Kanton: | SG |
Fallnummer: | AK.2015.320 |
Instanz: | Kantonsgericht |
Abteilung: | Strafkammer und Anklagekammer |
Datum: | 06.01.2016 |
Rechtskraft: | - |
Leitsatz/Stichwort: | Entscheid Art. 310 Abs. 1 lit. a, Art. 37 und Art. 376 ff. StPO (SR 312.0). Keine Beschlagnahme und Einziehung im Rahmen von Nichtanhandnahmeverfügungen.Die eidgenössische Zollverwaltung stellte am Flughafen Zürich verdachtsweise unlautere Briefpostsendungen sicher. Das Staatsekretariat für Wirtschaft (SECO) erstattete daraufhin Strafanzeige gegen einen mit den Briefpostsendungen betrauten Logistikdienstleister aus dem Kanton St. Gallen. Gegen die daraufhin ergangene Nichtanhandnahmeverfügung erhob das SECO Beschwerde, wobei es jenem vor allem um die Beschlagnahme und Einziehung der sichergestellten Briefpostsendungen ging. Eine solche ist im Rahmen einer Nichtanhandnahmeverfügung jedoch nicht möglich. Denkbar bliebe ein selbständiges Einziehungsverfahren, für welches vorliegend im Kanton |
Zusammenfassung : | Die Staatsanwaltschaft eröffnet eine Untersuchung, wenn ein hinreichender Tatverdacht besteht, verzichtet jedoch darauf, wenn sofort eine Nichtanhandnahmeverfügung oder ein Strafbefehl erlassen werden kann. Eine Nichtanhandnahmeverfügung darf nur in klaren Fällen ergehen. Bei schwerwiegenden Ereignissen ist in der Regel eine Untersuchung durchzuführen. Es bedarf konkreter Anhaltspunkte für eine strafbare Handlung, um eine Strafuntersuchung zu eröffnen. Die Vorinstanz entschied, dass kein Anfangsverdacht gegen den Beschwerdegegner besteht und wies die Beschwerde ab. Die Beschwerdeführerin zielt nicht primär auf eine Verurteilung ab, sondern auf die Beschlagnahme und Einziehung von Postsendungen. Die Einziehung kann im Rahmen eines selbständigen Einziehungsverfahrens erfolgen, wenn keine strafrechtliche Verurteilung möglich ist. |
Schlagwörter : | Verfahren; Einziehung; Nichtanhandnahme; Beschwerdegegner; Nichtanhandnahmeverfügung; Untersuchung; Eröffnung; Verfahrens; Niklaus; Verfahren; Schweizerische; Prozessordnung; Handlung; Hinweise; Verurteilung; Gallen; Polizei; Anzeige; Tatverdacht; Prozessrechts; Schmid; Anhaltspunkte |
Rechtsnorm: | Art. 310 StPO ; Art. 320 StPO ; Art. 37 StPO ; |
Referenz BGE: | 137 IV 285; |
Kommentar: | Niklaus Schmid, Donatsch, Hans, Schweizer, Hansjakob, Lieber, Thomas, Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung [StPO], Art. 309 OR StPO SR, 1988 Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017 |
Aus den Erwägungen:
II. 2 Gemäss Art. 309 Abs. 1 lit. a StPO eröffnet die Staatsanwaltschaft eine Untersuchung, wenn sich aus den Informationen und Berichten der Polizei, aus der Strafanzeige aus ihren eigenen Feststellungen ein hinreichender Tatverdacht ergibt. Sie verzichtet auf die Eröffnung, wenn sie sofort eine Nichtanhandnahmeverfügung einen Strafbefehl erlässt. Sie verfügt nach Art. 310 Abs. 1 lit. a StPO die Nichtanhandnahme, sobald aufgrund der Strafanzeige des Polizeirapports feststeht, dass die fraglichen Straftatbestände die Prozessvoraussetzungen eindeutig nicht erfüllt sind. Eine Nichtanhandnahmeverfügung darf daher nur in sachverhaltsmässig und rechtlich klaren Fällen ergehen. Insbesondere bei Ereignissen mit schwerwiegenden Folgen ist in der Regel eine Untersuchung durchzuführen (BGE 137 IV 285, E. 2.3; Niklaus Oberholzer, Grundzüge des
Strafprozessrechts, 3. Aufl., Bern 2012, N 1376). Demgegenüber ist ein Verfahren mangels Straftatbestands regelmässig nicht an die Hand zu nehmen, wenn es eine rein zivilrechtliche Streitigkeit zum Gegenstand hätte (BGer. 6B_981/2013, E. 3; BGer. 6B_235/2014, E. 3.2; BSK StPO - Ester Omlin, Art. 310 N 9; Niklaus Schmid, Schweizerische Strafprozessordnung, Praxiskommentar, Art. 310 N 3). Mit anderen Worten bedarf es für die Eröffnung einer Strafuntersuchung konkreter Anhaltspunkte für eine Handlung, die tatsächlich strafbar ist. Bestehen keine solchen Anhaltspunkte steht zum Vornherein fest, dass die in Frage stehende Handlung nicht strafbar ist, ist die Eröffnung des Untersuchungsverfahrens zu verweigern. Die erforderlichen tatsächlichen Hinweise auf eine strafbare Handlung müssen konkreter Natur sein, was dann der Fall ist, wenn eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die strafrechtliche Aburteilung des Beschuldigten spricht. Die Gesamtheit der tatsächlichen Hinweise muss die plausible Prognose zulassen, dass der Beschuldigte mit einiger Wahrscheinlichkeit verurteilt werden wird. Diese Prognose geht über die allgemeine theoretische Möglichkeit einer Verurteilung hinaus. Verlangt werden erhebliche Gründe, die für das Vorliegen eines Tatverdachtes sprechen (Nathan Landshut/Thomas Bosshard, in: Donatsch/ Hansjakob/Lieber, Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung [StPO], Art. 309 N 25; Niklaus Schmid, Handbuch des schweizerischen Strafprozessrechts, § 79 N 1228; ferner GVP 1988 Nr. 74; 1962
Nr. 47).
Die Vorinstanz verfügte die Nichtanhandnahme des Strafverfahrens gegen den Beschwerdegegner, weil dieser weder in objektiver noch subjektiver Hinsicht tatbestandsmässig gehandelt habe. Die Beschwerdeführerin bringt dagegen einzig vor, die sichergestellten Sendungen seien unlauter, weshalb ein Strafverfahren durchzuführen sei. Sie vermag indessen nicht zu begründen, wieso der Beschwerdegegner doch als Täter in Frage kommen könnte welche geeigneten Untersuchungshandlungen zur Verfügung stünden, um den (angeblichen) Verdacht gegen ihn weiter zu klären. Solches ist auch den Akten nicht zu entnehmen. Der Beschwerdegegner vermochte anlässlich seiner polizeilichen Einvernahme im Gegenteil glaubhaft darzulegen, dass er mit den fraglichen Sendungen einzig in seiner damaligen Funktion als selbständig erwerbender Postdienstleister in Kontakt kam, deren Inhalt aber weder kennt noch zu verantworten hat. Damit besteht kein Anfangsverdacht gegen den Beschwerdegegner, weshalb gegen ihn auch kein
Strafverfahren zu eröffnen ist. Die Beschwerdeführerin vermag sodann keine Hinweise auf allfällig weitere Tatverdächtige zu geben. Die Beschwerde ist entsprechend abzuweisen.
Den Eingaben der Beschwerdeführerin ist zu entnehmen, dass es ihr nicht in erster Linie um eine mögliche Verurteilung des Beschwerdegegners geht, sondern vor allem darum, im Rahmen der strafrechtlichen Verfahrenserledigung die Beschlagnahme und Einziehung der am Flughafen Zürich sichergestellten Postsendungen zu erwirken. Die von ihr geäusserte Rechtsauffassung, Art. 310 Abs. 2 StPO verweise auf Art. 320 Abs. 2 StPO, weshalb die Einziehung von Gegenständen auch im Rahmen einer Nichtanhandnahmeverfügung angeordnet werden könne bzw. müsse, ist allein aufgrund des Gesetzestextes zwar nachvollziehbar, aber dennoch unzutreffend. Da vor Erlass einer Nichtanhandnahmeverfügung kein Beweisverfahren durchgeführt wird, ist die Beurteilung der Einziehungsvoraussetzungen bei einem derartigen Verfahrensabschluss nicht möglich. Eine Einziehung fällt daher im Rahmen einer Nichtanhandnahmeverfügung ausser Betracht (Nathan Landshut/Thomas Bosshard, a.a.O., Art. 320 N 6b).
Sollen Gegenstände ausserhalb eines Strafverfahrens eingezogen werden, kann hingegen das selbständige Einziehungsverfahren nach Art. 376 ff. StPO anwendbar sein. Die Eröffnung eines solchen selbständigen Einziehungsverfahrens ist dann angezeigt, wenn die Voraussetzungen für eine Einziehung gegeben sein könnten, aber von vornherein feststeht, dass aus tatsächlichen rechtlichen Gründen eine strafrechtliche Verurteilung ausser Betracht fällt und infolgedessen kein Strafverfahren zu eröffnen ist (vgl. Christian Schwarzenegger, in: Donatsch/Hansjakob/Lieber, Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung [StPO], Art. 376 N 2f, m.w.H.).
Selbständige Einziehungen sind an dem Ort durchzuführen, an dem sich die einzuziehenden Gegenstände befinden (Art. 37 Abs. 1 StPO). Da sich die sichergestellten Postsendungen am Flughafen Zürich befinden und abgesehen vom allerdings unbegründeten Verdacht gegen den Beschwerdegegner kein Bezug zum Kanton St. Gallen auszumachen ist, ist die Vorinstanz nicht für einen allfälligen Entscheid über deren Einziehung zuständig.
Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.
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