Verfügung vom 25. Mai 2023
Referenz SK2 23 30
Instanz II. Strafkammer
Besetzung Nydegger, Vorsitzender
Mosca, Aktuarin
Parteien A.___
Beschwerdeführerin
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. B.___
gegen
C.___
Beschwerdegegner
Gegenstand Untreue
Anfechtungsobj. Nichtanhandnahmeverfügung Staatsanwaltschaft Graubünden vom 14.04.2023, mitgeteilt am 14.04.2023 (Proz. Nr. EK.2021.8149)
Mitteilung 30. Mai 2023
Sachverhalt
A. Am 20. Dezember 2021 reichte B.___ namens und auftrags von A.___ Strafanzeige gegen C.___ ein wegen Untreue. Hintergrund der Anzeige bildet eine Erbschaftsangelegenheit, wobei in der Strafanzeige im Wesentlichen geltend gemacht wurde, dass die Anzeigeerstatterin Alleinerbin der am 20. Oktober 2013 verstorbenen D.___ und C.___ als Willensvollstrecker eingesetzt sei. In dieser Eigenschaft weigere er sich, sein Einverständnis zur Auszahlung eines bei der E.___ Bank in F.___ liegenden Habensaldos zu geben, und habe dazu ein Gerichtsverfahren angestrengt. Daher bestehe der Verdacht, dass sich C.___ der ungetreuen Geschäftsbesorgung gemäss Art. 158 StGB strafbar gemacht habe.
B. Mit Schreiben vom 3. Januar 2022 teilte die Staatsanwaltschaft Graubünden (nachfolgend: Staatsanwaltschaft) Rechtsanwalt B.___ mit, dass der Anzeige keine Unterlagen beigelegt seien und auch hinsichtlich der von Art. 158 StGB verlangten Pflichtverletzung Belege und Unterlagen fehlen würden. Die Anzeigeerstatterin wurde eingeladen, die relevanten Unterlagen zuzustellen, und im Weiteren um Mitteilung ersucht, ob zur Klärung der Pflichtverletzung zivilrechtliche Schritte gegen die Vorgehensweise des Willensvollstreckers eingeleitet worden seien. Zudem wurde dem Vertreter der Anzeigeerstatterin das Formular Privatklage zugestellt mit dem Ersuchen, dieses ausgefüllt zu retournieren.
Am 18. Februar 2022 teilte Rechtsanwalt B.___ mit, dass die Strafanzeige nicht der Verfolgung zivilrechtlicher Zwecke diene. Gleichzeitig retournierte er das ausgefüllte Privatklageformular, in welchem die Anzeigeerstatterin darauf verzichtete, sich als Strafklägerin wie auch als Zivilklägerin am Verfahren zu beteiligen. Sodann reichte er einige Unterlagen ein.
C. Die Staatsanwaltschaft beauftragte am 7. März 2022 die Kantonspolizei mit der ergänzenden Ermittlung des Sachverhalts. C.___ liess sich schriftlich vernehmen und reichte Unterlagen ein.
D. Mit Schreiben vom 20. Juni 2022 teilte die Staatsanwaltschaft Rechtsanwalt B.___ mit, dass das polizeiliche Ermittlungsverfahren abgeschlossen sei. Sodann wurde er in Kenntnis gesetzt, dass sich aus den Unterlagen ergebe, dass A.___ die Erbschaftsschulden zu begleichen habe. Aus diesem Grund und weil die Anzeigeerstatterin sich nicht als Strafklägerin am Verfahren beteilige, werde beabsichtigt, kein Verfahren an die Hand zu nehmen.
E. In seiner Eingabe vom 18. Juli 2022 hielt Rechtsanwalt B.___ an den Vorwürfen fest.
F. Mit Verfügung vom 14. April 2023 nahm die Staatsanwaltschaft das Strafverfahren gestützt auf Art. 310 StPO in Verbindung mit Art. 319 ff. StPO nicht an die Hand.
G. Dagegen erhob A.___ (nachfolgend: Beschwerdeführerin) mit Eingabe vom 26. April 2023 Beschwerde an das Kantonsgericht von Graubünden (nachfolgend: Kantonsgericht) und beantragte sinngemäss, dass die Nichtanhandnahmeverfügung aufzuheben sei und die Staatsanwaltschaft das Strafverfahren an die Hand zu nehmen habe.
H. Die vorinstanzlichen Akten wurden beigezogen. Auf die Einholung von Stellungnahmen wurde verzichtet. Die Angelegenheit ist spruchreif.
Erwägungen
1. Gegen Nichtanhandnahmeverfügungen der Staatsanwaltschaft kann gemäss Art. 310 Abs. 2, Art. 322 Abs. 2 sowie Art. 393 Abs. 1 lit. a StPO in Verbindung mit Art. 22 EGzStPO (BR 350.100) beim Kantonsgericht Beschwerde erhoben werden. Die Beurteilung fällt in die Zuständigkeit der II. Strafkammer (Art. 22 EGzStPO; Art. 10 Abs. 1 KGV [BR 173.110]). Die Beschwerdefrist beträgt 10 Tage (Art. 310 Abs. 2 i.V.m. Art. 322 Abs. 2 StPO; Art. 396 Abs. 1 StPO). Die Beschwerde gegen die Nichtanhandnahmeverfügung der Staatsanwaltschaft vom 14. April 2023, gleichentags mitgeteilt, wurde mit Eingabe vom 26. April 2023 fristgerecht beim Kantonsgericht eingereicht.
2.1.1. Die Legitimation für die Beschwerdeerhebung richtet sich nach Art. 382 StPO. Art. 382 Abs. 1 StPO erklärt die Parteien als beschwerdelegitimiert, sofern sie ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung Änderung eines Entscheides haben. Zu den Parteien gehört u.a. die Privatklägerschaft (Art. 104 StPO). Als solche gilt gemäss Art. 118 Abs. 1 StPO die geschädigte Person, welche ausdrücklich erklärt, sich am Strafverfahren als Strafoder Zivilklägerin beteiligen zu wollen (zu Form und Inhalt dieser Erklärung vgl. Art. 119 StPO). Ein Strafantrag ist dieser Erklärung gleichgestellt (Art. 118 Abs. 2 StPO). Vorausgesetzt wird somit einerseits eine Geschädigtenstellung, andererseits eine entsprechende Erklärung gemäss Art. 118 f. StPO. Mit der Regelung von Art. 118 Abs. 2 StPO wird die Vermutung statuiert, dass sich der Strafantragsteller am Strafverfahren beteiligen will. Wesenselement des Strafantrags ist die Kundgabe des Willens, dass ein bestimmtes Verhalten verfolgt und bestraft wird (Christof Riedo, in: Niggli/Wiprächtiger [Hrsg.], Strafrecht I, Basler Kommentar, 4. Aufl., Basel 2019, N N 48 zu Art. 30 StGB). Nach Auffassung des Bundesgerichts enthält die Strafanzeige der geschädigten Person in der Regel auch den Wunsch nach Strafverfolgung (BGE 115 IV 1 E. 2a). Mit anderen Worten ist die Strafanzeige des Geschädigten in der Regel auch als Strafantrag aufzufassen und ist der Konstituierungserklärung gemäss Art. 118 Abs. 1 StPO gleichgestellt (Micha Nydegger, Vom Geschädigten zum Privatkläger, in: ZStrR 136/2018, S. 71 ff mit weiteren Hinweisen).
2.1.2. Bei Offizialdelikten gilt nach einer in der Lehre vertretenen Ansicht die Strafanzeige dagegen nicht als Konstituierung, sofern darin nicht der Wille zum Ausdruck gebracht wird, sich am Strafverfahren zu beteiligen (Goran Mazzuccheli/Mario Postizzi, in: Niggli/Heer/Wiprächtiger [Hrsg.], Schweizerische Strafprozessordnung, Basler Kommentar, 2. Aufl., Basel 2014, N 7 zu Art. 118 StPO). Das Kantonsgericht teilt diese Auffassung, da bei einem Offizialdelikt die Strafanzeige von vorneherein nicht (auch) als Strafantrag gedeutet werden und Art. 118 Abs. 2 StPO somit nicht zur Anwendung gelangen kann, sodass es einer ausdrücklichen Erklärung im Sinne von Art. 118 Abs. 1 StPO bedarf (vgl. dazu auch Nydegger, a.a.O., S. 74).
2.1.3. Neben den Parteien nach Art. 104 StPO können auch andere Verfahrensbeteiligte im Sinne von Art. 105 StPO zur Beschwerde legitimiert sein, jedoch nur dann, wenn sie in ihren Rechten unmittelbar betroffen sind und die Ergreifung eines Rechtsmittels ein zur Wahrung ihrer Interessen erforderliches Verfahrensrecht ist (Art. 105 Abs. 2 StPO; Franz Riklin, Schweizerische Strafprozessordnung, Orell Füssli Kommentar, 2. Aufl., Zürich 2014, N 3 zu Art. 382 StPO; Viktor Lieber, in: Donatsch/Lieber/Summers/Wohlers [Hrsg.], Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung, 3. Aufl., Zürich 2020, N 12 ff. zu Art. 105 und N 2 zu Art. 382 StPO).
2.1.4. Soweit die Legitimationsvoraussetzungen nicht ohne Weiteres ersichtlich sind, haben die Beschwerdeführer in ihrer Rechtsmitteleingabe darzulegen, inwieweit sie sich zur Beschwerde legitimiert erachten (vgl. BGer 1B_230/2011 v. 22.07.2011 E. 1.3.2; Lieber, a.a.O., N 7c zu Art. 382 StPO; Patrick Guidon, Die Beschwerde gemäss Schweizerischer Strafprozessordnung, Zürich 2011, Rz. 216).
2.1.5. Geschädigte, die sich nicht als Privatkläger konstituiert haben, können eine Nichtannahmeverfügungoder Einstellungsverfügung mangels Parteistellung grundsätzlich nicht anfechten (vgl. E. 2.1.1 f.). Diese Einschränkung gilt dann nicht, wenn die geschädigte Person noch keine Gelegenheit hatte, sich zur Frage der Konstituierung zu äussern, so etwa wenn eine Einstellung ergeht, ohne dass die Strafverfolgungsbehörde die geschädigte Person zuvor auf das Konstituierungsrecht aufmerksam gemacht haben (BGE 141 IV 380 E. 2.2).
2.1.6. Nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes kann die geschädigte Person 'jederzeit' auf eine Parteistellung als Privatklägerin verzichten (Art. 120 Abs. 1 Satz 1 StPO). Da das polizeiliche Ermittlungsverfahren zum strafprozessualen Vorverfahren gehört (Art. 299 Abs. 1, Art. 306 f. StPO), kann der Verzicht auch schon vor der förmlichen Eröffnung der Strafuntersuchung (Art. 309 StPO), d.h. bereits im polizeilichen Ermittlungsverfahren, erfolgen (BGer 1B_188/2015 v. 9.2.2016 E. 5.6). Der Verzicht ist nach dem Gesetzeswortlaut 'endgültig' (Art. 120 Abs. 1 Satz 2 StPO). Nach herrschender Auffassung kann ein Verzicht jedoch in Analogie zu Art. 386 Abs. 3 StPO angefochten werden (vgl. BGer 6B_173/2021 v. 14.7.2021 E. 3.3; ferner auch Nydegger, a.a.O., S. 86 m.w.H.). Willensmängel im Sinne von Art. 386 Abs. 3 StPO sind von demjenigen, der sich darauf beruft, nachzuweisen (BGer 6B_173/2021 v. 14.7.2021 E. 3.3 mit Verweis auf BGE 141 IV 269 E. 2.2.1).
Der Wille, eine Strafoder Zivilklage zurückzuziehen bzw. darauf zu verzichten, muss unmissverständlich zum Ausdruck kommen. Dies setzt voraus, dass die Formulare verständlich ausgestaltet sind, die massgebende Rechtslage korrekt wiedergeben und sich aus der Unterzeichnung des Formulars eindeutige Rückschlüsse auf den Willen des Betroffenen ergeben (vgl. BGer 6B_978/2013 v. 19.5.2014 E. 2.4; ferner Nydegger, a.a.O., S. 85).
2.2.1. Im vorliegenden Fall reichte B.___ am 20. Dezember 2021 namens und auftrags von A.___ bei der Staatsanwaltschaft Graubünden Strafanzeige wegen ungetreuer Geschäftsbesorgung gegen C.___ ein (StA act. 1). Mit Schreiben vom 3. Januar 2022 teilte die Staatsanwaltschaft Rechtsanwalt B.___ mit, dass der Anzeige keine Unterlagen beigelegt seien und auch hinsichtlich der von Art. 158 StGB verlangten Pflichtverletzung Belege und Unterlagen fehlen würden. Die Anzeigeerstatterin wurde eingeladen, die relevanten Unterlagen zuzustellen, und um Mitteilung ersucht, ob zur Klärung der Pflichtverletzung zivilrechtliche Schritte gegen die Vorgehensweise des Willensvollstreckers eingeleitet worden seien. Zudem wurde dem Vertreter der Anzeigeerstatterin das Formular Privatklage zugestellt mit dem Ersuchen, dieses ausgefüllt zu retournieren (StA act. 2). Am 18. Februar 2022 teilte Rechtsanwalt B.___ mit, dass die Strafanzeige nicht der Verfolgung zivilrechtlicher Zwecke diene. Gleichzeitig retournierte er das ausgefüllte Privatklageformular, in welchem die Anzeigeerstatterin darauf verzichtete, sich als Strafklägerin wie auch als Zivilklägerin am Verfahren zu beteiligen (StA act. 5).
2.2.2. Bei der vorliegend zur Diskussion stehenden ungetreuen Geschäftsbesorgung im Sinne von Art. 158 Abs. 1 StGB handelt es sich um ein Offizialdelikt. Gemäss den obenstehenden Ausführungen (E. 2.1.2) kann die fragliche Strafanzeige demnach nicht als Strafantrag beziehungsweise als Konstituierung gedeutet werden. Damit sich die Beschwerdeführerin zur Frage der Konstituierung äussern konnte, stellte die Staatsanwaltschaft – wie bereits in E. 2.2.1 ausgeführt – dem Vertreter der Anzeigeerstatterin das Formular Privatklage zu. Am 18. Februar 2022 retournierte Rechtsanwalt B.___ das ausgefüllte Privatklageformular, in welchem die Anzeigeerstatterin darauf verzichtete, sich als Strafklägerin wie auch als Zivilklägerin am Verfahren zu beteiligen (StA act. 5.9). Der Rückseite des besagten Formulars sind Erläuterungen zur Privatklägerschaft (Art. 118 ff. StPO) zu entnehmen: So habe die Privatklägerschaft Parteistellung und es stehe ihr u.a. das Recht zu, Rechtsmittel einzulegen (Art. 107 StPO). Der Umkehrschluss besagt, dass, wer sich nicht als Privatkläger konstituiert, kein Rechtsmittel ergreifen kann. Der Wortlaut dieser Ausführungen ist klar. Das ganze Formular ist verständlich ausgestaltet und die massgebende Rechtslage korrekt wiedergeben. Die Beschwerdeführerin hatte demnach die Gelegenheit, sich zur Frage der Konstituierung zu äussern. Der Verzicht erfolgte nicht zu früh, zumal nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts ein Verzicht bereits im polizeilichen Ermittlungsverfahren und somit vor der förmlichen Eröffnung der Strafuntersuchung (Art. 309 StPO) erfolgen kann (BGer 1B_188/2015 v. 9.2.2016 E. 5.6). Der Verzicht der Beschwerdeführerin ist demzufolge verbindlich und endgültig. Willensmängel im Sinne von Art. 386 Abs. 3 StPO werden nicht geltend gemacht und wären auch nicht ersichtlich.
2.2.3. Zusammenfassend kann somit festgestellt werden, dass die Anzeigeerstatterin rechtsgültig auf die Konstituierung als Privatklägerschaft verzichtet hat. Sie ist daher nicht zur Erhebung der vorliegenden Beschwerde legitimiert, sodass darauf nicht eingetreten werden kann. Auf die weitergehenden Ausführungen der Beschwerdeführerin braucht deshalb nicht eingegangen zu werden.
3. Aufgrund der offensichtlich fehlenden Legitimation erfolgt die vorliegende Entscheidung in einzelrichterlicher Kompetenz durch den Vorsitzenden (Art. 18 Abs. 3 GOG; Art. 11 Abs. 2 KGV [BR 173.100]).
4.1. Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens tragen die Parteien nach Massgabe ihres Obsiegens Unterliegens. Als unterliegend gilt auch die Partei, auf deren Rechtsmittel nicht eingetreten wird (vgl. Art. 428 Abs. 1 StPO). Gemäss Art. 8 der Verordnung über die Gerichtsgebühren im Strafverfahren (VGS; BR 350.210) erhebt das Gericht im Beschwerdeverfahren eine Gebühr von CHF 1'000.00 bis 5'000.00. In Anbetracht der Aufwendungen des Gerichts erscheint vorliegend eine Gebühr von CHF 300.00 als angemessen. Da auf die Beschwerde nicht eingetreten wird, sind die Verfahrenskosten der Beschwerdeführerin aufzuerlegen.
4.2. Mangels Einholen von Stellungnahmen ist C.___ als Beschwerdegegner von vornherein kein entschädigungsfähiger Aufwand entstanden. Es ist ihm daher für das Beschwerdeverfahren keine Entschädigung zuzusprechen.
Demnach wird erkannt:
1. Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens in Höhe von CHF 300.00 gehen zu Lasten von A.___.
3. Es werden keine Parteientschädigungen zugesprochen.
4. Gegen diese Entscheidung kann gemäss Art. 78 ff. BGG Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht geführt werden. Die Beschwerde ist dem Schweizerischen Bundesgericht, 1000 Lausanne 14, schriftlich innert 30 Tagen seit Eröffnung der vollständigen Ausfertigung der Entscheidung in der gemäss Art. 42 f. BGG vorgeschriebenen Weise einzureichen. Für die Zulässigkeit, die Beschwerdelegitimation, die weiteren Voraussetzungen und das Verfahren der Beschwerde gelten die Art. 29 ff., 78 ff. und 90 ff. BGG.
5. Mitteilung an: