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Urteil Kantonsgericht Graubünden (GR)

Kopfdaten
Kanton:GR
Fallnummer:SKA-03-11
Instanz:Kantonsgericht Graubünden
Abteilung:-
Kantonsgericht Graubünden Entscheid SKA-03-11 vom 25.06.2003 (GR)
Datum:25.06.2003
Rechtskraft:-
Leitsatz/Stichwort:Aufhebung Steigerungszuschlag (Doppelaufruf/Miete)
Schlagwörter : Träge; Zeichnis; Verzeichnis; Mietverträge; Tenverzeichnis; Lastenverzeichnis; Beschwer; Beschwerde; Nerin; Steigerung; Recht; Betreibung; Schuldnerin; Doppel; Aufruf; Doppelaufruf; Recht; Mieter; Sicht; Betreibungsamt; Schaft; SchKG; Erwerb; Zuschlag; Erwerber; Wertung; Genschaft; Henden; Gungen; Kantonsgericht
Rechtsnorm: Art. 142 KG ; Art. 226 OR ; Art. 261 OR ; Art. 261b OR ; Art. 812 ZGB ; Art. 836 ZGB ;
Referenz BGE:120 III 20; 125 III 37; 128 III 82;
Kommentar zugewiesen:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
Weitere Kommentare:
Entscheid
Kantonsgericht von Graubünden
Tribunale cantonale dei Grigioni


Dretgira chantunala dal Grischun

Ref.:
Chur, 25. Juni 2003
Schriftlich mitgeteilt am:
SKA 03 11

Entscheid
Kantonsgerichtsausschuss
als Aufsichtsbehörde über Schuldbetreibung und Konkurs
Präsident Brunner, Kantonsrichterinnen Riesen-Bienz und Tomaschett-Murer, Ak-
tuar Conrad.
——————
In der Schuldbetreibungs- und Konkursbeschwerde
der B a n k X . , Gläubigerin und Beschwerdeführerin,
gegen
die Verfügung des Betreibungsamtes Maienfeld vom 28. März 2003, mitgeteilt am
28. März 2003, in Sachen der Gläubigerin und Beschwerdeführerin gegen M. H.,
Schuldnerin und Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. iur. Peter
von Salis, Rebweg 3, 8466 Trüllikon,
betreffend Aufhebung Steigerungszuschlag (Doppelaufruf/Miete),
hat sich ergeben:



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A.
In der Betreibung auf Grundpfandverwertung Nr. 2001005 des Be-
treibungsamtes Maienfeld, mit M. H., J., als Schuldnerin, und der Bank X. (im Fol-
genden Bank X.) als Gläubigerin über eine Kapitalforderung von Fr. 700'000.- zu-
züglich Zinsen, gelangte das im Alleineigentum der Schuldnerin stehende Grund-
pfand (Gemeinde J., Parzelle 256, Wohn- und Geschäftshaus "Casa F.", 1134 m2
Gebäudefläche und Umschwung, betreibungsamtliche Schätzung Fr. 1'363'000.-)
auf Begehren der Gläubigerin Bank X. am 28. März 2003 zur Versteigerung. Die
Mitteilung des Lastenverzeichnisses erfolgte am 14. Februar 2003; Publikationen
der Steigerung erfolgten am 21. Januar 2003 im kantonalen Amtsblatt (mit der
Aufforderung zur Anmeldung von Ansprüchen) und am 14. März 2003 in der Ta-
geszeitung "Südostschweiz". Das Lastenverzeichnis und die Steigerungsbedin-
gungen lagen vom 21. Februar 2003 bis am 13. März 2003 beim Betreibungsamt
Maienfeld zur Einsicht auf. Aus dem aufgelegten Lastenverzeichnis gehen keine
vorgemerkten Mietverträge hervor. In Ziffer 18 der Steigerungsbedingungen ist
erwähnt, dass das Steigerungsobjekt von der Schuldnerin, ihrem Lebenspartner
sowie einer Tochter der Schuldnerin und deren Kind bewohnt wird. Lastenver-
zeichnis und Steigerungsbedingungen blieben unangefochten.
B.
Bei der ankündigungsgemäss am 28. März 2003 durchgeführten
Versteigerung wurde die Pfandliegenschaft der betreibenden Bank X., welche als
einzige Bieterin in Erscheinung trat, zum Preis von Fr. 950'000.- zugeschlagen.
Gemäss Steigerungsprotokoll sind zu Beginn der Versteigerung aus dem
anwesenden Publikum unter anderem Fragen an den Gantleiter zum Bestehen
von auf dem Steigerungsobjekt lastenden Mietverträgen gestellt worden. Nach
betreibungsamtlich bestätigter Sachdarstellung der Beschwerdegegnerin sei dies
vom anwesenden M., der Partei eines solchen Mietvertrages sei, ausdrücklich be-
stätigt worden, wie auch die Tatsache, dass es sich dabei um einen langfristigen
Mietvertrag handle. Bei M. handelt es sich um den in den Steigerungsbedingun-
gen erwähnten Lebenspartner der Schuldnerin M. H..
C.
Im Zuge einer von M. H. am 4. April 2003 gegen den Zuschlag an die
Bank X. erhobenen Beschwerde in der nämlichen Betreibung 2001005, auf welche
der Kantonsgerichtsausschuss mit Entscheid vom 25. Juni 2003 nicht eintrat (SKA
03 9), legte die Schuldnerin insgesamt drei das Steigerungsobjekt betreffende,
schriftliche Mietverträge ins Recht. Die Mietverträge für die geräumige "Casa F.",
welche sich über die Parzellen 255 und 256 erstreckt, wurden von der Schuldnerin
und Grundpfandeigentümerin am 1. März 2001 mit der Erbengemeinschaft H.,



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bestehend aus der Schuldnerin und ihren 7 Kindern, mit E. H. (Tochter der
Schuldnerin) und M. (Lebensgefährte der Schuldnerin) zu Mietzinsen (Heiz- und
Nebenkosten inklusive) von monatlich Fr. 1'000.-, 900.- und 1'200.- abgeschlos-
sen. Ferner liegt ein unter dem gleichen Datum abgeschlossener Mietvertrag zwi-
schen der Erbengemeinschaft H. und M. H. vor, mit welchem die Erbengemein-
schaft den auf ihrem Grundstück Parzelle 255 stehenden Teil der Casa F. an M.
H. vermietet. Alle Mieter sind jeweils berechtigt, alle Räume der "Casa F." zu be-
nützen. Gemäss sämtlichen, frühestens auf den 31. Dezember 2010 kündbaren
Verträgen sollen die Mietzinsen durch Verrechnung bezahlt werden.
Von diesen schriftlichen Mietverträgen erhielt die Bank X. im Verlauf des
Vernehmlassungsverfahrens im Beschwerdeverfahren SKA 03 9 Kenntnis.
D.1. Gegen den Zuschlag in der Betreibung Nr. 2001005 führte die Gläu-
bigerin und Ersteigerin Bank X. mit Eingabe vom 17. April 2003 daraufhin eben-
falls Beschwerde (SKA 03 11) an den Kantonsgerichtsausschuss als Aufsichtsbe-
hörde über Schuldbetreibung und Konkurs, mit dem Rechtsbegehren, es sei der
am 28. März 2003 an sie selbst erfolgte Zuschlag des Grundstücks Parzelle 256
aufzuheben und das Betreibungsamt Maienfeld anzuweisen, einen neuen Verstei-
gerungstermin anzusetzen, an welchem das Grundstück mit Doppelaufruf zu ver-
steigern sei.
Zur Begründung macht sie einen Grundlagenirrtum anlässlich des Zu-
schlags geltend. Sie habe die Liegenschaft ersteigert, in der Meinung, sie so zu
erwerben, wie sie sich aus dem Lastenverzeichnis und den Steigerungsbedingun-
gen dargestellt habe. Wenn ihr die an der Liegenschaft bestehenden, langfristigen
Mietverträge bekannt gewesen wären, hätte sie dieselbe nicht ersteigert bezie-
hungsweise deren Versteigerung im Doppelaufruf verlangt.
2.
Mit Beschwerdeantwort vom 28. April 2003 liess die Schuldnerin M.
H. beantragen, es sei auf die Beschwerde mangels Einhaltung der Beschwerde-
frist nicht einzutreten.
3.
Das Betreibungsamt Maienfeld liess sich am 5. Mai 2003 dahin ver-
nehmen, dass in erster Linie zu prüfen sei, ob die Mietverträge auf der Pfandlie-
genschaft rechtsgültig seien und demnach von einem Ersteigerer zu übernehmen
wären. Falls dies zutreffe, müsse die Steigerung wiederholt werden.



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4.
Auf die weiteren Beschwerdebegründungen und die Akten des Be-
treibungsverfahrens ist, sofern und soweit sachdienlich, in den nachfolgenden Er-
wägungen einzugehen.
Der Kantonsgerichtsausschuss zieht in Erwägung :
1.
Die Beschwerdegegnerin wendet ein, die Beschwerde vom 17. April
2003 sei verspätet, weil die Bank X. bereits am Steigerungstag des 28. März 2003
vom Bestehen der Mietverträge, welche allenfalls Grund für einen Doppelaufruf
und damit für eine Anfechtung des Zuschlags geliefert hätten, Kenntnis erlangt
habe. Eine Prüfung der Frage, ob die Beschwerde rechtzeitig im Sinne von Art.
132a Abs. 2 SchKG ist, kann indessen unterbleiben, da die Beschwerde nach dem
von der Bank angerufenen Anfechtungsgrund -fehlende Möglichkeit, den Doppel-
aufruf zu verlangen- gegenstandslos ist; allenfalls fehlt ihr die für eine Beschwer-
de notwendige Beschwer.
2.a. Unbestritten ist, dass die besagten Mietverträge nicht im Grundbuch
vorgemerkt sind (Art. 261b OR), weshalb eine Aufnahme ins Lastenverzeichnis
unter der entsprechenden Rubrik aufgrund der Grundbuchauszüge (Art. 140 Abs.
1 SchKG, Art. 28/34 VZG) nicht erfolgen konnte. Erwiesen ist ferner, dass die
nicht vorgemerkten Mietverträge auch nicht als "Andere Lasten" (Formular VZG 9;
vgl. Franco Lorandi in AJP 1998, S. 845) ins Lastenverzeichnis Aufnahme fanden
beziehungsweise dort pro memoria angemerkt wurden. Das Betreibungsamt konn-
te eine Aufnahme schlicht nicht veranlassen, weil zum einen ein Antrag fehlte, und
es aus anderer Quelle, namentlich im Zuge der Verwaltung der Pfandliegenschaft
(Mietzinseinzug), ebensowenig etwas von den Mietverträgen wusste, was ansons-
ten eine Aufnahme "von Amtes wegen" nach sich gezogen hätte (vgl. Daniel
Staehelin, Die Aufnahme in das Lastenverzeichnis und die Parteirollenverteilung
für den Lastenbereinigungsprozess, in FS 75 Jahre Konferenz der Betreibungs-
und Konkursbeamten der Schweiz, Basel 2000, S. 315). Soweit mit anderen Quel-
len die Schuldnerin angesprochen ist, kann festgestellt werden, dass diese die
Existenz der Mietverträge pflichtwidrig verschwiegen hat. Sie wäre sowohl auf-
grund der ausdrücklichen Aufforderung des Betreibungsamtes vom 28. Oktober
2002 (act. 04.10) als auch bei nachgehend erfolgten Pfändungshandlungen ver-
pflichtet gewesen, die Mietverhältnisse sofort offen zu legen. Im speziellen Fall
kann man ferner, ohne in Willkür zu verfallen annehmen, dass sämtliche Mieter,
alles verwandte und/oder in gefestigter Haus- oder Lebensgemeinschaft mit der



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Schuldnerin stehende Personen, von Anfang an von der bevorstehenden Verwer-
tung Kenntnis hatten. Ansonsten wäre nicht einzusehen, warum der am Erwerb
kein Interesse zeigende "Mieter" M. an der Versteigerung erschienen ist. Die Mie-
ter haben beim Betreibungsamt keine Aufnahme ihrer Mietverträge beantragt. Die
Auflage des Lastenverzeichnis wurde am 21. Januar 2003 publiziert und das Ver-
zeichnis lag beim Amt vom 21. Februar 2003 bis 13. März 2003 öffentlich zur Ein-
sicht auf. Es erwuchs allseits unangefochten in Rechtskraft, namentlich haben es
auch die Mieter nicht mit Beschwerde angefochten. Mangels eigener Kenntnisse
von Mietverträgen hatte das Betreibungsamt sodann auch keine Möglichkeit, in
den Steigerungsbedingungen auf Mietverträge hinzuweisen oder einen entspre-
chenden Doppelaufruf vorzusehen.
b.
Im Grundbuch nicht vorgemerkte Mietverträge sind dem Doppelauf-
ruf unterstellt, sofern sie langfristig sind, das heisst nicht der gesetzlichen Kündi-
gungsfrist von Art. 226 OR unterstehen (BGE 128 III 82, 126 III 290, 125 III 123,
124 III 37). Folglich sind Mietverträge, soweit sie dem Doppelaufruf unterstehen,
einerseits ins Lastenverzeichnis aufzunehmen, andererseits darf einem Begehren
um Doppelaufruf nur dann stattgegeben werden, wenn sich der Vorrang des
Pfandrechts aus dem rechtskräftigen Lastenverzeichnis ergibt (Ingrid Jent-
Sørensen, Die Rechtsdurchsetzung bei der Grundstückverwertung in der Spezial-
exekution, Habil. Zürich 2003, Rz 799 f.).
Wie vorliegend am 23. Januar 2003 -zwei Monate vor der Steigerung- ge-
schehen (act. 04.6), wird die Publikation der Steigerung mit der Aufforderung an
die Pfandgläubiger und alle übrigen Beteiligten verbunden, dem Betreibungsamt
innert 20 Tagen ihre Ansprüche am Grundstück einzugeben. Unter die übrigen
Beteiligten fallen die Mieter; unter die Ansprüche fallen die Mietverträge. Dabei
wird angekündigt, dass sie bei Nichteinhalten dieser Frist am Ergebnis der Ver-
wertung nur teilhaben, soweit ihre Rechte im Grundbuch eingetragen sind (Art.
138 Abs. 2 Ziff. 3 SchKG). Anhand dieser Eingaben der Berechtigten und des
Grundbuches erstellt das Betreibungsamt das Lastenverzeichnis. Wurde -wie vor-
liegend- von keiner Seite auf die Existenz von Mietverträgen hingewiesen, und
hat der Betreibungsbeamte auch aus anderen Quellen keine Kenntnis davon,
kann er keine Mietverträge ins Lastenverzeichnis aufnehmen. Da gemäss Art. 142
Abs. 1 SchKG ein Doppelaufruf nur bezüglich im Lastenverzeichnis eingetragener
Rechte möglich ist, müssen auch nicht vorgemerkte Mietverträge, sollen sie
Grundlage für einen Antrag auf Doppelaufruf bilden, in das Lastenverzeichnis auf-
genommen werden. Die Anordnung des Doppelaufrufs ist nur zulässig, wenn der



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Vorrang des Pfandrechts manifest ist, sei es, dass er sich aus dem unangefochte-
nen Lastenverzeichnis ergibt, sei es, dass der Inhaber des betroffenen Rechts
(Mieter) den Vorrang anerkannt hat oder der Grundpfandgläubiger ihn erfolgreich
eingeklagt hat (Art. 142 Abs. 2 SchKG; Staehelin, a.a.O., S. 314). Mietverträge
sind ins Lastenverzeichnis aufzunehmen. Lasten, die -aus welchen Gründen
auch immer- nicht ins eigentliche Lastenverzeichnis aufgenommen wurden, kön-
nen nicht übergehen und daher auch nicht vom Doppelaufruf erfasst werden. Ab-
zulehnen ist diesbezüglich die Ansicht, weil der Rechtsübergang nach Art. 261
Abs. 1 OR ipso iure erfolge, und es selbst einem gutgläubigen Erwerber verwehrt
sei, sich auf einen fehlenden Eintrag im Lastenverzeichnis zu berufen, könne die
fehlende Aufnahme ins Lastenverzeichnis dem Mieter nicht schaden (so Thomas
Pietruszak/Jörg Zachariae, Der Schutz des Mieters von Wohn- und Geschäfts-
räumen in der Zwangsverwertung, recht 2000, S. 48, insbesondere Anm. 71),
würde doch damit im Sinne einer einzigartigen Ausnahme das zwangsvollstre-
ckungsrechtliche System von Lastenverzeichnis und -bereinigungsverfahren voll-
ständig ausser Kraft gesetzt. Damit würde dem Mietvertrag eine dingliche, in je-
dem Stadium des Vollstreckungsverfahrens von Amtes wegen durchzusetzende
Drittwirkung zuerkannt, welche selbst jene der unmittelbar gesetzlichen, allen an-
deren vorgehenden Pfandrechte übersteigt. Auch Mietverträge sind dem zwangs-
vollstreckungsrechtlichen Lastenbereinigungsverfahren unterworfen. Es ist an der
in BGE 125 III 37 getroffenen Feststellung des Bundesgerichts festzuhalten, dass
der Gesetzgeber mit einer Bestimmung, wonach im Falle der Zwangsverwertung
der Erwerber in den Vertrag eintrete -was für Art. 261 Abs. 1 OR gleichsam wie
für Art. 14 LPG zutrifft- er nicht den Schutz der Interessen der Grundpfandgläubi-
ger, wie er insbesondere durch Art. 812 ZGB gewährleistet wird, in Frage stellen
wollte. Es kann nicht von einem qualifizierten Schweigen des Gesetzgebers aus-
gegangen werden, sondern nur von einer Gesetzeslücke, welche gemäss Art. 1
ZGB im Lichte von Art. 812 ZGB und der entsprechenden Vorschriften des
Schuldbetreibungs- und Konkursrechts (Art. 142 SchKG, Art. 56 und 104 VZG) zu
schliessen ist. Wenn gesagt wurde, Art. 261 Abs. 1 OR würde vollständig miss-
achtet, wenn Mietverträge nicht in jedem Fall immer auf den Ersteigerer übergin-
gen (BGE 128 III 82 E. 2c), so setzt dies voraus, dass der Bestand des überge-
henden Mietverhältnisses in dem gleichen vom Zwangsvollstreckungsrecht für alle
Lasten vorgesehenen Verfahren -sei es mit oder ohne materielle Prüfung- fest-
gestellt ist. Soweit Lasten in der Zwangsverwertung nicht ohnehin untergehen,
liegt es in jedem Fall an den Berechtigten, für deren Aufnahme ins Lastenver-
zeichnis besorgt zu sein (Häusermann/Stöckli/Feuz, Basler Kommentar, N 1 zu
Art. 140; Jent-Sørensen, a.a.O., Rz 212 ff., 776 f., 801; Alexander Dubach, Zur



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Anwendung des Doppelaufrufs bei Miet- und Pachtverhältnissen, in BlSchK 1999
S. 48; BlSchK 2001 Nr. 23 E. 2b; Lorandi, a.a.O., S. 845). Andererseits darf ein
weder im Grundbuch eingetragener noch innert Frist beim Betreibungsamt ange-
meldeter Mietvertrag nicht ins Lastenverzeichnis aufgenommen werden (BlSchK
1996 Nr. 31). Ist ein Lastenverzeichnis -wie im Fall nicht aufgenommener Mietver-
träge - unvollständig, ist es vom Interessierten mit Beschwerde anzufechten, an-
sonsten es in Rechtskraft erwächst, mit der (positiven) Folge, dass die darin auf-
geführten Rechte in der laufenden Zwangsvollstreckung als anerkannt gelten (Art.
37 Abs. 2 VZG) und der (negativen) Folge, dass nicht aufgeführte Rechte in der
laufenden Zwangsvollstreckung nicht zugelassen sind. Ein rechtskräftiges Lasten-
verzeichnis kann jederzeit von Amtes wegen modifiziert werden wegen Verletzung
von Verfahrensvorschriften, die im öffentlichen Interesse oder im Interesse eines
unbestimmten Kreises Dritter aufgestellt wurden und daher zwingend sind; eine
schuldhafte Unterlassung kann ebenfalls eine nachträgliche Ergänzung des Las-
tenverzeichnisses rechtfertigen (BGE 120 III 20 E. 1=Pra 1995 Nr. 83 E. 1, 96 III
74 E. 2, 113 III 18 E. 2=Pra 1987 Nr. 155).
Sind vorliegend zum einen die behaupteten Mietverträge nicht in das Las-
tenverzeichnis aufgenommen worden, und kann zum anderen das rechtskräftige
Lastenverzeichnis, weil weder öffentliche Interessen noch solche eines unbe-
stimmten Kreises Dritter tangiert sind, noch eine schuldhafte Unterlassung des
Betreibungsbeamten auszumachen ist, nachträglich nicht mehr abgeändert wer-
den, ergibt sich als Konsequenz, dass die behaupteten Mietverträge durch den
Zuschlag an die Bank X. nicht auf die Erwerberin übergegangen sind. Die ur-
sprüngliche Meinung der Bank, sie habe die Liegenschaft so erworben, wie sie
sich aus dem Lastenverzeichnis und den Steigerungsbedingungen dargestellt ha-
be, nämlich ohne Mietverträge, trifft somit voll zu. Wollte man das Gegenteil an-
nehmen, könnten Mieter zur Vermeidung des Doppelaufrufs einfach die Mietver-
träge verschweigen respektive deren Eingabe in das Lastenverzeichnis unterlas-
sen (Staehelin, a.a.O., S. 314 mit Hinweisen), womit sie erreichen würden, dass
der Erwerber in völliger Unkenntnis erhebliche Lasten übernehmen müsste, und
dies ohne, dass er sein Steigerungsangebot danach richten könnte. Das kann
nicht sein. Das Lastenverzeichnis muss hinsichtlich der zu übernehmenden Lasten
umfassende Klarheit schaffen. Es ist nicht einzusehen, warum die Rechtslage bei
Miet- und Pachtverträgen anders sein soll als zum Beispiel bei unmittelbaren ge-
setzlichen Grundpfandrechten des öffentlichen Rechts nach Art. 836 ZGB, wo die
Nichtaufnahme ins Lastenverzeichnis zu ihrem Untergang führt (Jent-Sørensen,
a.a.O., Rz 803). Soweit die Beschwerdeführerin geltend macht, sie habe, ange-



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sichts des für sie überraschenden Umstandes, dass sie sich mit den (stillschwei-
gend) übernommenen Mietverhältnissen auseinandersetzen müsse, zuviel be-
zahlt, ist ihre Beschwerde daher gegenstandslos, beziehungsweise es fehlt ihr die
Beschwer. Die Frage, ob der Zuschlag wegen der verweigerten Möglichkeit, den
Doppelaufruf zu verlangen, aufzuheben ist, stellt sich nicht. Den Doppelaufruf im
Sinne von Art. 142 SchKG/104 VZG zu verlangen, ist ein subjektives Recht. Des-
sen Ausübung setzt eine rechtskräftig festgestellte Beschwer des Gläubigers mit
einer später begründeten, ihm im Rang nachgehenden Last voraus (Jent-
Sørensen, a.a.O., Rz 800). Mangels Bestand einer solchen Last, fehlt die Be-
schwer des Gläubigers und damit eine unverzichtbare Grundlage für sein Begeh-
ren um Anordnung des Doppelaufrufs. Mit der entsprechenden Rüge kann folglich
auch ein Steigerungszuschlag nicht beseitigt werden. Die Alternativen Ausruf in-
klusive Last und Ausruf exklusive Last stehen nicht zur Verfügung, weil es sich um
eine Nicht-Last handelt. Art. 50 VZG (in Verbindung mit Art. 102 VZG) kann nicht
zur Anwendung gelangen, weil auf dem Grundstück kein Mietvertrag besteht. O-
der anders ausgedrückt: Die Bank ist durch den Zuschlag nicht in dem von ihr ver-
standenen Sinne beschwert, weil sie mit dem Zuschlag nicht in diese Mietverträge
eingetreten ist. Ob die Verträge zivilrechtlich gültig, namentlich ob sie im Verhält-
nis zwischen Vermieterin und Mietern auch nach dem Zuschlag wirksam sind und
sich die Mieter bei der Vermieterin schadlos halten können, hat die Aufsichtsbe-
hörde, entgegen der Ansicht des Betreibungsamtes, nicht materiell zu prüfen. Die
vorerwähnten Erwägungen münden bloss in der Feststellung, dass die Mietverträ-
ge der Ersteigerin Bank X. nicht entgegengehalten werden können. Die Ersteigerin
hat die Liegenschaft in dieser Hinsicht vollkommen lastfrei erworben. Sie ist nicht
in diese Mietverhältnisse eingetreten. Ob sie diesfalls mit der Grundpfandschuld-
nerin weiter bestehen (in diesem Sinne Lorandi, a.a.O., S. 844) und mit dem
Nichteintritt des Erwerbers jegliche realobligatorische Drittwirkungen der Mietver-
träge beziehungsweise die gesetzliche Wirkungen des Mietrechts im Verhältnis
zum Erwerber restlos beseitigt sind, namentlich die Frage, ob der Erwerber ohne
Umschweife zur Ausweisung schreiten kann (vgl. Lorandi, a.a.O., S. 844), hat die
Aufsichtsbehörde nicht zu prüfen.
c.
Kontrovers ist, ob ein Erwerber in Bezug auf die Nichtübernahme von
im Lastenverzeichnis nicht aufgenommenen Mietverträgen gutgläubig sein muss
(ohne weitere Begründung bejahend: Häusermann/Stöckli/Feuz, a.a.O., N 1 zu
Art. 140). Der gute Glaube ist zu vermuten. Es stellt sich die Frage, ob dieser
durch die Behauptungen von M. zu Beginn der Versteigerung zerstört wurde. An-
gesichts der Tatsache, dass es sich beim behaupteten Mieter um den Lebens-



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partner der Schuldnerin handelte, der mit ihr zusammen die Liegenschaft bewohn-
te (Ziffer 18 Steigerungsbedingungen, act. 04.2), kann der Beschwerdeführerin
kaum verübelt werden, dass sie argwöhnte, es handle sich lediglich um eine Finte
der Schuldnerin und der ihr nahestehenden Personen, mit dem Ziel das Gantpub-
likum zu verunsichern und so einen Zuschlag zu verhindern.
Einem Erfordernis der Gutgläubigkeit des Erwerbers wird sodann mit Über-
zeugung entgegengehalten, dass eine Beschränkung der Präklusionswirkung des
Lastenverzeichnisses auf den gutgläubigen Erwerber insofern problematisch sein
kann, als es dadurch einem Inhaber einer Last, die nicht angemeldet und daher
nicht aufgenommen wurde, ermöglicht wird, durch "geeignete Publikationsmass-
nahmen" den guten Glauben potentieller Ersteigerer zu zerstören und damit sein
Recht als Last auf den Erwerber übergehen zu lassen, ohne dass es im Lastenbe-
reinigungsverfahren überprüft werden konnte (Staehelin, a.a.O., S. 314, insbeson-
dere Anm. 155). Für eine solch missbräuchliches Manöver liegen hier genügend
Anhaltspunkte vor. Davon, dass die Schuldnerin und ihre Mieter hinreichend Ge-
legenheit zur Anmeldung ihrer Rechte nach der Steigerungspublikation (Art. 138
SchKG) beziehungsweise im Verfahren der Erstellung und Bereinigung des Las-
tenverzeichnisses hatten, darf ausgegangen werden. Angesichts der Vorgänge
unmittelbar nach Beginn der Steigerung liegt auf der Hand, dass die Mietverträge
vorgehend mit Bedacht nicht angemeldet wurden, mit dem Motiv, die erfolgreiche
Verwertung der "Casa F." durch die für alle überraschende Offenbarung angebli-
cher Mietverträge zu verhindern. Die "Publikationsmassnahme", welche den guten
Glauben potentieller Erwerber zerstören sollte, bestand darin, dass Fürsprecherin
S. -welche die Schuldnerin in der Eigenschaft als Mitglied der Erben H. in ande-
ren Vollstreckungsangelegenheiten vertritt- aus dem Gantpublikum heraus die
Frage nach der Belastung mit Mietverträgen erhob, und der augenscheinlich zu
diesem Zweck an die Versteigerung herbeizitierte und instruierte M. die Existenz
eines langfristigen Mietvertrages mit ihm als Partei bestätigte. Die Einschätzung,
dass es sich dabei um einen inszenierten Auftritt der Schuldnerin und ihrer Ange-
hörigen/Mieter handelte, fällt um so leichter, als es sich bei dem hier kurz vor der
drohenden Verwertung errichteten Geflecht von 4 Mietverträgen in der Familie, auf
10 Jahre unkündbar, mit tiefen Mietzinsen, welche allesamt "verrechnet" werden,
leicht durchschaubar um ein Missbrauchskonstrukt handelt, mit dem primären
Zweck die Verwertung zu vereiteln, und in zweiter Linie der Schuldnerin über den
"Mietvertrag" mit dem Lebenspartner faktisch zu ermöglichen, über lange Dauer
und unter Preis auch nach der Verwertung weiterhin in der Liegenschaft wohnen
zu bleiben (vgl. Alexander Dubach, Zur Anwendung des Doppelaufrufs bei Miet-



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und Pachtverhältnissen, in BlSchK 1999 S. 43 f.). Dass insbesondere die Schuld-
nerin und "Vermieterin" wenig wählerisch in ihren Mitteln ist, beweist der Umstand,
dass sie mehrfach in nachgehenden Betreibungen keine Mietzinseinnahmen an-
gab, sondern behauptete, sie lebe von einer unpfändbaren AHV-Rente und habe
weder andere Einkommen noch Guthaben (act. 01.2, 04.9). Gesamthaft betrachtet
lassen die konkreten Umstände den Schluss zu, dass eine frühere Offenlegung
der "Mietverhältnisse" -sei es nun durch die Schuldnerin oder die Mieter- mit Ab-
sicht unterblieben und erst am Versteigerungstag erfolgt ist, um die Steigerung
platzen zu lassen. Derartiges Verhalten soll nicht dadurch von Erfolg gekrönt wer-
den, indem man dem überrumpelten Ersteigerer den gutgläubigen Verlass auf das
rechtskräftige Lastenverzeichnis im Moment des Zuschlags abspricht.
3.
Die Beschwerdeführerin verlangt eine Entscheidung "unter gesetzli-
cher Kosten- und Entschädigungsfolge". Gesetzlich ist, dass es keine derartigen
Folgen gibt. Im Beschwerdeverfahren nach Art. 17 ff. SchKG dürfen gemäss aus-
drücklicher gesetzlicher Vorschrift weder Kosten erhoben -vorbehältlich mutwilli-
ger und trölerischer Beschwerdeführung (Art. 20a Abs. 1 Satz 2 SchKG)- noch
Verfahrensentschädigungen zugesprochen werden (Art. 20a Abs. 1 Satz 1
SchKG, Art. 61 Abs. 2 lit. a und Art. 62 Abs. 2 GebV SchKG in Verbindung mit Art.
26 der kantonalen Vollziehungsverordnung zum Bundesgesetz über Schuldbetrei-
bung und Konkurs, GVV zum SchKG).



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Demnach erkennt der Kantonsgerichtsausschuss :
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit auf sie einzutreten ist.
2.
Es wird festgestellt, dass die ersteigernde Bank X. mit dem Zuschlag vom
28. März 2003 in der Verwertung des Grundstücks Parzelle Nr. 256, Ge-
meinde J. (Betreibung 2001005 des Betreibungsamtes Maienfeld), in keine
Mietverhältnisse eingetreten ist.
3.
Es werden keine Kosten erhoben.
4.
Gegen diesen Entscheid kann innert zehn Tagen seit seiner schriftlichen
Mitteilung beim Schweizerischen Bundesgericht Beschwerde geführt wer-
den, sofern Verletzung von Bundesrecht geltend gemacht werden will. Die
Beschwerde ist schriftlich im Doppel beim Kantonsgerichtsausschuss einzu-
reichen.
5. Mitteilung
an:
- Bank X., Hauptsitz, Postfach, 7002 Chur,
- Rechtsanwalt Dr. Peter von Salis, Rebweg 3, 8466 Trüllikon, auch zu
Handen seiner Mandantin (im Doppel),
- Betreibungsamt Maienfeld, Pfrundhaus, 7304 Maienfeld.
__________
Für den Kantonsgerichtsausschuss von Graubünden
als Aufsichtsbehörde über Schuldbetreibung und Konkurs
Der Präsident:
Der Aktuar:


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