Kanton: | SG |
Fallnummer: | RH.2008.64 |
Instanz: | Kantonsgericht |
Abteilung: | Kantonsgericht |
Datum: | 19.05.2008 |
Rechtskraft: | - |
Leitsatz/Stichwort: | Entscheid Art. 4 HUe54 (SR 0.274.12). Die Bewilligung der Gehaltsexekution, verfügt von einem österreichischen Bezirksgericht, stellt eine Vollstreckungsmassnahme dar. Deren Zustellung an einen Drittschuldner in der Schweiz ist wegen ihrer unzulässigen grenzüberschreitenden Wirkung abzulehnen (Kantonsgericht St. Gallen, Einzelrichterin in Rechtshilfesachen, RH.2008.64, 19. Mai 2008). |
Zusammenfassung : | Ein österreichisches Bezirksgericht beantragte die Zustellung einer Bewilligung zur Gehaltsexekution an eine Firma in der Schweiz. Das Kantonsgericht St. Gallen lehnte dies ab, da die grenzüberschreitende Wirkung unzulässig sei. Der Vollstreckungsgläubiger legte dagegen Rekurs ein, argumentierte jedoch erfolglos, da die schweizerische Territorialhoheit tangiert werden würde. Die Bewilligung der Gehaltsexekution stellt eine unzulässige grenzüberschreitende Vollstreckungsmassnahme dar, weshalb die Zustellung abgelehnt wurde. |
Schlagwörter : | Drittschuldner; Zustellung; Quot; Forderung; Drittschuldnerin; Bewilligung; Schweiz; Vollstreckungsschuldner; Staat; Zwangsvollstreckung; Gehaltsexekution; Österreich; Arbeitgeberin; Beschluss; Verfahren; Bezirksgericht; Vollstreckungsmassnahme; Vollstreckungsgläubiger; Haager; Übereinkommen; Staates; Sicherheit; Ablehnung; Rechtshilfe; Grenzen; Vollstreckungsschuldners; Anordnung; Schuldbetreibung |
Rechtsnorm: | Art. 271 StGB ; Art. 272 KG ; |
Referenz BGE: | 114 III 31; 124 III 505; 128 III 473; |
Kommentar: | - |
Erwägungen
1. a) In der Exekutionssache A, Vollstreckungsgläubiger, gegen B,
Vollstreckungsschuldner, ersuchte ein Bezirksgericht in Österreich das Kreisgericht am
11. Februar 2008 um Zustellung der Bewilligung der Gehaltsexekution sowie des Deckblatts zur Drittschuldnererklärung an die Firma "C-AG" in der Schweiz (vi-act. 1). Mit Schreiben vom 22. Februar 2008 teilte der Präsident der 3. Abteilung des Kreisgerichts der ersuchenden Behörde mit, er beabsichtige, das Zustellungsbegehren gestützt auf Art. 13 des Haager Übereinkommens vom 15. November 1965 abzulehnen und gab ihr Gelegenheit, hierzu Stellung zu nehmen (vi-act. 2). Die ersuchende
Behörde verzichtete darauf, eine Eingabe einzureichen, und am 18. März 2008 sandte die Vorinstanz die Unterlagen unerledigt zurück mit der Begründung, die zuzustellende Exekutionsbewilligung stelle eine Verfügung dar, die wegen ihrer grenzüberschreitenden Wirkung nicht zugestellt werden könne; eine solche Wirkung stehe mit den einschlägigen gesetzlichen und staatsvertraglichen Bestimmungen nicht in Einklang (vi-act. 3).
b) Gegen diesen Entscheid erhob A am 31. März 2008 fristgerecht Rekurs beim Kantonsgericht St. Gallen, Einzelrichterin in Rechtshilfesachen. Er beantragt, es sei die erstinstanzliche Ablehnungsentscheidung aufzuheben und die Zustellung der Exekutionsbewilligung gegenüber dem Drittschuldner "C-AG" zu verfügen. Aus den von der Vorinstanz angeführten "gesetzlichen und vertraglichen Bestimmungen" ergebe sich in keinster Weise, dass dem Zustellbegehren nicht nachgekommen werden könnte.
a) Die Zustellung gerichtlicher Schriftstücke richtet sich im Verhältnis zwischen Österreich und der Schweiz nach dem Haager Übereinkommen betreffend Zivilprozessrecht vom 1. März 1954 (HUe54). Aufgrund dieses Übereinkommens besteht grundsätzlich eine völkerrechtliche Verpflichtung des ersuchten Vertragsstaates, die Zustellung vorzunehmen (gerhard walter, Internationales Zivilprozessrecht der Schweiz, 4. Aufl., 342). Gemäss Art. 4 HUe54 kann jedoch die Zustellung abgelehnt werden, wenn sie nach der Auffassung des Staates, auf dessen Gebiet sie erfolgen soll, geeignet erscheint, seine Hoheitsrechte zu verletzen seine Sicherheit zu gefährden. Darauf hinzuweisen ist, dass im Geltungsbereich des Haager Zustellungsübereinkommens vom 15. November 1965 die Ablehnung eines Ersuchens aus identischen Gründen erfolgen kann (Art. 13 Abs. 1 HZUe65; walter, a.a.O., 360; paul volken, Die internationale Rechtshilfe in Zivilsachen, Kap. 2 N 108). Was unter Verletzung der Hoheitsrechte Gefährdung der Sicherheit zu verstehen ist, entscheidet jeder Vertragsstaat selbst. Als Ablehnungsgründe kommen indessen nur schwere Beeinträchtigungen der nationalen Sicherheit und Unabhängigkeit in Frage. Die Grenzen sind eher enger zu ziehen als beim traditionellen Ordre public-Vorbehalt (volken, a.a.O., Kap. 2 N 45; walter, a.a.O., 343, insb. Fn 87; thomas bischof, Die Zustellung im internationalen Rechtsverkehr in Ziviloder Handelssachen, 229 f.; Manuel pratique sur le fonctionnement de la Convention Notification de la Haye, 68).
b) Sowohl die betreibende Partei, A, wie auch die verpflichtete Partei, B, wohnen in Österreich. Die Drittschuldnerin, die Arbeitgeberin des Vollstreckungsschuldners, hat ihren Sitz in der Schweiz (vgl. Ersuchen Bezirksgericht Österreich). Die Bewilligung der Gehaltsexekution, deren Zustellung beantragt wird, enthält die folgende Klausel:
" Mit Zustellung dieses Beschlusses an Sie hat die betreibende Partei an der Forderung ein Pfandrecht erworben. Der verpflichteten Partei wird jede Verfügung über die gepfändete Forderung, insbesondere die Einziehung der Forderung untersagt. Ihnen wird verboten, die gepfändete Forderung an die verpflichtete Partei auszuzahlen."
Mit diesem Beschluss wird die Arbeitgeberin des Vollstreckungsschuldners somit angewiesen, ihm, d.h. dem Arbeitnehmer, die gepfändete Forderung nicht mehr zu zahlen. Dabei handelt es sich um eine Vollstreckungsmassnahme (vgl. walter, a.a.O., 360 f.).
Zu prüfen ist, ob die Zustellung dieser Bewilligung an die Drittschuldnerin ein extraterritorialer Vollstreckungsakt ist und die schweizerische Territorialhoheit demnach tangiert wird. Es ist ferner zu untersuchen, in welchem Staat die strittige Bewilligung Wirkungen entfaltet.
aa) Jeder Staat bestimmt innerhalb der völkerrechtlichen und staatsvertraglichen Grenzen selbst, in welchen Fällen er sich zur Zwangsvollstreckung zuständig sieht. Das auf dem Völkergewohnheitsrecht basierende Territorialitätsprinzip besagt jedoch, dass ein Staat seine hoheitlichen Akte nicht in einem anderen Staat durchsetzen darf (daniel staehelin, Die internationale Zuständigkeit der Schweiz im Schuldbetreibungsund Konkursrecht, AJP 3/95, 261 f.; vgl. auch hopf thomas, Basler Kommentar, N 6 zu
Art. 271 StGB). Weil Zwangsvollstreckungsmassnahmen ein besonders deutlicher Ausfluss hoheitlicher Gewalt sind, ist deren Anordnung und Überprüfung den Gerichten des Staates vorbehalten, auf dessen Gebiet die Zwangsvollstreckung durchgeführt werden soll. Die Vollstreckungsbehörden eines Staates können und dürfen somit nur auf diejenigen Vermögenswerte greifen, die sich im Inland befinden. Es stellt sich damit die grundsätzliche Frage, welche Vermögenswerte sich im Inland und welche sich im Ausland befinden. Für diese vollstreckungsrechtliche Lokalisierung wird der Ausdruck
"Belegenheit" verwendet (alexander r. markus, Drittschuldners Dilemma, in: Blätter für Schuldbetreibung und Konkurs, 2005, Heft 1, 7 ff.; daniel staehelin, a.a.O., 262 ff.).
Gegenstand der strittigen Bewilligung ist die Forderung von B, Vollstreckungsschuldner, gegen seine Arbeitgeberin. Es ist der anwendbaren Rechtsordnung anheim gestellt, ob sie eine Forderung am Wohnsitz des Gläubigers am Wohnsitz des Schuldners als belegen betrachtet (markus, a.a.O., 7; staehelin, a.a.O., 264; BGE 124 III 505 E. 3a). Es bestehen jedoch rechtliche und praktische Argumente, die Belegenheit einer Forderung grundsätzlich beim Schuldner hier beim Drittschuldner anzunehmen (markus, a.a.O., 7 ff.; BGE 128 III 473 E. 3.1; dominik gasser, Die Rechtsprechung des Bundesgerichts im Schuldbetreibungsund Konkursrecht, ZBJV 2003, 463). Die Pfändung der Forderung bei der schweizerischen Drittschuldnerin erscheint damit als unzulässig.
bb) Dazu kommt, dass gerichtliche Anordnungen des Zwangsvollstreckungsrechts aber auch insofern über die Grenzen des Gerichtsstaats greifen können, als sich der Adressat der Anordnung dort befindet. Hat der Adressat mit Sanktionen für den Fall der Nichtbefolgung zu rechnen, so wird sein Wille beeinflusst und dadurch Druck ausgeübt. Dieser Druck wirkt sich gleichsam im Territorium aus, in welchem sich der Adressat befindet (markus, a.a.O., 10).
Im Beschluss, der zugestellt werden soll, wird der Arbeitgeberin, der Drittschuldnerin, verboten, die gepfändete Forderung an den Vollstreckungsschuldner auszuzahlen, und sie wird verpflichtet, die einbehaltenen Beträge an den Vollstreckungsgläubiger zu überweisen. Es wird ihr ferner aufgetragen, die Drittschuldnererklärung an das Exekutionsgericht sowie an die betreibende Partei zu übermitteln. Bei Nichterfüllung dieser Pflichten hat sie der betreibenden Partei Schadenersatz zu leisten (Bewilligung der Gehaltsexekution, 2). Die Drittschuldnerin wird demnach durch das österreichische Zwangsvollstreckungsrecht unmittelbar in ihren Rechtspositionen betroffen und beeinträchtigt. Diese Wirkungen werden durch die Zustellung des Beschlusses an die Drittschuldnerin ausgelöst. Die Schweiz hat aber ein Interesse daran, dass ihre Rechtsunterworfenen hier die Drittschuldnerin von ausländischem Verfahrenszwang freigehalten werden. Zu beachten ist, dass die Drittschuldnerin nicht Partei des österreichischen Vollstreckungsverfahrens ist, sondern nur als Dritte in das Verfahren
gegen den Vollstreckungsschuldner einbezogen wird. Zu berücksichtigen ist des Weiteren, dass die reale Gefahr der doppelten Inanspruchnahme der Drittschuldnerin besteht. Ferner fällt in Betracht, dass dem Vollstreckungsgläubiger zur Durchsetzung seiner Forderung andere Wege offen stehen, namentlich kann er am schweizerischen Sitz der Arbeitgeberin des Vollstreckungsschuldners ein Arrestbegehren stellen
(Art. 272 Abs. 1 SchKG; SR 281.1; BGE 114 III 31 ff.).
Damit ist das Interesse der Schweiz, gegenüber einem Drittschuldner das eigene Verfahren anzuwenden, höher zu gewichten als das Interesse Österreichs, in einem Verfahren betreffend Zwangsvollstreckung seine "Justizhoheit" auf Dritte auszudehnen.
Zusammenfassend ergibt sich, dass die zuzustellende Bewilligung der Gehaltsexekution im Ergebnis eine unzulässige grenzüberschreitende Vollstreckungsmassnahme darstellt. Gestützt auf Art. 4 HUe54 ist daher die beantragte Zustellung abzulehnen. Damit ist der Rekurs abzuweisen.
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