Zusammenfassung des Urteils BKBES.2011.103: Beschwerdekammer
Die Chambre des recours des Tribunal cantonal hat über einen Rechtsstreit entschieden, bei dem der Staat Waadt gegen ein Urteil des Mietgerichts des Kantons Waadt in einem Streitfall zwischen mehreren Pastoren und dem Staat Waadt Berufung eingelegt hat. Das Mietgericht hatte festgestellt, dass der Staat Waadt den Pastoren bestimmte Geldbeträge schuldet und die Mieten für ihre Wohnungen anpassen muss. Es ging um die Anpassung der Mieten für Pfarrhäuser und die umstrittenen Erhöhungen im Laufe der Jahre. Die Pastoren hatten gegen die Erhöhungen geklagt, die vom Staat Waadt vorgenommen wurden. Der Richter entschied zugunsten der Pastoren und ordnete an, dass der Staat Waadt die zu viel gezahlten Mieten zurückzahlen muss und die Mieten entsprechend anpassen muss.
Kanton: | SO |
Fallnummer: | BKBES.2011.103 |
Instanz: | Beschwerdekammer |
Abteilung: | - |
Datum: | 08.11.2011 |
Rechtskraft: | - |
Leitsatz/Stichwort: | Einsichtnahme in den Strafbefehl |
Schlagwörter : | Urteil; Befehl; Person; Öffentlichkeit; Einsicht; Recht; Verfahren; Interesse; Befehle; Akteneinsicht; Einsprache; Urteils; Departement; Prozessordnung; Fällen; Schweizerische; Einsprachefrist; Verhandlung; Verfügung; Anspruch; Urteilsverkündung; Personen; Urteile; Sinne; Publikum; Praxis |
Rechtsnorm: | Art. 352 StGB ;Art. 69 StPO ;Art. 70 StPO ; |
Referenz BGE: | - |
Kommentar: | Niklaus Schmid, Schweizer, Schweizerische Strafprozessordnung, Praxis, Zürich, St. Gallen, Art. 69 StPO, 2009 Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017 |
Terminologisch ist auch der Begriff der Publikumsöffentlichkeit zu differenzieren. Dabei geht es einerseits um den Anspruch der Öffentlichkeit, an Verhandlungen und der mündlichen Eröffnung von Urteilen und Beschlüssen teilzunehmen (Art. 69 Abs. 1 StPO). Andererseits geht es darum, dass in Fällen, in welchen auf eine öffentliche Urteilsverkündung verzichtet wurde ein Strafbefehl ergangen ist, interessierte Personen in die Urteile und Strafbefehle Einsicht nehmen können (Art. 69 Abs. 2 StPO). Ein Recht auf Akteneinsicht besteht in diesen Fällen für die Öffentlichkeit tatsächlich nicht. Das Strafbefehlsverfahren ist im erwähnten Sinne insofern nicht öffentlich, als an Verhandlungen nicht teilgenommen werden kann (weil keine Hauptverhandlung stattfindet) und für am Verfahren nicht beteiligte Personen auch kein Akteneinsichtsrecht besteht. Demgegenüber besteht das Recht, in Strafbefehle Einsicht zu nehmen.
4. Art. 69 Abs. 2 StPO bestimmt Folgendes: «Haben die Parteien in diesen Fällen auf eine öffentliche Urteilsverkündung verzichtet ist ein Strafbefehl ergangen, so können interessierte Personen in die Urteile und Strafbefehle Einsicht nehmen.» Die Bestimmung versucht, bei nicht öffentlichen Verfahren den berechtigten Informationsansprüchen Dritter dadurch entgegenzukommen, dass die in einem schriftlichen jedenfalls nicht öffentlichen Verfahren gefällten Entscheide eingesehen werden können. Die Regelung setzt die Rechtsprechung um, wonach bei Verzicht auf eine öffentliche Urteilsverkündung dem Publikum das Urteil auf andere Weise zur Kenntnis zu bringen ist, beispielsweise durch Auflage in der Gerichtskanzlei. Ein eigentlicher Interessennachweis ist für die Einsichtnahme nicht erforderlich (Botschaft, S. 1152).
Niklaus Schmid (Schweizerische Strafprozessordnung, Praxiskommentar, Zürich/St. Gallen 2009, N 5 zu Art. 69 StPO) vertritt die Auffassung, diese Einsichtnahme könne grundsätzlich nur während der Rechtsmittelbzw. Einsprachefrist erfolgen. Diese Meinung findet in der erwähnten Bestimmung keine Stütze. Der Strafbefehl wird erst nach Ablauf der Einsprachefrist zu einem rechtskräftigen Urteil (Art. 354 Abs. 3 StPO). Ab diesem Zeitpunkt besteht das Einsichtsrecht gemäss Art. 69 Abs. 2 StPO. Vor Eintritt der Rechtskraft besteht kein Einsichtsrecht, da noch kein Urteil vorliegt, welches öffentlich zu verkünden wäre. Beim Strafbefehl handelt es sich vor Ablauf der Einsprachefrist vielmehr lediglich um eine «Urteilsofferte» oder, gemäss Niklaus Schmid (a.a.O., N 1 vor Art. 352 357 StGB) um ein Angebot an die Parteien zur summarischen Verfahrenserledigung.
Seitens der Staatsanwaltschaft wurde auf die interne Praxis verwiesen, wonach Strafbefehle während 30 Tagen aufgelegt würden. Diese Regelung ist jedenfalls nicht gesetzeswidrig und wird auch im Bereich des Obergerichts praktiziert. Sie ist nicht zu beanstanden. Nach den obigen Ausführungen erscheint es angebracht, diese Frist dann beginnen zu lassen, wenn der Strafbefehl tatsächlich zu einem Urteil geworden ist. Erhebt der Betroffene gegen den Strafbefehl Einsprache, hat er bis zu einer öffentlichen Verhandlung dem Erlass eines Urteils grundsätzlich Anspruch auf ein nichtöffentliches bzw. geheimes Verfahren (Art. 69 Abs. 3 StPO).
Vorliegend endete die Einsprachefrist am 20. Juni 2011 (Begründung der angefochtenen Verfügung). Das Gesuch des Departements wurde damit im Sinne der obigen Ausführungen rechtzeitig gestellt.
5. Im Übrigen geht der Staatsanwalt zu Recht davon aus, dass das Departement ein gewichtiges und schutzwürdiges Interesse hat, den Strafbefehl einzusehen. Aufgrund von Art. 69 Abs. 2 StPO besteht nämlich ein klarer gesetzlicher Anspruch der Öffentlichkeit darauf, in Strafbefehle Einsicht nehmen zu können. Die Persönlichkeitsrechte der verurteilten Person treten gegenüber diesem Recht in den Hintergrund. Grundsätzlich bestehen bei einem Strafbefehl keine anderen Einschränkungen als bei der Publikumsöffentlichkeit gemäss Art. 69 Abs. 1 StPO (dazu Felix Bommer in: forumpoenale 4/2011, Einstellungsverfügung und Öffentlichkeit, S. 249).
Gemäss Art. 70 Abs. 1 StPO kann das Gericht die Öffentlichkeit von Gerichtsverhandlungen u.a. ganz teilweise ausschliessen, wenn die öffentliche Sicherheit Ordnung schutzwürdige Interessen einer beteiligten Person, insbesondere des Opfers, dies erfordern (lit. a). Beim Öffentlichkeitsausschluss im Interesse der beschuldigten Person (bzw. hier der verurteilten Person) ist Zurückhaltung angebracht: Zwar geniesst diese grundsätzlich den Schutz ihrer Persönlichkeit. Indes besteht die Verfahrensöffentlichkeit auch im öffentlichen Interesse. Grundsätzlich muss daher die beschuldigte Person die mit einer öffentlichen Verhandlung möglicherweise verbundene psychische Belastung erdulden (Urs Saxer/Simon Thurnheer in: Marcel Alexander Niggli/Marianne Heer/Hans Wiprächtiger [Hrsg.], Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, Marcel Alexander Niggli/Marianne Heer/Hans Wiprächtiger [Hrsg.], Basel 2011, N 9 zu Art. 70 StPO). Als mögliche Gründe für den Öffentlichkeitsausschluss zum Schutz der beschuldigten Person führen die Kommentatoren deren psychische Gesundheit Geschäftsgeheimnisse an.
Die Befürchtungen, welche der Beschwerdeführer geltend macht, sind zwar nachvollziehbar, vermögen aber den Öffentlichkeitsgrundsatz nicht in den Hintergrund zu drängen. Es ist gerichtsnotorisch, dass nach der Praxis der Strafkammer des Obergerichts die Öffentlichkeit zum Schutz der beschuldigten Person nicht ausgeschlossen wird, gerade auch in Fällen, welche mit dem vorliegenden vergleichbar sind. Davon ist nicht abzuweichen. Im vorliegenden Falle kommt hinzu, dass ein erhebliches öffentliches Interesse daran besteht, dass die dem Beschwerdeführer als Lehrer vorgesetzte Stelle, welche den gesetzlichen Auftrag hat, eine Prüfung der Unterrichtsberechtigung vorzunehmen, in das Urteil (d.h. den zum rechtskräftigen Urteil gewordenen Strafbefehl) Einsicht nehmen kann. Die vom Beschwerdeführer angebotenen Massnahmen vermögen dies nicht wettzumachen.
6. Unter Ziffer 1 der angefochtenen Verfügung wurde das Akteneinsichtsgesuch des Departements gutgeheissen und unter Ziffer 2 wurde festgestellt, der Strafbefehl werde nach Rechtskraft der Verfügung dem Departement zugestellt. Die Verfügung ist damit so zu verstehen, dass das Akteneinsichtsgesuch in dem Sinne gutgeheissen wurde, als dem Departement der Strafbefehl zuzustellen ist. Ein weitergehendes Akteneinsichtsrecht wurde nicht angeordnet und müsste allenfalls neu verfügt werden.
Obergericht Beschwerdekammer, Urteil vom 8. November 2011 (BKBES.2011.103)
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