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Urteil Obergericht (LU)

Kopfdaten
Kanton:LU
Fallnummer:1B 11 14
Instanz:Obergericht
Abteilung:1. Abteilung
Obergericht Entscheid 1B 11 14 vom 20.12.2011 (LU)
Datum:20.12.2011
Rechtskraft:Diese Entscheidung ist rechtskräftig.
Leitsatz/Stichwort:Art. 146 und 147 OR; Art. 143 und 148 IPRG. Der Schuldbeitritt beinhaltet eine kumulative Schuldübernahme, bei welcher der bisherige Schuldner weiterhin verpflichtet bleibt und der Dritte als zusätzlicher Schuldner hinzutritt. Im internationalen Verhältnis unterstehen Verjährung und Erlöschen einer Forderung dem auf die Forderung anwendbaren Recht.
Schlagwörter : Schuld; Schuldner; Recht; Verjährung; Forderung; Solidarschuldner; Schuldbeitritt; Verpflichtung; Gläubiger; Aufl; Untergang; Hauptschuld; Kumulative; Unterstehen; Deutschland; Mietkaufvertrag; Schuldübernahme; Schweizer; Verpflichtet; Erlöschen; Anwendbaren; Schuldners; Zeitpunkt; Schuldbeitritts; Zahlung; Verrechnung; Bürgschaft; Garantievertrag; Hauptschuldner
Rechtsnorm: Art. 111 OR ; Art. 136 OR ; Art. 143 IPRG ; Art. 147 OR ; Art. 148 IPRG ; Art. 502 OR ;
Referenz BGE:113 II 434; 129 III 702;
Kommentar zugewiesen:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
Weitere Kommentare:
Entscheid
Art. 146 und 147 OR; Art. 143 und 148 IPRG. Der Schuldbeitritt beinhaltet eine kumulative Schuldübernahme, bei welcher der bisherige Schuldner weiterhin verpflichtet bleibt und der Dritte als zusätzlicher Schuldner hinzutritt. Im internationalen Verhältnis unterstehen Verjährung und Erlöschen einer Forderung dem auf die Forderung anwendbaren Recht.



Die X. Deutschland GmbH in Gründung schloss mit der Klägerin einen Mietkaufvertrag für eine Baumaschine. Der Beklagte — Gründungsgesellschafter der X. Deutschland GmbH und Verwaltungsrat der schweizerischen Y. AG — unterzeichnete den Mietkaufvertrag als «Mithaftender». Nachdem die mittlerweile im Handelsregister eingetragene X. Deutschland GmbH ihren Vertragsverpflichtungen nur teilweise nachgekommen und schliesslich zahlungsunfähig geworden war, belangte die Klägerin den Beklagten.



Aus den Erwägungen:

6.1.2. Der Schuldbeitritt beinhaltet eine kumulative Schuldübernahme, bei welcher der bisherige Schuldner weiterhin verpflichtet bleibt und der Dritte als zusätzlicher Schuldner hinzutritt. Der Inhalt der Verpflichtung des Dritten entspricht wesensmässig der vom bisherigen Schuldner geschuldeten Leistung. Beide Schuldner haften normalerweise dem Gläubiger in gleicher Stellung solidarisch (Gauch/Schluep, Schweizerisches Obligationenrecht, Allg. Teil, Bd. II, 9. Aufl., Nr. 3640ff.). Die Verpflichtung des neuen Schuldners ist jedoch ab dem Zeitpunkt des Schuldbeitritts — abgesehen vom Untergang durch Zahlung oder Verrechnung — in ihrem rechtlichen Bestand und Inhalt unabhängig von der Verpflichtung des bisherigen Schuldners (Art. 146 und 147 Abs. 2 OR). In dieser Selbständigkeit stimmt der Schuldbeitritt überein mit dem Garantievertrag. Für die Abgrenzung gegenüber der Bürgschaft werden Schuldbeitritt und Garantievertrag oft unter dem Oberbegriff des selbständigen Schuldversprechens zusammengefasst. Im Gegensatz zu Schuldbeitritt und Garantievertrag hat die Bürgschaft akzessorischen Charakter. Akzessorietät bedeutet, dass die Sicherheit das Schicksal der Hauptschuld teilt, indem die akzessorische Verpflichtung von der Hauptschuld abhängig ist und dieser als Nebenrecht folgt (BGE 113 II 434 E. 2b S. 437). Die Belangbarkeit des Bürgen setzt demgemäss voraus, dass in diesem Zeitpunkt eine Forderung des Gläubigers gegenüber dem Hauptschuldner besteht; als Ausfluss der Akzessorietät stehen dem Bürgen auch alle Einreden des Hauptschuldners zu (Art. 502 OR). Die kumulative Schuldübernahme ist dadurch gekennzeichnet, dass der Schuldübernehmer eine eigene, zur Verpflichtung eines Schuldners hinzutretende, selbständige Verpflichtung begründet, somit die Drittschuld persönlich und direkt mitübernimmt. Die Primärschuld und die Schuld des Übernehmers sind paritätisch und haben demzufolge je ihr eigenes rechtliches Schicksal bezüglich Bestand und Umfang der Leistungspflicht. Die Schuld des Übernehmers hängt zwar vom Bestand der mitübernommenen Schuld ab, ist aber insofern nicht akzessorisch, als nicht jeder Wegfall der Verpflichtung des Hauptschuldners diejenige des Mitschuldners untergehen lässt. Ob die Solidarverpflichtung bei Wegfall der Primärschuld dahinfällt, beurteilt sich nach den Regeln der Solidarität (BGE 129 III 702 E. 2.1 S. 704; Pestalozzi, Basler Komm., 4. Aufl., Art. 111 OR N 32). Soweit ein Solidarschuldner durch Zahlung oder Verrechnung den Gläubiger befriedigt hat, sind auch die übrigen befreit. Wird ein Solidarschuldner ohne Befriedigung des Gläubigers befreit, so wirkt die Befreiung zugunsten der andern nur so weit, als die Umstände oder die Natur der Verbindlichkeit es rechtfertigen (Art. 147 OR). Die Verjährung ist kein Erlöschensgrund, der gegenüber allen Schuldnern befreiend wirkt. Aufgrund der Selbständigkeit der Forderungen der einzelnen Solidarschuldner läuft die Verjährung für jeden Solidarschuldner getrennt, sodass eine Forderung gegenüber dem einen Schuldner verjährt sein kann, gegenüber einem andern aber nicht (Schnyder, Basler Komm., 4. Aufl., Art. 147 OR N 5). Unterschiede im Eintritt der Verjährung können dort auftreten, wo ein Verjährungsstillstand nur gegenüber einem Solidarschuldner bestand oder wo die Solidarschulden zu unterschiedlichen Zeitpunkten begründet wurden (Oser/Schönenberger, Zürcher Komm., 2. Aufl., Art. 147 OR N 10; Mazan, Handkomm. zum Schweiz. Privatrecht, Zürich 2007, Art. 147 OR N 8). Dagegen wirkt die Unterbrechung der Verjährung gegenüber einem Solidarschuldner auch gegenüber den anderen (Art. 136 Abs. 1 OR; Schnyder, a.a.O., Art. 147 OR N 5).



6.1.3. Streitig ist nun, ob das Verjährungsrecht nach dem Recht der Primärforderung (Mietkaufvertrag nach deutschem Recht) oder nach dem Recht des Schuldbeitritts der einzelnen Solidarschuldner (i.c. Schweizer Recht) zu beurteilen ist. Gilt das Verjährungsrecht der Hauptforderung, gilt für sämtliche Solidarschuldner dasselbe Verjährungsrecht (auch wenn dieses individuell auf jeden Solidarschuldner anzuwenden ist). Gilt hingegen das Recht des Schuldbeitritts, können für die einzelnen Solidarschuldner unterschiedliche Verjährungsnormen zur Anwendung gelangen. Die Frage des anwendbaren Rechts ist nach den Bestimmungen des IPRG zu beantworten. Ausgangspunkt ist Art. 143 IPRG, welcher bestimmt: «Hat der Gläubiger Ansprüche gegen mehrere Schuldner, so unterstehen die Rechtsfolgen daraus dem Recht, dem das Rechtsverhältnis zwischen dem Gläubiger und dem in Anspruch genommenen Schuldner unterstellt ist.» Diese Bestimmung ist auch anwendbar, wenn die Schuld des einen durch die Erfüllung der Schuld eines anderen getilgt werden soll. Es wird nicht vorausgesetzt, dass alle Schuldner aus demselben Rechtsgrund haften. In Frage kommen auch Leistungspflichten aus Sicherungsverträgen wie Bürgschaft und Garantie. Aber selbst dann, wenn mehrere Schuldner aus ein und demselben Rechtsgrund und für den gleichen Tatbestand haften, können die einzelnen Schulden verschiedenen Rechtsordnungen unterstehen. Art. 143 IPRG erfasst grundsätzlich alle Rechtsfragen, die sich aus einer Mehrheit von Schuldnern ergeben (Keller/Girsberger, Zürcher Komm., 2. Aufl., Art. 143 IPRG N 5—8; Dasser, Basler Komm., 2. Aufl., Art. 143 IPRG N 2). Gemäss Art. 148 Abs. 1 IPRG unterstehen Verjährung und Erlöschen einer Forderung dem auf die Forderung anwendbaren Recht. Es gilt der Grundsatz der Einheit des Schuldstatuts; dieses regelt auch die Frage jeglichen Untergangs der Forderung. Für Fälle, bei denen zumindest theoretisch mehr als ein Schuldstatut in Frage kommt, sind Spezialvorschriften erforderlich (Dasser, a.a.O., Art. 148 IPRG N 1; Keller/Girsberger, a.a.O., Art. 148 IPRG N 15). Der Beklagte hat sich im Rahmen einer kumulativen Schuldübernahme verpflichtet, in solidarischer Haftbarkeit für die Schulden der X. Deutschland GmbH aus Mietkaufvertrag aufzukommen. Dieser Schuldbeitritt gilt als selbständige Verpflichtung, welche dem Schweizer Recht untersteht. Dieses Schuldstatut regelt auch die Frage des Untergangs der Forderung. Eine Sonderregelung gilt für den Untergang durch Zahlung oder Verrechnung, nicht aber für andere Untergangsgründe. Die Frage, ob die eingeklagte Forderung (teilweise) durch Verjährung untergegangen ist, ist demnach nach Schweizer Recht zu beantworten.



1. Abteilung, 20. Dezember 2011 (1B 11 14)



(Das Bundesgericht hat die dagegen erhobene Beschwerde in Zivilsachen am 20. September 2012 abgewiesen [4A_109/2012].)



Quelle: https://gerichte.lu.ch/recht_sprechung/publikationen
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