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Urteil Versicherungsgericht (SG)

Kopfdaten
Kanton:SG
Fallnummer:EL 2019/24
Instanz:Versicherungsgericht
Abteilung:EL - Ergänzungsleistungen
Versicherungsgericht Entscheid EL 2019/24 vom 13.08.2019 (SG)
Datum:13.08.2019
Rechtskraft:-
Leitsatz/Stichwort:Entscheid Art. 58 ATSG. Örtliche Zuständigkeit. Anwendbares Recht. Anwendbares Verfahrensrecht (Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 13. August 2019, EL 2019/24).
Schlagwörter : Kanton; Beschwerde; Recht; Kantons; Versicherungsgericht; Franken; Einsprache; Galler; Gallen; Einspracheentscheid; Ergänzungsleistung; Zürcher; Durchführungsstelle; Wohnsitz; Beschwerdeführerin; Materiell; Bundes; Entscheid; Verfügung; Angefochten; Zuständig; Müsse; Angefochtene; Prüfen; Haushalt; Materielle; Zusatzleistung; EL-Durchführungsstelle
Rechtsnorm: Art. 3 BV ; Art. 47 BV ; Art. 51 BV ; Art. 58 ATSG ;
Referenz BGE:-
Kommentar zugewiesen:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
Weitere Kommentare:
Entscheid
Entscheid vom 13. August 2019

Besetzung

Präsident Ralph Jöhl, Versicherungsrichterinnen Monika Gehrer-Hug und Karin Huber- Studerus; Gerichtsschreiber Tobias Bolt

Geschäftsnr. EL 2019/24

Parteien

  1. ,

    Beschwerdeführerin,

    vertreten durch Fürsprecher lic. iur. Daniel Küng, Anwaltskanzlei St. Jakob,

    St. Jakob Strasse 37, 9000 St. Gallen,

    gegen

    image

    Gemeinde B. , Beschwerdegegnerin,

    Gegenstand

    Ergänzungsleistung zur IV (Krankheits- und Behinderungskosten) Sachverhalt

    A.

    1. A. bezog im Kanton Zürich Zusatzleistungen (bundesrechtlich: Ergänzungsleistungen) zu einer Hilflosenentschädigung der Invalidenversicherung. Mit einer Verfügung vom 12. Oktober 2015 (EL 2017/16, act. G 2.1.7.1) setzte die EL- Durchführungsstelle die laufende Zusatzleistung rückwirkend ab dem 1. Juli 2015 von 3’221 Franken pro Monat auf 2’239 Franken pro Monat herab. Zur Begründung für diese Herabsetzung führte sie aus, die EL-Bezügerin erhalte seit dem 1. Juli 2015 Kleinkinderbetreuungsbeiträge im Umfang von 1’648 Franken pro Monat. Diese Beiträge seien gemäss den Weisungen des kantonalen Sozialamtes bei den Zusatzleistungen zur AHV/IV als Einnahme anzurechnen. Mit einer zweiten Verfügung vom 12. Oktober 2015 (EL 2017/16, act. G 2.1.6.1) forderte die EL-Durchführungsstelle die im Zeitraum vom 1. Juli 2015 bis zum 31. Oktober 2015 unrechtmässig bezogenen Zusatzleistungen von 3’928 Franken (= 4 × 982 Franken) zurück. Eine dagegen erhobene Einsprache wurde von der EL-Durchführungsstelle mit einem Entscheid vom

      1. Dezember 2015 abgewiesen (EL 2017/16, act. G 2.1.9.1). Auf eine dagegen erhobene Beschwerde trat das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit einem Beschluss vom 4. März 2016 nicht ein (EL 2017/16, act. G 2.1.12.1).

    2. Mit einer Verfügung vom 16. September 2016 sprach die EL-Durchführungsstelle der EL-Bezügerin für die Zeit von Juni bis Dezember 2015 eine Vergütung von 2’377 Franken für verschiedene Krankheits- und Behinderungskosten zu (EL 2017/16, act.

      G 2.1.13.1). Im Umfang von 2’064.10 Franken betraf diese Vergütung die Kosten einer Haushaltshilfe in der Zeit von Juni bis Dezember 2015. Mit einer zweiten Verfügung vom 16. September 2016 (EL 2017/16, act. G 2.1.15.1) verrechnete die EL- Durchführungsstelle die noch offene Forderung gemäss der Rückforderungsverfügung vom 12. Oktober 2015 von 3’928 Franken mit der Vergütung der Krankheits- und Behinderungskosten von 2’377 Franken, sodass noch ein offener

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      Rückforderungsbetrag von 1’551 Franken verblieb. Am 29. September 2016 erhob die EL-Bezügerin eine Einsprache gegen die beiden Verfügungen vom 16. September 2016 (act. G 3.1). Sie beanstandete „die Anrechnung des Assistenzbeitrages während der Zeit von August bis November“ und damit auch „die Rückforderung von Zusatzleistungen“. Sie machte geltend, die Gemeinde hätte die Kosten für eine Haushaltshilfe von jährlich 4’800 Franken übernehmen müssen. Gesamthaft hätten für die Bezahlung der Assistenzperson im Jahr 2015 etwa 9’000 Franken gefehlt. Die Gemeinde sei folglich verpflichtet, für das Jahr 2015 einen Anteil von 4’800 Franken an diesen Fehlbetrag zu leisten. Die EL-Sachbearbeiterin habe telefonisch erklärt, dass für die Zeit von Juli bis November 2015 insgesamt 4’800 Franken geltend gemacht werden könnten. Nun stelle sie sich aber auf den Standpunkt, dieser Betrag sei bereits von der IV-Stelle bezahlt worden. Das stimme zwar augenscheinlich, aber genau genommen handle es sich um einen Vorbezug, der für das Folgejahr wieder ausgeglichen werden müsse. Mit einem Einspracheentscheid vom 25. Oktober 2016 wies die EL- Durchführungsstelle diese Einsprache ab (EL 2017/16, act. G 2.1.16.7). Sie hielt fest,

      sie habe bereits 3’928 Franken zu viel ausgerichtet. Beim geltend gemachten Maximalbetrag von 4’800 Franken pro Jahr für eine Haushaltshilfe handle es sich nicht um eine Pauschale; die EL-Bezügerin hätte effektive Lohnkosten nachweisen müssen, damit eine entsprechende Vergütung hätte erfolgen können. Zudem habe die EL- Bezügerin ja bereits eine Hilflosenentschädigung, einen Assistenzbeitrag und eine Zusatzleistung erhalten, bei deren Berechnung ein Kinderbetreuungsabzug vom Erwerbseinkommen des Ehemannes berücksichtigt worden sei.

    3. Am 24. November 2016 liess die nun im Kanton St. Gallen wohnhafte EL- Bezügerin beim Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich eine Beschwerde gegen den Einspracheentscheid vom 25. Oktober 2016 erheben (EL 2017/16, act. G 2.1.1). Sie beantragte die Aufhebung des angefochtenen Einspracheentscheides, das Nichteintreten auf die Einsprache vom 29. September 2016, eventualiter deren Abweisung und die Rückweisung der Sache an die EL-Durchführungsstelle zur neuen Verfügung betreffend des im Einspracheverfahren geltend gemachten Betrages von 4’800 Franken; eventualiter sei der EL-Bezügerin ein Betrag von 3’249 Franken zuzusprechen. Mit einer Verfügung vom 8. Februar 2017 trat das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich nicht auf die Beschwerde vom 24.

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November 2016 ein (EL 2017/16, act. G 2.1.12). Zur Begründung führte es an, laut dem Art. 58 Abs. 1 ATSG sei das Versicherungsgericht jenes Kantons zur Behandlung einer Beschwerde örtlich zuständig, in dem die versicherte Person zum Zeitpunkt der Beschwerdeerhebung ihren Wohnsitz habe. Da die EL-Bezügerin im Zeitpunkt der Beschwerdeerhebung im Kanton St. Gallen gewohnt habe, sei das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich örtlich nicht zur Behandlung der Beschwerde vom 24. November 2016 zuständig.

B.

    1. Am April 2017 überwies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich die Beschwerde vom 24. November 2016 und sämtliche Akten dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen (EL 2017/16, act. G 2). Die EL-Bezügerin (nachfolgend: die Beschwerdeführerin) liess am 25. April 2017 geltend machen (EL 2017/16, act. G 4), sie sei nach wie vor der Ansicht, dass das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich zur Behandlung der Beschwerde zuständig sei; sie habe allerdings nichts gegen eine Behandlung durch das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen einzuwenden. Da die EL-Durchführungsstelle (nachfolgend: die Beschwerdegegnerin) bereits gegenüber dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich Stellung zur Beschwerde genommen hatte (EL 2017/16, act. G 2.1.7), forderte das Versicherungsgericht die Beschwerdeführerin am 27. April 2017 direkt zur Einreichung einer Replik auf

      (EL 2017/16, act. G 5). Die Beschwerdeführerin verzichtete am 19. Juni 2017 auf eine Replik (EL 2017/16, act. G 10).

    2. Mit einem Entscheid vom 15. Mai 2018 und 17. Mai 2018 trat das Versicherungsgericht nicht auf die Beschwerde ein; es sprach dem Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin eine Entschädigung für die unentgeltliche Rechtsverbeiständung zu (EL 2017/16). Den Nichteintretensentscheid begründete es im Wesentlichen mit dem Umstand, dass das Ergänzungsleistungsrecht einen gewichtigen kantonalrechtlichen Bezug aufweise, weshalb die strikte Anwendung des Art. 58 Abs. 1 ATSG in Ausnahmefällen wie dem vorliegenden (Wohnsitzverlegung in einen anderen Kanton vor der Beschwerdeerhebung) ein kantonales Versicherungsgericht dazu zwingen könnte, ausserkantonales „Nicht-Recht“ anwenden zu müssen. Eine solche Situation müsse um jeden Preis vermieden werden. Dass das ELG nicht vom Art. 58 Abs. 1

      ATSG abweiche, stelle aus systematischer Sicht eine (unechte) Gesetzeslücke dar. Zudem werde mit der Anknüpfung an den Wohnsitz in Ausnahmefällen wie dem vorliegenden das Ziel verfehlt, einen möglichst engen sachlichen Bezug zum Gerichtsstand zu schaffen. In dieser Konstellation widerspreche die Anknüpfung am Wohnsitz also diametral dem Willen des historischen Gesetzgebers. Sie führe zum stossenden Ergebnis, dass das Versicherungsgericht ausserkantonales Recht anwenden oder umgekehrt nach eigenem Recht einen Einspracheentscheid beurteilen müsste, der auf dem Recht eines anderen Kantons beruhe. Auch die teleologische Auslegung spreche somit für eine Gesetzeslücke. Daher müsse bei einer Wohnsitzverlegung, wie sie hier erfolgt sei, vom Art. 58 Abs. 1 ATSG abgewichen werden; zuständig müsse in einem solchen Fall entgegen dem Wortlaut des Art. 58 Abs. 1 ATSG nicht das Gericht am neuen Wohnsitz der versicherten Person, sondern dasjenige sein, dessen kantonales Ergänzungsleistungsrecht angewandt worden sei.

    3. Mit einem Urteil vom 10. April 2019 (9C_441/2018) hob das Bundesgericht den Nichteintretensentscheid des Versicherungsgerichtes des Kantons St. Gallen auf. Es führte an, die formelle Frage der örtlichen Zuständigkeit könne nicht unter Berufung auf

„einzelne materielle Bestimmungen aus dem Ergänzungsleistungsrecht“ abweichend von der im ATSG getroffenen Lösung geregelt werden. Triftige Gründe für eine Praxisänderung seien nicht ersichtlich. Der Entscheid des Versicherungsgerichtes des Kantons St. Gallen vom 15. Mai 2018 und vom 17. Mai 2018 sei folglich aufzuheben und die Sache sei an das Versicherungsgericht zurückzuweisen, damit es materiell über die Beschwerde gegen den Einspracheentscheid vom 25. Oktober 2016 entscheide.

Erwägungen

1.

    1. Laut dem Art. 3 BV sind die Kantone der Schweizerischen Eidgenossenschaft souverän, soweit ihre Souveränität nicht durch die Bundesverfassung beschränkt ist. Sie sind zwar keine „vollwertigen“ Staaten im Sinne des Völkerrechts (vgl. etwa Ulrich Häfelin/Walter Haller/Helen Keller/Daniela Thurnherr, Schweizerisches Bundesstaatsrecht, 9. Aufl. 2016, Rz. 942), aber ihnen kommt doch eine eigene Staatlichkeit - „kraft eigenen Rechts“ (vgl. Walter Haller/Alfred Kölz/Thomas Gächter,

      Allgemeines Staatsrecht, 5. Aufl. 2013, Rz. 508, mit Hinweisen) - und eine Teilsouveränität mit Hoheitsgewalt innerhalb der Kantonsgrenzen zu (vgl. etwa Rainer Schweizer, in: St. Galler Kommentar zur BV, 3. Aufl. 2014, Art. 3 N 7; Thomas Fleiner/ Alexander Misic, Föderalismus als Ordnungsprinzip der Verfassung, in: Thürer/Aubert/ Müller [Hrsg.], Verfassungsrecht der Schweiz, 2001, § 27 N 25; Häfelin/Haller/Keller/ Thurnherr, a.a.O., Rz. 944). Der Art. 47 Abs. 1 BV verpflichtet den Bund, die Eigenständigkeit der Kantone zu wahren. Diese Eigenständigkeit der Kantone gehört zum „Lebenselixier“ einer tragkräftigen föderalistischen Ordnung (René Rhinow/Markus Schefer/Peter Uebersax, Schweizerisches Verfassungsrecht, 3. Aufl. 2016, Rz. 797). Der Art. 51 Abs. 1 BV sieht vor, dass sich die Kantone eine eigene demokratische Verfassung geben. Diese Kantonsverfassungen und die gestützt darauf erlassenen kantonalen Gesetze gelten für die der jeweiligen kantonalen Hoheit anvertrauten Menschen (Fleiner/Misic, a.a.O., § 27 N 25). Die Kantone verfügen also über ein eigenes Territorium und über ein eigenes Volk, auch wenn die Bundesverfassung dafür einen gewissen Rahmen vorgibt (Häfelin/Haller/Keller/Thurnherr, a.a.O., Rz. 944). Die Verfassungs- und Gesetzgebungsautonomie der Kantone ist in der Lehre einhellig anerkannt (vgl. etwa Rhinow/Schefer/Uebersax, a.a.O., Rz. 833; Patricia Egli, in:

      St. Galler Kommentar zur BV, 3. Aufl. 2014, Art. 47 N 17, mit zahlreichen Hinweisen). Der Kanton St. Gallen definiert sich gemäss dem Art. 1 Abs. 1 seiner Kantonsverfassung (KV; sGS 111.1) als ein Gliedstaat der Schweizerischen Eidgenossenschaft und gemäss dem Art. 1 Abs. 2 KV als ein sozialer Rechtsstaat. Das im Art. 8 Abs. 1 KV definierte Legalitätsprinzip bezieht sich auf „das Recht“, womit ganz offensichtlich das eigene kantonale St. Galler Recht und das übergeordnete Bundesrecht gemeint sein müssen. Weder die BV noch die KV sehen vor, dass für die Verwaltung oder für die Gerichte des Kantons St. Gallen das Recht eines anderen

      Kantons massgebend sein könnte. Das liesse sich denn auch augenscheinlich nicht mit der Souveränität des Kantons St. Gallen innerhalb der Rechtsordnung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vereinbaren, sondern würde die in der Lehre und in der Rechtsprechung einhellig anerkannte und bundesverfassungsrechtlich garantierte Eigenständigkeit des Kantons St. Gallen grundlegend unterwandern. Das Recht eines anderen Kantons gehört folglich nicht zum für die St. Galler Behörden und Gerichte massgebenden Recht; aus der Sicht der St. Galler Behörden und Gerichte handelt es sich um „Nicht-Recht“. Das gilt selbstverständlich nicht nur für das materielle, sondern auch für das Verfahrensrecht, denn das Territorialitätsprinzip unterscheidet nicht zwischen diesen beiden Arten von Recht. Im vorliegenden Fall kann das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen also in materieller Hinsicht ausschliesslich das Bundes- und das St. Galler Ergänzungsleistungsrecht auf den massgebenden Sachverhalt und in verfahrensrechtlicher Hinsicht einzig das (den

      bundesrechtlichen Mindestanforderungen im ATSG genügende) St. Galler

      Verwaltungsverfahrensrecht anwenden.

    2. Das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen hat schon in seinem Entscheid EL 2017/16 vom 15. Mai 2018 und vom 17. Mai 2018 ausdrücklich darauf hingewiesen, dass das Ergänzungsleistungsrecht zu einem erheblichen Teil kantonalrechtlich geprägt sei (und nicht etwa bloss „einzelne materielle“ kantonalrechtliche Bestimmungen enthalte, wie das Bundesgericht annehme), weshalb von Bundesrechts wegen sichergestellt werden müsse, dass in einem kantonalen Beschwerdeverfahren in jedem Fall nur die Anwendung des Bundesrechts und des „eigenen“ kantonalen

      Rechts zu überprüfen sei. Nicht explizit erwähnt hat das Versicherungsgericht im erwähnten Entscheid, dass selbstverständlich auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht nur die Anwendung des Bundesrechts und des „eigenen“ kantonalen Rechts in Frage kommen kann. Denn das Verfahrensrecht ist seiner Natur nach genauso Recht wie das materielle Recht. Die im Art. 58 Abs. 1 ATSG enthaltene Regel, wonach das Versicherungsgericht jenes Kantons zur Behandlung einer Beschwerde zuständig ist, in dem die versicherte Person im Zeitpunkt der Beschwerdeerhebung ihren Wohnsitz hat, sorgt in den allermeisten Fällen dafür, dass das entsprechende Versicherungsgericht die Anwendung seines „eigenen“ kantonalen (materiellen und Verfahrens-) Rechts zu überprüfen hat. Sie versagt aber in einem Sonderfall, der in der Praxis vergleichsweise selten auftritt, nämlich dann, wenn die versicherte Person ihren Wohnsitz noch vor der Beschwerdeerhebung in einen anderen Kanton verlegt. Mangels einer entsprechenden Sonderregel verlangt der Art. 58 ATSG einen damit verbundenen Wechsel der örtlichen Zuständigkeit des Versicherungsgerichtes über die Kantonsgrenze hinweg. Das hat zur Folge, dass das Versicherungsgericht des neuen Wohnsitzkantons einen Einspracheentscheid auf dessen Rechtmässigkeit überprüfen muss, der in materieller Hinsicht unter Umständen zu einem Teil, in verfahrensrechtlicher Hinsicht aber notwendigerweise immer auf einer Anwendung des kantonalen Rechts des früheren Wohnsitzkantons beruht. Im Lichte der oben dargelegten verfassungsrechtlichen Grundprinzipien führt das zu einer Situation, in der kein Urteil gefällt werden kann, das verfassungsrechtlich vertretbar wäre (vgl. dazu E. 1.3). Dem Bundesgesetzgeber kann nicht unterstellt werden, dass er dies bewusst hätte in Kauf nehmen wollen. Immerhin hat er ja sogar im Bereich der rein bundesrechtlich geregelten Invalidenversicherung eine Sonderregel geschaffen, wonach bei einem Wohnsitzwechsel der versicherten Person die Zuständigkeit beim Versicherungsgericht am Ort der IV-Stelle verbleibt. Das bedeutet aber, dass er bei der Schaffung des Art. 58 ATSG den Sonderfall des Kantonswechsels kurz vor der Beschwerdeerhebung übersehen haben muss. Mit ein Grund dafür dürfte im Umstand zu erblicken sein, dass der Art. 58 ATSG auf einer alten

      KVG-Bestimmung beruht, denn der Bereich der Krankenpflegeversicherung ist rein bundesrechtlich geregelt. Jedenfalls kann nicht unterstellt werden, der Bundesgesetzgeber habe im Zusammenhang mit der Regelung der örtlichen Zuständigkeit der kantonalen Versicherungsgerichte - ohne jeden Hinweis - auch den Grundsatz verankern wollen, dass die kantonalen Versicherungsgerichte das eigene kantonale Recht „ausschalten“ und stattdessen fremdes „Nicht-Recht“ anwenden müssten. Ebenso wenig kann angenommen werden, dass der Art. 58 ATSG sich mit der Frage nach dem anwendbaren kantonalen Recht befasse, besteht sein Sinn und Zweck doch offensichtlich einzig darin, die örtliche Zuständigkeit zu regeln. Die örtliche Zuständigkeit hat aber nichts mit der Frage nach dem anwendbaren Recht zu tun. Selbst im IPRG, das sich mit der Frage nach der örtlichen Zuständigkeit und mit der Frage nach dem anwendbaren Recht (allerdings im Privatrecht) befasst, werden diese beiden Fragen strikt getrennt. Damit liegt im Bereich des Ergänzungsleistungsrechts ganz offensichtlich eine sogenannte unechte Gesetzeslücke vor: Der Art. 58 ATSG gibt vor, dass er eine Lösung für jede Sachverhaltskonstellation enthalte, aber diese führt im erwähnten Sonderfall zu einem verfassungswidrigen Ergebnis, sodass man nicht umhin kann, den Anwendungsbereich des Art. 58 ATSG teleologisch zu reduzieren und die dadurch entstehende („unechte“) Lücke richterrechtlich modo legislatoris mit einer überzeugenden Lösung zu füllen. Mit dieser Problematik hat sich das Bundesgericht vorliegend gar nicht erst auseinandergesetzt. Vielmehr hat es lediglich auf sein Urteil 9C_260/2018 vom 18. Dezember 2018 verwiesen. Auch das Urteil 9C_441/2018 vom

      10. April 2019 enthält wieder keine überzeugende Begründung dafür, dass das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen einen Einspracheentscheid materiell überprüfen muss, der einen kantonalrechtlichen Anspruch auf eine Zürcher Zusatzleistung zum Gegenstand hat. Das Urteil ist aber direkt mit seiner Eröffnung formell rechtskräftig und damit für das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen verbindlich geworden, weshalb diesem nichts anderes übrig bleibt, als verfassungswidrig zu entscheiden und die Beschwerde vom 24. November 2016 gegen den Einspracheentscheid vom 25. Oktober 2016 materiell zu beurteilen.

    3. Damit stellt sich nun das Problem, dass das Versicherungsgericht des Kantons

St. Gallen einen Einspracheentscheid überprüfen muss, der teilweise auf Zürcher Recht beruht. Das Zürcher Recht kann aber aus der Sicht des St. Galler Versicherungsgerichtes nur „Nicht-Recht“ sein (vgl. E. 1.1). Die Anwendung dieses Zürcher „Nicht-Rechtes“ - und die damit zwingend verbundene Nicht-Anwendung des St. Galler Rechtes - würde einen direkten Verstoss gegen das im Art. 8 Abs. 1 der

St. Galler Kantonsverfassung verankerte Legalitätsprinzip darstellen, was offensichtlich unzulässig wäre. Dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen bleibt deshalb

nichts anderes übrig, als das St. Galler Recht auf den (Zürcher) Sachverhalt anzuwenden. Das könnte - zufällig - zum selben Ergebnis wie die Anwendung des Zürcher Rechts führen, was es erlauben würde, die Beschwerde mit einem pragmatischen, rein ergebnisbezogenen Entscheid abzuweisen und die gesamte verfassungsrechtliche Problematik unter den Tisch zu kehren. Die Anwendung des St. Galler Rechts könnte aber auch ein anderes Ergebnis als die Anwendung des Zürcher Rechts zeitigen. Das würde bedeuten, dass das St. Galler Versicherungsgericht den angefochtenen Einspracheentscheid selbst dann aufheben und durch einen anderslautenden rechtsgestaltenden Entscheid ersetzen müsste, wenn der angefochtene Einspracheentscheid eigentlich eine in allen Punkten korrekte Anwendung des Zürcher Rechts enthalten würde. Das St. Galler Versicherungsgericht müsste also einen Einspracheentscheid aufheben, der in jenem Kanton, in dem er ergangen ist, als rechtmässig zu qualifizieren wäre. Darüber hinaus müsste es die zuständige EL-Durchführungsstelle im Kanton Zürich verpflichten, Ergänzungsleistungen in einem Betrag auszubezahlen oder zurückzufordern, der sich nicht aus dem für jene Durchführungsstelle massgebenden (Zürcher) Recht, sondern teilweise aus für jene Durchführungsstelle nicht massgebendem St. Galler „Nicht- Recht“ ergäbe. Die Zürcher EL-Durchführungsstelle müsste also beispielsweise vom St. Galler Versicherungsgericht verpflichtet werden, eine ausserordentliche

Ergänzungsleistung im Sinne des St. Galler Ergänzungsleistungsgesetzes auszurichten, die der Kanton Zürich gar nicht kennt, oder der Beschwerdeführerin eine rein kantonalrechtliche Zürcher Ergänzungsleistung vorzuenthalten, weil der Kanton

St. Gallen diese nicht kennt. Würde die zuständige EL-Durchführungsstelle im Kanton Zürich sich weigern, eine solche ausserordentliche Ergänzungsleistung auszurichten, oder würde sie eine Zürcher Zusatzleistung ausrichten, die von der bundesrechtlichen Ergänzungsleistung abweichen würde, würde es gegen das Urteil des St. Galler Versicherungsgerichtes als Rechtsmittelinstanz verstossen; würde sie dieses Urteil umsetzen, würde sie gegen die eigene Kantonsverfassung verstossen. Eine solche Situation wäre ganz offensichtlich unhaltbar. Zu einer ebenso unhaltbaren Situation würde ein Rückweisungsentscheid des St. Galler Versicherungsgerichtes führen, denn in einem solchen müsste das St. Galler Versicherungsgericht ja die zuständige EL- Durchführungsstelle im Kanton Zürich verpflichten, den Sachverhalt weiter abzuklären und dann das St. Galler Recht darauf anzuwenden. Die zuständige EL- Durchführungsstelle im Kanton Zürich könnte natürlich durchaus Zürcher statt

St. Galler Recht anwenden, aber der daraus allenfalls resultierende Einspracheentscheid müsste dann ja wieder beim St. Galler Versicherungsgericht angefochten werden, das seinerseits wieder St. Galler Recht anwenden müsste (sofern die Beschwerdeführerin ihren Wohnsitz in der Zwischenzeit nicht wieder in einen

anderen Kanton verlegt haben sollte). Zusammenfassend gibt es nach der bundesgerichtlichen Rückweisung der Sache zur materiellen Behandlung an das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen objektiv betrachtet keine Möglichkeit

mehr zu einer „vernünftigen“ Erledigung des Streits. Da ein „Nicht-Entscheid“ aber eine Rechtsverweigerung darstellen würde, bleibt dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen nichts anderes übrig, als das St. Galler Recht auf den massgebenden (Zürcher) Sachverhalt anzuwenden.

2.

Da das Verwaltungs- und das Einspracheverfahren - anders als das kantonale Beschwerdeverfahren - im Bereich der Ergänzungsleistungen ausschliesslich bundesrechtlich geregelt sind, führt eine Verlegung des Wohnsitzes des EL-Bezügers oder des EL-Ansprechers vor der Beschwerdeerhebung in aller Regel nicht zu verfahrensrechtlichen Problemen. Zu beachten ist allerdings, dass die Zuständigkeiten kantonalrechtlich geregelt sind. Im Kanton St. Gallen ist zum Beispiel allein die Sozialversicherungsanstalt des Kantons St. Gallen zuständig für die Eröffnung von Verfügungen und Einspracheentscheiden. Das ergibt sich aus dem Art. 10 Abs. 3 des St. Galler ELG (sGS 351.5), aus dem Art. 11 des St. Galler ELG und aus dem Art. 11bis des St. Galler ELG. Eine Rückweisung der Sache ins Verwaltungsverfahren wäre deshalb vorliegend trotz der bundesrechtlichen Regelung des Verwaltungs- und Einspracheverfahrens problematisch, denn das Versicherungsgericht des Kantons

St. Gallen könnte die Sache nur an die einzige nach St. Galler Recht in Frage kommende Behörde zurückweisen, nämlich an die Sozialversicherungsanstalt des Kantons St. Gallen. Eine Rückweisung an die Beschwerdegegnerin kann also zum Vorneherein nicht in Frage kommen, weil nun St. Galler Recht anwendbar ist, das zu einer „Rückweisung“ an die Sozialversicherungsanstalt des Kantons St. Gallen zwingt. Aus den nachfolgenden Erwägungen wird sich ergeben, dass eine Rückweisung vorliegend nicht notwendig ist, weshalb sich in verfahrensrechtlicher Hinsicht im Zusammenhang mit dem Wohnsitzwechsel vor der Beschwerdeerhebung - zufällig - keine Probleme stellen.

3.

    1. Bleibt zu prüfen, ob der angefochtene Einspracheentscheid auch in materieller Hinsicht rechtmässig ist. Der Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin hat in seiner Beschwerdeschrift geltend gemacht, das „Einsprache“-Begehren der Beschwerdeführerin habe sich eigentlich gar nicht gegen die beiden Verfügungen vom

      16. September 2016 gerichtet, weshalb die Beschwerdegegnerin nicht auf die

      Einsprache hätte eintreten dürfen; sie hätte diese als ein neues Begehren qualifizieren und ein entsprechendes Verwaltungsverfahren eröffnen müssen. Diese (nachträgliche) Interpretation des Einsprachebegehrens überzeugt nur teilweise, denn bei einer sorgfältigen Auslegung der Einsprache liegt der Schluss näher, dass die Beschwerdeführerin damit die Zusprache einer höheren Vergütung von Krankheits- und Behinderungskosten und damit eine entsprechende Korrektur der beiden Verfügungen vom 16. September 2016 bezweckt hat. Nachdem das Bundesgericht das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen aber angehalten hat, den angefochtenen Einspracheentscheid materiell zu prüfen, fällt eine Aufhebung des angefochtenen Entscheides aus formellen beziehungsweise verfahrensrechtlichen Gründen ohnehin ausser Betracht. Zu prüfen ist also nur, ob der angefochtene Einspracheentscheid materiell rechtmässig ist, wobei insbesondere zu prüfen ist, ob die Kosten für die Haushaltshilfe gesetzmässig festgesetzt und entschädigt worden sind.

    2. Die Rechtmässigkeit der fraglichen Kostenvergütung für die Haushaltshilfe ist ausschliesslich anhand kantonalen Rechts zu prüfen, denn der Art. 14 ELG richtet sich ausschliesslich an die kantonalen Gesetzgeber und er enthält nur die Anordnung, eine den im Art. 14 ELG enthaltenen Vorgaben entsprechende kantonalrechtliche Regelung zu schaffen. Das Zürcher Recht, auf das sich der angefochtene Einspracheentscheid stützt, kann angesichts der Ausführungen in der E. 1 in diesem Beschwerdeverfahren nicht massgebend sein. Laut dem Art. 4bis Abs. 5 ELG/SG (sGS 351.53) in Verbindung mit dem Art. 9 Abs. 2 VKB (sGS 351.53) werden ausgewiesene Kosten für die notwendige Hilfe und Begleitung im Haushalt bis höchstens 4’800 Franken pro Kalenderjahr vergütet, wenn die Hilfe von einer Person erbracht wird, die nicht im gleichen Haushalt lebt; pro Stunde werden höchstens 25 Franken vergütet. Die Beschwerdeführerin hat für den fraglichen Zeitraum von Juni bis November 2015 Kosten für eine notwendige Haushaltshilfe im Betrag von insgesamt 17’903.65 Franken belegt (act. G 2.1.13.5). In dieser Zeit hat sie eine Hilflosenentschädigung von insgesamt 6 × 470 = 2’820 Franken und einen Assistenzbeitrag von 2 × 2’330.50 + 4 × 1’864.85 = 12’120.40 Franken bezogen. Bei der Berechnung der jährlichen Ergänzungsleistung war bereits ein Abzug von 3’100 Franken pro Jahr für die Kinderbetreuung berücksichtigt worden, was für den hier fraglichen Zeitraum einem anteilsmässigen Beitrag von 1’550 Franken entspricht. Von den effektiven Kosten für die Haushaltshilfe von 17’903.65 Franken ist also insgesamt ein Anteil von 16’490.40 Franken gedeckt gewesen. Allerdings hat die Beschwerdeführerin die erwähnten Beiträge in den Monaten Juni und Oktober 2015 nicht voll ausgeschöpft; die effektiven Kosten sind in diesen beiden Monaten tiefer als die jeweiligen zur Verfügung stehenden Beiträge gewesen. Deshalb sind diese beiden Monate bei der Berechnung ausser Acht

zu lassen. Der massgebliche Gesamtbetrag der Kosten für die Haushaltshilfe beläuft sich folglich auf 12’902.35 Franken; die Kostenbeteiligungen betragen insgesamt 4 × 470 + 2’330.50 + 3 × 1’864.85 + 1’033.35 = 10’838.40 Franken. Damit verbleibt ein ungedeckter Anteil von 2’063.95 Franken. Aufgrund eines (dreimal erfolgten) Rundungsfehlers hat die Beschwerdegegnerin einen um 15 Rappen höheren Betrag errechnet (vgl. act. G 2.1.13.1, Anhang). Nach dem Grundsatz de minima non curat praetor ist von einer Korrektur des angefochtenen Einspracheentscheides zu Ungunsten der Beschwerdeführerin in diesem geringfügigen Umfang abzusehen. Der von der Beschwerdegegnerin ermittelte Betrag von 2’064.10 Franken liegt - zufällig - innerhalb der vom Art. 9 Abs. 2 VKB vorgesehenen Limite von 4’800 Franken pro Kalenderjahr beziehungsweise von 2’400 Franken für den hier fraglichen Zeitraum von sechs Monaten. Damit erweist sich der angefochtene Einspracheentscheid in Anwendung des St. Galler Ergänzungsleistungsrechtes - zufällig - als rechtmässig.

4.

Die Beschwerde kann ungeachtet der immanenten verfassungsrechtlichen Problematik

- pragmatisch - abgewiesen werden. Gerichtskosten sind keine zu erheben (Art. 61 lit. a ATSG). Die unterliegende Beschwerdeführerin hat keinen Anspruch auf eine Parteientschädigung.

Entscheid

1.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.

Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

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