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Urteil Obergericht (LU)

Kopfdaten
Kanton:LU
Fallnummer:11 09 73.1
Instanz:Obergericht
Abteilung:I. Kammer
Obergericht Entscheid 11 09 73.1 vom 08.07.2009 (LU)
Datum:08.07.2009
Rechtskraft:Diese Entscheidung ist rechtskräftig.
Leitsatz/Stichwort:Art. 12 lit. c und 17 BGFA. Der Anwalt/Notar hat sich jeder Tätigkeit zu enthalten, wenn ein von ihm beurkundetes Testament in irgendeiner noch so entfernten Weise zum Gegenstand eines Streits wird.

Schlagwörter : Beschwerde; Beschwerdeführer; Testament; Willen; Interesse; Notar; Willensvollstrecker; Aufsichtsbehörde; Gültig; Interessen; Recht; Antrag; Bundesgericht; Anwalt; Stiftung; Konflikt; Testaments; Anwalt/Notar; Beurkundete; Entscheid; Beschwerdeführers; Zitiert; Ungültigkeit; Recht; Verpflichte; Verfügung; Ableben; Rechtsstellung; Eigeninteressen; Konfliktrisiko
Rechtsnorm: Art. 22 StGB ; Art. 502 ZGB ; Art. 518 ZGB ; Art. 520 ZGB ;
Referenz BGE:134 II 112;
Kommentar zugewiesen:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
Weitere Kommentare:
Entscheid
Art. 12 lit. c und 17 BGFA. Der Anwalt/Notar hat sich jeder Tätigkeit zu enthalten, wenn ein von ihm beurkundetes Testament in irgendeiner noch so entfernten Weise zum Gegenstand eines Streits wird.



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In seiner Funktion als Notar beurkundete X. am 27. September 2004 im "Blindenverfahren" nach Art. 502 ZGB ein Testament von A. In diesem war die Ausrichtung von Legaten an den Verein P. und die Stiftung Q. sowie die Errichtung einer Stiftung für bedürftige Studenten vorgesehen; X. wurde als Willensvollstrecker und als künftiger Stiftungsrat eingesetzt. Am 21. September 2005 errichtete A. abermals ein Testament, welches - in Abweichung von der vorangehenden letztwilligen Verfügung - die Einsetzung von B. als Alleinerbin und von C. als Willensvollstrecker vorsah; es wurde durch die Gemeindeschreiberin von R. öffentlich beurkundet. Nach dem Ableben von A. am 20. Oktober 2006 focht X. dieses letzte Testament vom 21. September 2005 im Auftrag des Vereins P. und der Stiftung Q. mittels Ungültigkeitsklage an. Das Verfahren vor dem Amtsgericht endete mit einem Vergleich. Im Vorgehen von X. erkannte die Aufsichtsbehörde über die Anwältinnen und Anwälte eine Verletzung der Berufsregeln, wofür sie ihm mit Verfügung vom 16. Januar 2009 eine Busse von Fr. 1'000.-- auferlegte. Auf Beschwerde von X. hin reduzierte das Obergericht die Busse auf Fr. 500.--, bestätigte aber im Übrigen den Entscheid der Aufsichtsbehörde.



Aus den Erwägungen:

3.- Nach den Erwägungen der Aufsichtsbehörde sei mit dem Antrag Ziff. 2 der Ungültigkeitsklage, wonach das Testament vom 27. September 2004 von A. hätte für gültig erklärt werden sollen, auch die Rechtsstellung des Beschwerdeführers als Willensvollstrecker berührt. Ob dieser Antrag zum Erfolg geführt hätte, könne dahin gestellt bleiben. Wenn die Eigeninteressen des Anwalts betroffen seien, genüge ein theoretisches Konfliktrisiko.



3.1. Dem Beschwerdeführer kann darin gefolgt werden, dass das Bundesgericht ein abstraktes Konfliktrisiko nicht genügen lässt. Der von der Aufsichtsbehörde zitierte Entscheid des Bundesgerichts (2A.293/2003 vom 09.03.2004 E. 2) stellt kollidierende Interessen der Mandantinnen des beanzeigten Rechtsanwalts und des mit ihm geschäftlich verbundenen Kanzleipartners fest, welche auf den Beschwerdeführer zurückfielen (in E. 4.2: "L'incapacité de représentation affectant F. [Anmerkung: Kanzleipartner] rejaillit sur le recourant."). Mit dieser Konstellation ist nichts anderes als der Konflikt zwischen den Interessen der Klientschaft und den Personen, die mit dem Rechtsanwalt in geschäftlicher oder privater Beziehung stehen (Art. 12 lit. c BGFA), angesprochen. Von kollidierenden Eigeninteressen ist nur im Zusammenhang mit dem Kanzleipartner F. die Rede. Das war jedoch nicht der zu beurteilende Sachverhalt. Das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich erwog (Entscheid vom 05.07.2007, zitiert und besprochen von Hans Nater, Interessenkonflikte: Theoretisches Konfliktrisiko genügt nicht, in: SJZ 104 [2008] S. 171 ff.), im Zusammenhang gelesen ergebe sich aus dem zitierten Bundesgerichtsentscheid, dass ohne das Vorliegen konkreter Anhaltspunkte nicht schon auf das (theoretische) Risiko eines Interessenkonflikts geschlossen werden könne. Diese Auffassung hat das Bundesgericht in der Folge in BGE 134 II 112 E. 4.2.2 übernommen, indem es auf die zitierte Besprechung von Hans Nater verwies und ausführte, dass die "blosse abstrakte Möglichkeit des Auftretens einer Doppelvertretung" nicht ausreiche. Ob eine Situation vorliegt, in der es einen tatsächlichen Interessenkonflikt zu vermeiden gilt, unterliegt somit einer Einzelfallbetrachtungsweise (Nater, a.a.O., S. 172; Georg Pfister, Aus der Praxis der Aufsichtskommission über die Anwältinnen und Anwälte des Kantons Zürich zu Art. 12 BGFA, in: SJZ 105 [2009] S. 291).



3.2. Entgegen der Argumentation des Beschwerdeführers waren die Interessen seiner Mandantinnen im Zivilprozess gegen B. nicht (nur) gleichgerichtet. Um den Klägerinnen zu ihrem Recht zu verhelfen, hätte Antrag Ziff. 1 (Ungültigerklärung des Testaments vom 21.09.2005) genügt (Forni/Piatti, Basler Komm., 3. Aufl., Art. 519/520 ZGB N 30). Dagegen hätte Antrag Ziff. 2 dem Beschwerdeführer zu einer Rechtsstellung verhelfen sollen, die nicht gleichgelagert ist, wie es zum Beispiel bei der Vertretung mehrerer Erben der Fall sein kann (ZR 104 [2005] S. 237). Ein Konflikt zwischen den (nur) partikulären Eigeninteressen der Destinatärinnen von Legaten und den umfassenden Aufgaben des zur Neutralität verpflichteten Willensvollstreckers gemäss Art. 518 ZGB ist immer möglich, worauf auch der Beschwerdeführer hinweist. Das zeigt sich schon darin, dass die Klägerinnen durch den gerichtlichen Vergleich einen höheren als im Testament vom 27. September 2004 festgesetzten Betrag ausbezahlt erhielten, wodurch die Ansprüche der testamentarisch vorgesehenen Stiftung geschmälert worden wären. Es spielt daher keine Rolle, ob der Beschwerdeführer an der Übernahme des Willensvollstreckermandats ein finanzielles bzw. persönliches Interesse gehabt hat. Auch ist nicht entscheidend, ob der Beschwerdeführer das Mandat im Ungültigkeitsprozess sorgfältig ausgeführt hat.



3.3. Zwar wäre dem Antrag Ziff. 2 der Klage (Gültigerklärung des Testaments vom 27.09.2004) kein Erfolg beschieden gewesen. Formmängel bei letztwilligen Verfügungen führen entgegen der vom Beschwerdeführer vertretenen Ansicht gemäss Art. 520 Abs. 1 ZGB (in der Regel) zur Ungültigkeit des Testaments, welche sich nur zwischen den Prozessparteien auswirkt (Forni/Piatti, a.a.O, Art. 519/520 ZGB N 30). Nur in Extremfällen, zu denen der geltend gemachte Formmangel (kein "Blindenverfahren") sicherlich nicht zählt, ist eine Nichtigkeit denkbar (Riemer, Nichtige [unwirksame] Testamente und Erbverträge, in: Festschrift für Max Keller zum 65. Geburtstag, Zürich 1989, S. 253; Breitschmid [Hrsg.], Testament und Erbvertrag, Bern/Stuttgart 1991, S. 64 Rz 15.2). Antrag Ziff. 2 erweist sich damit als "untauglicher Versuch". Dies ändert jedoch nichts an der Intention des Beschwerdeführers. Auch im Strafrecht bleibt der untaugliche Versuch in der Regel strafbar (Art. 22 Abs. 1 StGB). Allerdings ist dieser Umstand bei der Festsetzung der Disziplinarmassnahme zu Gunsten des Beschwerdeführers zu berücksichtigen. Eine schwerwiegende Verletzung kann hier nicht angenommen werden.



4.- Die Aufsichtsbehörde erwog weiter, als Anwalt von A. habe er im Strafprozess gegen H. und in vormundschaftlichen Verfahren Kenntnisse erlangt, die ihm nur bei der Ausübung seiner Mandate bekannt geworden seien. Als Anwalt/Notar habe er auch die Unvereinbarkeitsbestimmungen des Notariatsrechts verletzt. Er habe nicht eine Partei vertreten dürfen, die mit einem beurkundeten Sachverhalt in Zusammenhang stehe. Ausserdem habe er im Prozess eine Position vertreten, die gegen den in einer öffentlichen Urkunde geäusserten Willen seiner Mandantin gerichtet gewesen sei. Es sei dem Beschwerdeführer nicht zugestanden darüber zu entscheiden, ob eine spätere Sinnesänderung als verpflichtender Testierwille gelten könne.



4.1. Der Aufsichtsbehörde ist zu folgen. Aus der zeitlich unbeschränkten Treuepflicht (BGE 134 II S. 110 E. 3) kann der Beschwerdeführer nicht ableiten, das Willensvollstreckermandat verpflichte ihn nach Ableben der Erblasserin zur Anfechtung des späteren Testaments vom 21. September 2005. Eine solche Verpflichtung ergibt sich aus Art. 518 Abs. 2 ZGB nicht. Im Gegenteil ist der Willensvollstrecker bei unklarem oder ungültigem Testament zu Zurückhaltung verpflichtet (Karrer, Basler Komm., 3. Aufl., Art. 518 ZGB N 14). Er hat nur Klagebefugnis, soweit seine eigene Rechtsstellung betroffen ist (Breitschmid in Druey/Breitschmid [Hrsg.], Praktische Probleme der Erbteilung, Bern/Stuttgart/Wien 1997, S. 158 f.). Dass A. ihm den (anwaltschaftlichen) Auftrag erteilt hätte, nach ihrem Ableben dem Testament vom 27. September 2004 Nachachtung zu verschaffen, behauptet der Beschwerdeführer mit Recht nicht. Inwiefern die behauptete "Nichtigkeit" des letzten Testaments vom 21. September 2005 daran etwas ändert, wird von ihm nicht begründet. Die umfassende Natur der Treuepflicht schliesst auch die Verschwiegenheit in Bezug auf Sachverhalte ein, von denen der Anwalt/Notar bei der Ausübung seines Mandates Kenntnis erhalten hat (Urteil des Bundesgerichts 2C_407/2008 vom 23.10.2008 E. 3.2 und 3.3). Es handelt sich vorliegend um Informationen, die einem später geäusserten Willen der Erblasserin hätten entgegenstehen können. Die Entscheidung, ob A. dabei verfügungsfähig war, oblag nicht dem Beschwerdeführer, sondern er hatte ihre Testierfähigkeit in Betracht zu ziehen und zu respektieren. Der Anwalt/Notar hat sich jeder Tätigkeit zu enthalten, wenn ein von ihm beurkundetes Testament in irgendeiner noch so entfernten Weise zum Gegenstand eines Streits wird (Peter Ruf, Notariatsrecht, Langenthal 1995, Rz 1013), worauf die Aufsichtsbehörde bereits hingewiesen und womit sich der Beschwerdeführer nicht auseinander gesetzt hat. Der Beschwerdeführer hat daher auch die Interessenwahrungspflicht gegenüber A. verletzt.



I. Kammer, 8. Juli 2009 (11 09 73)



(Das Bundesgericht hat die dagegen erhobene Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten am 9. Februar 2010 abgewiesen [2C_518/2009].)

Quelle: https://gerichte.lu.ch/recht_sprechung/publikationen
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