Ein Mann namens X. wurde wegen mehrfacher Straftaten verurteilt und verbüsste eine Freiheitsstrafe von 4 Jahren und 6 Monaten. Er beantragte bedingte Entlassung, die unter der Bedingung gewährt wurde, dass er das Land verlässt. X. legte Beschwerde ein, da er die Bedingung als unzumutbar empfand. Das Departement für Justiz wies die Beschwerde ab, X. legte daraufhin Berufung ein. Das Kantonsgericht von Graubünden entschied, dass die Frage der Gemeingefährlichkeit des X. nicht eindeutig beantwortet wurde und wies den Fall zur erneuten Prüfung an die Vorinstanz zurück. Die Kosten des Verfahrens gehen zu Lasten des Kantons Graubünden.
Urteilsdetails des Kantongerichts SK1-17-3
Kanton: | GR |
Fallnummer: | SK1-17-3 |
Instanz: | Kantonsgericht Graubünden |
Abteilung: | - |
Datum: | 03.05.2017 |
Rechtskraft: | - |
Leitsatz/Stichwort: | bedingte Entlassung aus dem Strafvollzug |
Schlagwörter : | Berufung; Recht; Berufungskläger; Entlassung; Vollzug; Verfügung; Berufungsklägers; Schweiz; Entscheid; Vollzug; Justiz; Graubünden; Gesuch; Freiheit; Gemeingefährlichkeit; Erduran; Verteidiger; Aufenthalt; Kanton; Vollzugs; Lebens; Gewährung |
Rechtsnorm: | Art. 129 StGB ;Art. 189 StGB ;Art. 385 StPO ;Art. 399 StPO ;Art. 400 StPO ;Art. 64 StGB ;Art. 75a StGB ;Art. 86 StGB ;Art. 87 StGB ; |
Referenz BGE: | 124 IV 193; 133 IV 201; 138 IV 157; |
Kommentar: | Baumann, Basler Kommentar zum Strafgesetzbuch I, Art. 59 StGB, 2003 |
Entscheid des Kantongerichts SK1-17-3
Kantonsgericht von Graubünden
Dretgira chantunala dal Grischun
Tribunale cantonale dei Grigioni
Ref.:
Chur, 03. Mai 2017
Schriftlich mitgeteilt am:
SK1 17 3
mündlich eröffnet
24. Mai 2017
Beschluss
I. Strafkammer
Vorsitz
Pedrotti
Richter
Schnyder und Michael Dürst
Aktuar
Pers
In der strafrechtlichen Berufung
des X.___, Berufungskläger, vertreten durch Rechtsanwalt lic. iur. HSG Vedat
Erduran, Zürcherstrasse 1, Postfach 54, 7320 Sargans,
gegen
die Verfügung des Departements für Justiz, Sicherheit und Gesundheit vom 28.
Dezember 2016, mitgeteilt am 28. Dezember 2016, in Sachen des A m t e s f ü r
J u s t i z v o l l z u g G r a u b ü n d e n , Gäuggelistrasse 16, 7001 Chur, Berufungs-
beklagter, gegen den Berufungskläger,
betreffend bedingte Entlassung aus dem Strafvollzug,
hat sich ergeben:
I. Sachverhalt
A.
Mit Urteil des Bezirksgerichts Landquart vom 19. November 2014 wurde
X.___ der mehrfachen Geiselnahme gemäss Art. 185 Ziff. 1 Abs. 1 StGB in
Verbindung mit Art. 185 Ziff. 2 StGB, der mehrfachen Tätlichkeiten gemäss Art.
126 Abs. 1 StGB, der mehrfachen Gefährdung des Lebens gemäss Art. 129 StGB,
der mehrfachen sexuellen Nötigung gemäss Art. 189 Abs. 1 StGB in Verbindung
mit Art. 189 Abs. 3 StGB sowie der mehrfachen Übertretung des Betäubungsmit-
telgesetzes gemäss Art. 19a Ziff. 1 BetmG schuldig gesprochen und dafür - unter
Anrechnung der erstandenen Untersuchungshaft von 136 Tagen mit einer unbe-
dingten Freiheitsstrafe von 4 Jahren und 6 Monaten sowie mit einer Busse von Fr.
300.--, ersatzweise zu einer Freiheitsstrafe von 3 Tagen, bestraft.
B.
Die ausgesprochene Freiheitsstrafe verbüsste X.___ vom 17. Februar
2014 bis zum 18. November 2014 im vorzeitigen Strafvollzug und seit dem 19.
November 2014 im ordentlichen Strafvollzug in der Justizvollzugsanstalt A.___
in O.1___. Das ordentliche Strafende fällt auf den 3. April 2018. Die Möglichkeit
der bedingten Entlassung war ab dem 3. Oktober 2016 gegeben.
C.
Am 18. August 2016 ersuchte X.___ das Amt für Justizvollzug Graubün-
den (AJV) um bedingte Entlassung aus dem Strafvollzug, woraufhin Letzteres mit
Verfügung vom 30. September 2016 folgendes entschied:
"1. X.___ wird, sofern er in sein Heimatland in einen Drittstaat
ausgeschafft werden kann und sein Verhalten im Vollzug bis dahin zu
keinen Beanstandungen Anlass gibt, frühestens jedoch auf den 3. Ok-
tober 2016 bedingt aus dem Strafvollzug entlassen.
2. Dem bedingt Entlassenen wird eine Probezeit [von] 547 Tagen aufer-
legt (Art. 87 StGB).
3. X.___ hat mit dem Vollzug der Reststrafe von 547 Tagen zu rech-
nen, wenn er sich innerhalb der Probezeit strafbar macht.
4. X.___ hat sich im Sinne der Erwägungen an den Heimschaffungs-
kosten zu beteiligen. Ausserdem ist vor Austritt aus dem Strafvollzug
sein Vermögen bis auf einen Restbetrag von CHF 3'100.00 für die Be-
gleichung der offenen Verwaltungsverfahrenskosten zu verwenden.
5. Es werden keine Verfahrenskosten erhoben.
6. (Rechtsmittelbelehrung).
7. (Mitteilung).".
Das AJV erachtete nach einer Gesamtbeurteilung aller prognostisch relevanten
Faktoren, insbesondere des Umstands, dass X.___ die Schweiz voraussichtlich
verlassen müsse, die Voraussetzungen für eine bedingte Entlassung unter der
Seite 2 — 17
Bedingung erfüllt, dass er am Entlassungstag in sein Heimatland in einen
Drittstaat ausgeschafft werden könne. Sollte dies nicht möglich sein, hätte er die
Strafe vollständig zu verbüssen.
D.
Gegen diese Verfügung erhob X.___ mit Eingabe vom 3. November 2016
Beschwerde beim Departement für Justiz, Sicherheit und Gesundheit (DJSG) mit
folgendem Rechtsbegehren:
"1. In Gutheissung der Verwaltungsbeschwerde seien Ziff. 1 bis 4 des
Dispositives der Verfügung des Beschwerdegegners vom 30. Septem-
ber 2016 aufzuheben. Der Beschwerdeführer sei unverzüglich bedingt
aus dem Vollzug der Freiheitsstrafe zu entlassen.
2. Dem Beschwerdeführer sei für das vorliegende Verwaltungsbeschwer-
deverfahren die umfassende unentgeltliche Prozessführung zu gewäh-
ren und dem Beschwerdeführer sei der unterzeichnende Rechtsanwalt
mit Wirkung ab 4. Oktober 2016 als unentgeltlicher Rechtsbeistand zu
bestellen.
3. Alles unter Kostenund Entschädigungsfolgen zu Lasten des Be-
schwerdegegners.".
Zur Begründung wurde im Wesentlichen angeführt, dass die bedingte Entlassung
von X.___ aus dem Strafvollzug nicht mit ausländerrechtlichen Überlegungen
vermischt werden könne. Der Beschwerdeführer erfülle alle gemäss Art. 86 StGB
sowie der Richtlinien der Ostschweizer Strafvollzugskommission geforderten Vo-
raussetzungen für eine bedingte Entlassung. Eine Rückkehr von X.___ in sein
Heimatland Syrien, wo totaler Krieg und Verwüstung herrsche, könne ihm nicht
zugemutet werden.
E.
Das AJV beantragte in seiner Stellungnahme vom 22. November 2016 die
Abweisung der Beschwerde unter Kostenfolge zu Lasten des Beschwerdeführers.
Bezüglich Sachverhaltsschilderung und den rechtlichen Ausführungen wurde auf
die Erwägungen in der angefochtenen Verfügung verwiesen. Ergänzend führte
das AJV aus, dass X.___ aufgrund der konkreten Lebensumstände keine güns-
tige Legalprognose für einen Aufenthalt in der Schweiz gestellt werden könne. Un-
ter diesen Voraussetzungen komme nur die bedingte Entlassung mit kontrollierter
Ausreise Ausschaffung bzw. die Ablehnung einer bedingten Entlassung ohne
Auflage und Bedingungen in Frage.
F.
Innert erstreckter Frist reichte X.___ mit Eingabe vom 20. Dezember
2016 seine Replik ein.
G.
Mit Verfügung vom 28. Dezember 2016, mitgeteilt gleichentags, erkannte
das DJSG wie folgt:
Seite 3 — 17
"1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
2. Das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege wird ab-
gewiesen.
3. Die Kosten des Verfahrens, bestehend aus einer reduzierten Staats-
gebühr von CHF 200.00, reduzierten Gebühren für Ausfertigungen und
Mitteilungen von CHF 50.00, total CHF 250.00, sind innert 30 Tagen
seit Zustellung dieses Entscheides mit beiliegendem Einzahlungs-
schein zu überweisen.
4. (Rechtsmittelbelehrung).
5. (Mitteilung).".
Das DJSG erachtete die Verknüpfung von bedingter Entlassung mit einer Aus-
schaffung kontrollierten Ausreise dann die Ablehnung der bedingten
Entlassung ohne Auflagen und Bedingungen mit Blick auf die fehlenden persönli-
chen und beruflichen Perspektiven des Beschwerdeführers in der Schweiz, des-
sen ungenügende Integration sowie die Art der bisherigen Delinquenz als recht-
mässig. Namentlich stimmte es mit der Vorinstanz darin überein, dass bei einem
weiteren Aufenthalt des Beschwerdeführers in der Schweiz seine zu erwartenden
Lebensverhältnisse gegen ein Wohlverhalten in Freiheit sprechen würden, zumal
er bis dato keine Arbeitsanstellung habe finden können und in Freiheit somit über
keinerlei geregelte Tagesstruktur verfügen würde.
H.
Gegen diese Verfügung meldete X.___ am 9. Januar 2017 beim Kan-
tonsgericht von Graubünden die Berufung an und reichte mit Eingabe vom 18.
Januar 2017 die Berufungserklärung mit folgendem Rechtsbegehren ein:
"1. In Gutheissung der Berufung sei die angefochtene Verfügung des De-
partementes für Justiz, Sicherheit und Gesundheit Graubünden vom
28. Dezember 2016 vollumfänglich aufzuheben und das Gesuch des
Berufungsklägers um Gewährung der bedingten Entlassung aus dem
Strafvollzug gutzuheissen. Der Berufungskläger sei unverzüglich und
bedingt aus dem Strafvollzug unter Anordnung einer Bewährungshilfe
zu entlassen.
2. Der vorliegenden Berufung sei die aufschiebende Wirkung zu erteilen
und somit sei der Berufungskläger während des Berufungsverfahrens
aus dem Strafvollzug bedingt zu entlassen.
3. Dem Berufungskläger sei für das kantonsgerichtliche Verfahren die
amtliche Verteidigung zu gewähren und der unterzeichnende Rechts-
anwalt sei mit Wirkung ab 29. Dezember 2016 als amtlicher Verteidiger
des Berufungsklägers zu bestellen.
4. Alles unter Kostenund Entschädigungsfolgen zuzüglich 8.0% Mehr-
wertsteuer zu Lasten des Berufungsbeklagten.".
Seite 4 — 17
In verfahrensrechtlicher Hinsicht beantragte X.___ gestützt auf Art. 405 und Art.
406 StPO die Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung, anlässlich
welcher er richterlich zu befragen sei.
I.
Mit Schreiben vom 31. Januar 2017 setzte der Vorsitzende der I. Straf-
kammer den Verteidiger von X.___ davon in Kenntnis, dass aus der eingereich-
ten Berufungserklärung nicht unmissverständlich ersichtlich sei, ob die Departe-
mentsverfügung ganz teilweise angefochten werde, weshalb ihm in Anwen-
dung von Art. 400 Abs. 1 StPO und Art. 385 Abs. 2 StPO eine Nachfrist bis zum
13. Februar 2017 gesetzt werde, um zu präzisieren, welche Ziffern des Dispositivs
angefochten und welche diesbezüglichen Änderungen verlangt würden. Mit
Schreiben vom 1. Februar 2017 präzisierte der Verteidiger sein Rechtsbegehren
dahingehend, dass die Aufhebung der Dispositiv-Ziffern 1-3 der angefochtenen
Verfügung sowie die Gutheissung seines Gesuchs um Gewährung der bedingten
Entlassung aus dem Strafvollzug beantragt werde.
J.
Mit Schreiben des Vorsitzenden der I. Strafkammer vom 23. März 2017
wurde Rechtsanwalt lic. iur. HSG Vedat Erduran gestützt auf Art. 132 Abs. 1 lit. b
StPO als amtlicher Verteidiger von X.___ bestellt.
K.
In seiner Vernehmlassung vom 13. April 2017 beantragte das DJSG die
vollumfängliche Abweisung der Berufung, unter Kostenfolge zu Lasten des Beru-
fungsklägers.
L.
Mit Stellungnahme vom 20. April 2017 stellte auch das AJV den Antrag auf
Abweisung der Berufung, soweit darauf einzutreten sei; unter Kostenund Ent-
schädigungsfolge zu Lasten des Berufungsklägers.
M.
Anlässlich der Hauptverhandlung vom 3. Mai 2017, zu welcher mit prozess-
leitender Verfügung vom 3. April 2017 vorgeladen wurde, waren X.___ in Be-
gleitung seines amtlichen Verteidigers, Rechtsanwalt lic. iur. HSG Vedat Erduran,
sowie B.___ als Dolmetscher anwesend. Des Weiteren als Publikum zugegen
waren C.___ und D.___ vom AJV sowie E.___ vom DJSG. Der Vorsitzen-
de eröffnete die Hauptverhandlung um 09.00 Uhr. Einwände gegen die Zuständig-
keit und die Zusammensetzung des Gerichts wurden nicht erhoben, woraufhin der
Vorsitzende das Gericht für legitimiert erklärte. Anschliessend folgte die richterli-
che Befragung von X.___. In der Folge nahm der Verteidiger in seinem Partei-
vortrag zu der Berufung Stellung, wobei er mit Ausnahme seines Antrags um Er-
teilung der aufschiebenden Wirkung (Ziffer 2 des Rechtsbegehrens), welchen er
zurückzog, an den Anträgen gemäss Berufungserklärung festhielt. Zudem reichte
Seite 5 — 17
er zuhanden des Gerichts neue Unterlagen ein, welche zu den Akten genommen
wurden (act. B.3-8). Nachdem dem Berufungskläger das letzte Wort erteilt worden
war, wurde die mündliche Berufungsverhandlung geschlossen. Die vom Beru-
fungskläger beantragte mündliche Urteilseröffnung fand am selben Tag um 13.30
Uhr im Gerichtssaal des Kantonsgerichts von Graubünden statt.
N.
Auf die Ergebnisse der richterlichen Befragung des Berufungsklägers durch
den Vorsitzenden der I. Strafkammer des Kantonsgerichts von Graubünden, auf
die weitere Begründung der Anträge anlässlich der mündlichen Berufungsver-
handlung sowie auf die Ausführungen in den Rechtsschriften und in der angefoch-
tenen Verfügung wird, soweit erforderlich, in den nachfolgenden Erwägungen ein-
gegangen.
II. Erwägungen
1.a.
Gegen Beschwerdeentscheide des Departements können die Betroffenen
und die Staatsanwaltschaft beim Kantonsgericht strafrechtliche Berufung einlegen
(Art. 48 des Gesetzes über den Justizvollzug im Kanton Graubünden, Justizvoll-
zugsgesetz, [JVG; BR 350.500] in Verbindung mit Art. 398 ff. StPO). Gemäss Art.
399 Abs. 1 StPO ist die Berufung dem Departement innert zehn Tagen seit Eröff-
nung des Entscheids schriftlich mündlich zu Protokoll anzumelden, worauf
dieses die Anmeldung nach Ausfertigung des begründeten Entscheids zusammen
mit den Akten der Berufungsinstanz übermittelt (vgl. Art. 399 Abs. 2 StPO). Nach
Art. 399 Abs. 3 StPO reicht die Partei, die Berufung angemeldet hat, dem Kan-
tonsgericht innert 20 Tagen seit der Zustellung des begründeten Entscheids eine
schriftliche Berufungserklärung ein. Wird der Entscheid wie vorliegend die
Verfügung weder mündlich noch schriftlich im Dispositiv eröffnet, sondern direkt
in begründeter Form zugestellt, ist eine Anmeldung der Berufung nicht nötig. Dies-
falls genügt es, dem Berufungsgericht innert einer Frist von 20 Tagen seit Zustel-
lung des Entscheids bzw. der Verfügung eine Berufungserklärung einzureichen
(BGE 138 IV 157 E. 2.2. S. 159; Urteil des Bundesgerichts 6B_99/2017 vom 27.
April 2017 E. 3.2; vgl. auch Luzius Eugster, in: Niggli/Heer/Wiprächtiger [Hrsg.],
Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2. Aufl., Basel 2014, N
1b zu Art. 399 StPO; Markus Hug/Alexandra Scheidegger, in: Donatsch/Hansja-
kob/Lieber [Hrsg.], Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung [StPO],
2. Aufl., Zürich 2014, N 11 zu Art. 399 StPO).
Seite 6 — 17
Gegen die am 28. Dezember 2016 schriftlich mit Begründung mitgeteilte Verfü-
gung des DJSG reichte der Berufungskläger am 18. Januar 2017 seine Beru-
fungserklärung ein (act. A.3). Diese Eingabe erfolgte nach dem Gesagten innert
der gesetzlichen Frist. Eine Berufungsanmeldung war im vorliegenden Fall, wie
erwähnt, nicht erforderlich. Angesichts dessen kann dahingestellt bleiben, ob be-
reits das Schreiben des Verteidigers an das DJSG vom 3. Januar 2017 (act. A.1),
in welchem er diesem mitteilte, dass sein Mandant sich entschieden habe, gegen
die Verfügung Berufung einzureichen, weshalb er die Akten zur Einsicht benötige,
erst die nachträglich erfolgte und auch als solche bezeichnete Berufungsan-
meldung an das Kantonsgericht von Graubünden vom 9. Januar 2017 (act. A.2)
als Berufungsanmeldung im Sinne von Art. 399 Abs. 1 StPO zu betrachten ist. Im
Übrigen hätte der Berufungskläger die Frist von 10 Tagen ohnehin mit beiden Ein-
gaben eingehalten.
b.
Nach Art. 399 Abs. 3 StPO hat der Berufungskläger in der schriftlichen Be-
rufungserklärung anzugeben, ob er den Entscheid vollumfänglich nur in Tei-
len anficht (lit. a), welche Abänderungen des erstinstanzlichen Entscheids er ver-
langt (lit. b) und welche Beweisanträge er stellt (lit. c). In seiner Berufungserklä-
rung vom 18. Januar 2017 beantragte RA Erduran die vollumfängliche Aufhebung
der angefochtenen Verfügung und die Gutheissung des Gesuchs des Berufungs-
klägers um Gewährung der bedingten Entlassung aus dem Strafvollzug. Obwohl
die vollumfängliche Aufhebung der angefochtenen Verfügung beantragt wird, ent-
hält die Berufungserklärung kein Begehren bezüglich des abgewiesenen Gesuchs
um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege. Aus diesem Grund wurde RA
Erduran mit Schreiben vom 31. Januar 2017 in Anwendung von Art. 400 Abs. 1
StPO und Art. 385 Abs. 2 StPO eine Nachfrist gesetzt, um zu präzisieren, welche
Ziffern des Dispositivs angefochten und welche diesbezüglichen Änderungen ver-
langt werden (act. D.3). Daraufhin teilte RA Erduran dem Gericht mit Schreiben
vom 1. Februar 2017 fristgerecht mit, dass die Aufhebung der Dispositiv-Ziffern 1-
3 beantragt werde (act. A.4), ohne indessen einen konkreten Antrag hinsichtlich
des abgewiesenen Gesuchs um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege
(Dispositiv-Ziffer 2) zu stellen. Da Unklarheiten der Berufungserklärung im Rah-
men der Vorprüfung nach Art. 400 Abs. 1 StPO durch Interpretation zu klären sind
und grundsätzlich zugunsten des Erhalts des Rechtsmittels zu entscheiden ist
(Eugster, a.a.O., N 3 zu Art. 400 StPO), hielt die Verfahrensleitung die Berufungs-
erklärung für ausreichend. Aus dieser geht nämlich ganz klar hervor, dass der Be-
rufungskläger die Abweisung seines Gesuchs um Gewährung der unentgeltlichen
Rechtspflege nicht akzeptiert, macht er doch geltend, das DJSG habe dieses zu
Seite 7 — 17
Unrecht abgewiesen. Darüber hinaus stellt er obschon im Rechtsbegehren nicht
aufgeführt ausdrücklich den Antrag, es sei ihm auch im vorinstanzlichen Verfah-
ren die unentgeltliche Rechtspflege und Rechtsverbeiständung zu gewähren und
dem Unterzeichnenden sei als unentgeltlicher Rechtsbeistand das im vorinstanzli-
chen Verfahren geltend gemachte Honorar von total Fr. 4'795.-- (inkl. Barauslagen
und Mehrwertsteuer) zuzusprechen. Damit erfüllt die vom Berufungskläger einge-
reichte Berufungserklärung die in Art. 399 StPO vorgesehenen formellen Voraus-
setzungen. Da auch alle anderen Zulässigkeitsvoraussetzungen gegeben sind, ist
auf die Berufung einzutreten.
2.
Dem verfahrensrechtlichen Antrag des Berufungsklägers auf Durchführung
einer mündlichen Hauptverhandlung wurde mit der Vorladung vom 3. April 2017
zur Berufungsverhandlung vom 3. Mai 2017 (act. D.8) und der Durchführung der
Berufungsverhandlung selbst bereits entsprochen. Anlässlich der Berufungsver-
handlung wurde der Berufungskläger auch wie von diesem beantragt insbe-
sondere in Bezug auf sein Vorleben bis zur Anlasstat, seinen Ausländerstatus in
der Schweiz, seine in der Schweiz zu erwartenden Lebensverhältnisse sowie sei-
ne konkreten Pläne in der Schweiz nach einer allfälligen Entlassung aus dem
Strafvollzug (act. A.3 Ziff. III. S. 3) richterlich befragt (vgl. Protokoll der richterli-
chen Befragung des Berufungsklägers vom 3. Mai 2017, act. F.3).
3.
Der in der Berufungserklärung vom 18. Januar 2017 gestellte Antrag um
Erteilung der aufschiebenden Wirkung (Ziffer 2 des Rechtsbegehrens) wurde von
RA Erduran anlässlich der mündlichen Berufungsverhandlung zurückgezogen (vgl.
Protokoll der mündlichen Berufungsverhandlung vom 3. Mai 2017, act. F.4 S. 2),
sodass von weiteren Ausführungen zu diesem Punkt abgesehen werden kann.
4.
Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist die bedingte Entlassung des
Berufungsklägers aus dem Strafvollzug, welche auf den 3. Oktober 2016 unter der
Bedingung gutgeheissen wurde, dass er in sein Heimatland in einen Dritt-
staat ausgeschafft werden kann und sein Verhalten im Vollzug bis dahin zu keinen
Beanstandungen Anlass gibt. Der vom AJV gefällte Entscheid wurde in der Folge
vom DJSG bestätigt. Der Berufungskläger beantragt, sein Gesuch um Gewährung
der bedingten Entlassung aus dem Strafvollzug sei ohne die vom AJV genannten
Bedingungen gutzuheissen und er sei unverzüglich und bedingt unter Anordnung
einer Bewährungshilfe aus dem Strafvollzug zu entlassen. In der Begründung wird
im Wesentlichen gerügt, das DJSG habe die Prognose über das künftige Wohl-
verhalten des Berufungsklägers nicht in einer Gesamtwürdigung der gemäss bun-
desgerichtlicher Rechtsprechung massgebenden Kriterien vorgenommen, sondern
Seite 8 — 17
die Beschwerde aufgrund eines einzigen Kriteriums, nämlich der zu erwartenden
Lebensverhältnisse in der Schweiz nach der Entlassung aus dem Strafvollzug,
abgelehnt. Insofern habe das DJSG die Gewährung der bedingten Entlassung des
Berufungsklägers aus dem Strafvollzug in Verletzung des vom Bundesgericht in
seiner Rechtsprechung geforderten Grundsatzes der Gesamtwürdigung der vier
relevanten Entscheidungskriterien abgelehnt. Ebenso wenig habe das DJSG in
der angefochtenen Verfügung die vom Bundesgericht in seiner neueren Recht-
sprechung geforderte Differenzialprognose ("risk assessement" aufgrund zweier
Gesamtprognosen) vorgenommen.
5.a.
Hat der Gefangene zwei Drittel seiner Strafe, mindestens aber drei Monate
verbüsst, so ist er durch die zuständige Behörde bedingt zu entlassen, wenn es
sein Verhalten im Strafvollzug rechtfertigt und nicht anzunehmen ist, er werde wei-
tere Verbrechen Vergehen begehen (Art. 86 Abs. 1 StGB). Mit dieser Be-
stimmung wurde die Legalprognose der bedingten regulären Entlassung neu ge-
regelt, indem nicht wie bisher positiv verlangt wird, es müsse erwartet werden
können, der Täter werde sich in Freiheit bewähren, sondern negativ, dass zu er-
warten ist, er werde in Freiheit keine Verbrechen Vergehen mehr begehen.
Damit wurden die Anforderungen an die Legalprognose jedenfalls tendenziell ge-
senkt. Stärker als nach früherem Recht ist davon auszugehen, dass die bedingte
Entlassung die Regel und deren Verweigerung die Ausnahme darstellt. Im Übrigen
bleibt die bisherige Rechtsprechung massgebend. Die bedingte Entlassung stellt
die vierte und letzte Stufe des Strafvollzugs dar und bildet die Regel, von der nur
aus guten Gründen abgewichen werden darf. In dieser Stufe soll der Entlassene
den Umgang mit der Freiheit erlernen, was nur in Freiheit möglich ist. Diesem rein
spezialpräventiven Zweck stehen die Schutzbedürfnisse der Allgemeinheit gegen-
über, welchen umso höheres Gewicht beizumessen ist, je hochwertiger die ge-
fährdeten Rechtsgüter sind. Die Prognose über das künftige Wohlverhalten ist in
einer Gesamtwürdigung zu erstellen, welche nebst dem Vorleben, der Persönlich-
keit und dem Verhalten des Täters während des Strafvollzugs vor allem dessen
neuere Einstellung zu seinen Taten, seine allfällige Besserung und die nach der
Entlassung zu erwartenden Lebensverhältnisse berücksichtigt. Dabei steht der
zuständigen Behörde ein Ermessensspielraum zu (BGE 133 IV 201 E. 2.2 und 2.3
S. 203 f. mit Hinweisen; statt vieler Urteile des Bundesgerichts 6B_1188/2015 vom
22. Februar 2016 E. 1.1.2 und 1.1.3 und 6B_424/2014 vom 7. Oktober 2014 E. 2;
siehe auch Cornelia Koller, in: Niggli/Wiprächtiger [Hrsg.], Basler Kommentar,
Strafrecht I, 3. Aufl., Basel 2013, N 5 f. zu Art. 86 StGB). Die neuere Rechtspre-
chung des Bundesgerichts verlangt zudem die Erstellung einer Differenzialprog-
Seite 9 — 17
nose, womit die Rechtsprechung zur bedingten Entlassung grundlegend weiter-
entwickelt wurde. Danach ist zu prüfen, ob die Gefahr einer Begehung weiterer
Straftaten bei einer bedingten Entlassung bei Vollverbüssung der Strafe hö-
her einzuschätzen ist. Somit ist grundsätzlich aufgrund zweier Gesamtprognosen
(für den Fall der bedingten Entlassung einerseits und für jenen der Vollverbüssung
der Strafe andererseits ) ein «risk assessment» vorzunehmen (Koller, a.a.O., N 16
zu Art. 86 StGB; BGE 124 IV 193 E. 4.a S. 196 und E. 5.b/bb S. 202; Urteile des
Bundesgerichts 6B_102/2015 vom 24. Juni 2015 E. 3.2 und 6B_93/2015 vom 19.
Mai 2015 E. 4.1).
b.
Das AJV hielt in seiner Verfügung vom 30. September 2016 fest, dass das
Verhalten des Berufungsklägers im Vollzug korrekt gewesen sei und nur zu weni-
gen Klagen Anlass gegeben habe. Während seines Aufenthalts in der Justizvoll-
zugsanstalt A.___ sei er zweimal diszipliniert worden. Damit die bedingte Ent-
lassung aus dem Strafvollzug gewährt werden könne, sei sein künftiges Wohlver-
halten zu prüfen. Gemäss Vollzugsbericht der Justizvollzugsanstalt A.___ vom
28. September 2016 sei das Verhalten des Berufungsklägers im Vollzug ruhig und
unauffällig. Er sei anständig, kooperativ und befolge die Regeln des Personals.
Gegenüber Mitinsassen sei es durch die provokative und dominante Art des Beru-
fungsklägers vereinzelt zu verbalen Konflikten gekommen. Er habe während sei-
nes Aufenthalts in der Justizvollzugsanstalt A.___ seine handwerklichen und
sprachlichen Fähigkeiten gut entwickeln können. Das deliktische Vorleben des
Berufungsklägers beschränke sich auf die Anlasstat gemäss Urteil des Bezirksge-
richts Landquart vom 19. November 2014 sowie eine weitere Verurteilung wegen
Diebstahls. Gemäss der legalprognostischen Einschätzung der Psychiatrischen
Dienste Graubünden (PDGR) vom 3. Juni 2015, welche sich auf das umfassende
forensisch-psychiatrische Gutachten vom 27. März 2014 stütze, könne dem Beru-
fungskläger aus forensisch-psychiatrischer Sicht eine eher günstige Legalprogno-
se gestellt werden, erneute schwerwiegende Delikte gegen die körperliche, sexu-
elle psychische Integrität seien nicht zu erwarten. Nach Gesamtbeurteilung
aller prognostisch relevanten Faktoren, insbesondere des Umstands, dass der
Berufungskläger die Schweiz voraussichtlich verlassen müsse, seien die Voraus-
setzungen für eine bedingte Entlassung aus dem Strafvollzug unter der Bedingung
erfüllt, dass er am Entlassungstag in sein Heimatland in einen Drittstaat aus-
geschafft werden könne. Der Berufungskläger könne in diesem Fall frühestens auf
den 3. Oktober 2016 aus dem Strafvollzug vorzeitig entlassen werden. Sollte er
nicht in sein Heimatland in einen Drittstaat ausgeschafft werden können, hät-
te er die Strafe vollständig zu verbüssen (Akten AJV, act. 57).
Seite 10 — 17
c.
Mit Verfügung des DJSG vom 28. Dezember 2016 wurde die Beschwerde
des Berufungsklägers abgewiesen und die angefochtene Verfügung des AJV be-
stätigt. Da das AJV die Voraussetzungen für die bedingte Entlassung grundsätz-
lich als gegeben erachtete, prüfte das DJSG in der Folge nur die vom AJV für un-
günstig beurteilte Legalprognose des Berufungsklägers im Hinblick auf die zu er-
wartenden Lebensverhältnisse bei einem Aufenthalt in der Schweiz. Angesichts
der vorliegenden Ausgangslage sei in Übereinstimmung mit dem AJV davon aus-
zugehen, dass bei einem weiteren Aufenthalt des Berufungsklägers in der
Schweiz seine zu erwartenden Lebensverhältnisse gegen ein Wohlverhalten in
Freiheit sprächen. Der Berufungskläger habe bis dato keine Arbeitsanstellung fin-
den können und würde somit in Freiheit über keinerlei geregelte Tagesstruktur
verfügen. Aufgrund seines Aufenthaltsstatus (F-Bewilligung) sowie seiner Vorstra-
fen dürfte es für ihn auch in Zukunft sehr problematisch, wenn nicht unmöglich
sein, eine entsprechende Arbeitsstelle zu finden. Zudem fehle in der Schweiz ein
sozialer Empfangsraum für die Zeit nach der Haftentlassung gänzlich. Was als-
dann die erst in der Replik geltend gemachte Behauptung des Berufungsklägers,
er habe in O.1___ einen Kollegen, bei welchem er nach der Entlassung leben
würde, anbelangt, so wurde diese als unbewiesen und unglaubwürdig betrachtet.
Schliesslich wurde der Berufungskläger auch mit seiner Behauptung, dass es ihm
nicht schwer falle als vorläufig Aufgenommener in der Schweiz rasch eine Arbeits-
stelle zu finden, nicht gehört. Das DJSG wertete diese als reine Mutmassung, wel-
che überdies durch die faktischen Verhältnisse widerlegt sei, da es als notorisch
zu bezeichnen sei, dass Personen mit Aufenthaltsstatus F auf dem Arbeitsmarkt
generell schlechte Chancen hätten. Zusammenfassend wurde die vom AJV ge-
genüber dem Berufungskläger ausgesprochene bedingte Entlassung in Verbin-
dung mit der Anordnung der Ausschaffung in sein Heimatland bzw. der Ausreise in
einen Drittstaat aufgrund der fehlenden persönlichen und beruflichen Perspektiven
in der Schweiz, der ungenügenden Integration sowie der Art der bisherigen Delin-
quenz als rechtmässig erachtet.
d.
Mit Blick auf die Akten fällt auf, dass im vorliegenden Fall eine Beurteilung
der Gemeingefährlichkeit des Berufungsklägers durch die Ostschweizerische
Strafvollzugskommission im Hinblick auf eine allfällige bedingte Entlassung fehlt.
Gemäss Art. 75a Abs. 1 StGB hat die Kommission im Hinblick auf die Bewilligung
von Vollzugsöffnungen die Gemeingefährlichkeit des Täters zu beurteilen, wenn
dieser ein Verbrechen nach Art. 64 Abs. 1 StGB begangen hat (lit. a) und die Voll-
zugsbehörde die Frage der Gemeingefährlichkeit des Gefangenen nicht eindeutig
beantworten kann (lit. b). Unter die Vollzugsöffnungen fällt unter anderem auch die
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bedingte Entlassung (Art. 75a Abs. 2 StGB). Erste Voraussetzung für einen Ein-
satz der Fachkommission ist somit ein Anlassdelikt gemäss Art. 64 Abs. 1 StGB
(Marianne Heer, in: Niggli/Wiprächtiger [Hrsg.], Basler Kommentar, Strafrecht I, 3.
Aufl., Basel 2013, N 4 zu Art. 75a StGB). Derartige in Art. 64 Abs. 1 StGB aufge-
führte Anlasstaten sind im konkreten Fall mit der mehrfachen Gefährdung des Le-
bens (Art. 129 StGB), der mehrfachen Geiselnahme (Art. 185 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
in Verbindung mit Art. 185 Ziff. 2 StGB) und der mehrfachen sexuellen Nötigung
(Art. 189 Abs. 1 StGB in Verbindung mit Art. 189 Abs. 3 StGB) gegeben, weshalb
von weiteren Ausführungen hierzu abgesehen werden kann. Zusätzlich zu der
erstgenannten Voraussetzung bedarf es überdies kumulativ einer Unsicherheit der
Vollzugsbehörde. Die Fachkommission soll bei Vollzugsfragen nämlich nur zum
Einsatz kommen, wenn die Gemeingefährlichkeit des Betroffenen nicht eindeutig
beantwortet werden kann (Heer, a.a.O., N 5 zu Art. 75a StGB). Umgekehrt entfällt
die Notwendigkeit einer Überprüfung durch die Fachbehörde somit, wenn bereits
die Vollzugsbehörde die Frage nach der Gemeingefährlichkeit eines Täters ein-
deutig beantworten kann (vgl. Botschaft zur Änderung des Strafgesetzbuches vom
29. Juni 2005, BBl 2005 S. 4717). Die Beurteilung durch die Fachkommission stellt
mithin eine Voraussetzung für den Entscheid der bedingten Entlassung aus dem
Strafvollzug dar. Darauf kann nur verzichtet werden, wenn die Vollzugsbehörde
aufgrund der ihr zur Verfügung stehenden Akten selbst zum Schluss kommt, dass
die Gemeingefährlichkeit eindeutig gegeben eindeutig nicht gegeben ist.
e.
In der Verfügung des AJV vom 30. September 2016 findet sich kein Wort
zur Gemeingefährlichkeit des Berufungsklägers. Zwar hielt das AJV darin gestützt
auf die legalprognostische Einschätzung der PDGR fest, dass dem Berufungsklä-
ger aus forensisch-psychiatrischer Sicht eine eher günstige Legalprognose gestellt
werden könne und erneute schwerwiegende Delikte gegen die körperliche, sexuel-
le psychische Integrität nicht zu erwarten seien (Akten AJV, act. 57 S. 4).
Weitergehende Ausführungen zur Gemeingefährlichkeit des Berufungsklägers
enthält die Verfügung jedoch nicht. Aus dem Umstand, dass das AJV das Gesuch
des Berufungsklägers um bedingte Entlassung aus dem Strafvollzug zwar nur
unter Bedingungen grundsätzlich gutgeheissen hat, könnte allenfalls gefolgt
werden, dass es dessen Gemeingefährlichkeit zumindest implizit ausgeschlossen
hat. Für diese Auffassung könnte auch der Umstand sprechen, dass die vom AJV
abschlägig beurteilte Gefahr erneuter schwerwiegender Delikte gegen die körper-
liche, sexuelle psychische Integrität weitgehend der Legaldefinition der Ge-
meingefährlichkeit entspricht (vgl. Art. 75a Abs. 3 StGB). Indessen macht das AJV
in seiner Stellungnahme vom 20. April 2017 aber geltend, es sei mit Auszügen aus
Seite 12 — 17
den Akten widerlegt worden, dass der Berufungskläger entgegen dessen Auffas-
sung sicherlich nicht "zweifelsfrei" keine Gefahr für die Allgemeinheit darstelle (act.
A.6 Ziff. 6.1 S. 5). Damit ist für das Kantonsgericht von Graubünden aber klar er-
stellt, dass die Frage der Gemeingefährlichkeit des Berufungsklägers von der
Vollzugsbehörde nicht eindeutig beantwortet werden konnte und folglich in dessen
Verfügung vom 30. September 2016 auch nicht implizit ausgeschlossen wurde.
Unter diesen Umständen hätte das AJV später das DJSG die Gemeingefähr-
lichkeit des Berufungsklägers im Hinblick auf die bedingte Entlassung aus dem
Strafvollzug von der hierfür zuständigen Fachkommission beurteilen lassen müs-
sen. Da dies im vorliegenden Fall nicht geschehen ist, ist die angefochtene Verfü-
gung bereits aus diesem Grund aufzuheben und das DJSG anzuweisen, bei der
Ostschweizerischen Strafvollzugskommission umgehend eine Beurteilung zur
Gemeingefährlichkeit des Berufungsklägers im Hinblick auf dessen bedingte Ent-
lassung, insbesondere für den Fall eines Aufenthalts des Berufungsklägers in der
Schweiz, einzuholen. Ohne eine solche Beurteilung fehlt es an den erforderlichen
Grundlagen, um die Frage nach der bedingten Entlassung abschliessend beurtei-
len zu können. Dieser Meinung ist im Übrigen auch der Verteidiger des Beru-
fungsklägers, welcher anlässlich der mündlichen Berufungsverhandlung diesbe-
züglich von einer Unterlassung des AJV sprach, sich vor dem Hintergrund des
Beschleunigungsgebots einer nachträglichen Einholung der entsprechenden Beur-
teilung gegenüber jedoch etwas skeptisch zeigte. Er erklärte sich aber mit der
Einholung einer solchen Beurteilung einverstanden, sofern das Gericht diese für
unerlässlich halten sollte (vgl. act. F.4 S. 4).
6.a.
Der Berufungskläger wehrt sich schliesslich gegen die Abweisung des Ge-
suchs um unentgeltliche Rechtspflege. Das DJSG begründete seinen diesbezügli-
chen Entscheid damit, dass sich der Berufungskläger aufgrund der klaren Rechts-
lage und Praxis der Aussichtslosigkeit des anhängig gemachten Beschwerdever-
fahrens von vornherein habe bewusst sein müssen. Der Berufungskläger macht
geltend, sein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege sei zu Unrecht abgewiesen
worden. Entgegen der Auffassung des DJSG sei seine Beschwerde nicht aus-
sichtslos gewesen. Es sei ferner nicht richtig, im vorliegenden Fall von einer klaren
Rechtslage zu sprechen.
b.
Gemäss Art. 76 Abs. 1 des Gesetzes über die Verwaltungsrechtspflege
(VRG, BR 370.100) kann die Behörde einer Partei, die nicht über die erforderli-
chen Mittel verfügt, auf Antrag die unentgeltliche Prozessführung bewilligen, so-
fern ihr Rechtsstreit nicht offensichtlich mutwillig von vornherein aussichtslos
ist. Aufgrund des Umstands, dass sich der Berufungskläger zurzeit im Strafvollzug
Seite 13 — 17
befindet und sich seine Schulden auf rund Fr. 36'000.-belaufen, hat das DJSG
dessen Bedürftigkeit zu Recht als erwiesen erachtet. Darauf braucht mithin nicht
mehr eingegangen zu werden. Zu prüfen bleibt somit die Frage nach der Aus-
sichtslosigkeit der erhobenen Beschwerde.
Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung sind als aussichtslos Begehren
anzusehen, bei denen die Gewinnaussichten beträchtlich geringer sind als die
Verlustgefahren und die deshalb kaum als ernsthaft bezeichnet werden können.
Dagegen gilt ein Begehren nicht als aussichtslos, wenn sich Gewinnaussichten
und Verlustgefahren ungefähr die Waage halten jene nur wenig geringer sind
als diese. Massgebend ist, ob eine Partei, die über die nötigen Mittel verfügt, sich
bei vernünftiger Überlegung zu einem Prozess entschliessen würde. Eine Partei
soll einen Prozess, den sie auf eigene Rechnung und Gefahr nicht führen würde,
nicht deshalb anstrengen können, weil er sie zumindest vorläufig - nichts kostet.
Ob im Einzelfall genügende Erfolgsaussichten bestehen, beurteilt sich aufgrund
einer vorläufigen und summarischen Prüfung der Prozessaussichten, wobei die
Verhältnisse im Zeitpunkt der Einreichung des Gesuchs massgebend sind (BGE
142 III 138 E. 5.1 S. 139 f.; 139 III 475 E. 2.2 S. 476 f.; 138 III 217 E. 2.2.4 S. 218;
129 I 129 E. 2.3.1 S. 135 f.). Von einer Aussichtslosigkeit der Beschwerde im Sin-
ne der zitierten bundesgerichtlichen Rechtsprechung kann im vorliegenden Fall
keine Rede sein. Zum einen war die Verfügung des AJV vom 30. September 2016
äusserst knapp begründet und wurde erst mit der Stellungnahme vor dem DJSG
vom 22. November 2016 ergänzt (Akten DJSG, act. 3). Zum anderen wurde dem
Berufungskläger die bedingte Entlassung aus dem Strafvollzug trotz einer eher
günstigen Legalprognose lediglich unter der Bedingung gewährt, dass er am Ent-
lassungstag in sein Heimatland in einen Drittstaat ausgeschafft werden kann.
Um welche prognostisch relevanten Faktoren es sich bei der dieser Schlussfolge-
rung vorausgegangenen Gesamtbeurteilung gehandelt haben soll, geht aus der
Verfügung nicht hervor. Angesichts dessen, dass die Prognose über das künftige
Wohlverhalten nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung in einer Gesamt-
würdigung zu erstellen ist, welche nebst dem Vorleben, der Persönlichkeit und
dem Verhalten des Täters während des Strafvollzugs vor allem dessen neuere
Einstellung zu seinen Taten, seine allfällige Besserung und die nach der Entlas-
sung zu erwartenden Lebensverhältnisse berücksichtigt (vgl. E. 5.a hiervor), kann
mit Blick auf die knappe Begründung des AJV und anhand einer summarischen
Prüfung der Prozessaussichten im Zeitpunkt der Einreichung des Gesuchs nicht
ohne weiteres von einer aussichtlosen Beschwerdeerhebung gesprochen werden.
Es ist denn auch nicht ersichtlich, aus welchem Grund der Berufungskläger die
Seite 14 — 17
Gewinnaussichten im vorliegenden Fall als beträchtlich geringer hätte einstufen
müssen als die Verlustgefahren. Somit hat das DJSG dem Berufungskläger die
unentgeltliche Rechtpflege für das Beschwerdeverfahren zu Unrecht verweigert,
weshalb die Berufung in diesem Punkt gutzuheissen ist. Dem Berufungskläger
wird für das Beschwerdeverfahren vor dem DJSG die unentgeltliche Rechtspflege
bewilligt und in der Person von Rechtsanwalt lic. iur. HSG Vedat Erduran ein un-
entgeltlicher Rechtsvertreter bestellt. Die Festsetzung des Honorars des unent-
geltlichen Rechtsvertreters erfolgt durch das DJSG in der neu zu erlassenden Ver-
fügung.
7.
Da die angefochtene Verfügung mit dem vorliegenden Beschluss aufgeho-
ben und die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen
wird, gehen die Kosten des Berufungsverfahrens, welche auf Fr. 4'000.-festge-
setzt werden (vgl. Art. 7 der Verordnung über die Gerichtsgebühren in Strafverfah-
ren [VGS; BR 350.210]), zu Lasten des Kantons Graubünden (Art. 428 Abs. 4
StPO). Die Verfahrenskosten setzen sich ferner zusammen aus den Gebühren zur
Deckung des Aufwands und den Auslagen im konkreten Straffall (Art. 422 Abs. 1
StPO). Auslagen sind namentlich die Kosten für die amtliche Verteidigung und für
Übersetzungen (Art. 422 Abs. 2 lit. a und lit. b StPO). Die Kosten für den Dolmet-
scher betragen gemäss nachgereichter Kostennote Fr. 326.80 (act. D.13). Mit Ho-
norarnote vom 3. Mai 2017 (act. D.15) machte Rechtsanwalt lic. iur. HSG Vedat
Erduran als amtlicher Verteidiger des Berufungsklägers einen Aufwand von 21
Stunden 40 Minuten zu einem Stundenansatz von Fr. 200.-geltend. Letzterer
entspricht dem in Art. 5 Abs. 1 der Verordnung über die Bemessung des Honorars
von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten (Honorarverordnung, HV; BR
310.250) vorgesehenen Honoraransatz für die amtliche Verteidigung und ist des-
halb nicht zu beanstanden. Angesichts der sich stellenden Sachund Rechtsfra-
gen erscheint der in Rechnung gestellte Aufwand auch in zeitlicher Hinsicht als
angemessen. Zuzüglich Barauslagen von Fr. 447.50 sowie der Mehrwertsteuer
von 382.50 wird die Entschädigung des amtlichen Verteidigers für das vorliegende
Berufungsverfahren antragsgemäss auf Fr. 5'160.-festgesetzt.
Seite 15 — 17
III. Demnach wird erkannt:
1.
Die Berufung wird gutgeheissen und die angefochtene Verfügung des De-
partements für Justiz, Sicherheit und Gesundheit vom 28. Dezember 2016
wird aufgehoben.
2.
Das Departement für Justiz, Sicherheit und Gesundheit wird in Anwendung
von Art. 75a StGB angewiesen, bei der Ostschweizerischen Strafvollzugs-
kommission umgehend eine Beurteilung zur Gemeingefährlichkeit des Be-
rufungsklägers im Hinblick auf dessen bedingte Entlassung, insbesondere
für den Fall eines Aufenthalts des Berufungsklägers in der Schweiz, einzu-
holen.
3.a)
X.___ wird für das Beschwerdeverfahren vor dem Departement für Jus-
tiz, Sicherheit und Gesundheit die unentgeltliche Rechtspflege bewilligt und
in der Person von Rechtsanwalt lic. iur. HSG Vedat Erduran ein unentgeltli-
cher Rechtsvertreter bestellt.
b)
Die Festsetzung des Honorars des unentgeltlichen Rechtsvertreters erfolgt
durch das Departement für Justiz, Sicherheit und Gesundheit in der neu zu
erlassenden Verfügung.
4.
Die Entschädigung des amtlichen Verteidigers, Rechtsanwalt lic. iur. HSG
Vedat Erduran, für das vorliegende Berufungsverfahren geht zu Lasten des
Kantons Graubünden und wird auf Fr. 5'160.-- (inkl. Auslagen und MWSt)
festgelegt.
5.
Die Kosten des Berufungsverfahrens von Fr. 4'326.80 (Gerichtsgebühr Fr.
4'000.--, Kosten für Dolmetscher Fr. 326.80) gehen zu Lasten des Kantons
Graubünden.
6.
Gegen diese Entscheidung kann gemäss Art. 78 ff. BGG Beschwerde in
Strafsachen an das Bundesgericht geführt werden. Die Beschwerde ist dem
Schweizerischen Bundesgericht, 1000 Lausanne 14, schriftlich innert 30
Tagen seit Eröffnung der vollständigen Ausfertigung der Entscheidung in
der gemäss Art. 42 f. BGG vorgeschriebenen Weise einzureichen. Für die
Zulässigkeit, die Beschwerdelegitimation, die weiteren Voraussetzungen
und das Verfahren der Beschwerde gelten die Art. 29 ff., 78 ff. und 90 ff.
BGG.
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7.
Mitteilung an:
Seite 17 — 17
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