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Urteil Versicherungsgericht (SG - AVI 2007/57)

Zusammenfassung des Urteils AVI 2007/57: Versicherungsgericht

Der Beschwerdeführer hat Arbeitslosenentschädigung beantragt, während er gleichzeitig IV-Taggeld bezog. Nach einer Vereinbarung zwischen den Sozialversicherungsträgern und dem Versicherten wurde festgelegt, dass er vorläufig zu 50 % arbeitsfähig sei. Später erhielt er eine ganze Invalidenrente rückwirkend ab November 2005. Die Arbeitslosenkasse forderte daraufhin zu viel bezahlte Leistungen zurück. Der Versicherte legte Einspruch ein, der jedoch abgelehnt wurde. In der Folge wurde beschlossen, dass die Rückforderung der Taggeldleistungen gerechtfertigt sei, da die Vereinbarung keine definitive Leistungszusprache enthielt und die IV-Rente als erhebliche neu entdeckte Tatsache angesehen wurde. Das Gericht bestätigte die Rückforderung und wies die Beschwerde ab.

Urteilsdetails des Verwaltungsgerichts AVI 2007/57

Kanton:SG
Fallnummer:AVI 2007/57
Instanz:Versicherungsgericht
Abteilung:AVI - Arbeitslosenversicherung
Versicherungsgericht Entscheid AVI 2007/57 vom 07.11.2007 (SG)
Datum:07.11.2007
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:Entscheid Auch ein Vergleich im Sinne von Art. 50 ATSG kann sowohl in Wiedererwägung als auch in Revision gezogen werden, sofern deren Voraussetzungen erfüllt sind. Für die Verrechnung zwischen der ALV und der IV als vor- und hauptleistungspflichte Sozialversicherungsträger kann auf ein Rückkommenstitel wie Wiedererwägung oder prozessuale Revision verzichtet werde, da sowohl Rückforderung als auch Verrechnung die zwangsläufige Folge davon sind, dass der definitiv leistungspflichtige Sozialversicherungszweig nicht mit dem vorleistungspflichtigen Zweig identisch ist. Indem Satz 2 von Art. 95 Abs. 1bis AVIG die Rückforderung auf die Höhe der von der Invalidenversicherung, bzw. der in Satz 1 genannten Institutionen, für denselben Zeitraum ausgerichteten Leistungen beschränkt, wird dem verfassungsrechtlichen Vertrauensschutz im Bereich der Arbeitslosenversicherung ausreichend Rechnung getragen, ohne dass ein Rückkommenstitel wie die Wiedererwägung oder die Revision notwendig wäre. (Entscheid Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen vom 7. November 2007, AVI 2007/57)
Schlagwörter: Leistung; Vereinbarung; Leistungen; Taggeld; Verfügung; Arbeitslosenkasse; Recht; Quot; Rückforderung; Vergleich; Unfall; Arbeitsunfähigkeit; Arbeitslosenversicherung; Vorleistung; Rechtsprechung; Vertrauens; Wiedererwägung; Revision; Gesundheitszustandes; Taggelder; Einsprache; Zeitpunkt; Regelung; Taggeldleistungen; Invalidenrente
Rechtsnorm: Art. 1 AVIG;Art. 25 ATSG ;Art. 50 ATSG ;Art. 53 ATSG ;Art. 69 ATSG ;Art. 70 ATSG ;Art. 71 ATSG ;Art. 94 AVIG;Art. 95 AVIG;
Referenz BGE:-
Kommentar:
-

Entscheid des Verwaltungsgerichts AVI 2007/57

Präsidentin Lisbeth Mattle Frei, Versicherungsrichterinnen Karin Huber-Studerus und Marie-Theres Rüegg Haltinner; Gerichtsschreiberin Iris Scherer

Entscheid vom 7. November 2007

In Sachen M. ,

Beschwerdeführer,

vertreten durch Rechtsanwalt lic. iur. Roland Hochreutener, Vadianstrasse 44, Post-

fach 262, 9001 St. Gallen,

gegen

Kantonale Arbeitslosenkasse, Davidstrasse 21, 9001 St. Gallen,

Beschwerdegegnerin, betreffend

Rückerstattung von Taggeldleistungen (Koordination mit IV-Leistungen) hat das Versicherungsgericht in Erwägung gezogen:

I.

A.- a) Am 4. Oktober 2005 stellte M. bei der Arbeitslosenkasse St. Gallen Antrag auf Arbeitslosenentschädigung ab 1. November 2005 (act. G 3.4). Im Rahmen einer IV- finanzierten Umschulung zum Hauswart hatte er vom 13. September 2003 bis zum 31. Oktober 2005 IV-Taggeld bezogen (act. G 3.2). Am 2. Mai 2000 hatte der Versicherte einen Unfall erlitten, der eine schwere Verletzung der linken Schulter zur Folge hatte.

Aufgrund seines instabilen Gesundheitszustandes mit schwankender Arbeitsunfähigkeit bezog der Versicherte ab 1. November 2005 teils Leistungen von der SUVA, teils von der Arbeitslosenkasse.

  1. Am 25. Juli 2006 fand unter den beteiligten Sozialversicherungsträgern (IV, SUVA, RAV/ ALK) und dem Versicherten sowie dessen Vertreter ein Gespräch statt. Dabei wurde u.a. von der SUVA eine hälftige Kostenteilung mit der Arbeitslosenkasse vorgeschlagen, da immer noch offen sei, was für unfallkausale Beschwerden vorliegen würden. Die Arbeitslosenkasse hielt diesem Vorschlag entgegen, dass nach wie vor eine 100% Arbeitsunfähigkeit ärztlich bestätigt sei, weshalb sie keine Leistungen erbringen könne (act. G 3.95). Am 26. Juli 2006 gelangte der SUVA-Kreisarzt, Dr. med. A. , an den behandelnden Spezialisten Prof. Dr. B. und ersuchte diesen um Stellungnahme zur Frage, ob der Versicherte aus medizinischer Sicht im Rahmen eines Beschäftigungsprogramms des RAVs eine 50%ige Tätigkeit aufnehmen könnte (act G.

    1.3). Gemäss Schreiben vom 2. August 2006 war jener der Ansicht, dass eine Teilzeitberufstätigkeit im Rahmen eines Beschäftigungsprogramms versucht werden könne, soweit auch der primär behandelnde Arzt, Dr. med. C. , dies unterstütze (act. G 1.4). In der Folge wurde im Unfallschein eine 50% Arbeitsunfähigkeit ab 12. August 2006 attestiert (act. G 3.104).

  2. Am 16. /17. bzw. 22. August 2006 unterzeichneten die SUVA, der Versicherte und die Arbeitslosenkasse eine vom Vertreter des Versicherten aufgesetzte Vereinbarung. Im Hinblick auf die Schaffung stabiler Verhältnisse und zur Vermeidung künftiger Abgrenzungsprobleme zwischen den Sozialversicherungsträgern beschlossen die Beteiligten aufgrund einer gemeinsamen Besprechung vom 26. Juli 2006 (gemeint ist wohl jene vom 25. Juli 2006) und gestützt auf die medizinische Beurteilung durch Dr. med. C. vom 11. August 2006, dass der Versicherte ab 14. August 2006 "bis auf Weiteres und vorbehältlich einer wesentlichen Veränderung seines Gesundheitszustandes einstweilen" als zu 50 % arbeitsfähig für eine leichte, angepasste Tätigkeit gelte. Die SUVA werde rückwirkend ab dem 1. Juli 2006 ein Taggeld in der Höhe von Fr. 116.85 (Basis 100% Arbeitsunfähigkeit) ausrichten und das Taggeld ab dem 14. August 2006 auf 50% reduzieren, während die Arbeitslosenkasse ab dem 14. August 2006 auf der Basis einer 50-prozentigen Arbeitsunfähigkeit ein Taggeld in der Höhe von Fr. 67.70 ausrichten würde. Nach Vorliegen des MEDAS-Gutachtens werde aufgrund der neu vorliegenden Resultate zur Arbeits- und Vermittlungsfähigkeit Stellung bezogen (act. G 3.99 = 1.5). Die Arbeitslosenkasse richtete ab 14. August 2006 die entsprechenden Taggelder aus (vgl. Taggeldabrechnungen August, September, Oktober und November 2006, in welchen statt des versicherten Verdienstes die Anzahl Taggelder reduziert wurde [act. G 3.106, 3.112,3.114 und 3.120]).

  3. Mit Verfügung vom 3. April 2007 sprach die IV-Stelle dem Versicherten mit Wirkung per 1. November 2005 bei einem Invaliditätsgrad von 100% eine ganze Invalidenrente zu (act. G 1.6). Mit Verfügung vom 29. März 2007 forderte die Arbeitslosenkasse vom Versicherten zuviel ausbezahlte Leistungen im Totalbetrag von Fr. 10'749.85 (netto) zurück. Davon könnten Fr. 9'575.65 direkt mit noch auszuzahlenden Leistungen der Ausgleichskasse X. verrechnet werden. Der Restbetrag von Fr. 1'174.20 würde

allfällig mit Leistungen anderer Sozialversicherungen verrechnet dann abgeschrieben werden (act. G 3.140).

B.- Mit Schreiben vom 13. April 2007 liess der Versicherte Einsprache gegen diese Verfügung erheben und beantragen, die Verfügung vom 29. März 2007 sei aufzuheben (act. G 3.143). Mit Einspracheentscheid vom 19. April 2007 wies die Arbeitslosenkasse die Einsprache ab. Bei der rückwirkenden Zusprache einer Invalidenrente handle es sich um eine neue Tatsache, weshalb eine Rückforderung der Taggelder zulässig sei. Da beim Einsprecher eine Invalidität von 100% ausgewiesen sei, werde der versicherte Verdienst auf null Prozent festgelegt, weshalb eine vollständige Rückforderung der Taggelder erfolgen müsse. Daran könne auch die im August 2006 zwischen der SUVA und der Arbeitslosenkasse geschlossene Vereinbarung nichts ändern (act. G 1.1 3.144).

C.- a) Am 18. Mai 2007 lässt der Versicherte Beschwerde führen und beantragen, der Einspracheentscheid vom 19. April 2007 sei insoweit aufzuheben, als sich die Rückforderung auf Taggeldleistungen in der Zeit vom 14. August 2006 bis zum 17. November 2006 beziehe, unter Kosten- und Entschädigungsfolge. Für die Zeit ab 14. August 2006 sei die Frage der Arbeits- bzw. Vermittlungsfähigkeit mit Vergleich vom 16./17./22. August 2006 unter den Parteien abschliessend und verbindlich geregelt worden, um die zu diesem Zeitpunkt seit längerem bestehende Unsicherheit zu beseitigen. Anders als in den mit Verfügung des Sozialversicherungsträgers erledigten Fällen könne ein Vergleich nach der Rechtsprechung nur bei Verfahrens- und Willensmängeln in Frage gestellt werden. Eine nachträgliche Sachverhalts- und Angemessenheitskontrolle sei ausgeschlossen. Die Tatsache, dass die IV-Stelle nachträglich eine Invalidenrente zuspreche, stelle weder einen Willens- noch einen Verfahrensmangel dar. Für die Zeit vom 14. August 2006 bis 17. November 2006 sei dementsprechend zufolge verbindlicher und abschliessender Vereinbarung eine Rückforderung ausgeschlossen (act. G 1). Auf die weitere Begründung wird soweit notwendig in den Erwägungen eingegangen.

  1. Mit Beschwerdeantwort vom 30. Mai 2007 beantragt die Beschwerdegegnerin die Abweisung der Beschwerde. In der Vereinbarung werde lediglich festgehalten, dass der Beschwerdeführer bis auf weiteres vorbehältlich einer wesentlichen Änderung seines

    Gesundheitszustandes zu 50% arbeitsfähig sei. Diese wesentliche Veränderung des Gesundheitszustandes sei nun eingetreten, habe die IV den Beschwerdeführer doch nun rückwirkend als 100% arbeitsunfähig angesehen. Auch handle es sich bei der Vereinbarung nicht um einen Vergleich im Sinne des ATSG, mit dem eine gerichtliche Auseinandersetzung hätte vermieden werden sollen. Es seien lediglich zur Klärung des "Ist-Zustandes" zum damaligen Zeitpunkt die Rahmenbedingungen festgelegt worden. Es sei der Arbeitslosenkasse nicht möglich, Leistungen zu erbringen, wenn ein IV-Grad von 100% ausgewiesen sei (act. G 3).

  2. Auf eine Replik wurde verzichtet (act. G 4 und 5).

II.

1.- Der Beschwerdeführer hat in der Zeit vom 1. November 2005 bis 17. November 2006 insgesamt Fr. 10'749.85 netto an Arbeitslosenentschädigung bezogen. Im Beschwerdeverfahren strittig ist nur noch, ob der Beschwerdeführer die Taggeldleistungen der Arbeitslosenkasse in der Zeit vom 14. August 2006 bis 17. November 2006 gestützt auf die Vereinbarung vom 16./17./22. August 2006 nicht zurückzuerstatten hat.

2.- a) Nach Art. 50 Abs. 1 ATSG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 AVIG können Streitigkeiten über arbeitslosenversicherungsrechtliche Leistungen durch Vergleich erledigt werden. Der Versicherungsträger hat den Vergleich in Form einer anfechtbaren Verfügung zu eröffnen (Art. 50 Abs. 2 ATSG).

b) Die Invalidenversicherung war an der Vereinbarung vom 16./17./22. August nicht beteiligt. Somit war das Verhältnis ALV- IV nicht von der Vereinbarung betroffen und die Vereinbarung konnte dahingehend überhaupt keine Wirkung erzielen. Daher kann auch aus der Präambel "im Hinblick auf die Schaffung stabiler Verhältnisse und zur Vermeidung künftiger Abgrenzungsprobleme zwischen den Sozialversicherungsträgern" nichts zugunsten des Beschwerdeführers abgeleitet werden. Da unbestrittenermassen ein Unfall Anlass für diverse Operationen im Verlauf der Rahmenfrist war und die Arbeitsfähigkeit dementsprechend schwankte (vgl. act. G

3.30 und 3.104), ging es um eine vorläufige Aufteilung der Leistungspflichten zwischen

der Unfall- und der Arbeitslosenversicherung. Die SUVA wünschte sich eine Kostenteilung mit der Beschwerdegegnerin, da die Unfallkausalität der Beschwerden zu diesem Zeitpunkt in Frage gestellt war und die Arbeitslosenversicherung gegenüber der Unfallversicherung gemäss Art. 70 Abs. 2 lit. b ATSG vorleistungspflichtig ist. Aus den Akten geht aber hervor, dass die Beschwerdegegnerin anlässlich des Gespräches vom 25. Juli 2006 klar kommuniziert hatte, dass sie bei einer Arbeitsunfähigkeit von 100% keine Leistungen erbringen kann (act. G 3.95). Daraufhin wurde die Arbeitsunfähigkeit ärztlich geprüft und probeweise auf 50% gesenkt (act. G 3.104). Die Formulierung "bis auf Weiteres und vorbehältlich einer wesentlichen Veränderung seines Gesundheitszustandes einstweilen" weist explizit auf die Vorläufigkeit dieser Regelung hin. Das Ergebnis des erwarteten MEDAS-Gutachten wurde ausserdem in Ziffer 4 ausdrücklich vorbehalten, was ebenfalls für die Vorläufigkeit der Regelung spricht. Eine definitive Leistungszusprache der Beschwerdegegnerin gegenüber dem Beschwerdeführer kann mithin weder der Vereinbarung selbst noch den Umständen entnommen werden. Aber selbst wenn in der Vereinbarung eine definitive Leistungszusprache gesehen werden könnte, wäre die Beschwerdegegnerin befugt, auf diese zurückzukommen, wie nachfolgend zu zeigen ist.

3.- a) Ein öffentlich-rechtlicher Vertrag ist nach Lehre und Rechtsprechung zum allgemeinen Verwaltungsrecht nur zulässig, soweit das Gesetz (ausdrücklich sinngemäss) dafür Raum lässt, da im öffentlichen Recht grundsätzlich das Legalitätsprinzip gilt. Soweit der Verwaltung ein Ermessens- Beurteilungsspielraum zukommt sowie zur Regelung von Ungewissheiten über den Sachverhalt kann der Verfügungsinhalt durch Vereinbarung festgelegt werden. Es darf aber nicht von zwingenden Rechtsvorschriften von einer als richtig erkannten Gesetzeslage abgewichen werden. Ist ein rechtswidriger öffentlich-rechtlicher Vertrag dennoch abgeschlossen worden, steht dies im Widerspruch zum Legalitätsprinzip, weshalb er grundsätzlich widerrufen werden kann. Dabei ist allerdings auf Grund des Vertrauensprinzips eine Abwägung zwischen dem Interesse an der Durchsetzung des richtigen Rechts und dem Schutz des berechtigten Vertrauens vorzunehmen; insoweit gelten für den Widerruf von Verträgen grundsätzlich die gleichen Anforderungen wie für den Widerruf von Verfügungen. Diese Grundsätze gelten gleichermassen für den Vergleich im Sinne von Art. 50 ATSG (vgl. BGE vom 10. Mai 2006 [U 378/05] E. 4.3 und

4.4 mit Hinweisen).

b) Die bundesgerichtliche Rechtsprechung hat im allgemeinen Verwaltungsrecht bestimmte Regeln über die Zulässigkeit des Widerrufs der Anpassung ursprünglich rechtsfehlerhafter Verfügungen entwickelt. Im Bereich des Sozialversicherungsrechts ist indessen die Wiedererwägung rechtskräftiger Verfügungen durch Art. 53 Abs. 2 ATSG positivrechtlich geregelt worden, in Bezug auf die Rückerstattung bereits ausbezahlter Leistungen ergänzt durch Art. 25 ATSG. Diese gesetzliche Regelung konkretisiert in ihrem Anwendungsbereich den verfassungsrechtlichen Vertrauensschutz. Die Abwägung zwischen der Durchsetzung des objektiven Rechts und dem Interesse an der Bestandeskraft der Verfügung ist damit durch den Gesetzgeber abstrakt und verbindlich vorgenommen worden. Mit der richtigen Anwendung von Art. 53 Abs. 2 ATSG ist damit auch dem Vertrauensschutz Genüge getan, dies vorbehältlich jener Situationen, in welchen sämtliche Voraussetzungen für eine - gestützt auf Vertrauensschutz - vom Gesetz abweichende Behandlung gegeben sind, woran es hier im vorliegenden Fall insbesondere mit Bezug auf das Erfordernis einer getätigten und ausgewiesenen Disposition fehlt. Auch der Vergleich im Sinne von Art. 50 ATSG, bzw. die ihn bestätigende Verfügung, kann somit grundsätzlich unter den gleichen Voraussetzungen wie eine ursprünglich fehlerhafte Verfügung, d.h. nach den Kriterien von Art. 53 Abs. 2 ATSG, in Wiedererwägung gezogen werden (vgl. BGE vom 10. Mai 2006 [U 378/05] E. 4.5 mit Hinweisen). Wenn eine Wiedererwägung in Betracht fällt, dann muss das umso mehr auch für eine Revision gelten. Denn bei einer Revision wird immerhin vorausgesetzt, dass neue Tatsachen und Beweismittel vorliegen, die im Zeitpunkt des Vergleichs bzw. der bestätigenden Verfügung unverschuldet nicht bekannt waren. Eine Wiedererwägung kommt demgegenüber auch in Betracht, wenn die zweifellose Unrichtigkeit auf offensichtliche, verschuldete Fehler zurückzuführen ist (vgl. Ueli Kieser, ATSG- Kommentar 2003, Art. 53). Ein Rückkommen auf die vorliegende Vereinbarung ist also sowohl unter den Voraussetzungen der Wiedererwägung als auch der Revision möglich und nicht nur aufgrund von Verfahrens- Willensmängeln.

c) Die nachträgliche Zusprechung einer Invalidenrente gilt nach konstanter höchstrichterlicher Rechtsprechung als erhebliche neu entdeckte Tatsache und somit als Rückkommenstitel (vgl. Hans-Ulrich Stauffer, Rechtsprechung des Bundesgerichts zum Sozialversicherungsrecht, Bundesgesetz über die obligatorische Arbeitslosenversicherung und Insolvenzentschädigung, Art. 95 Abs. 1 und Thomas

Nussbaumer in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht, 2. Auflage, Soziale Sicherheit, O, N 89 mit Hinweisen). Damit ist im vorliegenden Fall ein Zurückkommen auf die Vereinbarung im Rahmen einer Revision möglich, da dem Beschwerdeführer nachträglich eine ganze IV-Rente zugesprochen worden ist. Der Weg über die Revision ist indes, wie aufzuzeigen ist, bei der Rückabwicklung von Vorleistungen unnötig.

4.- Die Rückforderung von Leistungen wird im Bereich der Arbeitslosenversicherung in Art. 94 AVIG und Art. 95 AVIG i.V.m. Art. 25, Art. 70 und 71 ATSG geregelt. Art. 95 Abs. 1bis AVIG bestimmt, dass eine versicherte Person, die wie der Beschwerdeführer Arbeitslosenentschädigung bezogen hat und später für denselben Zeitraum Renten Taggelder der Invalidenversicherung erhält, zur Rückerstattung der in diesem Zeitraum bezogenen Arbeitslosentaggelder verpflichtet ist. Dies entspricht der Regelung von Art. 25 Abs. 1 Satz 1 ATSG, auf welchen Art. 95 Abs. 1 AVIG verweist, wonach unrechtmässig bezogene Leistungen zurückzuerstatten sind, mit dem Unterschied, dass die Vorleistung nicht von vornherein unrechtmässig ist, sondern erst in dem Zeitpunkt unrechtmässig wird bzw. zu werden droht, in dem die Leistung des effektiv leistungspflichtigen Sozialversicherungsträgers fällig wird und somit sowohl ein Koordinationsfall betreffend Sozialversicherungsleistungen vorliegt als auch die Gefahr von Überentschädigung nach Art. 69 ATSG besteht. Die Vorleistungspflicht selbst wird in Art. 70 ATSG geregelt. Danach ist die Arbeitslosenversicherung, also die Beschwerdegegnerin, vorleistungspflichtig für Leistungen, deren Übernahme wie hier u.

a. durch die Arbeitslosenversicherung, Unfallversicherung Invalidenversicherung umstritten ist. Entsprechend dieser Konstruktion regelt Art. 71 ATSG die Verrechnung unter den im Koordinationsfall beteiligten Versicherungsträgern, indem er bestimmt, dass wenn ein Fall von einem anderen Träger übernommen wird, dieser die Vorleistungen im Rahmen seiner Leistungspflicht an den vorleistungspflichtigen Versicherungsträger zurückzuerstatten hat. Die IV hat also der Beschwerdegegnerin die Vorleistungen im vorliegenden Fall zurückzuerstatten, soweit sie leistungspflichtig ist, da sie sich als die definitiv Leistungspflichtige herausgestellt hat. Indem Satz 2 von Art. 95 Abs. 1bisAVIG die Rückforderung auf die Höhe der von der Invalidenversicherung, bzw. der in Satz 1 genannten Institutionen, für denselben Zeitraum ausgerichteten Leistungen beschränkt, wird dem verfassungsrechtlichen Vertrauensschutz im Bereich der Arbeitslosenversicherung ausreichend Rechnung getragen, ohne dass ein Rückkommenstitel wie die Wiedererwägung die Revision notwendig wäre (vgl. zu

diesem Thema auch Franz Schlauri, Die zweigübergreifende Verrechnung und weitere Instrumente der Vollstreckungskoordination des Sozialversicherungsrechts, in: Sozialversicherungsrechtstagung 2004, S. 171ff.).

5.- a) Aufgrund obiger Erwägungen ist die Beschwerdegegnerin zu Recht auf die Vereinbarung vom 16./17. und 22. August 2006 bzw. die formlos erbrachten Taggeldleistungen zurückgekommen und hat die Rückforderung der Vorleistung verfügt: Einerseits kann in dieser Vereinbarung keine definitive Leistungszusprache der Beschwerdegegnerin gesehen werden und anderseits wäre darauf – selbst wenn ihr bindender Charakter zukäme – im Sinne der bundesgerichtlichen Rechtsprechung revisionsweise zurück zu kommen. Schliesslich könnte die umstrittene Rückforderung der Beschwerdegegnerin auch als Rückabwicklung der Vorleistungspflichten der Beschwerdegegnerin bestätigt werden. Der angefochtene Einspracheentscheid vom

19. April 2007 ist damit unter allen Gesichtspunkten zu bestätigen und die Beschwerde abzuweisen.

b) Gerichtskosten sind gemäss Art. 61 lit. a ATSG keine zu erheben.

Demgemäss hat das Versicherungsgericht

im Zirkulationsverfahren gemäss Art. 53 GerG entschieden:

  1. Die Beschwerde wird abgewiesen.

  2. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

Quelle: https://www.sg.ch/recht/gerichte/rechtsprechung.html
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