Art. 727f Abs. 2 OR; § 238 lit. d ZPO. Widerruf der gerichtlichen Auflösung einer Aktiengesellschaft wegen nachträglicher Bestellung der Revisionsstelle.
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1.1. Mit Entscheid vom 21. März 2005 löste der Amtsgerichtspräsident die X. AG auf, weil sie den geforderten Kostenvorschuss für die Einsetzung einer Revisionsstelle nach Art. 727f OR nicht geleistet hatte.
Am 10. März 2006 teilte das Handelsregisteramt des Kantons Luzern dem Amtsgerichtspräsidenten mit, die X. AG in Liq. habe nachträglich die notwendigen Belege für die Eintragung einer Revisionsstelle eingereicht und die erforderlichen Gebühren bezahlt, weshalb es beantrage, den Entscheid vom 21. März 2005 zu revidieren und den Widerruf der Auflösung der Gesellschaft zu verfügen. In ihrer Stellungnahme vom 24. März 2006 beantragte die X. AG in Liq. die Gutheissung des Revisionsgesuchs.
1.2. Mit Entscheid vom 15. Mai 2006 wies der Amtsgerichtspräsident das Gesuch um Widerruf der Auflösung der X. AG bzw. um Revision ab.
Dagegen rekurrierte die X. AG in Liq. am 14. Juni 2006 und beantragte, der Entscheid des Amtsgerichtspräsidenten vom 15. Mai 2006 sei aufzuheben und es sei ihre Auflösung zu widerrufen.
2.- Das Widerrufsgesuch vom 10. März 2006 wurde vom Handelsregisteramt gestellt. Dieses wurde in der Folge als Gesuchsteller (1) behandelt. Der Widerruf der Auflösung einer Gesellschaft berührt indessen einzig die Rechtssphäre der betreffenden Gesellschaft, weshalb das Handelsregisteramt an sich nicht legitimiert gewesen wäre, ein Widerrufsgesuch zu stellen. Da die X. AG in Liq. im Verlaufe des Verfahrens Parteistellung (Gesuchstellerin 2) erlangt hat, schadet dies nicht. Im Rubrum ist jedoch nur noch die X. AG in Liq. als Gesuchstellerin (und Rekurrentin) aufzuführen.
3.- Zu prüfen ist, ob und inwieweit der Auflösungsentscheid vom 21. März 2005 widerrufen werden kann.
3.1. Zunächst empfiehlt es sich, einen Blick auf die verschiedenen Auflösungsmöglichkeiten einer Gesellschaft, insbesondere der AG (Art. 736 OR), zu werfen. Im Vordergrund stehen die Auflösung durch das Handelsregisteramt (Art. 86 und 88a HRegV), die Auflösung durch Beschluss der Generalversammlung (Art. 736 Ziff. 2 OR) und die richterliche Auflösung (z.B. Art. 736 Ziff. 3 i.V.m. Art. 171 SchKG, Art. 736 Ziff. 4 OR Art. 727f OR). Dabei fällt auf, dass bei allen drei Möglichkeiten die Auflösung unter bestimmten Voraussetzungen widerrufen werden kann: die Auflösung von Amtes wegen gemäss Art. 86 Abs. 3 HRegV, die Auflösung durch Beschluss der Generalversammlung gemäss BGE 123 III 473 und die Auflösung wegen Konkurses gemäss Art. 195 SchKG. Daraus kann jedoch nicht ohne weiteres geschlossen werden, die richterliche Auflösung lasse sich analog vor allem zu Art. 86 Abs. 3 HRegV bzw. einem Widerruf des Auflösungsbeschlusses durch die Generalversammlung (vgl. ZGGVP 2000 S. 139 bzw. Forstmoser/Meier-Hayoz/Nobel, Schweizerisches Aktienrecht, Bern 1996, S. 848 N 204) widerrufen. Eine solche Schlussfolgerung lässt nämlich die Rechtsnatur der einzelnen Auflösungsakte ausser Acht.
3.2. Die Verfügungen des Handelsregisteramts sind verwaltungsrechtlicher Natur (vgl. § 96 EG ZGB, Art. 5 HRegV). Im Verwaltungsverfahren lassen sich unrichtige bzw. unrichtig gewordene Verfügungen, selbst wenn sie in formelle Rechtskraft erwachsen sind, unter bestimmten Voraussetzungen (fast) beliebig korrigieren (vgl. Häfelin/Müller, Allgemeines Verwaltungsrecht, 4. Aufl., Zürich 2002, S. 203 ff., insbesondere S. 203 unten N 994). Art. 86 Abs. 3 HRegV statuiert deshalb im Grunde nichts Neues. Seine Bedeutung liegt in der vom Gesetzgeber gesetzten zeitlichen Limite der Widerrufsmöglichkeit.
Ein (zivil-)richterlicher Entscheid ist dagegen anders als die handelsregisteramtliche Verfügung mit Eintritt der formellen Rechtskraft in der Regel auch materiell rechtskräftig. Die Parteien sind dadurch gebunden, und kein Gericht darf in der gleichen Sache noch einmal entscheiden, es sei denn, dass ein ausserordentliches Rechtsmittel zur Verfügung steht (Häfelin/Müller, a.a.O, S. 204 oben).
Bei der Prüfung, ob der Auflösungsentscheid vom 21. März 2005 widerrufen werden kann, geht es somit nicht um das Füllen einer allfälligen Gesetzeslücke, sondern um die Frage, inwieweit der Entscheid in Rechtskraft erwachsen ist.
3.3. Dazu ist vorab festzuhalten, dass der Entscheid auf Auflösung einer Aktiengesellschaft als (gesetzlich nicht geregelte) Sanktion bei Säumnis einer Gesellschaft mit der Ernennung einer Revisionsstelle im Handelsregister (Art. 727f OR) im summarischen Verfahren ergeht (§ 225 ZPO; § 2 Ziff. 64 des Grossratsbeschlusses über die Anwendung des summarischen Verfahrens bei bundesrechtlichen Zivilstreitigkeiten [SRL Nr. 260c]). Es handelt sich dabei um ein Verfahren der nichtstreitigen (freiwilligen) Gerichtsbarkeit, da einzig die Rechtssphäre der Gesellschaft betroffen ist und die beantragte Massnahme richterliche Bestellung einer Revisionsstelle nach Art. 727f OR - der Rechtsverwirklichung auf dem Gebiete des Privatrechts dient (Guldener, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 3. Aufl., Zürich 1979, S. 42). Aus der prozessualen Natur der im summarischen Verfahren zu erledigenden Geschäfte der nichtstreitigen Gerichtsbarkeit ergibt sich, dass die entsprechenden richterlichen Entscheidungen nicht in gleichem Masse in materielle Rechtskraft erwachsen wie die in einem ordentlichen Zivilprozess ergangenen Urteile. Fehlerhafte Anordnungen, die im Rahmen der freiwilligen Gerichtsbarkeit ergangen sind, können aufgehoben geändert werden, wenn nicht gesetzliche Vorschriften Gründe der Rechtssicherheit entgegenstehen (§ 238 lit. d ZPO; LGVE 1997 I Nr. 33 in fine; Studer/Rüegg/Eiholzer, Der Luzerner Zivilprozess, N 5 zu § 238; vgl. auch AGVE 1996 S. 29 f. E. 1a und b).
Nachdem in concreto noch keine Liquidationshandlungen vorgenommen worden sind und damit die Rechtssicherheit gewahrt ist wie auch kein rechtlicher "Rahmen" wie in Art. 195 SchKG besteht, steht einem Widerruf des Auflösungsentscheids vom 21. März 2005 grundsätzlich nichts entgegen.
3.4. Der Widerruf einer gerichtlichen Auflösung einer Aktiengesellschaft wird auch in der Lehre und kantonalen Rechtsprechung (Forstmoser/Meier-Hayoz/Nobel, Schweizerisches Aktienrecht, Bern 1996, S. 848 N 204; RFJ 2005 S. 357 ff., ZGGVP 2000 S. 139; AGVE 1996 S. 28 ff.), mit teilweise anderen bzw. zusätzlichen Voraussetzungen, bejaht. Die Frage, ob der gesetzliche Zustand (Ernennung der Revisionsstelle) in Analogie zu Art. 86 Abs. 3 HRegV innert drei Monaten zu erfolgen hat, kann hier jedoch offen bleiben, da die Rekurrentin ihr Eintragungsgesuch innerhalb dieser Frist gestellt hat (am 2.5.2005). Im Übrigen hat sie im Rekursverfahren nun auch die entsprechenden Beweismittel für die Eintragung aufgelegt (Annahmeerklärung [des Revisionsmandats] der Y. AG vom 23.4.2005, Protokoll der a.o. Generalversammlung vom 25.4.2005 und Handelsregisteranmeldung vom 2.5.2005). Offen bleiben kann auch die Frage nach einem analog des Widerrufsbeschlusses der Generalversammlung allfälligen Quorum, da die Generalversammlung einstimmig die Y. AG als Revisionsstelle gewählt und den Verwaltungsrat ermächtigt hat, den Widerruf der Auflösung der Gesellschaft in die Wege zu leiten.
3.5. Schliesslich ist darauf hinzuweisen, dass der Eintrag der neuen Revisionsstelle im Handelsregister selbst erst dann geschehen kann, wenn der Widerruf der Auflösung erfolgt ist, d.h. erst gestützt auf den vorliegenden Entscheid.
4.- Nach dem Gesagten ist der Rekurs gutzuheissen und die Auflösung der X. AG in Liq. zu widerrufen.
5.- Es liegt eine freiwillige bzw. nichtstreitige Rechtssache vor. Alle Verfahrenskosten sind nach § 237 lit. c ZPO der Rekurrentin zu überbinden. Da der Vorinstanz kein klar fehlerhaftes Vorgehen vorgeworfen werden kann, fällt eine Überbindung der zweitinstanzlichen Kosten an den Staat nach § 120 Abs. 3 ZPO nicht in Betracht.
I. Kammer, 13. November 2006 (11 06 91)