Kanton: | SH |
Fallnummer: | Nr. 60/2007/24 |
Instanz: | Obergericht |
Abteilung: | - |
Datum: | 14.12.2007 |
Rechtskraft: | - |
Leitsatz/Stichwort: | Art. 9 EMRK; Art. 8 Abs. 3, Art. 15 und Art. 62 BV; Art. 85 Abs. 2 KV; Art. 17 Abs. 3 SchulG; § 16 der Schulordnung der Primar- und Orientierungsschulen. Obligatorischer, gemischtgeschlechtlicher Schulschwimmunterricht; Dispens aus religiösen Gründen; Religionsfreiheit, Schulpflicht, Geschlechtergleichheit, Integrationsprinzip |
Zusammenfassung : | Ein Vater muslimischer Söhne beantragte Dispens vom gemischtgeschlechtlichen Schwimmunterricht, was von den Schulbehörden abgelehnt wurde. Das Obergericht bestätigte die Ablehnung. Das Bundesgericht stimmte zu, dass die religiöse Weigerung, am Schwimmunterricht teilzunehmen, unter die Glaubensfreiheit fällt. Es wurde argumentiert, dass das öffentliche Interesse an der Schulpflicht überwiegt. Die Entscheidung, muslimische Schüler vom Schwimmunterricht zu dispensieren, wurde aufgrund von Gleichstellung und Integration abgelehnt. Das Gericht betonte die Bedeutung des gemeinsamen Schwimmunterrichts für die Gesellschaft. Die Beschwerde wurde abgelehnt, da die Dispensation nicht gerechtfertigt war. |
Schlagwörter : | Schwimm; Schwimmunterricht; Kanton; Dispens; Integration; Recht; Ausländer; Interesse; Erziehungsrat; Hinweis; Religion; Kantons; Glauben; Glaubens; Hinweise; Schule; Entscheid; Verfassung; Dispensation; Sport; Religionsfreiheit; Schaffhausen; Praxis; Bundesgericht; Schüler; Geschlechter |
Rechtsnorm: | Art. 15 BV ; Art. 36 BV ; Art. 62 BV ; Art. 67 BV ; Art. 8 BV ; Art. 9 EMRK ; |
Referenz BGE: | 119 Ia 178; 119 Ia 185; 119 Ia 186; 135 I 79; |
Kommentar: | Reusser, Kommentar zur Bundesverfassung, Zürich, Art. 11 BV, 2002 Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017 |
Veröffentlichung im Amtsbericht
Art. 9 EMRK; Art. 8 Abs. 3, Art. 15 und Art. 62 BV; Art. 85 Abs. 2 KV; Art. 17 Abs. 3 SchulG; § 16 der Schulordnung der Primarund Orientierungsschulen. Obligatorischer, gemischtgeschlechtlicher Schulschwimmunterricht; Dispens aus religiösen Gründen; Religionsfreiheit, Schulpflicht, Geschlechtergleichheit, Integrationsprinzip (OGE 60/2007/24 vom14. Dezember 2007)1
Die religiös begründete Weigerung, am gemischtgeschlechtlichen schulischen Schwimmunterricht teilzunehmen, fällt in den Schutzbereich der Glaubensund Gewissensfreiheit (E. 2d aa).
Für den Entscheid über das Dispensationsgesuch ist eine Güterabwägung zwischen den privaten, religiös motivierten Interessen an einer Befreiung vom gemischtgeschlechtlichen Schwimmunterricht und den öffentlichen Interessen an der Durchsetzung der Schulpflicht hinsichtlich dieses Unterrichts erforderlich (E. 2d ff).
Unter den heutigen tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen (Gefahr der gesellschaftlichen Desintegration und von Intoleranz religiöser Gruppen; verstärkte Bedeutung der Erfordernisse von Geschlechtergleichstellung und Ausländerintegration) besteht ein überwiegendes Interesse an der Durchsetzung eines nicht geschlechtergetrennten Schwimmunterrichts (E. 2d ff-hh).
Der Vater zweier Söhne muslimischen Glaubens, welche die 4. bzw.
5. Primarschulklasse besuchten, beantragte beim Stadtschulrat Schaffhausen, die beiden Knaben vom Schwimmunterricht im Klassenverband aus religiösen Gründen (Verbot des gemischtgeschlechtlichen Schwimmens) zu dispensieren. Der Stadtschulrat und auf Rekurs hin auch der Erziehungsrat wiesen das Gesuch in Änderung der bisherigen Praxis ab. Das Obergericht wies eine dagegen erhobene Verwaltungsgerichtsbeschwerde ebenfalls ab.
Aus den Erwägungen:
1 Eine Beschwerde in öffentlichrechtlichen Angelegenheiten gegen diesen Entscheid wies das Bundesgericht am 24. Oktober 2008 ab (Verfahren 2C_149/2008; BGE 135 I 79 ff.).
2.- d) aa) Dem Erziehungsrat ist beizupflichten, dass die religiös begründete Weigerung, am gemischtgeschlechtlichen Schwimmunterricht teilzunehmen, grundsätzlich in den Schutzbereich der Glaubensund Gewissensfreiheit fällt, wie sie heute in Übereinstimmung mit einer entsprechenden Garantie in Art. 9 der europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (EMRK, SR 0.101) in Art. 15 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom
18. April 1999 (BV, SR 101) gewährleistet ist (vgl. zur Freiheit, die religiösweltanschauliche Überzeugung in der Lebensgestaltung zum Ausdruck zu bringen, insbesondere Art. 15 Abs. 2 BV und dazu Urs Josef Cavelti im St. Galler Kommentar zur Bundesverfassung, Zürich/Basel/Genf/Lachen 2002, Art. 15 Rz. 17, S. 230 f., mit Hinweisen). Ebenso ist unbestreitbar, dass das Verbot des gemischtgeschlechtlichen Schwimmens bei strenger Auslegung des Korans sowohl für Knaben als auch für Mädchen gilt (vgl. dazu die von den Beschwerdeführern eingereichte Erklärung von Imam X. ... sowie die Hinweise in BGE 119 Ia 185 f. E. 4d zu den Suren 24 Vers 31 und 33 Vers 59, welche dem Wortlaut nach an sich nur die Frauen betreffen; vgl. aber auch die kürzere, allgemeiner formulierte Sure 24 Vers 30). Mithin erübrigt sich die von den Beschwerdeführern beantragte Einholung eines religionswissenschaftlichen Gutachtens, welcher Antrag im Übrigen nicht näher begründet wurde. Zutreffend ist auch der Hinweis der Beschwerdeführer, dass sich die Rechtslage hinsichtlich des Schutzes der Glaubensund Gewissensfreiheit mit der neuen Bundesverfassung grundsätzlich nicht geändert hat, zumal der neue Art. 15 BV lediglich eine Nachführung der Verfassung und formelle Straffung der bisherigen Religionsartikel darstellt (Cavelti, Art. 15 Rz. 2, S. 224) und der Schutz und die Förderung der Kinder und Jugendlichen (vgl. Art. 11 und Art. 67 BV) sich zwar nicht ausdrücklich als Aufgabe in der alten Verfassung fand, aber als ungeschriebenes Verfassungsrecht galt bzw. sich aus völkerrechtlichen Verpflichtungen ableiten liess und insbesondere im Kindesund Familienrecht konkretisiert worden war (vgl. dazu Reusser/Lüscher im St. Galler Kommentar zur Bundesverfassung, Zürich/Basel/Genf/Lachen 2002, Art. 11 Rz. 1, S. 165 f., mit Hinweisen). Aber auch daraus, dass der in Art. 49 Abs. 5 der früheren Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 29. Mai 1874 (BS 1, S. 3 ff.) verankerte Vorbehalt der bürgerlichen Pflichten im neuen Art. 15 BV nicht mehr ausdrücklich enthalten ist, lässt sich nichts ableiten, da für Einschränkungen der Glaubensund Gewissensfreiheit die allgemeine Schrankenregelung von Art. 36 BV gilt und auch früher die erwähnten bürgerlichen Pflichten als Schranken der Religionsfreiheit einem öffentlichen Interesse entsprechen und verhältnismässig sein mussten (vgl. dazu Cavelti, Art. 15 Rz. 19 f., S. 232 f., mit Hinweisen). Insoweit hat sich die rechtliche Situation somit nicht verän-
dert, weshalb dem von den Parteien erwähnten Bundesgerichtsentscheid (BGE 119 Ia 178 ff.) grundsätzlich weiterhin Bedeutung zukommt.
bb) Das Bundesgericht hat im erwähnten Entscheid, welcher ein Dispensgesuch für ein Mädchen der zweiten Primarschulklasse betraf, erwogen, das öffentliche Interesse an der Einhaltung des Schulobligatoriums sei abzuwägen gegenüber dem Interesse der Gesuchsteller, ihren Glaubensvorstellungen nachleben zu können. Grundsätzlich sei von gewichtigen privaten Interessen auszugehen, wenn es sich bei einer Verhaltensnorm, die von strenggläubigen Anhängern einer Religion angerufen werde, um eine bedeutsame religiöse Vorschrift handle. Diese Personen stünden nämlich vor der Alternative, entweder einem staatlichen einem religiösen Gebot zuwiderhandeln zu müssen. Daraus ergebe sich nicht nur die Gefahr eines Gewissenskonflikts, sondern auch einer Auseinandersetzung zwischen Schule und Familie, unter der insbesondere das betroffene Kind leiden könnte. Nur wenn das Kindeswohl unter der Befolgung von Glaubensvorschriften konkret und in massgeblicher Weise (z.B. auch hinsichtlich der Chancengleichheit, namentlich auch zwischen den Geschlechtern) belastet wäre, würde es sich rechtfertigen, das Kindesinteresse über das Elternrecht zu stellen. Dies aber sei im Fall eines Dispenses vom Schwimmunterricht nicht gegeben. Der Schwimmunterricht stelle keinen zentralen Lerninhalt dar, welcher für die späteren Berufschancen wichtig sei. Nach dem massgebenden Lehrplan sei Schwimmen nicht als Fach vorgesehen, das zwingend in den Turnunterricht aufgenommen werden müsse; es liege nur eine Empfehlung vor. Die Gesuchstellerin wolle überdies im privaten Rahmen schwimmen lernen. Der Dispens der Gesuchstellerin vom Schwimmunterricht bereite der Schule auch keine ernsthaften organisatorischen Probleme. Auch die Kohärenz der Klasse könne nicht entscheidend davon abhängen, dass ausnahmslos alle Schüler am Schwimmunterricht teilnähmen. Die Dispensierung habe für die Schule auch keinen massgeblichen Mehraufwand zur Folge. Probleme könnten sich nur ergeben, wenn eine verhältnismässig grosse Zahl von Schülern Sonderregeln beanspruchen würde, wofür aber keine Anhaltspunkte bestünden. Auch das Integrationsprinzip vermöge eine Ablehnung des Dispenses nicht zu rechtfertigen. Angehörige anderer Länder und Kulturen hätten sich zwar zweifellos an die hiesige Rechtsordnung zu halten, doch bedeute dies nicht, dass sie sich in jeder Hinsicht unseren Gewohnheiten anpassen und insbesondere auch unverhältnismässige Einschränkungen ihrer Religionsfreiheit auferlegen müssten.
cc) Der hier zusammenfassend wiedergegebene Entscheid des Bundesgerichts ist in Lehre und Praxis - namentlich aus der Sicht der Gleichbehandlung der Geschlechter und der Integration der ausländischen Wohnbevölkerung teilweise stark kritisiert worden (vgl. namentlich die Urteilsanmerkun-
gen von Hans Peter Moser in ZBl 1994, S. 38 f., und von Paul Zweifel in ZBJV 1995, S. 594 ff., sowie Häfelin/Haller, Schweizerisches Bundesstaatsrecht, 6. A., Zürich/Basel/Genf 2005, N. 442, S. 131; zustimmend dagegen Yvo Hangartner in AJP 1994, S. 622 ff.; differenzierend Martin Philipp Wyss, Glaubensund Religionsfreiheit zwischen Integration und Isolation, ZBl 1994, S. 385 ff., insbesondere S. 405 ff.; weitere Hinweise bei Tappenbeck/Pahud de Mortanges, Religionsfreiheit und religiöse Neutralität in der Schule, AJP 2007, S. 1401 ff., S. 1408). Das Bundesgericht musste sich jedoch mit der Frage des Dispenses muslimischer Schülerinnen und Schüler vom Schwimmunterricht seither offenbar nicht mehr befassen, weshalb es auf diese Kritik bisher nicht eingehen und auch seine Rechtsprechung nicht überprüfen konnte. Soweit in den Schulen überhaupt gemischtgeschlechtlicher Schwimmunterricht vorgesehen ist, geht die Praxis in den meisten Kantonen trotz der erwähnten Kritik daher weiterhin von dieser Rechtsprechung aus (vgl. etwa die Beantwortung einer Anfrage betreffend Dispensation von obligatorischen Schulfächern aus religiösen Motiven durch den Regierungsrat des Kantons Zürich [Protokollauszug vom 5. April 2006, KR-Nr. 15/2006]; Erziehungsdepartement des Kantons Basel-Stadt, Umgang mit religiösen Fragen an der Schule [Handreichung], September 2007, Ziff. 5, S. 8 ff.; Erziehungsdirektion des Kantons Bern, Umgang mit kulturellen und religiösen Symbolen und Traditionen in Schule und Ausbildung [Leitfaden für Lehrpersonen und Schulbehörden], Oktober 2007, S. 2 f.; zustimmend zu dieser Praxis trotz gewisser Bedenken [Schwimmen als Erwachsener zu lernen ist viel schwieriger] auch Herbert Plotke, Schweizerisches Schulrecht, 2. A., Bern/Stuttgart/Wien 2003, S. 397, Fn. 146). Einzig im Kanton St. Gallen hat der Erziehungsrat in einem Rekursfall gegenteilig entschieden, wobei dieser Entscheid nicht weitergezogen worden ist (Entscheid vom 19. Mai 2005, GVP 2005 Nr. 86, S. 317 ff.; vgl. auch NZZ am Sonntag vom 29. Januar 2006, S. 24).
dd) Der angefochtene Entscheid des Schaffhauser Erziehungsrats bedeutet eine Änderung der im Kanton Schaffhausen bisher bestehenden Praxis, welche für Dispensationsgesuche sowohl für Knaben als auch für Mädchen gilt. Es ist deshalb zu prüfen, ob die veränderten soziokulturellen Umstände (namentlich die starke Zunahme des muslimischen Bevölkerungsanteils in der Schweiz und Anzeichen von gesellschaftlicher Desintegration und von Intoleranz zwischen religiösen Gruppen) eine Neubeurteilung der Frage der Zulässigkeit des Dispenses vom gemischtgeschlechtlichen Schwimmunterricht ermöglicht bzw. erfordert. In diesem Zusammenhang kann darauf hingewiesen werden, dass auch nach Auffassung der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus (ERK) die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichts insbesondere unter dem emanzipatorischen Aspekt neu überdacht werden sollte (siehe: Mehrheit und muslimische Minderheit in der Schweiz, Stellungnahme
der ERK zur aktuellen Entwicklung, September 2006, S. 37; im gleichen Sinn auch Daniel Thürer, Rassismus als Gift - Reaktion durch das Recht, NZZ vom 14. Februar 2007, S. 19). Falls die Praxisänderung des Erziehungsrats geschützt wird, entfällt im Übrigen zum vorneherein der von den Beschwerdeführern erhobene Vorwurf der Verletzung der Gleichbehandlung im Verhältnis zu den älteren Schwestern der Beschwerdeführer. Eine Praxisänderung ist mit dem Rechtsgleichheitsgebot vereinbar, sofern sie sachlich begründet ist, grundsätzlich (d.h. für alle zukünftigen Fälle) erfolgt und der Vertrauensschutz nicht tangiert wird, was vorliegend nicht der Fall ist (Georg Müller in: Aubert/Eichenberger/Müller/Rhinow/Schindler [Hrsg.], Kommentar zur Bundesverfassung der schweizerischen Eidgenossenschaft vom
29. Mai 1874, Basel/Zürich/Bern 1987 ff., Art. 4 Rz. 42 ff., S. 28 f., mit Hinweisen; vgl. auch die entsprechende Zusicherung für die künftige Praxis in der Stellungnahme des Stadtschulrats vom 13. September 2007).
ee) Was die Rechtslage im Kanton Schaffhausen betrifft, hat der Erziehungsrat im angefochtenen Entscheid zutreffend festgehalten, der Grundschulunterricht, für dessen Durchführung die Kantone zu sorgen haben, umfasse nicht nur ein Recht, sondern auch eine Pflicht, da dessen Besuch aufgrund der Bundesverfassung obligatorisch ist (Art. 62 BV). Die Schulpflicht nach dem Kindergarten dauert im Kanton Schaffhausen neun Jahre, womit auch die Beschwerdeführer darunter fallen (Art. 17 Abs. 3 des Schulgesetzes vom 27. April 1981 [SchulG, SR 410.100]). Grundlage des Unterrichts in der öffentlichen Volksschule ist der Lehrplan, welcher gemäss Art. 22 Abs. 1 SchulG durch Verordnung des Erziehungsrats bestimmt wird (Lehrpläne und Stundentafeln werden nicht mehr im Amtsblatt und in der Gesetzessammlung publiziert, können aber beim Erziehungssekretariat eingesehen werden; vgl. ABl 1985, S. 104 f.). Zu den obligatorischen Fächern gemäss Lehrplan gehört unbestrittenerweise auch der Sport. Der Fachbereich Sport gliedert sich in verschiedene Lernbereiche, u.a. auch Spiel und Sport im Wasser. Der Schulunterricht wird grundsätzlich in geschlechtergemischten Schulklassen erteilt (Koedukation), unter Vorbehalt begründeter und vorübergehend geschlechtergetrennter Gruppenbildung (so z.B. beim Sport in der Oberstufe; vgl. auch Art. 23 Abs. 2 SchulG). Art. 22 Abs. 3 SchulG bestimmt ausdrücklich, dass für Knaben und Mädchen die gleiche Ausbildung anzubieten ist, und Art. 3 Abs. 2 SchulG bezeichnet die Förderung des Sinns für die Gemeinschaft als Bildungsziel der Schule. Aufgrund dieser Vorschriften wird in der Unterund Mittelstufe der Primarschule ein nicht geschlechtergetrennter Sportund Schwimmunterricht angeboten, welcher nach dem Gesagten zum obligatorischen Unterricht gehört. Die erwähnten Bestimmungen (auch die Lehrpläne als Verordnungen des Erziehungsrats) bilden sodann im Prinzip eine genügende gesetzliche Grundlage für Freiheitsbeschränkungen, zumal im Sonderstatusverhältnis der Schüler erleichterte Anforderungen an die gesetzliche
Grundlage von Rechten und Pflichten bestehen (vgl. dazu auch die Hinweise bei Tappenbeck/Pahud de Mortanges, S. 1409). Mit den bestehenden Vorschriften wird überdies auch Art. 2 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die Förderung von Turnen und Sport vom 17. März 1972 (SR 415.0) umgesetzt, wonach die Kantone für einen ausreichenden und obligatorischen Turnund Sportunterricht zu sorgen haben. Vom obligatorischen Schulunterricht kann jedoch unter gewissen Voraussetzungen ganz teilweise dispensiert werden. Die Dispensation eines Schülers vom gesamten Unterricht von einzelnen Fächern ist in § 16 der vom Erziehungsrat erlassenen Schulordnung der Primar- und Orientierungsschulen des Kantons Schaffhausen vom
31. März 1988 (SHR 411.101) geregelt. Danach entscheidet die Schulbehörde über entsprechende Gesuche bei Vorliegen eines ärztlichen Zeugnisses anderer stichhaltiger Gründe.
ff) Da vorliegend keine medizinischen, sondern religiöse Gründe für die Dispensation vom (gemischtgeschlechtlichen) Schwimmunterricht geltend gemacht werden, stellt sich die Frage, ob diese stichhaltig im Sinne der erwähnten Verordnungsbestimmung sind. Der Konflikt zwischen der Religionsfreiheit und der Schulpflicht der Beschwerdeführer muss somit im Rahmen dieser Dispensationsregelung gelöst werden. Dabei ist davon auszugehen, dass sich aus der Religionsfreiheit abgesehen von Sonderfällen wie der Teilnahme am (konfessionellen konfessionell neutralen) Religionsunterricht, am Schulgebet am Gottesdienst (also an religiösen religiös motivierten Veranstaltungen) grundsätzlich kein unbedingter Dispensationsanspruch ergeben kann. Vielmehr erfordert der erwähnte Konflikt eine Güterabwägung, wobei zwischen den privaten, religiös motivierten Interessen an der Befreiung vom gemischtgeschlechtlichen Schwimmunterricht und den öffentlichen Interessen an der Durchsetzung der Schulpflicht auch hinsichtlich dieses Unterrichts abzuwägen ist (vgl. Tappenbeck/Pahud de Mortanges,
S. 1409 f.). Hierbei ist davon auszugehen, dass zwar bei sehr strenger (über den Wortlaut der massgebenden Suren hinausgehender) Auslegung des Korans tatsächlich sowohl für Knaben als auch für Mädchen ab der Pubertät ein Verbot des gemischtgeschlechtlichen Schwimmens besteht. Nur ein Teil der muslimischen Bevölkerung interpretiert den Koran jedoch in diesem strengen Sinn. Wichtig für den muslimischen Glauben ist vielmehr, dass der Körper genügend bedeckt und die Intimsphäre geschützt wird, wie sich dies schon aus den in Frage stehenden Koranstellen ergibt (vgl. die erwähnte Handreichung des Erziehungsdepartements des Kantons Basel-Stadt, S. 8 f.). Eine weitergehende Interpretation, welche zwar nicht im vorliegenden Fall, aber allgemein namentlich zu Lasten des weiblichen Geschlechts praktiziert wird, ist auch Ausdruck einer sehr patriarchalischen Gesellschaftsform, welche vor allem grossen Wert auf die Kontrolle der weiblichen Sexualität legt (vgl. namentlich Zweifel, S. 595 f., mit Hinweisen). Festzuhalten ist jedenfalls, dass
das Verbot des gemischtgeschlechtlichen Schwimmunterrichts nicht zu den zentralen, unter Muslimen allgemein anerkannten Forderungen ihres Glaubens gehört, sondern Ausfluss einer sehr strengen dogmatischen bzw. patriarchalischen Auffassung ist, welche von vielen Muslimen nicht geteilt wird. Dies führt zwar wie das Bundesgericht in BGE 119 Ia 186 zu Recht festgehalten hat - nicht dazu, dass hiefür der Schutz der Religionsfreiheit nicht beansprucht werden kann, doch darf dieser Umstand bei der Gewichtung der im Spiele stehenden Interessen berücksichtigt werden (vgl. unten, E. hh).
gg) Andererseits geht es beim gemischtgeschlechtlichen Schwimmunterricht nicht nur darum, diesen Unterricht nur aus Gründen der organisatorischen Einfachheit im bestehenden, nicht geschlechtergetrennten Klassenverband zu erteilen. Vielmehr sollen die Schülerinnen und Schüler damit auch an das in unserer Gesellschaft übliche Zusammensein und die Gleichstellung beider Geschlechter in der Freizeit und beim Sport gewöhnt werden. Dem gemeinsamen Schwimmund Sportunterricht kommt daher namentlich in der heutigen multikulturellen Schulrealität ein wichtiger Beitrag zur verfassungsrechtlich gebotenen Gleichstellung der Geschlechter (Art. 8 Abs. 3 BV) und zur Integration der ausländischen Wohnbevölkerung zu (vgl. in diesem Sinn auch den erwähnten Leitfaden der Erziehungsdirektion des Kantons Bern,
S. 3 [Empfehlungen/Schulanlässe]; zur Bedeutung dieses Unterrichts für das Kindeswohl und die Chancengleichheit auch Beatrice Früh, Die UNOKinderrechtskonvention, Diss. Zürich 2007, S. 168, mit Hinweisen; a.M. Wyttenbach/Kälin, Schulischer Bildungsauftrag und Grundund Menschenrechte von Angehörigen religiös-kultureller Minderheiten, AJP 2005, S. 315 ff.,
S. 322 f., welche negative Auswirkungen befürchten [innerfamiliärer Loyalitätskonflikt, Ablehnung der öffentlichen Schule]).
Entgegen der Auffassung von Hangartner (Urteilsanmerkung in AJP 1994, S. 626) kann es unter diesen heute gegebenen Umständen nicht entscheidend darauf ankommen, ob die erwähnten Schulvorschriften ausdrücklich die Situation strenggläubiger muslimischer Familien im Auge haben. Vielmehr bildet die Integration der ausländischen Wohnbevölkerung heute im Unterschied zur Situation im Zeitpunkt des erwähnten Bundesgerichtsentscheids wie bereits zuvor die Geschlechtergleichheit eine verfassungsmässig gebotene Aufgabe. Dementsprechend müssen alle bestehenden Vorschriften verfassungskonform, d.h. unter Berücksichtigung der erwähnten besonderen Verfassungsaufgaben, ausgelegt bzw. konkretisiert werden. So stellt die Förderung der gesellschaftlichen Integration im Interesse der Erhaltung und Sicherung des sozialen Friedens und der Chancengleichheit für alle Einwohner gemäss der seit 2003 geltenden neuen Kantonsverfassung ausdrücklich eine öffentliche Aufgabe bzw. eine Verfassungsaufgabe dar. Aufgrund der Entstehungsgeschichte und der Materialien zur neuen Kantonsverfassung
steht fest, dass damit insbesondere auch die Förderung der Integration von Ausländerinnen und Ausländern gemeint ist (Art. 85 Abs. 2 der Verfassung des Kantons Schaffhausen vom 17. Juni 2002 [KV, SHR 101.000]; Dubach/Marti/Spahn, Verfassung des Kantons Schaffhausen, Kommentar, Schaffhausen 2004, S. 260 f.).
Auf Bundesebene wurde zwar eine entsprechende ausdrückliche Verfassungsbestimmung im Rahmen der blossen Verfassungsnachführung abgelehnt, doch ist die Integration der ausländischen Wohnbevölkerung als Ziel unserer Rechtsordnung allgemein anerkannt und bildet die Förderung der Integration der Ausländerinnen und Ausländer bereits seit einiger Zeit Gegenstand des Ausländerrechts (vgl. Martin Philipp Wyss, Ausländische Staatsangehörige und Integration, in: Uebersax/Münch/Geiser/Arnold [Hrsg.], Ausländerrecht, Handbücher für die Anwaltspraxis, Band VIII, Basel/Genf/München 2002, S. 1025 ff.). Im neuen, allerdings erst ab 1. Januar 2008 geltenden Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer vom 16. Dezember 2005 (AuG, SR 142.20) ist die Integration der ausländischen Wohnbevölkerung nun ausdrücklich als allgemeiner Grundsatz verankert (Art. 4 AuG); er wird in weiteren Artikeln näher ausgeführt (Art. 53 ff. AuG). Ziel der Integration ist nach dem neuen Art. 4 Abs. 2 AuG insbesondere, dass die längerfristig und rechtmässig anwesenden Ausländerinnen und Ausländer am wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Leben der Gesellschaft teilhaben sollen. Überdies haben Bund, Kantone und Gemeinden gemäss ausdrücklicher Vorschrift den besonderen Anliegen der Integration von Frauen, Kindern und Jugendlichen Rechnung zu tragen (Art. 53 Abs. 4 AuG; vgl. dazu BBl 2002, S. 3709 ff., insbesondere S. 3732 f., 3758 f., 3796 ff., Ziff. 1.2.5, 1.3.8, 2.7). Somit ist auch im Bund die Förderung der Ausländerintegration als Staatsaufgabe anerkannt (vgl. auch Wyss, S. 1031).
hh) Unter diesen Umständen aber spricht eine Güterabwägung unter den heute gegebenen tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen gegen eine Dispensierung muslimischer Schulkinder vom gemischtgeschlechtlichen Schwimmunterricht, da es einerseits nicht um eine zentrale, allgemein anerkannte Forderung des muslimischen Glaubens geht und anderseits erhebliche und überwiegende Interessen der Geschlechtergleichstellung und der gesellschaftlichen Ausländerintegration an der Durchführung eines nicht geschlechtergetrennten Schwimmunterrichts bestehen. In dieser Situation vermag auch das Argument, dass die Beschwerdeführer in privatem Rahmen Schwimmunterricht geniessen bzw. das Schwimmen beherrschen, eine Dispensation vom grundsätzlich obligatorischen Schwimmunterricht nicht zu begründen. Den besonderen Anliegen strenggläubiger Muslime kann im Übrigen durch flankierende Massnahmen (getrenntes Umziehen und Duschen, körperbedeckende Badebekleidung), wie sie der Erziehungsrat im angefoch-
tenen Entscheid auch für den vorliegenden Fall vorgesehen hat, genügend Rechnung getragen werden. Festzuhalten ist auch, dass der gemischtgeschlechtliche Schwimmunterricht unter der Leitung und Aufsicht pädagogisch geschulter Lehrerinnen und Lehrer erteilt wird, womit die Gefahr einer sittlichen Verführung Verderbnis, wie sie offenbar von den Beschwerdeführern bzw. ihren religiösen Führern beim gemeinsamen Schwimmunterricht befürchtet wird (vgl. die erwähnte Erklärung von Imam X.), angesichts der bei uns bestehenden freizügigen Gesellschaft (namentlich auch hinsichtlich der Bekleidung) bedeutend weniger gross ist als beim unbegleiteten Bewegen der Schulkinder im öffentlichen Raum auf dem Schulweg in der Freizeit. Insofern dient der gemeinsame Schwimmunterricht vielmehr dazu, dass Kinder und Jugendliche lernen, sich in diesen bei uns bestehenden Rahmenbedingungen zurechtzufinden (so zutreffend der Leitfaden der Erziehungsdirektion des Kantons Bern, S. 3). Mit diesen Hinweisen bzw. einer geeigneten Information der Beteiligten sollte auch der zum Teil befürchtete Loyalitätskonflikt bzw. eine Ablehnung der öffentlichen Schule durch die Betroffenen weitgehend vermieden werden können.
e) Der Stadtschulrat und der Erziehungsrat haben daher die Dispensation der Beschwerdeführer vom gemischtgeschlechtlichen Schwimmunterricht aufgrund einer Neubeurteilung der Rechtslage zu Recht abgelehnt. Die vorliegende Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist dementsprechend abzuweisen.
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