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Urteil Kantonsgericht Graubünden (GR)

Kopfdaten
Kanton:GR
Fallnummer:ZB-05-49
Instanz:Kantonsgericht Graubünden
Abteilung:-
Kantonsgericht Graubünden Entscheid ZB-05-49 vom 15.11.2005 (GR)
Datum:15.11.2005
Rechtskraft:-
Leitsatz/Stichwort:-
Schlagwörter : Richt; Wohnsitz; Richts; Beschwerde; Gericht; Lichen; GestG; Rinstanz; Unentgeltliche; Verschollene; Person; Digkeit; Zuständigkeit; Vorinstanz; Kanton; Kantons; Pflege; Bezirk; Klärung; Polen; Verfahren; Zivil; Zirksgericht; Bezirksgericht; Rechtspflege; Aufenthalt; Gründung; Ausschuss; Graubünden; Plessur
Rechtsnorm: Art. 23 ZGB ; Art. 233 ZPO ; Art. 235 ZPO ; Art. 24 ZGB ; Art. 35 ZGB ; Art. 36 ZGB ; Art. 41 IPRG ; Art. 42 ZPO ; Art. 43 ZPO ; Art. 45 ZPO ; Art. 47 ZPO ; Art. 47a ZPO ; Art. 93 ZPO ;
Referenz BGE:69 II 280;
Kommentar zugewiesen:
Felix Das- , Kommentar zum Bundesgesetz über den Gerichtsstand Zivilsachen, Zürich, Art. 3 GestG, 2001
Christian Schuhmacher, Kommentar zum Schweizerischen Zivilprozessrecht, Art. 13 GestG, 2001
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
Weitere Kommentare:Markus Wirth; Thomas Müller; Andreas Güngerich; Nicolas von Werdt; Karl Spühler;
Entscheid
Kantonsgericht von Graubünden

Tribunale cantonale dei Grigioni

Dretgira chantunala dal Grischun
___________________________________________________________________________________________________

Ref.:
Chur, 15. November 2005
Schriftlich mitgeteilt am:
ZB 05 49

Urteil
Kantonsgerichtsausschuss
Vorsitz Präsident
Brunner
RichterInnen
Tomaschett und Hubert
Aktuar ad hoc
Hitz
——————
In der zivilrechtlichen Beschwerde
der Z., Gesuchstellerin und Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr.
iur. Remi Kaufmann, Marktgasse 20, 9000 St. Gallen,

gegen

das Urteil des Bezirksgerichts Plessur vom 23. August 2005, mitgeteilt am 3. Ok-
tober 2005, in Sachen der Gesuchstellerin und Beschwerdeführerin,
betreffend Verschollenerklärung (örtliche Zuständigkeit / unentgeltliche Rechts-
pflege),
hat sich ergeben:



2


A.
Der die Schweizer Staatsbürgerschaft besitzende A. wurde am 23.
April 1959 in B. (D) geboren. Am 4. Mai 1984 heiratete er in C. die polnische
Staatsangehörige Z., geboren am 12. November 1963. Die Ehe blieb kinderlos.
Die Eheleute lebten zunächst in Polen und sodann in St. Gallen.
B. Anfangs
November
1990
zog A. nach F.. Dort liess er sich am 4. No-
vember 1990 bei der Einwohnerkontrolle der Stadt F. registrieren. Am 7. Novem-
ber 1991 meldete er sich bei der städtischen Einwohnerkontrolle ab und verliess
die Schweiz nach eigenen Angaben in Richtung Polen. Nach Auffassung der Kan-
tonspolizei Graubünden soll sich A. in der Folge in Polen sowie in Deutschland
aufgehalten haben.
C.
Am 16. Februar 1997 kehrte A. von einer Bergtour auf dem Morte-
ratsch-Gletscher, den er im Alleingang begehen wollte, nicht mehr zurück. Die von
den zuständigen Stellen eingeleiteten Suchbemühungen blieben erfolglos. Die
Leiche von A. konnte nie gefunden werden.
D.
Mit Gesuch vom 8. Juli 2005 liess Z. beim Bezirksgericht Plessur die
Durchführung eines Verschollenheitsverfahrens beantragen. Gleichzeitig ersuchte
sie das Gericht um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege.
E.
Mit prozessleitender Verfügung vom 14. Juli 2005 teilte der Bezirks-
gerichtspräsident Plessur mit, die örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerich-
tes sei aus seiner Sicht höchst fraglich, da der Verschollene seinen Wohnsitz in F.
bereits vor 17 Jahren aufgegeben und sich seither offenbar nicht mehr hier aufge-
halten habe. Vor Einleitung des Meldeverfahrens werde die vorliegende Angele-
genheit daher dem Bezirksgericht Plessur zur Prüfung der örtlichen Zuständigkeit
unterbreitet. Die sich im Rahmen des Verschollenheitsverfahrens stellenden mate-
riellen Rechtsfragen würden nicht geprüft. Die Gesuchstellerin habe die Möglich-
keit, an der Hauptverhandlung vom 23. August 2005 teilzunehmen oder sich vor-
gängig schriftlich vernehmen zu lassen. In ihrer Stellungnahme vom 22. August
2005 hielt Z. an der örtlichen Zuständigkeit des Bezirksgerichts Plessur fest. Sie
verzichtete auf eine Teilnahme an der Hauptverhandlung.
F.
Mit Urteil vom 23. August 2005, mitgeteilt am 3. Oktober 2005, ent-
schied das Bezirksgericht Plessur wie folgt:
„1.
Das Bezirksgericht Plessur ist für die Verschollenerklärung von
A., geboren am 23. April 1959, nicht zuständig.




3


2.
Es werden keine Kosten erhoben.
3.
Das Gesuch von Z. um unentgeltliche Rechtsverbeiständung
mit Rechtsvertretung durch Dr. iur. Remi Kaufmann wird abge-
wiesen.

4. (Rechtsmittelbelehrung)
5. (Mitteilung).“
Zur Begründung führte das Bezirksgericht Plessur aus, dass zwar vorlie-
gend A. im November 1990 einen Wohnsitz in F. und damit im Bezirk Plessur be-
gründet habe, er sich aber bereits am 7. November 1991 bei der Einwohnerkon-
trolle der Stadt F. in Richtung Polen abgemeldet und somit seinen Wohnsitz in F.
aufgegeben habe. Dass A. keinen neuen Wohnsitz begründet haben soll, sei un-
wahrscheinlich, da eine natürliche Vermutung für eine Wohnsitzbegründung an
einem anderen Ort sprechen würde, weil ein längerdauerndes Verbleiben ohne
Wohnsitzbegründung nicht zu erwarten sei. Indizien, welcher dieser Tatsachen-
vermutung widersprechen würden, seien vorliegend weder geltend gemacht wor-
den noch seien solche ersichtlich, zumal A. am 7. November 1991 anlässlich sei-
ner Abmeldung bei der Einwohnerkontrolle in F. angegeben habe, nach Polen
auszuwandern. Aufgrund dessen sei anzunehmen, dass A. einen neuen Wohnsitz
begründet habe. Gemäss Art. 41 Abs. 1 IPRG seien für die Verschollenerklärung
die schweizerischen Behörden und (recte: Gerichte oder) Behörden am letzten
bekannten Wohnsitz der verschollenen (recte: verschwundenen) Person zustän-
dig. Gemäss Abs. 2 der genannten Bestimmung sei der Richter zuständig, wo der
engste Interessenzusammenhang bestehe. Im Vordergrund stehe dabei der Fall,
dass eine Person in der Schweiz Vermögenswerte besitze, ihr letzter Wohnsitz
unbekannt sei oder weder am letzten ausländischen Wohnsitz noch im Heimat-
staat ein Urteil über die Verschollen- oder Todeserklärung erwirkt werden könne.
In Frage kämen ferner Fälle wie etwa Nachlassabwicklungen, Kindesanerkennun-
gen oder eine Wiederverheiratung, bei der vorgängig auf Auflösung der früheren
Ehe zu klagen sei. Da vorliegend keine dieser Fallkonstellationen erfüllt seien und
auch nicht geltend gemacht worden seien, sei schon aufgrund dessen die örtliche
Zuständigkeit des Bezirksgerichts Plessur zu verneinen. Auf die Erhebung von
Gerichtskosten werde angesichts des geringen Verfahrensaufwandes und der
prekären finanziellen Situation von Z. verzichtet. Hingegen werde das Gesuch um
unentgeltliche Rechtsverbeiständung abgewiesen, da die sich im vorliegenden
Zusammenhang stellenden Rechtsfragen nicht besonders schwierig seien.
G.
Gegen dieses Urteil des Bezirksgerichts Plessur vom 23. August
2005, mitgeteilt am 3. Oktober 2005, erhob der Rechtsvertreter von Z. am 24. Ok-



4


tober 2005 Beschwerde beim Kantonsgerichtsausschuss von Graubünden mit fol-
genden Rechtsbegehren:
„1.
Das Urteil vom 23. August 2005 der Vorinstanz (Proz. Nr. 110-
2005-35) sei aufzuheben.

2.
A., geboren am 23. April 1959, von St. Gallen, letzter bekannter
Wohnsitz D.-Strasse, F., sei im Sinne von Art. 35 ff. ZGB für
verschollen zu erklären.

3.
Der Beschwerdeführerin sei die unentgeltliche Rechtspflege
und Rechtsverbeiständung durch den Unterzeichneten für das
vorinstanzliche Verfahren sowie das vorliegende Beschwerde-
verfahren zu gewähren.

4. Unter
Kostenfolge.“
Als Begründung wurde geltend gemacht, dass ein Wohnsitz als letzter be-
kannter zu gelten habe, wenn mit den im Verkehr üblichen und zumutbaren Mitteln
kein späterer Wohnsitz nachgewiesen werden könne. A. habe sich als reisender
Musiker nie lange an ein und demselben Ort aufgehalten. Auch wenn er während
einiger Zeit zwischen Polen und der Schweiz hin und her pendelte, habe er nie die
Absicht des dauernden Verbleibens bzw. die Absicht, hier oder dort einen Wohn-
sitz zu begründen geäussert. Die Vorinstanz sei sich denn selbst nicht klar, wo der
Verschollene einen Wohnsitz begründet haben könnte. Wäre sich die Vorinstanz
über eine Wohnsitzbegründung von A. in Polen oder in der Schweiz sicher, dann
hätte sie diesen auch entsprechend benennen können. Deshalb sei nachgewie-
sen, dass sich der letzte bekannte Wohnsitz von A. in F. befunden habe. In Bezug
auf die Abweisung des Gesuchs um unentgeltliche Rechtsverbeiständung wurde
geltend gemacht, dass Z. sehr schlecht deutsch spreche und schreibe und den
Umgang mit Behörden und Gerichten nicht gewohnt sei. Das vorliegende Verfah-
ren zeige zudem, dass die gerichtliche Zuständigkeit nicht einfach und klar sei.
Deshalb sei Z. die unentgeltliche Rechtsverbeiständung sowohl für das
vorinstanzliche Verfahren als auch für das vorliegende Beschwerdeverfahren zu
gewähren.
H.
Mit Schreiben vom 11. November 2005 verzichtete die Vorinstanz
auf die Einreichung einer Vernehmlassung.
Auf die weiteren Ausführungen im angefochtenen Urteil sowie in der
Rechtsschrift wird, soweit erforderlich, in den nachfolgenden Erwägungen einge-
gangen.



5


Der Kantonsgerichtsausschuss zieht in Erwägung :
1. a) Gemäss Art. 232 der Zivilprozessordnung des Kantons Graubünden
(ZPO; BR 320.000) kann beim Kantonsgerichtsausschuss wegen Gesetzesverlet-
zung Beschwerde geführt werden gegen nicht berufungsfähige Urteile sowie pro-
zesserledigende Entscheide der Einzelrichter, des Bezirksgerichtsausschusses
und des Bezirksgerichts, ferner gegen Entscheide dieser Instanzen im Sinne von
Art. 232 Ziffer 1 bis 8 ZPO. Die Beschwerde ist schriftlich unter Beilage des ange-
fochtenen Entscheids und der dem Beschwerdeführer schon erstatteten Beweis-
urkunden innert der peremptorischen Frist von 20 Tagen seit der Mitteilung des
angefochtenen Entscheides einzureichen. Zudem ist in der Beschwerde mit kurzer
Begründung anzugeben, welche Punkte des Entscheides angefochten werden
und welche Abänderungen beantragt werden; neue Rechtsbegehren und neue
Beweismittel sind ausgeschlossen (vgl. Art. 233 ZPO). Gemäss Art. 235 Abs. 2
ZPO sind die Feststellungen der Vorinstanz über tatsächliche Verhältnisse für die
Beschwerdeinstanz bindend, wenn sie nicht unter Verletzung der Beweisvorschrif-
ten zustandegekommen sind oder sich als willkürlich erweisen. Ist die Sache
spruchreif, so fällt der Kantonsgerichtsausschuss ohne weiteres den Entscheid;
andernfalls weist er die Sache an die Vorinstanz zurück (vgl. Art. 235 Abs. 3 ZPO).
Auf die frist- und formgerecht eingereichte Beschwerde ist einzutreten.
b)
Die Frage der örtlichen Zuständigkeit ist eine von Amtes wegen zu
prüfende Sachurteilsvoraussetzung (vgl. Art. 34 des Bundesgesetzes über den
Gerichtsstand in Zivilsachen (Gerichtsstandsgesetz, GestG); SR 272). In Bezug
auf das Verschollenheitsverfahren sind deshalb die eigenen Kenntnisse des Ge-
richts hinsichtlich des letzten Wohnsitzes einer verschwundenen Person massge-
bend und nicht jene der gesuchstellenden Person. Das Gericht ist somit für die
Erstellung des massgebenden Sachverhaltes mitverantwortlich. Entsprechende
selbständige Eintretensentscheide im Sinne von Art. 93 Abs. 1 ZPO unterliegen -
unbesehen ihres Entscheidungsinhalts beziehungsweise der Frage der Prozesser-
ledigung (Bejahung oder Verneinung der Zuständigkeit) - gemäss Art. 232 Ziff. 1
in Verbindung mit Art. 93 Abs. 2 ZPO der zivilrechtlichen Beschwerde an den Kan-
tonsgerichtsausschuss.
2. a) Ist der Tod einer Person höchst wahrscheinlich, weil sie in hoher To-
desgefahr verschwunden oder seit langem nachrichtlos abwesend ist, so kann sie
das Gericht gemäss Art. 35 des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (ZGB; SR
210) auf das Gesuch derer, die aus ihrem Tode Rechte ableiten, für verschollen



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erklären. Das Gesuch kann nach Ablauf von mindestens einem Jahr seit dem
Zeitpunkt der Todesgefahr oder von fünf Jahren seit der letzten Nachricht ange-
bracht werden (vgl. Art. 36 Abs. 1 ZGB). Örtlich zwingend zuständig für Begehren
um Verschollenerklärung ist nach Art. 13 GestG das Gericht am letzten bekannten
Wohnsitz der verschwundenen Person. Gemäss Art. 3 Abs. 2 GestG bestimmt
sich der Wohnsitz nach dem Zivilgesetzbuch, wobei Art. 24 ZGB über den fiktiven
Wohnsitz nicht anwendbar ist. Der Ausschluss von Art. 24 ZGB durch Art. 3 Abs. 2
Satz 2 GestG greift aber materiell nicht, denn der letzte bekannte Wohnsitz ge-
mäss Art. 13 GestG ist identisch mit dem fortgesetzten Wohnsitz nach Art. 24 ZGB
(vgl. Christian Schuhmacher in: Karl Spühler/Luca Tenchio/Dominik Infanger
(Hrsg.), Kommentar zum Schweizerischen Zivilprozessrecht, Bundesgesetz über
den Gerichtsstand in Zivilsachen (GestG), Basel/Genf/München 2001, N. 9 zu Art.
13 GestG (zit. BSK)). Die sachliche Zuständigkeit ergibt sich aus Art. 6 des Einfüh-
rungsgesetzes zum Schweizerischen Zivilgesetzbuch des Kantons Graubünden
(EGzZGB; BR 210.100), wonach das Bezirksgericht für die Durchführung des Ver-
schollenheitsverfahrens gemäss Art. 35 ZGB zuständig ist.
b)
Nach Art. 23 Abs. 1 ZGB befindet sich der Wohnsitz einer Person an
dem Orte, wo sie sich mit der Absicht dauernden Verbleibens aufhält, wobei nie-
mand an mehreren Orten zugleich seinen Wohnsitz haben kann (Abs. 2). Art. 23
Abs. 1 ZGB stellt somit zwei Kriterien auf, die kumulativ erfüllt sein müssen. Ob-
jektives Merkmal ist dabei der tatsächliche (physische) Aufenthalt an einem be-
stimmten Ort. Subjektives Merkmal ist die Absicht des dauernden Verbleibens. Die
subjektive Absicht ist allerdings nur insoweit von Belang, als sie sich in objektiv
erkennbaren Umständen äussert. Massgebend ist somit der Ort, wo sich der Mit-
telpunkt der Lebensinteressen befindet, folglich also am Wohnort, wo man schläft,
die Freizeit verbringt und wo sich die persönlichen Effekten befinden. Entschei-
dend ist mit anderen Worten, ob die Person den Ort, an dem sie weilt, in einer für
Dritte erkennbaren Weise zum Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen gemacht hat
oder zu machen beabsichtigt, wobei die Absicht des dauernden Aufenthalts zwin-
gend zum Zeitpunkt der Wohnsitzbegründung bestanden haben muss und deren
dauerhafter Charakter muss nach aussen hin erkennbar sein (vgl. dazu Felix Das-
ser in: Thomas Müller/Markus Wirth (Hrsg.), Gerichtsstandsgesetz, Kommentar
zum Bundesgesetz über den Gerichtsstand in Zivilsachen, Zürich 2001, N. 25 zu
Art. 3 GestG (zit. Komm. GestG); Daniel Staehelin in: Heinrich Honsell/Nedim Pe-
ter Vogt/Thomas Geiser, Basler Kommentar zum Schweizerischen Zivilgesetz-
buch, Zivilgesetzbuch I, Art. 1-456 ZGB, 2. Aufl., Basel/Genf/München 2002, N. 5
ff. zu Art. 23 ZGB; BSK-Dominik Infanger, N. 12 ff. zu Art. 3 GestG). Auch ein von



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vornherein bloss vorübergehender Aufenthalt kann einen Wohnsitz begründen
(vgl. BGE 69 II 280 E. 2). Mit anderen Worten ist somit die Frage, ob der Aufent-
halt an einem Ort erst während kurzer Zeit angedauert hat oder ob er allenfalls
zeitweilig unterbrochen wurde nicht von Belang, solange sich manifestiert, dass
nicht bloss ein vorübergehender Aufenthalt beabsichtigt ist (vgl. Bernhard Berger
in: Franz Kellerhals/Nicolas von Werdt/Andreas Güngerich (Hrsg.), Gerichts-
standsgesetz, Kommentar zum Bundesgesetz über den Gerichtsstand in Zivilsa-
chen, 2. Aufl., Bern 2005, N. 19 zu Art. 3 GestG).
c)
Wie bereits ausgeführt ist gemäss Art. 13 GestG für Begehren um
Verschollenerklärung zwingend das Gericht am letzten bekannten Wohnsitz der
verschwundenen Person zuständig. Ein Wohnsitz hat erst dann als letzter bekann-
ter zu gelten, wenn mit den im Verkehr üblichen und zumutbaren Mitteln kein spä-
terer Wohnsitz nachgewiesen werden kann (vgl. BSK-Christian Schuhmacher, N.
11 zu Art. 13 GestG). In seltenen Fällen kann feststehen, dass die Person einen
späteren Wohnsitz begründet hat, ohne dass bekannt wäre, wo dieser liegt. Kann
der letzte Wohnsitz einer vermissten Person nicht nachgewiesen werden, so ist in
analoger Anwendung von Art. 4 GestG das Gericht am letzten bekannten gewöhn-
lichen Aufenthaltsort der verschwundenen Person für das Verschollenheitsverfah-
ren zuständig (vgl. BSK-Christian Schuhmacher, N. 10 zu Art. 13 GestG). Dieser
sog. Aufenthaltsgerichtsstand kommt aber aufgrund der Besonderheiten des Ver-
schollenheitsverfahrens nur eingeschränkt zur Anwendung. Das Gericht am letz-
ten gewöhnlichen Aufenthalt einer verschwundenen Person steht nur dann zur
Verfügung, wenn der Vermisste nie über einen nachweisbaren Wohnsitz verfügt
hat. Ebenso kommt der subsidiäre Gerichtsstand nicht zur Anwendung, wenn ein
Wohnsitz aufgegeben und noch kein neuer begründet wurde. Die Anwendbarkeit
des Aufenthaltsgerichtsstandes auch im Falle der Wohnsitzaufgabe hätte zudem
vorab in Fällen lange andauernder Abwesenheit regelmässig den Verlust des
Wohnsitzforums zur Folge und würde den Kläger beziehungsweise den Gesuch-
steller vor die schwierige Aufgabe stellen, einen letzten Aufenthaltsort nachweisen
zu müssen. Eine Anhebung des Verschollenheitsverfahrens am letzten Aufent-
haltsort kann somit nur dann stattfinden, wenn ein nachweisbarer Wohnsitz nie
bestanden hat; mit anderen Worten ist der letzte Wohnsitz des Vermissten mass-
gebend (vgl. dazu Dimitri Santoro, Komm. GestG, N. 19 ff. zu Art. 13 GestG).
d)
Das Bundesgesetz über das Internationale Privatrecht (IPRG; SR
291) sieht in Art. 41 Abs. 1 für die Verschollenerklärung eine Zuständigkeit der
schweizerischen Gerichte oder Behörden am letzten bekannten Wohnsitz der ver-



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schwundenen Person vor. Die Regelung des IPRG deckt sich so mit der Bestim-
mung von Art. 13 GestG. Art. 41 Abs. 1 IPRG setzt aber voraus, dass es sich bei
der Verschollenerklärung um eine Person ausländischer Staatsangehörigkeit han-
delt; andernfalls fehlt es am notwendigen internationalen Bezug. Art. 41 Abs. 2
IPRG begründet alternativ die Zuständigkeit der schweizerischen Gerichte und
Behörden, wenn für die Verschollenerklärung ein schützenswertes Interesse be-
steht. Auch hier ist der erforderliche internationale Bezug nur gegeben, wenn es
sich um eine Person ausländischer Staatsangehörigkeit handelt oder wenn der
letzte bekannte Wohnsitz der Person im Ausland lag (vgl. BSK-Christian Schuh-
macher, N. 14 f. zu Art. 13 GestG; Dimitri Santoro, Komm. GestG, N. 25 zu Art. 13
GestG).
3. a) Vorliegend kann festgehalten werden, dass der vermisste A. Schwei-
zer Bürger ist. Das IPRG kann somit gemäss obigen Ausführungen nicht zur Be-
gründung der fehlenden Zuständigkeit beigezogen werden. Die diesbezüglichen
Ausführungen der Vorinstanz in Ziffer 2 auf Seite 6 sind somit obsolet. Nebenbei
bemerkt kommt auch das Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und
die Vollstreckbarkeit gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen
(Lugano-Übereinkommen (LugÜ); SR 0.275.11) nicht zur Anwendung, da die Ver-
schollenerklärung eine Frage des Personenstandes betrifft (vgl. Art. 1 Abs. 2 Ziffer
1 LugÜ).
b)
Weiter steht fest, dass der Verschollene anfangs November 1990
von St. Gallen nach F. gezogen ist und an der D.-Strasse eine Wohnung bezogen
hat. Zudem liess er sich am 4. November 1990 bei der Einwohnerkontrolle der
Stadt F. registrieren. Daraus ergibt sich, dass der Verschollene damals beabsich-
tigte, sich für einen unbestimmten Zeitraum in F. aufzuhalten. Es ist somit unbe-
stritten, dass der letzte bekannte Wohnsitz des Verschollenen in F. war, bevor er
sich am 7. November 1991 wieder bei der Einwohnerkontrolle abmeldete (vgl. act.
II/1). Die Vorinstanz stellt nun die Vermutung auf, dass nicht zu erwarten sei, dass
nach einer Preisgabe eines früheren Lebensmittelpunktes keine neue Wohnsitz-
begründung an einem anderen Ort stattgefunden haben soll, weil ein längerdau-
erndes Verbleiben ohne Wohnsitzbegründung nicht zu erwarten sei. Die Vo-
rinstanz spekuliert dabei letztlich aufgrund der Abmeldung des Verschollenen in
Richtung Polen und nimmt aufgrund der Aussagen seiner Mutter E. und der Be-
schwerdeführerin an, dass A. zumindest zeitweilig Aufenthalt in Polen hatte oder
dort sogar einen neuen Wohnsitz begründet hatte. Dem kann nicht gefolgt werden.
Wie bereits ausgeführt, ist der letzte bekannte Wohnsitz gemäss Art. 13 GestG mit



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dem fortgesetzten Wohnsitz identisch (vgl. vorne E. 2. a)) und ein allfälliger Auf-
enthaltsgerichtsstand kommt bei einer Wohnsitzaufgabe nicht zum Zuge. Ein sol-
cher kommt nur in Frage, wenn kein bekannter früherer Wohnsitz vorhanden ist
oder nachgewiesen werden kann. Vorliegend ist aber ein früherer Wohnsitz von A.
bekannt, womit die Voraussetzung für die Annahme eines Aufenthaltsgerichts-
standes ausgeschlossen ist. Auch wenn nicht mit eindeutiger Sicherheit ein späte-
rer (fester) Aufenthaltsort geschweige denn ein neuer Wohnsitz des Verschollenen
festgestellt werden kann, so muss für eine Verneinung der örtlichen Zuständigkeit
der Vorinstanz aber mit Sicherheit nachgewiesen werden, dass A. in Polen (oder
sonst irgendwo) einen neuen Wohnsitz begründet hat. Aus den Akten geht hervor,
dass A. aber weder in der Schweiz noch in Polen die Absicht des dauernden Ver-
bleibens beziehungsweise die Absicht, hier oder dort einen Wohnsitz zu begrün-
den, äusserte. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass er zeitweise bei der
Mutter der Beschwerdeführerin in Polen lebte. Auch spricht die Tatsache, dass A.
seinen Lebensunterhalt als reisender Geigenspieler verdiente, gegen die Begrün-
dung eines neuen Wohnsitzes an einem anderen Ort. So gab auch die Mutter des
Verschollenen an, ihr Sohn pendle schon seit 10 Jahren zwischen der Schweiz
und Polen hin und her (vgl. act. II/3, S. 4). Daher reicht die von der Vorinstanz
aufgestellte Vermutung der Begründung eines neuen Wohnsitzes durch A. zur
Verneinung der örtlichen Zuständigkeit nicht aus. Die Frage der örtlichen Zustän-
digkeit ist gemäss Art. 34 GestG eine von Amtes wegen zu prüfende Sachurteils-
voraussetzung. Die Vorinstanz muss zur Erstellung des massgebenden Sachver-
haltes in Bezug auf den letzten Wohnsitz von A. allenfalls weitere Abklärungen
vornehmen. Sie kann sich bei ihrer Beurteilung nicht allein auf die Aussagen der
Gesuchstellerin beziehungsweise Beschwerdeführerin Z. und der Mutter des Ver-
schollenen stützen. Ein letzter bekannter Wohnsitz hat grundsätzlich erst dann als
ein solcher zu gelten, wenn kein späterer Wohnsitz mit Sicherheit nachgewiesen
werden kann. Allerdings hat die Vorinstanz nicht in beliebige Richtungen Nachfor-
schungen nach einem allfälligen späteren Wohnsitz von A. anzustellen. Weitere
Recherchen müssten sich aufgrund klarer Indizien rechtfertigen. Kommt das Be-
zirksgericht zum Schluss, dass solche fehlen, so ist F. als letzter Wohnsitz anzu-
nehmen, womit die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts gegeben wäre.
Die Beschwerde erweist sich somit in diesem Punkt als begründet und ist
gutzuheissen. Die Sache wird zur Neubeurteilung im Sinne der Erwägungen an
die Vorinstanz zurückgewiesen, zumal diese auch gemäss Art. 6 Abs. 1 EGzZGB
zur Verschollenerklärung sachlich zuständig wäre, falls kein anderer letzter be-
kannter Wohnsitz als F. festgestellt werden könnte.



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4. a) Gemäss Art. 47a ZPO sind Entscheide über die unentgeltliche
Rechtspflege, die Bestellung des unentgeltlichen Rechtsbeistandes und die Fest-
legung der Entschädigung des unentgeltlichen Rechtsbeistandes den Betroffenen
mitzuteilen und können mit zivilrechtlicher Beschwerde an den Kantonsgerichts-
ausschuss gemäss Art. 232 Ziffer 8 ZPO angefochten werden.
b)
Dem Wesen der freiwilligen Gerichtsbarkeit entsprechend hat der
Richter in Sachen der unentgeltlichen Rechtspflege die Tatsachen grundsätzlich
von Amtes wegen abzuklären (vgl. Art. 43 Abs. 2 ZPO). Die Offizialmaxime gilt
indessen nur beschränkt. Eine erste Einschränkung besteht darin, dass gemäss
Art. 43 Abs. 1 ZPO das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege zu begründen ist,
und ihm die erforderlichen Unterlagen beizulegen sind (vgl. VPB 2000 Nr. 28, E.
3). Angesichts dieser Bestimmung muss von einer Partei, welche unentgeltliche
Rechtspflege beantragt, verlangt werden, dass sie die ihr leicht zugänglichen be-
ziehungsweise die sich bereits in ihrem Besitz befindenden Unterlagen ohne wei-
teres, das heisst ohne hierzu besonders aufgefordert zu sein, einreicht. Sie hat
eine klare und umfassende Darstellung ihrer finanziellen Situation abzugeben, und
es sind daran umso höhere Anforderungen zu stellen, je komplexer diese Verhält-
nisse sind (vgl. zum Ganzen Norbert Brunner, Die unentgeltliche Rechtspflege
nach bündnerischer Zivilprozessordnung - unter besonderer Berücksichtigung der
neueren Praxis des Kantonsgerichtsausschusses von Graubünden, in ZGRG
04/03 S. 159; PKG 2001 Nr. 9). Gemäss Art. 43 Abs. 1 ZPO ist das Gesuch beim
zuständigen Einzelrichter, beim Präsidenten des angerufenen erstinstanzlichen
Gerichts und für das Rechtsmittelverfahren beim Präsidenten der angerufenen
Rechtsmittelinstanz einzureichen.
c)
Unentgeltliche Rechtspflege - umfassend die Gerichtskostenbefrei-
ung (vgl. Art. 45 Abs. 1 ZPO) und die Bestellung eines Rechtsbeistandes auf Kos-
ten des Gemeinwesens oder des Kantons (vgl. Art. 47 Abs. 1 ZPO) - können
Rechtssuchende unter den kumulativen Voraussetzungen beanspruchen, dass sie
in gewissem Sinne mittellos sind und sich das angestrebte Verfahren nicht als of-
fensichtlich mutwillig oder aussichtslos erweist (vgl. Art. 42 ZPO).
d)
Die Mittellosigkeit als Voraussetzung für die Inanspruchnahme von
Prozesskostenhilfe umschreibt Art. 42 Abs. 1 1. Satz ZPO dergestalt, dass einer
Partei, die öffentliche Sozialhilfe bezieht oder sonst nicht in der Lage ist, neben
dem notwendigen Lebensunterhalt für sich und ihre Angehörigen für die erforderli-



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chen Prozesskosten aufzukommen, die unentgeltliche Rechtspflege zu bewilligen
ist.
e) Vorliegend
wurde
der Beschwerdeführerin von der Vorinstanz die
unentgeltliche Prozessführung sinngemäss bewilligt, indem aufgrund des geringen
Verfahrensaufwandes und der prekären finanziellen Situation der Beschwerdefüh-
rerin auf die Erhebung von Gerichtskosten verzichtet wurde. Hingegen wurde ihr
die unentgeltliche Rechtsverbeiständung insbesondere mit der Begründung ver-
weigert, dass die vorliegenden Tat- und Rechtsfragen nicht besonders schwierig
seien. Der diesbezüglichen Argumentation der Vorinstanz kann nicht gefolgt wer-
den. Die Mittellosigkeit als Voraussetzung zur Gewährung von unentgeltlicher
Rechtspflege ist vorliegend gegeben, da die Beschwerdeführerin soziale Unter-
stützungsbeiträge erhält (vgl. act. II/4). Auch erweist sich das angestrebte Verfah-
ren als nicht aussichtslos, wie das Resultat des vorliegenden Beschwerdeverfah-
rens gerade zeigt. Somit sind die kumulativen Voraussetzungen gemäss Art. 42
ZPO zur Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege erfüllt. Der Beizug eines
Rechtsanwaltes durch die Beschwerdeführerin war vorliegend notwendig, da, wie
dies der Ausgang des Beschwerdeverfahrens zeigt, keine einfachen Rechtsfragen
in Bezug auf die örtliche Zuständigkeit für die Verschollenerklärung von A. vorlie-
gen. Die Beschwerde ist somit auch in diesem Punkt gutzuheissen und die Vo-
rinstanz wird angewiesen, im Sinne der Erwägungen die unentgeltliche Rechts-
pflege mit Rechtsverbeiständung für das vorinstanzliche Verfahren zu gewähren.
Da die Beschwerdeführerin keinen Wohnsitz im Kanton Graubünden hat, gehen
die Kosten der unentgeltlichen Rechtspflege gemäss Art. 47 Abs. 1 ZPO zu Las-
ten des Kantons Graubünden.
5.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens gehen die Kosten des Be-
schwerdeverfahrens zu Lasten des Kantons Graubünden, der die Beschwerdefüh-
rerin zudem aussergerichtlich mit Fr. 500.-- zu entschädigen hat. Keine ausserge-
richtliche Entschädigung wird für das Gesuch an die Vorinstanz um Verschollener-
klärung zugesprochen, da es sich um ein Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit
handelt.



12


Demnach erkennt der Kantonsgerichtsausschuss :
1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen, das angefochtene Urteil aufgehoben
und die Sache zur neuen Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die
Vorinstanz zurückgewiesen.
2.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens gehen zu Lasten des Kantons
Graubünden, der die Beschwerdeführerin für das Verfahren vor dem Kan-
tonsgerichtsausschuss mit Fr. 500.-- zu entschädigen hat.
3. Mitteilung
an:
__________
Für den Kantonsgerichtsausschuss von Graubünden
Der Präsident:
Der Aktuar ad hoc:


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