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Urteil Versicherungsgericht (SG)

Kopfdaten
Kanton:SG
Fallnummer:AVI 2016/70
Instanz:Versicherungsgericht
Abteilung:AVI - Arbeitslosenversicherung
Versicherungsgericht Entscheid AVI 2016/70 vom 18.12.2017 (SG)
Datum:18.12.2017
Rechtskraft:-
Leitsatz/Stichwort:Entscheid Art. 30 Abs. 1 lit. a AVIG, Art. 44 Abs. 1 lit. b AVIV, IAO-Übereinkommen (SR 0.822.726.8). Einstellung in der Anspruchsberechtigung wegen Selbstkündigung. Da der Ehemann der Beschwerdeführerin in einem arbeitsrechtlichen Verfahren eines anderen Mitarbeiters als Zeuge erfuhr, dass die Arbeitgeberin weder die Bestimmungen des Arbeitsgesetzes einhielt, noch Quellensteuern und BVG-Beiträge korrekt abrechnete, war eine Fortführung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zumutbar bzw. lagen triftige Gründe für eine Kündigung vor (Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 18. Dezember 2017, AVI 2016/70).
Zusammenfassung : Die Beschwerdeführerin hat gegen die Entscheidung der Unia Beschwerde eingelegt, nachdem sie aufgrund selbstverschuldeter Arbeitslosigkeit für 31 Tage in der Anspruchsberechtigung eingestellt wurde. Sie hatte ihr Arbeitsverhältnis aufgrund von Missständen bei der Arbeitgeberin gekündigt, darunter unbezahlte Überstunden und Nachtarbeit sowie fehlende Pausen. Trotz Einsprache wurde die Einstellung bestätigt, woraufhin die Beschwerdeführerin vor Gericht zog. Das Gericht entschied zugunsten der Beschwerdeführerin, da die Arbeitsbedingungen unzumutbar waren und sie daher nicht selbstverschuldet arbeitslos war.
Schlagwörter : Arbeit; Arbeitgeber; Arbeitgeberin; Ehemann; Stunden; Arbeitsverhältnis; Tarbeit; Recht; Einsprache; Gericht; Überstunden; Mitarbeiter; Umstände; Arbeitsverhältnisses; Kündigung; Person; Stundenrapporte; Arbeitslosigkeit; Zeuge; Einstelltage; Bestimmungen; Woche; Einstellung; Rechtsvertreterin; Ehemannes
Rechtsnorm:Art. 10 ArG ;
Referenz BGE:124 V 236; 124 V 238;
Kommentar:
-
Entscheid
Entscheid vom 18. Dezember 2017

Besetzung

Präsidentin Marie Löhrer, Versicherungsrichterinnen Michaela Machleidt Lehmann und Marie-Theres Rüegg Haltinner; Gerichtsschreiberin Jeannine Bodmer

Geschäftsnr. AVI 2016/70

Parteien

  1. ,

    Beschwerdeführerin,

    vertreten durch Rechtsanwältin Saila Ruibal, Pedrazzini Ruibal, Vadianstrasse 35, Postfach 115, 9001 St. Gallen,

    gegen

    UNIA Arbeitslosenkasse Kompetenzzentrum D-CH Ost, Strassburgstrasse 11, Postfach, 8021 Zürich 1,

    Beschwerdegegnerin,

    Gegenstand

    Einstellung in der Anspruchsberechtigung (Selbstkündigung) Sachverhalt

    A.

    1. A. meldete sich am 9. November 2015 beim Regionalen Arbeitsvermittlungszentrum (RAV) zur Arbeitsvermittlung an (act. G 3.1.20) und beantragte ab 1. Januar 2016 bei der Unia Arbeitslosenkasse (nachfolgend: Unia) Arbeitslosenentschädigung. Die Versicherte hatte ihr seit Mai 2014 bestehendes Arbeitsverhältnis mit der B. am 23. Oktober 2015 per Ende Dezember 2015 gekündigt, weil sie immer sehr viele Überstunden habe machen müssen und ein schlechtes Arbeitsklima geherrscht habe. Auch seien ihr weder die Überstunden noch ein Nachtoder Sonntagszuschlag bezahlt worden (act. G 3.1.16, 10)

    2. Auf Anfrage der Unia zum Kündigungsgrund führte die Versicherte im Schreiben vom 23. Januar 2016 aus, sie habe für die Arbeitgeberin über eineinhalb Jahre gearbeitet, wobei ihr weder die Überstunden noch Nachtzuschläge ausbezahlt worden seien. Zudem habe sie keine Pausen gehabt. Das Arbeitsklima sei sehr kompliziert gewesen, da alle immer unter sehr hohem Druck gestanden seien. Zudem sei sie

      wegen eines laufenden Gerichtsprozesses eines Ex-Arbeitskollegen gegen die Arbeitgeberin von der Chefin erpresst worden (act. G 3.1.7).

    3. Am 16. Februar 2016 forderte die Unia von der Versicherten die Stundenrapporte ein (act. G 3.1.6, S. 167). Diese gingen bei ihr am 23. Februar 2016 ein (act. G 3.1.6 S. 154 ff.).

    4. Mit Verfügung vom 4. April 2016 stellte die Unia die Versicherte wegen selbstverschuldeter Arbeitslosigkeit ab 1. Januar 2016 für 31 Tage in der Anspruchsberechtigung ein. Da sie das Verbleiben an der ehemaligen Arbeitsstelle bis zum Finden einer neuen Stelle als zumutbar erachte, gelte die Arbeitslosigkeit als selbstverschuldet und müsse sanktioniert werden (act. G 3.1.5).

B.

    1. Gegen diese Verfügung liess die Versicherte durch Rechtsanwältin S. Ruibal, St. Gallen, am 6. Mai 2016 Einsprache erheben. Die Rechtsvertreterin machte geltend, dass die Versicherte im Zeitpunkt, als sie den Arbeitsvertrag unterschrieben habe, noch kein Deutsch gesprochen habe und es ihr nicht bewusst gewesen sei, dass sie mit der Unterzeichnung auf zusätzliche Entschädigungen für Überstunden verzichtete. Zudem sei ihr Ehemann bereits für die Arbeitgeberin tätig gewesen und habe ebenfalls nichts bezüglich des Verzichts auf ordentliche Entschädigungen gewusst. Des Weiteren seien der Versicherten aber nicht nur die Überstunden nicht ausbezahlt worden, sondern auch die gesetzlich geschuldete Überzeit. Sodann habe die Versicherte gegen Oktober 2015 feststellen müssen, dass bei ihrem Ehemann von den Stundenaufstellungen zwei Versionen vorhanden gewesen seien. Die eine habe er selber ausgefüllt und die andere sei von einer Drittperson mit weniger Stunden ausgefüllt worden. Auch auf Grund dieses Umstands habe die Versicherte das Arbeitsverhältnis als nicht mehr zumutbar empfunden. Weiter sei festzuhalten, dass nicht einmal Pausen hätten absolviert werden dürfen. Die in den Stundenaufstellungen dargelegten Stunden würden demnach die gesamten effektiven Arbeitszeiten zeigen, weshalb die Versicherte wie auch die anderen Mitarbeiter im Durchschnitt 10 Stunden ohne Unterbruch gearbeitet hätten. Schliesslich sei der Ehemann der Versicherten als Zeuge zu einer Gerichtsverhandlung eines ehemaligen Mitarbeiters gegen die Arbeitgeberin vorgeladen worden. Er sei über

      die Arbeitszeiten, Überstundenentschädigungen sowie über die Nachtarbeitskompensation befragt worden und habe wahrheitsgetreu ausgesagt. Dabei habe er erfahren, dass Überzeitkompensation sowie Kompensationen für Nachtarbeit geschuldet seien. Die Gratifikationen, welche die Arbeitgeberin ausbezahlt habe, hätten die tatsächlich geschuldeten Kompensationen nicht gedeckt. Ebenso habe der Ehemann erfahren, dass die Arbeitgeberin die Stundenaufstellungsblätter neu und eigenhändig aufgestellt und abgeändert habe. Diese Umstände hätten dazu geführt, dass der Ehemann sich sowohl für sich als auch für die Versicherte im Oktober 2015 gegen die Arbeitgeberin gewehrt habe. Diese sei aber nicht darauf eingegangen, sondern habe das Ehepaar bereits im Juli 2015, als die Vorladung ergangen war, massiv unter Druck gesetzt und schon fast bedroht, damit der Ehemann zu ihren Gunsten aussagen sollte. Auf Grund der wahrheitsgemässen Aussagen des Ehemannes habe die Arbeitgeberin auf sie beide noch mehr Druck ausgeübt, weshalb die Arbeitsumstände nicht mehr haltbar gewesen seien. Erst nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses habe sich die Arbeitgeberin gezwungen gesehen, die Überzeit sowie die Differenz zu den vom Lohn abgezogenen BVG-Abzügen nachzuzahlen, da die Versicherte mit einer Klage gedroht habe (act. G 3.1.4).

    2. Auf Nachfrage der Unia reichte die Rechtsvertreterin mit Schreiben vom 20. September 2016 Stundenrapporte sowie die Vereinbarungen ein, welche nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit der Arbeitgeberin getroffen worden waren. Weiter führte sie aus, die Versicherte habe im Oktober 2015, also noch vor der Kündigung, versucht, ihre Rechte geltend zu machen. Darauf sei die Arbeitgeberin jedoch nicht eingegangen. Vielmehr habe sie die Versicherte sowie ihren Ehemann auf Grund seiner Vorladung im Prozess des ehemaligen Mitarbeiters gegen die Arbeitgeberin fast schon bedroht und nach seinen Zeugenaussagen vor Gericht beinahe gemobbt. Daher sei die Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses wie auch aus den weiteren Gründen - nicht mehr zumutbar gewesen (act. G 3.1.3).

    3. Gestützt auf diese Ausführungen befragte die Unia die ehemalige Arbeitgeberin des Versicherten (act. G 3.1.2 S. 40). Diese bestritt in der Stellungnahme vom 11. Oktober 2016, dass sich das Arbeitsverhältnis wegen des Gerichtsprozesses im Oktober 2015 verändert verschlechtert habe. Alles sei ganz normal gelaufen wie immer. Hinsichtlich der Stundenrapporte hielt sie fest, dass auf diesen der

      Arbeitsbeginn und das Arbeitsende aufgeführt seien. In den aufgeschriebenen Stunden sei immer eine Stunde Pause inbegriffen, wie aus der Schlussabrechnung ersichtlich sei (die Arbeitgeberin beantwortete die Fragen jedoch nicht in Bezug auf die Versicherte, sondern einzig betreffend ihren Ehemann: vgl. act. G 3.1.2 S. 62).

    4. Mit Einspracheentscheid vom 19. Oktober 2016 wies die Unia die Einsprache ab. Zur Begründung führte sie aus, sie habe den Sachverhalt nochmals eingehend geprüft. Aus den Stundenrapporten der Versicherten gehe hervor, dass diese viele Arbeitsstunden habe leisten müssen. Trotzdem sei es ihr zumutbar gewesen, an der Stelle zu verbleiben und die nicht bezahlten Überstunden gerichtlich einzufordern. Dies habe sie ja später auch getan. Zudem habe die Arbeitgeberin nicht bestätigt, dass sich das Arbeitsverhältnis infolge der Zeugenaussage des Ehemannes der Versicherten verschlechtert habe. Aus arbeitslosenversicherungsrechtlicher Sicht wäre es der Versicherten daher zumutbar gewesen, an der Stelle zu verbleiben bis sie eine neue Stelle gefunden hätte (act. G 3.1.1).

C.

    1. Gegen diesen Entscheid richtet sich die vorliegende Beschwerde vom 18. November 2016 mit dem Antrag auf dessen Aufhebung und auf angemessene Reduktion der Einstelltage auf Grund eines leichten Verschuldens; unter Kostenund Entschädigungsfolgen. Die Rechtsvertreterin der Versicherten bestreitet die Zumutbarkeit des Verbleibens an der bisherigen Stelle nicht mehr. Sie beantragt jedoch, dass die tatsächlichen Umstände bei der Bemessung der Anzahl Einstelltage zu berücksichtigen seien und nicht von einem schweren Verschulden auszugehen sei. Die Begründung hinsichtlich der besonderen Umstände deckt sich im Wesentlichen mit der Schilderung in der Einsprache (act. G 1).

    2. Mit Beschwerdeantwort vom 13. Dezember 2016 beantragt die Beschwerdegegnerin die Beschwerdeabweisung. Sie begründet dies im Wesentlichen damit, dass die Beschwerdeführerin der Arbeitgeberin nicht genügend Zeit gegeben habe, sich mit ihren Forderungen auseinanderzusetzen. So sei die Gerichtsverhandlung betreffend den ehemaligen Mitarbeiter am 19. Oktober 2015 gewesen und bereits vier Tage später am 23. Oktober 2015 habe sie die Kündigung eingereicht. Aus Sicht der

      Beschwerdegegnerin habe zum damaligen Zeitpunkt kein Grund bestanden, das Arbeitsverhältnis ohne Zusicherung einer neuen Stelle aufzulösen. Schliesslich könne die Beschwerdeführerin weder beweisen, dass sich am Arbeitsverhältnis infolge der Gerichtsverhandlung etwas geändert habe, noch könne sie beweisen, dass sie entgegen der Aussage der Arbeitgeberin keine Pausen habe absolvieren dürfen. Da sie die Kündigung eingereicht habe, sei sie in der Beweispflicht und trage die Folgen der Beweislosigkeit. Dennoch habe die Beschwerdegegnerin bereits bei der Festlegung der Anzahl Einstelltage berücksichtigt, dass das Arbeitsklima nach der Zeugenaussage des Ehemannes der Beschwerdeführerin gegen die Arbeitgeberin nicht mehr optimal gewesen sein dürfte (act. G 3).

    3. Mit Replik vom 27. Januar 2017 führt die Rechtsvertreterin aus, dass die besonderen Umstände bei der Festlegung der Anzahl Einstelltage von der Beschwerdegegnerin noch gar nicht hätten berücksichtigt werden können, da ihr diese erst mit der Einsprache vom 6. Mai 2016 mitgeteilt worden seien. Da sie bereits am 4. April 2016 31 Einstelltage verfügt habe, hätten diese Umstände nicht in die Bemessung einfliessen können (act. G 5).

    4. In der Duplik vom 3. Februar 2017 hält die Beschwerdegegnerin an ihren Anträgen fest und bestreitet, dass sie erst mit der Einsprache über die besonderen Verhältnisse informiert worden sei. Diese seien im Einspracheverfahren lediglich noch ausführlicher geschildert worden (act. G 7).

Erwägungen

1.

    1. Anfechtungsgegenstand bildet der mit der vorliegenden Beschwerde angefochtene Einspracheentscheid vom 19. Oktober 2016. Die Beschwerdeführerin ficht zwar in der Beschwerde lediglich die Höhe der von der Beschwerdegegnerin verfügten Einstelltage an und verlangt deren angemessene Senkung. Dabei ist auf Grund der Offizialmaxime auch zu prüfen, ob die Einstellung als solche zu Recht erfolgt ist.

    2. Nach Art. 30 Abs. 1 lit. a des Bundesgesetzes über die Arbeitslosenversicherung

      und Insolvenzentschädigung (AVIG; SR 837.0) ist die versicherte Person in der

      Anspruchsberechtigung einzustellen, wenn sie durch eigenes Verschulden arbeitslos ist. Selbstverschuldet ist die Arbeitslosigkeit namentlich dann, wenn die versicherte Person das Arbeitsverhältnis von sich aus aufgelöst hat, ohne dass ihr eine andere Stelle zugesichert war, es sei denn, dass ihr das Verbleiben an der Arbeitsstelle nicht zugemutet werden konnte (Art. 44 Abs. 1 lit. b der Verordnung über die obligatorische Arbeitslosenversicherung und die Insolvenzentschädigung [AVIV; SR 837.02]). Im Bereich der freiwilligen Stellenaufgabe findet demnach das sozialversicherungsrechtliche Schadenminderungsprinzip seine Grenze bei der Zumutbarkeit.

    3. Im Weiteren ist bei der Prüfung der Frage, ob eine Sanktion wegen Selbstaufgabe der Stelle im Sinne von Art. 44 Abs. 1 lit. b AVIV zulässig ist, das Übereinkommen Nr. 168 der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) über die Beschäftigungsförderung und den Schutz gegen Arbeitslosigkeit vom 21. Juni 1988 (nachfolgend IAO- Übereinkommen; SR 0.822.726.8) zu beachten, das für die Schweiz am 17. Oktober 1991 in Kraft getreten ist. Nach Art. 20 lit. c des Übereinkommens können Leistungen der Arbeitslosenversicherung verweigert, zum Ruhen gebracht gekürzt werden, wenn die zuständige Stelle festgestellt hat, dass die betreffende Person ihre Beschäftigung freiwillig („volontairement“) ohne triftigen Grund („sans motif légitime“) aufgegeben hat. Da diese Bestimmung inhaltlich hinreichend bestimmt und klar ist, ist sie im Einzelfall direkt anwendbar und geht den nationalen Bestimmungen über den Erlass von Einstellungsverfügungen vor (BGE 124 V 236 f. E. 3c). Damit sind bei einer völkerrechtskonformen Auslegung von Art. 44 Abs. 1 lit. b AVIV bzw. bei der Zumutbarkeitsprüfung die gesamten Umstände der versicherten Person zu berücksichtigen (BORIS RUBIN, Commentaire de la loi sur l’assurance-chômage, Genf/ Zürich/Basel 2014, N 36 f. zu Art. 30; JACQUELINE CHOPARD, Die Einstellung in der Anspruchsberechtigung, Diss. Zürich 1998, S. 80). Es kann nicht von einer freiwilligen Beschäftigungsaufgabe im Sinne des Übereinkommens gesprochen werden, wenn eine versicherte Person nicht von sich aus, sondern vom Arbeitgeber durch die Entwicklung am Arbeitsplatz zur Kündigung gedrängt wird. Gleiches gilt für den Fall, dass die versicherte Person für das Verlassen der Stelle legitime Gründe zu nennen vermag (BGE 124 V 238 E. 4b/aa).

    4. Rechtsprechungsgemäss ist der Tatbestand der selbstverschuldeten Arbeitslosigkeit nicht erfüllt, wenn bei Überstunden in gegen das Gesetz die vertraglichen Abmachungen verstossender Weise weder ein Ausgleich durch Freizeit noch eine Entlöhnung erfolgt (Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts [EVG; seit 1. Januar 2007: Sozialrechtliche Abteilungen des Bundesgerichts] vom 20. August 2002, C 219/00, E. 2.2).

2.

    1. Vorliegend ist unbestritten, dass die Beschwerdeführerin ihr Arbeitsverhältnis mit der Arbeitgeberin am 23. Oktober 2015 ordentlich auf den 31. Dezember 2015 gekündigt hat (vgl. act. G 3.1.10). Im Arbeitsvertrag vom 1. Mai 2014 hatte sie mit der Arbeitgeberin vereinbart, bei ihr als Mitarbeiterin in der Produktion (ohne Lehrabschluss) ab 1. Mai 2014 für Fr. 3‘100.-brutto pro Monat zu arbeiten. Weiter wurde festgehalten, dass in diesem Gehalt „Nachtund Wochenendarbeit, Überstunden, Feiertagen usw.“ enthalten seien. Im Gegenzug verpflichtete sich „der Mitarbeiter“ zu jeder Zeit zu arbeiten. Auch an Wochenenden und Feiertagen (nach den Plänen des Unternehmens), „keine Erhöhung der Lohn“. Keine Zulagen Gratifikation. Kein Nachtzuschlag. Der Arbeitnehmer müsse flexibel sein, jeden Tag zu arbeiten, wenn das Unternehmen ihn brauche usw. (act. G 3.1.11). In Anbetracht dessen, dass die Beschwerdeführerin des Öfteren bereits ab 4:00 Uhr morgens arbeitete (act. G 3.1.3 S. 52), was unter die sog. Nachtarbeit fällt (vgl. Art. 10 ArG), und sie gemäss den Stundenrapporten der Monate Mai 2014 bis Dezember 2015 (vgl. act. G 3.1.3) beispielsweise in der Woche vom 5. Mai bis 10. Mai 2014 48.5 Stunden, in der Woche vom 12. Mai bis 17. Mai 2014 48.5 Stunden, in der Woche vom 19. Mai bis 24.

      Mai 2014 54 Stunden und in der Woche vom 14. Oktober bis 18. Oktober 2015 55 Stunden und 40 Minuten arbeitete, würde sich grundsätzlich die Frage stellen, ob die Arbeitgeberin mit den obigen arbeitsvertraglichen Klauseln nicht gegen zwingende Bestimmungen des Bundesgesetzes über die Arbeit in Industrie, Gewerbe und Handel (ArG; SR 822.11) verstiess. Dazu wären jedoch weitere Abklärungen bezüglich der Arbeitgeberin notwendig, insbesondere die Klärung der Fragen, ob es sich um einen industriellen einen nichtindustriellen Betrieb handelt, welche Betriebsbewilligungen bestehen etc., um überhaupt die anwendbaren Bestimmungen über Höchstarbeitsund Ruhezeiten definieren zu können. Des Weiteren wären

      Verletzungen zwingender Lohnund Zeitzuschläge zu prüfen. Nachdem die Unzumutbarkeit des vorliegenden Arbeitsverhältnisses jedoch bereits auf Grund der nachfolgenden Überlegungen zu bejahen ist, kann auf diesbezügliche Abklärungen verzichtet werden.

    2. Die Beschwerdeführerin erfuhr erstmals durch die gerichtliche Vorladung zur Zeugenaussage ihres Ehemannes im Juli 2015, dass ein ehemaliger Arbeitskollege auf Grund arbeitsrechtlicher Forderungen gegen die Arbeitgeberin vorging. Im Rahmen des Prozesses dieses ehemaligen Mitarbeiters im Oktober 2015 erfuhren die Beschwerdeführerin und ihr Ehemann schliesslich auch, dass ihre Arbeitgeberin offenbar bei den ausländischen Arbeitnehmern systematisch zu hohe Quellensteuerabzüge und teilweise auch zu hohe BVG-Abzüge vorgenommen hatte. Weiter seien Zuschläge für Nachtarbeit unbezahlt geblieben und es seien die zwingenden Pausen nicht gewährt worden. Dass die Arbeitgeberin auch beim Ehemann und der Beschwerdeführerin gegen zwingende Bestimmungen des Arbeitsgesetzes verstiess, zeigt sich dadurch, dass diese beiden (vgl. zum Ehemann: AVI 2016/69) nach ihrer Beendigung des Arbeitsverhältnisses Überzeitentschädigung (act. G 3.1.3 S. 70), BVG-Beiträge (act. G 3.1.66) und Quellensteuern (act. G 3.1.67) nachgezahlt hat. Damit verletzte die Arbeitgeberin nicht nur zwingende arbeitsrechtliche Bestimmungen, sondern enthielt der Beschwerdeführerin und ihrem Gatten über Monate bzw. Jahre Leistungen vor. Entgegen der Argumentation der Beschwerdegegnerin kann bei so massiven Verletzungen gegen das Arbeitsrecht von einer versicherten Person nicht erwartet werden, dass sie ihre gesetzlich gewährten Rechte während des Arbeitsverhältnisses gerichtlich geltend macht. Vielmehr erscheint es nachvollziehbar, dass unter solchen Bedingungen das Vertrauensverhältnis gegenüber der Arbeitgeberin zerrüttet ist. Schliesslich kann auch entgegen den Angaben der Arbeitgeberin glaubhaft davon ausgegangen werden, dass sich das Arbeitsklima bereits negativ veränderte, als der Ehemann der Beschwerdeführerin mit Schreiben des Kreisgerichts C. vom 6. Juli 2015 vorgeladen wurde, um als Zeuge in einem Verfahren gegen die Arbeitgeberin betreffend Forderungen aus Arbeitsrecht zur Einvernahme zu erscheinen (act. G 1.6).

    3. Sodann kann der aus D. stammenden Beschwerdeführerin, der die hiesigen

      gesetzlichen Bestimmungen nicht bekannt waren und die auch der deutschen Sprache

      nur wenig mächtig war, nicht angelastet werden, dass sie die verschiedenen Verstösse ihrer Arbeitgeberin erst auf Grund dieser Gerichtsverhandlung zur Kenntnis nahm.

    4. Unter diesen Voraussetzungen kann schliesslich offen bleiben, ob die Arbeitgeberin tatsächlich die Stundenrapporte veränderte, wie es die Beschwerdeführerin zumindest bezüglich eines Monatsrapports ihres Ehemannes geltend macht (vgl. act. G 1.4 und 1.5). Die Bedingungen, unter welchen die Beschwerdeführerin arbeiten musste, sind als unzumutbar im Sinne von Art. 16 Abs. 2 lit. a AVIG anzusehen (vgl. Erwägung 1.4 sowie Entscheid des Eidgenössischen Versicherungsgerichts [seit 1. Januar 2007: Sozialrechtliche Abteilungen des Bundesgerichts] vom 8. September 2000, C 184/00, E. 1 unten, e contrario). Die Beschwerdeführerin war demnach berechtigt, die Stelle auch ohne Anschlussstelle zu kündigen, weshalb keine Sanktion erfolgen durfte.

    5. In Würdigung der gesamten Umstände ist davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin im Sinne des IAO-Abkommens (vgl. Erwägung 1.3) unfreiwillig die Beschäftigung aufgegeben bzw. legitime Gründe für die Kündigung vorgebracht hat. Es ist daher im Lichte des Übereinkommens von der Unzumutbarkeit der Fortführung des Arbeitsverhältnisses auszugehen. Ihr war ein weiterer Verbleib bei der ehemaligen Arbeitgeberin über die ordentliche Kündigungsfrist hinaus nicht mehr zumutbar, weshalb der Tatbestand der selbstverschuldeten Arbeitslosigkeit nicht erfüllt ist. Eine Einstellung nach Art. 30 Abs. 1 lit. a AVIG in Verbindung mit Art. 44 Abs. 1 lit. b AVIV fällt somit ausser Betracht.

3.

    1. Nach dem Gesagten ist die Beschwerde gutzuheissen und der angefochtene

      Einspracheentscheid vom 19. Oktober 2016 ist aufzuheben.

    2. Gerichtskosten sind keine zu erheben (Art. 61 lit. a des Bundesgesetzes über den

      Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts [ATSG; SR 830.1]).

    3. Gemäss Art. 61 lit. g ATSG hat die obsiegende Partei Anspruch auf Ersatz der Parteikosten. Die Parteientschädigung wird vom Versicherungsgericht festgesetzt und ohne Rücksicht auf den Streitwert nach der Bedeutung der Streitsache und nach der

Schwierigkeit des Prozesses bemessen. In der Verwaltungsrechtspflege beträgt das Honorar vor Versicherungsgericht nach Art. 22 Abs. 1 lit. b HonO (sGS 963.75) pauschal Fr. 1'000.-bis Fr. 12'000.--. Das Versicherungsgericht gewährt in arbeitslosenversicherungsrechtlichen Streitigkeiten mit vergleichbarem Aufwand grundsätzlich eine pauschale Entschädigung von Fr. 3'000.--. Im vorliegenden Fall, den die Rechtsvertreterin parallel zur Beschwerde AVI 2016/69 betreffend den Ehemann der Beschwerdeführerin führte, erscheint auf Grund des sich beinahe deckenden Sachverhalts und derselben Fragestellungen eine pauschale Parteientschädigung von Fr. 2'250.-- (inklusive Barauslagen und Mehrwertsteuer) als angemessen.

Entscheid

im Zirkulationsverfahren gemäss Art. 39 VRP

1.

In Gutheissung der Beschwerde wird der Einspracheentscheid vom 19. Oktober 2016 aufgehoben.

2.

Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.

Die Beschwerdegegnerin hat der Beschwerdeführerin eine Parteientschädigung von Fr. 2'250.-- (einschliesslich Barauslagen und Mehrwertsteuer) zu bezahlen.

Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.

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