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Urteil Obergericht (LU)

Kopfdaten
Kanton:LU
Fallnummer:30 00 12
Instanz:Obergericht
Abteilung:II. Kammer
Obergericht Entscheid 30 00 12 vom 17.05.2001 (LU)
Datum:17.05.2001
Rechtskraft:Diese Entscheidung ist rechtskräftig.
Leitsatz/Stichwort:Art. 7 Abs. 1 des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes. Das Adoptivkind hat einen absoluten Anspruch auf Bekanntgabe der Identität seiner leiblichen Eltern.
Schlagwörter : Recht; Leibliche; Leiblichen; Kindes; Abstammung; Adoptivkind; Gesuchsteller; Gesuchsgegnerin; Identität; Regierungsrat; Entscheid; Beschwerde; Eltern; Anspruch; Regierungsstatthalter; Person; Daten; Schweizerische; Adoptionsgeheimnis; Bundesgericht; Reusser; Ruth; Ausserehelich; Geburt; Beantragte; Mutter; Bekanntgabe; Erhobene; Regierungsrates; Obergericht
Rechtsnorm: Art. 268b ZGB ; Art. 268c ZGB ; Art. 28 ZGB ; Art. 4 BV ; Art. 7 KRK ; Art. 8 EMRK ;
Referenz BGE:-
Kommentar zugewiesen:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
Weitere Kommentare:
Entscheid
Der ausserehelich geborene Gesuchsteller kam nach der Geburt zu Pflegeeltern und wurde von diesen adoptiert. Im Alter von knapp 30 Jahren beantragte er beim Regierungsstatthalter die Offenlegung seiner leiblichen Abstammung. Die leibliche Mutter als Gesuchsgegnerin opponierte der Bekanntgabe ihrer Identität. Der Regierungsstatthalter entschied in der Folge, dass dem Gesuchsteller die Identität der Gesuchsgegnerin bekannt gegeben werde. Der Regierungsrat des Kantons Luzern wies die von der Gesuchsgegnerin gegen diesen Entscheid erhobene Beschwerde ab. Gegen den Entscheid des Regierungsrates reichte die Gesuchsgegnerin Beschwerde beim Obergericht ein und beantragte, der Entscheid des Regierungsrates sei aufzuheben und dem Regierungsstatthalter sei die Preisgabe ihrer Identität gegenüber dem Gesuchsteller zu verbieten. Das Obergericht wies die Beschwerde ab.



Aus den Erwägungen:

Gemäss Art. 7 Abs. 1 des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes, abgeschlossen in New York am 20. November 1989, für die Schweiz in Kraft getreten am 26. März 1997 (KRK; SR 0.107), hat jedes Kind soweit möglich das Recht, seine Eltern zu kennen. Art. 7 Abs. 1 KRK ist direkt anwendbar und kann folglich vor den Gerichten geltend gemacht werden (Entscheid des Bundesgerichts vom 24.6.1999; veröffentlicht in: Pra 89 [2000] Nr. 77 S. 451). Die Einschränkung "soweit möglich" ist dabei eng auszulegen und kann nicht so verstanden werden, dass es dem Ermessen des nationalen Gesetzgebers überlassen wäre, dieses Recht einzuschränken. Dem wesentlichen Grundgedanken der Vorschrift von Art. 7 Abs. 1 KRK entspricht Art. 24novies Abs. 2 lit. g aBV, wonach einer Person der Zugang zu den Daten über ihre Abstammung zu gewährleisten ist (Schwenzer Ingeborg, Die UN-Kinderrechtskonvention und das schweizerische Kindesrecht, in: AJP 7/1994 S. 820; vgl. auch Art. 119 Abs. 2 lit. g BV, der klar bestimmt, dass jede Person Zugang zu den Daten ihrer Abstammung hat). Infolgedessen hat das aus einer künstlichen Fortpflanzung stammende Kind ebenso wie das Adoptivkind, dem das Adoptionsgeheimnis (Art. 268b ZGB) im Hinblick auf die Art. 28 ZGB und 7 Abs. 1 KRK nicht entgegengehalten werden kann, das Recht auf Kenntnis seiner Abstammung, welches das Recht auf Einsicht in die diesbezüglichen Daten einschliesst (Pra 89 [2000] Nr. 77 S. 452 mit Verweisen; in diesem Urteil befasste sich das Bundesgericht im Übrigen mit dem Recht eines mündigen ausserehelichen, aber nicht adoptierten Kindes auf Einsicht in abgeschlossene Akten, welches sich ausschliesslich auf sein Akteneinsichtsrecht gemäss Art. 4 aBV und auf Art. 8 EMRK berufen hatte). Auch der Bundesrat hat in der Botschaft zum Fortpflanzungsmedizingesetz, das am 1. Januar 2001 in Kraft getreten ist, die Auffassung vertreten, dass das Adoptivkind im Lichte der Bundesverfassung nun einen unbedingten Anspruch auf Ausstellung eines Registerauszuges habe (BBl 1996 III S. 271 Ziff. 322.472; Reusser Ruth, Neuerungen im Adoptionsrecht des Zivilgesetzbuches, in: ZVW 56 [2001] S. 138). Schliesslich ist darauf hinzuweisen, dass nach dem neuen Art. 268c ZGB, der im Laufe des Jahres 2002 in Kraft treten wird, das Kind, wenn es das 18. Lebensjahr vollendet hat, jederzeit Auskunft über die Personalien seiner leiblichen Eltern verlangen darf, ohne ein berechtigtes Interesse nachweisen zu müssen (Reusser Ruth, a.a.O., S. 139 f.). Die Ansicht, dass das Adoptivkind einen absoluten Anspruch auf Kenntnis seiner leiblichen Eltern bzw. auf einen Auszug über den ursprünglichen Eintrag seiner Geburt gemäss Art. 138 ZStV hat, wird in der Lehre schon seit längerem vertreten, so von Hegnauer (Hegnauer Cyril, Grundriss des Kindesrechts, 5. Aufl., Bern 1999, N 13.11; derselbe in ZVW 46 [1991] S. 101 ff.; vgl. Reusser Ruth, a.a.O., S. 138) und von Locher (Locher René, Persönlichkeitsschutz und Adoptionsgeheimnis, Diss. Zürich 1993, S. 55 ff. insbes. S. 68 f. und S. 96; vgl. auch Wolf Stephan, Die UNO-Konvention über die Rechte des Kindes und ihre Umsetzung in das schweizerische Kindesrecht, in: ZBJV 134 [1998] S. 135, der von einem absoluten Anspruch des Adoptivkindes auf Kenntnis seiner leiblichen Eltern nach bisherigem schweizerischem Recht ausgeht; a.M. Werro Franz, Das Adoptionsgeheimnis - Ausgewählte Fragen, in: ZZW 1995 S. 364 ff.).



Gestützt auf diese Ausführungen ist davon auszugehen, dass der Gesuchsteller als Adoptivkind einen Anspruch auf Bekanntgabe der Identität seiner leiblichen Mutter hat, ohne dass er ein schutzwürdiges Interesse nachweisen muss. Er hat sich vor dem Regierungsrat denn auch sinngemäss auf diesen Standpunkt gestellt und sich auf sein vorbehaltloses und uneingeschränktes Recht auf Kenntnis seiner leiblichen Abstammung berufen.



II. Kammer, 17. Mai 2001 (30 00 12)



(Das Bundesgericht hat die dagegen erhobene staatsrechtliche Beschwerde am 4. März 2002 abgewiesen.)

Quelle: https://gerichte.lu.ch/recht_sprechung/publikationen
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