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Urteil Obergericht (SH)

Zusammenfassung des Urteils Nr. 60/2013/30: Obergericht

Die Staatsanwaltschaft Winterthur/Unterland hat gegen ein Urteil des Bezirksgerichtes Winterthur Berufung eingelegt, diese jedoch später zurückgezogen. Dadurch wurde das Verfahren beendet, und die Kosten des Rechtsmittelverfahrens müssen entsprechend den Obsiegens- oder Unterliegensregelungen getragen werden. Da die Staatsanwaltschaft die Berufung zurückzog, trägt der verfahrensführende Kanton die Kosten. Der Beschuldigte erhält keine Prozessentschädigung, da die Staatsanwaltschaft innerhalb der gesetzlichen Frist zurückgezogen hat. Das Urteil des Bezirksgerichtes Winterthur ist rechtskräftig, und es besteht die Möglichkeit, gegen diesen Entscheid eine bundesrechtliche Beschwerde in Strafsachen beim Bundesgericht einzureichen.

Urteilsdetails des Kantongerichts Nr. 60/2013/30

Kanton:SH
Fallnummer:Nr. 60/2013/30
Instanz:Obergericht
Abteilung:-
Obergericht Entscheid Nr. 60/2013/30 vom 19.05.2015 (SH)
Datum:19.05.2015
Rechtskraft:-
Leitsatz/Stichwort: Art. 30 Abs. 3 BV; Art. 47 Abs. 3 KV; Art. 44 Abs. 1 lit. b JG; Art. 8a und Art. 8b Organisationsgesetz; Art. 144 EG ZGB, Art. 10 DSG/SH, § 5 Justizarchivverordnung Einsicht eines Journalisten in Prozessakten und Urteil einer abgeschlosse-ner Strafsache; Rechtsweg; Justizöffentlichkeit nach Bundesrecht; kantona-les Öffentlichkeitsprinzip
Schlagwörter : Einsicht; Akten; Urteil; Gerichts; Verfahren; Kanton; Urteils; Justiz; Interesse; Kantons; Akten; Bundes; Gericht; Verfahrens; Akteneinsicht; Verfahren; Kantonsgericht; Organisation; Verwaltung; Obergericht; Organisationsgesetz; Verwaltungs; Recht; Urteilsdispositiv; Verfahrens; Schutz; Justizarchivverordnung; Kantonsgerichts; Schaffhausen
Rechtsnorm:Art. 10 DSG ;Art. 101 StPO ;Art. 102 StPO ;Art. 30 BV ;Art. 69 StPO ;Art. 82 StPO ;Art. 8b Or;
Referenz BGE:139 I 129;
Kommentar:
-

Entscheid des Kantongerichts Nr. 60/2013/30

Einsicht eines Journalisten in Prozessakten und Urteil einer abgeschlossener Strafsache; Rechtsweg; Justizöffentlichkeit nach Bundesrecht; kantonales Öffentlichkeitsprinzip - Art. 30 Abs. 3 BV; Art. 47 Abs. 3 KV; Art. 44 Abs. 1 lit. b JG; Art. 8a und Art. 8b Organisationsgesetz; Art. 144 EG ZGB, Art. 10 DSG/SH, § 5 Justizarchivverordnung.

Entscheide des Kantonsgerichts über die Einsicht in die Akten eines abgeschlossenen Strafverfahrens sind mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Obergericht anfechtbar (E. 1).

In die Prozessakten eines abgeschlossenen Strafverfahrens kann auch unter der Geltung des Öffentlichkeitsprinzips wegen überwiegender privater Gegeninteressen grundsätzlich nicht Einsicht genommen werden; Vorbehalt für den Fall eines nachgewiesenen schutzwürdigen Interesses (z.B. prozessuales wissenschaftliches Interesse; E. 4).

Die Einsicht in das Urteilsdispositiv und soweit in einem amtlichen Dokument vorhanden in die Urteilsbegründung steht aufgrund des Verkündungsgebots für Gerichtsurteile jedermann ohne Nachweis eines besonderen Interesses auch nach Abschluss des Verfahrens zu. Die Namen der betroffenen Privatpersonen sind bei nachträglicher Einsicht zu anonymisieren. Für besondere Aufwendungen und Kopien kann eine Gebühr erhoben werden (E. 5).

OGE 60/2013/30 vom 19. Mai 2015

Veröffentlichung im Amtsbericht

Sachverhalt

Ein Journalist ersuchte einige Zeit nach Abschluss des Strafverfahrens gegen einen Physiotherapeuten wegen mehrfacher sexueller Nötigung und sexueller Belästigung um vollständige Einsicht in die Prozessakten, um recherchieren zu können, weshalb das Urteil nicht dem kantonalen Gesundheitsamt mitgeteilt worden ist, welches für den Entzug der Berufsausübungsbewilligung zuständig gewesen wäre. Der zuständige Kammervorsitzende des Kantonsgerichts wies das Gesuch ab unter Hinweis darauf, dass Gerichtsverhandlung und Urteilsverkündung öffentlich gewesen seien, womit dem Anspruch auf Justizöffentlichkeit Genüge getan worden sei. Auf Verwaltungsgerichtsbeschwerde des Journalisten hiess das Obergericht das Akteneinsichtsgesuch teilweise gut; es bejahte den Anspruch auf Einsicht in das Urteilsdispositiv und die Protokollbegründung.

Aus den Erwägungen

1. Mit der Beschwerde wird Einsicht in die Akten eines abgeschlossenen Strafverfahrens verlangt. Während Entscheide des erstinstanzlichen Strafgerichts über ein Akteneinsichtsgesuch in einem hängigen erstinstanzlichen Strafverfahren mit der Beschwerde nach Art. 393 ff. StPO anfechtbar sind (vgl. Markus Schmutz in: Niggli/Heer/Wiprächtiger [Hrsg.], Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2. A., Basel 2014, Art. 102 N. 6, S. 704), handelt es sich bei Anordnungen über die Akteneinsicht bei abgeschlossenen Verfahren um Justizverwaltungsakte, welche nach den Vorschriften des kantonalen Verwaltungsrechts anfechtbar sind (vgl. Schmutz, Art. 103 N. 2, S. 705; zur erstinstanzlichen Zuständigkeit des Kantonsgerichts für die Beurteilung von Einsichtsgesuchen bei dort abgeschlossenen Verfahren § 6 der Verordnung des Obergerichts über die Archivierung der Justizakten vom 26. August 1988 [Justizarchivverordnung, SHR 320.111]). Im Kanton Schaffhausen sind solche Justizverwaltungsakte der erstinstanzlichen Gerichte gemäss Art. 44 Abs. 1 lit. b des Justizgesetzes vom 9. November 2009 (JG, SHR 173.200) i.V.m. Art. 35 ff. des Gesetzes über den Rechtsschutz in Verwaltungssachen vom 20. September 1971 (Verwaltungsrechtspflegegesetz, VRG, SHR 172.200) mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Obergericht anfechtbar. Der Beschwerdeführer ist als Adressat der angefochtenen Verfügung zur Beschwerdeerhebung legitimiert (Art. 36 Abs. 1 VRG). Die Beschwerde wurde rechtzeitig und formgerecht erhoben (Art. 39 Abs. 1 und Art. 40 Abs. 1 VRG), weshalb darauf einzutreten ist.

    1. Umstritten ist, ob und inwieweit dem Beschwerdeführer nach rechtskräftigem Abschluss des Strafverfahrens Nr. x betreffend mehrfache sexuelle Nötigung und sexuelle Belästigung (Urteil des Kantonsgerichts vom 23. August 2012) Einsicht in die Akten des Strafverfahrens und dessen Abschluss zusteht.

    2. Das Kantonsgericht bzw. der zuständige Kammerpräsident hat das Akteneinsichtsgesuch des Beschwerdeführers vom 19. Juli 2013 abgewiesen. Zur Begründung wurde in der angefochtenen Verfügung ausgeführt, es handle sich um ein rechtskräftig abgeschlossenes Verfahren, dessen Akten seit dem 27. September 2012 archiviert seien. Der Beschuldigte sei am 23. August 2012 nach zweitägiger öffentlicher Hauptverhandlung mit öffentlicher Urteilsverkündung zu 22 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt worden. Das Urteil sei an der Verkündung mündlich begründet worden. Anschliessend sei das Urteilsdispositiv nach den Richtlinien über die Einsicht in Entscheide des Kantonsgerichts während 30 Tagen auf der Gerichtskanzlei zur Einsicht aufgelegt worden. Die akkreditierten Gerichtsberichterstatter hätten auch Einsicht in die Anklageschrift gehabt. Damit sei dem Grund-

      satz der Öffentlichkeit des Strafverfahrens (Art. 69 StPO) umfassend und genügend nachgekommen worden. Aus einer allfälligen weitergehenden Praxis anderer Gerichte könne der Beschwerdeführer nichts ableiten.

      Was die inzwischen archivierten Akten des Strafverfahrens anbetreffe, könne auch aus dem verfassungsmässige Grundsatz der Justizöffentlichkeit (Art. 30 BV) nichts abgeleitet werden, da die Zugänglichkeit dieser Akten sich nach dem anwendbaren Archivrecht richte. Nach der Justizarchivverordnung dürfe Gesuchen um Akteneinsicht nur stattgegeben werden, wenn der Gesuchsteller ein Interesse daran glaubhaft mache, wobei die Verordnung auf Art. 144 des Gesetzes über die Einführung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches vom 27. Juni 1911 (EG ZGB, SHR 210.100) verweise. Diese Bestimmung verweise in der heutigen Fassung ihrerseits auf Art. 8a und Art. 8b des Gesetzes über die Organisation der Regierungsund Verwaltungstätigkeit vom 18. Februar 1985 (Organisationsgesetz, SHR 172.100), welche aber primär auf die eigentliche Regierungsund Verwaltungstätigkeit zugeschnitten seien und den Eigenheiten der Zivilund Strafverfahren kaum gerecht würden. Immerhin nenne Art. 8b Abs. 2 lit. a des Organisationsgesetzes den Schutz des persönlichen Geheimbereichs als entgegenstehendes überwiegendes privates Interesse. Eine gewisse Konkretisierung des Schutzes des persönlichen Geheimbereichs finde sich in der sinngemäss anwendbaren Verordnung über das Staatsarchiv und die Archivierung der Verwaltungsakten vom 8. Februar 1994 (Archivverordnung, SHR 172.301), indem § 17 dieser Verordnung eine generelle Schutzoder Sperrfrist von 50 Jahren, bei besonders schützenswerten Personendaten gar von 100 Jahren vorsehe. Entsprechende Schutzfristen bestünden auf Bundesebene auch für das Bundesgericht und das Bundesstrafgericht, wobei während der Schutzfrist nur unter besonderen Voraussetzungen Einsicht in die Gerichtsakten gewährt werde (namentlich Vorhandensein eines schutzwürdigen Interesses, Einwilligung der Betroffenen wissenschaftliches Interesse).

      Das erforderliche schutzwürdige Einsichtsinteresse fehle im vorliegenden Fall offensichtlich. Der Beschwerdeführer gebe zwar die Wahrnehmung der Kontrollfunktion der Medien an, namentlich im Zusammenhang mit der Tatsache, dass der Verurteilte weiterhin über eine Berufsausübungsbewilligung als Physiotherapeut verfüge bzw. das Kantonsgericht keine Meldung an das Gesundheitsamt gemacht habe. Da der Beschwerdeführer aber offensichtlich bereits über Unterlagen des Strafverfahrens verfüge, gehe es ihm wohl nur darum, die Grenzen des Einsichtsrechts eines Journalisten auszutesten. Der Medienberichterstattung habe denn auch entnommen werden können, dass das Kantonsgericht auf eine Mitteilung an das Gesundheitsamt in Ausübung seines Ermessens verzichtet habe, weil der Verurteilte in der fraglichen Institution als Pfleger, nicht als Physiotherapeut tätig gewesen sei und sich die strafbaren Handlungen nicht gegen Insassen, sondern

      gegen eine Mitarbeiterin der Institution gerichtet hätten. Es bestehe im Übrigen kein Anspruch, einen Ermessensentscheid des Kantonsgerichts noch nach Jahren anhand der archivierten Akten zu überprüfen. Eine Einsicht in die Verfahrensakten sei für die Ausübung der beanspruchten Kontrollfunktion der Medien unter diesen Umständen auch nicht erforderlich. Da zufolge Verzichts auf eine schriftliche Begründung gemäss Art. 82 Abs. 1 StPO kein begründetes Strafurteil existiere, könne der geltend gemachte Zweck des Einsichtsgesuchs auch gar nicht erreicht werden. Das Einsichtsgesuch sei daher abzulehnen, ohne dass zusätzlich der Schutz der Verfahrensbeteiligten geprüft bzw. diese zur Vernehmlassung aufgefordert werden müssten. Immerhin sei aber darauf hinzuweisen, dass für diese - namentlich auch für das Opfer - die nachträgliche Kenntnisnahme dieser Informationen durch weitere Dritte einen schwerwiegenden Eingriff in die Persönlichkeit bedeute, welcher nur bei entsprechend gewichtigen, hier klarerweise nicht gegebenen Einsichtsinteressen gerechtfertigt wäre.

      Auch der Eventualantrag des Beschwerdeführers (blosse Einsicht in das Urteilsdispositiv und allfällige Aufzeichnungen der mündlichen Begründung) lasse sich nicht auf die von diesem angeführten Bundesgerichtsentscheide zur Justizöffentlichkeit abstützen, zumal diese nicht öffentlich verkündete Urteile beträfen, wobei im einen Fall auch die Zusammensetzung des Spruchkörpers nicht bekannt gewesen sei, was beides im vorliegenden Fall gerade nicht zutreffe. Der Subeventualantrag des Beschwerdeführers (Anonymisierung der Personennamen) sei was die gesamten Verfahrensakten betreffe - nicht praktikabel und vermöge nichts am fehlenden Einsichtsanspruch hinsichtlich des Urteilsdispositivs und allfälliger Aufzeichnungen der mündlichen Begründung zu ändern.

    3. Der Beschwerdeführer bringt dagegen in der Beschwerdebegründung vor, es treffe zu, dass den Medien habe entnommen werden können, dass dem verurteilten Straftäter die Berufsausübungsbewilligung als Physiotherapeut nicht entzogen worden sei und seitens des Kantonsgerichts keine Mitteilung an das Gesundheitsamt erfolgt sei. Der Beschwerdeführer habe als Redaktor recherchieren wollen, wie es dazu gekommen sei bzw. ob die berufliche Tätigkeit des Straftäters im Ermittlungsund Gerichtsverfahren nicht thematisiert worden sei und ob sich das Kantonsgericht nicht hätte bewusst sein müssen, dass eine Mitteilung an das Gesundheitsamt hätte ergehen sollen. Seriöser Journalismus könne sich hierbei nicht auf das Hören Sagen berufen, sondern müsse sich auf die Fakten bzw. auf die amtlichen Dokumente abstützen können. Der Beschwerdeführer nehme hierbei entgegen der Auffassung des Kantonsgerichts sehr wohl eine Kontrollfunktion der Medien wahr, welche auch gegenüber den Gerichten bestehe. Das Vorgehen sei denn auch mit der Redaktion abgesprochen. Die Strafgerichts-

verhandlung und die Urteilsverkündung seien öffentlich gewesen. Die Einsichtnahme sollte daher auch nachträglich in die archivierten Akten möglich sein. Dass dem Beschwerdeführer nur ein vorgeschobenes Einsichtsinteresse vorgeworfen werde, sei willkürlich und beruhe auf vagen, nicht zutreffenden Vermutungen

Die StPO regle die Akteneinsicht in abgeschlossene Straffälle nicht. Zumindest nach einem Teil der Lehre stünden die Akten abgeschlossener Strafverfahren den Beteiligten und teilweise auch Dritten aber nach den Regeln von Art. 101 StPO und unter Berücksichtigung der Justizverfassungsgrundsätze zur Einsicht offen. Im Hinblick auf die geplante Recherche bestehe jedenfalls ein überwiegendes Einsichtsinteresse des Beschwerdeführers, welches sich auch auf Tonaufnahmen der Verhandlung und der mündlichen Urteilsbegründung beziehe. Ein entsprechendes Einsichtsrecht ergebe sich auch aus § 5 der Justizarchivverordnung, zumal eine Herausgabe nur in anonymisierter Form verlangt werde und Zusicherungen für einen strikten Schutz der Persönlichkeitsrechte der Verfahrensbeteiligten gegeben würden. Die Justizarchivverordnung müsse verfassungskonform ausgelegt werden. Für die erforderliche Güterabwägung könne auch auf verschiedene Bundesgerichtsentscheide hingewiesen werden. Theoretisch mögliche Persönlichkeitsverletzungen durch die Berichterstattung dürften nicht zum vorneherein als Gegenargument gegen eine Einsichtnahme angeführt werden, zumal zu deren Abwehr die privatrechtlichen Rechtsbehelfe zur Verfügung stünden. Die Einsichtnahme in das anonymisierte Urteilsdispositiv müsse aufgrund der bundesgerichtlichen Rechtsprechung jedenfalls gewährt werden. Sofern sich eine Abschrift der mündlichen Begründung in den Akten befinde, müsse diese überdies zusammen mit dem Urteilsdispositiv herausgegeben werden.

3. ...
    1. Was die Einsicht in die Akten abgeschlossener Gerichtsverfahren anbetrifft, muss nach der heutigen Rechtsprechung des Bundesgerichts zwischen der allgemeinen bzw. umfassenden Einsicht in die Prozessakten einerseits und der Kenntnisnahme von Urteilen andererseits unterschieden werden. Für die Kenntnisnahme von Urteilen gilt der Anspruch auf öffentliche Urteilsverkündung gemäss Art. 30 Abs. 3 BV und staatsvertraglichen Grundlagen (Art. 6 Abs. 1 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 [EMRK, SR 0.101], Art. 14 Abs. 1 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte vom 16. Dezember 1966 [UNO-Pakt II; SR 0.103.2]), woraus sich Umfang und Grenzen dieser Kenntnisnahme-Möglichkeit ergeben. Die darüber hinausgehende Einsicht in die Prozessakten wird dagegen allein durch das betreffende Archivierungsrecht bestimmt, welches jedenfalls auf Bundesebene - nicht mit besonderen verfassungsmässigen Ansprüchen verbunden ist (vgl. BGE 139 I 129 E. 3.5 S. 135 f. und dazu Gerold Steinmann in: Ehrenzeller/

      Schindler/Schweizer/Vallender [Hrsg.], Die schweizerische Bundesverfassung, St. Galler Kommentar, 3. A., Zürich/St. Gallen/Basel/Genf 2014, Band I, Art. 30 Rz. 62, S. 721; zum besonderen, als verfassungsmässige Garantie ausgestalteten allgemeinen Öffentlichkeitsprinzip im Kanton Schaffhausen nachfolgend E. 4.2). Im Entwurf zur StPO war zwar noch eine besondere Vorschrift über die Einsicht in Akten abgeschlossener Strafverfahren vorgesehen, welche weitgehend mit dem heutigen Art. 102 StPO über die Einsicht in die Akten eines hängigen Strafverfahrens übereinstimmte, doch wurde im weiteren Gesetzgebungsverfahren auf diese Vorschrift verzichtet, weshalb für die Akten kantonaler Gerichtsverfahren direkt das betreffende kantonale Justizverwaltungsrecht (Archivierungsrecht und massgebende Datenschutzvorschriften) anzuwenden ist, wobei selbstverständlich das Verfassungsrecht mit zu berücksichtigen ist (vgl. dazu Schmutz, Art. 103 N. 2,

      S. 705; zu unpräzis Niklaus Schmid, Handbuch des schweizerischen Strafprozessrechts, 2. A., Zürich/St. Gallen 2013, Rz. 629, S. 241).

    2. Der Hauptantrag des Beschwerdeführers ist auf eine Einsicht in die gesamten Prozessakten des Strafverfahrens Nr. x ausgerichtet, weshalb zunächst zu prüfen ist, ob der Beschwerdeführer nach dem geltenden kantonalen Archivierungsrecht Anspruch auf Einsicht in die gesamten Prozessakten habe (inkl. Ermittlungsund Untersuchungsakten, Anklageschrift, Akten des kantonsgerichtlichen Verfahrens).

      Diesbezüglich hat die Vorinstanz grundsätzlich zutreffend auf § 5 der Justizarchivverordnung hingewiesen, der seinerseits auf die allgemeine Regelung über die Einsicht in amtliche Akten in Art. 144 EG ZGB verweist, welche in der damaligen Fassung ein genügendes bzw. überwiegendes Einsichtsinteresse verlangte (vgl. zur entsprechenden ursprünglichen Regelung und Praxis den Entscheid des Obergerichts Nr. 51/2003/39 vom 31. Dezember 2003, publiziert im Amtsbericht 2003,

      S. 184 ff., mit weiteren Hinweisen zur früheren Rechtsprechung des Obergerichts). Bereits in diesem Entscheid wurde jedoch darauf hingewiesen, dass die neue Kantonsverfassung vom 17. Juni 2002 (KV, SHR 101.000) in Art. 47 Abs. 3 im Sinne des Öffentlichkeitsprinzips ein allgemeines Akteneinsichtsrecht unabhängig von einem Interessennachweis des Gesuchstellers vorsieht, soweit der Einsicht nicht überwiegende öffentliche private Interessen entgegenstehen (vgl. E. 3c des erwähnten Entscheids, Amtsbericht 2003, S. 186). Dieser verfassungsrechtlichen Regelung ist inzwischen durch eine Revision von Art. 144 EG ZGB Rechnung getragen worden, wonach sich die (allgemeine) Einsicht in amtliche Akten nach Art. 8a und Art. 8b des Organisationsgesetzes richtet, welche Bestimmungen im Rahmen desselben Gesetzgebungspakets (Umsetzung der neuen Kantonsverfassung) geschaffen wurden (vgl. die heute geltende Fassung dieser Bestimmungen gemäss Gesetz vom 17. Mai 2004, Amtsblatt für den Kanton Schaffhausen 2004,

      S. 713 und 723 sowie 1263 f. [Inkraftsetzungsbeschluss]; vgl. dazu und zur fragwürdigen Verweisungstechnik auch Dubach/Marti/Spahn, Verfassung des Kantons Schaffhausen, Kommentar, Schaffhausen 2004, S. 135 ff., insbesondere S. 137).

      Während für die hängigen Verwaltungsund Justizverfahren in Art. 8a Abs. 2 des Organisationsgesetzes die bestehenden prozessrechtlichen Bestimmungen über das Akteneinsichtsrecht ausdrücklich vorbehalten werden, die entsprechenden Regeln demnach vorgehen, steht damit trotz der diskutablen Verweisungstechnik fest, dass für die allgemeine Einsicht in die Akten abgeschlossener Verwaltungsund Justizverfahren die neuen, im Sinne des Öffentlichkeitsprinzips erweiterten Einsichtsregeln von Art. 8a und Art. 8b des Organisationsgesetzes gelten, welche grundsätzlich keinen Interessennachweis des Gesuchstellers mehr erfordern. Zu Recht weist die Vorinstanz aber auf Art. 8b Abs. 2 des Organisationsgesetzes hin, wonach der Schutz des persönlichen Geheimbereichs ein überwiegendes privates Interesse darstellt, welches dem allgemeinen Akteneinsichtsrecht nach Art. 47 Abs. 3 KV bzw. Art. 8a des Organisationsgesetzes entgegensteht. Ebenfalls zutreffend erscheint es, die Akten eines abgeschlossenen Strafverfahrens grundsätzlich dem persönlichen Geheimbereich der betroffenen Personen zuzuordnen, was eine allgemeine Akteneinsicht nach Art. 8a des Organisationsgesetzes grundsätzlich ausschliesst, zumal es regelmässig um besonders schützenswerte Personendaten geht (vgl. für Daten über strafrechtliche Verfolgung und Sanktionen Art. 3 lit. c Ziff. 4 des Bundesgesetzes über den Datenschutz vom 19. Juni 1992 [DSG, SR 235.1] bzw. Art. 2 lit. d Ziff. 4 des Kantonalen Datenschutzgesetzes vom

      7. März 1994 [DSG/SH, SHR 174.100]; zur Einschränkung der Datenbekanntgabe bei überwiegenden Gegeninteressen allgemein Art. 10 DSG/SH; zur schwierigen Umschreibung des vor der allgemeinen Akteneinsicht zu schützenden Bereichs auch Vorlage der Spezialkommission Umsetzung der neuen Verfassung vom

      26. April 2004, S. 2, und Isabelle Häner, Das Öffentlichkeitsprinzip in der Verwaltung im Bund und in den Kantonen - Neuere Entwicklungen, ZBl 2003, S. 281 ff., insbesondere S. 294 ff.). Vorbehalten bleiben müssen selbstverständlich besondere Regeln, welche bei Nachweis eines besonderen bzw. schutzwürdigen Interesses eine weitergehende Akteneinsicht ermöglichen (z.B. für einsichtsberechtigte Behörden für Verfahrensbeteiligte im Hinblick auf damit zusammenhängende weitere Prozessverfahren; vgl. auch § 5 der Justizarchivverordnung, welcher weiterhin heute allerdings aufgrund des geänderten Wortlauts von Art. 144 EG ZGB ohne gesetzliche Konkretisierung auf solche Interessen hinweist, und dazu auch nachfolgend E. 4.3).

    3. Mit diesem Ergebnis (grundsätzlich keine allgemeine Einsicht Dritter in die Akten eines abgeschlossenen Strafverfahrens nach Art. 47 Abs. 3 KV bzw. Art. 8a des Organisationsgesetzes) stimmt worauf die Vorinstanz zutreffend hinweist -

      die auch heute noch geltende Regelung über die Einsicht in die im Staatsarchiv eingelagerten Akten überein, zu welchen Akten auch Strafgerichtsakten nach Ablauf der vorgesehenen Aufbewahrung bei den Gerichten selber gehören, sofern sie vom Staatsarchiv übernommen werden (vgl. dazu § 2 der Justizarchivverordnung). So sind entsprechende Akten, welche wie Strafverfahrensakten unter Ausschluss der Öffentlichkeit entstanden sind, gemäss § 17 der Archivverordnung für Private andere als die abliefernden Stellen erst nach einer Frist von 50 Jahren nach ihrem Abschluss zugänglich. Für besonders schützenswerte Personendaten (also wie gesehen für Akten im Zusammenhang mit der Strafverfolgung) beträgt die Frist mangels besonderer Bestimmungen sogar 100 Jahre (Abs. 1). Die abliefernde Stelle entscheidet über die ausnahmsweise Gewährung von Einsicht während der Sperrfrist (Abs. 2).

      Auch aufgrund dieser Vorschriften kann somit in Strafakten vor Ablauf der Sperrfrist grundsätzlich nicht Einsicht gewährt werden, wobei immerhin begründete Ausnahmen (z.B. ein nachgewiesenes prozessuales wissenschaftliches Interesse) vorbehalten bleiben. In diesem Sinne hat denn auch das Obergericht für wissenschaftliche, nicht aber für rein journalistische Arbeiten schon die Einsicht in frühere Strafakten gewährt (etwa für die Dissertation von Christoph Schlatter, Merkwürdigerweise bekam ich Neigung zu Burschen, Selbstbilder und Fremdbilder homosexueller Männer in Schaffhausen 1867 bis 1970, Diss. Zürich 2000; vgl. OGE vom 28. September 2001, Amtsbericht 2001, S. 131 ff., ZBl 2002, S. 654 ff.). Ähnlich (Sperrfrist mit Möglichkeit der Einsichtsgewährung unter besonderen Voraussetzungen) ist die Rechtslage wie die Vorinstanz zutreffend dartut auch nach den Vorschriften des Bundes für die archivierten Akten des Bundesstrafgerichts und des Bundesgerichts (vgl. Art. 13 des Reglements über die Archivierung beim Bundesstrafgericht vom 17. Januar 2006 [SR 152.12]; Art. 12 Abs. 2 lit. c der Verordnung des Bundesgerichts zum Archivierungsgesetz vom 27. September 1999 [SR 152.21]).

      Wie die Vorinstanz zutreffend ausgeführt hat, kann bzw. muss die Einsicht in die beim Gericht archivierten Akten in analoger Anwendung dieser Archivierungsregeln unter den erwähnten besonderen Voraussetzungen (besonderes, namentlich prozessuales wissenschaftliches Interesse; keine Verletzung von Persönlichkeitsrechten) ausnahmsweise gewährt werden. In diesem Sinne kann denn auch die heute in § 5 der Justizarchivverordnung bestehende Lücke für die Akteneinsicht bei nachgewiesenem besonderen Interesse gefüllt werden. Solche besonderen Voraussetzungen bestehen jedoch vorliegend offensichtlich nicht, da der Beschwerdeführer unbestrittenerweise lediglich ein allgemeines Interesse im Sinne der Kontrollfunktion der Medien, also ein rein journalistisches Interesse, geltend

      macht. Die Differenzierung zwischen wissenschaftlichem und bloss journalistischem Interesse erscheint hierbei ohne weiteres zulässig und namentlich unter dem Aspekt des erforderlichen Persönlichkeitsschutzes auch sachgerecht, zumal die wissenschaftliche Aufarbeitung eines Themas detaillierte Akteneinsicht erfordern kann, während die Kontrollfunktion der Medien insbesondere angesichts der besonderen Garantien der Verhandlungsöffentlichkeit und des Verkündungsgebots (vgl. nachfolgend E. 5) auch ohne detaillierte Einsicht in die Akten eines abgeschlossenen Verfahrens wahrgenommen werden kann (zu den besonderen Einsichtsrechten der akkreditierten Gerichtsberichterstatter während der Hängigkeit des Verfahrens vgl. Verordnung des Obergerichts über die Zulassung und Stellung von Gerichtsberichterstattern vom 26. August 1988 [SHR 320.511]).

    4. Der Hauptantrag des Beschwerdeführers (Einsicht in die gesamten Akten des Strafverfahrens Nr. x) ist demzufolge abzuweisen.

    1. Im Eventualantrag beschränkt sich der Beschwerdeführer auf ein Gesuch zur Einsicht in das Urteilsdispositiv sowie allfällige Aufzeichnungen der mündlichen Begründung, wobei subeventualiter auch eine Anonymisierung der am Verfahren beteiligten Personen zugestanden wird.

      Diesbezüglich übersieht die Vorinstanz, welche diese Frage auch in ihren auf der Homepage abrufbaren Richtlinien über die Einsicht in Entscheide des Kantonsgerichts vom 29. April 2013 nicht geregelt hat, dass das Bundesgericht heute aus dem Gebot der öffentlichen Urteilsverkündung gemäss Art. 30 Abs. 3 BV bzw. den in E. 4.1 erwähnten staatsvertraglichen Grundlagen ein zeitlich nicht beschränktes Einsichtsrecht in die ergangenen Urteile ableitet, wobei ein Gesuchsteller kein besonderes oder schutzwürdiges Interesse nachweisen muss. Im Übrigen stellen die Kontrollfunktion der Medien und die Überwachung der Justiz ohnehin allgemeine öffentliche Interessen dar, die keinen besonderen Nachweis erfordern (Steinmann, Art. 30 Rz. 63, S. 721).

      Entgegen der Auffassung der Vorinstanz spielt es daher keine Rolle, ob der geltend gemachte Zweck des Einsichtsgesuchs (Recherche nach den Gründen und Umständen der unterlassenen Urteilsmitteilung an das Gesundheitsamt) durch eine blosse Einsicht in das verkündete Urteil erfüllt werden kann nicht. Ein entsprechender Anspruch besteht überdies entgegen der Auffassung der Vorinstanz auch dann, wenn eine öffentliche Verhandlung durchgeführt und das Urteil öffentlich verkündet worden ist (vgl. BGE 139 I 129 und dazu Steinmann, Art. 30 Rz. 61 ff., insbesondere Rz. 62 f. und 66, S. 720 ff.; für die Urteile des Schaffhauser Obergerichts auch Ziff. 7 der Richtlinien über die Einsicht in Entscheide des Obergerichts vom 23. April 2004, Amtsblatt für den Kanton Schaffhausen 2004, S. 602 f.; zur Umsetzung des Verkündungsgebots von Art. 30 Abs. 3 BV im Kanton

      Schaffhausen allgemein Arnold Marti, Die Bedeutung der EMRK in der Rechtsprechung der kantonalen Gerichte am Beispiel des Kantons Schaffhausen, in: Besson/Belser [Hrsg.], Die Europäische Menschenrechtskonvention und die Kantone, Genf/Zürich/Basel 2014, S. 95 ff., S. 106 ff.). Der Einsichtsanspruch betrifft im Übrigen wie auch die Urteilsverkündung - das ganze Urteil mit Rubrum, Sachverhalt, Begründung und Dispositiv, einschliesslich der Bekanntgabe des Spruchkörpers, nicht aber das Verhandlungsprotokoll, welches den ganzen Ablauf der Verhandlung von deren Eröffnung bis zum Urteilsspruch nachzeichnet (vgl. die Hinweise bei Steinmann, Art. 30 Rz. 65, S. 722).

      Somit hat der Beschwerdeführer jedenfalls Anspruch auf Einsicht in das Urteilsdispositiv, wobei dieses wohl aus praktischen Gründen am besten in Papierform herauszugeben ist (Steinmann, Art. 30 Rz. 66, S. 723).

    2. Da aufgrund von Art. 82 Abs. 1 StPO kein schriftlich begründetes Urteil erstellt werden musste, stellt sich die Frage, ob Aufzeichnungen über die mündliche Begründung ebenfalls herauszugeben sind. Soweit nur persönliche Notizen nicht autorisierte Tonaufzeichnungen bestehen, ist dies wohl zu verneinen, da solche Aufzeichnungen nicht offizielle Aktenqualität haben. Im vorliegenden Fall ist aber gemäss Mitteilung des Kammervorsitzenden eine Protokollbegründung verfasst worden, welche Bestandteil des Verhandlungsprotokolls bildet. Dem Sinn des Verkündungsgebots von Art. 30 Abs. 3 BV, welches die gerichtlichen Urteilssprüche zugänglich und nachvollziehbar machen will, entspricht es unter diesen Umständen, auch eine teilweise Einsicht ins Verhandlungsprotokoll, nämlich in die erwähnte Protokollbegründung, zu gewähren bzw. diesen Teil in Kopie herauszugeben.

      Bei der vorgeschriebenen mündlichen und öffentlichen Urteilsverkündung müssen die Namen der betroffenen Privaten zur besseren Verständlichkeit und Klarheit des Urteils regelmässig ohne Anonymisierung erwähnt werden. Bei der Einsicht Urteilsherausgabe im Nachhinein besteht jedoch ein erhöhtes Schutzinteresse für die betroffenen Privatpersonen, weshalb deren Namen (nicht aber diejenigen der mitwirkenden Amtspersonen) in diesem Fall zu anonymisieren sind, wie dies der Beschwerdeführer zumindest in seinem Subeventualantrag zugestanden hat (vgl. dazu auch Steinmann, Art. 30 Rz. 66 und 68, S. 723 f., mit Hinweisen; generell zur Wahrung des Persönlichkeitsschutzes der Beteiligten BGE 139 I 129 E. 3.6 S. 136 f.).

      Für besonderen Aufwand im Zusammenhang mit der Anonymisierung von Dokumenten und der Herausgabe von Kopien nach Verfahrensabschluss, d.h. im Nachhinein, kann im Übrigen gestützt auf die massgebenden Rechtsgrundlagen eine mässige Gebühr verlangt werden (vgl. Art. 8a Abs. 4 des Organisationsgesetzes,

      Ziff. 7 Abs. 2 der erwähnten Richtlinien des Obergerichts vom 23. April 2004, sowie Steinmann, Art. 30 Rz. 66, S. 723).

    3. Zusammenfassend ist die Beschwerde insofern teilweise gutzuheissen und die angefochtene Verfügung aufzuheben, als das Kantonsgericht dem Beschwerdeführer Einsicht in das anonymisierte Urteilsdispositiv und die anonymisierte Protokollbegründung zu gewähren bzw. entsprechende Dokumentenkopien gegen eine noch festzusetzende Gebühr herauszugeben hat.

Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.

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