Zusammenfassung des Urteils IV 2013/595: Versicherungsgericht
Die Beschwerdeführerin hat gegen die Ablehnung der Kostenübernahme für die Behandlung der Femurfraktur rechts Einspruch erhoben. Die IV-Stelle des Kantons St. Gallen hat die Ablehnung im formlosen Verfahren erlassen, obwohl dies gemäss Art. 49 Abs. 1 ATSG eine schriftliche Verfügung erfordert hätte. Das Bundesgericht hat entschieden, dass der Entscheid noch nicht rechtskräftig ist, da die Beschwerdeführerin innerhalb eines Jahres nach der Ablehnung Einspruch erhoben hat. Gemäss Art. 64 ATSG hat die IV-Stelle die Kosten für die Behandlung der Femurfraktur zu übernehmen, unabhängig davon, ob der Gesundheitsschaden unfallbedingt ist oder nicht. Der Entscheid der Beschwerdegegnerin, die Kosten abzulehnen, wurde aufgehoben, und sie muss die Kosten tragen. Der Beschwerdegegnerin werden die Gerichtskosten von Fr. 600.- auferlegt, und der geleistete Kostenvorschuss wird der Beschwerdeführerin zurückerstattet.
Kanton: | SG |
Fallnummer: | IV 2013/595 |
Instanz: | Versicherungsgericht |
Abteilung: | IV - Invalidenversicherung |
Datum: | 26.01.2016 |
Rechtskraft: | - |
Leitsatz/Stichwort: | Entscheid Art. 51 und 49 ATSG, Art. 58 IVG, Art. 74ter IVV. Art. 12 IVG, Art. 64 ATSG. |
Schlagwörter : | Behandlung; Femur; Femurfraktur; Verfügung; Entscheid; Recht; IV-act; Epiphysiolysis; Invalidenversicherung; Verfahren; Unfall; Mitteilung; Person; Hansson-Pin; IV-Stelle; Frist; Kinderspital; Zusammenhang; Massnahme; Massnahmen; Ostschweizer; Fraktur; Kostenübernahme; Behandlungskosten; Leistungspflicht; Kostengutsprache |
Rechtsnorm: | Art. 49 ATSG ;Art. 51 ATSG ;Art. 64 ATSG ;Art. 8 ATSG ; |
Referenz BGE: | 119 Ib 68; 132 V 412; 134 V 145; |
Kommentar: | -, Zürcher Teilband V2b, Art. 266; Art. 267 OR, 1995 |
Besetzung
Präsidentin Karin Huber-Studerus, Versicherungsrichterinnen Monika Gehrer-Hug und Marie Löhrer; Gerichtsschreiberin Nadja Francke Zubair
Geschäftsnr. IV 2013/595
Parteien
A. ,
Beschwerdeführerin,
vertreten durch B. ,
zusätzlich vertreten durch Ostschweizer Kinderspital Kinderorthopädie, Herr Dr. med.
C. , Claudiusstrasse 6, 9006 St. Gallen,
gegen
IV-Stelle des Kantons St. Gallen, Postfach 368, 9016 St. Gallen,
Beschwerdegegnerin,
Gegenstand
medizinische Massnahmen (Epiphysiolysis) Sachverhalt
A.
A.a A. wurde von ihren Eltern am 23. November 2011 zum Bezug von Leistungen der Invalidenversicherung bei der IV-Stelle des Kantons St. Gallen angemeldet (IV-act. 2). Gemäss einem Schreiben vom 21. November 2011 hatte die behandelnde Ärztin der Chirurgischen Klinik am Ostschweizer Kinderspital die IV-Stelle um Kostengutsprache für einen Rehabilitationsaufenthalt für die Versicherte ersucht. Sie hatte festgehalten, dass bei der Versicherten eine Epiphysiolysis capitis femoris acuta links am 4. November 2011 operativ mit einem Hansson-Pin versorgt worden sei. Auf der rechten Seite sei eine prophylaktische Hüftkopf-Verschraubung erfolgt, ebenfalls mit einem Hansson-Pin. Nach der sechstägigen Hospitalisation habe die Versicherte an
Unterarm-Gehstöcken mobil und ohne Belastung des linken Beines in gutem Allgemeinzustand nach Hause entlassen werden können. Am 16. November 2011 habe sie sich aufgrund eines Sturzes eine subtrochantere Femurfraktur rechts zugezogen. Noch am selben Abend sei die Versorgung mit einer winkelstabilen Platte erfolgt. Die
Versicherte sei nun vollständig immobilisiert. Die Wohnung der Eltern sei im 3. Stock und es sei kein Lift vorhanden. Aufgrund der aufwändigen pflegerischen Situation und der mit Schwierigkeiten verbundenen Mobilisation werde die Behandlung der Versicherten in der Klinik D. empfohlen, wofür um Kostengutsprache seitens der Invalidenversicherung ersucht werde (IV-act. 1).
A.b Der Regionale Ärztliche Dienst der IV-Stelle (RAD) hielt am 21. Februar 2012 fest, dass die Kosten der beidseitigen Epiphysiolysebehandlung wohl gemäss Art. 12 IVG und Rz. 734.2 KSME übernommen werden könnten, falls sich aus dem noch einzuholenden Arztbericht nicht ergebe, dass eine eindeutig traumatische Ursache vorliege. Der Sturz nach der Entlassung aus dem Spital sei ein Unfallereignis und keine Komplikation der Behandlung der Epiphysenlösung. Die Kosten der durch den Unfall bedingten Femurfraktur und der aus sozialen Gründen beantragten Behandlung in der Klinik D. könnten von der Invalidenversicherung nicht übernommen werden (IV-act. 5). Im Bericht der Ärzte des Ostschweizer Kinderspitals vom 9. März 2012 wurden folgende Diagnosen genannt: Epiphysiolysis capitis femoris acuta mit Schraubenosteosynthese beidseits, rechts prophylaktisch, am 4. November 2011 sowie Status nach proximaler Femurfraktur rechts mit Osteosynthese und Reposition am 16. November 2011. Die Ärzte hielten fest, es handle sich nicht um ein Geburtsgebrechen, jedoch um eine Krankheit im Rahmen von Rz. 734.2 KSME. Zum Verlauf berichteten sie, dass die Versicherte am 2. November 2011 mit massiven Hüftschmerzen links zugewiesen worden sei. Klinisch habe eine deutlich eingeschränkte Hüftbeweglichkeit und radiologisch eine Epiphysiolysis capitis femoris von knapp 55° auf der linken Seite bestanden. Die Indikation zur Reposition und Stabilisierung der Epiphyse auf der linken Seite sei gestellt worden. Prophylaktisch sei ausserdem bei erhöhtem Risiko für eine Epiphysiolysis capitis femoris auf der rechten
Seite eine Verschraubung durchgeführt worden. Nach einem primär komplikationslosen Verlauf sei die Versicherte am 16. November 2011 auf dem Weg zur Schule gestürzt. Beim Abfangen habe sie versucht, sich mit der rechten Seite abzustützen, wobei es zu einer Fraktur des proximalen Femurs direkt unterhalb des Austritts des Hansson-Pins gekommen sei. Der Hansson-Pin sei daraufhin entfernt und eine Osteosynthese mit 130° Winkelplatte durchgeführt worden. Nach der letzten Kontrolle am 25. Januar 2012 gehe es der Versicherten deutlich besser. Eine vollständige Wiederherstellung der Integrität sei zu erwarten (IV-act. 7). In der Folge bestätigte der RAD am 10. April 2012
seine Stellungnahme vom 21. Februar 2012, wonach die Kosten der Epiphysiolysebehandlung übernommen werden könnten, die Kosten für den RehaAufenthalt jedoch abgelehnt werden müssten (IV-act. 8).
A.c Mit einer Mitteilung vom 19. April 2012 leistete die IV-Stelle eine Kostengutsprache für die Behandlung der Epiphysiolysis capitis femoris acuta mit Schraubenosteosynthese beidseits und für die postoperative Physiotherapie ab 2. November 2011 bis 31. Mai 2012. Die Übernahme der Behandlungskosten im Zusammenhang mit der proximalen Femurfraktur rechts vom 16. November 2011 und einem allfälligen Reha-Aufenthalt lehnte sie ab und führte aus, dass es sich dabei nicht um eine Behandlung des ursprünglichen Leidens handelte. Die Fraktur sei nicht während des Spitalaufenthaltes entstanden, sondern zu Hause, weshalb eine Kostenübernahme nach Art. 12 IVG entfalle (IV-act. 10).
A.d Auf Nachfrage der IV-Stelle beim Ostschweizer Kinderspital betreffend eine allfällig notwendige Verlängerung der Kostengutsprache für die Behandlung der Versicherten (IV-act. 13) teilte der behandelnde Arzt am 28. März 2013 mit, dass die Versicherte wegen der Epiphysiolyse in Kontrolle sei. Zuletzt sei sie am 15. Januar 2013 in der Sprechstunde gewesen, wobei eine Verlaufskontrolle bezüglich der Schraubenosteosynthese durchgeführt worden sei. Die Situation der Versicherten werde erneut im Juni beurteilt, um eine Metallentfernung der Schenkelhalsverschraubung zu planen. Alle diese Massnahmen fielen unter die Behandlung der Epiphysiolysis capitis femoris acuta (IV-act. 14). Für die weitere Beurteilung des Falls veranlasste der RAD die Einholung der Operationsund Austrittsberichte sowie des Berichts der Konsultation vom 15. Januar 2013 beim Ostschweizer Kinderspital (IV-act. 15). Unter Berücksichtigung der entsprechenden Berichte (IV-act. 18) hielt der RAD am 10. Juli 2013 fest, dass bei allen Behandlungen der Versicherten im Ostschweizer Kinderspital nach dem Unfallereignis vom
16. November 2011 die Oberschenkelfraktur im Vordergrund stehe. Der Hansson-Pin rechts sei bereits am 16. November 2011 wieder entfernt worden. Aus versicherungsmedizinischer Sicht bestehe seit dem 16. November 2011 für rechtseitige Behandlungen kein Leistungsanspruch mehr bei der Invalidenversicherung, weder für eine Metallentfernung (betreffend Fraktur) noch für Physiotherapie (IV-act. 19).
A.e Mit einem Vorbescheid vom 6. September 2013 stellte die IV-Stelle die Ablehnung der Verlängerung der Kostengutsprache für medizinische Massnahmen betreffend die Epiphysiolysis in Aussicht (IV-act. 22). Am 30. Oktober 2013 verfügte sie entsprechend dem Vorbescheid und wies das Verlängerungsgesuch ab (IV-act. 23).
B.
B.a Gegen diese Verfügung erhob Dr. C. , leitender Arzt der Abteilung Kinderorthopädie am Ostschweizer Kinderspital, am 27. November 2013 Beschwerde. Sinngemäss beantragte er die Aufhebung der angefochtenen Verfügung sowie die Kostenübernahme für die Behandlung der Femurfraktur vom 16. November 2011. Er führte aus, dass die Femurfraktur im direkten Zusammenhang mit der Epiphysiolysis capitis femoris acuta links stehe. Ohne die notwendige Reposition und Fixation mittels Osteosynthese des abgerutschten Femurkopfes wäre es nicht zu einer Femurfraktur in Höhe des Schraubenkopfes gekommen (act. G 1). Mit einem Schreiben vom
5. Dezember 2013 wies die verfahrensleitende Abteilungsvizepräsidentin Dr. C. auf seine fehlende Beschwerdelegitimation hin und setzte ihm eine Frist zur Einreichung einer Vollmacht der Eltern der Versicherten (act. G 2). Im Sinn einer Beschwerdeergänzung hielt Dr. C. am 13. Dezember 2013 fest, dass das rechte proximale Femur direkt unterhalb der Austrittsstelle des Hansson-Pins gebrochen sei. Es sei davon auszugehen, dass durch die Schraubenlage die Corticalis des Femur am proximalen Bereich so geschwächt gewesen sei, dass der Sturz eine Fraktur des Femurs eben in dieser Höhe verursacht habe. Entsprechend sei die osteosynthetische Versorgung der Fraktur als Komplikation im Rahmen der operativen Versorgung der Epiphysiolysis capitis femoris zu sehen. Es sei nicht davon auszugehen, dass es zu einer Femurfraktur im proximalen Femur rechts gekommen wäre, wenn nicht die Verschraubung mit dem Hansson-Pin die Knochenstruktur dermassen geschwächt hätte (act. G 3). Innert der gesetzten Nachfrist (act. G 4) reichte Dr. C. eine Vertretungsvollmacht der Eltern der Versicherten (nachfolgend: Beschwerdeführerin) ein (act. G 5).
B.b Am 20. März 2014 beantragte die Beschwerdegegnerin die Abweisung der Beschwerde. Zur Begründung führte sie aus, dass die vorliegend strittige Kostenübernahme für die Behandlung der Femurfraktur rechts vom 16. November
2011 bereits mit der Mitteilung vom 19. April 2012 abgelehnt worden sei. Dieser im formlosen Verfahren nach Art. 51 Abs. 1 ATSG erlassene Entscheid erwachse nach einer bestimmten Frist in Rechtskraft und könne dann nicht mehr angefochten werden. Es ergebe sich eine Rechtslage, die mit derjenigen bei formellen Verfügungen übereinstimme. Die Wiederanmeldung sei erst im März 2013 und somit fast ein Jahr nach Erlass der Mitteilung vom 19. April 2012 erfolgt. Es könne demnach davon ausgegangen werden, dass die Mitteilung vom 19. April 2012 rechtskräftig geworden sei. Mit der Wiederanmeldung seien keine neuen Erkenntnisse eingebracht worden. Es hätte daher überhaupt nicht auf das Gesuch eingetreten werden müssen. Falls das Gericht dieser Ansicht nicht folge, sei in materieller Hinsicht festzuhalten, dass der RAD bereits in seiner Stellungnahme vom 21. Februar 2012 ausgeführt habe, der Sturz der Beschwerdeführerin nach der Entlassung aus dem Spital sei ein Unfallereignis und keine Komplikation bei der Behandlung der Epiphysenlösung gewesen. Am 10. Juli 2013 habe der RAD diese Feststellung nochmals bestätigt, indem er darauf hingewiesen habe, dass bei allen Behandlungen im Kinderspital nach dem Unfallereignis vom 16. November 2011 die Oberschenkelfraktur im Vordergrund stehe, da der Hansson-Pin rechts bereits am 16. November 2011 wieder entfernt worden sei. Aus den RAD-Stellungnahmen ergebe sich somit, dass die Femurfraktur rechts nicht im Zusammenhang mit der Epiphysiolysis capitis femoris stehe. Ausserdem würde eine Leistungspflicht nur entstehen, wenn eine getrennte Behandlung des neuen Gesundheitsschadens nicht möglich wäre (Art. 64 Abs. 4 ATSG). Dies sei vorliegend nicht der Fall. Im Ergebnis sei die Neuanmeldung somit zu Recht abgewiesen worden (act. 8).
B.c Mit einer Replik vom 22. April 2014 wurde an den Beschwerdeanträgen festgehalten. Dr. C. führte aus, die Beschwerdegegnerin habe darauf hingewiesen, dass ab dem 16. November 2011 der Hansson-Pin rechts schon wieder entfernt worden sei. Nach der Oberschenkelfraktur der Beschwerdeführerin habe der HanssonPin entfernt werden müssen, da eine operative Versorgung der Oberschenkelfraktur notwendig geworden sei. Dabei sei eine Winkelplatte eingebracht worden, welche neben der Frakturstabilisation gleichzeitig die Funktion des Hansson-Pins übernommen habe. Die Fraktur sei in Höhe des noch liegenden Hansson-Pins erfolgt und stehe somit doch im Zusammenhang mit der Epiphysiolysis capitis femoris (act. G 10).
B.d Mit einer Eingabe vom 27. Mai 2014 verzichtete die Beschwerdegegnerin auf die Einreichung einer Duplik (act. G 12).
Erwägungen
1.
Die Beschwerdegegnerin hat mit der Mitteilung vom 19. April 2012 eine Kostenübernahme für die Behandlung der Femurfraktur rechts abgelehnt. Das Schreiben von Dr. C. vom 28. März 2013, worin er zum Ausdruck gebracht hat, dass die getroffenen und noch zu treffenden medizinische Massnahmen bei der Beschwerdeführerin insbesondere auch jene betreffend die Femurfraktur rechts alle im Zusammenhang mit der Behandlung der Epiphysiolysis capitis femoris acuta stünden, ist dahingehend zu deuten, dass er mit der Mitteilung vom 19. April 2012 nicht einverstanden gewesen ist (vgl. IV-act. 14). Die Beschwerdegegnerin hat sich auf den Standpunkt gestellt, dass der in Form einer Mitteilung ergangene Entscheid betreffend die Ablehnung der Behandlungskosten für die Femurfraktur rechts bereits in Rechtskraft erwachsen sei. Im Folgenden ist zu prüfen, ob dieser Entscheid tatsächlich rechtskräftig geworden ist.
Gemäss Art. 51 des Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG; SR 830.1) können Leistungen, Forderungen und Anordnungen, die nicht unter Art. 49 Abs. 1 ATSG fallen, in einem formlosen Verfahren behandelt werden. Art. 49. Abs. 1 ATSG bestimmt, dass über Leistungen, Forderungen und Anordnungen die erheblich sind mit denen die betroffene Person nicht einverstanden ist, eine schriftliche Verfügung zu erlassen ist. Soweit die Erheblichkeit frankenmässig bestimmt werden kann, dürfte die Grenze bei einigen hundert Franken liegen, während periodische Geldleistungen immer als erheblich einzustufen sind (Ueli Kieser, ATSG-Kommentar, 3. Aufl., Art. 49 N 22). Die vorliegende Ablehnung der Kostenübernahme für die Behandlung der Femurfraktur rechts ist als erheblich einzustufen, da die Behandlung, welche u.a. eine Operation, einen Reha-Aufenthalt sowie Physiotherapie und ärztliche Kontrolluntersuchungen beinhaltet hat, die betragsmässige Erheblichkeitsgrenze von mehreren hundert Franken deutlich übersteigt. Grundsätzlich hätte die Beschwerdegegnerin den leistungsablehnenden
Entscheid daher in Verfügungsform erlassen müssen. Im Sinn einer Spezialregelung zum ATSG kann der Bundesrat gemäss Art. 58 des Bundesgesetzes über die Invalidenversicherung (IVG; SR 831.20) anordnen, dass in Abweichung von Art. 49 Abs. 1 ATSG auch für bestimmte erhebliche Leistungen das formlose Verfahren nach Art. 51 ATSG zur Anwendung kommt. Der Bundesrat hat in Art. 74 ter IVV angeordnet, dass u.a. medizinische Massnahmen ohne Erlass eines Vorbescheids einer Verfügung zugesprochen weiter ausgerichtet werden können, wenn die
Anspruchsvoraussetzungen offensichtlich erfüllt sind und den Begehren der versicherten Person vollumfänglich entsprochen wird. Dem Begehren der Beschwerdeführerin um Übernahme der Behandlungskosten für die Femurfraktur rechts ist nicht entsprochen worden. Somit bleibt es dabei, dass die Beschwerdegegnerin den diesbezüglich ablehnenden Entscheid zu Unrecht in Form einer Mitteilung erlassen hat.
Das Gesetz enthält für die vorliegende Konstellation, in dem die IV-Stelle im formlosen Verfahren nach Art. 51 ATSG einen Entscheid gefällt hat, welcher jedoch in Verfügungsform hätte ergehen müssen, keine Regelung. Damit das Verfahren in die gesetzlich vorgesehenen Wege gelenkt und der versicherten Person der Rechtsweg eröffnet werden kann, ist der Erlass einer formellen Verfügung notwendig. Dementsprechend drängt sich in Analogie zu Art. 51 Abs. 2 ATSG die Lösung auf, dass die versicherte Person einen Entscheid in Form einer Verfügung verlangen kann. Als Reaktion auf das Schreiben von Dr. C. vom 28. März 2013, womit er in Vertretung der Eltern der Beschwerdeführerin (vgl. act. G 5) - das Nichteinverständnis mit dem leistungsabweisenden Entscheid betreffend die Femurfraktur rechts erklärt hat, hätte die Beschwerdegegnerin somit grundsätzlich eine beschwerdefähige Verfügung erlassen müssen. Die Erklärung ist jedoch erst rund 11 Monate nach dem Erlass der Mitteilung vom 19. April 2012 erfolgt. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage nach den allfälligen zeitlichen Grenzen der Befugnis, das Nichteinverständnis rechtswirksam zu erklären bzw. den Erlass einer beschwerdefähige Verfügung zu verlangen (vgl. BGE 134 V 145 E. 5.1). Mit anderen Worten stellt sich die Frage, wann die Rechtskraft bei einer zu Unrecht erlassenen Mitteilung eintritt.
Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung verhält sich eine versicherte Person
nicht rechtsmissbräuchlich, wenn sie erst mehrere Monate nach einem
unzulässigerweise im formlosen Verfahren erfolgten Fallabschluss den Erlass einer formellen Verfügung verlangt (vgl. BGE 132 V 412). Es ginge allerdings zu weit anzunehmen, die versicherte Person könne in einer solchen Konstellation ohne jede zeitliche Beschränkung auf dem Erlass einer Verfügung bestehen. Ebenso wie sich die Umschreibung der Rechtsfolgen der mangelhaften Eröffnung einer Verfügung an einer Abwägung zu orientieren hat, welche einerseits dem Rechtsschutzinteresse der betroffenen Person und andererseits dem Gebot der Rechtssicherheit Rechnung trägt (vgl. BGE 119 Ib 68 E. 3b S. 72), rechtfertigt es sich mit anderen Worten nicht, den Interessen der versicherten Person uneingeschränkten Vorrang einzuräumen. Vielmehr ist ihre Befugnis, einen formell korrekten Entscheid des Versicherers zu verlangen, insbesondere mit Blick auf das Gebot der Rechtssicherheit sowie den Verfassungsgrundsatz von Treu und Glauben (vgl. Art. 5 Abs. 3 der Bundesverfassung [BV; SR 101]) zeitlich zu beschränken. Mit Bezug auf das zulässige formlose Verfahren nach Art. 51 ATSG im Bereich der nicht erheblichen Leistungen, deren Beurteilung die versicherte Person nicht bereits vorgängig widersprochen hat, wurde im Verlauf der Gesetzgebungsarbeiten vom Bundesrat zunächst eine Frist von einem Jahr seit Entstehen des Anspruchs vorgeschlagen (vgl. BBl 1994 V 949). Im weiteren Verlauf stand sodann eine Frist von lediglich einem Monat zur Diskussion (vgl. Franz Schlauri, Grundstrukturen des nichtstreitigen Verwaltungsverfahrens in der Sozialversicherung, in: Schaffhauser/Schlauri [Hrsg.], Verfahrensfragen in der Sozialversicherung, St. Gallen 1996, S. 9 ff., 57 mit Fn. 87). Die Kommission des Nationalrates für soziale Sicherheit und Gesundheit lehnte in ihrem Bericht vom 26. März 1999 (BBl 1999 S. 4523 ff.) die Aufnahme einer Frist in das Gesetz schliesslich ab, mit der Begründung, dass das formlose Verfahren in der Sozialversicherung sehr unterschiedliche Abläufe beschlage und es daher falsch sei, eine Frist zu fixieren (vgl. BBl 1999 S. 4610). Dementsprechend regelt Art. 51 Abs. 2 ATSG diesen Punkt nun nicht. In der Lehre wird davon ausgegangen, die Frist müsse auf jeden Fall länger sein als die 30-tägige Rechtsmittelfrist, könne aber wohl mehrere Monate nicht übersteigen, wobei die sachgerechte Dauer vom Einzelfall abhänge (vgl. Thomas Locher/Thomas Gächter, Grundriss des Sozialversicherungsrechts, 4. Aufl., § 67 Rz. 27). Im BGE 134 V 145 hat das Bundesgericht in Bezug auf die Konstellation des unzulässigen formlosen Verfahrens festgehalten, dass es in Anbetracht der einander gegenüberstehenden Interessen und unter Berücksichtigung des Verfassungsgrundsatzes von Treu und
Glauben für den Regelfall als gerechtfertigt erscheine, von der betroffenen Person zu erwarten, dass sie innerhalb eines Jahres seit der unzulässigerweise im formlosen Verfahren erfolgten Mitteilung des Fallabschlusses an den Unfallversicherer gelange, wenn sich dieser seither nicht mehr gemeldet habe. Eine längere Frist komme allenfalls dann in Frage, wenn die Person insbesondere wenn sie rechtsunkundig und nicht anwaltlich vertreten ist in guten Treuen annehmen durfte, der Versicherer habe noch keinen abschliessenden Entscheid fällen wollen und sei mit weiteren Abklärungen befasst (vgl. BGE 134 V 145 E. 5.3.2). Diese Rechtsprechung ist analog auch im Bereich der Invalidenversicherung anzuwenden, da ein im Vergleich zur Unfallversicherung ebenso hoher Grad an Betroffenheit der versicherten Person gegeben ist und sich die gleichen Interessen gegenüberstehen. Vorliegend ist insbesondere zu beachten, dass die Behandlung der Femurfraktur der Beschwerdeführerin im Zeitpunkt der Erklärung des Nichteinverständnisses noch nicht abgeschlossen gewesen ist. So hat Dr. C. in seinem Schreiben vom 28. März 2013 angegeben, dass im Juni 2013 eine Metallentfernung der Schenkelhalsverschraubung geplant werde (vgl. IV-act. 14). Auch seitens der Beschwerdegegnerin ist kein Abschluss des Verfahrens betreffend die Kostenübernahmen im Rahmen der Behandlungen der Beschwerdeführerin erfolgt, was sich an der Nachfrage der Beschwerdegegnerin beim Ostschweizer Kinderspital im März 2013 betreffend eine allfällig notwendige Verlängerung der Kostengutsprache für die Behandlung der Epiphysiolysis capitis femoris acuta gezeigt hat (vgl. IV-act.13). Aus diesen Gründen hat bei der Beschwerdeführerin auch im März 2013 noch immer ein Rechtsschutzinteresse daran bestanden, sich gegen den leistungsabweisenden Entscheid vom 19. April 2012 zu wehren, zumal mit diesem Entscheid Kostenübernahmen sämtlicher, auch künftiger Leistungen im Zusammenhang mit der Femurfraktur rechts ausgeschlossen worden sind. Auf der anderen Seite kann sich die Beschwerdegegnerin nicht auf ihr Rechtssicherheitsinteresse berufen, um eine Rechtskraftwirkung des Entscheids vom 19. April 2012 anzunehmen, da sie durch die Anwendung des formlosen Verfahrens entgegen der gesetzlichen Regelung die vorübergehende Rechtsunsicherheit grundsätzlich selbst zu verantworten hat (vgl. BGE 134 V 145 E. 5.3.2). Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesgerichts und der vorgenommenen Interessenabwägung folgt, dass der mit der Mitteilung vom
19. April 2012 erlassene leistungsabweisende Entscheid betreffend die Übernahme der
Behandlungskosten für die Femurfraktur rechts im Zeitpunkt der innert Jahresfrist erfolgten Erklärung des Nichteinverständnisses am 28. März 2013 noch nicht rechtskräftig gewesen ist.
Wie bereits erwähnt hätte die Beschwerdeführerin als Reaktion auf das erklärte Nichteinverständnis eine beschwerdefähige Verfügung über die Ablehnung einer Kostenübernahme der Behandlungen für die Femurfraktur rechts erlassen sollen. Eine Rückweisung der Angelegenheit zum Erlass einer entsprechenden beschwerdefähigen Verfügung erübrigt sich jedoch vorliegend, da die Beschwerdegegnerin mit der angefochtenen Verfügung vom 30. Oktober 2013 neben dem Gesuch um Verlängerung der Kostengutsprache bezüglich der bereits mit der Mitteilung vom 19. April 2012 geleisteten Kostengutsprache für die Behandlung der Epiphysiolysis capitis femoris acuta auch über die Behandlungskosten für die Femurfraktur rechts entsprechend der Mitteilung vom 19. April 2012 verfügt hat. Somit ist die angefochtene Verfügung vom
30. Oktober 2013 gleichzeitig als die von Dr. C. sinngemäss verlangte beschwerdefähige Verfügung über den leistungsabweisenden Entscheid vom 19. April 2012 zu betrachten.
2.
Im Folgenden ist in materieller Hinsicht zu prüfen, ob die mit der Verfügung vom
30. Oktober 2013 erfolgte Leistungsabweisung in Bezug auf die Behandlungskosten im Zusammenhang mit der Femurfraktur rechtmässig ist. Die Beschwerdegegnerin hat den leistungsabweisenden Entscheid damit begründet, dass die Femurfraktur rechts auf ein Unfallereignis und nicht auf eine Komplikation bei der Behandlung der Epiphysiolysis capitis femoris acuta zurückzuführen sei, was eine Leistungspflicht der Invalidenversicherung ausschliesse.
Mit Art. 64 ATSG ist per 2003 eine Koordinationsregelung für Heilbehandlungen eingeführt worden, die auch für die Invalidenversicherung gilt. Gemäss dessen Abs. 1 wird die Heilbehandlung, soweit die Leistungen gesetzlich vorgeschrieben sind, ausschliesslich von einer einzigen Sozialversicherung übernommen (Prinzip der Priorität). Sind die Voraussetzungen des jeweiligen Einzelgesetzes erfüllt, so geht die Heilbehandlung gemäss Abs. 2 im gesetzlichen Umfang und in nachstehender
Reihenfolge zu Lasten der Militärversicherung (lit. a), der Unfallversicherung (lit. b), der Invalidenversicherung (lit. c) und der Krankenversicherung (lit. d).
Die Beschwerdeführerin gehört zu keiner der in Art. 1a des Bundesgesetzes für die Unfallversicherung (UVG; SR 832.20) genannten Gruppen von obligatorisch unfallversicherten Personen. Sie ist daher lediglich im Rahmen ihrer obligatorischen Krankenversicherung subsidiär gegen Unfälle versichert (vgl. Art. 1a Abs. 2 lit. b des Bundesgesetzes über die Krankenund Unfallversicherung [KVG; SR 832.10]). Daraus folgt, dass vorliegend in Anwendung von Art. 64 ATSG die Leistungspflicht der Invalidenversicherung derjenigen der Krankenversicherung vorgehen würde, sofern die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Leistungspflicht gemäss IVG erfüllt wären. Eine allfällige Leistungspflicht der Invalidenversicherung bestünde in diesem Fall unabhängig davon, ob der Gesundheitsschaden durch einen Unfall verursacht worden ist nicht, da es sich bei der Invalidenversicherung um eine finale und nicht um eine kausale Versicherung handelt (vgl. zum Ganzen: Entscheid des Versicherungsgerichts St. Gallen vom 25. November 2009, IV 2009/161, E. 3 und 4).
In Betracht kommt vorliegend eine Leistungspflicht der Invalidenversicherung gestützt auf Art. 12 Abs. 1 IVG. Demnach haben versicherte Personen bis zum vollendeten 20. Altersjahr Anspruch auf medizinische Massnahmen, die nicht auf die Behandlung des Leidens an sich, sondern unmittelbar auf die Eingliederung ins Erwerbsleben in den Aufgabenbereich gerichtet und geeignet sind, die Erwerbsfähigkeit die Fähigkeit, sich im Aufgabenbereich zu betätigen, dauernd und wesentlich zu verbessern vor wesentlicher Beeinträchtigung zu bewahren. Gemäss Rz. 38 des Kreisschreibens über die medizinischen Eingliederungsmassnahmen der Invalidenversicherung (KSME) streben medizinische Massnahmen durch die Korrektur stabiler Funktionsausfälle Defekte die berufliche Eingliederung an. Vorausgesetzt ist somit eine abgeschlossene Krankenoder Unfallbehandlung, die einen (relativ) stabilen Defekt hinterlassen hat (Rz. 39 KSME). Gemäss Rz. 54 KSME können ausnahmsweise medizinische Eingliederungsmassnahmen nach Art. 12 IVG auch übernommen werden, wenn noch nicht stabile relativ stabilisierte Zustände bestehen, nämlich dann, wenn die auszuführenden Massnahmen mit hinlänglicher Zuverlässigkeit erwarten lassen, dass damit einem später drohenden stabilen, nur schwer korrigierbaren Defekt vorgebeugt
werden kann, der sich wesentlich auf die Erwerbstätigkeit Berufsbildung auswirken würde (Art. 8 Abs. 2 ATSG; Art. 5 Abs. 2 IVG).
Die Beschwerdeführerin hat sich am 16. November 2011 eine rechtsseitige Fraktur des proximalen Femurs, direkt unterhalb des Austritts des Hansson-Pins zugezogen. Die Fraktur ist gleichentags mittels einer Osteosynthese mit 130° Winkelplatte operativ versorgt worden (vgl. IV-act. 18-5). Es folgten ein Reha-Aufenthalt im Spital D. (vgl. IV-act. 18-8) und Verlaufskontrollen im Ostschweizer Kinderspital (vgl. IV-act. 18). Dr. C. hat im Bericht vom 28. März 2013 festgehalten, dass als weitere medizinische Massnahme die Metallentfernung der Schenkelhalsverschraubung bevorstehe (vgl. IVact. 14). Da die Behandlung der Femurfraktur noch nicht abgeschlossen ist, liegt diesbzüglich noch kein stabiler Defektzustand im Sinne von Art. 12 IVG vor. Es ist jedoch überwiegend wahrscheinlich davon auszugehen, dass mit den durchgeführten und noch durchzuführenden Behandlungen ein später drohender stabiler, nur schwer korrigierbarer Defekt, der sich auf die Erwerbsfähigkeit ausgewirkt hätte (z.B. eine Einschränkung der Gehfähigkeit), hat vorgebeugt werden können bzw. vorgebeugt werden kann. Damit ist im Sinne der Ausnahmebestimmung gemäss Rz. 54 KSME eine Leistungspflicht der Invalidenversicherung gestützt auf Art. 12 IVG zu bejahen.
Zusammengefasst hat die Beschwerdegegnerin die Kostenübernahme für die Behandlung der Femurfraktur rechts zu Unrecht abgelehnt. Gestützt auf Art. 12 IVG hat sie neben den Behandlungskosten für die Epiphysiolysis capitis femoris acuta auch die Kosten sämtlicher Behandlungen im Zusammenhang mit der Femurfraktur rechts, namentlich die Kosten der Operation vom 16. November 2011, des Reha-Aufenthaltes, der Verlaufskontrollen, der Physiotherapie, sowie allfällige weitere Kosten von Behandlungen, welche nicht in den vorliegenden Akten ersichtlich sind, zu tragen.
3.
Gestützt auf die vorstehenden Erwägungen ist die Beschwerde unter Aufhebung
der angefochtenen Verfügung vom 30. Oktober 2013 gutzuheissen.
Das Beschwerdeverfahren ist kostenpflichtig. Die Kosten werden nach dem Verfahrensaufwand und unabhängig vom Streitwert im Rahmen von Fr. 200.-bis
Fr. 1'000.-festgelegt (Art. 69 Abs. 1 bis IVG). Eine Gerichtsgebühr von Fr. 600.-erscheint bei dem vorliegenden durchschnittlichen Beurteilungsaufwand angemessen. Der unterliegenden Beschwerdegegnerin sind die Gerichtskosten in Höhe von
Fr. 600.-aufzuerlegen (vgl. Art. 95 Abs. 1 des Gesetzes über die Verwaltungsrechtspflege [VRP/sGS 951.1]). Der von der Beschwerdeführerin geleistete Kostenvorschuss von Fr. 600.-ist ihr zurückzuerstatten.
Entscheid
1.
Die Beschwerde wird unter Aufhebung der angefochtenen Verfügung vom 30. Oktober 2013 gutgeheissen. Die Beschwerdegegnerin hat die mit der Femurfraktur rechts im Zusammenhang stehenden Kosten vollumfänglich zu übernehmen.
2.
Die Beschwerdegegnerin hat die Gerichtskosten von Fr. 600.-zu bezahlen. Der Beschwerdeführerin wird der geleistete Kostenvorschuss von Fr. 600.-zurückerstattet.
Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.
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