Zusammenfassung des Urteils 7H 14 310: Kantonsgericht
Der Text handelt von einem Gerichtsverfahren, bei dem es um einen Angeklagten namens G.________ geht, der wegen Diebstahls, Sachbeschädigung und Hausfriedensbruch angeklagt ist. G.________ wollte einen anderen Anwalt als seinen offiziellen Verteidiger haben, was jedoch abgelehnt wurde, da das Recht des Angeklagten auf einen wirksamen Verteidiger nicht verletzt war. Das Gericht wies den Rekurs von G.________ ab und bestätigte das Urteil, wobei die Gerichtskosten von 330 CHF dem Angeklagten auferlegt wurden. Der Präsident des Gerichts war M. J.-F. Meylan, und die Richter waren M. Krieger und Mme Byrde.
Kanton: | LU |
Fallnummer: | 7H 14 310 |
Instanz: | Kantonsgericht |
Abteilung: | 4. Abteilung |
Datum: | 18.05.2015 |
Rechtskraft: | Dieser Entscheid ist rechtskräftig. |
Leitsatz/Stichwort: | Eine E-Mail-Einsprache genügt den Formvorschriften nicht. Reicht ein juristischer Laie innert Rechtsmittelfrist eine Einsprache per E-Mail ein, hat die Rechtsmittelinstanz – unter Vorbehalt, dass die Eingabe nicht gegen Treu und Glauben verstösst und bewusst erfolgte, um eine Fristerstreckung zu erwirken – dem Einsprecher eine kurze Nachfrist zur Behebung dieses Formmangels zu gewähren; nötigenfalls über die Rechtsmittelfrist hinaus. |
Schlagwörter : | Recht; Rechtsmittel; Eingabe; Einsprache; Frist; Vorinstanz; Kantons; E-Mail; Verbesserung; Entscheid; Unterschrift; Frist; Formvorschrift; Verwaltungsverfahren; Luzern; Urteil; Bundesgericht; Rechtsschrift; Kantonsgericht; Unrecht; Sachentscheid; Grundsatz; Schriftlichkeit; Vorschriften; Bundesgesetz; Behörde |
Rechtsnorm: | Art. 21 VwVG ;Art. 29 BV ;Art. 42 BGG ;Art. 60 BGG ;Art. 9 BV ; |
Referenz BGE: | 121 II 252; 122 V 320; |
Kommentar: | - |
Aus den Erwägungen:
2.
Das Kantonsgericht prüft auf Verwaltungsgerichtsbeschwerde hin die formellen Prozessvoraussetzungen, insbesondere die Frage, ob die Vorinstanz zu Recht auf ein Rechtsmittel eingetreten ist, von Amtes wegen (vgl. § 107 Abs. 1 des Gesetzes über die Verwaltungsrechtspflege [VRG; SRL Nr. 40]). Hat die Vorinstanz das Fehlen einer Eintretensvoraussetzung übersehen und ist sie deshalb zu Unrecht auf das Rechtsmittel eingetreten, hebt das Kantonsgericht den Entscheid von Amtes wegen auf, verbunden mit der Feststellung, dass auf das Rechtsmittel mangels Prozessvoraussetzung nicht eingetreten werden kann (vgl. BGE 122 V 320 E. 1; EVG-Urteil H 41/04 vom 19.10.2004 E. 1.1; Gygi, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Aufl. 1983, S. 73).
3.
3.1.
Gemäss § 107 Abs. 2 lit. e VRG setzt ein Sachentscheid eine fristund formgerechte Rechtsvorkehr voraus. Das Luzerner Verwaltungsverfahren ist vom Grundsatz der Schriftlichkeit geprägt (vgl. § 26 VRG). Ein Rechtsmittel ist - unter Vorbehalt abweichender Vorschriften des kantonalen des eidgenössischen Rechts schriftlich bei der Rechtsmittelinstanz einzureichen (§ 132 Abs. 1 VRG) und von der Partei ihrem Vertreter zu unterzeichnen (§ 133 Abs. 2 VRG). Schriftlichkeit bedeutet, dass der Erklärungsinhalt der Eingabe "verurkundet", d.h. in Schriftform auf einem dauerhaften Erklärungsträger (in der Regel auf einem Papierdokument) aufgezeichnet und festgehalten ist (Cavelti, in: Komm. zum Bundesgesetz über das Verwaltungsverfahren [Hrsg. Auer/Müller/Schindler], Zürich 2008, Art. 21 VwVG N 8). Dass die Unterschrift dabei eigenhändig zu erfolgen hat, ist mangels spezieller öffentlich-rechtlicher Vorschriften Art. 14 des Obligationenrechts (OR; SR 220) zu entnehmen (LGVE 2012 II Nr. 2 E. 4 b/bb).
Im Verfahren vor den Bundesbehörden ist der Grundsatz der Schriftlichkeit durch die elektronische Form erweitert worden. So können die Parteien ihre Eingaben der Behörde unter Beachtung gewisser Voraussetzungen elektronisch zustellen (Art. 21a Abs. 1 des Bundesgesetzes über das Verwaltungsverfahren [VwVG; SR 172.021]; Art. 42 Abs. 4 des Bundesgesetzes über das Bundesgericht [BGG; SR 173.110]) und die Behörde kann ihren Entscheid mit dem Einverständnis der Parteien elektronisch eröffnen (Art. 34 Abs. 1bis VwVG; Art. 60 Abs. 3 BGG). Die Möglichkeit einer elektronischen Eingabe ist im Luzerner Verwaltungsverfahren bis anhin nicht vorgesehen (vgl. zum Ganzen auch LGVE 2012 II Nr. 2 E. 4a/bb). Somit genügen Faxoder E-Mail-Eingaben im Verwaltungsverfahren des Kantons Luzern den Formvorschriften aktuell nicht (vgl. Steinmann, in: Die schweizerische Bundesverfassung Komm. [Hrsg. Ehrenzeller/Schindler/Schweizer/Vallender], 3. Aufl. 2014, Art. 29 BV N 30 m.w.H.). Der Kantonsrat des Kantons Luzern hat jedoch beschlossen, die elektronische Eingabe auch auf kantonaler Ebene einzuführen (vgl. Kantonsblatt Nr. 12 vom 21.3.2015, S. 857 ff.; Ablauf der Referendumsfrist 20.5.2015; voraussichtliches Inkrafttreten 1.9.2015).
3.2.
Die Beschwerdeführerin stellte der Vorinstanz ihre Einsprache in Form einer E-Mail zu. Gemäss den obigen Ausführungen genügt eine solche Eingabe den Formvorschriften an eine Rechtsmittelschrift nicht, da insbesondere eine eigenhändige Unterschrift fehlt. Abweichende Vorschriften des Kantons des eidgenössischen Rechts liegen nicht vor. Demnach waren im Zeitpunkt des vorinstanzlichen Entscheids die Voraussetzungen für einen Sachentscheid nicht gegeben und es hätte auf die Einsprache nicht eingetreten werden dürfen (§ 107 Abs. 2 lit. e VRG). Der von der Vorinstanz gleichwohl erlassene Sachentscheid ist demnach mangelhaft.
3.3.
Hat die Vorinstanz zu Unrecht eine materielle Prüfung vorgenommen, ist es dem Kantonsgericht verwehrt, eine inhaltliche Kontrolle des Einspracheentscheids vorzunehmen. M.a.W. bildet nicht der zu Unrecht auf die Inhaltskontrolle ausgeweitete Anfechtungsgegenstand die Schranke der gerichtlichen Prüfung, sondern allein der rechtmässige, hier auf die Aufhebung mangels Sachurteilsvoraussetzungen limitierte Anfechtungsgegenstand. Auf die Vorbringen der Beschwerdeführerin hinsichtlich der Rechtmässigkeit der im angefochtenen Entscheid verfügten Massnahmen ist deshalb im vorliegenden Beschwerdeverfahren nicht einzutreten.
3.4.
Da die Einsprache der Beschwerdeführerin vom 4. Oktober 2014 nicht formgerecht erfolgte und die Vorinstanz kein Sachurteil hätte fällen dürfen, ist der angefochtene Entscheid somit aufzuheben.
4.
Zu prüfen bleibt, ob die Vorinstanz der Beschwerdeführerin eine Nachfrist zur Verbesserung ihrer mangelhaften Eingabe gewähren muss.
4.1.
§ 135 VRG sieht eine Nachfrist zur Verbesserung einer mangelhaften Rechtsmittelschrift wegen fehlender Unterschrift nicht explizit vor. Allerdings ergibt sich eine solche Pflicht aus dem sich aus Art. 29 Abs. 1 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft (BV; SR 101) ableitbaren Verbot des überspitzten Formalismus. So wird gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ein Nichteintreten zum überspitzten Formalismus, wenn zur Behebung des Mangels keine kurze, allenfalls über die Beschwerdefrist hinausreichende Nachfrist angesetzt wird (BGer-Urteil 1C_39/2013 vom 11.3.2013 E. 2.3; vgl. auch Steinmann, a.a.O., Art. 29 BV N 30 m.w.H.; vgl. auch den inzwischen überholten LGVE 1974 III Nr. 9). Auf die Gewährung einer Nachfrist kann dagegen verzichtet werden, wenn die mangelhafte Eingabe gegen das Gebot des Handelns nach Treu und Glauben verstösst und sie bewusst gar rechtsmissbräuchlich erfolgte, um das Einräumen einer Nachfrist für die Begründung zu erwirken (BGE 121 II 252 E. 4b; Steinmann, a.a.O., Art. 29 BV N 30 m.w.H.).
4.2.
Bei einer per Fax eingereichten Rechtsschrift hat das Bundesgericht eine Heilung durch Nachreichen einer Rechtsschrift mit Originalunterschrift nach Ablauf der Beschwerdeoder Vernehmlassungsfrist bis anhin abgelehnt (BGE 121 II 252 E. 4; BGer-Urteil 9C_739/2007 vom 28.11.2007 E 1.2). Das Bundesgericht geht davon aus, dass die Partei, welche eine Rechtsschrift mit Fax einreicht, bereits von vornherein weiss (bzw. wissen müsste), dass damit gegen das Unterschrifterfordernis verstossen wird und das Ansetzen einer Nachfrist daher nicht in Betracht kommt. Somit misst das Bundesgericht insbesondere mit Blick auf die Wahrung von Fristen per Fax eingereichten Rechtsschriften keine Rechtswirkung bei. Dies hat zur Folge, dass auf ein per Fax eingereichtes Rechtsmittel nicht eingetreten werden muss, wenn eine Verbesserung durch Nachbringen der Original-Unterschrift innerhalb der gebotenen (Rechtsmittel-) Frist nicht möglich ist; andernfalls hat die Behörde die betreffende Partei nach dem Grundsatz von Treu und Glauben (Art. 9 BV) auf den Mangel aufmerksam zu machen und ihr so die Verbesserung ihrer Eingabe bzw. die Beseitigung des Mangels innert noch laufender Frist zu ermöglichen (vgl. Urteil des Kassationsgericht des Kantons Zürich AA100009 vom 25.10.2010 E. II 5b/dd). Diese für die Fax-Mitteilung gemachten Aussagen müssen sodann auch für eine E-Mail-Eingabe gelten (vgl. zum Ganzen auch Merz, Basler Komm., 2. Aufl. 2011, Art. 42 BGG N 35). Diese Praxis stösst allerdings bei Lehre und Praxis auf Kritik und gilt als inzwischen überholt (vgl. Merz, a.a.O., Art. 42 BGG N 35; Urteil des Kassationsgericht des Kantons Zürich AA100009 vom 25.10.2010 E. II).
4.3.
In den Beanstandungsprotokollen vom 2. Oktober 2014 belehrte der Veterinärdienst folgendes Rechtsmittel: "Gegen diesen Entscheid kann innert 5 Tagen nach Empfang Einsprache erhoben werden beim kantonalen Veterinärdienst Luzern (§ 17 KFHyV)".
Reicht ein juristischer Laie gestützt auf eine solch knappe Rechtsmittelbelehrung seine Einsprache nicht schriftlich und mit eigenhändiger Unterschrift, sondern per E-Mail ein, lässt sich daraus nicht ohne weiteres ein rechtsmissbräuchliches Verhalten erblicken. Vielmehr müssten hierfür Anhaltspunkte vorliegen, dass dem Betroffenen trotz des fehlenden Hinweises auf die erforderliche Form in der Rechtsmittelbelehrung bekannt war, dass die Eingabe schriftlich zu erfolgen hat und er diese Formvorschrift bewusst missachtete, um eine Nachfrist zur Verbesserung seiner Eingabe zu erhalten. Solche Anhaltspunkte liegen vorliegend nicht vor. So ist nicht bekannt, dass den Verfügungen vom 2. Oktober 2014 ein anderweitiges Verfahren vorausging, aus welchem die Beschwerdeführerin von der Formvorschrift hätte wissen können (bzw. müssen). Auch führte sie und die Vorinstanz ihre Korrespondenz bis zum Einspracheentscheid per E-Mail. Es erstaunt daher nicht, dass die Beschwerdeführerin der Annahme war, sie könne in dieser Form ebenfalls Einsprache erheben. Die Beschwerdeführerin sendete sodann ihre E-Mail-Einsprache bereits am 4. Oktober 2014 und somit lediglich zwei Tage nach Erlass der angefochtenen Verfügungen. Sie missachtete die Formvorschrift somit nicht um die Frist wahren zu können, vielmehr hätte sie genügend Zeit gehabt, um ihre Eingabe fristgerecht in Schriftform einzureichen, bzw. die Vorinstanz hätte sie innert der noch laufenden Frist auf den Formmangel hinweisen müssen. So bat die Beschwerdeführerin denn auch in ihrer E-Mail-Einsprache um Mitteilung, ob die Einsprache so akzeptiert werden könne, worauf die Vorinstanz jedoch nicht reagierte. Im Übrigen erhielt die per E-Mail zugestellte Einsprache bereits eine Begründung; die Beschwerdeführerin hatte daher ebenfalls keinen Grund, um durch Nichtbeachten der Formvorschriften eine Frist zur Verbesserung ihrer Beschwerde und insbesondere der Begründung zu erlangen. Es liegen somit keine Gründe vor, dass die E-Mail-Eingabe der Beschwerdeführerin aus einem anderen Grund als Unwissen erfolgte, was einem Laien bei dieser Rechtsmittelbelehrung auch nicht vorgehalten werden darf.
Im vorliegenden Fall erweist es sich somit als stossend, in Anlehnung an die bundesgerichtliche Praxis keine Nachfrist zur Verbesserung der Rechtsmitteleingabe zu gewähren. Somit hat die Vorinstanz der Beschwerdeführerin eine kurze Nachfrist zur Bereinigung des Formmangels ihres Rechtsmittels zu setzen.
5.
Dem Gesagten nach ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ohne materielle Beurteilung aus prozessualen Gründen gutzuheissen, soweit darauf einzutreten ist.Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.
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