Art. 2 Abs. 2 ZGB; Art. 341 Abs. 1 OR. Kompensation von Überzeit während der Freistellung.
Die Klägerin war ab 1. November 1989 bei der Beklagten angestellt. Ende April 2008 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis per 31. Juli 2008 unter sofortiger Freistellung. Streitig war, ob die Klägerin verpflichtet war, während der Freistellung Überzeit zu kompensieren.
Aus den Erwägungen:
4.1. Das Arbeitsgericht ist davon ausgegangen, dass die Klägerin während der Freistellung Überzeit im Umfang von 179 Stunden kompensiert hat. Die Klägerin stellt sich in der Berufung demgegenüber auf den Standpunkt, dass eine solche Kompensation entgegen den Feststellungen des Arbeitsgerichts nicht vereinbart war und nach Art. 341 Abs. 1 OR ohnehin nichtig wäre. Letzteres ist ohne Weiteres unzutreffend, da die Klägerin selber auf den vom Arbeitsgericht angeführten BGE 123 III 84 verweist, der eine solche Vereinbarung bezüglich Überstunden zulässt. Somit ist zu prüfen, ob die Parteien eine entsprechende Abrede getroffen haben.
4.2. Das Arbeitsgericht hat aufgrund verschiedener Umstände eine konkludente Vereinbarung angenommen. Soweit es dabei Umstände im Zusammenhang mit Minusstunden berücksichtigt, eignen sich diese zur Begründung einer konkludenten Vereinbarung nicht, weil Minusstunden nicht nachgewiesen sind. Fest steht, dass die Beklagte die Kompensation angeordnet hat. Nachdem aber der Arbeitgeber durch die Freistellung auf sein Weisungsrecht weitgehend verzichtet (BGE 123 III 84 E. 5a S. 84f.), kann allein im Schweigen auf eine solche einseitige Anordnung kein konkludentes Einverständnis der Arbeitnehmerin erblickt werden, zumal diese Anordnung zu ihren Lasten geht. Auch die Tatsache, dass die Klägerin während der von der Beklagten angeordneten Freistellung nicht zur Arbeit erschienen ist, kann nicht als Einverständnis zur Kompensation gedeutet werden. Denn die Freistellung wurde einseitig angeordnet und erfolgte nicht unter der Bedingung der Kompensation. Schliesslich kann auch im Umstand der Empfangsbestätigung der Kündigung durch die Klägerin keine Annahme hergeleitet werden. Wer eine Empfangsbestätigung abgibt, bestätigt nur (aber immerhin), eine Erklärung der Gegenseite zur Kenntnis genommen zu haben. Ein Einverständnis mit dem Inhalt der betreffenden Erklärung liegt damit nicht vor. Wer die Kenntnisnahme einer Kündigung bestätigt, verzichtet damit weder auf Rechte (beispielsweise auf die Anfechtung der Kündigung) noch auf Ansprüche (beispielsweise auf die Abgeltung von aufgelaufenen Überstunden). Die Behauptung der Beklagten, die Klägerin habe geschwiegen bzw. nicht opponiert, ist für ihren Standpunkt demnach ohne Belang, und die in diesem Zusammenhang angerufenen Zeugen sind bereits deswegen nicht einzuvernehmen.
4.3. Die Beklagte rügt weiter, das Verhalten der Klägerin sei rechtsmissbräuchlich. Bei lang andauernder Freistellung kann die Weigerung zur Kompensation offenbar rechtsmissbräuchlich im Sinn des Art. 2 Abs. 2 ZGB sein (BGE 123 III 84 E. 5a S. 84), wobei soweit ersichtlich nirgends näher ausgeführt wird, was eine lang andauernde Freistellung ist. Da es um eine ordentliche Kündigungsfrist von drei Monaten bei einem Arbeitsverhältnis von beinahe 20 Jahren geht, kann nicht per se von einer lang andauernden Freistellung ausgegangen werden. Zur Annahme eines offenbaren Missbrauchs bedarf es ausserordentlicher Umstände, da Art. 2 Abs. 2 ZGB einen ausgesprochenen Ausnahmetatbestand darstellt. Nicht einmal aus dem Umstand, dass im ungekündigten Verhältnis ein Kompensationsmodus tatsächlich gelebt wurde, kann gemäss der neueren bundesgerichtlichen Rechtsprechung auf offenbaren Rechtsmissbrauch erkannt werden, wenn der Arbeitnehmer bei Freistellung durch den Arbeitgeber aufgelaufene Zeit entgolten haben will (Urteil des Bundesgerichts 4C.337/2001 vom 1.3.2002 E. 2b).
Ein offenbarer Rechtsmissbrauch kann auch nicht aus dem Umstand hergeleitet werden, dass nach Darstellung der Beklagten die Klägerin die Kündigung durch ihr Fehlverhalten verursacht hat. Denn die Beklagte hat sich Schadenersatzforderungen gegen die Klägerin ausdrücklich vorbehalten, sodass in diesem Zusammenhang nicht von einem Entgegenkommen auszugehen ist. Ob ein solches unter Umständen eine Kompensation unter dem Blickwinkel des offenbaren Rechtsmissbrauchs hätte rechtfertigen können, kann demnach offen bleiben.
4.4. Soweit sich die Beklagte auf Art. 13 Abs. 2 ArG bzw. Art. 25 Abs. 2 ArGV 1 und die dort unter anderem genannte Frist von zwölf Monaten beruft, ist sie bereits deswegen nicht zu hören, da es an einer entsprechenden Vereinbarung nach Art. 13 Abs. 2 ArG fehlt (vgl. auch Staehelin, Zürcher Komm., 4. Aufl., Art. 321c OR N 17).
4.5. Damit ist im Ergebnis festzuhalten, dass die Klägerin nicht verpflichtet war, während der Freistellung Überzeit zu kompensieren.
1. Abteilung, 7. Februar 2012 (1B 11 63)