Der Rekurrent wurde vom Kriminalgericht mit Urteil vom 22. März 1996 mit 2½ Jahren Gefängnis, abzüglich 19 Tage Untersuchungshaft, bestraft. Gleichzeitig wurde der dem Rekurrenten gewährte bedingte Vollzug einer früheren Gefängnisstrafe widerrufen. Der Vollzug der Freiheitsstrafen wurde zu Gunsten einer stationären Behandlung nach Art. 44 Ziff. 1 Abs. 1 und Ziff. 6 StGB aufgeschoben. Mit Entscheid vom 13. Juni 1997 hob das Justizdepartement als Vollzugsbehörde den Vollzug der Massnahme auf. Der Rekurrent wurde - unter Ansetzung einer Probezeit von einem Jahr bedingt aus dem Massnahmevollzug entlassen und während der Probezeit unter Schutzaufsicht gestellt. Mit Schreiben vom 7. August 1998 übermittelte das Justizdepartement dem Kriminalgericht die Akten, damit es gemäss Art. 45 Ziff. 3 StGB über den Vollzug der aufgeschobenen Strafen befinde. Das Justizdepartement beantragte, die nicht verbüsste Reststrafe vollziehen zu lassen und während des Strafvollzugs eine psychotherapeutische Behandlung anzuordnen. Mit Entscheid vom 29. Oktober 1998 ordnete das Kriminalgericht für den Rekurrenten den Vollzug der Reststrafe sowie eine ambulante Behandlung ohne Strafaufschub an (Art. 44 Ziff. 1 und 6 StGB). Dagegen erhob der Rekurrent Rekurs beim Obergericht. Er beantragte den Verzicht auf den Vollzug der Reststrafe und verlangte die Durchführung einer öffentlichen Verhandlung mit Anhörung des Rekurrenten. Das Obergericht wies den Rekurs ab, unter anderem mit folgender Begründung:
Auf die Durchführung der vom Rechtsbeistand des Rekurrenten beantragten öffentlichen Verhandlung kann verzichtet werden. Beim Rekursverfahren handelt es sich um ein schriftliches Verfahren (§ 254 Abs. 2 StPO). Dem Rekurrenten wurde Gelegenheit zur schriftlichen Vernehmlassung gegeben, womit seine Parteirechte genügend gewahrt sind (vgl. Trechsel Stefan, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Kurzkommentar, N 7 zu Art. 45 StGB m.w.H.). Ein Anspruch auf mündliche Anhörung des Rekurrenten ergibt sich auch nicht aus Art. 6 EMRK. Das vorliegende Verfahren betrifft den Vollzug von aufgeschobenen rechtskräftigen Strafen. Es gehört nicht in den sachlichen Geltungsbereich des Art. 6 EMRK, da es hier nicht um
die Entscheidung über die Stichhaltigkeit einer strafrechlichen Anklage geht (vgl. Frohwein/Peukert, Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK-Kommentar, 2. Aufl., Kehl 1996, N 49 zu Art. 6 EMRK).
In verfahrensmässiger Hinsicht stellt sich der Rechtsbeistand des Rekurrenten auf den Standpunkt, das Kriminalgericht hätte auf den Antrag des Justizdepartementes vom 7. August 1998 auf Vollstreckung der aufgeschobenen Strafen nicht eintreten dürfen. Nach Auffassung des Rekurrenten, der sich auf den Entscheid der Zürcher Gerichte, publiziert in ZR 89/1990 Nr. 59, stützt, hätte das Justizdepartement als zuständige Behörde für den Massnahmevollzug (§ 296 StPO) vorerst über die Rückversetzung des Rekurrenten einen formellen Entscheid nach Art. 45 Ziff. 3 StGB fällen und erst nach dessen Rechtskraft dem Gericht Antrag auf Vollstreckung der von ihm zu Gunsten der Massnahme aufgeschobenen Strafen stellen dürfen.
Das Verfahren über den Vollzug von sichernden Massnahmen nach Art. 42-44 StGB wird kantonalrechtlich bestimmt (Art. 64bis BV, Art. 374 StGB). Im Kanton Luzern ist der Massnahmevollzug im III. Titel des 10. Abschnitts der Strafprozessordnung (SRL Nr. 305) geregelt (§§ 296 ff. StPO). Dort finden sich keine Bestimmungen über das Vorgehen bei der bedingten Entlassung aus dem Massnahmevollzug. Ob die Bestimmungen des II. Titels des 10. Abschnitts der StPO über die bedingte Entlassung aus dem Strafvollzug (§ 292 StPO) hier analog anwendbar sind, kann offen gelassen werden, zumal es sich bei § 296 StPO um eine Kann-Vorschrift handelt, die für das Justizdepartement nicht zwingend ist. Auch in den kantonalen Nebenerlassen (insbesondere in der Verordnung über den Strafvollzug, SRL Nr. 326) finden sich keine einschlägigen Bestimmungen. Die Änderung des Strafgesetzbuches gemäss BG vom 18. März 1971 wurde im luzernischen Verfahrensrecht nicht nachvollzogen, was einen Mangel darstellt, der de lege ferenda dringend behoben werden müsste.
Das Bundesgericht hat in einem Entscheid des Kassationshofs vom 14. Mai 1990, publiziert in ZR 89/1990 Nr. 59, die Auffassung vertreten, es sei von Bundesrechts wegen zwar nicht ausgeschlossen, dass der Richter vor seinem Entscheid über den Vollzug der zu Gunsten einer Massnahme aufgeschobenen Strafe von der zuständigen Vollzugsbehörde einen formellen und rechtskräftigen Entscheid über die Rückversetzung in die Massnahme fordere. Indessen werde die Frage, in welcher Form eine kantonale Behörde ihren Entscheid zu erlassen habe, durch das kantonale Verfahrensrecht geregelt.
Unter den oben dargelegten Umständen bleibt es mangels einer gesetzlichen Grundlage dem luzernischen Richter anders als dem zürcherischen verwehrt, das Vorgehen der Vollzugsbehörde vorfrageweise auf seine Richtigkeit zu prüfen. Im vorliegenden Fall ist somit vom Gericht bloss zu prüfen, ob die Voraussetzungen nach Art. 44 Ziff. 5 StGB erfüllt sind - und nicht auch diejenigen nach Art. 45 Ziff. 3 Abs. 3 StGB, wie es das Kriminalgericht im angefochtenen Entscheid getan hat.