicklung des Beschuldigten verlief, ausser einer Verzögerung im Spracherwerb, unauffällig und auch im Kindergarten gab es zunächst keine Auffälligkeiten. Nach der Einschulung in die Primarschule aber fiel A.___ mit Verhaltensstörungen und Streitigkeiten mit anderen Kindern auf. In dieser Zeit wurde er vom Hausarzt mit einem Antidepressivum behandelt. Seine schulischen Leistungen waren aber noch so gut, dass er die Oberstufe auf dem Sekundarschulniveau absolvieren konnte. Nach dem Schulabschluss begann er mit einer Lehre bei der Firma J.___, die aber nach Beginn des 2. Lehrjahres von Seiten des Arbeitgebers gekündigt wurde, da sich A.___ nicht mehr konzentrieren konnte und in der Arbeitsausführung unzuverlässig wurde. Seither blieb der Beschuldigte ohne Beschäftigungsverhältnis. Im Umgang mit anderen Kindern fiel der Beschuldigte wie bereits erwähnt schon im Kleinkindesalter durch Aggressivität und einem Hang zu Streitigkeiten auf, was im Jahr 2000 zu einer Anmeldung im Kinder- und Jugendpsychiatrischen Dienst führte. Auch in späteren Jahren hatte A.___ Mühe im Umgang mit Gleichaltrigen, Freundschaften konnte er nur schlecht schliessen. Entsprechend verfügt er auch heute nicht über ein soziales Netz Gleichaltriger. Seine letzte Freundin trennte sich von ihm, weil er sie geschlagen haben soll. 2006 wurde A.___ logopädisch behandelt, weil er mit einem «tonischen» Stottern auffiel. 2008 bis 2010 suchten sein Vater und er Unterstützung zur Verbesserung ihrer Beziehung im Kinder- und Jugendpsychiatrischen Dienst. A.___ fiel damals mit einer ADHS-Problematik auf, eine medikamentöse Behandlung wurde aber vom Vater abgelehnt. 2011 erfolgte eine Gefährdungsmeldung an die zuständige Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB), da es mit dem Vater wiederholt zu tätlichen Auseinandersetzungen kam und A.___ seinen Vater zuletzt mit einem Samuraischwert bedrohte. Massnahmen hatte die Meldung aber keine zur Folge. Nach wiederholten Meldungen seitens des Vaters aufgrund erneuter Tätlichkeiten wurde A.___ schliesslich in einer betreuten Wohngruppe platziert, wo er aber wegen seiner Verhaltensauffälligkeiten bald nicht mehr tragbar war. 2014 war der Beschuldigte vorübergehend im Aufnahmeheim Basel platziert, wo er damit auffiel, dass er teilweise sehr wirre Geschichten erzählte, oft angespannt und überfordert war, seine Selbstwahrnehmung erheblich von der Fremdwahrnehmung abwich und er gar nicht bemerkte, wenn er bedrohlich auf andere wirkte. Zudem wurde A.___ 2014, 2015 (zweimal) und 2016 in der Psychiatrischen Klinik [ ] stationär behandelt. In allen vier Fällen wurde er von der zuständigen KESB per FU in die Klinik eingewiesen, in drei Fällen, da er sich zuvor fremdaggressiv verhalten hatte. Im Juni 2015 stürzte sich A.___ aus bis heute nicht restlos geklärten Gründen aus dem Fenster seines Zimmers und zog sich dabei ein schweres Schädel-Hirn-Trauma mit intracerebralen Blutungen und mehreren Schädelbrüchen zu. Strafrechtlich trat A.___ ab dem 13. Lebensjahr wiederholt mit einerseits «aggressiven Eigentumsdelikten» i.S.v. Sachbeschädigungen sowie Tätlichkeiten gegenüber Menschen, mit denen er in Beziehung stand, andererseits mit Übertretungen des Betäubungsmittelgesetzes in Erscheinung. Mit 15 Jahren begann der Beschuldigte mit dem Konsum von Nikotin-Zigaretten. 16-jährig nahm er den Konsum von Cannabis auf. Der Beschuldigte ist bereits mehrfach im Strafregister verzeichnet (vgl. zum Ganzen Akten 432 ff.). Mit Urteil der Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn vom 17. November 2015 wurde der Beschuldigte zuletzt wegen mehrfachen Tätlichkeiten sowie mehrfacher Beschimpfung zu einer bedingten Geldstrafe verurteilt, wobei die Probezeit auf zwei Jahre festgesetzt wurde. Im März, April und November 2016 beging A.___ die ihm in der Anklageschrift vom 20. Dezember 2018 vorgeworfenen Delikte, womit er also während laufender Probezeit wieder delinquierte. Am 6. November 2017 trat A.___ im Rahmen des Vollzugs einer stationären Massnahme nach Art. 59 StGB in die JVA [ ] ein und wurde am 25. September 2018 in Fortsetzung dieser Massnahme in eine Klinik der PDAG versetzt, wo er sich seither aufhält (s. Therapieverlaufsbericht der PDAG vom 7. Oktober 2019).
Aus diesem kurzen Abriss der Lebensgeschichte von A.___ geht hervor, dass er bereits in jungen Jahren mit psychischen Problemen zu kämpfen hatte und in die Drogensucht abrutschte. Insbesondere die psychischen Probleme und die mit diesen einhergehenden Verhaltensauffälligkeiten erschwerten die ohnehin wohl nicht ganz einfachen Familienverhältnisse noch zusätzlich. Die Krankheitsgeschichte des Beschuldigten dürfte demnach auch einen grossen Einfluss auf seinen unsteten Lebensweg gehabt haben, was zu seinen Gunsten zu berücksichtigen ist. Sein Vorleben wird allerdings durch die vielen einschlägigen Vorstrafen und das Delinquieren während der Probezeit sehr stark belastet. Dies führt zu einer markanten Straferhöhung, welche allerdings durch die schwierige Jugend von A.___ etwas abgefedert wird. Das Vorleben wirkt sich demnach leicht straferhöhend aus.
A.___ machte im gesamten Strafverfahren von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch. Dies ist sein gutes Recht, aufgrund der fehlenden Mitwirkung und Kooperation kann der Beschuldigte hieraus aber auch nichts zu seinen Gunsten ableiten. Die Taten wurden von der Verteidigung zwar nicht bestritten, da der Beschuldigte aber die Aussage verweigerte, bekommt er keinen Geständnisrabatt. Auch ist beim Beschuldigten keine echte Reue ersichtlich.
Immerhin ist dem Therapieverlaufsbericht der PDAG vom 7. Oktober 2019 zu entnehmen, dass A.___ den Alltag in der Klinik recht gut meistert. Die Integration habe sich komplikationslos gestaltet und A.___ arbeite seinen Möglichkeiten entsprechend mit den Therapeuten zusammen. Er zeige derzeit eine gute Compliance bei der Medikamenteneinnahme, halte sich an Abmachungen, finde sich meistens pünktlich zu allen Terminen ein und zeige sich freundlich und kooperativ. Das positive Verhalten im Vollzug führt allerdings nicht zu einer Strafminderung, da dies als normal gelten und vorausgesetzt werden kann.
Die Verbüssung einer Freiheitsstrafe ist für jeden Beschuldigten mit einer gewissen Härte verbunden. Nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung darf diese Konsequenz als unmittelbare gesetzmässige Folge jeder Sanktion deshalb nur bei Vorliegen aussergewöhnlicher Umstände erheblich strafmindernd wirken (BGer 6B_470/2009 vom 23. November 2009 E. 2.5 mit Hinweisen). Solche aussergewöhnlichen Umstände sind vorliegend nicht ersichtlich und werden auch nicht geltend gemacht. Die Strafempfindlichkeit von A.___ bewegt sich im üblichen Rahmen.
Insgesamt sind die täterbezogenen Kriterien des Beschuldigten leicht straferhöhend zu bewerten, weshalb die festgelegte Freiheitstrafe um drei Monate erhöht wird. Strafmindernd ist dann aber wieder die schon in der Verfügung vom Haftgericht des Kantons Solothurn vom 7. August 2018 festgestellte lange Verfahrensdauer zu berücksichtigen, und zwar mit einer Strafminderung von zwei Monaten. Im Ergebnis führt dies zu einer Freiheitstrafe von 18 Monaten.»
2. Das Amtsgericht verneinte gestützt auf die Aussagen im psychiatrischen Gutachten vom 20. Januar 2017 die Voraussetzungen für die Gewährung des bedingten Strafvollzuges gemäss Art. 42 Abs. 1 StGB. Im Weiteren widerrief das Amtsgericht den dem Beschuldigten mit Strafbefehl vom 17. November 2015 gewährten bedingten Strafvollzug für eine Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je CHF 30.00, nachdem der Beschuldigte während der mit diesem Strafbefehl gewährten Probezeit wiederum delinquiert hatte.
IV. Die medizinischen Berichte
A. Das psychiatrische Gutachten vom 20. Januar 2017
1. Im Auftrag der Staatsanwaltschaft erstellte Dr. med. B.___, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, Spez. Forensische Psychiatrie und Psychotherapie, ein psychiatrisches Gutachten, welches sie am 20. Januar 2017 vorlegte (AS 429 ff.). Das Gutachten stützt sich auf die Strafakten sowie ein kinder- und jugendforensisches Gutachten vom 3. November 2014, die Krankengeschichte der Psychiatrischen Dienste Solothurn und mehrere Explorationen des Beschuldigten während insgesamt 3 Stunden.
2. Die Gutachterin erhob vorerst die persönliche und medizinische Anamnese des Beschuldigten, welche die Vorinstanz bei der Strafzumessung unter dem Titel «Täterkomponenten» wiedergab (vgl. oben Ziff. III.).
3. Der Beschuldigte wurde vom 23. Mai 2014 6. Juni 2014 erstmals in der Psychiatrischen Klinik [ ] stationär behandelt, nachdem er von der KESB wegen fremdaggressiven Verhaltens gegenüber seinem Vater und dessen Freundin eingewiesen worden war. In den Jahren 2015/2016 erfolgten weitere stationäre Aufenthalte in der Psychiatrischen Klinik [ ], wiederum wegen fremdaggressiven Verhaltens und in einem Fall, weil er sich auf einer betreuten Wohngruppe nicht an die Regeln gehalten und Cannabis konsumiert hatte.
Der Beschuldigte wurde letztmals am 9. September 2016 unter dem Titel Fürsorgerische Unterbringung (FU) in die Psychiatrische Klinik [...] eingewiesen. Am 4. November 2016 ordnete die zuständige Ärztin eine medikamentöse Zwangsbehandlung des Beschuldigten an, da deutliche Hinweise auf Erkrankungen aus dem schizophrenen Formenkreis mit dringendem Verdacht auf Schizophrenie mit wahnhaftem Erleben bestünden. Eine gegen diese Behandlung erhobene Beschwerde des Beschuldigten wies das Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn mit Urteil vom 16. November 2016 ab (AS 253 ff.).
Der stationäre Aufenthalt endete am 15. November 2016, nachdem der Beschuldigte in der Psychiatrischen Klinik die vom Amtsgericht beurteilten einfachen Körperverletzungen begangen hatte. Er wurde in der Folge in das Untersuchungsgefängnis Olten verlegt. Mit Entscheid vom 26. Dezember 2016 ordnete die KESB [ ] per 27. Dezember 2016 die Verlegung des Beschuldigten unter dem Titel der Fürsorgerischen Unterbringung in die Bewachungsstation des Inselspital Bern an (AS 263 ff.).
4. Im psychiatrischen Gutachten wird das von den Dres. H.___ und I.___, [ ], erstellte Gutachten vom 3. November 2014 zitiert, gemäss welchem der Beschuldigte im damaligen Zeitpunkt unter einer polymorphen psychotischen Störung gelitten habe, welche am ehesten auf einen Missbrauch von Cannabis zurückzuführen gewesen sei. Zudem habe der Beschuldigte unter einem ADHS mit Impulsivität bei Frustrationen gelitten. Es sei ein hohes Rückfallrisiko für Delikte gegen Leib und Leben im Sinne von Tätlichkeiten, Körperverletzungen und Drohungen sowie von Eigentumsdelikten (Sachbeschädigungen) und von Drogendelinquenz festgestellt worden. Der Beschuldigte sei als dringend massnahmebedürftig i.S. einer ambulanten psychotherapeutischen Behandlung, kontrollierter Drogenabstinenz und einer Unterbringung beurteilt worden.
5. Die Gutachterin bejaht auch für den Untersuchungszeitraum die Diagnose eines ADHS, welches auf Grund der mit der Erkrankung verbundenen Impulsivität forensische Relevanz habe und im Rahmen einer eventuellen Therapie berücksichtigt werden müsse. Die Gutachterin diagnostiziert beim Beschuldigten zudem eine Störung des Sozialverhaltens, welche sich auszeichne durch ein sich wiederholendes und anhaltendes Muster dissozialen, aggressiven und aufsässigen Verhaltens (z.B. extremes Mass an Streiten Tyrannisieren, ungewöhnlich häufige und schwere Wutausbrüche, erhebliche Destruktivität gegenüber Eigentum). In Kombination mit dem ADHS liege eine hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens vor (ICD-10:F90.1). Diese Störung liege beim Beschuldigten seit seiner frühen Kindheit vor.
Im Weiteren diagnostiziert die Gutachterin eine Abhängigkeit von Cannabinoiden (ICD-10:F12) bei Steigerung der konsumierten Menge, Fortsetzen des Konsums trotz klar deklarierter psychischer Folgeschäden und Fortsetzen des Konsums auch unter geschützten Bedingungen.
Von der Gutachterin wird weiter die Diagnose einer hebephrenen Schizophrenie, kontinuierlicher Verlauf (ICD-10:F20.10) gestellt. In den letzten zwei Jahren seien beim Beschuldigten folgende Symptome dokumentiert, welche zur Bejahung der Diagnose führten:
- Neologismen, Gedankenabreissen Einschiebungen in den Gedankenfluss, was zur Zerfahrenheit Danebenreden führe;
- Negative Symptome wie auffällige Apathie, Sprachverarmung, verflachte inadäquate Affekte.
Beim Beschuldigten stünden affektive Veränderungen im Vordergrund und Wahnvorstellungen und Halluzinationen träten flüchtig und bruchstückhaft auf. Das Verhalten sei verantwortungslos und unvorhersehbar und Manierismen seien häufig. Die Stimmung sei flach und unangemessen, das Denken desorganisiert und die Sprache zerfahren. Der Beschuldigte neige dazu, sich sozial zu isolieren. Die Erkrankung werde durch den Konsum von Cannabinoiden verstärkt. Die schizophrene Störung stelle eine schwere psychische Störung dar.
Schliesslich wird von der Gutachterin ein Zustand nach Schädel-Hirn-Trauma im Juni 2015 (Sturz aus dem Fenster) mit Verdacht auf neuropsychologische Folgeschäden beschrieben.
Die Gutachterin bejaht einen Zusammenhang zwischen der Erkrankung des Beschuldigten und den ihm vorgehaltenen Taten. Auf Grund der Schwere der Störungen des Beschuldigten sei die Steuerungsfähigkeit im Tatzeitpunkt in mittlerem Mass eingeschränkt gewesen.
6. Bei der Beurteilung der Legalprognose kam die Gutachterin unter Anwendung der Prognoseinstrumente VRAG und HCR-20 sowie unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Beschuldigte im Verlauf des Strafverfahrens und der Begutachtung mit erheblicher Gewaltbereitschaft und -anwendung aufgefallen sei, zum Schluss, dass ein sehr hohes Risiko für weitere Gewalthandlungen vorliege.
Die Gutachterin empfiehlt deshalb die Durchführung einer stationären Massnahme gemäss Art. 59 StGB in einer forensisch psychiatrischen Abteilung. Dabei sei zwingend eine medikamentöse Behandlung mit Antipsychotikum erforderlich. Eine vollständige Heilung sei dabei zwar nicht zu erwarten, aber auch kleine Verbesserungen der Psychopathologie würden zu einer zweckmässigen Senkung des aktuell hohen Rückfallrisikos führen.
7. Am 29. November 2018 erstellte die Gutachterin unter Berücksichtigung der in der Zwischenzeit vorliegenden Eröffnungsverfügung vom 13. November 2018 (AS 317.199 ff.) im Auftrag der Staatsanwaltschaft ein Ergänzungsgutachten (AS 472.1 ff.). Die Gutachterin verfügte über weitere Strafakten sowie über zwei Therapieverlaufsberichte der Forensisch-Psychiatrischen Station [ ] der Universitären Psychiatrischen Dienste Bern (UPD) vom 11. Mai 2017 (AS 473 ff.) und 16. August 2017 (AS 476.1 ff.) sowie einen Bericht der UPD über eine neuropsychologische Abklärung vom 14. Juli 2017 (AS 317.68 ff.).
Die Gutachterin bestätigte die gestellten Diagnosen, wobei sie die Diagnose «hebephrene Schizophrenie, kontinuierlicher Verlauf» präzisierte mit: «geringer Symptombelastung unter medikamentöser Behandlung mit Clozapin».
Zur Legalprognose hielt die Gutachterin fest, dass unter Anwendung des Prognoseinstrumentes «HCR-20» deutlich weniger Punkte (22 statt 36) vergeben wurden als bei der Erstellung des Gutachtens, was die Gutachterin auf den Umstand zurückführte, dass sich der Beschuldigte aktuell im vorzeitigen stationären Massnahmenvollzug aufhielt und 3 Items nicht beurteilt werden konnten (Items vgl. AS 472.13 f.). Sie stellte auf Grund der vorliegenden Berichte fest, dass sich das Verhalten des Beschuldigten unter antipsychotischer Medikation stabilisiert habe. Da ihr jedoch die Therapieverlaufsberichte ab August 2018 nicht bekannt waren, konnte sie keine abschliessende Beurteilung darüber abgeben, welche Ziele mit dem Beschuldigten erreicht werden könnten. Die bisher durchgeführten Massnahmen beurteilte sie aber als forensisch erfolgreich. Die Einnahme der Medikation müsse langfristig kontrolliert werden, wenn der Beschuldigte weiterhin keine Krankheitseinsicht zeige. Der Beschuldigte sei mittel- und langfristig weiterhin auf klare, strukturierte und kontrollierende Rahmenbedingungen angewiesen; am ehesten komme deshalb eine Massnahme gemäss Art. 59 StGB in Frage.
8. Anlässlich der erstinstanzlichen Hauptverhandlung wurde die Gutachterin als Sachverständige befragt (S-L 106 ff.). Sie führte aus, dass die von ihr gestellte Diagnose einer hyperkinetischen Störung des Sozialverhaltens bei über 18-Jährigen formell eher nicht mehr gestellt werde. Es müsste jetzt geprüft werden, ob eine dissoziale Persönlichkeitsstörung vorliege. Im Mittelpunkt stehe jedoch die schizophrene Erkrankung, welche durch die anderen Erkrankungen, insbesondere den Cannabis-Konsum, ungünstig beeinflusst werde. Zwischen dem Schädel-Hirn-Trauma und der Delinquenz bestehe kein Zusammenhang.
Zur Legalprognose führte die Gutachterin aus, dass den Verlaufsberichten zu entnehmen sei, dass der Beschuldigte unter den unterstützenden und schützenden Rahmenbedingungen sowie unter Medikamenteneinnahme keine akute Gefahr darstelle. Offen sei, wie sich das fortsetzen würde, wenn die Rahmenbedingungen wegfallen würden. Sie gehe jedoch davon aus, dass ohne weitere Behandlung und ohne stützende Rahmenbedingungen relativ bald eine Dekompensation erfolgen würde und dann «die ganze Palette» drin sei. Wenn sich der Beschuldigte nicht unter Kontrolle habe, könne alles passieren.
Die Gutachterin blieb bei ihrer Empfehlung einer stationären Massnahme. Es seien eng begleitetes Wohnen und Arbeiten und eine soziale Unterstützung mittel- und langfristig sicher notwendig. Aus psychiatrischer Sicht wäre auch eine Kombination einer zivilrechtlichen Massnahme mit betreuter Wohnsituation und einer ambulanten Massnahme möglich, bei einer strafrechtlichen Massnahme bestünden aber bessere Möglichkeiten für eine Reaktion, wenn z.B. die Medikamente nicht mehr eingenommen würden.
9. Anlässlich der Berufungsverhandlung vor Obergericht wurde die Gutachterin wiederum als Sachverständige befragt. Sie hielt fest, dass die Diagnose der hebephrenen Schizophrenie weiterhin zu stellen sei. Bei der hyperkinetischen Störung des Sozialverhaltens sei die Diagnose zu überprüfen. Es handle sich im Grunde um eine kinder- und jugendpsychiatrische Diagnose. Die entsprechenden Störungen gingen im Erwachsenenalter häufig in dissoziale Persönlichkeitsstörungen einerseits und ADHS andererseits über. Da sei es möglich, dass sich der Beschuldigte unter der aktuellen Therapie so weit stabilisiert habe, dass die Diagnose so nicht mehr zu stellen wäre. Sie sehe keine Anhaltspunkte dafür, dass die hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens in eine dissoziale Persönlichkeitsstörung übergegangen sei. Es stelle sich aber die Frage, ob man die Diagnose ADHS stellen müsste. Die Diagnose der Cannabisabhängigkeit sei aus forensischer Sicht weiterhin zu stellen, auch wenn der Beschuldigte nun aufgrund des engen Vollzugssettings seit mehr als zwei Jahren abstinent sei. Denn bei Schizophrenen gebe es einen engen Zusammenhang mit dem Missbrauch von Cannabinoiden und Rückfällen in akute Psychosen. Der Beschuldigte habe auch Folgeschäden von einem im Jahr 2015 erlittenen schweren Schädel-Hirn-Trauma.
Die hebephrene Schizophrenie sei innerhalb der psychischen Störungen als sehr schwerer Verlauf zu qualifizieren. Es seien weniger akustische Halluzinationen und Wahnerleben, sondern vielmehr eine Affektverflachung zu beobachten. Es laufe vieles im Inneren ab, das äusserlich gar nicht erkennbar sei. Entsprechend seien impulsive, aggressive Handlungen von aussen nicht vorhersehbar. Das Ziel der Behandlung müsse sein, dass solche Impulsreaktionen für den Beschuldigten selbst kalkulier- und absehbar würden. Der Beschuldigte verstehe zwar die Rolle der Krankheitseinsicht, es brauche aber weitere Vertiefung. Namentlich müsse der Beschuldigte akzeptieren lernen, dass die medikamentöse Behandlung auch langfristig unangenehme Nebenwirkungen haben werde.
Die Einschätzung im Gutachten vom 20. Januar 2017, dass beim Beschuldigten ein sehr hohes Risiko für Gewalthandlungen bestehe, sei heute im Wesentlichen zu bestätigen. Wenn die stützenden Rahmenbedingungen inkl. Medikation, Cannabisabstinenz und begleitenden Strukturen wegfielen vor allem von einem Tag auf den anderen , dürfte insbesondere die Medikamenteneinnahme schwierig aufrechtzuerhalten sein. Dies hänge auch mit deren lästigen Nebenwirkungen, namentlich ständiger Hunger und Müdigkeit, zusammen. Es sei mit ähnlichen Delikten zu rechnen, wie sie bereits vorgefallen seien. Bisher sei es immer dem Einschreiten Dritter zu verdanken gewesen, dass nichts Schlimmeres passiert sei. Insofern wären im schlimmsten Fall auch schwere Körperverletzungen mit Todesfolge denkbar.
Im Therapieverlaufsbericht der Psychiatrischen Dienste Aargau vom 9. April 2020 werde ausgeführt, dass mit der Auseinandersetzung mit störungs- und deliktspezifischen Inhalten soziale Kompetenzen herausgearbeitet und geübt und damit weitere Fortschritte erzielt werden könnten. Die Fortsetzung dieser aktuellen Therapie sei sinnvoll, so die Gutachterin. Es gehe jetzt vor allem darum, das stark stützende Setting schrittweise zu lockern und dabei zu schauen, ob der aktuelle Zustand gehalten werden könne. Wichtig werde sein, dass es der Beschuldigte schaffe, zu verinnerlichen, wo seine Risikofaktoren seien und wo er sich Hilfe holen könne. Insgesamt führten diese Fortschritte beim Beschuldigten im Rahmen der stationären Massnahme zu einer klaren Reduktion der Rückfallgefahr. Die Entwicklungen seien sehr erfreulich. Es bestehe die Aussicht, dass der Beschuldigte zukünftig einmal in einer betreuten Wohnform massgeblich selbständig sein könne.
Die Rückfallgefahr könne nur mit einer Fortsetzung der stationären Massnahme gesenkt werden. Wie lange es noch eine stationäre Massnahme brauchen werde, sei schwierig zu beantworten, da dies vom weiteren Verlauf abhängig sei. Sie denke, dass es den Titel der stationären Massnahme noch über mehrere Jahre brauchen werde. Dies in dem Sinne, dass auch der Übertritt in eine betreute Wohnform noch unter dem Titel der stationären Massnahme (Arbeitsexternat, Wohnexternat) laufe. Für den hochgeschlossenen Rahmen gehe sie noch von einem Zeitraum von ca. 23 Jahren aus, bis der Übertritt in eine Wohngruppe möglich sein werde. Ein ambulantes Setting wäre nach Auffassung der Gutachterin nicht geeignet, die Rückfallgefahr zu verringern. Die Intensität der Betreuung, die es brauche, werde im ambulanten Setting nicht erreicht. Namentlich gebe es im ambulanten Setting normalerweise lediglich 12 Mal pro Woche zeitlich limitierten Kontakt mit einer Fachperson. Täglicher Kontakt wäre dagegen ein «teil-stationäres» Setting.
Es sei nicht davon auszugehen, dass allein mit der medikamentösen Behandlung der Schizophrenie mittels des Medikaments Clopin/Clozapin weitere impulsive Ausbrüche zu 100% zu verhindern seien. Denn auch die aktuell nicht medikamentös behandelte ADHS-Problematik habe Impulsivität zur Folge. Man müsse sich fragen und ggf. abklären, ob die ADHS-Problematik noch bestehe und ob diese auch medikamentös behandelt werden sollte.
Zur Behandlung der Schizophrenie beim Beschuldigten gebe es eine Depotmedikation (Olanzapin / Zyprexa), welche allerdings in der Schweiz nicht zugelassen sei. Es gebe allerdings auch Ärzte in der Schweiz (Zürich und Basel), welche diese Depotmedikation über die internationale Apotheke bezögen und im forensischen Setting anwendeten. Der Aufwand sei hoch, da man die Patienten nach der Injektion einen halben Tag lang kreislaufmässig überwachen müsse. Diese Depotmedikation liesse sich in Erwägung ziehen; dies müssten aber die behandelnden Ärzte entscheiden.
B. Die weiteren medizinischen Berichte
1. Der Beschuldigte hielt sich ab dem 16. März 2017 unter dem Regime der Untersuchungshaft auf der Forensisch-Psychiatrischen Station [ ] der Universitären Psychiatrischen Dienste Bern zwecks medikamentöser Einstellung auf eine antipsychotische Depotmedikation auf (AS 473).
Im Verlaufsbericht vom 11. Mai 2017 (AS 473 ff.) wird ausgeführt, dass der Beschuldigte medikamentös noch nicht ausreichend antispsychotisch mediziert und auf psychischer Ebene zu instabil sei, um zurück in das Untersuchungsgefängnis verlegt zu werden.
Im zweiten Therapiebericht vom 16. August 2017 (AS 476.1 f.) wird von den Optimierungsversuchen der Medikation berichtet und ausgeführt, dass aktuell eine medikamentös ausreichende Einstellung gefunden worden sei. Der Beschuldigte sei psychisch stabil, eine Krankheitseinsicht und intrinsische Behandlungsmotivation bestehe aber nicht. Die Einnahme der Medikation müsse deshalb engmaschig überwacht werden.
2. Mit Bericht vom 20. August 2017 wurde durch die Universitären Psychiatrischen Dienste Bern über eine neuropsychologische Abklärung des Beschuldigten vom 14. Juli 2017 berichtet (AS 317.68 ff.). Die Testung habe ein insgesamt mittelschwer bis schwer beeinträchtigtes Leistungsprofil objektiviert, welches das Gedächtnis, die Aufmerksamkeit, die Sprache und Exekutivfunktionen betreffe.
3.1 Der Beschuldigte wurde am 25. September 2018 im Rahmen des vorzeitigen Massnahmenvollzuges in das Zentrum für Forensische Psychiatrie [ ] versetzt. Im Hinblick auf die erstinstanzliche Hauptverhandlung wurde ein Therapieverlaufsbericht erstellt (S-L 90 ff.).
Im Bericht vom 7. Oktober 2019 werden die von der Gutachterin gestellten Diagnosen bestätigt und ausgeführt, dass der Beschuldigte seit seinem Eintritt 29 psychotherapeutische Einzelsitzungen mit deliktorientierter Ausrichtung absolviert habe. Es wird die Vermutung geäussert, dass bei der Deliktsdynamik neben der schizophrenen Erkrankung auch dissoziale Persönlichkeitsanteile eine wichtige Rolle gespielt haben könnten, da der Beschuldigte schon seit seiner Kindheit eine überdauernde Verhaltensbereitschaft aufgewiesen habe, in Konfliktsituationen zur Durchsetzung eigener Interessen aggressiv und gewalttätig zu reagieren.
Eine deliktorientierte Psychotherapie habe erst ansatzweise durchgeführt werden können, die Krankheitseinsicht sei derzeit nur oberflächlich und nicht intrinsisch verankert. Die medikamentöse antipsychotische Behandlung sei gut eingestellt und die eine Abstinenz unterstützende Umgebung wirke sich positiv aus. Es sei deshalb das Risiko für die Begehung von Gewaltdelikten aktuell gering.
Im Bericht wird die Fortführung der stationären Behandlung auf Grund des bisher günstigen Verlaufs und der Massnahmenfähigkeit des Beschuldigten befürwortet. Aus forensisch-psychiatrischer Sicht sei dies dringend erforderlich. Eine ambulante Massnahme sei nicht möglich, da der Beschuldigte zwingend auf die sichernden äusseren stationären Strukturen mit kontinuierlicher Unterstützung bei alltagsbezogenen Angelegenheiten, der Gewährleistung einer Tagesstruktur wie auch einer konsequenten motivationalen Stärkung hinsichtlich der Einnahme der verordneten Medikation angewiesen sei.
3.2 Gemäss aktuellem Therapieverlaufsbericht der Psychiatrischen Dienste Aargau vom 9. April 2020 haben zwischen dem 27.9.2019 und dem 7.4.2020 13 psychotherapeutische Sitzungen stattgefunden. Der Beschuldigte sei deutlich ausgeglichener und es habe eine Ausgangslockerung vorgenommen werden können (begleitete Gruppenausgänge im Klinikareal). Der Beschuldigte nehme die verordnete Medikation (Clozapin, Neuroleptikum) zuverlässig ein. Ausserhalb der Therapiezeiten ziehe sich der Beschuldigte eher zurück und sei bei der Alltagsgestaltung auf eine enge Begleitung und motivationale Unterstützung angewiesen. Die behandelnden Fachpersonen gehen von einer Behandlungswilligkeit und -fähigkeit des Beschuldigten aus und befürworten eine Fortführung der stationären Behandlung. Es bedürfe weiterhin einer stationären Behandlung, um deliktpräventive Massnahmen einzuleiten und eine gezielte Deliktarbeit durchführen zu können. Der Beschuldigte benötige weiterhin psychoedukative Gespräche, um das Verständnis für seine Grunderkrankung und ein Problembewusstsein für sein Verhalten zu fördern. Mit der Herausarbeitung und dem praktischen Üben von sozialen Kompetenzen könne in einer stützenden und lenkenden Umgebung mit weiteren Fortschritten gerechnet werden. Bei gegebenem positivem Verlauf, anhaltender Absprachefähigkeit und einer weiteren psychischen Konsolidierung sei grundsätzlich eine Prüfung weiterer Vollzugslockerungen im Behandlungsverlauf angedacht. Dadurch würden dem Beschuldigten neue Handlungsfelder geboten, in denen unter anderem die Belastbarkeit schrittweise erprobt werden könne.
V. Anordnung einer stationären Massnahme gemäss Art. 59 StGB
1. Gemäss Art. 59 Abs. 1 StGB kann das Gericht bei einem psychisch schwer gestörten Täter eine stationäre Behandlung anordnen, wenn
a. der Täter ein Verbrechen Vergehen begangen hat, das mit seiner psychischen Störung in Zusammenhang steht; und
b. zu erwarten ist, dadurch lasse sich der Gefahr weiterer mit seiner psychischen Störung in Zusammenhang stehender Taten begegnen.
Die stationäre Behandlung erfolgt in einer geeigneten psychiatrischen Einrichtung einer Massnahmenvollzugseinrichtung (Abs. 2).
Solange die Gefahr besteht, dass der Täter flieht weitere Straftaten begeht, wird er in einer geschlossenen Einrichtung behandelt. Er kann auch in einer Strafanstalt behandelt werden, sofern die nötige therapeutische Behandlung durch Fachpersonal gewährleistet ist (Abs. 3).
Der mit der stationären Behandlung verbundene Freiheitsentzug beträgt in der Regel höchstens fünf Jahre. Sind die Voraussetzungen für die bedingte Entlassung nach fünf Jahren noch nicht gegeben und ist zu erwarten, durch die Fortführung der Massnahme lasse sich der Gefahr weiterer mit der psychischen Störung des Täters in Zusammenhang stehender Verbrechen und Vergehen begegnen, so kann das Gericht auf Antrag der Vollzugsbehörde die Verlängerung der Massnahme um jeweils höchstens fünf Jahre anordnen (Abs. 4).
2. Eine Prüfung der einzelnen Voraussetzungen gemäss Art. 59 StGB ergibt Folgendes:
2.1 Vorliegen eines psychiatrischen Gutachtens
2.1.1 Ob eine psychische Störung besteht und welcher Art sie ist, muss das Gericht einem psychiatrischen, allenfalls psychologischen Gutachten entnehmen (Art. 56 Abs. 3 StGB). Ein solches Gutachten wurde von der Staatsanwaltschaft in Auftrag gegeben und am 20. Januar 2017 von Dr. med. B.___, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, Spez. Forensische Psychiatrie und Psychotherapie, vorgelegt (AS 429 ff.). Die Gutachterin verfasste bereits am 4. November 2016 eine Vorabstellungnahme (AS 424 ff.), erstellte am 29. November 2018 ein Ergänzungsgutachten (AS 472.1 ff.) und nahm sowohl anlässlich der erstinstanzlichen Hauptverhandlung als auch vor Obergericht mündlich Stellung.
Das Gutachten muss bezüglich der zu beantwortenden Fragen aktuell sein. Bei der Frage, was unter dem Begriff «aktuell» zu verstehen ist, geht das Bundesgericht nicht von einer generellen zeitlichen Grenze aus. Entscheidend ist, ob Gewähr dafür besteht, dass eine Beurteilung aufgrund der seitherigen Entwicklung immer noch zutrifft. Ein älteres Gutachten genügt, wenn es alle notwendigen Gesichtspunkte berücksichtigt und nichts von seiner Aktualität verloren hat. Dagegen muss ein früher zurückliegendes Gutachten dann als unzureichend bezeichnet werden, wenn inzwischen veränderte Verhältnisse eingetreten sind. Seit der Erstellung des Gutachtens eingetretene positive Behandlungsansätze andere Veränderungen des Sachverhalts sind von Amtes wegen zu verifizieren. Zu bedenken ist in diesem Zusammenhang, dass Gefährlichkeitsprognosen nach neuerer forensisch-psychiatrischer Lehre lediglich für den Zeitraum eines Jahres zuverlässig gestellt werden können (BSK StGB I, Art. 56 N 67 ff.; BGE 128 IV 247 f.).
Im vorliegenden Fall liegt die Erstellung des Hauptgutachtens zwar bereits mehr als drei Jahre zurück. Die Gutachterin hat jedoch mehrmals zu ihrem Gutachten Stellung genommen, wobei sie jeweils Kenntnis von den nach der Erstellung ihres Gutachtens verfassten Therapieverlaufsberichten hatte. Sie war zudem anlässlich der erst- und zweitinstanzlichen Hauptverhandlung anwesend und konnte sich einen (weiteren) persönlichen Eindruck vom Beschuldigten verschaffen.
Das Gutachten ist somit aktuell.
2.1.2 Zieht das Gericht mangels eigener Fachkenntnis eine sachverständige Person bei, ist es bei der Würdigung des Gutachtens grundsätzlich frei. Ob das Gericht die in einem Gutachten enthaltenen Erörterungen für überzeugend hält nicht und ob es dementsprechend den Schlussfolgerungen der Experten folgen will, ist mithin eine Frage der Beweiswürdigung. Die Beweiswürdigung und die Beantwortung der sich stellenden Rechtsfragen ist Aufgabe des Richters. Dieser hat zu prüfen, ob sich aufgrund der übrigen Beweismittel und der Vorbringen der Parteien ernsthafte Einwände gegen die Schlüssigkeit der gutachterlichen Darlegungen aufdrängen. Nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung entscheiden die Organe der Strafrechtspflege frei von Beweisregeln und nur nach ihrer persönlichen Ansicht aufgrund gewissenhafter Prüfung darüber, ob sie eine Tatsache für erwiesen halten (vgl. Art. 10 Abs. 2 StPO). Das Gericht ist somit nicht an den Befund die Stellungnahme des Sachverständigen gebunden. Es hat vielmehr zu prüfen, ob sich aufgrund der übrigen Beweismittel und der Vorbringen der Parteien ernsthafte Einwände gegen die Schlüssigkeit der gutachterlichen Darlegungen aufdrängen. Auch wenn das gerichtlich eingeholte Gutachten grundsätzlich der freien Beweiswürdigung unterliegt, darf das Gericht in Fachfragen nicht ohne triftige Gründe von ihm abrücken und muss Abweichungen begründen (BGE 141 IV 369 E. 6.1).
Auf der anderen Seite kann das Abstellen auf eine nicht schlüssige Expertise bzw. der Verzicht auf die gebotenen zusätzlichen Beweiserhebungen gegen das Verbot willkürlicher Beweiswürdigung (Art. 9 BV) verstossen (BGE 136 II 539 E. 3.2; BGE 133 II 384 E. 4.2.3; BGE 132 II 257 E. 4.4.1; BGE 130 I 337 E. 5.4.2; BGE 129 I 49 E. 4; BGE 128 I 81 E. 2). Erscheint dem Gericht die Schlüssigkeit eines Gutachtens in wesentlichen Punkten zweifelhaft, hat es nötigenfalls ergänzende Beweise zur Klärung dieser Zweifel zu erheben. Ein Gutachten stellt namentlich dann keine rechtsgenügliche Grundlage dar, wenn gewichtige, zuverlässig begründete Tatsachen Indizien die Überzeugungskraft des Gutachtens ernstlich erschüttern. Das trifft etwa zu, wenn der Sachverständige die an ihn gestellten Fragen nicht beantwortet, seine Erkenntnisse und Schlussfolgerungen nicht begründet diese in sich widersprüchlich sind die Expertise sonstwie an Mängeln krankt, die derart offensichtlich sind, dass sie auch ohne spezielles Fachwissen erkennbar sind (BGE 141 IV 369 E. 6.1; BGer 6B_829/2013 vom 06.05.2014 E. 4.1).
Es liegen keine Hinweise für einen eingeschränkten Beweiswert des psychiatrischen Gutachtens der Sachverständigen vor. Das Gutachten ist in seinen Schlussfolgerungen nachvollziehbar und einleuchtend. Es wurde denn auch von keiner Seite in Frage gestellt und es liegen auch keine anderslautenden medizinischen Berichte vor. Auf das Gutachten kann deshalb vollumfänglich abgestellt werden.
2.2 Schwere psychische Störung des Beschuldigten
Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung zu dem bis am 31.12.2006 in Kraft gewesenen Art. 43 Ziff. 1 Abs. 1 StGB kann eine stationäre Massnahme nicht schon angeordnet werden, wenn der Geisteszustand des Täters ärztliche Behandlung besondere Pflege erfordert. Der Geisteszustand des Täters muss vielmehr als geistige Abnormität qualifiziert werden. Nur bestimmte, relativ schwerwiegende Arten und Formen geistiger Anomalien im medizinischen Sinne können als geistige Abnormität im rechtlichen Sinne qualifiziert werden (BGer 6S.427/2005 vom 06.04.2006, E. 2.3). Vom Vorliegen einer geistigen Abnormität ist auszugehen bei Schwachsinnszuständen, Psychopathien, psychogenen Fehlentwicklungen mit Einschluss der Neurosen und bei chronischen und phasischen Geisteskrankheiten (BSK StGB I, N 13 zu Art. 59 StGB).
Im vorliegenden Fall sind seit dem 18. Altersjahr des Beschuldigten mehrere stationäre Aufenthalte in der Psychiatrischen Klinik Solothurn dokumentiert. Im psychiatrischen Gutachten, welches 2014 erstellt wurde, diagnostizierten die Ärzte eine polymorphe psychotische Störung. Die Gutachterin B.___ diagnostizierte eine hebephrene Schizophrenie, kontinuierlicher Verlauf («hebe» bedeutet «Jugend», «phren» bedeutet «»Gemüt, Seele»). Die Krankheit führt beim Beschuldigten zu affektiven Veränderungen, d.h. impulsartigen Gefühlsregungen sowie flüchtig und bruchstückhaft auftretenden Wahnvorstellungen und Halluzinationen.
Die hebephrene Schizophrenie stellt die zentrale psychische Problematik dar und wird durch die bereits vorbestehende hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens, welche sich mittlerweile vor allem noch in einer ADHS-Problematik manifestiert, verschärft.
Es ist deshalb das Vorliegen einer schweren psychischen Störung zu bejahen. Die Gutachterin hat auch den Zusammenhang zwischen der psychischen Störung des Beschuldigten und der Delinquenz bejaht.
2.3 Erfolgsaussichten einer stationären Massnahme
Gemäss Art. 59 Abs. 1 lit. b StGB erfordert die Anordnung einer stationären Massnahme die Aussicht auf eine Verringerung der Rückfallgefahr. Das Bundesgericht hat sich in einem Entscheid, in welchem es sich mit der Abgrenzung zwischen den Voraussetzungen von Verwahrung und stationärer Massnahme auseinandersetzte, zum Ausmass des zu erwartenden Therapieerfolges bei der Anordnung einer stationären Massnahme geäussert; es hat festgehalten, dass die vage Möglichkeit einer Verringerung der Rückfallgefahr nicht ausreiche. Vielmehr müsse im Zeitpunkt des Entscheides die hinreichende Wahrscheinlichkeit bestehen, dass sich die Gefahr weiterer Straftaten durch die Anordnung einer stationären Massnahme über die Dauer von fünf Jahren deutlich verringern lasse. Es sei jedoch nicht erforderlich, dass nach einer stationären Behandlung von fünf Jahren ein Zustand erreicht sei, welcher eine bedingte Entlassung aus der Massnahme rechtfertigen würde. Es genüge, dass in dieser Zeit eine deutliche Verringerung der Gefahr weiterer Straftaten erreicht werde. Das Gericht habe nach Ablauf von fünf Jahren die Möglichkeit, beim unveränderten Vorliegen von Erfolgsaussichten eine Verlängerung der Massnahme anzuordnen (Art. 59 Abs. 4 Satz 2 StGB). Eine stationäre Massnahme sei beim Vorliegen von Erfolgsaussichten auch anzuordnen, wenn vom Täter im Zeitpunkt des Entscheids eine Gefahr ausgehe. Dieser Gefährlichkeit des Täters sei dadurch Rechnung zu tragen, dass die Massnahme gemäss Art. 59 Abs. 3 StGB in einer geschlossenen Vollzugseinrichtung durchgeführt werde (BGer 6B_263/2008 vom 10.10.2008).
Die Gutachterin geht von einer ung .stigen Behandlungsprognose des Beschuldigten aus. Bereits die hebephrene Schizophrenie sei schwer zu behandeln; im Falle des Beschuldigten würde die Behandlung durch die hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens, die Abhängigkeit von Cannabinoiden und das Schädel-Hirn-Trauma noch zusätzlich erschwert. Die Gutachterin geht denn auch davon aus, dass eine vollständige psychosoziale Integration des Beschuldigten nicht erwartet werden könne. Es seien aber kleine Verbesserungen der Psychopathologie möglich, und diese würden zu einer zweckmässigen Senkung des im Zeitpunkt der Erstellung des Gutachtens hohen Rückfallrisikos führen. Anlässlich der Berufungsverhandlung vor Obergericht bezeichnete die Sachverständige die bisherige Entwicklung als erfreulich und führte aus, dass mit einer Fortsetzung der stationären Massnahme die Rückfallgefahr klar reduziert werden könne.
Der Beschuldigte wird bereits seit anfangs 2017 in diversen Institutionen therapeutisch und medikamentös behandelt. Wie den entsprechenden Verlaufsberichten entnommen werden kann, musste zuerst die optimale medikamentöse Einstellung für den Beschuldigten gefunden werden. Mit dieser Einstellung konnte eine psychische Stabilität erreicht werden. Die Gutachterin stellte in ihrem Ergänzungsgutachten vom 29. November 2018 denn auch fest, dass die durchgeführten Massnahmen forensisch als erfolgreich bezeichnet werden könnten. Anlässlich der erstinstanzlichen Hauptverhandlung führte sie aus, dass der Beschuldigte aktuell unter den gegebenen Rahmenbedingungen keine Gefahr darstelle. Dabei ist aber zu beachten, dass es sich um ein stark stützendes, geschlossenes System handelt.
Gestützt auf die Ausführungen der Gutachterin und dem bisherigen Therapieverlauf ist damit davon auszugehen, dass die beim Beschuldigten bestehende erhebliche Gewaltbereitschaft und das hohe Risiko für weitere Gewalttaten mit einer stationären Massnahme zweckmässig gesenkt werden kann. Die Gefahr weiterer Straftaten lässt sich somit durch die Anordnung einer stationären Massnahme verringern.
2.4 Verhältnismässigkeit
2.4.1 Art. 56 Abs. 2 StGB verlangt, dass die Anordnung einer Massnahme im Hinblick auf die Wahrscheinlichkeit und Schwere weiterer Straftaten nicht unverhältnismässig ist.
Das Verhältnismässigkeitsprinzip umfasst drei Teilaspekte: Eignung, Erforderlichkeit und Verhältnismässigkeit im engeren Sinne. Abzuwägen sind die Schwere des Eingriffs in die Freiheitsrechte des Betroffenen einerseits und sein Behandlungsbedürfnis sowie die Schwere und Wahrscheinlichkeit künftiger Straftaten andererseits. Je schwerer die zu befürchtenden Delikte wiegen, desto geringer kann die Wahrscheinlichkeit, dass sie begangen werden, sein, um eine Massnahme zu rechtfertigen (Trechsel/Pauen Borer in: Praxiskommentar StGB, Art. 56 N 7). Umgekehrt bedarf es einer hohen Wahrscheinlichkeit weniger schwerer Taten zur Rechtfertigung einer freiheitsentziehenden Massnahme (BGE 127 IV 1). Dabei kommt der Anlasstat eine erhebliche prognostische Bedeutung zu: Einerseits wird dem Täter keine grössere Gefährlichkeit zugeschrieben werden dürfen, als die, welche sich in der Anlasstat manifestiert hat; andererseits muss die Anlasstat Indizcharakter haben, als «typisch» erscheinen und nicht blosse Gelegenheitstat sein.
Die Schwere des Eingriffs in die Freiheitsrechte des Täters ergibt sich in erster Linie aus der Dauer der Massnahme sowie daraus, dass diese nicht klar begrenzt ist und Verlängerungen möglich sind. Es gilt ein «Übermassverbot», indem die Dauer und Eingriffsintensität im Verhältnis zur aufgeschobenen Strafe nicht unverhältnismässig schwerwiegend sein dürfen; die Anordnung einer Massnahme ist nicht statthaft, wenn von einem Täter in Zukunft blosse Übertretungen andere Delikte von weniger grosser Tragweite zu erwarten sind (Trechsel/Pauen Borer, a.a.O., Art. 56 N 8; BSK StGB I, a.a.O., Art. 56 N 37). Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung vermag nur ein gewichtiges Risiko der erneuten Begehung erheblicher Verbrechen Vergehen die Anordnung einer stationären Massnahme zu rechtfertigen. Anlasstaten, welche Vergehen darstellen und von relativ geringfügigem Charakter sind, rechtfertigen für sich allein die Anordnung einer stationären Massnahme nicht (BGer 6P.37/2006, E. 3.1. und 3.3., vom 29.5.2006).
2.4.2 Das Bundesgericht hatte im Entscheid 6B_835/2017 vom 22. März 2018 die Verhältnismässigkeit der Anordnung einer stationären Massnahme gemäss Art. 59 StGB zu überprüfen. Der Beschuldigte litt unter einem Residualstadium einer chronischen Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis und einer Störung durch multiplen Substanzengebrauch. Das Obergericht des Kantons Zürich stellte fest, dass der Beschuldigte die Tatbestände der Gefährdung ohne verbrecherische Absicht (Art. 225 Abs. 1 StGB) und des Vergehens gegen das Waffengesetz (Art. 33 Abs. 1 lit. a WG) in nicht selbstverschuldeter Schuldunfähigkeit erfüllt habe. Der Beschuldigte machte sich im Weiteren schuldig wegen versuchter einfacher Körperverletzung, Nötigung, mehrfachen Hausfriedensbruchs, Vergehen gegen das Chemikaliengesetz, Exhibitionismus, geringfügigen Diebstahls und Entwendung eines Fahrrads zum Gebrauch und wurde mit einer unbedingten Freiheitsstrafe von sieben Monaten, einer unbedingten Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je CHF 30.00 sowie zu einer Busse von CHF 100.00 verurteilt. Zudem wurde eine stationäre Massnahme gemäss Art. 59 StGB angeordnet.
Das Bundesgericht hielt fest, dass im psychiatrischen Gutachten davon ausgegangen werde, dass beim Beschuldigten unbehandelt ein hohes Rückfallrisiko für vergleichbare Delikte bestehe. Gestützt auf diese Aussage sei von einer Massnahmenbedürftigkeit des Beschuldigten auszugehen. Die Straftaten des Beschuldigten hätten sich auch gegen die körperliche Integrität von Drittpersonen gerichtet und es sei in einem Fall, da der Beschuldigte auf der Herrentoilette des Begegnungszentrums Winterthur einen Feuerwerkskörper gezündet habe, nur dem Zufall zu verdanken gewesen, dass keine Person schwer verletzt worden sei.
Das Bundesgericht hat in der Folge die Verhältnismässigkeit der stationären Massnahme mit Blick auf die Anlasstaten und das hohe Risiko für vergleichbare Taten bejaht.
2.4.3 Im Entscheid 6B_798/2014 vom 20. Mai 2015 ging es um einen Beschuldigten, der mit zwei Strafbefehlen wegen Tätlichkeiten, Drohung, Nötigung und einfacher Körperverletzung zu Geldstrafen von 30 bzw. 150 Tagessätzen verurteilt wurde. Die Geldstrafen wurden wegen Uneinbringlichkeit in eine Ersatzfreiheitsstrafe umgewandelt. Der Beschuldigte wurde in der Folge in Haft genommen; kurz vor Ablauf des Vollzuges der Ersatzfreiheitsstrafe wurde sodann im Sinne von Art. 65 Abs. 1 i.V. mit Art. 59 StGB eine nachträgliche stationäre therapeutische Massnahme angeordnet.
Das Bundesgericht stellte fest, dass mit dieser Anordnung das Verhältnismässigkeitsprinzip verletzt worden sei. Die Art der Verfahren (Strafbefehle), die gewählte Strafart (Geldstrafen) und das konkrete Strafmass (180 Tagessätze) würden insgesamt deutlich machen, dass es sich bei den vom Beschuldigten begangenen Straftaten um relativ geringfügige Delinquenz im unteren Bereich der Kriminalität handeln würde. Der vom Beschuldigten im Zeitpunkt des Urteils des Bundesgerichts bereits ausgestandene Freiheitsentzug von 40 Monaten stehe mit der ursprünglich ausgefällten Geldstrafe von 180 Tagessätzen in einem offenkundigen Missverhältnis. Es liege deshalb ein sehr schwerer Eingriff in die persönliche Freiheit des Beschuldigten vor. Je länger die Massnahme und damit der Freiheitsentzug für den Betroffenen dauere, desto strenger würden die Anforderungen an die Wahrung der Verhältnismässigkeit. Im vorliegenden Fall ergebe sich aus dem psychiatrischen Gutachten keine erhebliche Rückfallgefahr für schwerwiegende Gewaltdelinquenz. Die stationäre Massnahme erweise sich deshalb unter Berücksichtigung der mässigen Schwere der Anlassdelikte, des Masses der Gefährlichkeit, der bisherigen Massnahmendauer unter Einschluss der Ersatzfreiheitsstrafe sowie des Grundrechts der persönlichen Freiheit des Beschuldigten als nicht verhältnismässig.
2.4.4 Die Gutachterin bejahte im Hauptgutachten vom 20. Januar 2017 beim Beschuldigten eine erhebliche Gewaltbereitschaft und -anwendung und ein hohes Risiko für weitere Gewalthandlungen. Wie dem Therapiebericht des Zentrums für Forensische Psychiatrie vom 7. Oktober 2019 entnommen werden kann, wird das Rückfallrisiko von dieser Seite nun als gering eingeschätzt. Diese Einschätzung erfolgte unter Berücksichtigung der aktuell ausreichenden medikamentösen Einstellung des Beschuldigten, der Cannabis-Abstinenz sowie des klaren, engen und stützenden Rahmens, in welchem der Beschuldigte aktuell lebt.
Beim Beschuldigten liegt, wie dies dem Verlaufsbericht ebenfalls entnommen werden kann und wie dies auch die Gutachterin in ihrem Ergänzungsgutachten und anlässlich den Verhandlungen vor Amts- und Obergericht ausführte, keine gefestigte Krankheitseinsicht vor. Der Beschuldigte ist auf eine konsequente motivationale Stärkung und Kontrolle bezüglich der Einnahme der verordneten Medikamente angewiesen. Gleiches gilt für die Cannabisabstinenz. Zudem benötigt er eine Struktur. Ohne diese Unterstützung und ohne stützende Rahmenbedingungen würde es beim Beschuldigten schnell zu einer psychischen Dekompensation kommen, was die Rückfallgefahr für Gewaltdelikte unweigerlich wieder aufleben lassen würde. Die Gutachterin führte anlässlich der erstinstanzlichen Verhandlung aus, dass in diesem Fall «alles passieren» könne, wenn sich der Beschuldigte nicht unter Kontrolle habe. Anlässlich der Berufungsverhandlung vor Obergericht führte sie in diesem Zusammenhang aus, dass bei allen bisherigen Vorfällen nach der Aggression des Beschuldigten eine Intervention eines Dritten erfolgte und deshalb erhebliche Folgen der Übergriffe des Beschuldigten vermieden werden konnten.
Auch im aktuellen Therapieverlaufsbericht vom 9. April 2020 wird die Notwendigkeit von deliktspräventiven Massnahmen und einer gezielten Deliktsarbeit befürwortet. Der Beschuldigte benötige psychoedukative Gespräche, um das Verständnis für seine Grunderkrankung und ein Problembewusstsein für sein Verhalten zu fördern. Er brauche zudem eine stützende und lenkende Umgebung, um in seiner Selbständigkeit und Eigenverantwortung gefördert zu werden.
Die Sachverständige führte anlässlich der Berufungsverhandlung aus, dass der Beschuldigte im Rahmen der Therapie verinnerlichen müsse, wo seine Risikofaktoren seien und wo er sich Hilfe holen könne. Insgesamt führten diese Fortschritte beim Beschuldigten im Rahmen der stationären Massnahme zu einer klaren Reduktion der Rückfallgefahr. Es bestehe die Aussicht, dass der Beschuldigte in einer betreuten Wohnform massgeblich selbständig sein könne. Die Rückfallgefahr könne aber nur mit einer Fortsetzung der stationären Massnahme gesenkt werden. Ansonsten könnte die Medikamentencompliance wahrscheinlich nicht eingehalten werden, was zur Dekompensation führen würde. Die Krankheitseinsicht sei zwar im Grundsatz da, brauche jedoch noch weitere Vertiefung. Die stationäre Massnahme werde es noch mehrere Jahre brauchen; im hochgeschlossenen Rahmen sei von ca. 23 Jahren auszugehen.
Es ist bei dieser Ausgangslage einzig die Anordnung einer stationären Massnahme möglich. In einem ambulanten Setting ist die Gefahr, dass sich der Beschuldigte zufolge der zwar im Grundsatz vorhandenen, jedoch noch nicht gefestigten Krankheitseinsicht und der starken Nebenwirkungen der medikamentösen Behandlung nicht an die therapeutischen und medikamentösen Anordnungen hält und psychisch dekompensiert, verbunden mit einem hohen Risiko von Gewalttaten, zu gross. Eine ambulante Massnahme, auch in Verbindung mit zivilrechtlichen Anordnungen, ist nicht geeignet, die therapeutische und medikamentöse Betreuung und Behandlung des Beschuldigten sicherzustellen. Die für den Beschuldigten erforderliche klar vorgegebene Tagesstruktur sowie die kontinuierliche motivationale Arbeit und Kontrolle bezüglich Medikamenteneinnahme können nur in einem stationären Rahmen sichergestellt werden. Entsprechend sprechen sich neben der Gutachterin auch die behandelnden Fachärzte des Zentrums für Forensische Psychiatrie für eine Fortführung der stationären Behandlung aus. Es lässt sich zudem festhalten, dass die bisherige Entwicklung des Beschuldigten in der stationären Massnahme äusserst positiv ist. Der von den behandelnden Ärzten angedachte Weg der zunehmenden Lockerungen ist weiterzuverfolgen mit dem Ziel, die Entlassung des Beschuldigten in eine betreute Wohnform was der Beschuldigte im Übrigen selbst auch wünscht zu ermöglichen.
2.4.5 Einzuräumen ist, dass sich der Beschuldigte bereits seit 41 ½ Monaten in Untersuchungshaft bzw. im vorzeitigen Massnahmenvollzug befindet und damit die schuldangemessene Strafe von 18 Monaten um mehr als das Doppelte überschritten hat. Festzuhalten ist in diesem Zusammenhang, dass das Bundesgericht im zitierten Fall 6B_835/2017, wo es u.a ebenfalls um einen Schuldspruch wegen einfacher Körperverletzung ging, die Verhältnismässigkeit einer stationären Massnahme bei einer wesentlich tieferen Freiheitsstrafe von sieben Monaten bejaht hat (Ziff. 2.4.2 hiervor). Der Fall 6B_798/2014 (Ziff. 2.4.3 hiervor), in welchem das Bundesgericht die Verhältnismässigkeit einer stationären Massnahme verneint hat, ist mit der vorliegenden Konstellation nicht vergleichbar. Der ausgestandene Freiheitsentzug überstieg im dortigen Fall die schuldangemessene Strafe um mehr als das Sechsfache, zudem wurde in dem vom Bundesgericht beurteilten Fall ursprünglich eine Geldstrafe ausgesprochen. Hinzu kommt, dass in jenem Fall die therapeutische Arbeit mit dem Beschuldigten erst in einem sehr späten Zeitpunkt aufgenommen wurde, während im vorliegenden Fall bereits sehr früh ein Übertritt des Beschuldigten in die Universitären Psychiatrischen Dienste Bern und damit eine therapeutische und medikamentöse Behandlung erfolgte. Überdies ist die Anordnung einer stationären Massnahme bei einer Strafe in dieser Höhe auch in der Rechtsprechung der Strafkammer des Obergerichts keine Singularität (vgl. Urteile STBER.2019.83 vom 16.03.2020 [Grundstrafe: 13 Monate Freiheitsstrafe und 10 Tagessätze Geldstrafe]; STBER.2019.34 vom 05.11.2019 [Grundstrafe: 18 Monate Freiheitsstrafe und 60 Tagessätze Geldstrafe]; STBER.2017.49 vom 30.10.2017 [Grundstrafe: 20 Monate Freiheitsstrafe]; STBER.2015.43 vom 10.03.2016 [Grundstrafe: 18 Monate Freiheitsstrafe]; STBER.2014.71 vom 31.08.2015 [Grundstrafe: 24 Monate Freiheitsstrafe und 60 Tagessätze Geldstrafe]). Die Anordnung einer (auch länger dauernden) stationären Massnahme nach Art. 59 StGB kann somit ohne weiteres auch bei Freiheitsstrafen unter zwei Jahren indiziert bzw. verhältnismässig sein. Dabei ist ergänzend darauf hinzuweisen, dass eine Strafe von 18 Monaten entgegen der Verteidigung keineswegs mehr als geringfügig bezeichnet werden kann.
2.4.6 Zusammenfassend ist somit festzustellen, dass der Beschuldigte zu Folge der bestehenden deliktsrelevanten psychischen Störung einer Behandlung bedarf, die einzig in einem stationären Rahmen in einer forensisch-psychiatrischen Klinik mit der erforderlichen Wirksamkeit durchgeführt werden kann. Aus diesem Grund erweist sich die Anordnung einer Massnahme gemäss Art. 59 StGB als verhältnismässig. Die Anordnung der stationären Massnahme nach Art. 59 StGB durch die Vorinstanz ist folglich zu bestätigen. Der Antrag des Beschuldigten auf Zusprechung einer Entschädigung für Überhaft ist abzuweisen. Die Anrechnung der Untersuchungshaft und des vorzeitigen Massnahmenvollzugs an die Freiheitsstrafe bzw. die stationäre Massnahme kann aufgrund des Verbots der «reformatio in peius» nicht zu Ungunsten des Beschuldigten abgeändert werden, auch wenn mittlerweile BGE 145 IV 65 eine andere Methode der Berechnung der Fünfjahresfrist nach Art. 59 Abs. 4 StGB vorgibt. Entsprechend ist die Anrechnung zu bestätigen. Die Frage, ob der Beschuldigte in einer geschlossenen Einrichtung gemäss Art. 59 Abs. 3 StGB unterzubringen ist, stellt eine Vollzugsfrage dar und ist entsprechend vom Straf- und Massnahmenvollzug zu entscheiden. Gestützt auf die Ausführungen der Sachverständigen im psychiatrischen Gutachten sowie anlässlich der Berufungsverhandlung erscheinen aber im Urteilszeitpunkt die Voraussetzungen von Art. 59 Abs. 3 StGB als nicht gegeben (vgl. BGE 142 IV 1 E. 2.5).
VI. Kosten und Entschädigung
1. Verfahrenskosten
Die Berufung erweist sich als erfolglos. Bei diesem Verfahrensausgang sind die dem Beschuldigten erstinstanzlich auferlegten Verfahrenskosten zu bestätigen (Art. 428 Abs. 3 StPO). Die Kosten des Verfahrens vor dem Amtsgericht Thal-Gäu in Höhe von total CHF 19'515.00 sind ausgewiesen und nach dem Gesagten vom Beschuldigten im Umfang von 2/3, d.h. CHF 13'010.00, zu tragen. Sodann sind dem Beschuldigten die Kosten des Berufungsverfahrens vollumfänglich aufzuerlegen (Art. 428 Abs. 1 StPO). Die Kosten des Berufungsverfahrens werden, mit einer Gerichtsgebühr von CHF 2'000.00, auf total CHF 2'900.85 festgesetzt und sind ebenfalls vom Beschuldigten zu tragen. In der ersten Urteilsanzeige wurden die Gutachterkosten von CHF 558.25 nicht berücksichtigt, da dem Obergericht die Rechnung erst am 7. Mai 2020 zuging. Dieser Betrag ist jedoch ebenfalls Teil der Gerichtskosten und damit vom Beschuldigten zu tragen. Mittels berichtigter Urteilsanzeige vom 19. Mai 2020 wurde dieser Umstand korrigiert.
2. Entschädigung der amtlichen Verteidigung
2.1 Die Festsetzung der Entschädigung des amtlichen Verteidigers sowie der Nachzahlungs- und Rückforderungsanspruch für das erstinstanzliche Verfahren sind in Rechtskraft erwachsen.
2.2 Rechtsanwalt Alexander Kunz als amtlicher Verteidiger des Beschuldigten macht in seiner Kostennote eine Entschädigung von CHF 5'093.05 (Honorar 25.66h à CHF 180.00 bzw. teilweise CHF 90.00 = CHF 4'395.00, Auslagen CHF 333.90, zzgl. MWST) geltend. Für den Zeitraum vom 15.10.2019 bis zum 22.10.2019 (unmittelbar nach der erstinstanzlichen Hauptverhandlung) macht Rechtsanwalt Kunz einen Aufwand von insgesamt 3.42 Stunden geltend, der teilweise nicht nachvollziehbar ist und teilweise nichts mit dem Verfahren zu tun hat (namentlich «Brief/SZ», wahrscheinlich wegen der Medienberichterstattung). Diese Leistungen sind nicht vom amtlichen Mandat abgedeckt, weshalb sich eine Kürzung um 2 Stunden rechtfertigt. Im Zeitraum vom 07.11.2019 bis zum 10.12.2019 geht es in sechs Positionen ausschliesslich um Vollzugsprobleme (total 2.5 Stunden). Auch wenn diese nichts mit dem Gegenstand des Berufungsverfahrens zu tun haben, erscheint ein gewisser Aufwand in diesem Bereich in der besonderen vorliegenden Situation als angemessen. Es rechtfertigt sich eine Kürzung um eine Stunde. Gesamthaft ist die Kostennote um 3 Stunden (à je CHF 180.00) zu kürzen. Zugleich ist die Kostennote um 2.5 Stunden für die Berufungsverhandlung vor Obergericht zu ergänzen. Insgesamt erfolgt eine Kürzung von 0.5 Stunden (à CHF 180.00). Damit ergibt sich eine Entschädigung von CHF 4'996.10 (Honorar 25.16h à CHF 180.00 bzw. teilweise CHF 90.00 = CHF 4'305.00, Auslagen CHF 333.90, zzgl. MWST), welche zufolge amtlicher Verteidigung vom Staat zu zahlen ist. Vorbehalten bleibt der Rückforderungsanspruch des Staates während 10 Jahren, sobald es die wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschuldigten erlauben.
Demnach wird in Anwendung von Art. 123 Ziff. 1 Abs. 1, Art. 19 Abs. 2, Art. 40, Art. 46 Abs. 1, Art. 47, Art. 51, Art. 59, Art. 66abis StGB; Art. 122 ff., Art. 135, Art. 379 ff., Art. 423 Abs. 1, Art. 426 Abs. 1, Art. 428 Abs. 1 StPO; § 146, § 158 GT
erkannt:
1. Es wird festgestellt, dass das Verfahren gegen den Beschuldigten A.___ gemäss der rechtskräftigen, vorfrageweise ergangenen Beschluss-Ziffer 1 des Urteils des Amtsgerichts Solothurn-Lebern vom 14. Oktober 2019 (nachfolgend: erstinstanzliches Urteil) wegen einfacher Körperverletzung, angeblich begangen am 1. März 2016 (AZ 1), eingestellt wurde.
2. Es wird festgestellt, dass das Verfahren gegen den Beschuldigten A.___ gemäss der rechtskräftigen, vorfrageweise ergangenen Beschluss-Ziffer 2 des erstinstanzlichen Urteils wegen Fahrens ohne gültigen Fahrausweis, angeblich begangen am 7. April 2016 (AZ 3), eingestellt wurde.
3. Es wird festgestellt, dass sich der Beschuldigte A.___ gemäss der rechtskräftigen Ziffer 1 des erstinstanzlichen Urteils der mehrfachen einfachen Körperverletzung, begangen am 14. November 2016 (AZ 2), schuldig gemacht hat.
4. Es wird festgestellt, dass der Beschuldigte A.___ gemäss der rechtskräftigen Ziffer 2 des erstinstanzlichen Urteils zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt wurde.
5. Es wird festgestellt, dass gemäss der rechtskräftigen Ziffer 3 des erstinstanzlichen Urteils der dem Beschuldigten A.___ mit Urteil der Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn vom 17. November 2015 bedingt gewährte Vollzug für eine Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je CHF 30.00 widerrufen und die Geldstrafe als vollstreckbar erklärt wurde.
6. Für den Beschuldigten A.___ wird eine stationäre therapeutische Behandlung nach Art. 59 StGB angeordnet.
7. Dem Beschuldigten A.___ werden die Untersuchungshaft vom 15.11.2016 bis 21.08.2017 und der vorzeitige Massnahmenvollzug seit dem 22.08.2017 an die Freiheitsstrafe bzw. die stationäre Massnahme angerechnet.
8. Der Antrag des Beschuldigten A.___ auf Ausrichtung einer Entschädigung für die geltend gemachte Überhaft bzw. den Freiheitsentzug aus dem Massnahmenvollzug wird abgewiesen.
9. Es wird festgestellt, dass zwecks Sicherung des Massnahmenvollzugs Sicherheitshaft angeordnet wurde (vgl. separater Beschluss).
10. Es wird festgestellt, dass gemäss rechtskräftiger Ziffer 7 des erstinstanzlichen Urteils von einer Landesverweisung gegen den Beschuldigten A.___ abgesehen wurde.
11. Es wird festgestellt, dass der Beschuldigte A.___ gemäss rechtskräftiger Ziffer 8 des erstinstanzlichen Urteils bei seiner Anerkennung, dem Privatkläger F.___ CHF 1'000.00 als Genugtuung zu bezahlen, behaftet wurde.
12. Es wird festgestellt, dass gemäss rechtskräftiger Ziffer 9 des erstinstanzlichen Urteils die Entschädigung des amtlichen Verteidigers des Beschuldigten A.___, Rechtsanwalt Alexander Kunz, im erstinstanzlichen Verfahren auf CHF 27'958.30 (inkl. Auslagen und MWST) festgesetzt und zufolge amtlicher Verteidigung vom Staat bezahlt worden ist.
Vorbehalten bleiben der Rückforderungsanspruch des Staates während 10 Jahren im Umfang von 2/3 entsprechend CHF 18'638.85 sowie der Nachzahlungsanspruch des amtlichen Verteidigers im Umfang von 2/3 entsprechend CHF 4'897.95, sobald es die wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschuldigten erlauben.
13. Die Entschädigung für den amtlichen Verteidiger des Beschuldigten A.___, Rechtsanwalt Alexander Kunz, wird im Berufungsverfahren auf CHF 4'996.10 (inkl. Auslagen und MWST) festgesetzt und ist zufolge amtlicher Verteidigung vom Staat zu bezahlen.
Vorbehalten bleibt der Rückforderungsanspruch des Staates während 10 Jahren, sobald es die wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschuldigten erlauben.
14. Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens werden inkl. der Gerichtsgebühr von CHF 6'000.00 auf total CHF 19'515.00 festgesetzt und sind zu 2/3 entsprechend CHF 13'010.00 durch den Beschuldigten A.___ und zu 1/3 entsprechend CHF 6'505.00 durch den Staat Solothurn zu bezahlen.
15. Die Kosten des Berufungsverfahrens mit einer Gerichtsgebühr von CHF 2'000.00, total CHF 2'900.85, hat der Beschuldigte A.___ zu bezahlen.
Rechtsmittel: Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit Erhalt des begründeten Urteils beim Bundesgericht Beschwerde in Strafsachen eingereicht werden (Adresse: 1000 Lausanne 14). Die Frist beginnt am Tag nach dem Empfang des begründeten Urteils zu laufen und wird durch rechtzeitige Aufgabe bei der Post gewahrt. Die Frist ist nicht erstreckbar. Die Beschwerdeschrift hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift des Beschwerdeführers seines Vertreters zu enthalten. Für die weiteren Voraussetzungen sind die Art. 78 ff. und 90 ff. des Bundesgerichtsgesetzes massgeblich.
Gegen den Entscheid betreffend Entschädigung der amtlichen Verteidigung (Art. 135 Abs. 3 lit. b StPO) und der unentgeltlichen Rechtsbeistandschaft im Rechtsmittelverfahren (Art. 138 Abs. 1 i.V.m. Art. 135 Abs. 3 lit. b StPO) kann innert 10 Tagen seit Erhalt des begründeten Urteils beim Bundesstrafgericht Beschwerde eingereicht werden (Adresse: Postfach 2720, 6501 Bellinzona).
Im Namen der Strafkammer des Obergerichts
Der Präsident Der Gerichtsschreiber
Marti Bachmann
Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.
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