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Urteil Kantonsgericht (SG)

Kopfdaten
Kanton:SG
Fallnummer:BO.2018.41
Instanz:Kantonsgericht
Abteilung:Zivilkammern (inkl. Einzelrichter)
Kantonsgericht Entscheid BO.2018.41 vom 22.05.2019 (SG)
Datum:22.05.2019
Rechtskraft:-
Leitsatz/Stichwort:Entscheid Art. 344 ff., Art. 346, Art. 355, Art. 337, Art. 337c, Art. 97 ff. i.V.m. Art. 41 ff., Art. 44 OR (SR 220). Nach der Probezeit kann das – stets auf bestimmte Zeit abgeschlossene – Lehrverhältnis nur aus wichtigem Grund durch Kündigung fristlos aufgelöst werden. Entlässt der Arbeitgeber die lernende Person ohne wichtigen Grund, hat diese gemäss Art. 337c Abs. 1 OR Anspruch auf Ersatz dessen, was sie verdient hätte, wenn das Vertragsverhältnis durch Ablauf der Lehrzeit beendigt worden wäre, wobei ein Mitverschuldensabzug ausser Betracht fällt. Daneben hat sie Anspruch auf Ersatz des Schadens, der ihr durch die Verlängerung der Lehrzeit entsteht und der Differenz zwischen dem Lehrlingslohn und dem Salär einer jungen Fachkraft entspricht; dieser Anspruch beruht nicht auf Art. 337c Abs. 1 OR, sondern auf Art. 97 ff. i.V.m. Art. 41 ff. OR, weshalb ein Mitverschuldensabzug grundsätzlich möglich ist (Kantonsgericht, III. Zivilkammer, 22. Mai 2019, BO.2018.41).
Schlagwörter : Arbeit; Schaden; Schulde; Vertrag; " Schadenersatz; Ausbildung; Lehrling; Beklagten; Arbeitgeber; Lehrverhältnis; Kündigung; Lehrvertrag; Fristlos; Vorinstanz; Ausbildungs; Lehrlings; Wäre; Portmann/; Rudolph; Fristlose; Aufgr; Vertragsverletzung; Selbstverschulden; Verschulden; Aufl; Stöckli; Rechtfertigt; Lasse; Beklagte
Rechtsnorm: Art. 150 ZPO ; Art. 20 BGG ; Art. 21 BGG ; Art. 328 OR ; Art. 337c OR ; Art. 344 OR ; Art. 345 OR ; Art. 346 OR ; Art. 355 OR ; Art. 44 OR ; Art. 97 OR ; Art. 99 OR ;
Referenz BGE:101 II 69; 102 V 228; 116 II 422; 132 III 755; 135 III 405;
Kommentar zugewiesen:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
Weitere Kommentare:
Entscheid
Erwägungen (Auszug):

I.1. A und die B-AG schlossen am 10. Juli 2013 einen Lehrvertrag ab, gemäss welchem A während einer dreijährigen Lehrzeit vom 12. August 2013 bis 11. August 2016 zum Koch (EFZ) ausgebildet werden sollte. Vor dem Hintergrund gehäufter schulischer Absenzen und einer entsprechenden Rückmeldung der Berufsfachschule legte der Lehrbetrieb A am 6. November 2015, d.h. nach Beginn des dritten und letzten Lehrjahres, ein als Lehrlingsvereinbarung bezeichnetes Schriftstück zur Unterschrift vor. Gemäss dem Wortlaut dieser Vereinbarung wollte der Lehrbetrieb dem Lehrling "eine letzte Chance geben" und formulierte einen Katalog an Voraussetzungen, unter welchen er bereit sei, "das Lehrverhältnis aufrecht zu erhalten". A unterzeichnete das Dokument nicht. In der Folge arbeitete er, allerdings ohne die Schule zu besuchen,

weiter, ehe er die Arbeitsstelle am 9. Dezember 2015 verliess und fortan der Arbeit fernblieb. Am Vormittag des 10. Dezembers 2015 schrieb A eine SMS, in welcher er dem Verantwortlichen des Betriebs [ ] Folgendes mitteilte: " [...] Will de lehrlingsvertrag sitem mentig 9.11 nüme gültig isch und i en monet kündigungsfrist han aber immer no kei gspröch oder schribe becho han gsehni mi zwunge zum deheiblibe bis s allfällige witere arbetsverhältniss klärt isch will i kei luscht ha ohni vertrag gratis schaffe." Nachdem seitens des Lehrbetriebs vorerst keinerlei Reaktion erfolgt und A in der Zwischenzeit weiterhin zu Hause geblieben war, sandte ihm die Arbeitgeberin [ ] am 8. Januar 2016 ein Schreiben, gemäss welchem der Lehrvertrag rückwirkend auf den 9. Dezember 2015 aufgelöst werde, weil A am (bzw. seit dem) 10. Dezember 2015 nicht mehr zur Arbeit erschienen sei. Der Lohn sei bis und mit 9. Dezember 2015 ausbezahlt worden. Weitere Ansprüche bestünden nicht.

2. Am 7. Juli 2017 erhob A gestützt auf die Klagebewilligung der Schlichtungsstelle für Arbeitsverhältnisse St. Gallen vom 14. März 2017 beim Kreisgericht Klage gegen seine ehemalige Arbeitgeberin mit dem Begehren, die Beklagte sei zu verpflichten, ihm mindestens Fr. 58'361.00 zuzüglich Zins zu bezahlen. Diese beantragte mit Klageantwort vom 1. September 2017 die Abweisung der Klage. Mit Entscheid vom

5. April 2018 [ ] verpflichtete das Kreisgericht die Beklagte, dem Kläger Fr. 12‘400.00 brutto zuzüglich 5% Zins seit 1. bzw. 9. Januar 2016, Fr. 1‘550.00 netto zuzüglich 5%

Zins seit 9. Januar 2016 sowie Fr. 24‘362.80 netto zuzüglich 5% Zins seit 28. Februar

2017 zu bezahlen.

3. Gegen diesen Entscheid erhob die Beklagte am 9. Juli 2018 Berufung beim Kantonsgericht mit dem Antrag, sie sei zu verpflichten, Fr. 13'950.00 zzgl. Zinsen zu bezahlen und im Mehrbetrag sei die Klage abzuweisen, eventualiter sei die Angelegenheit zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Mit Eingabe vom

14. September 2018 ersuchte der Kläger um Abweisung der Berufung und erhob gleichzeitig Anschlussberufung mit dem Begehren, die Beklagte sei zu verpflichten, ihm insgesamt Fr. 50'611.00 zuzüglich Zins zu bezahlen. Mit Anschlussberufungsantwort

vom 29. Oktober 2018 beantragte die Beklagte, die Anschlussberufung sei

abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden könne.

[ ]

III.1.a) Im Berufungsverfahren nicht mehr umstritten, und daher in diesem nicht mehr zu beurteilen, sind die vorinstanzlichen Feststellungen, die Beklagte habe den Lehrvertrag am 8. Januar 2016 fristlos gekündigt und es habe kein wichtiger Grund (i.S.v. Art. 346 bzw. 337 OR) vorgelegen, sowie die mit vorinstanzlichem Entscheid dem Kläger zugesprochenen Fr. 12'400.00 Lohn (bzw. Fr. 1'550.00 Lohn und Fr. 10'850.00 Ersatz für den Lohnausfall i.S.v. Art. 337c Abs. 1 OR) und Fr. 1'550.00 Entschädigung (i.S.v. Art. 337c Abs. 3 OR). Dagegen wenden sich beide Parteien gegen den erstinstanzlich (ebenfalls) zugesprochenen Schadenersatz von Fr. 24‘362.80, wobei die Beklagte der Auffassung ist, sie schulde gar keinen (zusätzlichen) Schadenersatz, und der Kläger die Ansicht vertritt, er habe Anspruch auf einen solchen in Höhe von Fr. 34'804.00.

b/aa) Die Vorinstanz erwog, der Schaden, welcher aufgrund der verlängerten Lehrzeit entstanden und auf Verletzungen der Ausbildungs- und Fürsorgepflicht des Lehrbetriebs zurückzuführen sei, sei nach den allgemeinen Bestimmungen des Obligationenrechts (Art. 97 ff.) ersatzfähig. Als Schaden sei die unfreiwillige Vermögensminderung zu verstehen, welche sich aus der Differenz zwischen dem aktuellen Vermögensstand und der hypothetischen Vermögenssituation, die bestehen würde, wenn das schädigende Ereignis nicht eingetreten wäre, ergebe. Der Kläger bringe vor, dass ihm aufgrund der Vertragsverletzungen der Beklagten und der damit bewirkten Verzögerung des Lehrabschlusses ein Schaden in Höhe von Fr. 34‘804.00 entstanden sei. Die Beklagte habe sich zu dieser Berechnung nicht geäussert, weshalb sie als unbestritten gelte. Es sei insgesamt davon auszugehen, dass der Kläger ohne die Vertragsverletzung der Beklagten die Lehre im August 2016 erfolgreich abgeschlossen hätte. Zwischen der Pflichtwidrigkeit und dem Schaden bestehe folglich ein adäquater kausaler Zusammenhang. Die Beklagte bringe nichts vor, was darauf

schliessen lasse, dass die begangenen Pflichtverletzungen unverschuldet erfolgt seien, weshalb ihr der Exkulpationsbeweis nicht gelingen könne. Unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände erscheine ein Mitverschuldensabzug von 30% als angemessen.

bb) Die Beklagte bringt mit ihrer Berufung vor, für den Schadenersatz bestehe gar keine Anspruchsgrundlage, weil das Gesetz in Art. 337c OR die finanziellen Folgen einer ungerechtfertigten Kündigung abschliessend regle und sowohl den vom Arbeitnehmer aufgrund der Kündigung erlittenen Schaden (Art. 337c Abs. 1 OR) als auch die daraus hervorgehende immaterielle Unbill (Art. 337c Abs. 3 OR) vollständig abdecke. Nur ganz ausnahmsweise könne weiterer Schadenersatz verlangt werden, nämlich dann, wenn eine zusätzliche Pflichtverletzung des Arbeitgebers vorliege. Vorausgesetzt sei eine ausserordentliche, das einer fristlosen Entlassung inhärente Mass übersteigende Verletzung der Persönlichkeit, wovon im vorliegenden Fall keine Rede sein könne. Selbst wenn jedoch eine Anspruchsgrundlage bestehen würde, wäre ein Anspruch auf zusätzlichen (über Art. 337c OR hinausgehenden) Schadenersatz zu verneinen, da die Kündigung nicht adäquat kausal für die angebliche Vermögenseinbusse gewesen sei. Den Kläger treffe einerseits ein die Kausalität unterbrechendes Selbstverschulden und andererseits hätte er das dritte Lehrjahr ohnehin nicht erfolgreich absolviert. Im Übrigen wäre sie, die Beklagte, aufgrund der zahlreichen Absenzen sowie insbesondere der grundlosen Arbeitsverweigerung des Klägers zweifellos berechtigt gewesen, das Lehrverhältnis fristlos aufzulösen, sie hätte den Kläger einzig vorgängig abmahnen müssen. Diese Überlegungen zeigten, dass der vermeintliche - im Übrigen in keiner Weise substantiierte oder nachgewiesene - Schaden auch eingetreten wäre, wenn sie, die Beklagte, sich rechtmässig verhalten hätte. Sollte ein Anspruch auf Schadenersatz wider Erwarten bestehen, so sicherlich nicht in der von der Vorinstanz zuerkannten Höhe. Den Kläger treffe nämlich ein gravierendes Selbstverschulden, weshalb es nicht angehe, den Schadenersatzanspruch lediglich um 30% zu kürzen. Wegen des massiven Selbstverschuldens habe die Vorinstanz dem Kläger gestützt auf Art. 337c Abs. 3 OR denn auch lediglich eine Entschädigung von einem anstatt von sechs Monatslöhnen zugesprochen. Ein allfälliger Schadenersatzanspruch müsse im selben Verhältnis gekürzt werden.

cc) Der Kläger entgegnet, es bestehe sehr wohl eine Anspruchsgrundlage für den geltend gemachten Schadenersatz. Die Vorinstanz habe korrekt dargelegt, dass einerseits Art. 337c OR nicht unbesehen auf den Lehrvertrag übertragen werden könne und andererseits die Verletzung der Ausbildungspflicht (beinhaltend eine erhöhte Fürsorgepflicht) den Regelungsbereich von Art. 337c OR sowieso sprenge. In der Lehre sei absolut unbestritten, dass einem Lehrling im Falle einer unberechtigten fristlosen Kündigung Schadenersatz für die Verlängerung der Lehrzeit sowie für Umtriebe zustehe. Der Eintritt des gegenständlichen Schadens sei ausserdem kausal auf das vertragswidrige Verhalten der Beklagten zurückzuführen. Eine Unterbrechung der Kausalkette sei nicht zu konstatieren. Da es sich beim Schadenersatz aus Verletzung der arbeitgeberseitigen Ausbildungspflicht, welcher der Differenz vom Lohn einer jungen Fachkraft zu seinem Lehrlingslohn während eines Jahres entspreche, nicht um nachvertraglich entgangenen Lohn handle, sondern um den Ersatz eines während der ordentlichen Vertragsdauer eingetretenen Schadens, sei dieser in Anwendung von

Art. 337c OR zu ersetzen. Eine Kürzung des Schadenersatzes aufgrund Selbstverschuldens sei deshalb ausgeschlossen. Selbst wenn jedoch ein Selbstverschuldensabzug berücksichtigt werden müsste, erscheine die vorinstanzliche Kürzung um 30% als unangebracht, da sein Verschulden - wenn überhaupt gegeben - vernachlässigbar sei.

c/aa) Durch den Lehrvertrag verpflichten sich einerseits der Arbeitgeber, die lernende Person für eine bestimmte Berufstätigkeit fachgemäss zu bilden, und andererseits die lernende Person, zu diesem Zweck Arbeit im Dienst des Arbeitgebers zu leisten (Art. 344 OR). Die Arbeit dient nicht primär dem wirtschaftlichen Zweck des Unternehmens, sondern der beruflichen Ausbildung der lernenden Person (BGE 132 III 755 E. 2.1; BSK OR I-Portmann/Rudolph, 6. Aufl., Art. 344 N 12; Portmann/Stöckli, Schweizerisches Arbeitsrecht, 3. Aufl., N 838). Diese hat alles zu tun, um das Lehrziel zu erreichen (Art. 345 Abs. 1 OR). Der Besuch der Berufsfachschule ist obligatorisch (Art. 21 Abs. 3 BGG). Der Arbeitgeber muss sich für den bestmöglichen Lernerfolg des Lernenden einsetzen und diesen periodisch überprüfen (Art. 20 Abs. 1 BGG). Hauptpflicht des

Arbeitgebers ist die Ausbildung, während ein Lohn zwar üblich, von Gesetzes wegen jedoch nicht zwingend geschuldet ist (BGE 102 V 228 E. 2a; BGer 4C.226/2006 E. 2.1 und 2.4; BSK OR I-Portmann/Rudolph, Art. 344 N 13 und Art. 344a N 5; OFK-Truniger,

3. Aufl., Art. 344 OR N 1; Geiser/Müller, Arbeitsrecht in der Schweiz, 3. Aufl., N 144; BK-Rehbinder/ Stöckli, 2014, Art. 344 OR N 1; Streiff/von Kaenel/Rudolph, Arbeitsvertrag, Praxiskommentar zu Art. 319-362 OR, 7. Aufl., Art. 344 N 2; Portmann/ Stöckli, a.a.O., N 845). Die allgemeinen Vorschriften über den Einzelarbeitsvertrag (Art. 319 ff. OR) sind nur - aber immerhin - ergänzend auf den Lehrvertrag anwendbar (Art. 355 OR). Nach der Probezeit kann das Lehrverhältnis, welches immer auf

bestimmte Zeit abgeschlossen wird, nur aus wichtigem Grund durch Kündigung fristlos aufgelöst werden (Art. 346 Abs. 2 OR). Die Rechtsfolgen einer ungerechtfertigten fristlosen Kündigung bestimmen sich grundsätzlich nach Art. 337c f. OR (BSK OR I- Portmann/Rudolph, Art. 346 N 8; Dufner, Die vorzeitige Auflösung des Lehrvertrages, Diss. Zürrich 1988, S. 178; BK-Rehbinder/ Stöckli, Art. 346 OR N 13; SHK-Aubert,

2013, Art. 346 OR N 45; ZK-Staehelin, 2014, Art. 346 OR N 10). Entlässt der Arbeitgeber die lernende Person ohne wichtigen Grund, so hat diese nach Art. 337c Abs. 1 Anspruch auf Ersatz dessen, was sie verdient hätte, wenn das Vertragsverhältnis durch Ablauf der Lehrzeit beendigt worden wäre. Zu berücksichtigen sind dabei sämtliche Lohnbestandteile und Nebenleistungen des Arbeitgebers (BK- Rehbinder/ Stöckli, Art. 337c OR N 3; Brühwiler, Einzelarbeitsvertrag, Kommentar zu den Art. 319-343 OR, 3. Aufl., Art. 337c N 3b; Streiff/von Kaenel/Rudolph, a.a.O.,

Art. 337c N 2; Farner, in: FHB Arbeitsrecht, 2018, N 12.89 ff.). Ein Abzug wegen Mitverschuldens des Entlassenen fällt ausser Betracht (ZK-Staehelin, Art. 337c OR N 13; BK-Rehbinder/ Stöckli, Art. 337c1 OR N 4; BSK OR I-Portmann/Rudolph, Art. 337c N 4; Portmann/ Stöckli, a.a.O., N 790; Streiff/von Kaenel/Rudolph, a.a.O., Art. 337c

N 3; Vischer, Der Arbeitsvertrag, 3. Aufl., S. 262; Farner, a.a.O., N 12.98). Da beim Lehrvertrag die Ausbildung wesentlicher Teil der Arbeitgeberleistung ist, wird in der Lehre teilweise die Ansicht vertreten, neben dem Lehrlingslohn sei auch der kapitalisierte Ausbildungsbeitrag (Geldwert der Ausbildung) gestützt auf Art. 337c Abs. 1 OR zu ersetzen (ZK-Staehelin, Art. 346 OR N 10; Dufner, a.a.O, S. 179; vgl. auch Arbeitsgericht Zürich vom 28.02.1980, in: JAR 1981, S. 291 f.). Weiter ist die Lehre spezifisch für den Lehrvertrag einhellig der Auffassung, der Arbeitgeber habe bei ungerechtfertigter fristloser Kündigung für den Schaden aufzukommen, den der

Lehrling durch die Verlängerung der Lehrzeit erleidet und in der Differenz zwischen dem Lehrlingslohn und dem Salär einer jungen Fachkraft besteht (Streiff/von Kaenel/ Rudolph, a.a.O., Art. 346 N 5, S. 1345 f.; ZK-Staehelin, Art. 346 OR N 10; BSK OR I- Portmann/Rudolph, Art. 346 N 8; Dufner, a.a.O, S. 180; BK-Rehbinder/Stöckli, Art. 346 OR N 13; SHK-Aubert, Art. 346 OR N 46; Portmann/Stöckli, a.a.O., N 840; ebenso Obergericht des Kantons Bern vom 04.08.2004, in: JAR 2005, S. 356 ff.). Mit der Vorinstanz und der Mehrheit der Lehre ist jedoch davon auszugehen, dass eine solche Schadensposition nicht auf der Grundlage von Art. 337c Abs. 1 OR, sondern in Anwendung der allgemeinen Bestimmungen des Obligationenrechts (Art. 41 ff. und Art. 97 ff. OR) zuzusprechen ist (so Dufner, a.a.O., S. 181; ZK-Staehelin, Art. 346 OR

N 10 i.V.m. Art. 337c OR N 7 und Art. 345a N 8 sowie OGer BE, JAR 2005, S. 366 und wohl auch BSK OR I-Portmann/Rudolph, Art. 346 N 8 und OFK-Truniger, Art. 346 OR N 5 sowie Arbeitsgericht Zürich vom 12.08.1980, in: JAR 1981, S. 289 f.; a.M. BK-Reh binder/Stöckli, Art. 346 OR N 13, welche eine Anpassung von Art. 337c OR an die Besonderheiten des Lehrvertrages fordern). Dies rechtfertigt sich zum einen deshalb, weil die bundesgerichtliche Rechtsprechung (wenn auch nicht mit explizitem Bezug auf das Lehrverhältnis) festhält, Art. 337c OR regle die Folgen einer ungerechtfertigten fristlosen Entlassung abschliessend und lasse daher keinen Raum für den Ersatz von Schaden, den der Arbeitnehmer durch Lohneinbussen nach der (hypothetischen) ordnungsgemässen Beendigung des Arbeitsverhältnisses erlitten habe; solcher sei nur nach Art. 97 OR ersatzfähig, sofern dem Arbeitgeber eine Vertrags- oder Persönlichkeitsverletzung zur Last falle, die sich nicht in der ungerechtfertigten fristlosen Entlassung des Arbeitnehmers erschöpfe (BGE 135 III 405 E. 3.2; vgl. auch BSK OR I-Portmann/Rudolph, Art. 337c N 2a; Brühwiler, a.a.O., Art. 337c N 3a; Farner, a.a.O., N 12.96 f.). Zum andern könnte der besonderen Natur des Lehrvertrages ohne Weiteres bereits dadurch Rechnung getragen werden, dass beim Schadenersatz nach Art. 337c Abs. 1 OR zusätzlich zum Lehrlingslohn auch der kapitalisierte Ausbildungsbeitrag als Arbeitgeberleistung berücksichtigt wird.

bb) Mit seiner Klage forderte der Kläger unter anderem Lohn bzw. Lohnersatz bis zum ordentlichen Vertragsende am 11. August 2016. Diesen bezifferte er, unter Hinweis auf einen Monatslohn von Fr. 1'550.00 und eine Dauer von acht Monaten, auf

Fr. 12'400.00. Die Vorinstanz hiess diese Forderung vollumfänglich gut und sie wird im Berufungsverfahren nicht mehr bestritten. Folglich ist darauf nicht zurückzukommen und fällt das Zusprechen eines höheren (als vorinstanzlich geforderten) Schadenersatzes für den Zeitraum zwischen Kündigung und ordentlichem Vertragsende durch zusätzliche Berücksichtigung einer monetarisierten Ausbildungsleistung ausser Betracht.

Weiterhin umstritten ist dagegen die Schadenersatzforderung des Klägers in Höhe von Fr. 34'804.00 für Lohnausfall während des Zeitraums von September 2016 bis August 2017 aufgrund des durch die Vertragsverletzungen der Beklagten um ein Jahr verzögerten Lehrabschlusses.

cc) Wie gezeigt (lit. aa soeben), kann die lernende Person bei ungerechtfertigter fristloser Entlassung vom Arbeitgeber gestützt auf Art. 97 Abs. 1 OR Ersatz für den Schaden verlangen, den sie durch die Verlängerung der Lehrzeit erleidet, womit entgegen der Ansicht der Beklagten eine Anspruchsgrundlage für die klägerische Forderung besteht.

d/aa) Die Voraussetzungen eines Schadenersatzanspruchs nach Art. 97 Abs. 1 OR sind das Vorliegen einer Vertragsverletzung, die Entstehung eines Schadens, ein adäquater Kausalzusammenhang zwischen dem Schaden und der Vertragsverletzung sowie der fehlende Nachweis, dass die Vertragsverletzung entschuldbar ist. Sowohl die nicht gehörige Erfüllung einer Hauptpflicht als auch die Schlechterfüllung von Nebenpflichten stellen eine Vertragsverletzung dar. Schaden ist die unfreiwillige Verminderung des Reinvermögens, die aus einer Verminderung der Aktiven, einer Vermehrung der Passiven oder aus entgangenem Gewinn bestehen kann. Zwischen der Nichterfüllung bzw. der nicht gehörigen Erfüllung der vertraglich vereinbarten Leistung und dem Schaden muss sowohl ein natürlicher als auch ein adäquater Kausalzusammenhang bestehen. Natürlich kausal ist eine Ursache dann, wenn die schädigende Handlung

nicht weggedacht werden kann, ohne dass auch der eingetretene Schaden entfiele. Adäquate Kausalität liegt vor, wenn die schädigende Handlung nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet ist, den eingetretenen Erfolg herbeizuführen. Geht es um die Beurteilung einer vertragswidrigen Unterlassung, muss eine hypothetische Kausalität vorliegen. Eine solche ist jeweils dann gegeben, wenn bei rechtmässigem Handeln der eingetretene Schaden nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und der allgemeinen Lebenserfahrung hätte vermieden werden können. Der adäquate Kausalzusammenhang kann durch Zufall, höhere Gewalt, grobes Verschulden des Geschädigten oder eines Dritten unterbrochen werden. Dabei muss eine dieser drei Ursachen eine derart grosse Intensität aufweisen, dass die an sich adäquate Ursache nach wertender Betrachtungsweise als rechtlich nicht mehr beachtlich erscheint (vgl. zum Ganzen: HaftpflichtKomm-Giger, 2016,

Art. 97 OR N 4 ff.; BSK OR I-Wiegand, 6. Aufl., Art. 97 N 5 ff.; OFK-Kren Kostkiewicz,

3. Aufl., Art. 344 OR N 4 ff.).

bb) Der Kläger macht geltend, die Beklagte habe durch die ungerechtfertigte Auflösung des Lehrvertrages zusätzlich zur Persönlichkeitsverletzung (Art. 328 OR), welche durch die Entschädigung nach Art. 337c Abs. 3 OR abgegolten sei, die Fürsorge- und Ausbildungspflicht gemäss Art. 344 OR verletzt. Die Vorinstanz führte dazu aus, die Beklagte habe mit ihrem Verhalten schuldhaft ihre Ausbildungs- sowie Fürsorgepflicht verletzt, und zwar nicht erst durch die ungerechtfertigte fristlose Kündigung im Januar 2016, sondern bereits früher. So habe sie nichts unternommen, obwohl der Lehrling den Schulbesuch schon während mehr als zwei Semestern vernachlässigt habe. Sie habe erst interveniert, als sich der Klassenlehrer direkt beim Lehrlingsbetreuer darüber beklagte habe. Auch mit ihrem danach gezeigten Verhalten habe sie ihre Ausbildungs- und Fürsorgepflicht in erheblicher Weise verletzt. So habe sie den Kläger an Schultagen arbeiten lassen und ihn sodann in seinem offensichtlichen Irrtum (über die Kündigung) belassen. Die Beklagte sei demnach ihrer Ausbildungs- und Fürsorgepflicht nicht genügend nachgekommen. Auf diese zutreffenden Erwägungen der Vorinstanz kann - nachdem sich die Beklagte in ihrer Berufung damit ohnehin nicht auseinandersetzt und von den genannten

Schadensersatzvoraussetzungen gemäss Art. 97 OR einzig die Kausalität als nicht gegeben beanstandet - verwiesen werden.

cc) Der Kläger führt weiter aus, die Lehrzeit habe sich aufgrund der genannten

Vertragsverletzungen um ein Jahr verlängert, weshalb ihm ein Schaden von

Fr. 34'804.00 entstanden sei. Diesen Betrag errechnet er aus der Differenz des Jahreslohnes eines Lehrlings im dritten Lehrjahr und desjenigen einer ausgebildeten Fachkraft gemäss allgemeinverbindlichem Landes-Gesamtarbeitsvertrag des Gastgewerbes 2016. Die Beklagte hatte sich im erstinstanzlichen Verfahren zu dieser nachvollziehbaren Berechnung nicht geäussert, weshalb die Vorinstanz sie zu Recht als unbestritten ansah und es folglich keines entsprechenden Beweises bedurfte (Art. 150 ZPO). Erstmals im Berufungsverfahren bringt die Beklagte vor, die Vermögenseinbusse sei schon deshalb nicht erwiesen, weil nicht klar sei, ob der Kläger bei bestandener Lehre sofort eine Stelle als Koch gefunden hätte. Einerseits ist dieses Vorbringen - da verspätet - nicht zu hören und andererseits hat die Zeit für die Stellensuche nach Lehrabschluss ohnehin keinen Einfluss auf den Schaden, welcher dadurch entsteht, dass mit der Stellensuche aufgrund der verlängerten Lehrzeit erst ein Jahr später begonnen werden kann.

dd) Die Beklagte wendet mit ihrer Berufung ein, die Kündigung sei in keinem Fall adäquat kausal zur angeblichen Vermögenseinbusse. Zunächst treffe den Kläger ein die Kausalität unterbrechendes Selbstverschulden. Dieser habe im Oktober/November 2015 aufgehört, die Schule zu besuchen, was entscheidende negative Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis gehabt habe, zumal der Lehrvertrag primär auf Ausbildung gerichtet sei und ohne Schulbesuch sinnwidrig und undenkbar sei. Sie, die Beklagte, habe sich daher gezwungen gesehen, zu intervenieren, und Bedingungen für die weitere Zusammenarbeit aufgestellt. Diese seien jedoch vom Kläger nicht unterzeichnet worden, da er sich offenbar schlicht und einfach keinen Regeln beugen wollte. Am 9. Dezember 2015 habe der Kläger die Arbeitsstelle grundlos und ohne Vorankündigung verlassen und mitgeteilt, er bleibe nun einstweilen zuhause, bis die

weitere Situation geklärt sei. Dieses Verhalten begründe ein derart schwerwiegendes Verschulden, dass bei korrektem Vorgehen der Arbeitgeberin (insbesondere vorgängiger Abmahnung) sogar eine fristlose Entlassung gerechtfertigt gewesen wäre. Hinzu komme, dass der Kläger das dritte Lehrjahr ungeachtet der Kündigung ohnehin nicht erfolgreich absolviert hätte. So habe er unbestrittenermassen die Schule schon längere Zeit nicht mehr besucht und ausserdem dem Zeugen X mitgeteilt, er wolle das dritte Lehrjahr sowieso wiederholen. Die angebliche Vermögenseinbusse wäre folglich auch eingetreten, wenn sie, die Beklagte, das Lehrverhältnis nicht aufgelöst hätte. Ferner wäre sie bei korrektem Vorgehen, also bei vorgängiger Abmahnung, zweifellos berechtigt gewesen, das Lehrverhältnis aufgrund der zahlreichen Absenzen und der grundlosen Arbeitsverweigerung des Klägers fristlos aufzulösen. Folglich wäre der vermeintliche Schaden auch eingetreten, wenn sie, die Beklagte, sich rechtmässig verhalten hätte.

Der Kläger brachte vor, man habe ihn ab dem 10. November 2015 an den Berufsschultagen (jeweils am Dienstag) zur Arbeit eingeteilt. Davon ist auszugehen, nachdem die Beklagte (zumindest indirekt) zugestand, den Kläger auch an Schultagen beschäftigt zu haben, ihrer Obliegenheit gemäss Beweisverfügung vom 23. Oktober 2017, die Schichtpläne für das Jahr 2015 zu edieren, nicht nachkam und ausserdem aus den Arbeitszeitkontrollen hervorgeht, dass der Kläger im November und Dezember 2015 dienstags jeweils gearbeitet hat (sofern er nicht krank war bzw. ab dem

10. Dezember 2015 gar nicht mehr arbeitete). Berücksichtigt man weiter, dass sich der Kläger, nach dem am 9. November 2015 abgelaufenen Ultimatum zur Unterzeichnung der Lehrlingsvereinbarung - wobei es sich dabei eher nicht um eine Vereinbarung handelte als vielmehr um eine Auflistung von Bedingungen, welche der Kläger hätte akzeptieren müssen, damit die Beklagte sich bereit erklärte hätte, "das Lehrverhältnis aufrecht zu erhalten" -, über den Fortbestand des Lehrverhältnisses irrte oder zumindest im Unklaren darüber war, ist von einem nur geringen Verschulden des Klägers auszugehen, wenn er die Berufsschule ab diesem Zeitpunkt nicht mehr besuchte. Soweit die Beklagte dem Kläger vorwerfen möchte, bereits vor dem 10. November 2015 die Berufsschule nicht regelmässig besucht zu haben, ist ihr entgegenzuhalten, dass sie nicht behauptet, den Kläger treffe dafür ein Verschulden,

und im Übrigen die Absenzen im Zeugnis als "entschuldigt" festgehalten wurden. Ausserdem müsste sich die Beklagte andernfalls die Frage gefallen lassen, weshalb sie nicht bereits viel früher ihrer Fürsorge- und Ausbildungspflicht nachgekommen war und Massnahmen eingeleitet hatte, um das Fernbleiben ihres Lehrlings vom Schulunterricht zu verhindern. Anzumerken ist allerdings, dass insgesamt durchaus der Eindruck entsteht, der Kläger habe sich nicht ernsthaft um einen regelmässigen Schulbesuch bemüht. Weiter ist dem Kläger kein schwerer Vorwurf zu machen, wenn er die sogenannte Lehrlingsvereinbarung vom 6. November 2015 nicht unterzeichnen wollte, zumal diese tatsächlich sehr einseitig und restriktiv wirkt, wenn darin unter anderem festgehalten wird, es werde "[a]bsolute Pünktlichkeit" gefordert und es sei "keine Minute des Unterrichts" zu verpassen und ausserdem der Notendurchschnitt auf dem aktuellen Level (von 5.5) zu halten. Weiter habe der Kläger "[f]ünf Minuten vor Arbeitsbeginn umgezogen in der Küche" zu erscheinen und es hätten "keine Reklamationen" zu erfolgen. Dagegen trifft den Kläger durchaus ein Verschulden dafür, dass er den Arbeitsplatz am 9. Dezember 2015 ohne Erlaubnis des Arbeitgebers verliess. Dieses Verschulden wiegt aber nicht derart schwer, dass es die Kausalität zu unterbrechen vermag, zumal die Beklagte, indem sie kein klärendes Gespräch mit dem Kläger führte, sondern ihn während mehrerer Wochen über den Fortbestand des Lehrverhältnisses im Ungewissen liess, einen wesentlichen Teil dazu beitrug, dass dieser sich zu diesem Schritt gezwungen sah und insbesondere weil es das darauffolgende Verhalten der Beklagten war, welches letztlich dazu führte, dass das Lehrverhältnis nicht fortgesetzt, sondern aufgelöst wurde. Weiter trifft es gerade nicht zu, dass der Beklagten lediglich die fehlende Abmahnung vor der fristlosen Kündigung vorzuwerfen ist. Vielmehr hätte sich die Beklagte schon viel früher mit den sich häufenden Absenzen des Klägers befassen müssen. Es kann angenommen werden, dass bei professionellem Vorgehen der Beklagten die Situation gar nicht erst derart eskaliert und vor allem auch das Gespräch vom 6. November 2015 anders verlaufen wäre. Spätestens aber nach der Weigerung des Klägers, die Vereinbarung zu unterzeichnen, hätten die verantwortlichen Personen der Beklagten mit dem Kläger das Gespräch und eine Lösung suchen müssen. Es geht nicht an, einem Lernenden ein Dokument mit einer Liste von Bedingungen zur Unterzeichnung vorzulegen, welches festhält, der Lehrbetrieb sei nur unter diesen Bedingungen bereit, "das Lehrverhältnis aufrecht zu erhalten", und dann, wenn sich der Lernende weigert, dieses Dokument zu

unterzeichnen, diesen während mehr als vier Wochen im Betrieb arbeiten zu lassen, ohne die Situation zu klären. Jedenfalls kann nicht gesagt werden, die Beklagte sei lediglich deshalb nicht zur fristlosen Kündigung berechtigt gewesen, weil sie vorher - im Sinne eines Formfehlers - den Kläger nicht abgemahnt hatte. Vielmehr ist davon auszugehen, dass es bei korrektem Vorgehen der Beklagten gar nicht zu der Situation gekommen wäre, dass der Kläger seinen Arbeitsplatz verlässt, um ein Gespräch mit einem Vorgesetzten mit Entscheidungskompetenz zu erzwingen. Schliesslich ist - entgegen der Ansicht der Beklagten - mit Blick auf die Schulnoten und die gemäss den Lehrlingsbetreuern guten fachlichen Leistungen des Klägers sowie aufgrund der Tatsache, dass sich dieser bereits im dritten und letzten Lehrjahr befand und die Lehrabschlussprüfung in wenigen Monaten stattgefunden hätte, davon auszugehen, dass der Kläger ohne die Vertragsverletzungen der Beklagten die Lehre wohl erfolgreich beendet hätte. Daran vermag auch die Berücksichtigung der Aussage des Zeugen X, der Kläger habe ihm mitgeteilt, er wolle das dritte Lehrjahr in einem anderen Betrieb wiederholen, da er nicht daran glaube, dieses zu bestehen, nichts zu ändern, da der Kläger diese Bemerkung nach dem Gespräch vom 6. November 2015 und seiner Weigerung, die Vereinbarung zu unterzeichnen, machte und somit nachvollziehbare Gründe zur (allerdings irrigen) Annahme hatte, er könne die Lehre bei der Beklagten gar nicht erfolgreich beenden (falsche Vorstellung über Auflösung des Lehrverhältnisses und Ausschluss aus der Berufsschule). Zusammenfassend dringt die Beklagte, mit ihren Einwendungen gegen die von der Vorinstanz bejahte Kausalität zwischen den Vertragsverletzungen, namentlich der Verletzung der Ausbildungs- und Fürsorgepflicht, und der Verlängerung des Lehrverhältnisses bzw. dem dadurch entstandenen Schaden nicht durch.

ee) Wie bereits die Vorinstanz feststellte, brachte die Beklagte nichts vor - und tut dies auch im Berufungsverfahren nicht -, was darauf schliessen lässt, dass die begangenen Pflichtverletzungen unverschuldet erfolgt sind, weshalb ihr der Exkulpationsbeweis nicht gelingen kann.

ff) Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Beklagte gestützt auf Art. 97 Abs. 1 OR im Grundsatz ersatzpflichtig ist für den vom Kläger infolge Verlängerung des Lehrverhältnisses erlittenen Schaden von Fr. 34'804.00.

e/aa) Erreicht das Selbstverschulden der geschädigten Person die für die Unterbrechung des Kausalzusammenhangs notwendige Intensität nicht, stellt es einen Herabsetzungsgrund i.S.v. Art. 44 Abs. 1 OR dar, wobei Art. 44 OR grundsätzlich auch auf die vertragliche Haftung anwendbar ist (Art. 99 Abs. 3 OR; BSK OR I-Kessler, Art. 44 N 1; CHK-Müller, Art. 44 OR N 3). Die Reduktion des Schadenersatzes hängt massgeblich von der Schwere des Selbstverschuldens ab. Bei der Verschuldenshaftung werden das Verschulden der haftpflichtigen und das Selbst- bzw. Mitverschulden der geschädigten Person in einer Gesamtbetrachtung verglichen und anschliessend anteilsmässig zugeteilt; dabei verfügt das Gericht über einen Ermessensspielraum (BGE 116 II 422 E. 4; BGE 101 II 69 E 5; BGer 5C.61/2004 E. 6.1;

BSK OR I-Kessler, Art. 44 N 7 ff.; BK-Brehm, 4. Aufl., Art. 44 OR N 18 ff.; CHK-Müller,

Art. 44 OR N 3).

bb) Wie soeben dargelegt, hat der Kläger mit seinem Verhalten dazu beigetragen, dass der Lehrvertrag vorzeitig aufgelöst wurde und sich somit sein Lehrabschluss verzögerte. So besuchte er die Berufsschule offenbar nur unregelmässig, zeigte sich anlässlich des Gesprächs vom 6. November 2015 uneinsichtig und konnte sich nicht überwinden, die Lehrlingsvereinbarung zu unterzeichnen. Schwer wiegt ausserdem, dass der Kläger die Arbeitsstelle am 9. November 2015 ohne Erlaubnis der Beklagten verliess und dieser dann per Kurznachricht mitteilte, er bleibe nun zuhause, bis das Arbeitsverhältnis geklärt sei. Insgesamt ist von einem deutlichen Mitverschulden des Klägers auszugehen, dem allerdings ein klar höheres Verschulden der Beklagten gegenübersteht. Obwohl der Kläger die Berufsschule schon während mehr als zwei Semestern nur sehr lückenhaft besuchte, unternahm sie nichts und reagierte offenbar auch auf entsprechende E-Mail-Nachrichten der Schule nicht. Sie intervenierte erst, als der Klassenlehrer direkt den Lehrlingsbetreuer telefonisch kontaktierte. Weiter liess die

Beklagte den Kläger an Schultagen arbeiten und beliess ihn sodann während mehrerer Wochen in seinem offensichtlichen Irrtum über die Beendigung des Lehrverhältnisses. Selbst auf das Verlassen der Arbeitsstelle und die Kurznachricht des Klägers reagierte sie nicht bzw. erst nach rund einem Monat, und zwar mit einer "rückwirkenden Kündigung". Zu berücksichtigen ist ausserdem, dass an das Verhalten der Beklagten als Lehrmeisterin ein strengerer Massstab anzulegen ist. Ihr obliegt gegenüber ihren Lernenden eine erhöhte Fürsorge- und Ausbildungspflicht, sie ist nicht nur verpflichtet, die Lernenden fachgemäss zu bilden und sich für deren bestmöglichen Lernerfolg einzusetzen, sondern auch, dazu auf angemessene pädagogische und methodisch- didaktische Methoden zurückzugreifen (vgl. Art. 344 OR; Art. 20 und 45 Abs. 2 BGG). Lernende benötigen neben Führung und Anleitung auch Vorbilder. Deshalb ist es umso wichtiger, dass ein Fehlverhalten seitens eines Lernenden durch korrektes und adäquates Handeln des Lehrbetriebs und nicht wie im vorliegenden Fall mit eigenem Fehlverhalten erwidert wird. Nichts für sich ableiten kann die Beklagte aus der Tatsache, dass die Vorinstanz dem Kläger gestützt auf Art. 337c Abs. 3 OR lediglich einen von maximal sechs Monatslöhnen als Entschädigung zusprach, da diese Entschädigung nach freiem Ermessen des Gerichts unter Würdigung aller Umstände - und nicht nur eines allfälligen Selbstverschuldens - festzulegen ist und ausserdem nicht die Maximalentschädigung als Ausgangspunkt dient. Insgesamt erscheint ein Selbstverschuldensabzug von 30% als angemessen.

cc) Folglich ist der vorinstanzliche Entscheid zu bestätigen und hat die Beklagte dem Kläger Schadenersatz in Höhe von Fr. 24‘362.80 (70% von Fr. 34'804.00) netto zu bezahlen, zuzüglich 5% Zins ab dem 28. Februar 2017.

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